Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 24. April 1915.24. April 1915. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
einer wirklich groß gedachten deutschen Welt- und Kolonialpolitikeine solche Schwächung dieses unruhigen Nachbarn, daß er als gefährlicher Gegner nicht weiter in Betracht kommt. Erst dann bekommen wir die Arme frei für eine großzügige Kolonialpolitik. Denn eine großzügige deutsche Welt- und Kolonialpolitik heute treiben wollen, wo wir im Westen von Frankreich, im Osten von Rußland bedrängt werden, ist geradeso, als wenn man von den alten Römern hätte verlangen wollen, Griechenland und Vorder- asten zu erobern, und dabei neben sich in Nordafrika, Sizilien und Spanien das starke Reich der Karthager zu dulden. Wir verstehen heute in verwandter Zeit das berühmte "Ceterum censeo" des alten Cato. Wir begreifen, daß ohne Vernichtung des punischen Reiches Rom niemals seine Weltrolle spielen konnte. Die Hoff- nung, diesen französischen Gegner versöhnen zu können, hat sich immer als trügerisch erwiesen, und muß sich bei dem Charakter der Franzosen und ihrer ganzen Staatskunst, die immer auf Prestige und Glanzerfolge zugeschnitten gewesen ist, auch in Zukunft als trügerisch erweisen. Auch der wohlmeinendsten und friedliebend- sten deutschen Regierung wird es niemals gelingen, die Sehnsucht nach der Rheingrenze und vor allem nach Elsaß-Lothringen aus dem französischen Herzen zu reißen. Wenn wir heute auf eine solche Hoffnung unsere Politik gegen Frankreich gründen wollten, so hieße das nichts anderes als eine Politik der Illusion zu treiben, die sich in unserer Geschichte stets sehr schlecht bewährt hat. Frank- reich wird uns diesen heutigen Sieg über seine Kriegsheere so wenig verzeihen, wie es uns unsere Siege bei Leipzig und Belle- Alliance, bei Metz und Sedan verziehen hat. Hat man doch sogar vor 1870 in Frankreich "Rache für Königgrätz" verlangt, obgleich doch diese Schlacht Frankreich nichts anging. Wer heute eine Ver- söhnung Frankreichs für möglich hält, der ist kein Völkerpsychologe, der versteht sich nicht auf die französische Volksseele. Mit zwingender Logik ergeben sich daher für die deutsche Anders aber wird die Situation, wenn es uns gelingt, Frank- Alle diese Tatsachen und Möglichkeiten hat dieser Krieg mit [Spaltenumbruch] Feuilleton Nochmals die Emden. Eine englische Schilderung ihres letzten Kampfes. Die durch den letzten Heldenkampf unsrer tapferen "Em-
24. April 1915. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
einer wirklich groß gedachten deutſchen Welt- und Kolonialpolitikeine ſolche Schwächung dieſes unruhigen Nachbarn, daß er als gefährlicher Gegner nicht weiter in Betracht kommt. Erſt dann bekommen wir die Arme frei für eine großzügige Kolonialpolitik. Denn eine großzügige deutſche Welt- und Kolonialpolitik heute treiben wollen, wo wir im Weſten von Frankreich, im Oſten von Rußland bedrängt werden, iſt geradeſo, als wenn man von den alten Römern hätte verlangen wollen, Griechenland und Vorder- aſten zu erobern, und dabei neben ſich in Nordafrika, Sizilien und Spanien das ſtarke Reich der Karthager zu dulden. Wir verſtehen heute in verwandter Zeit das berühmte „Ceterum censeo“ des alten Cato. Wir begreifen, daß ohne Vernichtung des puniſchen Reiches Rom niemals ſeine Weltrolle ſpielen konnte. Die Hoff- nung, dieſen franzöſiſchen Gegner verſöhnen zu können, hat ſich immer als trügeriſch erwieſen, und muß ſich bei dem Charakter der Franzoſen und ihrer ganzen Staatskunſt, die immer auf Preſtige und Glanzerfolge zugeſchnitten geweſen iſt, auch in Zukunft als trügeriſch erweiſen. Auch der wohlmeinendſten und friedliebend- ſten deutſchen Regierung wird es niemals gelingen, die Sehnſucht nach der Rheingrenze und vor allem nach Elſaß-Lothringen aus dem franzöſiſchen Herzen zu reißen. Wenn wir heute auf eine ſolche Hoffnung unſere Politik gegen Frankreich gründen wollten, ſo hieße das nichts anderes als eine Politik der Illuſion zu treiben, die ſich in unſerer Geſchichte ſtets ſehr ſchlecht bewährt hat. Frank- reich wird uns dieſen heutigen Sieg über ſeine Kriegsheere ſo wenig verzeihen, wie es uns unſere Siege bei Leipzig und Belle- Alliance, bei Metz und Sedan verziehen hat. Hat man doch ſogar vor 1870 in Frankreich „Rache für Königgrätz“ verlangt, obgleich doch dieſe Schlacht Frankreich nichts anging. Wer heute eine Ver- ſöhnung Frankreichs für möglich hält, der iſt kein Völkerpſychologe, der verſteht ſich nicht auf die franzöſiſche Volksſeele. Mit zwingender Logik ergeben ſich daher für die deutſche Anders aber wird die Situation, wenn es uns gelingt, Frank- Alle dieſe Tatſachen und Möglichkeiten hat dieſer Krieg mit [Spaltenumbruch] Feuilleton Nochmals die Emden. Eine engliſche Schilderung ihres letzten Kampfes. Die durch den letzten Heldenkampf unſrer tapferen „Em-
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Frank-<lb/> reich wird uns dieſen heutigen Sieg über ſeine Kriegsheere ſo<lb/> wenig verzeihen, wie es uns unſere Siege bei Leipzig und Belle-<lb/> Alliance, bei Metz und Sedan verziehen hat. Hat man doch ſogar<lb/> vor 1870 in Frankreich „Rache für Königgrätz“ verlangt, obgleich<lb/> doch dieſe Schlacht Frankreich nichts anging. Wer heute eine Ver-<lb/> ſöhnung Frankreichs für möglich hält, der iſt kein Völkerpſychologe,<lb/> der verſteht ſich nicht auf die franzöſiſche Volksſeele.</p><lb/> <p>Mit zwingender Logik ergeben ſich daher für die deutſche<lb/> Politik in dieſem Kriege nur die beiden Möglichkeiten: Entweder<lb/> ſchont man Frankreich und ſucht es zu verſöhnen; dann wird<lb/> immer unſere Welt- und Kolonialpolitik zu einem ſehr beſcheidenen<lb/> Daſein verurteilt ſein, weil die Feinde, die wir uns außerhalb<lb/> Europas durch unſeren wirtſchaftlichen Aufſchwung notwendig<lb/> machen müſſen, immer auf den Beiſtand Frankreichs werden<lb/> zählen können, dem zugleich ein immer ſtärker in ſeiner Bevölke-<lb/> rungszahl wachſendes Rußland als Bundesgenoſſe zur Seite ſtehen<lb/> wird. Denn Rußland, das wir in dieſem Kriege nicht bis zur<lb/> Unſchädlichkeit niederwerfen können, wird auch nach dieſem Kriege<lb/> auf den Zug nach Konſtantinopel ſo wenig verzichten, wie Frank-<lb/> reich auf die deutſche Rheingrenze. Und im Haß gegen uns wer-<lb/> den ſich beide Mächte immer wieder finden. Jede Macht, die<lb/> unſerer kolonialen und handelspolitiſchen Entwicklung feindlich<lb/> gegenüberſteht, wird alſo auf die Bundesgenoſſenſchaft dieſer beiden<lb/> gefährlichen Mächte gegen uns ſtets rechnen können. Selbſt eine<lb/> volle Beſiegung Englands, wenn ſie in dieſem Kriege möglich ſein<lb/> ſollte, würde noch lange nicht eine Weltpolitik im großen Stile<lb/> für uns ermöglichen. Denn England lebt auch noch in ſeinen<lb/> Kolonien, wie dieſer Krieg zur Genüge gezeigt hat. Auch Eng-<lb/> lands Kolonien kämpfen heute für Englands Weltſtellung, und ſie<lb/> werden das in Zukunft noch mehr tun, in dem Maße, wie ihre<lb/> Bevölkerungszahl und ihre Wehrhaftigkeit zu Waſſer wie zu Lande<lb/> wachſen werden. Mit dieſem Wachstum wird aber eine voraus-<lb/> ſchauende deutſche Politik rechnen müſſen.</p><lb/> <p>Anders aber wird die Situation, wenn es uns gelingt, Frank-<lb/> reich in dieſem Kriege ſo zu ſchwächen, daß es als gefährlicher<lb/> Gegner für uns nicht weiter in Betracht kommt. Dann allerdings,<lb/> aber auch dann erſt werden große Kräfte Deutſchlands für die<lb/> Weltpolitik frei. Dann haben wir nach einer Seite hin wenigſtens<lb/> die Ellbogenfreiheit erkämpft, deren wir bedürfen, um uns den<lb/> gebührenden Teil an der wirtſchaftlichen Welteroberung zu ſichern.<lb/> Und dieſen Anteil müſſen wir uns ſichern, wenn wir nicht von<lb/> den großen Weltmächten England, Rußland und Nordamerika er-<lb/> drückt werden wollen.</p><lb/> <p>Alle dieſe Tatſachen und Möglichkeiten hat dieſer Krieg mit<lb/> grellen Lichtſtrahlen beleuchtet. Er zeigt, wo es uns fehlt; er<lb/> zeigt es auch allen denen, die bisher nichts ſehen konnten und<lb/> ſehen wollten. 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Die Kabelgeſell-<lb/> ſchaft unterhält auf dieſer einſamen, faſt unbewohnten Inſel-<lb/> gruppe einen Stab von etwa 30 Beamten, die von Singapore<lb/> aus regelmäßig durch eigene Kabeldampfer verproviantiert<lb/> werden. Einer dieſer Beamten ſchrieb an ſeine in Neu-Seeland<lb/> lebenden Angehörigen ausführlich über den Beſuch der<lb/> „Emden“. Dieſer Brief gelangte kürzlich in einer <hi rendition="#g">Singa-<lb/> porer Zeitung</hi> zum Abdruck. Nachdem die betreffende<lb/> Nummer des Blattes die zur Zeit des Aufſtandes der in-<lb/> diſchen Garniſon beſonders ſcharf gehandhabte Zenſur glücklich<lb/> durchbrochen hat, hat ein Freund der <hi rendition="#g">Deutſchen Volks-<lb/> zeitung</hi> dieſer die nachfolgende Ueberſetzung zur Ver-<lb/> fügung geſtellt:</p><lb/> <cit> <quote> <p>6.05 Uhr vormittags. Ich wurde in etwas grober Weiſe<lb/> geweckt durch den polternden ..... 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Beſtürzt eilte ich hinunter in der Richtung<lb/> der Lagune — unſre friedliche Lagune — und dort ſah ich ein<lb/> kleines Dampfboot mit zwei großen Pinaſſen im Schlepp-<lb/> tau, gerammt voll mit Menſchen, die, wie ich mit Hilfe meines<lb/> guten Fernglaſes erkennen konnte, bewaffnet waren und un-<lb/> gewohnt ausſehende Khaki topees in der Form von Helmen<lb/> trugen. „Mein Gott, alſo doch,“ ſagte ich laut, denn ich darf<lb/> jetzt erzählen, daß wir die „Emden“ hier erwartet haben, ſeit<lb/> man zuerſt von ihr hörte, und nun erſcheint es mehr als<lb/> wahrſcheinlich, daß das Schiff. welches wir am Abend des<lb/> 1. September in einer Entfernung von ungefähr zwei See-<lb/> meilen ſichteten, die „Emden“ war. Aber das war in der<lb/> Woche, als wir verſchiedene Kriegsſchiffe hier in unſrer Nähe<lb/> hatten, und ſo paſſierte es, daß wir in drahtloſer Verbindung<lb/> mit zweien von ihnen zu jener Zeit waren. Wie dem auch<lb/> ſei, das Schiff hatte verdächtigerweiſe alle Lichter aus, ſtoppte<lb/> für ungefähr ¼ Stunde, drehte dann und dampfte in nord-<lb/> weſtlicher Richtung davon. Die Vermutung war, daß der<lb/> Beſuch in der Nacht wiederholt würde, aber nichts wurde<lb/> mehr geſehen. Dieſes iſt einer von den Schreckſchüſſen, die<lb/> wir erlebt haben.</p><lb/> <p>Doch nun zurück auf das Dach. Sowie ich begriffen hatte,<lb/> daß der Beſuch uns zugedacht war, flog ich nach unten und<lb/> rief mit gellender Stimme meine Beobachtungen aus. Dieſes<lb/> genügte, und es ſpricht für die Entſchloſſenheit und die<lb/> Diſziplin unſeres Perſonals, daß die Nachricht ſofort nach<lb/> Perth, Adelaide, Weltevoeden, Singapore, Rodriguez, Durban<lb/> und London durchgeſandt wurde. Notſignale wurden durch<lb/> Funkenſpruch 10 Minuten lang hinausgeſandt. Selbſtver-<lb/> ſtändlich verſuchte die draußen liegende „Emden“ fortgeſetzt<lb/> unſre Funkſprüche aufzufangen und zu verwirren. 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24. April 1915. Allgemeine Zeitung
einer wirklich groß gedachten deutſchen Welt- und Kolonialpolitik
eine ſolche Schwächung dieſes unruhigen Nachbarn, daß er als
gefährlicher Gegner nicht weiter in Betracht kommt. Erſt dann
bekommen wir die Arme frei für eine großzügige Kolonialpolitik.
Denn eine großzügige deutſche Welt- und Kolonialpolitik heute
treiben wollen, wo wir im Weſten von Frankreich, im Oſten von
Rußland bedrängt werden, iſt geradeſo, als wenn man von den
alten Römern hätte verlangen wollen, Griechenland und Vorder-
aſten zu erobern, und dabei neben ſich in Nordafrika, Sizilien und
Spanien das ſtarke Reich der Karthager zu dulden. Wir verſtehen
heute in verwandter Zeit das berühmte „Ceterum censeo“ des
alten Cato. Wir begreifen, daß ohne Vernichtung des puniſchen
Reiches Rom niemals ſeine Weltrolle ſpielen konnte. Die Hoff-
nung, dieſen franzöſiſchen Gegner verſöhnen zu können, hat ſich
immer als trügeriſch erwieſen, und muß ſich bei dem Charakter
der Franzoſen und ihrer ganzen Staatskunſt, die immer auf
Preſtige und Glanzerfolge zugeſchnitten geweſen iſt, auch in Zukunft
als trügeriſch erweiſen. Auch der wohlmeinendſten und friedliebend-
ſten deutſchen Regierung wird es niemals gelingen, die Sehnſucht
nach der Rheingrenze und vor allem nach Elſaß-Lothringen aus
dem franzöſiſchen Herzen zu reißen. Wenn wir heute auf eine
ſolche Hoffnung unſere Politik gegen Frankreich gründen wollten,
ſo hieße das nichts anderes als eine Politik der Illuſion zu treiben,
die ſich in unſerer Geſchichte ſtets ſehr ſchlecht bewährt hat. Frank-
reich wird uns dieſen heutigen Sieg über ſeine Kriegsheere ſo
wenig verzeihen, wie es uns unſere Siege bei Leipzig und Belle-
Alliance, bei Metz und Sedan verziehen hat. Hat man doch ſogar
vor 1870 in Frankreich „Rache für Königgrätz“ verlangt, obgleich
doch dieſe Schlacht Frankreich nichts anging. Wer heute eine Ver-
ſöhnung Frankreichs für möglich hält, der iſt kein Völkerpſychologe,
der verſteht ſich nicht auf die franzöſiſche Volksſeele.
Mit zwingender Logik ergeben ſich daher für die deutſche
Politik in dieſem Kriege nur die beiden Möglichkeiten: Entweder
ſchont man Frankreich und ſucht es zu verſöhnen; dann wird
immer unſere Welt- und Kolonialpolitik zu einem ſehr beſcheidenen
Daſein verurteilt ſein, weil die Feinde, die wir uns außerhalb
Europas durch unſeren wirtſchaftlichen Aufſchwung notwendig
machen müſſen, immer auf den Beiſtand Frankreichs werden
zählen können, dem zugleich ein immer ſtärker in ſeiner Bevölke-
rungszahl wachſendes Rußland als Bundesgenoſſe zur Seite ſtehen
wird. Denn Rußland, das wir in dieſem Kriege nicht bis zur
Unſchädlichkeit niederwerfen können, wird auch nach dieſem Kriege
auf den Zug nach Konſtantinopel ſo wenig verzichten, wie Frank-
reich auf die deutſche Rheingrenze. Und im Haß gegen uns wer-
den ſich beide Mächte immer wieder finden. Jede Macht, die
unſerer kolonialen und handelspolitiſchen Entwicklung feindlich
gegenüberſteht, wird alſo auf die Bundesgenoſſenſchaft dieſer beiden
gefährlichen Mächte gegen uns ſtets rechnen können. Selbſt eine
volle Beſiegung Englands, wenn ſie in dieſem Kriege möglich ſein
ſollte, würde noch lange nicht eine Weltpolitik im großen Stile
für uns ermöglichen. Denn England lebt auch noch in ſeinen
Kolonien, wie dieſer Krieg zur Genüge gezeigt hat. Auch Eng-
lands Kolonien kämpfen heute für Englands Weltſtellung, und ſie
werden das in Zukunft noch mehr tun, in dem Maße, wie ihre
Bevölkerungszahl und ihre Wehrhaftigkeit zu Waſſer wie zu Lande
wachſen werden. Mit dieſem Wachstum wird aber eine voraus-
ſchauende deutſche Politik rechnen müſſen.
Anders aber wird die Situation, wenn es uns gelingt, Frank-
reich in dieſem Kriege ſo zu ſchwächen, daß es als gefährlicher
Gegner für uns nicht weiter in Betracht kommt. Dann allerdings,
aber auch dann erſt werden große Kräfte Deutſchlands für die
Weltpolitik frei. Dann haben wir nach einer Seite hin wenigſtens
die Ellbogenfreiheit erkämpft, deren wir bedürfen, um uns den
gebührenden Teil an der wirtſchaftlichen Welteroberung zu ſichern.
Und dieſen Anteil müſſen wir uns ſichern, wenn wir nicht von
den großen Weltmächten England, Rußland und Nordamerika er-
drückt werden wollen.
Alle dieſe Tatſachen und Möglichkeiten hat dieſer Krieg mit
grellen Lichtſtrahlen beleuchtet. Er zeigt, wo es uns fehlt; er
zeigt es auch allen denen, die bisher nichts ſehen konnten und
ſehen wollten. Die Frage wird nun ſein, ob aus dieſer Situation
unſere deutſche Staatskunſt die Konſequenzen zieht und ſich der
Situation gewachſen zeigen wird.
Wolfgang Eiſenhart.
Feuilleton
Nochmals die Emden.
Eine engliſche Schilderung ihres letzten Kampfes.
Die durch den letzten Heldenkampf unſrer tapferen „Em-
den“ auch bei uns bekanntgewordenen Kokosinſeln be-
herbergen eine wichtige Kabelſtation der „Eaſtern Extenſion
Auſtralia und China Telegraph Co. Ltd.“. Die Kabelgeſell-
ſchaft unterhält auf dieſer einſamen, faſt unbewohnten Inſel-
gruppe einen Stab von etwa 30 Beamten, die von Singapore
aus regelmäßig durch eigene Kabeldampfer verproviantiert
werden. Einer dieſer Beamten ſchrieb an ſeine in Neu-Seeland
lebenden Angehörigen ausführlich über den Beſuch der
„Emden“. Dieſer Brief gelangte kürzlich in einer Singa-
porer Zeitung zum Abdruck. Nachdem die betreffende
Nummer des Blattes die zur Zeit des Aufſtandes der in-
diſchen Garniſon beſonders ſcharf gehandhabte Zenſur glücklich
durchbrochen hat, hat ein Freund der Deutſchen Volks-
zeitung dieſer die nachfolgende Ueberſetzung zur Ver-
fügung geſtellt:
6.05 Uhr vormittags. Ich wurde in etwas grober Weiſe
geweckt durch den polternden ..... (der gerade vom
Nachtdienſt zurückkehrte). „Hallo, Triggs, aufſtehen, ein
Kreuzer mit drei Schornſteinen iſt am Hafeneingang!“
„Lügner,“ ſagte ich, auf die andre Seite mich wälzend und
nur daran denkend, noch eine halbe Stunde zu ſchlafen. Er
blieb aber feſt, und ſo ſprang ich aus dem Bette, um ihm zu
beweiſen, daß er log, und ſtolperte in meinem Schlafanzug
auf das flache Dach unſres Bungalows. Jetzt wachte ich hör-
bar auf. Drüben auf See, noch nicht eine Seemeile entfernt,
waren über den Spitzen der Kokospalmen zwei hohe Maſten
zu ſehen, drei graue Schornſteine und direlt dahinter am
vorderen Maſte etwas, was von weitem genau wie ein vierter
Schornſtein ausſah. Beſtürzt eilte ich hinunter in der Richtung
der Lagune — unſre friedliche Lagune — und dort ſah ich ein
kleines Dampfboot mit zwei großen Pinaſſen im Schlepp-
tau, gerammt voll mit Menſchen, die, wie ich mit Hilfe meines
guten Fernglaſes erkennen konnte, bewaffnet waren und un-
gewohnt ausſehende Khaki topees in der Form von Helmen
trugen. „Mein Gott, alſo doch,“ ſagte ich laut, denn ich darf
jetzt erzählen, daß wir die „Emden“ hier erwartet haben, ſeit
man zuerſt von ihr hörte, und nun erſcheint es mehr als
wahrſcheinlich, daß das Schiff. welches wir am Abend des
1. September in einer Entfernung von ungefähr zwei See-
meilen ſichteten, die „Emden“ war. Aber das war in der
Woche, als wir verſchiedene Kriegsſchiffe hier in unſrer Nähe
hatten, und ſo paſſierte es, daß wir in drahtloſer Verbindung
mit zweien von ihnen zu jener Zeit waren. Wie dem auch
ſei, das Schiff hatte verdächtigerweiſe alle Lichter aus, ſtoppte
für ungefähr ¼ Stunde, drehte dann und dampfte in nord-
weſtlicher Richtung davon. Die Vermutung war, daß der
Beſuch in der Nacht wiederholt würde, aber nichts wurde
mehr geſehen. Dieſes iſt einer von den Schreckſchüſſen, die
wir erlebt haben.
Doch nun zurück auf das Dach. Sowie ich begriffen hatte,
daß der Beſuch uns zugedacht war, flog ich nach unten und
rief mit gellender Stimme meine Beobachtungen aus. Dieſes
genügte, und es ſpricht für die Entſchloſſenheit und die
Diſziplin unſeres Perſonals, daß die Nachricht ſofort nach
Perth, Adelaide, Weltevoeden, Singapore, Rodriguez, Durban
und London durchgeſandt wurde. Notſignale wurden durch
Funkenſpruch 10 Minuten lang hinausgeſandt. Selbſtver-
ſtändlich verſuchte die draußen liegende „Emden“ fortgeſetzt
unſre Funkſprüche aufzufangen und zu verwirren. Der Tele-
graphiſt hatte kaum das letzte Wort durchgeſandt, die Funk-
ſtation war noch mitten in der Arbeit, als die Deutſchen
landeten. Mein erſter Gedanke war meine photographiſche
Kamera. Ich lief alſo zur Dunkelkammer, um einige Platten
einzulegen, und kam gerade wieder heraus, als die Deutſchen
ſich in zwei Gliedern formiert hatten. Mit alleiniger Aus-
nahme von etwas Gebüſch in der Nähe der Landungsbrücke,
durch welches ſie hindurchliefen, um nachzuſehen, ob kein
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(2023-04-24T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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