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Allgemeine Zeitung, Nr. 22, 6. Juni 1920.

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Allgemeine Zeitung 6. Juni 1920


[Spaltenumbruch] Darlegungen Vitruvs über die Wasserzufuhr zu den Uhren unter
Ausnützung der durch Wiedemann und Hauser neu gewonnenen
Einblicke in entsprechende Einrichtungen im Bereiche des Jslam
untersucht und die Deutung einer bisher dunklen Stelle über die
Regelung der Stundenlängen vorgeschlagen. Das Uhrpostament
im Theater von Priene wird durch die neue Rekonstruktion der
Wasserzuleitung verständlich.

Herr Baeumker sprach über:

Petrus de Hibernia, den Jugendlehrer des Tho-
mas von Aquino, und seine Disputation vor
König Manfred
.

Es wurde Mitteilung gemacht von einer Handschrift der Am-
plonianischen Bibliothek zu Erfurt, die in einem bisher nicht be-
achteten Stücke über die an eine von König Manfred gestellte
naturphilosophische Frage sich anschließende Disputation berich-
tet, bei der ein Magister Petrus de Hibernia in längerer Rede
die Determination gibt. Dieser ist, wie dargetan wurde, identisch
mit dem bisher nur dem Namen nach bekannten hauptsächlichsten
Jugendlehrer des Thomas von Aquino an der Universität Neapel
in der Zeit, bevor letzterer Schüler von Albert dem Großen
wurde, auf den nunmehr, nachdem zwei andere Jdentifizierungs-
versuche sich als verfehlt herausstellten, unvermutet helles Licht
fällt. Das neu aufgefundene, seinem Gedankengang und seinen
Quellen nach analysierte Stück zeigt, daß Thomas Lehrer, ein
jüngerer Landsmann des Michael Scot, der neuen aristotelischen
Richtung angehört, die zuerst in den Kreisen der Artisten ihre
Ausbildung erfahren hat, und zwar nicht mehr der älteren, vor
allem an Hvicenna sich anschließenden Entwicklungsstufe, sondern
daß er bereits mit Averroes vertraut ist. Es wurde die Frage
erhoben, inwieweit vielleicht die von Petrus de Hibernia gege-
bene Anregung für Thomas bereits vor seinem Schülerverhält-
nis zu Albertus Magnus von förderndem Einfluß gewesen sein
und seine Abweichungen von Albert mitbestimmt haben kann.
Der Dortrag und die Disputation selbst werden in den Sitzungs-
berichten zum Abdruck gelangen.



Sächsische Akademie der Wissenschaften.

In der Sitzung der Philologisch-historischen Klasse vom
1. Mai hielt Herr Professor Murko, Nachfolger des Pro-
sessors Leskien auf dem Lehrstuhl für slavische Philologie an
der hiesigen Universität, einen Dortrag über die Bedeutung der
Reformation und Gegenreformation für das geistige Leben der
Südslaven. Die Reformation, die auch im Leben der meisten
slavischen Dölker eine wichtige Rolle spielt, brachte den
Slovenen überbaupt erst eine Literatur. Primus Truber be-
gründete diese 1550 als Flüchtling in Süddeutschland und fand
gelehrige Schüler in seiner Heimat. Die slovenischen Bücher
wurden auch bei den sprachlich so nahe verwandten Kroaten ver-
breitet. Ferner errichtete der ehemalige Landeshauptmann von
Steiermark Hans Ungnad Freiherr von Lonegg in Urach-
Tübingen noch eine Druckerei sowie die erste Bibel- und
Missionsanstalt in Deutschland (1560--1565), die durch serbo-
kroatische Drucke in glagolitischer, cyrillischer und lateinischer
Schrift außer den katholischen Kroaten noch die orthodoxen
Serben und Bulgaren und sogar die Türken bis Konstantinopel,
die ja zum großen Teil Slaven waren, für das Evangelium ge-
winnen wollten; sogar die türkische Frage hofften die süd-
slavischen Protestanten und ihre deutschen Beschützer auf diese
Weise zu lösen. Von dieser Tätigkeit ist nur die slovenische
Schriftsprache übriggeblieben, außerdem die slovenischen und
serbokroatischen Bücher, manchmal nur in einem Exemplar, die
für die Sprach- und Literaturgeschichte große Bedeutung haben.
Doch nahmen sich die Protestanten auch die Gegenreformation,
namentlich die von Rom aus geleitete, zum Muster und suchten
in ebenso großzügiger Weise alle Südslaven zu beeinflussen,
gingen aber dabei praktischer vor und erzielten deshalb viel
größere Erfolge. Namentlich zur Einbeit der Schriftsprache der
Serben und Kroaten wurde die Grundlage schon im 17. Jahr-
hundert von Jesuiten gelegt, die die am meisten verbreitete
Volkssprache lehren und schreiben wollten und keinen Anstoß
daran nahmen, daß sie überwiegend von Orthodoxen und
Muhammedanern gesprochen wurde. Die Literatur der Gegen-
reformation zählt Vertreter aus allen Landschaften, sogar drei
Bulgaren, auf. Der südslavische Staat, der durch den Weltkrieg
entstanden ist, erscheint sonach als Kettenglied einer Ent-
wicklung von Jahrhunderten.

Bücher-Anzeigen
Das deutsche Lied im Elsaß.
Eine Auswahl aus Werken elsässischer Dichter, herausgegeben
von Albert Haas. Bei Georg Müller, München.

Trotz allen Druckes, trotz aller Romanisierungsmittel --
Verkümmerung des deutschen Unterrichts in den Schulen usw. --
vergaß Elsaß-Lothringen in der jahrhundertelungen Franzosen-
herrschaft seine deutsche Muttersprache nicht. Jn seiner kurzen
Einleitung hebt Albert Haas hierzu einige bemerkenswerte Be-
[Spaltenumbruch] lege hervor. Wenn die Bewohner des Landes Verse schreiben,
wenn sie den innersten Gesühlen ihres Herzens Ausdruck geben
wollten, so taten sie es auf deutsch. "Offiziere in französischer
Uniform legten ihre Todesahnungen auf dem Wege nach
Sebastopol zur Zeit des Krimkrieges in deutschen Versen nieder.
Jn Afrika oder in der französischen Provinz als Lehrer ange-
stellte oder im Heeresdienste stehende Elsässer verfaßten im
stillen deutsche Verse. Und mitten im Treiben des Pariser
Lebens wurden von Elsässern geistliche Lieder auf deutsch ge-
schrieben, weil die Elsässer eben nur auf deutsch zu beten und zu
denken gewohnt waren." Man vergleiche hierzu die in der Samm-
lung mitgeteilten Gedichte von Theodor Parmentier, der als
Adjutant des Generals Niel die Feldzüge im Baltischen Meer
und in der Krim mitgemacht und später als Hauptmann in
Paris gelebt hat, von Eduard Halter, der den Feldzug 1870/71
als französischer Unteroffizier mitgemacht hatte und später in
die Dienste der Universitätsbibliothek Straßburg trat, von Georg
Daniel Hirtz, der 1870 als Hauptmann der französischen Armee
den Abschied nahm. -- Jm Jahre 1870, einige Monate vor Aus-
bruch des Krieges, wurde zu Mülhausen im Elsaß eine Zeitung
gegründet: "Der souveräne Wahlmann", sie erschien in deutscher
Sprache. Jn einer der ersten Nummern der Zeitschrift wird her-
vorgehoben, daß "die Mehrheit, und zwar die überwiegende
Mehrheit des elsässischen Volkes deutsch denkt, deutsch fühlt,
deutsch spricht, deutschen Religionsunterricht erhält, nach deutscher
Sitte leibt und lebt und die deutsche Sprache nicht vergessen
will". Bedeutsam sind auch die Ausführungen des Dichters Karl



[irrelevantes Material]

Allgemeine Zeitung 6. Juni 1920


[Spaltenumbruch] Darlegungen Vitruvs über die Waſſerzufuhr zu den Uhren unter
Ausnützung der durch Wiedemann und Hauſer neu gewonnenen
Einblicke in entſprechende Einrichtungen im Bereiche des Jslam
unterſucht und die Deutung einer bisher dunklen Stelle über die
Regelung der Stundenlängen vorgeſchlagen. Das Uhrpoſtament
im Theater von Priene wird durch die neue Rekonſtruktion der
Waſſerzuleitung verſtändlich.

Herr Baeumker ſprach über:

Petrus de Hibernia, den Jugendlehrer des Tho-
mas von Aquino, und ſeine Disputation vor
König Manfred
.

Es wurde Mitteilung gemacht von einer Handſchrift der Am-
plonianiſchen Bibliothek zu Erfurt, die in einem bisher nicht be-
achteten Stücke über die an eine von König Manfred geſtellte
naturphiloſophiſche Frage ſich anſchließende Disputation berich-
tet, bei der ein Magiſter Petrus de Hibernia in längerer Rede
die Determination gibt. Dieſer iſt, wie dargetan wurde, identiſch
mit dem bisher nur dem Namen nach bekannten hauptſächlichſten
Jugendlehrer des Thomas von Aquino an der Univerſität Neapel
in der Zeit, bevor letzterer Schüler von Albert dem Großen
wurde, auf den nunmehr, nachdem zwei andere Jdentifizierungs-
verſuche ſich als verfehlt herausſtellten, unvermutet helles Licht
fällt. Das neu aufgefundene, ſeinem Gedankengang und ſeinen
Quellen nach analyſierte Stück zeigt, daß Thomas Lehrer, ein
jüngerer Landsmann des Michael Scot, der neuen ariſtoteliſchen
Richtung angehört, die zuerſt in den Kreiſen der Artiſten ihre
Ausbildung erfahren hat, und zwar nicht mehr der älteren, vor
allem an Hvicenna ſich anſchließenden Entwicklungsſtufe, ſondern
daß er bereits mit Averroes vertraut iſt. Es wurde die Frage
erhoben, inwieweit vielleicht die von Petrus de Hibernia gege-
bene Anregung für Thomas bereits vor ſeinem Schülerverhält-
nis zu Albertus Magnus von förderndem Einfluß geweſen ſein
und ſeine Abweichungen von Albert mitbeſtimmt haben kann.
Der Dortrag und die Disputation ſelbſt werden in den Sitzungs-
berichten zum Abdruck gelangen.



Sächſiſche Akademie der Wiſſenſchaften.

In der Sitzung der Philologiſch-hiſtoriſchen Klaſſe vom
1. Mai hielt Herr Profeſſor Murko, Nachfolger des Pro-
ſeſſors Leskien auf dem Lehrſtuhl für ſlaviſche Philologie an
der hieſigen Univerſität, einen Dortrag über die Bedeutung der
Reformation und Gegenreformation für das geiſtige Leben der
Südſlaven. Die Reformation, die auch im Leben der meiſten
ſlaviſchen Dölker eine wichtige Rolle ſpielt, brachte den
Slovenen überbaupt erſt eine Literatur. Primus Truber be-
gründete dieſe 1550 als Flüchtling in Süddeutſchland und fand
gelehrige Schüler in ſeiner Heimat. Die ſloveniſchen Bücher
wurden auch bei den ſprachlich ſo nahe verwandten Kroaten ver-
breitet. Ferner errichtete der ehemalige Landeshauptmann von
Steiermark Hans Ungnad Freiherr von Lonegg in Urach-
Tübingen noch eine Druckerei ſowie die erſte Bibel- und
Miſſionsanſtalt in Deutſchland (1560—1565), die durch ſerbo-
kroatiſche Drucke in glagolitiſcher, cyrilliſcher und lateiniſcher
Schrift außer den katholiſchen Kroaten noch die orthodoxen
Serben und Bulgaren und ſogar die Türken bis Konſtantinopel,
die ja zum großen Teil Slaven waren, für das Evangelium ge-
winnen wollten; ſogar die türkiſche Frage hofften die ſüd-
ſlaviſchen Proteſtanten und ihre deutſchen Beſchützer auf dieſe
Weiſe zu löſen. Von dieſer Tätigkeit iſt nur die ſloveniſche
Schriftſprache übriggeblieben, außerdem die ſloveniſchen und
ſerbokroatiſchen Bücher, manchmal nur in einem Exemplar, die
für die Sprach- und Literaturgeſchichte große Bedeutung haben.
Doch nahmen ſich die Proteſtanten auch die Gegenreformation,
namentlich die von Rom aus geleitete, zum Muſter und ſuchten
in ebenſo großzügiger Weiſe alle Südſlaven zu beeinfluſſen,
gingen aber dabei praktiſcher vor und erzielten deshalb viel
größere Erfolge. Namentlich zur Einbeit der Schriftſprache der
Serben und Kroaten wurde die Grundlage ſchon im 17. Jahr-
hundert von Jeſuiten gelegt, die die am meiſten verbreitete
Volksſprache lehren und ſchreiben wollten und keinen Anſtoß
daran nahmen, daß ſie überwiegend von Orthodoxen und
Muhammedanern geſprochen wurde. Die Literatur der Gegen-
reformation zählt Vertreter aus allen Landſchaften, ſogar drei
Bulgaren, auf. Der ſüdſlaviſche Staat, der durch den Weltkrieg
entſtanden iſt, erſcheint ſonach als Kettenglied einer Ent-
wicklung von Jahrhunderten.

Bücher-Anzeigen
Das deutſche Lied im Elſaß.
Eine Auswahl aus Werken elſäſſiſcher Dichter, herausgegeben
von Albert Haas. Bei Georg Müller, München.

Trotz allen Druckes, trotz aller Romaniſierungsmittel —
Verkümmerung des deutſchen Unterrichts in den Schulen uſw. —
vergaß Elſaß-Lothringen in der jahrhundertelungen Franzoſen-
herrſchaft ſeine deutſche Mutterſprache nicht. Jn ſeiner kurzen
Einleitung hebt Albert Haas hierzu einige bemerkenswerte Be-
[Spaltenumbruch] lege hervor. Wenn die Bewohner des Landes Verſe ſchreiben,
wenn ſie den innerſten Geſühlen ihres Herzens Ausdruck geben
wollten, ſo taten ſie es auf deutſch. „Offiziere in franzöſiſcher
Uniform legten ihre Todesahnungen auf dem Wege nach
Sebaſtopol zur Zeit des Krimkrieges in deutſchen Verſen nieder.
Jn Afrika oder in der franzöſiſchen Provinz als Lehrer ange-
ſtellte oder im Heeresdienſte ſtehende Elſäſſer verfaßten im
ſtillen deutſche Verſe. Und mitten im Treiben des Pariſer
Lebens wurden von Elſäſſern geiſtliche Lieder auf deutſch ge-
ſchrieben, weil die Elſäſſer eben nur auf deutſch zu beten und zu
denken gewohnt waren.“ Man vergleiche hierzu die in der Samm-
lung mitgeteilten Gedichte von Theodor Parmentier, der als
Adjutant des Generals Niel die Feldzüge im Baltiſchen Meer
und in der Krim mitgemacht und ſpäter als Hauptmann in
Paris gelebt hat, von Eduard Halter, der den Feldzug 1870/71
als franzöſiſcher Unteroffizier mitgemacht hatte und ſpäter in
die Dienſte der Univerſitätsbibliothek Straßburg trat, von Georg
Daniel Hirtz, der 1870 als Hauptmann der franzöſiſchen Armee
den Abſchied nahm. — Jm Jahre 1870, einige Monate vor Aus-
bruch des Krieges, wurde zu Mülhauſen im Elſaß eine Zeitung
gegründet: „Der ſouveräne Wahlmann“, ſie erſchien in deutſcher
Sprache. Jn einer der erſten Nummern der Zeitſchrift wird her-
vorgehoben, daß „die Mehrheit, und zwar die überwiegende
Mehrheit des elſäſſiſchen Volkes deutſch denkt, deutſch fühlt,
deutſch ſpricht, deutſchen Religionsunterricht erhält, nach deutſcher
Sitte leibt und lebt und die deutſche Sprache nicht vergeſſen
will“. Bedeutſam ſind auch die Ausführungen des Dichters Karl



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[214/0008] Allgemeine Zeitung 6. Juni 1920 Darlegungen Vitruvs über die Waſſerzufuhr zu den Uhren unter Ausnützung der durch Wiedemann und Hauſer neu gewonnenen Einblicke in entſprechende Einrichtungen im Bereiche des Jslam unterſucht und die Deutung einer bisher dunklen Stelle über die Regelung der Stundenlängen vorgeſchlagen. Das Uhrpoſtament im Theater von Priene wird durch die neue Rekonſtruktion der Waſſerzuleitung verſtändlich. Herr Baeumker ſprach über: Petrus de Hibernia, den Jugendlehrer des Tho- mas von Aquino, und ſeine Disputation vor König Manfred. Es wurde Mitteilung gemacht von einer Handſchrift der Am- plonianiſchen Bibliothek zu Erfurt, die in einem bisher nicht be- achteten Stücke über die an eine von König Manfred geſtellte naturphiloſophiſche Frage ſich anſchließende Disputation berich- tet, bei der ein Magiſter Petrus de Hibernia in längerer Rede die Determination gibt. Dieſer iſt, wie dargetan wurde, identiſch mit dem bisher nur dem Namen nach bekannten hauptſächlichſten Jugendlehrer des Thomas von Aquino an der Univerſität Neapel in der Zeit, bevor letzterer Schüler von Albert dem Großen wurde, auf den nunmehr, nachdem zwei andere Jdentifizierungs- verſuche ſich als verfehlt herausſtellten, unvermutet helles Licht fällt. Das neu aufgefundene, ſeinem Gedankengang und ſeinen Quellen nach analyſierte Stück zeigt, daß Thomas Lehrer, ein jüngerer Landsmann des Michael Scot, der neuen ariſtoteliſchen Richtung angehört, die zuerſt in den Kreiſen der Artiſten ihre Ausbildung erfahren hat, und zwar nicht mehr der älteren, vor allem an Hvicenna ſich anſchließenden Entwicklungsſtufe, ſondern daß er bereits mit Averroes vertraut iſt. Es wurde die Frage erhoben, inwieweit vielleicht die von Petrus de Hibernia gege- bene Anregung für Thomas bereits vor ſeinem Schülerverhält- nis zu Albertus Magnus von förderndem Einfluß geweſen ſein und ſeine Abweichungen von Albert mitbeſtimmt haben kann. Der Dortrag und die Disputation ſelbſt werden in den Sitzungs- berichten zum Abdruck gelangen. Sächſiſche Akademie der Wiſſenſchaften. In der Sitzung der Philologiſch-hiſtoriſchen Klaſſe vom 1. Mai hielt Herr Profeſſor Murko, Nachfolger des Pro- ſeſſors Leskien auf dem Lehrſtuhl für ſlaviſche Philologie an der hieſigen Univerſität, einen Dortrag über die Bedeutung der Reformation und Gegenreformation für das geiſtige Leben der Südſlaven. Die Reformation, die auch im Leben der meiſten ſlaviſchen Dölker eine wichtige Rolle ſpielt, brachte den Slovenen überbaupt erſt eine Literatur. Primus Truber be- gründete dieſe 1550 als Flüchtling in Süddeutſchland und fand gelehrige Schüler in ſeiner Heimat. Die ſloveniſchen Bücher wurden auch bei den ſprachlich ſo nahe verwandten Kroaten ver- breitet. Ferner errichtete der ehemalige Landeshauptmann von Steiermark Hans Ungnad Freiherr von Lonegg in Urach- Tübingen noch eine Druckerei ſowie die erſte Bibel- und Miſſionsanſtalt in Deutſchland (1560—1565), die durch ſerbo- kroatiſche Drucke in glagolitiſcher, cyrilliſcher und lateiniſcher Schrift außer den katholiſchen Kroaten noch die orthodoxen Serben und Bulgaren und ſogar die Türken bis Konſtantinopel, die ja zum großen Teil Slaven waren, für das Evangelium ge- winnen wollten; ſogar die türkiſche Frage hofften die ſüd- ſlaviſchen Proteſtanten und ihre deutſchen Beſchützer auf dieſe Weiſe zu löſen. Von dieſer Tätigkeit iſt nur die ſloveniſche Schriftſprache übriggeblieben, außerdem die ſloveniſchen und ſerbokroatiſchen Bücher, manchmal nur in einem Exemplar, die für die Sprach- und Literaturgeſchichte große Bedeutung haben. Doch nahmen ſich die Proteſtanten auch die Gegenreformation, namentlich die von Rom aus geleitete, zum Muſter und ſuchten in ebenſo großzügiger Weiſe alle Südſlaven zu beeinfluſſen, gingen aber dabei praktiſcher vor und erzielten deshalb viel größere Erfolge. Namentlich zur Einbeit der Schriftſprache der Serben und Kroaten wurde die Grundlage ſchon im 17. Jahr- hundert von Jeſuiten gelegt, die die am meiſten verbreitete Volksſprache lehren und ſchreiben wollten und keinen Anſtoß daran nahmen, daß ſie überwiegend von Orthodoxen und Muhammedanern geſprochen wurde. Die Literatur der Gegen- reformation zählt Vertreter aus allen Landſchaften, ſogar drei Bulgaren, auf. Der ſüdſlaviſche Staat, der durch den Weltkrieg entſtanden iſt, erſcheint ſonach als Kettenglied einer Ent- wicklung von Jahrhunderten. Bücher-Anzeigen Das deutſche Lied im Elſaß. Eine Auswahl aus Werken elſäſſiſcher Dichter, herausgegeben von Albert Haas. Bei Georg Müller, München. Trotz allen Druckes, trotz aller Romaniſierungsmittel — Verkümmerung des deutſchen Unterrichts in den Schulen uſw. — vergaß Elſaß-Lothringen in der jahrhundertelungen Franzoſen- herrſchaft ſeine deutſche Mutterſprache nicht. Jn ſeiner kurzen Einleitung hebt Albert Haas hierzu einige bemerkenswerte Be- lege hervor. Wenn die Bewohner des Landes Verſe ſchreiben, wenn ſie den innerſten Geſühlen ihres Herzens Ausdruck geben wollten, ſo taten ſie es auf deutſch. „Offiziere in franzöſiſcher Uniform legten ihre Todesahnungen auf dem Wege nach Sebaſtopol zur Zeit des Krimkrieges in deutſchen Verſen nieder. Jn Afrika oder in der franzöſiſchen Provinz als Lehrer ange- ſtellte oder im Heeresdienſte ſtehende Elſäſſer verfaßten im ſtillen deutſche Verſe. Und mitten im Treiben des Pariſer Lebens wurden von Elſäſſern geiſtliche Lieder auf deutſch ge- ſchrieben, weil die Elſäſſer eben nur auf deutſch zu beten und zu denken gewohnt waren.“ Man vergleiche hierzu die in der Samm- lung mitgeteilten Gedichte von Theodor Parmentier, der als Adjutant des Generals Niel die Feldzüge im Baltiſchen Meer und in der Krim mitgemacht und ſpäter als Hauptmann in Paris gelebt hat, von Eduard Halter, der den Feldzug 1870/71 als franzöſiſcher Unteroffizier mitgemacht hatte und ſpäter in die Dienſte der Univerſitätsbibliothek Straßburg trat, von Georg Daniel Hirtz, der 1870 als Hauptmann der franzöſiſchen Armee den Abſchied nahm. — Jm Jahre 1870, einige Monate vor Aus- bruch des Krieges, wurde zu Mülhauſen im Elſaß eine Zeitung gegründet: „Der ſouveräne Wahlmann“, ſie erſchien in deutſcher Sprache. Jn einer der erſten Nummern der Zeitſchrift wird her- vorgehoben, daß „die Mehrheit, und zwar die überwiegende Mehrheit des elſäſſiſchen Volkes deutſch denkt, deutſch fühlt, deutſch ſpricht, deutſchen Religionsunterricht erhält, nach deutſcher Sitte leibt und lebt und die deutſche Sprache nicht vergeſſen will“. Bedeutſam ſind auch die Ausführungen des Dichters Karl _

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-24T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 22, 6. Juni 1920, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine22_1920/8>, abgerufen am 21.11.2024.