Allgemeine Zeitung, Nr. 169, 17. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
cher berufen ist ihm noch große Dienste zu erweisen, wenn es sich dazu Italien. | Turin, 13 Jun. Es scheint daß man die Zeit für gekommen D Genua, 12 Jun. Sie sehen daß ich gut unterrichtet war als ich Ihnen Nizza, 10 Jun. Es hat mich wirklich gewundert daß hier die [Spaltenumbruch]
cher berufen iſt ihm noch große Dienſte zu erweiſen, wenn es ſich dazu Italien. ↓ Turin, 13 Jun. Es ſcheint daß man die Zeit für gekommen Δ Genua, 12 Jun. Sie ſehen daß ich gut unterrichtet war als ich Ihnen ⊙ Nizza, 10 Jun. Es hat mich wirklich gewundert daß hier die <TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0007" n="2819"/><cb/> cher berufen iſt ihm noch große Dienſte zu erweiſen, <hi rendition="#g">wenn es ſich dazu<lb/> hergeben will</hi> — <hi rendition="#aq">si elle s y prête un peu.</hi> Damit gibt er zu verſtehen<lb/> Preußen werde ſich herbeilaſſen die Bevölkerung der Rheinprovinzen zur Ab-<lb/> ſtimmung über ihr Verbleiben bei Deutſchland oder ihr Ueberlaufen an Frank-<lb/> reich aufzufordern, welches die Rheinprovinzen nicht <hi rendition="#g">erobern</hi> will. Hr.<lb/> About hat ſüße Schmeichelworte für Preußen, aber auch ſchwere Drohungen.<lb/><hi rendition="#aq">C’est à prendre ou à laisser.</hi> Preußen ſoll nicht ungeſtraft franzöſiſche<lb/> Großmuth und franzöſiſche Freundſchaftsdienſte ſchnöde verſchmähen. Hr. About<lb/> ſcheint auch in dem Irrthum befangen zu ſeyn daß, wenn Preußen nicht will,<lb/> die deutſchen <hi rendition="#g">Demokraten ſich dazu hergeben werden</hi> — <hi rendition="#aq">ilss’y prête-<lb/> ront un peu.</hi> Ueberhaupt iſt die ganze Broſchüre in Bezug auf Deutſchland ſo<lb/> nichtswürdig gedacht und geſchrieben, daß ſie jenſeits der Vogeſen einen Sturm<lb/> des Unwillens hervorrufen muß. Man kann ſich nicht der Vermuthung er-<lb/> wehren daß dieſelbe dazu beſtimmt iſt die Aufregung in Deutſchland zu ver-<lb/> mehren, und den Bruch zwiſchen Frankreich und Deutſchland zu beſchleunigen.<lb/><hi rendition="#aq">C’est la guerre contre la Prusse.</hi> Dieß vernehme ich von allen welche die<lb/> Broſchüre geleſen haben. In Deutſchland wird ſie kaum einen andern Ein-<lb/> druck hervorbringen. Es iſt ihr übrigens ſchon vor ein paar Tagen eine Er-<lb/> läuterung vorausgegangen. Das in Genf erſcheinende bonapartiſtiſche Blatt<lb/><hi rendition="#g">L’Eſp<hi rendition="#aq">é</hi>rance</hi> vom 13 Jun. enthält eine Pariſer Correſpondenz, welche auch<lb/> verſichert: Frankreich werde den Rhein nicht <hi rendition="#g">erobern,</hi> obgleich der Krieg mit<lb/> Preußen unverzüglich bevorſteht. Preußen wird iſolirt den Krieg zu führen<lb/> haben; es wird in einer einzigen Schlacht beſiegt; Frankreich wirft dem Be-<lb/> ſiegten großmüthig einige Kleinſtaaten im nördlichen Deutſchland zu, und<lb/> Preußen ſchätzt ſich glücklich gegen eine ſolche Gebietsvergrößerung nach einer<lb/> Niederlage den Bewohnern der Rheinprovinzen, welche nie aufgehört haben<lb/> franzöſiſch zu denken und zu fühlen, ihre Freiheit zurückzugeben. Man ſagt<lb/> mir der franzöſiſche Kaiſer müſſe die deutſche Frage vertagen weil ein Krieg<lb/> unter den gegenwärtigen kritiſchen Uebergangszuſtänden des Handels und der<lb/> Induſtrie mit einer ſchrecklichen Finanzkr ſis beginnen würde. Dagegen iſt<lb/> zu erwiedern daß nach dem heutigen Bankausweis die Geſchäfte ohnehin ſchon<lb/> ſo ſchlecht wie in Kriegszeiten gehen, und daß der Krieg die Geldmärkte nicht<lb/> mehr in Anſpruch nehmen würde als es ſchon jetzt die verſchiedenen Anlehen<lb/> thun.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>↓ <hi rendition="#b">Turin,</hi> 13 Jun.</dateline> <p>Es ſcheint daß man die Zeit für gekommen<lb/> glaubt wo man ſeinen Länderappetit nicht mehr Blatt für Blatt zu befriedigen<lb/> braucht nach Artiſchokenweiſe, ſondern wo es geſtattet iſt mit Unterſtützung<lb/> offener und heimlicher Freunde auf Ländereroberung auszuziehen und die<lb/> Halbinſel mit einemmal zu „annexiren.“ Man dürfte ſich jedoch hierin ſo-<lb/> wie in der vorausgeſetzten ſtillſchweigenden Billigung des „hochherzigen<lb/> Alliirten“ getäuſcht haben. Denn die plötzliche Abreiſe des ſardiniſchen Geſandten<lb/> Grafen Nigra von Paris, um mit dem Grafen Cavour mündlich zu conferiren,<lb/> ebenſo wie die nicht minder unvermuthete plötzliche Abreiſe des neapolitani-<lb/> ſchen Geſandten in Paris, de Martino, nach Neapel werden mit der Nach-<lb/> richt in Verbindung gebracht daß der Kaiſer ſich aufs energiſchſte einer Ueber-<lb/> tragung der Revolution auf den Continent widerſetze, und vom König Victor<lb/> Emmanuel verlange daß er dem General Garibaldi in ſeiner Revolutions-<lb/> propaganda Einhalt thue. Doch wäre dieß nicht alles. Der Kaiſer ſey auch<lb/> durchaus nicht gewillt der Annexionsluſt Piemonts weiteren Vorſchub zu leiſten,<lb/> ſondern im Gegentheil dem norditalieniſchen Königreich durch Gründung<lb/> eines ſtarken ſüditalieniſchen conſtitutionellen Königreichs ein heilſames Gegen-<lb/> gewicht zu ſetzen. Deßwegen dränge derſelbe in die neapolitaniſche Regie-<lb/> rung zur Erlaſſung einer Conſtitution, worin die getrennte Adminiſtration<lb/> der Inſel Sicilien anerkannt wird, und in eine Offenſiv- und Defenſiv-<lb/> Allianz mit Piemont und den ihm annexirten Provinzen. Daß dieſer Vor-<lb/> ſchlag hier nicht mundgerecht befunden wird, verſteht ſich von ſelbſt. — Im<lb/> Tagesgrauen des vergangenen 10 Jun. gieng die dritte Expedition ſiciliani-<lb/> ſcher Freiwilligen von Genua ab. Ihrer nahezu zweitauſend hatten ſich in<lb/> der Nacht in dem weitläufigen am Meer gelegenen Park eines lombardiſchen<lb/> Patriciers eingefunden. Es waren meiſtens Handwerker, Studenten, Künſtler<lb/> und viele ausgetretene Militärs. In der Morgendämmerung wurden ſie an<lb/> Bord zweier Dampfſchiffe gebracht die von Marſeille gekommen waren, und<lb/> zu den ſechs gehören die der Dictator Garibaldi von der Marſeiller Com-<lb/> pagnie Frayſſinet für 3 Mill. Franken käuflich an ſich gebracht hat. Führer<lb/> dieſes Zugs iſt der frühere Oberſt der Alpenjäger Medici. Die Samm-<lb/> lungen für Garibaldi werden offen und in großem Maßſtab betrieben. Warum<lb/> auch noch Heimlichkeit wenn König Victor Emmanuel, in höchſteigener Perſon<lb/> einer Theatervorſtellung beiwohnt, deren Erträgniß zur Unterſtützung Gari-<lb/> baldi’s, alſo zu territorialer Beſchädigung ſeines Vetters, des Königs von<lb/> Neapel, beſtimmt iſt, wie auf allen Zetteln und in allen Zeitungen zu leſen<lb/> war! Wenn man von oben herab ſo wenig Zartgeſühl zeigt, was haben<lb/> dann die Maſſen nöthig ſich vor dem Auge des Geſetzes in Acht zu nehmen?<lb/> Die eigenthümlichſte Weiſe für Garibaldi Geld zu machen dürfte wohl einer<lb/> eben ſo ſchöneu als reichen Mailänder Dame eingefallen ſeyn, die mit der com-<lb/><cb/> petenten Bewilligung und in Gegenwart des Hrn. Ehegemahls zu Gunſten des<lb/> modernen Pelopidas — Küſſe verkauft, wirkliche Küſſe auf die Stirne. Die<lb/> Dame hat deren zwei Gattungen zu verhandeln: ſolche die ſie gibt, und ſolche<lb/> die ſie empfängt. Erſtere koſten zwanzig, letztere zehn Franken, und es ſollen<lb/> nach Verſicherung unſeres Gewährsmannes in einer neulichen Abendgeſell-<lb/> ſchaft auf dieſe Weiſe neunzig Franken eingegangen ſeyn. Die Dame ſollte<lb/> mit ihrer Waare ein <hi rendition="#aq">en gros</hi>-Geſchäft betreiben.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>Δ <hi rendition="#b">Genua,</hi> 12 Jun.</dateline> <p>Sie ſehen daß ich gut unterrichtet war als ich Ihnen<lb/> von der Vorbereitung einer zweiten Expedition in Cagliari ſchrieb. Die Jour-<lb/> nale bringen jetzt die Nachricht daß von dem genannten Hafen ſchon zwei<lb/> Schiffe nach Sicilien mit Freiwilligen, Waffen und Munition ausgelaufen<lb/> ſeyen. Cagliari liegt aber auch zu dieſen Unternehmungen höchſt günſtig. An<lb/> der Südſpitze einer wenig beſuchten Inſel, wohin ſich die öffentliche Aufmerk-<lb/> ſamkeit nur im geringen Grade wendet, eignet es ſich durch die Nähe der ſici-<lb/> liſchen Küſte ganz vorzüglich zu einem Depotplatz der Garibaldianer. — Aus<lb/> Sicilien haben wir heute keine Nachrichten von Wichtigkeit. Die Blätter brin-<lb/> gen meiſtentheils Wiederholungen früherer Berichte oder unbedeutende Einzel-<lb/> heiten zu den letzten Kämpfen. Man ſchreibt indeſſen der Unit<hi rendition="#aq">à</hi> Italiana<lb/> vom 4 Jun. aus Palermo: „Da die Königlichen ſchon zum drittenmal einen<lb/> Waffenſtillſtand verlangten, ſo ſcheint es daß ſie die Stadt ohne neue Opfer<lb/> von unſerer Seite verlaſſen werden. Wir wiſſen noch nicht was Garibaldi<lb/> in der Folge thun wird; wahrſcheinlich dürfte die Diplomatie interveniren.<lb/> Indeſſen werden wir mit ihm ausharren, ſolange es gilt die ſoldatiſche Lauf-<lb/> bahn (<hi rendition="#aq">carriera di soldato</hi>) zu verfolgen. Die Stadt ſtart von Barricaden,<lb/> der Enthuſtasmus des Volks iſt wahrhaft großartig. Man hört daß ſich<lb/> häuſig Sbirren entleiben um auf dieſe Art der Volksrache zu entgehen, die<lb/> ihnen ein grauenhaſtes Entſetzen einflößt. Muſikbanden durchziehen die Stadt,<lb/> denen ſich ungeheure Volkshanfen mit tricoloren Fahnen unter den Rufen:<lb/><hi rendition="#aq">Viva l’Italia! Viva Garibaldi!</hi> auſchließen. Prieſtec und Mönche tanzen<lb/> zur Muſik, oder feuern, mit Carabinern, Piſtolen und Säbeln bewaffnet, das<lb/> Volk von den Barricaden herab zum Kampf an. Es kommen fortwährend<lb/> neapolitaniſche Ausreißer in die Stadt, welche von einer großen Demoraliſa-<lb/> tion unter den königl. Truppen berichten. Die Oſſiciere, ſagen ſie, ſind<lb/> nicht mehr im Stande ſich bei ihren Untergebenen Gehorſam zu verſchaffen.<lb/> Man bemerkt an vielen Punkten der Stadt Ruinen und Brandſtätten, zer-<lb/> trümmerte Möbel, Erdhaufen, kurz Spuren der gräulichſten Verwüſtung.<lb/> Der Krieg den die Bourbonen gegen Palermo führten, war bis jetzt ein wahr-<lb/> haft cannibaliſcher. Wir hoffen indeſſen daß es das letzte Unternehmen dieſer<lb/> Art in dem ſchönen Lande ſeyn wird.“ — Nach dem Penſiero, welcher mit<lb/> den verſchiedenen Flüchtlingscomit<hi rendition="#aq">é</hi>s in Verbindung ſteht, wird in London<lb/> ſehr eifrig für Garibaldi geworben. Der Chartiſten-Club in Newcaſtle on<lb/> Tyne hat 450 Pf. St. votirt, 387 Pf. St. ſind von einer Geſellſchaft „Friends<lb/> of Italy“ aus Mancheſter eingegangen. In Sheffield haben ſich zwei Fabri-<lb/> canten erboten dem italieniſchen Comit<hi rendition="#aq">é</hi> 3000 Säbel, Lanzen und Bajonnette<lb/> unentgeltlich zur Verfügung zu ſtellen. So meldet wenigſtens der Penſiero in<lb/> einer Londoner Correſpondenz. — In Marſeille find zahlreiche italieniſche Flücht-<lb/> linge aus dem Innern Frankreichs angekommen, um ſich auf den Dampfern<lb/> „l’Helv<hi rendition="#aq">é</hi>lie“ und „Belzunce“ nach Sicilien einzuſchiffen. Dieſe Schiffe ſind,<lb/> wie ich ſchon in meinem geſtrigen Schreiben erwähnte, von einer „anonymen<lb/> Geſellſchaft“ angekauft worden. Wer mag wohl dahinterſtecken?</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>⊙ <hi rendition="#b">Nizza,</hi> 10 Jun.</dateline> <p>Es hat mich wirklich gewundert daß hier die<lb/> Dinge ſeit der ſogenannten „Volksabſtimmung“ über das politiſche Schickſal<lb/> Nizza’s ſo ruhig verliefen. Die Parteien ſtehen ſich zu ſchroff gegenüber,<lb/> die Erbitterung iſt eine zu allgemeine, als daß man nicht bei dem heißblüti-<lb/> gen Charakter der Südländer Conflicte oder einen Zuſammenſtoß zwiſchen<lb/> Italienern und Franzoſen erwarten ſollte. Wie ich vorausſah, war dieſer<lb/> Waffenſtillſtand der Parteien von keiner langen Dauer. Die Expedition<lb/> Garibaldi’s und ſeine in Sicilien errungenen Siege erhöhten das Selbſtge-<lb/> fühl und die politiſche Leidenſchaft ſeiner hieſigen Anhänger in hohem Grade,<lb/> und ſie ließen den Franzoſen ihren unverſöhnlichen Haß bei jeder Gelegen-<lb/> heit fühlen. Seitdem nun die Einnahme Palermo’s bekannt geworden —<lb/> welche von einem großen Theil italieniſch geſinnter Nizzarden durch ein Ban-<lb/> kett gefeiert wurde — kamen gewiſſe Symptome zum Vorſchein, die nicht<lb/> unſchwer eine ernſtere Demonſtration, oder wohl gar einen Zuſammenſtoß der<lb/> Parteien, vermuthen ließen. So fand man z. B. Zettel oder Maueraufſchriften<lb/> welche die Worte: <hi rendition="#aq">„Italia! Ajuto per la povera Nizza! Viva Gari-<lb/> baldi! Abbasso la Francia!“</hi> u. dgl. trugen. Abends ſangen in den<lb/> Straßen zahlreiche Trupps das bekannte Marſchlied <hi rendition="#aq">„L’Italia libera!“</hi> und<lb/> die noch fungirenden piemonteſiſchen Gendarmen machten natürlich keine<lb/> Miene einzuſchreiten. Ja, einer dieſer Sängertrupps bewirthete zwei Gen-<lb/> darmen in einer Oſteria der Via di S. Reperata,“ wobei ſie auf Italien<lb/> und Victor Emmanuel Toaſte ausbrachten. Es ſollte indeſſen bald ernſter<lb/> kommen. Als ich geſtern Abends gegen 11 Uhr von dem „Cercle des Etran-<lb/> gers“ nach Hauſe gehen wollte, hörte ich auf der nahegelegenen Piazza<lb/> S. Domenico ein fürchterliches Geſchrei, Pfeifen und das Klirren von Fen-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2819/0007]
cher berufen iſt ihm noch große Dienſte zu erweiſen, wenn es ſich dazu
hergeben will — si elle s y prête un peu. Damit gibt er zu verſtehen
Preußen werde ſich herbeilaſſen die Bevölkerung der Rheinprovinzen zur Ab-
ſtimmung über ihr Verbleiben bei Deutſchland oder ihr Ueberlaufen an Frank-
reich aufzufordern, welches die Rheinprovinzen nicht erobern will. Hr.
About hat ſüße Schmeichelworte für Preußen, aber auch ſchwere Drohungen.
C’est à prendre ou à laisser. Preußen ſoll nicht ungeſtraft franzöſiſche
Großmuth und franzöſiſche Freundſchaftsdienſte ſchnöde verſchmähen. Hr. About
ſcheint auch in dem Irrthum befangen zu ſeyn daß, wenn Preußen nicht will,
die deutſchen Demokraten ſich dazu hergeben werden — ilss’y prête-
ront un peu. Ueberhaupt iſt die ganze Broſchüre in Bezug auf Deutſchland ſo
nichtswürdig gedacht und geſchrieben, daß ſie jenſeits der Vogeſen einen Sturm
des Unwillens hervorrufen muß. Man kann ſich nicht der Vermuthung er-
wehren daß dieſelbe dazu beſtimmt iſt die Aufregung in Deutſchland zu ver-
mehren, und den Bruch zwiſchen Frankreich und Deutſchland zu beſchleunigen.
C’est la guerre contre la Prusse. Dieß vernehme ich von allen welche die
Broſchüre geleſen haben. In Deutſchland wird ſie kaum einen andern Ein-
druck hervorbringen. Es iſt ihr übrigens ſchon vor ein paar Tagen eine Er-
läuterung vorausgegangen. Das in Genf erſcheinende bonapartiſtiſche Blatt
L’Eſpérance vom 13 Jun. enthält eine Pariſer Correſpondenz, welche auch
verſichert: Frankreich werde den Rhein nicht erobern, obgleich der Krieg mit
Preußen unverzüglich bevorſteht. Preußen wird iſolirt den Krieg zu führen
haben; es wird in einer einzigen Schlacht beſiegt; Frankreich wirft dem Be-
ſiegten großmüthig einige Kleinſtaaten im nördlichen Deutſchland zu, und
Preußen ſchätzt ſich glücklich gegen eine ſolche Gebietsvergrößerung nach einer
Niederlage den Bewohnern der Rheinprovinzen, welche nie aufgehört haben
franzöſiſch zu denken und zu fühlen, ihre Freiheit zurückzugeben. Man ſagt
mir der franzöſiſche Kaiſer müſſe die deutſche Frage vertagen weil ein Krieg
unter den gegenwärtigen kritiſchen Uebergangszuſtänden des Handels und der
Induſtrie mit einer ſchrecklichen Finanzkr ſis beginnen würde. Dagegen iſt
zu erwiedern daß nach dem heutigen Bankausweis die Geſchäfte ohnehin ſchon
ſo ſchlecht wie in Kriegszeiten gehen, und daß der Krieg die Geldmärkte nicht
mehr in Anſpruch nehmen würde als es ſchon jetzt die verſchiedenen Anlehen
thun.
Italien.
↓ Turin, 13 Jun. Es ſcheint daß man die Zeit für gekommen
glaubt wo man ſeinen Länderappetit nicht mehr Blatt für Blatt zu befriedigen
braucht nach Artiſchokenweiſe, ſondern wo es geſtattet iſt mit Unterſtützung
offener und heimlicher Freunde auf Ländereroberung auszuziehen und die
Halbinſel mit einemmal zu „annexiren.“ Man dürfte ſich jedoch hierin ſo-
wie in der vorausgeſetzten ſtillſchweigenden Billigung des „hochherzigen
Alliirten“ getäuſcht haben. Denn die plötzliche Abreiſe des ſardiniſchen Geſandten
Grafen Nigra von Paris, um mit dem Grafen Cavour mündlich zu conferiren,
ebenſo wie die nicht minder unvermuthete plötzliche Abreiſe des neapolitani-
ſchen Geſandten in Paris, de Martino, nach Neapel werden mit der Nach-
richt in Verbindung gebracht daß der Kaiſer ſich aufs energiſchſte einer Ueber-
tragung der Revolution auf den Continent widerſetze, und vom König Victor
Emmanuel verlange daß er dem General Garibaldi in ſeiner Revolutions-
propaganda Einhalt thue. Doch wäre dieß nicht alles. Der Kaiſer ſey auch
durchaus nicht gewillt der Annexionsluſt Piemonts weiteren Vorſchub zu leiſten,
ſondern im Gegentheil dem norditalieniſchen Königreich durch Gründung
eines ſtarken ſüditalieniſchen conſtitutionellen Königreichs ein heilſames Gegen-
gewicht zu ſetzen. Deßwegen dränge derſelbe in die neapolitaniſche Regie-
rung zur Erlaſſung einer Conſtitution, worin die getrennte Adminiſtration
der Inſel Sicilien anerkannt wird, und in eine Offenſiv- und Defenſiv-
Allianz mit Piemont und den ihm annexirten Provinzen. Daß dieſer Vor-
ſchlag hier nicht mundgerecht befunden wird, verſteht ſich von ſelbſt. — Im
Tagesgrauen des vergangenen 10 Jun. gieng die dritte Expedition ſiciliani-
ſcher Freiwilligen von Genua ab. Ihrer nahezu zweitauſend hatten ſich in
der Nacht in dem weitläufigen am Meer gelegenen Park eines lombardiſchen
Patriciers eingefunden. Es waren meiſtens Handwerker, Studenten, Künſtler
und viele ausgetretene Militärs. In der Morgendämmerung wurden ſie an
Bord zweier Dampfſchiffe gebracht die von Marſeille gekommen waren, und
zu den ſechs gehören die der Dictator Garibaldi von der Marſeiller Com-
pagnie Frayſſinet für 3 Mill. Franken käuflich an ſich gebracht hat. Führer
dieſes Zugs iſt der frühere Oberſt der Alpenjäger Medici. Die Samm-
lungen für Garibaldi werden offen und in großem Maßſtab betrieben. Warum
auch noch Heimlichkeit wenn König Victor Emmanuel, in höchſteigener Perſon
einer Theatervorſtellung beiwohnt, deren Erträgniß zur Unterſtützung Gari-
baldi’s, alſo zu territorialer Beſchädigung ſeines Vetters, des Königs von
Neapel, beſtimmt iſt, wie auf allen Zetteln und in allen Zeitungen zu leſen
war! Wenn man von oben herab ſo wenig Zartgeſühl zeigt, was haben
dann die Maſſen nöthig ſich vor dem Auge des Geſetzes in Acht zu nehmen?
Die eigenthümlichſte Weiſe für Garibaldi Geld zu machen dürfte wohl einer
eben ſo ſchöneu als reichen Mailänder Dame eingefallen ſeyn, die mit der com-
petenten Bewilligung und in Gegenwart des Hrn. Ehegemahls zu Gunſten des
modernen Pelopidas — Küſſe verkauft, wirkliche Küſſe auf die Stirne. Die
Dame hat deren zwei Gattungen zu verhandeln: ſolche die ſie gibt, und ſolche
die ſie empfängt. Erſtere koſten zwanzig, letztere zehn Franken, und es ſollen
nach Verſicherung unſeres Gewährsmannes in einer neulichen Abendgeſell-
ſchaft auf dieſe Weiſe neunzig Franken eingegangen ſeyn. Die Dame ſollte
mit ihrer Waare ein en gros-Geſchäft betreiben.
Δ Genua, 12 Jun. Sie ſehen daß ich gut unterrichtet war als ich Ihnen
von der Vorbereitung einer zweiten Expedition in Cagliari ſchrieb. Die Jour-
nale bringen jetzt die Nachricht daß von dem genannten Hafen ſchon zwei
Schiffe nach Sicilien mit Freiwilligen, Waffen und Munition ausgelaufen
ſeyen. Cagliari liegt aber auch zu dieſen Unternehmungen höchſt günſtig. An
der Südſpitze einer wenig beſuchten Inſel, wohin ſich die öffentliche Aufmerk-
ſamkeit nur im geringen Grade wendet, eignet es ſich durch die Nähe der ſici-
liſchen Küſte ganz vorzüglich zu einem Depotplatz der Garibaldianer. — Aus
Sicilien haben wir heute keine Nachrichten von Wichtigkeit. Die Blätter brin-
gen meiſtentheils Wiederholungen früherer Berichte oder unbedeutende Einzel-
heiten zu den letzten Kämpfen. Man ſchreibt indeſſen der Unità Italiana
vom 4 Jun. aus Palermo: „Da die Königlichen ſchon zum drittenmal einen
Waffenſtillſtand verlangten, ſo ſcheint es daß ſie die Stadt ohne neue Opfer
von unſerer Seite verlaſſen werden. Wir wiſſen noch nicht was Garibaldi
in der Folge thun wird; wahrſcheinlich dürfte die Diplomatie interveniren.
Indeſſen werden wir mit ihm ausharren, ſolange es gilt die ſoldatiſche Lauf-
bahn (carriera di soldato) zu verfolgen. Die Stadt ſtart von Barricaden,
der Enthuſtasmus des Volks iſt wahrhaft großartig. Man hört daß ſich
häuſig Sbirren entleiben um auf dieſe Art der Volksrache zu entgehen, die
ihnen ein grauenhaſtes Entſetzen einflößt. Muſikbanden durchziehen die Stadt,
denen ſich ungeheure Volkshanfen mit tricoloren Fahnen unter den Rufen:
Viva l’Italia! Viva Garibaldi! auſchließen. Prieſtec und Mönche tanzen
zur Muſik, oder feuern, mit Carabinern, Piſtolen und Säbeln bewaffnet, das
Volk von den Barricaden herab zum Kampf an. Es kommen fortwährend
neapolitaniſche Ausreißer in die Stadt, welche von einer großen Demoraliſa-
tion unter den königl. Truppen berichten. Die Oſſiciere, ſagen ſie, ſind
nicht mehr im Stande ſich bei ihren Untergebenen Gehorſam zu verſchaffen.
Man bemerkt an vielen Punkten der Stadt Ruinen und Brandſtätten, zer-
trümmerte Möbel, Erdhaufen, kurz Spuren der gräulichſten Verwüſtung.
Der Krieg den die Bourbonen gegen Palermo führten, war bis jetzt ein wahr-
haft cannibaliſcher. Wir hoffen indeſſen daß es das letzte Unternehmen dieſer
Art in dem ſchönen Lande ſeyn wird.“ — Nach dem Penſiero, welcher mit
den verſchiedenen Flüchtlingscomités in Verbindung ſteht, wird in London
ſehr eifrig für Garibaldi geworben. Der Chartiſten-Club in Newcaſtle on
Tyne hat 450 Pf. St. votirt, 387 Pf. St. ſind von einer Geſellſchaft „Friends
of Italy“ aus Mancheſter eingegangen. In Sheffield haben ſich zwei Fabri-
canten erboten dem italieniſchen Comité 3000 Säbel, Lanzen und Bajonnette
unentgeltlich zur Verfügung zu ſtellen. So meldet wenigſtens der Penſiero in
einer Londoner Correſpondenz. — In Marſeille find zahlreiche italieniſche Flücht-
linge aus dem Innern Frankreichs angekommen, um ſich auf den Dampfern
„l’Helvélie“ und „Belzunce“ nach Sicilien einzuſchiffen. Dieſe Schiffe ſind,
wie ich ſchon in meinem geſtrigen Schreiben erwähnte, von einer „anonymen
Geſellſchaft“ angekauft worden. Wer mag wohl dahinterſtecken?
⊙ Nizza, 10 Jun. Es hat mich wirklich gewundert daß hier die
Dinge ſeit der ſogenannten „Volksabſtimmung“ über das politiſche Schickſal
Nizza’s ſo ruhig verliefen. Die Parteien ſtehen ſich zu ſchroff gegenüber,
die Erbitterung iſt eine zu allgemeine, als daß man nicht bei dem heißblüti-
gen Charakter der Südländer Conflicte oder einen Zuſammenſtoß zwiſchen
Italienern und Franzoſen erwarten ſollte. Wie ich vorausſah, war dieſer
Waffenſtillſtand der Parteien von keiner langen Dauer. Die Expedition
Garibaldi’s und ſeine in Sicilien errungenen Siege erhöhten das Selbſtge-
fühl und die politiſche Leidenſchaft ſeiner hieſigen Anhänger in hohem Grade,
und ſie ließen den Franzoſen ihren unverſöhnlichen Haß bei jeder Gelegen-
heit fühlen. Seitdem nun die Einnahme Palermo’s bekannt geworden —
welche von einem großen Theil italieniſch geſinnter Nizzarden durch ein Ban-
kett gefeiert wurde — kamen gewiſſe Symptome zum Vorſchein, die nicht
unſchwer eine ernſtere Demonſtration, oder wohl gar einen Zuſammenſtoß der
Parteien, vermuthen ließen. So fand man z. B. Zettel oder Maueraufſchriften
welche die Worte: „Italia! Ajuto per la povera Nizza! Viva Gari-
baldi! Abbasso la Francia!“ u. dgl. trugen. Abends ſangen in den
Straßen zahlreiche Trupps das bekannte Marſchlied „L’Italia libera!“ und
die noch fungirenden piemonteſiſchen Gendarmen machten natürlich keine
Miene einzuſchreiten. Ja, einer dieſer Sängertrupps bewirthete zwei Gen-
darmen in einer Oſteria der Via di S. Reperata,“ wobei ſie auf Italien
und Victor Emmanuel Toaſte ausbrachten. Es ſollte indeſſen bald ernſter
kommen. Als ich geſtern Abends gegen 11 Uhr von dem „Cercle des Etran-
gers“ nach Hauſe gehen wollte, hörte ich auf der nahegelegenen Piazza
S. Domenico ein fürchterliches Geſchrei, Pfeifen und das Klirren von Fen-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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