Allgemeine Zeitung, Nr. 167, 15. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
worden, wenn Savoyen und Nizza ohne Unfall in Sicherheit gebracht wer- Italien. = Rom, 7 Jun. Die große Procession zur Feier des Fronleichnams- | Turin, 10 Jun. Noch hat das Parlament nicht endgültig über | Turin, 11 Jun. Finis Sabaudiae! Finis Nieaeae! Es war in [Spaltenumbruch]
worden, wenn Savoyen und Nizza ohne Unfall in Sicherheit gebracht wer- Italien. = Rom, 7 Jun. Die große Proceſſion zur Feier des Fronleichnams- ↓ Turin, 10 Jun. Noch hat das Parlament nicht endgültig über ↓ Turin, 11 Jun. Finis Sabaudiæ! Finis Nieææ! Es war in <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0007" n="2787"/><cb/> worden, wenn Savoyen und Nizza ohne Unfall in Sicherheit gebracht wer-<lb/> den. Auf die Erfüllung des Verſprechens iſt man ſehr geſpannt. Die Zahl<lb/> der katholiſchen Blätter welche ſeit dem letzten Herbſt verwarnt wurden, iſt ja<lb/> Legion, die orleaniſtiſchen und republicaniſchen ungerechnet. Aus Bordeaux<lb/> meldet man die Durchreiſe von drei Abgeordneten des Thierſchutzvereins in<lb/> Hamburg. Sie begeben ſich nach Madrid um die Königin zu bitten die Stier-<lb/> gefechte abzuſchaffen.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>= <hi rendition="#b">Rom,</hi> 7 Jun.</dateline> <p>Die große Proceſſion zur Feier des Fronleichnams-<lb/> feſtes zog dieſen Morgen mit dem hergebrachten rituellen Glanz über den<lb/> Vorplatz der St. Peterskirche, und endete in den innern Räumen der Baſilika.<lb/> General Goyon und Lamoricière waren unter den feſtlichen Gruppen. Militär<lb/> von allen Waffengattungen ſtand an Ort und Stelle, die Ordnung zu wahren.<lb/> Die von einer während der Proceſſion beabſichtigten Ruheſtörung in Umlauf<lb/> geſetzten Gerüchte zeigten ſich als leere Erſindungen derer welche Freude daran<lb/> haben die Mitbürger in fortwährender ängſtlicher Aufregung zu erhalten. —<lb/> Der neueſte Gnadenact des Papſtes kam zwei politiſchen Gefangenen zu gut.<lb/> Giuſeppe Fabiani, genannt Carbonaretto, hatte ſich im Jahr 1849 in gleicher<lb/> Weiſe wie Ciceruacchio zu vielen ungeſetzlichen Handlungen, beſonders zur<lb/> Verunglimpfung von Klöſtern und Kirchen wie des Klerus, von der demokra-<lb/> tiſchen Partei mißbrauchen laſſen, und war dafür zu zwangigjähriger Haſt<lb/> verurtheilt. Ein Agent der Mazziniſchen Anleihe für die nationale Unab-<lb/> hängigkeit, ein Glockengießer Lucenti, der mit andern Genoſſen vor vier Jahren<lb/> hier in Vicolo di Geſù e Maria auf der That ergriffen wurde, hatte fünfzehn<lb/> Jahre abzubüßen. Beide ſind in Freiheit geſetzt. Noch andere derartige<lb/> Gnadenacte ſind für den 21 d. Mts., den Jahrestag der Krönung des Papſtes,<lb/> in gewiſſer Ausſicht. — General Lamoricière ließ dem betreffenden Corps in<lb/> einem geſtrigen Tagsbefehl mittheilen wie der Papſt die wackere Haltung ſeiner<lb/> Truppen beim Zuſammenſtoß mit den toscaniſchen Freiſchaaren in Le Grotte<lb/> anerkennen wollte. Die ſechzig Carabinieri (Gendarmen), unter dem Oberſt<lb/> Pimodan, welche einen ſechsfach größern Haufen Freiſchärler zu Paaren trieben,<lb/> erhielten zunächſt ohne Ausnahme die goldene Verdienſtmedaille, außerdem ein<lb/> Geſchenk von tauſend Scudi, die ſie unter ſich theilen ſollten. Die Verwundeten<lb/> rückten einen Grad hinauf und erhielten einen Jahrgehalt von 25—50 Scudi auf<lb/> Lebenszeit. Die den gebliebenen und verwundeten Freiſchärlern genommenen<lb/> Waffen kamen vorgeſtern hierher. Es ſind Piken, Dolche, Degen, Flinten,<lb/> ſämmtlich vom ſchlechteſten Kaliber, doch auch zwei gute Stutzen darunter. —<lb/> Ein ſchweres Augenleiden machte den Miniſter des Handels und der öffentlichen<lb/> Arbeiten, Mſgr. Camillo Amici, ſchon ſeit einem Jahr unfähig ſeinem Amt wie<lb/> früher perſönlich vorzuſtehen. Der Papſt hat ihn jetzt desſelben enthoben;<lb/> doch bleibt er Miniſter ohne Portefeuille und Mitglied des Miniſterraths. Zu<lb/> ſeinem Nachfolger im Miniſterium des Handels und der öffentlichen Arbeiten<lb/> iſt ſeit geſtern der Baron Pier Domenico Coſtantini-Baldini, eines der ſähigſten<lb/> Mitglieder der Finanzconſulta, ernannt. — Die Gazzetta di Genova war in<lb/> Bezug auf römiſche Nachrichten zu einem Lügenblatt ohne gleichen geworden,<lb/> weßhalb ſie ſeit acht Tagen nicht mehr geleſen werden darf. Ungeachtet ein-<lb/> flußreicher Verwendung dauert das Verbot gegen ſie fort.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>↓ <hi rendition="#b">Turin,</hi> 10 Jun.</dateline> <p>Noch hat das Parlament nicht endgültig über<lb/> den Abtretungsvertrag abgeſtimmt; allein deſſenungeachtet hat die Gendar-<lb/> merie des zweiten Decembers bereits ihren Einzug in Chambery gehalten.<lb/> Diefer ſtändige Vorgeſchmack bonapartiſtiſcher Beglückung iſt auch in Nizza<lb/> eingetroffen. Die HH. Präfecten ſind ſprungfertig, und warten nur auf das<lb/> Signal des Telegraphen daß der Senat ſein letztes Wort geſprochen hat, um<lb/> über die Rhône zu ſetzen, und ihren feierlichen Einzug in Chambery und<lb/> Annecy zu halten. Savoyen wird in zwei Departements zerfallen: in Ober-<lb/> und Unter-Savoyen. Nach Chambery iſt der bisherige Präfect von Veſoul,<lb/> Hr. Dieu, beſtimmt; nach Annech Hr. Levainville. Die Grafſchaft Nizza<lb/> wird in ein Departement der Meeralpen verwandelt, und erhält Hrn. Paulze<lb/> d’Jooy von Poitiers zu ſeinem Präfecten. Ueber Nizza wurde in der geſtrigen<lb/> Senatsſitzung noch manches ſchöne Wort geſprochen, während man Savoyen<lb/> reſignirt ſeinem Geſchick überläßt. Der frühere Juſtizminiſter Deforeſta,<lb/> ein geborner Nizzarde, ſpricht mit Wärme und Innigkeit für ſeine verkaufte<lb/> Vaterſtadt. Er weiß daß große Geſchicke nicht ohne große Opfer vollzogen<lb/> werden können; er weiß daß die Allianz Frankceichs eine Nothwendigkeit iſt,<lb/> und er ſelbſt würde gern Franzoſe geworden ſeyn wenn er nicht Italiener<lb/> wäre. Er legt durch die Geographie, durch die Geſchichte, durch die Sitten<lb/> und durch die Sprache des Landes unwiderlegbar dar daß Nizza italieniſch iſt.<lb/> „In, wenigen Tagen,“ ſo ſchließt ergriffen der Redner, „wird Nizza, die<lb/> alte getreue Stadt, franzöſiſch ſeyn; ich werde Italiener bleiben. Meine<lb/> Vaterſtadt hat einſtmals die Dynaſtie gerettet. Möge ſeine Opferung wenig-<lb/> ſtens dazu dienen daß die glorreichen Geſchicke der Dynaſtie und die Größe<lb/> des italieniſchen Vaterlandes in Erfüllung gehen.“ (Beifall.) Graf Cavour<lb/> ſucht meiſtens mit den ſchon in der Deputirtenkammer abgenützten Redens-<lb/> arten zu bewetſen daß Nizza franzöſiſch iſt. Er ſucht dieß unter anderm<lb/> auch durch die Futilität darzuthun daß die Deputation, die zu ihm gekommen<lb/><cb/> ſey ihn von der italieniſchen Nationalität Nizza’s zu überzeugen, dieß in<lb/> franzöſiſcher Sprache that. Er bedaure ſagen zu müſſen, die Vaterſtadt<lb/> Garibaldi’s ſey nicht italieniſch; aber wer glaubt in der franzöſiſchen Armee<lb/> daß Maſſena ein Italiener iſt? Er wiederhole: der Vertrag ſey eine Noth-<lb/> wendigkeit; wenn man das franzöſiſche Nationalgefühl beleidige, ſo ſey die<lb/> Allianz verloren, und für immer; keiner Regierung würde es gelingen die-<lb/> ſelbe wiederherzuſtellen. Senator Linati ſpricht in langer Rede gegen den<lb/> Vertrag, und ſchließt mit folgenden energiſchen Worten: „Ich muß gegen<lb/> den Vertrag ſtimmen, erſtlich als Richter ob der enormen Ungeſetzlichkeit mit<lb/> welcher derſelbe ſanctionirt werden ſoll; dann als italieniſcher Bürger, weil<lb/> er das Princip unſerer Nationalität auf barbariſche Weiſe verletzt und über<lb/> den Haufen wirſt, und drittens als Menſch, weil er jedes moraliſche Gefühl<lb/> aufs frechſte verletzt. Der Schwache kann wohl eine Gewaltthat von Seiten<lb/> des Mächtigen hinnehmen, allein die Manneswürde verbieter uns dieſe Ge-<lb/> waltthat durch unſer Votum zu ſanctioniren.“ Heute Sonntag hält der<lb/> Senat eine außerordentliche Sitzung um mit dieſen traurigen Begräbniß-<lb/> debatten zu enden. — Nach der „officiellen Zeitung des Königreichs“ hat der<lb/> König den Engländer Richard Rainſhaw von Bolton-le-Moors, welcher neu-<lb/> lich der Regierung die Summe von 50,000 Fr. für wohlthätige Zwecke über-<lb/> ſandte, in den Grafenſtand erhoben, und die Würde auf die jeweils erſtge-<lb/> borne männliche Nachkommenſchaft als fortlaufend erklärt. — Der Domherr<lb/> Ortalda, welcher, unter dem Vorwand er ſey im Beſitz einer heimlichen Dru-<lb/> ckerei geweſen, vor mehreren Tagen in das Criminalgefängniß abgeführt<lb/> worden war, iſt wieder auf freien Fuß geſetzt, da die Preſſe nicht ihm ge-<lb/> hörte, ſondern einem patentirten Buchdrucker, dem er die Erlaubniß ge-<lb/> geben hatte dieſelbe in einer unbenützten Räumlichkeit ſeines Hauſes aufzu-<lb/> ſtellen. — Die heutige „Gazzetta di Torino“ berichtet von in Palermo vor-<lb/> gekommenen Gräuelthaten ſeitens der königlichen Truppen, und ſchiebt ſie<lb/> friſchweg — um die Ehre des italieniſchen Namens zu retten — den Schwei-<lb/> zern und Bayern in die Schuhe. Aber die Gräuelthaten in Catania und<lb/> Syracus, wo notoriſch keine Deutſchen waren? Die Ehre des italieniſchen<lb/> Namens ſcheint nicht ſehr ſtichhaltig.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>↓ <hi rendition="#b">Turin,</hi> 11 Jun.</dateline> <p><hi rendition="#aq">Finis Sabaudiæ! Finis Nieææ!</hi> Es war in<lb/> der vierten Nachmittagsſtunde des 10 Jun. 1860 als der Verkauf der zwei<lb/> treueſten Provinzen des alten Piemonts von 92 Mitgliedern des Senats gegen<lb/> 10 verwerfende Stimmen ratificirt wurde, und heute ſchon kann der 2 Dec.<lb/> ſeinen Wunſch befriedigen, und die franzöſiſche Flagge vom Montblane,<lb/> Europa’s höchſter Spitze, über die erſtaunten Nationen herniederwehen laſſen,<lb/> ohne befürchten zu müſſen daß ſie je von einer andern überragt würde. An<lb/> der Freskendecke der Deputirtenkammer möge man aber die Wappen der<lb/> Städte Chambery und Nizza übertünchen; ſie haben ihre Schuldigkeit gethan,<lb/> ſie können gehen. Es ſprach noch in geſtriger Sitzung der Senator Gallina,<lb/> der nicht begreifen kann wie man in einem piemonteſiſchen Parlament ſich ſo<lb/> gegen die Verträge von 1815 zu ereifern vermag, während gerade durch dieſe<lb/> Verträge Piemont ſeine Wiederaufſtehung feierte, und mit dem Herzogthum<lb/> Genua beſchenlt wurde. Gallina ſucht den Urſprung des Vertrags in den<lb/> dem italieniſchen Krieg vorangegangenen Verhandlungen zu Plombières, die<lb/> uns durch die Verhandlungen des engliſchen Parlaments, ſowie durch die Blätter<lb/> des Auslands theilweiſe enthüllt wurden. Graf Cavour unterbricht hier den<lb/> Redner mit der Erklärung daß dieſe ſogenannten Enthüllungen unwahr und<lb/> ungenau geweſen. Jene Verhandlungen ſeyen geheim geweſen, deßwegen appellire<lb/> er an die Klugheit des Redners nicht Gegenſtände in den Bereich der Dis-<lb/> cuſſion zu ziehen die der Natur der Sache gemäß geheim bleiben müſſen.<lb/> Gallina vindicirt ſich die Freiheit des Worts, und behauptet daß zu Plom-<lb/> bières für die Abtretung Savoyens und Nizza’s Venedig und nicht die Aemilia<lb/> und Toscana als Compenſation feſtgeſetzt war. So freudig ihn aber die<lb/> Einverleibung Centralitaliens ſtimme, ſo ſey dieſes doch nimmer ein Erſatz<lb/> für Venedig. Die weſentlichſte Bedingung für eine Zukunft Italiens ſey die<lb/> abſolute Räumung von Seite Oeſterreichs, und ſolange Benedig ſich in den<lb/> Händen des letztern beſinde, könne Italien nicht frei, nicht unabhängig wer-<lb/> den. Der Brief Napoleons an den Papſt ſey ihm keine Garantie für den<lb/> Beſitz der Romagna; Briefe ſchreibe man heute, und morgen zerzeiße man<lb/> den Inhalt derſelben. Die heutige Politik beweiſe zur Genüge wieviel man<lb/> auf geſchriebene Erklärung geben könne; ſie wechsle je nachdem der Wind<lb/> gehe. Der Miniſterpräſident habe geſagt daß er ſelbſt für den Beſitz Vene-<lb/> digs auch nicht eine Handbreit Erde von Ligurien oder Sardinien abtrete.<lb/> Aber dieſe Provinzen bilden nicht das geſammte Italien, und dieſe Antwort<lb/> könnte buchſtäblich genommen werden, wenn von einer etwaigen Transaction<lb/> in der Aemilia oder in Toscana geſprochen werden ſollte. Graf Cavour<lb/> unterbricht mit der Bemerkung daß er Ligurien und Sardinien genannt habe,<lb/> weil dieſe Provinzen von ſeinem damaligen Gegner genannt worden waren.<lb/> Hätte man von andern italieniſchen Provinzen geſprochen, würde er dieſelbe<lb/> Antwort gegeben haben. Gallina bekämpft ferner die Behauptung des Sena-<lb/> tors Cadorna, nach welcher die allgemeine Abſtimmung zum neuen europäi-<lb/> ſchen Völkerrecht erklärt ſey. Er finde in dieſem Syſtem alle Mängel einer<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2787/0007]
worden, wenn Savoyen und Nizza ohne Unfall in Sicherheit gebracht wer-
den. Auf die Erfüllung des Verſprechens iſt man ſehr geſpannt. Die Zahl
der katholiſchen Blätter welche ſeit dem letzten Herbſt verwarnt wurden, iſt ja
Legion, die orleaniſtiſchen und republicaniſchen ungerechnet. Aus Bordeaux
meldet man die Durchreiſe von drei Abgeordneten des Thierſchutzvereins in
Hamburg. Sie begeben ſich nach Madrid um die Königin zu bitten die Stier-
gefechte abzuſchaffen.
Italien.
= Rom, 7 Jun. Die große Proceſſion zur Feier des Fronleichnams-
feſtes zog dieſen Morgen mit dem hergebrachten rituellen Glanz über den
Vorplatz der St. Peterskirche, und endete in den innern Räumen der Baſilika.
General Goyon und Lamoricière waren unter den feſtlichen Gruppen. Militär
von allen Waffengattungen ſtand an Ort und Stelle, die Ordnung zu wahren.
Die von einer während der Proceſſion beabſichtigten Ruheſtörung in Umlauf
geſetzten Gerüchte zeigten ſich als leere Erſindungen derer welche Freude daran
haben die Mitbürger in fortwährender ängſtlicher Aufregung zu erhalten. —
Der neueſte Gnadenact des Papſtes kam zwei politiſchen Gefangenen zu gut.
Giuſeppe Fabiani, genannt Carbonaretto, hatte ſich im Jahr 1849 in gleicher
Weiſe wie Ciceruacchio zu vielen ungeſetzlichen Handlungen, beſonders zur
Verunglimpfung von Klöſtern und Kirchen wie des Klerus, von der demokra-
tiſchen Partei mißbrauchen laſſen, und war dafür zu zwangigjähriger Haſt
verurtheilt. Ein Agent der Mazziniſchen Anleihe für die nationale Unab-
hängigkeit, ein Glockengießer Lucenti, der mit andern Genoſſen vor vier Jahren
hier in Vicolo di Geſù e Maria auf der That ergriffen wurde, hatte fünfzehn
Jahre abzubüßen. Beide ſind in Freiheit geſetzt. Noch andere derartige
Gnadenacte ſind für den 21 d. Mts., den Jahrestag der Krönung des Papſtes,
in gewiſſer Ausſicht. — General Lamoricière ließ dem betreffenden Corps in
einem geſtrigen Tagsbefehl mittheilen wie der Papſt die wackere Haltung ſeiner
Truppen beim Zuſammenſtoß mit den toscaniſchen Freiſchaaren in Le Grotte
anerkennen wollte. Die ſechzig Carabinieri (Gendarmen), unter dem Oberſt
Pimodan, welche einen ſechsfach größern Haufen Freiſchärler zu Paaren trieben,
erhielten zunächſt ohne Ausnahme die goldene Verdienſtmedaille, außerdem ein
Geſchenk von tauſend Scudi, die ſie unter ſich theilen ſollten. Die Verwundeten
rückten einen Grad hinauf und erhielten einen Jahrgehalt von 25—50 Scudi auf
Lebenszeit. Die den gebliebenen und verwundeten Freiſchärlern genommenen
Waffen kamen vorgeſtern hierher. Es ſind Piken, Dolche, Degen, Flinten,
ſämmtlich vom ſchlechteſten Kaliber, doch auch zwei gute Stutzen darunter. —
Ein ſchweres Augenleiden machte den Miniſter des Handels und der öffentlichen
Arbeiten, Mſgr. Camillo Amici, ſchon ſeit einem Jahr unfähig ſeinem Amt wie
früher perſönlich vorzuſtehen. Der Papſt hat ihn jetzt desſelben enthoben;
doch bleibt er Miniſter ohne Portefeuille und Mitglied des Miniſterraths. Zu
ſeinem Nachfolger im Miniſterium des Handels und der öffentlichen Arbeiten
iſt ſeit geſtern der Baron Pier Domenico Coſtantini-Baldini, eines der ſähigſten
Mitglieder der Finanzconſulta, ernannt. — Die Gazzetta di Genova war in
Bezug auf römiſche Nachrichten zu einem Lügenblatt ohne gleichen geworden,
weßhalb ſie ſeit acht Tagen nicht mehr geleſen werden darf. Ungeachtet ein-
flußreicher Verwendung dauert das Verbot gegen ſie fort.
↓ Turin, 10 Jun. Noch hat das Parlament nicht endgültig über
den Abtretungsvertrag abgeſtimmt; allein deſſenungeachtet hat die Gendar-
merie des zweiten Decembers bereits ihren Einzug in Chambery gehalten.
Diefer ſtändige Vorgeſchmack bonapartiſtiſcher Beglückung iſt auch in Nizza
eingetroffen. Die HH. Präfecten ſind ſprungfertig, und warten nur auf das
Signal des Telegraphen daß der Senat ſein letztes Wort geſprochen hat, um
über die Rhône zu ſetzen, und ihren feierlichen Einzug in Chambery und
Annecy zu halten. Savoyen wird in zwei Departements zerfallen: in Ober-
und Unter-Savoyen. Nach Chambery iſt der bisherige Präfect von Veſoul,
Hr. Dieu, beſtimmt; nach Annech Hr. Levainville. Die Grafſchaft Nizza
wird in ein Departement der Meeralpen verwandelt, und erhält Hrn. Paulze
d’Jooy von Poitiers zu ſeinem Präfecten. Ueber Nizza wurde in der geſtrigen
Senatsſitzung noch manches ſchöne Wort geſprochen, während man Savoyen
reſignirt ſeinem Geſchick überläßt. Der frühere Juſtizminiſter Deforeſta,
ein geborner Nizzarde, ſpricht mit Wärme und Innigkeit für ſeine verkaufte
Vaterſtadt. Er weiß daß große Geſchicke nicht ohne große Opfer vollzogen
werden können; er weiß daß die Allianz Frankceichs eine Nothwendigkeit iſt,
und er ſelbſt würde gern Franzoſe geworden ſeyn wenn er nicht Italiener
wäre. Er legt durch die Geographie, durch die Geſchichte, durch die Sitten
und durch die Sprache des Landes unwiderlegbar dar daß Nizza italieniſch iſt.
„In, wenigen Tagen,“ ſo ſchließt ergriffen der Redner, „wird Nizza, die
alte getreue Stadt, franzöſiſch ſeyn; ich werde Italiener bleiben. Meine
Vaterſtadt hat einſtmals die Dynaſtie gerettet. Möge ſeine Opferung wenig-
ſtens dazu dienen daß die glorreichen Geſchicke der Dynaſtie und die Größe
des italieniſchen Vaterlandes in Erfüllung gehen.“ (Beifall.) Graf Cavour
ſucht meiſtens mit den ſchon in der Deputirtenkammer abgenützten Redens-
arten zu bewetſen daß Nizza franzöſiſch iſt. Er ſucht dieß unter anderm
auch durch die Futilität darzuthun daß die Deputation, die zu ihm gekommen
ſey ihn von der italieniſchen Nationalität Nizza’s zu überzeugen, dieß in
franzöſiſcher Sprache that. Er bedaure ſagen zu müſſen, die Vaterſtadt
Garibaldi’s ſey nicht italieniſch; aber wer glaubt in der franzöſiſchen Armee
daß Maſſena ein Italiener iſt? Er wiederhole: der Vertrag ſey eine Noth-
wendigkeit; wenn man das franzöſiſche Nationalgefühl beleidige, ſo ſey die
Allianz verloren, und für immer; keiner Regierung würde es gelingen die-
ſelbe wiederherzuſtellen. Senator Linati ſpricht in langer Rede gegen den
Vertrag, und ſchließt mit folgenden energiſchen Worten: „Ich muß gegen
den Vertrag ſtimmen, erſtlich als Richter ob der enormen Ungeſetzlichkeit mit
welcher derſelbe ſanctionirt werden ſoll; dann als italieniſcher Bürger, weil
er das Princip unſerer Nationalität auf barbariſche Weiſe verletzt und über
den Haufen wirſt, und drittens als Menſch, weil er jedes moraliſche Gefühl
aufs frechſte verletzt. Der Schwache kann wohl eine Gewaltthat von Seiten
des Mächtigen hinnehmen, allein die Manneswürde verbieter uns dieſe Ge-
waltthat durch unſer Votum zu ſanctioniren.“ Heute Sonntag hält der
Senat eine außerordentliche Sitzung um mit dieſen traurigen Begräbniß-
debatten zu enden. — Nach der „officiellen Zeitung des Königreichs“ hat der
König den Engländer Richard Rainſhaw von Bolton-le-Moors, welcher neu-
lich der Regierung die Summe von 50,000 Fr. für wohlthätige Zwecke über-
ſandte, in den Grafenſtand erhoben, und die Würde auf die jeweils erſtge-
borne männliche Nachkommenſchaft als fortlaufend erklärt. — Der Domherr
Ortalda, welcher, unter dem Vorwand er ſey im Beſitz einer heimlichen Dru-
ckerei geweſen, vor mehreren Tagen in das Criminalgefängniß abgeführt
worden war, iſt wieder auf freien Fuß geſetzt, da die Preſſe nicht ihm ge-
hörte, ſondern einem patentirten Buchdrucker, dem er die Erlaubniß ge-
geben hatte dieſelbe in einer unbenützten Räumlichkeit ſeines Hauſes aufzu-
ſtellen. — Die heutige „Gazzetta di Torino“ berichtet von in Palermo vor-
gekommenen Gräuelthaten ſeitens der königlichen Truppen, und ſchiebt ſie
friſchweg — um die Ehre des italieniſchen Namens zu retten — den Schwei-
zern und Bayern in die Schuhe. Aber die Gräuelthaten in Catania und
Syracus, wo notoriſch keine Deutſchen waren? Die Ehre des italieniſchen
Namens ſcheint nicht ſehr ſtichhaltig.
↓ Turin, 11 Jun. Finis Sabaudiæ! Finis Nieææ! Es war in
der vierten Nachmittagsſtunde des 10 Jun. 1860 als der Verkauf der zwei
treueſten Provinzen des alten Piemonts von 92 Mitgliedern des Senats gegen
10 verwerfende Stimmen ratificirt wurde, und heute ſchon kann der 2 Dec.
ſeinen Wunſch befriedigen, und die franzöſiſche Flagge vom Montblane,
Europa’s höchſter Spitze, über die erſtaunten Nationen herniederwehen laſſen,
ohne befürchten zu müſſen daß ſie je von einer andern überragt würde. An
der Freskendecke der Deputirtenkammer möge man aber die Wappen der
Städte Chambery und Nizza übertünchen; ſie haben ihre Schuldigkeit gethan,
ſie können gehen. Es ſprach noch in geſtriger Sitzung der Senator Gallina,
der nicht begreifen kann wie man in einem piemonteſiſchen Parlament ſich ſo
gegen die Verträge von 1815 zu ereifern vermag, während gerade durch dieſe
Verträge Piemont ſeine Wiederaufſtehung feierte, und mit dem Herzogthum
Genua beſchenlt wurde. Gallina ſucht den Urſprung des Vertrags in den
dem italieniſchen Krieg vorangegangenen Verhandlungen zu Plombières, die
uns durch die Verhandlungen des engliſchen Parlaments, ſowie durch die Blätter
des Auslands theilweiſe enthüllt wurden. Graf Cavour unterbricht hier den
Redner mit der Erklärung daß dieſe ſogenannten Enthüllungen unwahr und
ungenau geweſen. Jene Verhandlungen ſeyen geheim geweſen, deßwegen appellire
er an die Klugheit des Redners nicht Gegenſtände in den Bereich der Dis-
cuſſion zu ziehen die der Natur der Sache gemäß geheim bleiben müſſen.
Gallina vindicirt ſich die Freiheit des Worts, und behauptet daß zu Plom-
bières für die Abtretung Savoyens und Nizza’s Venedig und nicht die Aemilia
und Toscana als Compenſation feſtgeſetzt war. So freudig ihn aber die
Einverleibung Centralitaliens ſtimme, ſo ſey dieſes doch nimmer ein Erſatz
für Venedig. Die weſentlichſte Bedingung für eine Zukunft Italiens ſey die
abſolute Räumung von Seite Oeſterreichs, und ſolange Benedig ſich in den
Händen des letztern beſinde, könne Italien nicht frei, nicht unabhängig wer-
den. Der Brief Napoleons an den Papſt ſey ihm keine Garantie für den
Beſitz der Romagna; Briefe ſchreibe man heute, und morgen zerzeiße man
den Inhalt derſelben. Die heutige Politik beweiſe zur Genüge wieviel man
auf geſchriebene Erklärung geben könne; ſie wechsle je nachdem der Wind
gehe. Der Miniſterpräſident habe geſagt daß er ſelbſt für den Beſitz Vene-
digs auch nicht eine Handbreit Erde von Ligurien oder Sardinien abtrete.
Aber dieſe Provinzen bilden nicht das geſammte Italien, und dieſe Antwort
könnte buchſtäblich genommen werden, wenn von einer etwaigen Transaction
in der Aemilia oder in Toscana geſprochen werden ſollte. Graf Cavour
unterbricht mit der Bemerkung daß er Ligurien und Sardinien genannt habe,
weil dieſe Provinzen von ſeinem damaligen Gegner genannt worden waren.
Hätte man von andern italieniſchen Provinzen geſprochen, würde er dieſelbe
Antwort gegeben haben. Gallina bekämpft ferner die Behauptung des Sena-
tors Cadorna, nach welcher die allgemeine Abſtimmung zum neuen europäi-
ſchen Völkerrecht erklärt ſey. Er finde in dieſem Syſtem alle Mängel einer
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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