Allgemeine Zeitung, Nr. 18, 1. Mai 1915.Allgemeine Zeitung 1. Mai 1915. [Spaltenumbruch]
daß du diese Wandlung mitmachst, willst du dir wenigstensMühe geben, sie zu verstehen?" Sie ließ nun doch die Arbeit sinken und wandte ihm "Wir haben uns so redlich um Englands Freundschaft be- "Und was bist du mir schuldig?" fragte sie tonlos. "Ellen!" es klang erstickt von Weh. "Kannst du mich denn Sie schwieg. "Ich kann dir nichts mehr sagen, entweder du verstehst So stand er ruhig vor ihr in tadellos weltmännischer Aber das machte sie nicht weich, denn in ihr stürmte es Er war blaß geworden bis in die Lippen, er sagte kein Ihr Kopf sank zurück gegen die Stuhllehne, die Sinne Ellen sah sich um in dem entzückenden Raum, in dem Das Wort löste den Knoten, der in ihrer Kehle steckte. Es klopfte. Sie hörte es nicht. Da klang plötzlich die Stimme des alten Jakob an ihr "Von George!" jubelte sie auf, das war der langersehnte Warum rührte sich der Jakob noch immer nicht von der "Was wollen Sie, Jakob?" fragte sie etwas ungeduldig. "Ich möchte mir die Ehre geben, mich von Frau Harden- "Sie? -- Ja wohin denn?" Sie konnte sich das Haus "Nach Frankreich oder nach Rußland -- einerlei, wenn "Aber Sie sind ja längst über die Jahre hinaus!" "Was meinen die Frau Hardenkop," sagte der Jakob fast Er wollte auch dem Vaterland dienen -- er wie Harry -- Alle drängten sich heran, freiwillig, ungerufen, weil das Rasch öffnete sie den Brief. Liebe Ellen! Du schreibst, daß Du um Sorgen um uns bist, warum Allgemeine Zeitung 1. Mai 1915. [Spaltenumbruch]
daß du dieſe Wandlung mitmachſt, willſt du dir wenigſtensMühe geben, ſie zu verſtehen?“ Sie ließ nun doch die Arbeit ſinken und wandte ihm „Wir haben uns ſo redlich um Englands Freundſchaft be- „Und was biſt du mir ſchuldig?“ fragte ſie tonlos. „Ellen!“ es klang erſtickt von Weh. „Kannſt du mich denn Sie ſchwieg. „Ich kann dir nichts mehr ſagen, entweder du verſtehſt So ſtand er ruhig vor ihr in tadellos weltmänniſcher Aber das machte ſie nicht weich, denn in ihr ſtürmte es Er war blaß geworden bis in die Lippen, er ſagte kein Ihr Kopf ſank zurück gegen die Stuhllehne, die Sinne Ellen ſah ſich um in dem entzückenden Raum, in dem Das Wort löſte den Knoten, der in ihrer Kehle ſteckte. Es klopfte. Sie hörte es nicht. Da klang plötzlich die Stimme des alten Jakob an ihr „Von George!“ jubelte ſie auf, das war der langerſehnte Warum rührte ſich der Jakob noch immer nicht von der „Was wollen Sie, Jakob?“ fragte ſie etwas ungeduldig. „Ich möchte mir die Ehre geben, mich von Frau Harden- „Sie? — Ja wohin denn?“ Sie konnte ſich das Haus „Nach Frankreich oder nach Rußland — einerlei, wenn „Aber Sie ſind ja längſt über die Jahre hinaus!“ „Was meinen die Frau Hardenkop,“ ſagte der Jakob faſt Er wollte auch dem Vaterland dienen — er wie Harry — Alle drängten ſich heran, freiwillig, ungerufen, weil das Raſch öffnete ſie den Brief. Liebe Ellen! Du ſchreibſt, daß Du um Sorgen um uns biſt, warum <TEI> <text> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <floatingText> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0010" n="Seite 272.[272]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 1. 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Sie haben den Imperialismus auf ihre Fahnen<lb/> geſchrieben und durch Jahrhunderte geglaubt, das erſte Volk<lb/> zu ſein, ſie wollen ſich behaupten, der Eigennutz iſt ein geſundes<lb/> Moment im Völkerleben, ſie haben ſeit Jahren gegen uns ge-<lb/> wählt, während der deutſche Michel von Verbrüderung<lb/> träumte, ſelbſt über das komme ich hinaus! — Aber Ellen,<lb/> jetzt kommt das Unverzeihliche: „— Seine Stimme klang<lb/> hart vor Erregung: „Sie haben nicht uns allein, ſie haben<lb/> die weiße Raſſe, ſie haben Europa verraten. Wir haben eine<lb/> Muſterkolonie angelegt im Oſten, einen Garten europäiſcher<lb/> Kultur, — ſie haben die gelben Plattnaſen dahin gehetzt, daß ſie<lb/> das Gut der weißen Männer zerſtören. Und wen ſtellen ſie in<lb/> Frankreich und Belgien uns gegenüber? Mohren, Singaleſen<lb/> — was weiß ich! Unſere deutſchen Jungen kämpfen nicht mit<lb/> ihresgleichen, ſie kämpfen mit einer Rotte von Söldnern, und<lb/> mit Wilden, die nicht einmal wiſſen, wofür ſie die Lanzen<lb/> ſchwingen. Sieh, Ellen, das hat mich bewogen, das Tiſch-<lb/> tuch zwiſchen mir und den Vettern drüben zu zerſchneiden,<lb/> und das macht mich hart zu dir gegen meinen Willen, denn<lb/> du weißt, was du mir biſt. — England hat wider den<lb/> heiligſten Geiſt europäiſcher Kultur gefrevelt aus Neid gegen<lb/> Deutſchland — zwiſchen England und uns iſt keine Gemein-<lb/> ſchaft mehr möglich. Du biſt meine Frau, du wirſt die Mutter<lb/> meiner Söhne werden; ein leiſes Beben ging durch ſeine<lb/> Stimme. 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Das bin ich dem Vaterlande<lb/> ſchuldig, für die vielen Opfer, die es gebracht, das bin ich den<lb/> Gefallenen ſchuldig, die für die deutſche Sache geſtorben ſind.“</p><lb/> <p>„Und was biſt du mir ſchuldig?“ fragte ſie tonlos.</p><lb/> <p>„Ellen!“ es klang erſtickt von Weh. „Kannſt du mich denn<lb/> gar nicht verſtehen?“</p><lb/> <p>Sie ſchwieg.</p><lb/> <p>„Ich kann dir nichts mehr ſagen, entweder du verſtehſt<lb/> mich oder du verſtehſt mich nicht, das muß über dein Bleiben<lb/> und — er ſtockte vor dem Worte „Gehen“ erſchreckt, dann<lb/> ſprach er es entſchloſſen aus: „und dein Gehen entſcheiden.<lb/> Ich weiß, daß ich nicht anders handeln kann. Heute habe ich<lb/> mich gemeldet, man hat mit meiner Kurzſichtigkeit in dieſer<lb/> ſchweren Zeit Nachſicht gehabt, eine gute Brille macht das<lb/> Uebel wett. In einigen Tagen werde ich Hamburg verlaſſen,<lb/> teile mir deine Entſcheidung bis morgen mit!“ Zögernd ſtand<lb/> er da, es trieb ihn, ſie in ſeine Arme zu ſchließen und ſie zu<lb/> bitten: „Bleibe!“ Aber das durfte jetzt nicht ſein, als freier<lb/> Menſch mußte ſie entſcheiden, was über ihr ganzes Leben<lb/> entſchied.</p><lb/> <p>So ſtand er ruhig vor ihr in tadellos weltmänniſcher<lb/> Haltung, nur an der ſcharfen Falte, die ſich ſenkrecht über ſeine<lb/> Stirne bis zur Naſenwurzel hinzog, merkte ſie, die ihn kannte,<lb/><cb/> wie kaum ein zweiter Menſch auf Erden, ſelbſt ſeine Mutter<lb/> nicht, wie es in ihm ſtürmte.</p><lb/> <p>Aber das machte ſie nicht weich, denn in ihr ſtürmte es<lb/> auch. „Ich glaube, dir meine Entſcheidung ſchon jetzt ſagen<lb/> zu können: Triff die Vorkehrungen zu meiner Heimkehr nach<lb/> England.“</p><lb/> <p>Er war blaß geworden bis in die Lippen, er ſagte kein<lb/> Wort, er verbeugte ſich und verließ das Zimmer. Draußen<lb/> griff er ſich an die Stirne — — hatte er recht gehört? Un-<lb/> möglich!</p><lb/> <p>Ihr Kopf ſank zurück gegen die Stuhllehne, die Sinne<lb/> ſchwanden ihr. Sie hatte in der letzten Zeit ſchon manchmal<lb/> ein Gefühl des Schwindels zu überwinden gehabt, aber ſie<lb/> war nicht ängſtlich und weich mit ſich ſelbſt, ſo hatte ſie kein<lb/> Aufhebens davon gemacht, — diesmal war es eine tiefe Ohn-<lb/> macht, erſt als es ſchon dämmerte, kam ſie zu ſich und mußte<lb/> ſich beſinnen, was geſchehen. Sie war wie zerſchlagen an<lb/> allen Gliedern, und unendlich müde war ſie, am liebſten hätte<lb/> ſie geſchlafen, aber das ging ja nicht, ſie mußte Entſcheidungen<lb/> treffen bis morgen — nein, ſie hatte ja ſchon entſchieden!</p><lb/> <p>Ellen ſah ſich um in dem entzückenden Raum, in dem<lb/> jedes Stück Einrichtung von dem zarten Eingehen ihres<lb/> Mannes auf ihren Geſchmack erzählte. Die Möbel: engliſches<lb/> Rokoko, an den Wänden: ein paar Meiſterwerke altengliſcher<lb/> Landſchaftsmalerei und die Vaſen und Statuetten: treu-<lb/> herzige deutſche Bauernkunſt und alte deutſche Holzſchnitz-<lb/> arbeit, wie behaglich das war. „<hi rendition="#aq">Homly</hi>“, ſagte ſie leiſe.</p><lb/> <p>Das Wort löſte den Knoten, der in ihrer Kehle ſteckte.<lb/> Aufſchluchzend drückte ſie das Geſicht in die Hände.</p><lb/> <p>Es klopfte.</p><lb/> <p>Sie hörte es nicht.</p><lb/> <p>Da klang plötzlich die Stimme des alten Jakob an ihr<lb/> Ohr. „Verzeihung, Frau Hardenkop haben auf mein Klopfen<lb/> nicht geantwortet, ich dachte, das Zimmer wäre leer. — Ich<lb/> bringe Frau Hardenkop einen Brief.“ Er hielt ihr das ſilberne<lb/> Tablett entgegen.</p><lb/> <p>„Von George!“ jubelte ſie auf, das war der langerſehnte<lb/> Brief des Bruders, der über Holland nun endlich in ihre Hände<lb/> gelangte.</p><lb/> <p>Warum rührte ſich der Jakob noch immer nicht von der<lb/> Stelle, er verſtand es doch ſonſt, lautlos zu verſchwinden und<lb/> jetzt räuſperte er ſich gar, um ihre Aufmerkſamkeit vom Briefe<lb/> fortzulenken.</p><lb/> <p>„Was wollen Sie, Jakob?“ fragte ſie etwas ungeduldig.</p><lb/> <p>„Ich möchte mir die Ehre geben, mich von Frau Harden-<lb/> kop zu beurlauben und Frau Hardenkop zu danken für die<lb/> Güte, die ſie immer für mich alten Diener gezeigt, ich fahre<lb/> heute abend.“</p><lb/> <p>„Sie? — Ja wohin denn?“ Sie konnte ſich das Haus<lb/> Hardenkop ohne den alten Jakob gar nicht vorſtellen.</p><lb/> <p>„Nach Frankreich oder nach Rußland — einerlei, wenn<lb/> ſie mich nur mitnehmen!“</p><lb/> <p>„Aber Sie ſind ja längſt über die Jahre hinaus!“</p><lb/> <p>„Was meinen die Frau Hardenkop,“ ſagte der Jakob faſt<lb/> gekränkt. „Meine alten Knochen können immer noch ſtramm<lb/> ſtehen, wenn’s die Pflicht gilt!“</p><lb/> <p>Er wollte auch dem Vaterland dienen — er wie Harry —<lb/> wie alle — „Jakob,“ ſagte Sie, „Sie ſind immer ein braver<lb/> Mann geweſen — Gott ſchütze Sie!“ —</p><lb/> <p>Alle drängten ſich heran, freiwillig, ungerufen, weil das<lb/> Vaterland in Not war — auch George mußte ſchon in den<lb/> Reihen ſtehen, in den Reihen drüben, — er und Harry, ein<lb/> Schaudern ging durch ihren Körper, ſie ward das entſetzliche<lb/> Bild nicht los, das ihr Gatte und Bruder im Zweikampf zeigte.</p><lb/> <p>Raſch öffnete ſie den Brief.</p><lb/> <p> <hi rendition="#c">Liebe Ellen!</hi> </p><lb/> <p>Du ſchreibſt, daß Du um Sorgen um uns biſt, warum<lb/> nur? Pa ſagt, Du könnteſt unſretwegen ganz ruhig ſein. Wir<lb/> leben ja nicht in Belgien oder Frankreich. Wir bleiben heuer<lb/> ſogar etwas länger in Greening Park, weil doch in London<lb/> nicht viel los ſein ſoll. Ma meint, es ließe ſich hier auch ganz<lb/> gut aushalten. Gouls ſind auch noch da und morgen iſt<lb/><hi rendition="#aq">garden party</hi> bei Stirls. Ich habe mir Fred eingeladen, da-<lb/> mit die Sache nicht zu langweilig wird. Wir rudern und<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [Seite 272.[272]/0010]
Allgemeine Zeitung 1. Mai 1915.
daß du dieſe Wandlung mitmachſt, willſt du dir wenigſtens
Mühe geben, ſie zu verſtehen?“
Sie ließ nun doch die Arbeit ſinken und wandte ihm
das Geſicht zu: „Ich weiß nicht, ob ich irgend etwas verſtehen
kann, mein Kopf iſt ganz wirr!“ ſagte ſie, ſie beherrſchte das
Deutſche vollkommen. Schon als Backfiſch war ſie wiederholt
monatelang bei Hardenkops geweſen, man hatte ihr geſagt,
ſie werde zu dem Geſchäftsfreund nach Hamburg geſchickt, um
dort deutſch zu lernen, ſie hatte es damals geglaubt und war
redlich bemüht geweſen, ihre Aufgabe nach Kräften zu erfüllen,
ſpäter hatte ſie begriffen, daß ihre Beſuche nur den Zweck ge-
habt hatten, die Beziehungen zwiſchen den beiden Weltfirmen
feſter zu knüpfen. Und nun? — Alles entzweigeſchnitten!
„Wir haben uns ſo redlich um Englands Freundſchaft be-
müht, wir haben es ganz ehrlich gemeint, als wir das Bruder-
volk zu gewinnen ſuchten. Schulter an Schulter hätten wir
raſſenverwandte Stämme arbeiten können, unſere Hochkultur
in ferne Erdteile zu tragen, unſerer Induſtrie neue Abſatz-
gebiete zu erobern. Aber unſere Vettern drüben haben nur die
Konkurrenten in uns geſehen, in dem Maße, in dem wir
emporkamen, wuchs ihr Neid. Sieh, Ellen, ich verdamme ſie
deshalb nicht. Sie haben den Imperialismus auf ihre Fahnen
geſchrieben und durch Jahrhunderte geglaubt, das erſte Volk
zu ſein, ſie wollen ſich behaupten, der Eigennutz iſt ein geſundes
Moment im Völkerleben, ſie haben ſeit Jahren gegen uns ge-
wählt, während der deutſche Michel von Verbrüderung
träumte, ſelbſt über das komme ich hinaus! — Aber Ellen,
jetzt kommt das Unverzeihliche: „— Seine Stimme klang
hart vor Erregung: „Sie haben nicht uns allein, ſie haben
die weiße Raſſe, ſie haben Europa verraten. Wir haben eine
Muſterkolonie angelegt im Oſten, einen Garten europäiſcher
Kultur, — ſie haben die gelben Plattnaſen dahin gehetzt, daß ſie
das Gut der weißen Männer zerſtören. Und wen ſtellen ſie in
Frankreich und Belgien uns gegenüber? Mohren, Singaleſen
— was weiß ich! Unſere deutſchen Jungen kämpfen nicht mit
ihresgleichen, ſie kämpfen mit einer Rotte von Söldnern, und
mit Wilden, die nicht einmal wiſſen, wofür ſie die Lanzen
ſchwingen. Sieh, Ellen, das hat mich bewogen, das Tiſch-
tuch zwiſchen mir und den Vettern drüben zu zerſchneiden,
und das macht mich hart zu dir gegen meinen Willen, denn
du weißt, was du mir biſt. — England hat wider den
heiligſten Geiſt europäiſcher Kultur gefrevelt aus Neid gegen
Deutſchland — zwiſchen England und uns iſt keine Gemein-
ſchaft mehr möglich. Du biſt meine Frau, du wirſt die Mutter
meiner Söhne werden; ein leiſes Beben ging durch ſeine
Stimme. Seit einem halben Jahre waren ſie verheiratet und
in hoffender Sehnſucht wartete er auf den Augenblick, wo ſie
ihm ſagen konnte: das Haus Hardenkop hat eine neue Zu-
kunft, er war ja der letzte männliche Nachkomme der Linie
Chriſtian Hardenkop. „Meine Söhne ſollen Deutſche ſein,
beſſere Deutſche als der Harry Hardenkop, den erſt der Krieg
zum Heinrich machen mußte. Das bin ich dem Vaterlande
ſchuldig, für die vielen Opfer, die es gebracht, das bin ich den
Gefallenen ſchuldig, die für die deutſche Sache geſtorben ſind.“
„Und was biſt du mir ſchuldig?“ fragte ſie tonlos.
„Ellen!“ es klang erſtickt von Weh. „Kannſt du mich denn
gar nicht verſtehen?“
Sie ſchwieg.
„Ich kann dir nichts mehr ſagen, entweder du verſtehſt
mich oder du verſtehſt mich nicht, das muß über dein Bleiben
und — er ſtockte vor dem Worte „Gehen“ erſchreckt, dann
ſprach er es entſchloſſen aus: „und dein Gehen entſcheiden.
Ich weiß, daß ich nicht anders handeln kann. Heute habe ich
mich gemeldet, man hat mit meiner Kurzſichtigkeit in dieſer
ſchweren Zeit Nachſicht gehabt, eine gute Brille macht das
Uebel wett. In einigen Tagen werde ich Hamburg verlaſſen,
teile mir deine Entſcheidung bis morgen mit!“ Zögernd ſtand
er da, es trieb ihn, ſie in ſeine Arme zu ſchließen und ſie zu
bitten: „Bleibe!“ Aber das durfte jetzt nicht ſein, als freier
Menſch mußte ſie entſcheiden, was über ihr ganzes Leben
entſchied.
So ſtand er ruhig vor ihr in tadellos weltmänniſcher
Haltung, nur an der ſcharfen Falte, die ſich ſenkrecht über ſeine
Stirne bis zur Naſenwurzel hinzog, merkte ſie, die ihn kannte,
wie kaum ein zweiter Menſch auf Erden, ſelbſt ſeine Mutter
nicht, wie es in ihm ſtürmte.
Aber das machte ſie nicht weich, denn in ihr ſtürmte es
auch. „Ich glaube, dir meine Entſcheidung ſchon jetzt ſagen
zu können: Triff die Vorkehrungen zu meiner Heimkehr nach
England.“
Er war blaß geworden bis in die Lippen, er ſagte kein
Wort, er verbeugte ſich und verließ das Zimmer. Draußen
griff er ſich an die Stirne — — hatte er recht gehört? Un-
möglich!
Ihr Kopf ſank zurück gegen die Stuhllehne, die Sinne
ſchwanden ihr. Sie hatte in der letzten Zeit ſchon manchmal
ein Gefühl des Schwindels zu überwinden gehabt, aber ſie
war nicht ängſtlich und weich mit ſich ſelbſt, ſo hatte ſie kein
Aufhebens davon gemacht, — diesmal war es eine tiefe Ohn-
macht, erſt als es ſchon dämmerte, kam ſie zu ſich und mußte
ſich beſinnen, was geſchehen. Sie war wie zerſchlagen an
allen Gliedern, und unendlich müde war ſie, am liebſten hätte
ſie geſchlafen, aber das ging ja nicht, ſie mußte Entſcheidungen
treffen bis morgen — nein, ſie hatte ja ſchon entſchieden!
Ellen ſah ſich um in dem entzückenden Raum, in dem
jedes Stück Einrichtung von dem zarten Eingehen ihres
Mannes auf ihren Geſchmack erzählte. Die Möbel: engliſches
Rokoko, an den Wänden: ein paar Meiſterwerke altengliſcher
Landſchaftsmalerei und die Vaſen und Statuetten: treu-
herzige deutſche Bauernkunſt und alte deutſche Holzſchnitz-
arbeit, wie behaglich das war. „Homly“, ſagte ſie leiſe.
Das Wort löſte den Knoten, der in ihrer Kehle ſteckte.
Aufſchluchzend drückte ſie das Geſicht in die Hände.
Es klopfte.
Sie hörte es nicht.
Da klang plötzlich die Stimme des alten Jakob an ihr
Ohr. „Verzeihung, Frau Hardenkop haben auf mein Klopfen
nicht geantwortet, ich dachte, das Zimmer wäre leer. — Ich
bringe Frau Hardenkop einen Brief.“ Er hielt ihr das ſilberne
Tablett entgegen.
„Von George!“ jubelte ſie auf, das war der langerſehnte
Brief des Bruders, der über Holland nun endlich in ihre Hände
gelangte.
Warum rührte ſich der Jakob noch immer nicht von der
Stelle, er verſtand es doch ſonſt, lautlos zu verſchwinden und
jetzt räuſperte er ſich gar, um ihre Aufmerkſamkeit vom Briefe
fortzulenken.
„Was wollen Sie, Jakob?“ fragte ſie etwas ungeduldig.
„Ich möchte mir die Ehre geben, mich von Frau Harden-
kop zu beurlauben und Frau Hardenkop zu danken für die
Güte, die ſie immer für mich alten Diener gezeigt, ich fahre
heute abend.“
„Sie? — Ja wohin denn?“ Sie konnte ſich das Haus
Hardenkop ohne den alten Jakob gar nicht vorſtellen.
„Nach Frankreich oder nach Rußland — einerlei, wenn
ſie mich nur mitnehmen!“
„Aber Sie ſind ja längſt über die Jahre hinaus!“
„Was meinen die Frau Hardenkop,“ ſagte der Jakob faſt
gekränkt. „Meine alten Knochen können immer noch ſtramm
ſtehen, wenn’s die Pflicht gilt!“
Er wollte auch dem Vaterland dienen — er wie Harry —
wie alle — „Jakob,“ ſagte Sie, „Sie ſind immer ein braver
Mann geweſen — Gott ſchütze Sie!“ —
Alle drängten ſich heran, freiwillig, ungerufen, weil das
Vaterland in Not war — auch George mußte ſchon in den
Reihen ſtehen, in den Reihen drüben, — er und Harry, ein
Schaudern ging durch ihren Körper, ſie ward das entſetzliche
Bild nicht los, das ihr Gatte und Bruder im Zweikampf zeigte.
Raſch öffnete ſie den Brief.
Liebe Ellen!
Du ſchreibſt, daß Du um Sorgen um uns biſt, warum
nur? Pa ſagt, Du könnteſt unſretwegen ganz ruhig ſein. Wir
leben ja nicht in Belgien oder Frankreich. Wir bleiben heuer
ſogar etwas länger in Greening Park, weil doch in London
nicht viel los ſein ſoll. Ma meint, es ließe ſich hier auch ganz
gut aushalten. Gouls ſind auch noch da und morgen iſt
garden party bei Stirls. Ich habe mir Fred eingeladen, da-
mit die Sache nicht zu langweilig wird. Wir rudern und
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(2023-04-24T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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