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Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 30. Mai 1920.

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30. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] Nach tausend Küssen erst, und Beide
Genossen nun die seltne Freude,
Die Freude der Beruhigung.
Nur manchmal noch entstand auf Karolinens Wangen
Ein wiederkommendes Verlangen
Aus dankbarer Erinnerung. --
Doch wer beschreibt die Freude, die wir fühlen
Wenn die entbrannten Triebe nun
Sich in gelinder Wärme kühlen
Und unsre Sinne von den Spielen
Der ersten Lieb ermattet, ruhn! --
O möcht ich bald zu deinen Füßen,
Gespielin meiner Jugendzeit,
Nach wohlerlangter Müdigkeit
Dies Glück der Wanderer genießen! --
Laß nicht, jetzt da der Weg mit Blumen überstreut
Uns manchen Weg zur Ruhe beut,
Untätig unsere Zeit verfließen! --
Was soll uns denn den Weg versüßen,
Wenn erst der Winter kommt und Berg und Tal verschneit,
Und alle Schritte uns verdrießen?

Die Zeit verstreicht für Liebende geschwind:
Und unser junges Paar verlauschte
Den Mittag schon, als etwas mehr als Wind,
Um die verschwiegne Laube rauschte,
Es war die Fee -- Sie hatte nun die Nacht,
Wo sie die Schlafende bewacht,
So ziemlich wieder eingebracht.
Kaum konnte sie die Glieder regen,
So lief sie nach der Laube hin:
Doch wenn ich recht berichtet bin,
Kam sie diesmal ein wenig ungelegen.
Als eine schlichte Kennerin,
Von Schilderei'n der Art, besah sie Karolinen
Von Fuß an bis zum Kopf, und doch verstand sie nicht,
Was ihr dies glühende Gesicht
Und diese so zufriedenen Mienen
Ganz deutlich vorzumalen schienen.
Sie macht die Brille fest, und guckt und fragt dabei,
Ob ihr ein wenig besser sei? --
"Ja rief das Fräulein, ja; die Krankheit ist vorüber.
Ich fühle mich so hergestellt,
Wie jedes Mädchen wünscht. Mir ist nunmehr die Welt
Mein Reiz und selbst mein Leben lieber." --
Sie reicht dem Arzt die Hand, indem sie dieses sprach,
Und tausend Küsse folgten nach. --
Die Alte sah den Herrn mit jener Ehrfurcht an,
Die wir für Aeskulape tragen,
Und wollte schon für ihren hohlen Zahn
Bei der Gelegenheit nach einem Mittel fragen,
Allein er ließ sie nicht zum Wort,
Stand auf und ging entschlossen fort,
Und sprach: "Noch kennen Sie nicht all die Gefahren,
Die mit der Kur verknüpfet sind:
Drum geh und sorg ich jetzt, mein Kind,
Sie für den Rückfall zu bewahren,
Der täglich fast bei ihren Jahren
Zu fürchten ist." -- Wohin mag er wohl gehn?
Vielleicht weiß er ein Kraut im nächsten Walde stehn,
Das dazu dient -- Doch nein! -- Mit übereiltem Schritte
Ging er nach ihres Vaters Hütte.
Nun die Gesichter möcht ich sehn! --
Doch ich errate seine Bitte.
Ein anderer hätte sie so hurtig nicht getan: --
Er hielt um Karolinen an.
Sobald der junge Herr sich deutlicher erklärte,
Daß, aus Karolinens Hand,
Die ihm auf diesen Fall der Alte zugestand,
Er keine Ausstattung und kein Geschenk begehrte,
Kein Hemd und neues Kleid: mit einem Worte: nichts
Als nur die Mitgift des Gesichts
Und das, was ihr noch sonst als Mädchen angehört; --
So sprach er: "Ja" und gab ihm zum Verkauf
[Spaltenumbruch] Sein Ehrenwort und seine Hand darauf
Und schickte gleich nach Karolinen. --
Die kam geschwind mit ihrer Alten her,
Sah auf den jungen Herrn mit halb verschämten Mienen
Und sagte hurtig "Ja" und kurz nach ihr erschienen
Zwei Zeugen und ein Geistlicher --
Das sieht ja eilig aus! -- Ich glaube,
Der Alte weiß wohl gar, was in der grünen Laube
Mit seinem Töchterchen für eine Kur geschehn?
O nein! sein Geist argwöhnte nur, es möchte
Der Kauf wohl noch zurücke gehn,
Sobald der Ritter ihn als Oekonom bedächte,
Er tat es nicht und bot schon seine Rechte
Der schönen Braut mit Freuden dar.
Da ward zum Glück für sein freiherrliches Geschlechte,
Die alte Fee noch ein Versehn gewahr:
Die Schöne stünd in der Gefahr,
In der wohl öfters Jungfern stehn,
Sich ohne Kranz getraut zu sehen,
Und ließ ihr dunkelbraunes Haar,
Verstört, wie es seit Morgens war,
[irrelevantes Material]
30. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] Nach tauſend Küſſen erſt, und Beide
Genoſſen nun die ſeltne Freude,
Die Freude der Beruhigung.
Nur manchmal noch entſtand auf Karolinens Wangen
Ein wiederkommendes Verlangen
Aus dankbarer Erinnerung. —
Doch wer beſchreibt die Freude, die wir fühlen
Wenn die entbrannten Triebe nun
Sich in gelinder Wärme kühlen
Und unſre Sinne von den Spielen
Der erſten Lieb ermattet, ruhn! —
O möcht ich bald zu deinen Füßen,
Geſpielin meiner Jugendzeit,
Nach wohlerlangter Müdigkeit
Dies Glück der Wanderer genießen! —
Laß nicht, jetzt da der Weg mit Blumen überſtreut
Uns manchen Weg zur Ruhe beut,
Untätig unſere Zeit verfließen! —
Was ſoll uns denn den Weg verſüßen,
Wenn erſt der Winter kommt und Berg und Tal verſchneit,
Und alle Schritte uns verdrießen?

Die Zeit verſtreicht für Liebende geſchwind:
Und unſer junges Paar verlauſchte
Den Mittag ſchon, als etwas mehr als Wind,
Um die verſchwiegne Laube rauſchte,
Es war die Fee — Sie hatte nun die Nacht,
Wo ſie die Schlafende bewacht,
So ziemlich wieder eingebracht.
Kaum konnte ſie die Glieder regen,
So lief ſie nach der Laube hin:
Doch wenn ich recht berichtet bin,
Kam ſie diesmal ein wenig ungelegen.
Als eine ſchlichte Kennerin,
Von Schilderei’n der Art, beſah ſie Karolinen
Von Fuß an bis zum Kopf, und doch verſtand ſie nicht,
Was ihr dies glühende Geſicht
Und dieſe ſo zufriedenen Mienen
Ganz deutlich vorzumalen ſchienen.
Sie macht die Brille feſt, und guckt und fragt dabei,
Ob ihr ein wenig beſſer ſei? —
„Ja rief das Fräulein, ja; die Krankheit iſt vorüber.
Ich fühle mich ſo hergeſtellt,
Wie jedes Mädchen wünſcht. Mir iſt nunmehr die Welt
Mein Reiz und ſelbſt mein Leben lieber.“ —
Sie reicht dem Arzt die Hand, indem ſie dieſes ſprach,
Und tauſend Küſſe folgten nach. —
Die Alte ſah den Herrn mit jener Ehrfurcht an,
Die wir für Aeskulape tragen,
Und wollte ſchon für ihren hohlen Zahn
Bei der Gelegenheit nach einem Mittel fragen,
Allein er ließ ſie nicht zum Wort,
Stand auf und ging entſchloſſen fort,
Und ſprach: „Noch kennen Sie nicht all die Gefahren,
Die mit der Kur verknüpfet ſind:
Drum geh und ſorg ich jetzt, mein Kind,
Sie für den Rückfall zu bewahren,
Der täglich faſt bei ihren Jahren
Zu fürchten iſt.“ — Wohin mag er wohl gehn?
Vielleicht weiß er ein Kraut im nächſten Walde ſtehn,
Das dazu dient — Doch nein! — Mit übereiltem Schritte
Ging er nach ihres Vaters Hütte.
Nun die Geſichter möcht ich ſehn! —
Doch ich errate ſeine Bitte.
Ein anderer hätte ſie ſo hurtig nicht getan: —
Er hielt um Karolinen an.
Sobald der junge Herr ſich deutlicher erklärte,
Daß, aus Karolinens Hand,
Die ihm auf dieſen Fall der Alte zugeſtand,
Er keine Ausſtattung und kein Geſchenk begehrte,
Kein Hemd und neues Kleid: mit einem Worte: nichts
Als nur die Mitgift des Geſichts
Und das, was ihr noch ſonſt als Mädchen angehört; —
So ſprach er: „Ja“ und gab ihm zum Verkauf
[Spaltenumbruch] Sein Ehrenwort und ſeine Hand darauf
Und ſchickte gleich nach Karolinen. —
Die kam geſchwind mit ihrer Alten her,
Sah auf den jungen Herrn mit halb verſchämten Mienen
Und ſagte hurtig „Ja“ und kurz nach ihr erſchienen
Zwei Zeugen und ein Geiſtlicher —
Das ſieht ja eilig aus! — Ich glaube,
Der Alte weiß wohl gar, was in der grünen Laube
Mit ſeinem Töchterchen für eine Kur geſchehn?
O nein! ſein Geiſt argwöhnte nur, es möchte
Der Kauf wohl noch zurücke gehn,
Sobald der Ritter ihn als Oekonom bedächte,
Er tat es nicht und bot ſchon ſeine Rechte
Der ſchönen Braut mit Freuden dar.
Da ward zum Glück für ſein freiherrliches Geſchlechte,
Die alte Fee noch ein Verſehn gewahr:
Die Schöne ſtünd in der Gefahr,
In der wohl öfters Jungfern ſtehn,
Sich ohne Kranz getraut zu ſehen,
Und ließ ihr dunkelbraunes Haar,
Verſtört, wie es ſeit Morgens war,
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[207/0009] 30. Mai 1920 Allgemeine Zeitung Nach tauſend Küſſen erſt, und Beide Genoſſen nun die ſeltne Freude, Die Freude der Beruhigung. Nur manchmal noch entſtand auf Karolinens Wangen Ein wiederkommendes Verlangen Aus dankbarer Erinnerung. — Doch wer beſchreibt die Freude, die wir fühlen Wenn die entbrannten Triebe nun Sich in gelinder Wärme kühlen Und unſre Sinne von den Spielen Der erſten Lieb ermattet, ruhn! — O möcht ich bald zu deinen Füßen, Geſpielin meiner Jugendzeit, Nach wohlerlangter Müdigkeit Dies Glück der Wanderer genießen! — Laß nicht, jetzt da der Weg mit Blumen überſtreut Uns manchen Weg zur Ruhe beut, Untätig unſere Zeit verfließen! — Was ſoll uns denn den Weg verſüßen, Wenn erſt der Winter kommt und Berg und Tal verſchneit, Und alle Schritte uns verdrießen? Die Zeit verſtreicht für Liebende geſchwind: Und unſer junges Paar verlauſchte Den Mittag ſchon, als etwas mehr als Wind, Um die verſchwiegne Laube rauſchte, Es war die Fee — Sie hatte nun die Nacht, Wo ſie die Schlafende bewacht, So ziemlich wieder eingebracht. Kaum konnte ſie die Glieder regen, So lief ſie nach der Laube hin: Doch wenn ich recht berichtet bin, Kam ſie diesmal ein wenig ungelegen. Als eine ſchlichte Kennerin, Von Schilderei’n der Art, beſah ſie Karolinen Von Fuß an bis zum Kopf, und doch verſtand ſie nicht, Was ihr dies glühende Geſicht Und dieſe ſo zufriedenen Mienen Ganz deutlich vorzumalen ſchienen. Sie macht die Brille feſt, und guckt und fragt dabei, Ob ihr ein wenig beſſer ſei? — „Ja rief das Fräulein, ja; die Krankheit iſt vorüber. Ich fühle mich ſo hergeſtellt, Wie jedes Mädchen wünſcht. Mir iſt nunmehr die Welt Mein Reiz und ſelbſt mein Leben lieber.“ — Sie reicht dem Arzt die Hand, indem ſie dieſes ſprach, Und tauſend Küſſe folgten nach. — Die Alte ſah den Herrn mit jener Ehrfurcht an, Die wir für Aeskulape tragen, Und wollte ſchon für ihren hohlen Zahn Bei der Gelegenheit nach einem Mittel fragen, Allein er ließ ſie nicht zum Wort, Stand auf und ging entſchloſſen fort, Und ſprach: „Noch kennen Sie nicht all die Gefahren, Die mit der Kur verknüpfet ſind: Drum geh und ſorg ich jetzt, mein Kind, Sie für den Rückfall zu bewahren, Der täglich faſt bei ihren Jahren Zu fürchten iſt.“ — Wohin mag er wohl gehn? Vielleicht weiß er ein Kraut im nächſten Walde ſtehn, Das dazu dient — Doch nein! — Mit übereiltem Schritte Ging er nach ihres Vaters Hütte. Nun die Geſichter möcht ich ſehn! — Doch ich errate ſeine Bitte. Ein anderer hätte ſie ſo hurtig nicht getan: — Er hielt um Karolinen an. Sobald der junge Herr ſich deutlicher erklärte, Daß, aus Karolinens Hand, Die ihm auf dieſen Fall der Alte zugeſtand, Er keine Ausſtattung und kein Geſchenk begehrte, Kein Hemd und neues Kleid: mit einem Worte: nichts Als nur die Mitgift des Geſichts Und das, was ihr noch ſonſt als Mädchen angehört; — So ſprach er: „Ja“ und gab ihm zum Verkauf Sein Ehrenwort und ſeine Hand darauf Und ſchickte gleich nach Karolinen. — Die kam geſchwind mit ihrer Alten her, Sah auf den jungen Herrn mit halb verſchämten Mienen Und ſagte hurtig „Ja“ und kurz nach ihr erſchienen Zwei Zeugen und ein Geiſtlicher — Das ſieht ja eilig aus! — Ich glaube, Der Alte weiß wohl gar, was in der grünen Laube Mit ſeinem Töchterchen für eine Kur geſchehn? O nein! ſein Geiſt argwöhnte nur, es möchte Der Kauf wohl noch zurücke gehn, Sobald der Ritter ihn als Oekonom bedächte, Er tat es nicht und bot ſchon ſeine Rechte Der ſchönen Braut mit Freuden dar. Da ward zum Glück für ſein freiherrliches Geſchlechte, Die alte Fee noch ein Verſehn gewahr: Die Schöne ſtünd in der Gefahr, In der wohl öfters Jungfern ſtehn, Sich ohne Kranz getraut zu ſehen, Und ließ ihr dunkelbraunes Haar, Verſtört, wie es ſeit Morgens war, _

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 30. Mai 1920, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine21_1920/9>, abgerufen am 03.12.2024.