Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 2. Mai 1920.Allgemeine Zeitung 2. Mai 1920 [Spaltenumbruch]
"Trauert nicht, wir leben, wir sind im Glück". Hat man jevon solcher Botschaft aus den Gefilden der Seligen gehört? Auf Traumesflügeln kommt sie vielleicht dem einen oder andern, aber dann wird das Erwachen zum schmerzlichsten Abschied, stirbt der Gestorbene nochmals den beweinten Tod. Einem wachen Sterblichen ist solche Kunde noch nie ge- worden, und dieses "Nie", Pharro, läßt mich an deinem Nirwana zweifeln. Pharro: Du machst, Salmonides, deinem Lehrer Ehre, Erechtheus: Ich danke dir. Ich will es versuchen. Gestalt, Rewegung und Wille. Wolkenskizzen 6. Schnee. Ueber Felsenkämme wirbelt weißer Staub. Mit wütenden Und immer dunkler wird es im Tal, immer höher schwillt Doch der Bann der Kälte schlägt die Massen in seine Feffeln; Größer und größer werden die wirbelnden Federn, immer Alles ist hier Bewegung, strahlende, schimmernde, kalte Fin- Allgemeine Zeitung 2. Mai 1920 [Spaltenumbruch]
„Trauert nicht, wir leben, wir ſind im Glück“. Hat man jevon ſolcher Botſchaft aus den Gefilden der Seligen gehört? Auf Traumesflügeln kommt ſie vielleicht dem einen oder andern, aber dann wird das Erwachen zum ſchmerzlichſten Abſchied, ſtirbt der Geſtorbene nochmals den beweinten Tod. Einem wachen Sterblichen iſt ſolche Kunde noch nie ge- worden, und dieſes „Nie“, Pharro, läßt mich an deinem Nirwana zweifeln. Pharro: Du machſt, Salmonides, deinem Lehrer Ehre, Erechtheus: Ich danke dir. Ich will es verſuchen. Geſtalt, Rewegung und Wille. Wolkenſkizzen 6. Schnee. Ueber Felſenkämme wirbelt weißer Staub. Mit wütenden Und immer dunkler wird es im Tal, immer höher ſchwillt Doch der Bann der Kälte ſchlägt die Maſſen in ſeine Feffeln; Größer und größer werden die wirbelnden Federn, immer Alles iſt hier Bewegung, ſtrahlende, ſchimmernde, kalte Fin- <TEI> <text> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0012" n="Seite 170[170]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 2. Mai 1920</fw><lb/><cb/> „Trauert nicht, wir leben, wir ſind im Glück“. 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Das<lb/> Gebirge ſieht aus wie ein ungeheures Wogenfeld; aber ſeine<lb/> Wogen ſind nicht ſtarr; es beugen ſich Wälder unter den Schlägen<lb/> des Sturmes, ſchwere Maſſen dunkler Geſtalten ergießen ſich<lb/> über Bergeshänge tief hinab zur Tiefe und trübe Waſſer brauſen<lb/> im Katarakt zum Tal hin. Und ſeine Stäubchen von Regen<lb/> peitſcht der Sturm gegen Baum und Fels.</p><lb/> <p>Und immer dunkler wird es im Tal, immer höher ſchwillt<lb/> der breite Strom der grauen Schattengeſtalten, hohe Felstürme<lb/> ſtreben ſcheinbar aus ihrem Grunde empor und zu Eis erſtarrt<lb/> fluten im Strombette des Sturmes die Maſſen des ſchwebenden<lb/> Waſſerſtaubes weithin, daß es ausſicht, als reckten die aus der<lb/> Tiefe wachſenden Giganten ihre haargeſchmückten Arme über<lb/> den Himmel in unendliche Fernen hin. Ganz weit draußen in<lb/> der Höhe aber treibt fein wie der Sand am Meere in ganz<lb/> feinen Wogen gefaltet der Schleier des Himmels, in welchen der<lb/> Sonnenſchein ſeine Krone von buntem Lichte flicht. Drunten<lb/> aber, im Schoße der ſchweren grauen Wogen erwacht das nach<lb/><cb/> Wachstum ſehnſuchtsvolle Leben, und es ſchwillt und ſteigt em-<lb/> por, und der unendliche Reichtum der Geſtalt und der Maſſe<lb/> wird zur Tat. Es ſtrömt des Regens ſchwere Woge ins finſtere<lb/> Tal und hart ſchlagen ſeine Tropfen gegen Felſen und Ströme<lb/> ſchwarzen Blutes rinnen in den Adern des Berges zu Tal. Droben<lb/> aber erheben ſich ſchwere Maſſen und ihre Bahn wird ſichtbar<lb/> durch ihres Mundes eiſigen Hauch. Geſtalten, finſtere, drohende,<lb/> mit wild flatterndem Haarbuſch, aber auch Bergeshäupter von<lb/> erhabener Schönheit, umweht von zarteſten Schleiern, erheben<lb/> ſich aus finſterem Grunde. Das gewaltigſte Haupt unter ihnen<lb/> aber thront auf einem weiten Höhenrücken; unaufhörlich quillt<lb/> und wächſt es hier empor, Terraſſen werden nach den Seiten<lb/> ausgeſtoßen und haarbuſchflatternde Arme recken ſich von<lb/> Gipfel zu Gipſel in den weiten Raum hin bis in unendliche<lb/> Fernen. Hier aber im Herzen des Gipfelmaſſives, wo die ge-<lb/> waltigſte Erhebung erreicht wird und wo Geſtalt und Bewegung<lb/> durch den Willen der Maſſen ihre höchſte Entfaltung erfahren,<lb/> hier, wo die kleine Bewegung des einzelnen zur großen des Gan-<lb/> zen wird, hier werden die Maſſen kalt und der Strom der quel-<lb/> lenden Tropfen, die zur Höhe hin ſchweben, erſtarrt zu hartem<lb/> Korn; und ihre Scharen ſtürzen aus dem finſteren Balle des<lb/> Sturmes zur Tiefe hin, es praſſelt gegen Felswände und Wälder<lb/> rauſchen unter ihrem eiſigen Schlage. In der Tiefe des Tales<lb/> aber zittert noch die Wärme in ruhenden Maſſen und zerbricht<lb/> den eiſigen Bann ihrer Härte. Nur wenige erreichen hart und<lb/> ungelöſt des Tales Sohle.</p><lb/> <p>Doch der Bann der Kälte ſchlägt die Maſſen in ſeine Feffeln;<lb/> drohender ballen ſich über dem Tale die Maſſen der Wolken,<lb/> dichter die Schwärme der fallenden Körner; jetzt bricht mit plötz-<lb/> licher Gewalt die ganze Woge des Hagelſchlages zur Tiefe.<lb/> Felſenniſchen füllen ſich mit Eis, es ſchimmert der weiche Wald-<lb/> boden von einem ſeltſamen, kalten Lichte, welches bald heller<lb/> ſtrahlt, bald ſchwindet, je nachdem der Sturm mit beſonderer<lb/> Gewalt die Maſſen zu Boden ſchleudert. Inmitten dieſer ſtürmen-<lb/> den, rauſchenden, wirbelnden Schwärme aber weht etwas<lb/> Weiches, eine ganz kleine weiße Feder, in anmutigem Spiel<lb/> gleitet ſie zu Boden, wo ſie alsbald verſchwindet. Aber es folgen<lb/> mehrere, viele, und plötzlich iſt der grobe, prallende Hagel ver-<lb/> ſchwunden; es weht die weiße Jagd durch die Luft, weht um<lb/> Felſenklippen und über Wälder dahin, langſam und zögernd<lb/> laſſen ſich die weißen Körper zur feindlichen Erde nieder. Hier<lb/> und da bedeckt des Hagels harte Maſſe den Boden, dazwiſchen<lb/> breiten ſich Tümpel, Bäche und Eisſchlamm aus. Ganz dunkel iſt<lb/> es geworden; die Sonne iſt fern ins Reich des Unſichtbaren<lb/> hinabgetaucht, kein Blick hat der Täler tiefſten Grund erreicht.<lb/> Noch ſchimmern droben im freien Raume die Häupter der luft-<lb/> erzeugten Bergketten und ihre weithinausſchwebenden Haar-<lb/> büſche im roten Lichte der Scheidenden, drunten aber unter dem<lb/> wogenden Meere der Wolken iſt Finſternis. Und immer dichter<lb/> wirbeln die Schwärme, das leichte und doch ſchwerlaſtende Ge-<lb/> fieder, ſchon haftet es waſſergedrängt an Vorſprüngen des Fel-<lb/> ſens, da wo des Sturmes Gewalt am ſtärkſten anpackt und die<lb/> Erregung der Wärme erſterben läßt.</p><lb/> <p>Größer und größer werden die wirbelnden Federn, immer<lb/> dichter und haſtiger ſchlagen ihre Schwärme auf den eiſigen und<lb/> naſſen Boden; ſchon tragen Felſen und Tannen ſchwere Polſter,<lb/> aus denen Waſſer tropft, und Waſſer und Schnee ringen um den<lb/> Beſitz des Bodens. Doch die Maſſe des fallenden Eiſes verſchlingt<lb/> nun die iriefenden Bäche, und auch Erde und Wald bezwingt der<lb/> Bann der ruhenden Maſſe; furchtbar treffen des Sturmes Schläge<lb/> den haftenden Schnee, und zwiſchen letzten ſchwebenden Tropfen<lb/> des fließenden Waſſers ſtäuben wilde Schneewirbel; die Luft des<lb/> Tales iſt Finſternis, Schnee, Waſſerſtaub ſchlagende Tannenarme<lb/> und grauer Fels, die Grenze zwiſchen dem Ruhenden und dem<lb/> Bewegten ſchwindet. Aber die Dunkelheit iſt lichter geworden.<lb/> Aus dem wehenden Staube ſtrahlt die gebannte Kraft, und ein<lb/> ganz feines, aber durchdringendes Licht ſtrahlt durch den wir-<lb/> belnden Sturm. Auf dem Grunde des Tales liegt es wie ein<lb/> See von ſchimmerndem Lichte; nur hier und da windet ſich der<lb/> Lauf eines Baches durch die Flur, von den Wänden der Felſen<lb/> aber rauſchen in wirbelnden Chaos die Gießbäche, die nimmer<lb/> verrinnenden.</p><lb/> <p>Alles iſt hier Bewegung, ſtrahlende, ſchimmernde, kalte Fin-<lb/> ſternis, und doch iſt es wie eine große, bannende Stille; nicht<lb/> mehr das Plätſchern der Regenbäche, nicht mehr das harte<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [Seite 170[170]/0012]
Allgemeine Zeitung 2. Mai 1920
„Trauert nicht, wir leben, wir ſind im Glück“. Hat man je
von ſolcher Botſchaft aus den Gefilden der Seligen gehört?
Auf Traumesflügeln kommt ſie vielleicht dem einen oder
andern, aber dann wird das Erwachen zum ſchmerzlichſten
Abſchied, ſtirbt der Geſtorbene nochmals den beweinten Tod.
Einem wachen Sterblichen iſt ſolche Kunde noch nie ge-
worden, und dieſes „Nie“, Pharro, läßt mich an deinem
Nirwana zweifeln.
Pharro: Du machſt, Salmonides, deinem Lehrer Ehre,
aber erlaube, daß er dich noch einmal belehrt. Ich könnte
dich mit deinen eigenen Waffen ſchlagen, Freund. Es gibt
Gaben, deren Herkunft man nicht kennt. Eine ſolche iſt
dem Trauernden das wohltätige Wunder des Vergeſſens.
Doch das überlaſſe ich dir zum weiteren Bedenken. Ich greife
tiefer. Was ſind denn „Freude“, „Glück“, „Seligkeit“, von
denen du ſprichſt? Alles Begriffe von engſter irdiſcher Ge-
bundenheit, ganz und gar in unſerer menſchlichen Mentali-
tät verwurzelt, durch ſie dimenſional und qualitativ bedingt
und begrenzt. Das Nirwana darf, um wirklich ein ſolches
zu ſein, dieſe Schranken nicht kennen, in ihm müßten an-
dere — ungeahnte und unſerem Verſtande nicht ahnbare —
Glücksmöglichkeiten erblühen. Von dort fließt wohl man-
ches in unſer irdiſches Daſein herüber, das wir nicht als
Glück oder Freude erkennen und das dennoch tiefſtes Glück
und innerſte Freude iſt. Ich habe Schwereres erlebt, als
du, Erechtheus, und doch ſind meine greiſenden Tage von
freundlicher Zufriedenheit erhellt. Warte nur eine Weile,
Jüngling, ſo wird auch dir Tröſtung werden, und im Augen-
blick, da du ſie erfährſt, wirſt du vielleicht auch verſpüren,
von wannen ſie dir kommt. Vom Vater und Bruder oder
von der toten Mutter? Ja und nein. Ihr Sein iſt aufge-
gangen in dem großen Nirwana, dem Born des Glücks,
daraus die Menſchheit ſchöpft. Ob ſie dich noch ſehen und
kennen, grüble darüber nicht. Genug, ſie leben in einem
Glück, das alle uns vorſtellbaren Glücksmöglichkeiten über-
trifft. Man ſagt, daß die Beſten fallen — vielleicht braucht
der Glücksborn, der ja zugleich Born alles Guten iſt, dieſe
Beſten zu ſeiner Speiſung und Erneuerung; doch das iſt
nur eine menſchlich-mangelhafte Vorſtellungsform, an die
wir uns nicht klammern wollen. An eines haltet euch: an
das höhere Glück der Verſtorbenen. Es werden in ſpäterer
Zeit Propheten und Religionsſtifter kommen, die der
Menſchheit den Glauben an einen einzigen Gott und an ein
Glück im Unſichtbaren, im Jenſeits, im Nirwana verkünden
werden. Solchen Glauben pflanze ich in dich, Erechtheus,
aus ihm magſt du Troſt ſchöpfen in deiner Leid-
geſchlagenheit.
Erechtheus: Ich danke dir. Ich will es verſuchen.
Geſtalt, Rewegung und Wille.
Wolkenſkizzenvon Johannes Dreis.
6. Schnee.
Ueber Felſenkämme wirbelt weißer Staub. Mit wütenden
Stößen treibt der Sturm graue Schatten um ihre Felſentürme
und Kälte und Näſſe dringen in ihren innerſten Kern ein. Das
Gebirge ſieht aus wie ein ungeheures Wogenfeld; aber ſeine
Wogen ſind nicht ſtarr; es beugen ſich Wälder unter den Schlägen
des Sturmes, ſchwere Maſſen dunkler Geſtalten ergießen ſich
über Bergeshänge tief hinab zur Tiefe und trübe Waſſer brauſen
im Katarakt zum Tal hin. Und ſeine Stäubchen von Regen
peitſcht der Sturm gegen Baum und Fels.
Und immer dunkler wird es im Tal, immer höher ſchwillt
der breite Strom der grauen Schattengeſtalten, hohe Felstürme
ſtreben ſcheinbar aus ihrem Grunde empor und zu Eis erſtarrt
fluten im Strombette des Sturmes die Maſſen des ſchwebenden
Waſſerſtaubes weithin, daß es ausſicht, als reckten die aus der
Tiefe wachſenden Giganten ihre haargeſchmückten Arme über
den Himmel in unendliche Fernen hin. Ganz weit draußen in
der Höhe aber treibt fein wie der Sand am Meere in ganz
feinen Wogen gefaltet der Schleier des Himmels, in welchen der
Sonnenſchein ſeine Krone von buntem Lichte flicht. Drunten
aber, im Schoße der ſchweren grauen Wogen erwacht das nach
Wachstum ſehnſuchtsvolle Leben, und es ſchwillt und ſteigt em-
por, und der unendliche Reichtum der Geſtalt und der Maſſe
wird zur Tat. Es ſtrömt des Regens ſchwere Woge ins finſtere
Tal und hart ſchlagen ſeine Tropfen gegen Felſen und Ströme
ſchwarzen Blutes rinnen in den Adern des Berges zu Tal. Droben
aber erheben ſich ſchwere Maſſen und ihre Bahn wird ſichtbar
durch ihres Mundes eiſigen Hauch. Geſtalten, finſtere, drohende,
mit wild flatterndem Haarbuſch, aber auch Bergeshäupter von
erhabener Schönheit, umweht von zarteſten Schleiern, erheben
ſich aus finſterem Grunde. Das gewaltigſte Haupt unter ihnen
aber thront auf einem weiten Höhenrücken; unaufhörlich quillt
und wächſt es hier empor, Terraſſen werden nach den Seiten
ausgeſtoßen und haarbuſchflatternde Arme recken ſich von
Gipfel zu Gipſel in den weiten Raum hin bis in unendliche
Fernen. Hier aber im Herzen des Gipfelmaſſives, wo die ge-
waltigſte Erhebung erreicht wird und wo Geſtalt und Bewegung
durch den Willen der Maſſen ihre höchſte Entfaltung erfahren,
hier, wo die kleine Bewegung des einzelnen zur großen des Gan-
zen wird, hier werden die Maſſen kalt und der Strom der quel-
lenden Tropfen, die zur Höhe hin ſchweben, erſtarrt zu hartem
Korn; und ihre Scharen ſtürzen aus dem finſteren Balle des
Sturmes zur Tiefe hin, es praſſelt gegen Felswände und Wälder
rauſchen unter ihrem eiſigen Schlage. In der Tiefe des Tales
aber zittert noch die Wärme in ruhenden Maſſen und zerbricht
den eiſigen Bann ihrer Härte. Nur wenige erreichen hart und
ungelöſt des Tales Sohle.
Doch der Bann der Kälte ſchlägt die Maſſen in ſeine Feffeln;
drohender ballen ſich über dem Tale die Maſſen der Wolken,
dichter die Schwärme der fallenden Körner; jetzt bricht mit plötz-
licher Gewalt die ganze Woge des Hagelſchlages zur Tiefe.
Felſenniſchen füllen ſich mit Eis, es ſchimmert der weiche Wald-
boden von einem ſeltſamen, kalten Lichte, welches bald heller
ſtrahlt, bald ſchwindet, je nachdem der Sturm mit beſonderer
Gewalt die Maſſen zu Boden ſchleudert. Inmitten dieſer ſtürmen-
den, rauſchenden, wirbelnden Schwärme aber weht etwas
Weiches, eine ganz kleine weiße Feder, in anmutigem Spiel
gleitet ſie zu Boden, wo ſie alsbald verſchwindet. Aber es folgen
mehrere, viele, und plötzlich iſt der grobe, prallende Hagel ver-
ſchwunden; es weht die weiße Jagd durch die Luft, weht um
Felſenklippen und über Wälder dahin, langſam und zögernd
laſſen ſich die weißen Körper zur feindlichen Erde nieder. Hier
und da bedeckt des Hagels harte Maſſe den Boden, dazwiſchen
breiten ſich Tümpel, Bäche und Eisſchlamm aus. Ganz dunkel iſt
es geworden; die Sonne iſt fern ins Reich des Unſichtbaren
hinabgetaucht, kein Blick hat der Täler tiefſten Grund erreicht.
Noch ſchimmern droben im freien Raume die Häupter der luft-
erzeugten Bergketten und ihre weithinausſchwebenden Haar-
büſche im roten Lichte der Scheidenden, drunten aber unter dem
wogenden Meere der Wolken iſt Finſternis. Und immer dichter
wirbeln die Schwärme, das leichte und doch ſchwerlaſtende Ge-
fieder, ſchon haftet es waſſergedrängt an Vorſprüngen des Fel-
ſens, da wo des Sturmes Gewalt am ſtärkſten anpackt und die
Erregung der Wärme erſterben läßt.
Größer und größer werden die wirbelnden Federn, immer
dichter und haſtiger ſchlagen ihre Schwärme auf den eiſigen und
naſſen Boden; ſchon tragen Felſen und Tannen ſchwere Polſter,
aus denen Waſſer tropft, und Waſſer und Schnee ringen um den
Beſitz des Bodens. Doch die Maſſe des fallenden Eiſes verſchlingt
nun die iriefenden Bäche, und auch Erde und Wald bezwingt der
Bann der ruhenden Maſſe; furchtbar treffen des Sturmes Schläge
den haftenden Schnee, und zwiſchen letzten ſchwebenden Tropfen
des fließenden Waſſers ſtäuben wilde Schneewirbel; die Luft des
Tales iſt Finſternis, Schnee, Waſſerſtaub ſchlagende Tannenarme
und grauer Fels, die Grenze zwiſchen dem Ruhenden und dem
Bewegten ſchwindet. Aber die Dunkelheit iſt lichter geworden.
Aus dem wehenden Staube ſtrahlt die gebannte Kraft, und ein
ganz feines, aber durchdringendes Licht ſtrahlt durch den wir-
belnden Sturm. Auf dem Grunde des Tales liegt es wie ein
See von ſchimmerndem Lichte; nur hier und da windet ſich der
Lauf eines Baches durch die Flur, von den Wänden der Felſen
aber rauſchen in wirbelnden Chaos die Gießbäche, die nimmer
verrinnenden.
Alles iſt hier Bewegung, ſtrahlende, ſchimmernde, kalte Fin-
ſternis, und doch iſt es wie eine große, bannende Stille; nicht
mehr das Plätſchern der Regenbäche, nicht mehr das harte
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(2020-10-02T09:49:36Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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