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Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 25. Januar 1929.

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erste Seite
[irrelevantes Material]


[Abbildung]
Nr. 21
AZ am Abend
[Spaltenumbruch]
8-Uhr-Abendblatt
Allgemeine Zeitung
132. Jahrgang
[Spaltenumbruch] München
Freitag
25. Januar 1929
Druck und Verlag: Allgemeine Druckerei- und Verlags-Aktien-
Gesellschaft, München, Baaderstraße 1a.
/ Redaktion: München,
Baaderstr. 1a. / Telephon: 25 784, 28 784 und 207819 / Postscheckkonto
München 9870 / Verantwortlich für den gesamten Inhalts
Dr. Rolf Flügel. für Anzeigen M. Girisch. sämtliche in München
[Abbildung]
Die "AZ" erscheine an jed. Wochentag u. kostet im Einzelverkauf 10 Pfg., im
Abonnement i. München durch d. Träg. M. 2. - monatl. bzw. 50 Pfg. wöchentl.,
außerhalb Münchens u. durch d. Post M. 3.00 monatl. / Für D. Oesterr. beträgt
der Einzelpreis 20 Grosch., d. Abonnementpreis Sch. 4.-monatl./ Anzeigen-
preis
: Die neunspaltige Millimeterzeile 15 Pfg., im Reklamenteil M. 0,80


An die 20 000 Münchner Skiläufer
Lawinentod auch in den Vorbergen!

Die Opfer des letzten Sonntags * Die Bergwacht warnt


Die Bergwacht teilt mit:
Die am Sonntag, den 20. Januar, aufgetretene
außergewöhnliche Lawinengefahr ist dadurch ent-
standen, daß einige Tage vorher Neuschnee bis
zur Höhe von 40--50 Zentimeter gefallen war,
der mit der verharschten Unterlage
keine Verbindung
aufgenommen hatte. Diese Decke mußte an Steil-
hängen, besonders an den Nord- und Westseiten,
wo feinkörniger Pulverschnee lag. beim An-
schneiden durch eine Skispur zum Abgleiten kom-
men. Das am Freitag auf Samstag eingetretene
Tauwetter hatte die Lawinengefahr besonders
begünstigt.

Wie groß diese war, mag daraus hervorgehen,
daß neben den gemeldeten Lawinen an der Hoch-
riß, an der Ramboldplatte, Aplspitze, Hohen
Salve, am Schwarzenvogel und Grüneck, auch am
Wildalmjoch und an der

[Spaltenumbruch]

Dreitannenabfahrt vom Stümpfling
Skiläufer, glücklicherweise ohne Schaden, von
Lawinen erfaßt worden sind. Auch in unseren
vielfach zu Unrecht als harmlos bezeichneten Vor-
bergen lauert der weiße Tod. Die Opfer des
20. Januar sollen eine Warnung sein!

Aus den traurigen Geschehnissen ist die oft ge-
kündete Lehre zu ziehen: bei unsicheren Schnee-
verhältnissen Steilhänge, Neigungen
von 25 Grad ab
nicht befahren, Touren mit nicht zu umgehenden
Steilhängen unterlassen oder rechtzeitig ab-
brechen! Wegen dieser Vorsicht braucht bei der
Vielgestaltigkeit unserer Berge auch nicht ein
Mann zu Hause zu bleiben. Sicheres Uebungs-
gelände ist überall zu finden.

Noch etwas! Die Bergwacht veranstaltete vor
kurzem einen öffentlichen, jedermann frei zu-

[Spaltenumbruch]

gänglichen Vortrag über "Die Lawinengefahr".
Das Vortragslokal war von etwa 1000 Personen
besetzt. In München gibt es, vorsichtig geschätzt,
etwa 20 000 Skiläufer. Wo waren die übrigen
19 000?

Schneebericht
vom 25. Januar

Starke Neuschneefälle. Die Schneeverhältnisse
sind für die Ausübung des Wintersports weiter-
hin als günstig zu bezeichnen. Erhöhte Lawinen-
gefahr.



Wetterbericht

Zeitweise noch weitere Schneefälle; Verstärkung
des Frostes.



Funkbericht einer schwierigen Rettungsaktion
Die 32 Ueberlebenden der "Florida"

Ansteuerung des sinkenden Schiffes mit Radiokompaß * Tau von Schiff zu Rettungsboot

[Spaltenumbruch]

Associated Preß erhielt
einen ausführlichen Funkbericht von Kapitän
Fried,
in dem die Schwierigkeiten geschildert
werden, die der Dampfer "America" bei der
Auffindung des in Seenot geratenen italienischen
Dampfers "Florida" bei Sturm und schwerer
See zu überwinden hatte. Die "America" hatte
sich schon vorher

[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

durch Schnee- und Hagelstürme hindurchkämpfen
müssen und war infolge des Frostes vollständig
von Eis bedeckt. Dienstag mittag fing sie die
SOS-Rufe der "Florida" auf, die eine Position
angaben, die sich etwa 350 Seemeilen nordöstlich
der "America" befand. Während der Nacht hatten
jedoch mehrere Dampfer, darunter der deutsche
Dampfer "York", die angegebene Position er-
reicht, ohne die "Florida" zu finden. Kapitän
Fried versuchte schließlich, die "Florida"
mit Hilfe des Radiokompaß-Richtungsfinders
anzusteuern,

da die Positionsangaben des italienischen Damp-
fers offenbar nicht zuverlässig waren. Mittwoch
nachmittag klärte sich das Wetter auf. Der Ka-
pitän der "Florida" funkte, daß die gesamte
Navigationsausrüstung des Dampfers mit der
Kommandobrücke zerstört worden sei. Er ver-
suche, die Position mittels des Sextanten auszu-
rechnen.

Abends 6.30 Uhr wurde die "Florida" 150
Meilen nordöstlich der von ihr zuletzt angege-
benen Position gesichtet. Ohne Radiokompaß
wäre die Auffindung unmöglich gewesen.

[Spaltenumbruch]

Die Mannschaft der "Florida" mußte sich
einzeln an einem Tau nach dem Rettungs-
boot der "America" hinarbeiten, die infolge
der starken Neigung der "Florida" nur bis
auf 50 Fuß an den Dampfer herankommen
konnte.

Von der Besatzung der "Florida" war einer am
vergangenen Sonntag von einen Welle über Bord
gespült worden. Sechs Mann waren schwer ver-
letzt und vier ernstlich erkrankt. Die Rettung der
Verletzten und Kranken gestaltete sich äußerst
schwierig.

Nun stellte sich auch heraus, weshalb die Posi-
tionsangaben des italienischen Kapitäns so un-
genau waren. Infolge der starken Neigung mußte
der Kapitän der "Florida" befürchten, daß der
Dampfer kentern werde. Er ließ infolgedessen die
Maschinen langsam laufen, so daß sich der
Dampfer nur mit einer Stundengeschwindigkeit
von drei Seemeilen fortbewegte und seine Steuer-
fähigkeit soweit einbüßte daß die Position nicht
mehr genau errechnet werden konnte.

Die "America" wird mit den 32 Geretteten
der "Florida" voraussichtlich erst morgen nach-
mittag in Neuyork eintreffen.



[Spaltenumbruch]
Skiunfall im Wendelsteingebiet

Eine Gruppe
Münchener Skiläufer fuhr von der Rampold-
platte im Wendelsteingebiet ab, als sich an der
Nordostseite, wenige Meter unterhalb des Grales,
ein ausgedehntes Schneebrett loslöste, das von
den fünf Skiläufern, die sich an der Abbruchstelle
befanden, einen mit in die Tiefe riß. Auf der
Schuhbräualm befindliche andere Skiläufer aus
München konnten den Vorgang beobachten und
sofort zur Unfallstelle eilen, wo inzwischen auch
die Gefährten des Verschütteten eingetroffen
waren. Mit vereinten Kräften gelang die Ber-
gung des glücklicherweise unverletzt gebliebenen
Skifahrers, dessen Rettung durch einen aus den
Schneemassen herausragenden Skistock so rasch
möglich war.

Vierfacher Kindermord

In später Abendstunde wur-
den gestern von der Polizei in einem Hause in
Romford (Essex) vier Kinder mit durchschnittenen
Kehlen aufgefunden.

Es handelt sich um den Sohn und die Tochter,
bezw. einen Neffen und eine Nichte eines pen-
sionierten Polizeibeamten,
der seit
der Bluttat verschwunden ist. Die ermordeten
Kinder standen im Alter von zweteinhalb
bis sechseinhalb Jahren
.

[Spaltenumbruch]
Der Goldmacher Tausend.
[Abbildung]

ein Klempner, der ein patentiertes Verfahren zur
Gewinnung von Gold auf künstlichem Wege zu
besitzen vorgab und gutgläubigen Geldgebern
21/2 Millionen Mark abgeschwindelt hat.

[Spaltenumbruch]
Der neue Reichshaushalts-
vorschlag und das neue
Steuerbukett

Der geheimnisvolle Schleier, hinter dem sich
das Finanzministerium fast drei Monate zurück-
gezogen hatte, ist gelüftet und die Haushaltsvor-
schlag für 1929 nach langwierigen Beratungen
des Reichskabinetts endlich dem Reichsrat zu-
geleitet, der nunmehr innerhalb einer Einlassungs-
frist von drei Wochen die zur Erörterung gestell-
ten Probleme seinerseits meistern soll. Die
Schwierigkeit der Finanzlage des Reiches ist seit
Jahr und Tag immer wieder mit nüchternen
Zahlen von berufener Seite belegt worden, aber
noch vor Jahresfrist war der Finanzminister Dr.
Köhler Optimist genug, um sich mit der Deckung
seines letzten Haushaltsvorschlages durch ein-
malige, in Zukunft nicht mehr zu erwartende
Einnahmen zu begnügen, so daß schon der vorige
Haushalt ein Defizit von 300 Millionen Mark in
dem Verhältnis zwischen laufenden Einnahmen
und Ausgaben aufwies. Schon damals war
ferner vorauszusehen, daß die laufenden Aus-
gaben 1929 sich um einen weiteren Betrag von
312 Millionen Mark für die Reparationslast er-
höhen würden. Es ist daher ein Anlaß zur Ver-
wunderung über das jetzt erscheinende Defizit
von 600 Millionen Mark nur für diejenigen ge-
geben, die es bis zum letzten Augenblick be-
quemer fanden, vor den offenkundigen Tatsachen
ihre Augen zu verschließen. Am wenigsten hat
die Rechtspresse Veranlassung, ihre Hände in Un-
schuld zu waschen und die Rolle des unbeteiligten
Zuschauers oder des unbarmherzigen Kritikers zu
spielen, da die Deutschnationale Partei für die
Finanzgebarung des vorigen und des laufenden
Jahres keine geringere Verantwortung trägt, als
die übrigen bürgerlichen Parteien, die mit ihr
in der Regierung saßen.

Es ist eine Staatsnotwendigkeit, dieses Defizit
zu bereinigen, nicht nur mit Rücksicht auf den all-
gemeinen Kredit des Reiches in der Welt, son-
dern auch wegen der völligen Erschöpfung aller
Möglichkeiten, dem Reich im Inland Kredit zu
verschaffen oder auf irgendwelche Kassenbestände
zurückzugreifen. Wenn es dem Reichsfinanz-
minister, der hierin die Zustimmung des Reichs-
kabinetts gefunden hat, gelungen ist, das Defizit
trotz Steigerung mancher Ausgabenposten gegen-
über dem Vorjahr auf 358 Millionen zurückzu-
führen, so sollte man dieser, von rücksichtsloser
Betätigung des Sparwillens zeugenden Maßregel
die Anerkennung nicht versagen, wenn auch da-
mit noch keineswegs behauptet sein soll, daß
weitere Ersparnismöglichkeiten nicht mehr denk-
bar seien. Es wird im Gegenteil die Aufgabe des
Reichstags sein, dem guten Beispiele der Regie-
rung nicht nur durch Beseitigung weiterer, nicht
unbedingt notwendiger Ausgaben zu folgen, son-
dern vor allem auch eine konsequente Entsagung
hinsichtlich irgendwelcher Bewilligungen über die
Vorschläge des Haushaltplanes hinaus zu üben.

Wenn es gelungen ist, den zusätzlichen Steuer-
bedarf auf 358 Millionen zu beschränken, so ist
die Voraussetzung dafür die stärkere Inanspruch-
nahme der Einnahmen aus der Reichspost ge-
wesen, die ein Mehr von 36 Millionen bringen
sollen. Daneben mußten 120 Millionen von den
Länderüberweisungen abgesetzt
wer-
den, die im laufenden Jahre neuerdings den Vor-
anschlag um etwa 170 Millionen Mark über-
steigen, so daß auch im nächsten Jahre die Län-
der praktisch auf etwa dieselben Zuweisungen
vom Reich rechnen können wie bisher, während
andererseits der unmögliche Zustand beseitigt
wird, daß das Reich finanziell Not leidet, wäh-
rend die Einnahmen der Länder wachsen, als ob
es keine Reparationslast und keine inneren
Kriegslasten gäbe. Der Reichsrat wird voraus-
sichtlich Schwierigkeiten machen. Aber dann wäre
es schließlich Sache der Länder, dem Reich für
diese 120 Millionen andere Einnahmequellen zu
eröffnen, und über diesen Punkt dürften sie kaum
eine befriedigende Verständigung untereinander
finden.

Das Steuerbukett enthält als freundliche Gabe
für die Steuerzahler einen Verzicht auf die
Wiedererhebung der Vermögenszuwachssteuer,
der allerdings angesichts der wirtschaftlichen und
steuerpolitischen Unmöglichkeit dieses Pflänzleins
nicht schwer fallen konnte, und eine Senkung von
fünf Prozent für die mittleren Einkommen bis

[irrelevantes Material]


[Abbildung]
Nr. 21
AZ am Abend
[Spaltenumbruch]
8-Uhr-Abendblatt
Allgemeine Zeitung
132. Jahrgang
[Spaltenumbruch] München
Freitag
25. Januar 1929
Druck und Verlag: Allgemeine Druckerei- und Verlags-Aktien-
Geſellſchaft, München, Baaderſtraße 1a.
/ Redaktion: München,
Baaderſtr. 1a. / Telephon: 25 784, 28 784 und 207819 / Poſtſcheckkonto
München 9870 / Verantwortlich für den geſamten Inhalts
Dr. Rolf Flügel. für Anzeigen M. Giriſch. ſämtliche in München
[Abbildung]
Die „AZ“ erſcheine an jed. Wochentag u. koſtet im Einzelverkauf 10 Pfg., im
Abonnement i. München durch d. Träg. M. 2. - monatl. bzw. 50 Pfg. wöchentl.,
außerhalb Münchens u. durch d. Poſt M. 3.00 monatl. / Für D. Oeſterr. beträgt
der Einzelpreis 20 Groſch., d. Abonnementpreis Sch. 4.-monatl./ Anzeigen-
preis
: Die neunſpaltige Millimeterzeile 15 Pfg., im Reklamenteil M. 0,80


An die 20 000 Münchner Skiläufer
Lawinentod auch in den Vorbergen!

Die Opfer des letzten Sonntags * Die Bergwacht warnt


Die Bergwacht teilt mit:
Die am Sonntag, den 20. Januar, aufgetretene
außergewöhnliche Lawinengefahr iſt dadurch ent-
ſtanden, daß einige Tage vorher Neuſchnee bis
zur Höhe von 40—50 Zentimeter gefallen war,
der mit der verharſchten Unterlage
keine Verbindung
aufgenommen hatte. Dieſe Decke mußte an Steil-
hängen, beſonders an den Nord- und Weſtſeiten,
wo feinkörniger Pulverſchnee lag. beim An-
ſchneiden durch eine Skiſpur zum Abgleiten kom-
men. Das am Freitag auf Samstag eingetretene
Tauwetter hatte die Lawinengefahr beſonders
begünſtigt.

Wie groß dieſe war, mag daraus hervorgehen,
daß neben den gemeldeten Lawinen an der Hoch-
riß, an der Ramboldplatte, Aplſpitze, Hohen
Salve, am Schwarzenvogel und Grüneck, auch am
Wildalmjoch und an der

[Spaltenumbruch]

Dreitannenabfahrt vom Stümpfling
Skiläufer, glücklicherweiſe ohne Schaden, von
Lawinen erfaßt worden ſind. Auch in unſeren
vielfach zu Unrecht als harmlos bezeichneten Vor-
bergen lauert der weiße Tod. Die Opfer des
20. Januar ſollen eine Warnung ſein!

Aus den traurigen Geſchehniſſen iſt die oft ge-
kündete Lehre zu ziehen: bei unſicheren Schnee-
verhältniſſen Steilhänge, Neigungen
von 25 Grad ab
nicht befahren, Touren mit nicht zu umgehenden
Steilhängen unterlaſſen oder rechtzeitig ab-
brechen! Wegen dieſer Vorſicht braucht bei der
Vielgeſtaltigkeit unſerer Berge auch nicht ein
Mann zu Hauſe zu bleiben. Sicheres Uebungs-
gelände iſt überall zu finden.

Noch etwas! Die Bergwacht veranſtaltete vor
kurzem einen öffentlichen, jedermann frei zu-

[Spaltenumbruch]

gänglichen Vortrag über „Die Lawinengefahr“.
Das Vortragslokal war von etwa 1000 Perſonen
beſetzt. In München gibt es, vorſichtig geſchätzt,
etwa 20 000 Skiläufer. Wo waren die übrigen
19 000?

Schneebericht
vom 25. Januar

Starke Neuſchneefälle. Die Schneeverhältniſſe
ſind für die Ausübung des Winterſports weiter-
hin als günſtig zu bezeichnen. Erhöhte Lawinen-
gefahr.



Wetterbericht

Zeitweiſe noch weitere Schneefälle; Verſtärkung
des Froſtes.



Funkbericht einer schwierigen Rettungsaktion
Die 32 Ueberlebenden der „Florida“

Anſteuerung des ſinkenden Schiffes mit Radiokompaß * Tau von Schiff zu Rettungsboot

[Spaltenumbruch]

Aſſociated Preß erhielt
einen ausführlichen Funkbericht von Kapitän
Fried,
in dem die Schwierigkeiten geſchildert
werden, die der Dampfer „America“ bei der
Auffindung des in Seenot geratenen italieniſchen
Dampfers „Florida“ bei Sturm und ſchwerer
See zu überwinden hatte. Die „America“ hatte
ſich ſchon vorher

[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

durch Schnee- und Hagelſtürme hindurchkämpfen
müſſen und war infolge des Froſtes vollſtändig
von Eis bedeckt. Dienstag mittag fing ſie die
SOS-Rufe der „Florida“ auf, die eine Poſition
angaben, die ſich etwa 350 Seemeilen nordöſtlich
der „America“ befand. Während der Nacht hatten
jedoch mehrere Dampfer, darunter der deutſche
Dampfer „York“, die angegebene Poſition er-
reicht, ohne die „Florida“ zu finden. Kapitän
Fried verſuchte ſchließlich, die „Florida“
mit Hilfe des Radiokompaß-Richtungsfinders
anzuſteuern,

da die Poſitionsangaben des italieniſchen Damp-
fers offenbar nicht zuverläſſig waren. Mittwoch
nachmittag klärte ſich das Wetter auf. Der Ka-
pitän der „Florida“ funkte, daß die geſamte
Navigationsausrüſtung des Dampfers mit der
Kommandobrücke zerſtört worden ſei. Er ver-
ſuche, die Poſition mittels des Sextanten auszu-
rechnen.

Abends 6.30 Uhr wurde die „Florida“ 150
Meilen nordöſtlich der von ihr zuletzt angege-
benen Poſition geſichtet. Ohne Radiokompaß
wäre die Auffindung unmöglich geweſen.

[Spaltenumbruch]

Die Mannſchaft der „Florida“ mußte ſich
einzeln an einem Tau nach dem Rettungs-
boot der „America“ hinarbeiten, die infolge
der ſtarken Neigung der „Florida“ nur bis
auf 50 Fuß an den Dampfer herankommen
konnte.

Von der Beſatzung der „Florida“ war einer am
vergangenen Sonntag von einen Welle über Bord
geſpült worden. Sechs Mann waren ſchwer ver-
letzt und vier ernſtlich erkrankt. Die Rettung der
Verletzten und Kranken geſtaltete ſich äußerſt
ſchwierig.

Nun ſtellte ſich auch heraus, weshalb die Poſi-
tionsangaben des italieniſchen Kapitäns ſo un-
genau waren. Infolge der ſtarken Neigung mußte
der Kapitän der „Florida“ befürchten, daß der
Dampfer kentern werde. Er ließ infolgedeſſen die
Maſchinen langſam laufen, ſo daß ſich der
Dampfer nur mit einer Stundengeſchwindigkeit
von drei Seemeilen fortbewegte und ſeine Steuer-
fähigkeit ſoweit einbüßte daß die Poſition nicht
mehr genau errechnet werden konnte.

Die „America“ wird mit den 32 Geretteten
der „Florida“ vorausſichtlich erſt morgen nach-
mittag in Neuyork eintreffen.



[Spaltenumbruch]
Skiunfall im Wendelſteingebiet

Eine Gruppe
Münchener Skiläufer fuhr von der Rampold-
platte im Wendelſteingebiet ab, als ſich an der
Nordoſtſeite, wenige Meter unterhalb des Grales,
ein ausgedehntes Schneebrett loslöſte, das von
den fünf Skiläufern, die ſich an der Abbruchſtelle
befanden, einen mit in die Tiefe riß. Auf der
Schuhbräualm befindliche andere Skiläufer aus
München konnten den Vorgang beobachten und
ſofort zur Unfallſtelle eilen, wo inzwiſchen auch
die Gefährten des Verſchütteten eingetroffen
waren. Mit vereinten Kräften gelang die Ber-
gung des glücklicherweiſe unverletzt gebliebenen
Skifahrers, deſſen Rettung durch einen aus den
Schneemaſſen herausragenden Skiſtock ſo raſch
möglich war.

Vierfacher Kindermord

In ſpäter Abendſtunde wur-
den geſtern von der Polizei in einem Hauſe in
Romford (Eſſex) vier Kinder mit durchſchnittenen
Kehlen aufgefunden.

Es handelt ſich um den Sohn und die Tochter,
bezw. einen Neffen und eine Nichte eines pen-
ſionierten Polizeibeamten,
der ſeit
der Bluttat verſchwunden iſt. Die ermordeten
Kinder ſtanden im Alter von zweteinhalb
bis ſechseinhalb Jahren
.

[Spaltenumbruch]
Der Goldmacher Tauſend.
[Abbildung]

ein Klempner, der ein patentiertes Verfahren zur
Gewinnung von Gold auf künſtlichem Wege zu
beſitzen vorgab und gutgläubigen Geldgebern
2½ Millionen Mark abgeſchwindelt hat.

[Spaltenumbruch]
Der neue Reichshaushalts-
vorſchlag und das neue
Steuerbukett

Der geheimnisvolle Schleier, hinter dem ſich
das Finanzminiſterium faſt drei Monate zurück-
gezogen hatte, iſt gelüftet und die Haushaltsvor-
ſchlag für 1929 nach langwierigen Beratungen
des Reichskabinetts endlich dem Reichsrat zu-
geleitet, der nunmehr innerhalb einer Einlaſſungs-
friſt von drei Wochen die zur Erörterung geſtell-
ten Probleme ſeinerſeits meiſtern ſoll. Die
Schwierigkeit der Finanzlage des Reiches iſt ſeit
Jahr und Tag immer wieder mit nüchternen
Zahlen von berufener Seite belegt worden, aber
noch vor Jahresfriſt war der Finanzminiſter Dr.
Köhler Optimiſt genug, um ſich mit der Deckung
ſeines letzten Haushaltsvorſchlages durch ein-
malige, in Zukunft nicht mehr zu erwartende
Einnahmen zu begnügen, ſo daß ſchon der vorige
Haushalt ein Defizit von 300 Millionen Mark in
dem Verhältnis zwiſchen laufenden Einnahmen
und Ausgaben aufwies. Schon damals war
ferner vorauszuſehen, daß die laufenden Aus-
gaben 1929 ſich um einen weiteren Betrag von
312 Millionen Mark für die Reparationslaſt er-
höhen würden. Es iſt daher ein Anlaß zur Ver-
wunderung über das jetzt erſcheinende Defizit
von 600 Millionen Mark nur für diejenigen ge-
geben, die es bis zum letzten Augenblick be-
quemer fanden, vor den offenkundigen Tatſachen
ihre Augen zu verſchließen. Am wenigſten hat
die Rechtspreſſe Veranlaſſung, ihre Hände in Un-
ſchuld zu waſchen und die Rolle des unbeteiligten
Zuſchauers oder des unbarmherzigen Kritikers zu
ſpielen, da die Deutſchnationale Partei für die
Finanzgebarung des vorigen und des laufenden
Jahres keine geringere Verantwortung trägt, als
die übrigen bürgerlichen Parteien, die mit ihr
in der Regierung ſaßen.

Es iſt eine Staatsnotwendigkeit, dieſes Defizit
zu bereinigen, nicht nur mit Rückſicht auf den all-
gemeinen Kredit des Reiches in der Welt, ſon-
dern auch wegen der völligen Erſchöpfung aller
Möglichkeiten, dem Reich im Inland Kredit zu
verſchaffen oder auf irgendwelche Kaſſenbeſtände
zurückzugreifen. Wenn es dem Reichsfinanz-
miniſter, der hierin die Zuſtimmung des Reichs-
kabinetts gefunden hat, gelungen iſt, das Defizit
trotz Steigerung mancher Ausgabenpoſten gegen-
über dem Vorjahr auf 358 Millionen zurückzu-
führen, ſo ſollte man dieſer, von rückſichtsloſer
Betätigung des Sparwillens zeugenden Maßregel
die Anerkennung nicht verſagen, wenn auch da-
mit noch keineswegs behauptet ſein ſoll, daß
weitere Erſparnismöglichkeiten nicht mehr denk-
bar ſeien. Es wird im Gegenteil die Aufgabe des
Reichstags ſein, dem guten Beiſpiele der Regie-
rung nicht nur durch Beſeitigung weiterer, nicht
unbedingt notwendiger Ausgaben zu folgen, ſon-
dern vor allem auch eine konſequente Entſagung
hinſichtlich irgendwelcher Bewilligungen über die
Vorſchläge des Haushaltplanes hinaus zu üben.

Wenn es gelungen iſt, den zuſätzlichen Steuer-
bedarf auf 358 Millionen zu beſchränken, ſo iſt
die Vorausſetzung dafür die ſtärkere Inanſpruch-
nahme der Einnahmen aus der Reichspoſt ge-
weſen, die ein Mehr von 36 Millionen bringen
ſollen. Daneben mußten 120 Millionen von den
Länderüberweiſungen abgeſetzt
wer-
den, die im laufenden Jahre neuerdings den Vor-
anſchlag um etwa 170 Millionen Mark über-
ſteigen, ſo daß auch im nächſten Jahre die Län-
der praktiſch auf etwa dieſelben Zuweiſungen
vom Reich rechnen können wie bisher, während
andererſeits der unmögliche Zuſtand beſeitigt
wird, daß das Reich finanziell Not leidet, wäh-
rend die Einnahmen der Länder wachſen, als ob
es keine Reparationslaſt und keine inneren
Kriegslaſten gäbe. Der Reichsrat wird voraus-
ſichtlich Schwierigkeiten machen. Aber dann wäre
es ſchließlich Sache der Länder, dem Reich für
dieſe 120 Millionen andere Einnahmequellen zu
eröffnen, und über dieſen Punkt dürften ſie kaum
eine befriedigende Verſtändigung untereinander
finden.

Das Steuerbukett enthält als freundliche Gabe
für die Steuerzahler einen Verzicht auf die
Wiedererhebung der Vermögenszuwachsſteuer,
der allerdings angeſichts der wirtſchaftlichen und
ſteuerpolitiſchen Unmöglichkeit dieſes Pflänzleins
nicht ſchwer fallen konnte, und eine Senkung von
fünf Prozent für die mittleren Einkommen bis

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[0001] _ [Abbildung] Nr. 21 AZ am Abend 8-Uhr-Abendblatt Allgemeine Zeitung 132. Jahrgang München Freitag 25. Januar 1929 Druck und Verlag: Allgemeine Druckerei- und Verlags-Aktien- Geſellſchaft, München, Baaderſtraße 1a. / Redaktion: München, Baaderſtr. 1a. / Telephon: 25 784, 28 784 und 207819 / Poſtſcheckkonto München 9870 / Verantwortlich für den geſamten Inhalts Dr. Rolf Flügel. für Anzeigen M. Giriſch. ſämtliche in München [Abbildung] Die „AZ“ erſcheine an jed. Wochentag u. koſtet im Einzelverkauf 10 Pfg., im Abonnement i. München durch d. Träg. M. 2. - monatl. bzw. 50 Pfg. wöchentl., außerhalb Münchens u. durch d. Poſt M. 3.00 monatl. / Für D. Oeſterr. beträgt der Einzelpreis 20 Groſch., d. Abonnementpreis Sch. 4.-monatl./ Anzeigen- preis: Die neunſpaltige Millimeterzeile 15 Pfg., im Reklamenteil M. 0,80 An die 20 000 Münchner Skiläufer Lawinentod auch in den Vorbergen! Die Opfer des letzten Sonntags * Die Bergwacht warnt München, 25. Jan. Die Bergwacht teilt mit: Die am Sonntag, den 20. Januar, aufgetretene außergewöhnliche Lawinengefahr iſt dadurch ent- ſtanden, daß einige Tage vorher Neuſchnee bis zur Höhe von 40—50 Zentimeter gefallen war, der mit der verharſchten Unterlage keine Verbindung aufgenommen hatte. Dieſe Decke mußte an Steil- hängen, beſonders an den Nord- und Weſtſeiten, wo feinkörniger Pulverſchnee lag. beim An- ſchneiden durch eine Skiſpur zum Abgleiten kom- men. Das am Freitag auf Samstag eingetretene Tauwetter hatte die Lawinengefahr beſonders begünſtigt. Wie groß dieſe war, mag daraus hervorgehen, daß neben den gemeldeten Lawinen an der Hoch- riß, an der Ramboldplatte, Aplſpitze, Hohen Salve, am Schwarzenvogel und Grüneck, auch am Wildalmjoch und an der Dreitannenabfahrt vom Stümpfling Skiläufer, glücklicherweiſe ohne Schaden, von Lawinen erfaßt worden ſind. Auch in unſeren vielfach zu Unrecht als harmlos bezeichneten Vor- bergen lauert der weiße Tod. Die Opfer des 20. Januar ſollen eine Warnung ſein! Aus den traurigen Geſchehniſſen iſt die oft ge- kündete Lehre zu ziehen: bei unſicheren Schnee- verhältniſſen Steilhänge, Neigungen von 25 Grad ab nicht befahren, Touren mit nicht zu umgehenden Steilhängen unterlaſſen oder rechtzeitig ab- brechen! Wegen dieſer Vorſicht braucht bei der Vielgeſtaltigkeit unſerer Berge auch nicht ein Mann zu Hauſe zu bleiben. Sicheres Uebungs- gelände iſt überall zu finden. Noch etwas! Die Bergwacht veranſtaltete vor kurzem einen öffentlichen, jedermann frei zu- gänglichen Vortrag über „Die Lawinengefahr“. Das Vortragslokal war von etwa 1000 Perſonen beſetzt. In München gibt es, vorſichtig geſchätzt, etwa 20 000 Skiläufer. Wo waren die übrigen 19 000? Schneebericht vom 25. Januar Starke Neuſchneefälle. Die Schneeverhältniſſe ſind für die Ausübung des Winterſports weiter- hin als günſtig zu bezeichnen. Erhöhte Lawinen- gefahr. Wetterbericht Zeitweiſe noch weitere Schneefälle; Verſtärkung des Froſtes. Funkbericht einer schwierigen Rettungsaktion Die 32 Ueberlebenden der „Florida“ Anſteuerung des ſinkenden Schiffes mit Radiokompaß * Tau von Schiff zu Rettungsboot Neuyork, 25. Januar. Aſſociated Preß erhielt einen ausführlichen Funkbericht von Kapitän Fried, in dem die Schwierigkeiten geſchildert werden, die der Dampfer „America“ bei der Auffindung des in Seenot geratenen italieniſchen Dampfers „Florida“ bei Sturm und ſchwerer See zu überwinden hatte. Die „America“ hatte ſich ſchon vorher _ durch Schnee- und Hagelſtürme hindurchkämpfen müſſen und war infolge des Froſtes vollſtändig von Eis bedeckt. Dienstag mittag fing ſie die SOS-Rufe der „Florida“ auf, die eine Poſition angaben, die ſich etwa 350 Seemeilen nordöſtlich der „America“ befand. Während der Nacht hatten jedoch mehrere Dampfer, darunter der deutſche Dampfer „York“, die angegebene Poſition er- reicht, ohne die „Florida“ zu finden. Kapitän Fried verſuchte ſchließlich, die „Florida“ mit Hilfe des Radiokompaß-Richtungsfinders anzuſteuern, da die Poſitionsangaben des italieniſchen Damp- fers offenbar nicht zuverläſſig waren. Mittwoch nachmittag klärte ſich das Wetter auf. Der Ka- pitän der „Florida“ funkte, daß die geſamte Navigationsausrüſtung des Dampfers mit der Kommandobrücke zerſtört worden ſei. Er ver- ſuche, die Poſition mittels des Sextanten auszu- rechnen. Abends 6.30 Uhr wurde die „Florida“ 150 Meilen nordöſtlich der von ihr zuletzt angege- benen Poſition geſichtet. Ohne Radiokompaß wäre die Auffindung unmöglich geweſen. Die Mannſchaft der „Florida“ mußte ſich einzeln an einem Tau nach dem Rettungs- boot der „America“ hinarbeiten, die infolge der ſtarken Neigung der „Florida“ nur bis auf 50 Fuß an den Dampfer herankommen konnte. Von der Beſatzung der „Florida“ war einer am vergangenen Sonntag von einen Welle über Bord geſpült worden. Sechs Mann waren ſchwer ver- letzt und vier ernſtlich erkrankt. Die Rettung der Verletzten und Kranken geſtaltete ſich äußerſt ſchwierig. Nun ſtellte ſich auch heraus, weshalb die Poſi- tionsangaben des italieniſchen Kapitäns ſo un- genau waren. Infolge der ſtarken Neigung mußte der Kapitän der „Florida“ befürchten, daß der Dampfer kentern werde. Er ließ infolgedeſſen die Maſchinen langſam laufen, ſo daß ſich der Dampfer nur mit einer Stundengeſchwindigkeit von drei Seemeilen fortbewegte und ſeine Steuer- fähigkeit ſoweit einbüßte daß die Poſition nicht mehr genau errechnet werden konnte. Die „America“ wird mit den 32 Geretteten der „Florida“ vorausſichtlich erſt morgen nach- mittag in Neuyork eintreffen. Skiunfall im Wendelſteingebiet Braunenburg, 25. Jan. Eine Gruppe Münchener Skiläufer fuhr von der Rampold- platte im Wendelſteingebiet ab, als ſich an der Nordoſtſeite, wenige Meter unterhalb des Grales, ein ausgedehntes Schneebrett loslöſte, das von den fünf Skiläufern, die ſich an der Abbruchſtelle befanden, einen mit in die Tiefe riß. Auf der Schuhbräualm befindliche andere Skiläufer aus München konnten den Vorgang beobachten und ſofort zur Unfallſtelle eilen, wo inzwiſchen auch die Gefährten des Verſchütteten eingetroffen waren. Mit vereinten Kräften gelang die Ber- gung des glücklicherweiſe unverletzt gebliebenen Skifahrers, deſſen Rettung durch einen aus den Schneemaſſen herausragenden Skiſtock ſo raſch möglich war. Vierfacher Kindermord London, 25. Jan. In ſpäter Abendſtunde wur- den geſtern von der Polizei in einem Hauſe in Romford (Eſſex) vier Kinder mit durchſchnittenen Kehlen aufgefunden. Es handelt ſich um den Sohn und die Tochter, bezw. einen Neffen und eine Nichte eines pen- ſionierten Polizeibeamten, der ſeit der Bluttat verſchwunden iſt. Die ermordeten Kinder ſtanden im Alter von zweteinhalb bis ſechseinhalb Jahren. Der Goldmacher Tauſend. [Abbildung ein Klempner, der ein patentiertes Verfahren zur Gewinnung von Gold auf künſtlichem Wege zu beſitzen vorgab und gutgläubigen Geldgebern 2½ Millionen Mark abgeſchwindelt hat.] Der neue Reichshaushalts- vorſchlag und das neue Steuerbukett Von Dr. Cremer, M. d. R. Der geheimnisvolle Schleier, hinter dem ſich das Finanzminiſterium faſt drei Monate zurück- gezogen hatte, iſt gelüftet und die Haushaltsvor- ſchlag für 1929 nach langwierigen Beratungen des Reichskabinetts endlich dem Reichsrat zu- geleitet, der nunmehr innerhalb einer Einlaſſungs- friſt von drei Wochen die zur Erörterung geſtell- ten Probleme ſeinerſeits meiſtern ſoll. Die Schwierigkeit der Finanzlage des Reiches iſt ſeit Jahr und Tag immer wieder mit nüchternen Zahlen von berufener Seite belegt worden, aber noch vor Jahresfriſt war der Finanzminiſter Dr. Köhler Optimiſt genug, um ſich mit der Deckung ſeines letzten Haushaltsvorſchlages durch ein- malige, in Zukunft nicht mehr zu erwartende Einnahmen zu begnügen, ſo daß ſchon der vorige Haushalt ein Defizit von 300 Millionen Mark in dem Verhältnis zwiſchen laufenden Einnahmen und Ausgaben aufwies. Schon damals war ferner vorauszuſehen, daß die laufenden Aus- gaben 1929 ſich um einen weiteren Betrag von 312 Millionen Mark für die Reparationslaſt er- höhen würden. Es iſt daher ein Anlaß zur Ver- wunderung über das jetzt erſcheinende Defizit von 600 Millionen Mark nur für diejenigen ge- geben, die es bis zum letzten Augenblick be- quemer fanden, vor den offenkundigen Tatſachen ihre Augen zu verſchließen. Am wenigſten hat die Rechtspreſſe Veranlaſſung, ihre Hände in Un- ſchuld zu waſchen und die Rolle des unbeteiligten Zuſchauers oder des unbarmherzigen Kritikers zu ſpielen, da die Deutſchnationale Partei für die Finanzgebarung des vorigen und des laufenden Jahres keine geringere Verantwortung trägt, als die übrigen bürgerlichen Parteien, die mit ihr in der Regierung ſaßen. Es iſt eine Staatsnotwendigkeit, dieſes Defizit zu bereinigen, nicht nur mit Rückſicht auf den all- gemeinen Kredit des Reiches in der Welt, ſon- dern auch wegen der völligen Erſchöpfung aller Möglichkeiten, dem Reich im Inland Kredit zu verſchaffen oder auf irgendwelche Kaſſenbeſtände zurückzugreifen. Wenn es dem Reichsfinanz- miniſter, der hierin die Zuſtimmung des Reichs- kabinetts gefunden hat, gelungen iſt, das Defizit trotz Steigerung mancher Ausgabenpoſten gegen- über dem Vorjahr auf 358 Millionen zurückzu- führen, ſo ſollte man dieſer, von rückſichtsloſer Betätigung des Sparwillens zeugenden Maßregel die Anerkennung nicht verſagen, wenn auch da- mit noch keineswegs behauptet ſein ſoll, daß weitere Erſparnismöglichkeiten nicht mehr denk- bar ſeien. Es wird im Gegenteil die Aufgabe des Reichstags ſein, dem guten Beiſpiele der Regie- rung nicht nur durch Beſeitigung weiterer, nicht unbedingt notwendiger Ausgaben zu folgen, ſon- dern vor allem auch eine konſequente Entſagung hinſichtlich irgendwelcher Bewilligungen über die Vorſchläge des Haushaltplanes hinaus zu üben. Wenn es gelungen iſt, den zuſätzlichen Steuer- bedarf auf 358 Millionen zu beſchränken, ſo iſt die Vorausſetzung dafür die ſtärkere Inanſpruch- nahme der Einnahmen aus der Reichspoſt ge- weſen, die ein Mehr von 36 Millionen bringen ſollen. Daneben mußten 120 Millionen von den Länderüberweiſungen abgeſetzt wer- den, die im laufenden Jahre neuerdings den Vor- anſchlag um etwa 170 Millionen Mark über- ſteigen, ſo daß auch im nächſten Jahre die Län- der praktiſch auf etwa dieſelben Zuweiſungen vom Reich rechnen können wie bisher, während andererſeits der unmögliche Zuſtand beſeitigt wird, daß das Reich finanziell Not leidet, wäh- rend die Einnahmen der Länder wachſen, als ob es keine Reparationslaſt und keine inneren Kriegslaſten gäbe. Der Reichsrat wird voraus- ſichtlich Schwierigkeiten machen. Aber dann wäre es ſchließlich Sache der Länder, dem Reich für dieſe 120 Millionen andere Einnahmequellen zu eröffnen, und über dieſen Punkt dürften ſie kaum eine befriedigende Verſtändigung untereinander finden. Das Steuerbukett enthält als freundliche Gabe für die Steuerzahler einen Verzicht auf die Wiedererhebung der Vermögenszuwachsſteuer, der allerdings angeſichts der wirtſchaftlichen und ſteuerpolitiſchen Unmöglichkeit dieſes Pflänzleins nicht ſchwer fallen konnte, und eine Senkung von fünf Prozent für die mittleren Einkommen bis

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-01-02T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 25. Januar 1929, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine21_1929/1>, abgerufen am 21.11.2024.