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Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 31. Januar 1850.

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[Spaltenumbruch] Gönner, Feuerbach, Sailer, Winter, theils durch Annahme von Be-
rufungen an ausländische Universitäten wie von Savigny, Mittermaier,
Hufeland, Tiedemann, schwand die Zahl der Celebritäten unter den Leh-
rern, und dieß war auch, wie aus Briefen von Schelling und Gönner zu
ersehen, das Motiv für Walther einen dritten Ruf an die neue rheinische
Universität in Bonn im Jahr 1819 endlich anzunehmen. Ein lichthunge-
riges Auge hat Wehe im Dunkeln. Auf Bonns neuentstehenden Glanz
gründete man, auch Walther, große Hoffnungen. Diese gingen ihm auch
aufs schönste in Erfüllung. Er fand nicht nur im Publicum, bei den
Studirenden, bei seinen Collegen, namentlich auch seiner Facultät reich-
liche Anerkennung seines Werthes, sondern auch, wie aus einer großen
Anzahl der schmeichelhaftesten Zuschriften von Seite der preußischen Re-
gierung zu entnehmen ist, bei dieser die verdiente ungeschmälerte Würdi-
gung und Werthschätzung seines segensreichen, vielseitigen Wirkens.
Was er in seinem Wirkungskreise für gut fand, war der königlichen Ge-
nehmigung im voraus gewiß; sobald es ins Leben getreten war, ver-
säumte es die Regierung nicht ihre dankbare Anerkennung auszusprechen.
Beweise dieser Anerkennung waren die Verleihung des rothen Adler-
Ordens, des Titels geheimen Medicinalrathes, damals eine besondere,
ungewöhnliche Auszeichnung. In dem freundschaftlichsten Verhältniß
lebte Walther dort mit Niebuhr und A. W. v. Schlegel, Mackeldey,
Brandis und Lücke, sowie auch mit Rehfues, Windischmann, Arndt, Har-
leß, Näcke, Heinrich, Nitzsch, Diesterweg und den Brüdern Welcker.
Niebuhr und Schlegel waren bekanntlich nicht sehr freundlich gegenein-
ander gefinnt; darin aber kamen beide überein daß sie Walthern mit
wärmster Freundschaft zugethan waren. Walther war in Bonn als
Freund geliebt und als Arzt gefeiert wie selten einer, und als er nach
schon mehrjähriger Abwesenheit von dort wieder nach Bonn kam, ward er
daselbst wie ein Landesfürst empfangen. Bei seinem Abgang (1830) war
die ganze Rheingegend darüber in Trauer. Hoch und Niedrig, die kön.
preußische Regierung, die Universität, die Bonner Bürgerschaft suchten
ihn auf jede Art von seinem Vorhaben abzubringen -- und er hatte in
München nicht selten Anlaß zu bereuen daß er nicht nachgegeben.
Seine Anhänglichkeit an Bayern, an die Ludovico-Maximilianea und
der Glanz derselben zu damaliger Zeit, sowie die Hoffnung auf Erweite-
rung seiner Wirksamkeit, hauptsächlich aber Rücksicht auf die Gesundheit
seiner theuern Gattin, welche vom Heimweh nach Bayern befallen, konn-
ten ihn bewegen seine in jeder Beziehung höchst angenehme, glänzende
Stellung in Bonn zu verlassen. Ein wesentliches Motiv hierzu war auch
der Wunsch mit seinem Jugendfreunde Schelling wieder zusammenleben
zu können, und er war tief betrübt als Schelling 1840 München verließ,
wie denn auch Schelling bei seinem Abgang äußerte: das schmerze ihn
bei seinem Scheiden am meisten daß er seinen theuern Freund Walther
verlassen müsse.

Walther, der in Landshut und dann in Bonn eine chirurgische und
Augenkranken-Klinik gegründet, welche unter seiner Leitung berühmt
geworden, ging mit der sanguinischen Hoffnung nach München, hier die
derartige Klinik, welche einen weiteren Maßstab zuließe, zu einer Muster-
anstalt zu machen. Allein verschiedenartig hemmende Elemente traten
Walthers Wünschen und Planen mehr oder weniger schroff, offen oder
versteckt entgegen. Walther erreichte daher selten, und dann nur halb
seinen Zweck. Das war auch der Grund daß er sich bewegen ließ sich
von der Klinik, der er immer die größte Vorliebe geschenkt, 1837, ob-
wohl schwersten Herzens, zu trennen. Walther hat im Operiren wohl
"das Seine geleistet", wie ein geehrter Hr.: Correspondent der Allgem.
Zeitung sich auszudrücken beliebte, allein vermöge seiner noch integren
körperlichen Fähigkeit hätte er sich damals nicht für benöthigt zu finden
gehabt "sich vom Operationstische zurückzuziehen." Er wollte dieß auch
nicht. Es ist wahr, es hat sich zu selbiger Zeit das beinahe allgemein
gewordene Gerücht verbreitet: Walther operire nicht mehr; es war eines
jener Mißverständnisse deren Ursprung und Verbreitung man nicht immer
den edelsten Triebfedern zu verdanken hat. Walther hat die Fähigkeit der
steten Ruhe seiner Hand bis ans Ende seines Lebens beibehalten. Noch
vor dem Tage des Eintritts des verhängnißvollen Schüttelfrostes führte
er, wie er täglich gewohnt, ein bis an den Rand vollgefülltes Glas vom
Tische mit ruhiger Hand bis zum Munde, ohne nur einen Tropfen zu
verschütten. In den letzten Jahren hat nur die Schärfe seiner Sehkraft
bei unbewaffnetem Auge in allernächster Nähe in etwas abgenommen.
Fernsichtig zu werden, ist aller Greise natürlich Loos.

Walthers viele und große Verdienste in Wort, Schrift und That
einzeln zu erwähnen, liegt nicht im Zweck dieser Zeilen und erlaubte es
der Raum nicht. Er besaß für einen Operateur die Eigenschaften welche
A. Cooper verlangt: the eagle's eye, the lady's hand, and the lion's
heart.
Von dem Celsus'schen Motto als Vorschrift bei Ausübung einer
Operation: Certe, cito, jucunde galt Walther das Certe, wie auch ge-
[Spaltenumbruch] mäß der Wortstellung Celsus es gemeint haben muß, als die Haupt-
sache. Der gerade und einfachste Weg war ihm derjenige den er allen
andern vorzog, und er liebte weder unnöthig combinirte Operationsme-
thoden noch complicirte Instrumente. Die Vernunft lehrte ihn einfach
denken und handeln; und es war nicht selten daß Gelehrte und Unge-
lehrte staunten ob der Einfachheit die in seiner Lösung schwieriger und
dunkler Fragen gelegen. Sein Lehrvortrag war klar, vielfach erläuternd,
blühend, wahr -- von großer Eleganz seine Rede -- seine Schreib-
art die schönste sämmtlicher medicinischen Autoren. Seine Werke sind
classisch.

In allem gründlich zu Hause war Walther eine Goethe'sche Natur,
wahr durch und durch, Wahrheit in allem was er sprach und that. Hatte
er auch nicht immer das Herz auf der Zunge, war er schweigsam, zurück-
gezogen und verschlossen, so kam -- das kann jeder der ihn kannte be-
zeugen -- kein unwahres Wort je aus seinem Munde, und er war der
größte Feind der Lüge. Zwangen ihn Kranke oder deren Umgebungen
sein gutgemeintes Schweigen zu brechen, so erfuhren sie von ihm die
wenn auch manchmal trostlose Wahrheit ihres Zustandes. Diese Cha-
raktereigenschaft war es auch welche bei vielen seiner Clienten oft Miß-
behagen hervorrief. Wer ihn einmal kannte, hatte ihn lieb, Kind und
Greis, er konnte sehr gemüthlich, unterhaltend seyn, und was er sagte
galt als heiliger Befehl, denn es war Wahrheit. Betrübende Ereignisse,
gleichviel ob speciell ihn treffende oder allgemeine, gingen ihm sehr und
tief zu Herzen -- beugen ließ er sich nicht von ihnen. Als College ging
er allen Aerzten als Muster vor, er war collegialisch im reinsten Sinne,
und gegen jüngere, ja ganz junge Collegen so artig und nachsichtsvoll daß
solche nicht selten darüber verlegen geworden. Obwohl leicht verletzt, setzte er
seinen Gegnern Verzeihung und Vergessen erlittener Ungebühr entgegen. Er
ahnte nie Intrigue, und war unfähig solche zu spinnen; er wirkte versöhnend
und wurde manchmal als Vermittler gebraucht. Stets war er Förderer
wissenschaftlichen Strebens, der erste Kämpfer für das Princip der Wis-
senschaft, und stand immer in den Schranken für die Freiheit derselben.
Neuen wichtigen Erfindungen in der Heilkunst immerhin hold, ward er
gerne Protector derselben. Die Blasensteinzertrümmerung nach Deutsch-
land zu verpflanzen, Frankreich den Alleinbesitz derselben zu entreißen,
und seinen Landsleuten, wenn sie an Blasenstein leiden, die neuerfundene,
wohlthätige und hülfreiche Kunst zugänglich zu machen, war seit einer
Reihe von Jahren und blieb bis an sein Ende ihm eine wahre Angelegen-
heit. "Ich rechne dieß," sagt er in seiner letzten, kurz vor seinem Erkran-
ken begonnenen, noch unvollendet auf seinem Schreibtische gelegenen, mo-
nographischen Abhandlung über Lithotritie, "zu den Aufgaben welche ich
in dem noch übrigen kurzen Reste meiner Lebensjahre zur Förderung der
Wissenschaft und zum Nutzen meines Landes, ehe ich mein mühsames Tag-
werk schließe, gerne lösen möchte."

Der Tod ereilte ihn und ließ ihn nicht mehr die Früchte seiner Saat
genießen, die darin bestand daß er jüngere Aerzte, welche in der operati-
ven Kunst einige Fortschritte gemacht, ermuthigte, und es ihnen möglich
zu machen suchte in Paris diese Kunst sich anzueignen. In ihm verliert
der mit ächtem wissenschaftlichem Eifer begabte junge bayerische Arzt sei-
nen vorzüglichen Schützer und Protector, der Obermedicinalausschuß sei-
nen gediegensten Arbeiter und seine Triebfeder für vernünfrige Reform,
die medicinische Facultät in München ihren Senior und -- Superior, die
Universität ihre glänzendste Zierde, die Akademie der Wissenschaften ihr
berühmtestes Mitglied von mehr als europäischem Ruf.



Griepenkerls Robespierre auf der Bühne.

Nachdem ich vor Monaten bloß ein
Bruchstück des Griepenkerlschen Trauerspiels vorlesen hörte, wohnte ich
gestern der zweiten Vorstellung desselben bei. Die Urtheile welche ich über
die erste Aufführung des Robespierre gehört hatte, waren so sehr von ein-
ander abweichend, und überdieß größtentheils ihrer selbst so wenig gewiß,
daß ich zwar mit einer ziemlich lebhaften Neugier, aber ohne große Er-
wartungen, und ohne alle vorgefaßte Meinung in das Schauspielhaus
ging. Ich wußte aus der erwähnten Vorlesung daß der Robespierre große
Züge enthalte; war er aber ein fertiges Kunstwerk, war er der Bühne
gewachsen -- darüber hatte ich mir mein Urtheil erst zu bilden. Kurz,
mein Auge und Ohr waren zwar unvorbereitet, aber eben deßhalb auch
unbefangen, und ich bin nach dieser doppelten Voraussetzung um so mehr
überzeugt von der Aechtheit der empfangenen Eindrücke, je mächtiger und
je schärfer ausgeprägt dieselben sind.

Das Stück beginnt mit dem Zerfall Dantons und Robespierre's, und
endigt mit dem 9ten Thermidor. Die Handlung desselben -- ich suche
vergebens nach dem bestimmenden, anschaulich machenden Wort, und je
mehr ich suche destomehr überzeuge ich mich daß mir das Wort fehlt, weil

[Spaltenumbruch] Gönner, Feuerbach, Sailer, Winter, theils durch Annahme von Be-
rufungen an ausländiſche Univerſitäten wie von Savigny, Mittermaier,
Hufeland, Tiedemann, ſchwand die Zahl der Celebritäten unter den Leh-
rern, und dieß war auch, wie aus Briefen von Schelling und Gönner zu
erſehen, das Motiv für Walther einen dritten Ruf an die neue rheiniſche
Univerſität in Bonn im Jahr 1819 endlich anzunehmen. Ein lichthunge-
riges Auge hat Wehe im Dunkeln. Auf Bonns neuentſtehenden Glanz
gründete man, auch Walther, große Hoffnungen. Dieſe gingen ihm auch
aufs ſchönſte in Erfüllung. Er fand nicht nur im Publicum, bei den
Studirenden, bei ſeinen Collegen, namentlich auch ſeiner Facultät reich-
liche Anerkennung ſeines Werthes, ſondern auch, wie aus einer großen
Anzahl der ſchmeichelhafteſten Zuſchriften von Seite der preußiſchen Re-
gierung zu entnehmen iſt, bei dieſer die verdiente ungeſchmälerte Würdi-
gung und Werthſchätzung ſeines ſegensreichen, vielſeitigen Wirkens.
Was er in ſeinem Wirkungskreiſe für gut fand, war der königlichen Ge-
nehmigung im voraus gewiß; ſobald es ins Leben getreten war, ver-
ſäumte es die Regierung nicht ihre dankbare Anerkennung auszuſprechen.
Beweiſe dieſer Anerkennung waren die Verleihung des rothen Adler-
Ordens, des Titels geheimen Medicinalrathes, damals eine beſondere,
ungewöhnliche Auszeichnung. In dem freundſchaftlichſten Verhältniß
lebte Walther dort mit Niebuhr und A. W. v. Schlegel, Mackeldey,
Brandis und Lücke, ſowie auch mit Rehfues, Windiſchmann, Arndt, Har-
leß, Näcke, Heinrich, Nitzſch, Dieſterweg und den Brüdern Welcker.
Niebuhr und Schlegel waren bekanntlich nicht ſehr freundlich gegenein-
ander gefinnt; darin aber kamen beide überein daß ſie Walthern mit
wärmſter Freundſchaft zugethan waren. Walther war in Bonn als
Freund geliebt und als Arzt gefeiert wie ſelten einer, und als er nach
ſchon mehrjähriger Abweſenheit von dort wieder nach Bonn kam, ward er
daſelbſt wie ein Landesfürſt empfangen. Bei ſeinem Abgang (1830) war
die ganze Rheingegend darüber in Trauer. Hoch und Niedrig, die kön.
preußiſche Regierung, die Univerſität, die Bonner Bürgerſchaft ſuchten
ihn auf jede Art von ſeinem Vorhaben abzubringen — und er hatte in
München nicht ſelten Anlaß zu bereuen daß er nicht nachgegeben.
Seine Anhänglichkeit an Bayern, an die Ludovico-Maximilianea und
der Glanz derſelben zu damaliger Zeit, ſowie die Hoffnung auf Erweite-
rung ſeiner Wirkſamkeit, hauptſächlich aber Rückſicht auf die Geſundheit
ſeiner theuern Gattin, welche vom Heimweh nach Bayern befallen, konn-
ten ihn bewegen ſeine in jeder Beziehung höchſt angenehme, glänzende
Stellung in Bonn zu verlaſſen. Ein weſentliches Motiv hierzu war auch
der Wunſch mit ſeinem Jugendfreunde Schelling wieder zuſammenleben
zu können, und er war tief betrübt als Schelling 1840 München verließ,
wie denn auch Schelling bei ſeinem Abgang äußerte: das ſchmerze ihn
bei ſeinem Scheiden am meiſten daß er ſeinen theuern Freund Walther
verlaſſen müſſe.

Walther, der in Landshut und dann in Bonn eine chirurgiſche und
Augenkranken-Klinik gegründet, welche unter ſeiner Leitung berühmt
geworden, ging mit der ſanguiniſchen Hoffnung nach München, hier die
derartige Klinik, welche einen weiteren Maßſtab zuließe, zu einer Muſter-
anſtalt zu machen. Allein verſchiedenartig hemmende Elemente traten
Walthers Wünſchen und Planen mehr oder weniger ſchroff, offen oder
verſteckt entgegen. Walther erreichte daher ſelten, und dann nur halb
ſeinen Zweck. Das war auch der Grund daß er ſich bewegen ließ ſich
von der Klinik, der er immer die größte Vorliebe geſchenkt, 1837, ob-
wohl ſchwerſten Herzens, zu trennen. Walther hat im Operiren wohl
„das Seine geleiſtet“, wie ein geehrter Hr.: Correſpondent der Allgem.
Zeitung ſich auszudrücken beliebte, allein vermöge ſeiner noch integren
körperlichen Fähigkeit hätte er ſich damals nicht für benöthigt zu finden
gehabt „ſich vom Operationstiſche zurückzuziehen.“ Er wollte dieß auch
nicht. Es iſt wahr, es hat ſich zu ſelbiger Zeit das beinahe allgemein
gewordene Gerücht verbreitet: Walther operire nicht mehr; es war eines
jener Mißverſtändniſſe deren Urſprung und Verbreitung man nicht immer
den edelſten Triebfedern zu verdanken hat. Walther hat die Fähigkeit der
ſteten Ruhe ſeiner Hand bis ans Ende ſeines Lebens beibehalten. Noch
vor dem Tage des Eintritts des verhängnißvollen Schüttelfroſtes führte
er, wie er täglich gewohnt, ein bis an den Rand vollgefülltes Glas vom
Tiſche mit ruhiger Hand bis zum Munde, ohne nur einen Tropfen zu
verſchütten. In den letzten Jahren hat nur die Schärfe ſeiner Sehkraft
bei unbewaffnetem Auge in allernächſter Nähe in etwas abgenommen.
Fernſichtig zu werden, iſt aller Greiſe natürlich Loos.

Walthers viele und große Verdienſte in Wort, Schrift und That
einzeln zu erwähnen, liegt nicht im Zweck dieſer Zeilen und erlaubte es
der Raum nicht. Er beſaß für einen Operateur die Eigenſchaften welche
A. Cooper verlangt: the eagle’s eye, the lady’s hand, and the lion’s
heart.
Von dem Celſus’ſchen Motto als Vorſchrift bei Ausübung einer
Operation: Certe, cito, jucunde galt Walther das Certe, wie auch ge-
[Spaltenumbruch] mäß der Wortſtellung Celſus es gemeint haben muß, als die Haupt-
ſache. Der gerade und einfachſte Weg war ihm derjenige den er allen
andern vorzog, und er liebte weder unnöthig combinirte Operationsme-
thoden noch complicirte Inſtrumente. Die Vernunft lehrte ihn einfach
denken und handeln; und es war nicht ſelten daß Gelehrte und Unge-
lehrte ſtaunten ob der Einfachheit die in ſeiner Löſung ſchwieriger und
dunkler Fragen gelegen. Sein Lehrvortrag war klar, vielfach erläuternd,
blühend, wahr — von großer Eleganz ſeine Rede — ſeine Schreib-
art die ſchönſte ſämmtlicher mediciniſchen Autoren. Seine Werke ſind
claſſiſch.

In allem gründlich zu Hauſe war Walther eine Goethe’ſche Natur,
wahr durch und durch, Wahrheit in allem was er ſprach und that. Hatte
er auch nicht immer das Herz auf der Zunge, war er ſchweigſam, zurück-
gezogen und verſchloſſen, ſo kam — das kann jeder der ihn kannte be-
zeugen — kein unwahres Wort je aus ſeinem Munde, und er war der
größte Feind der Lüge. Zwangen ihn Kranke oder deren Umgebungen
ſein gutgemeintes Schweigen zu brechen, ſo erfuhren ſie von ihm die
wenn auch manchmal troſtloſe Wahrheit ihres Zuſtandes. Dieſe Cha-
raktereigenſchaft war es auch welche bei vielen ſeiner Clienten oft Miß-
behagen hervorrief. Wer ihn einmal kannte, hatte ihn lieb, Kind und
Greis, er konnte ſehr gemüthlich, unterhaltend ſeyn, und was er ſagte
galt als heiliger Befehl, denn es war Wahrheit. Betrübende Ereigniſſe,
gleichviel ob ſpeciell ihn treffende oder allgemeine, gingen ihm ſehr und
tief zu Herzen — beugen ließ er ſich nicht von ihnen. Als College ging
er allen Aerzten als Muſter vor, er war collegialiſch im reinſten Sinne,
und gegen jüngere, ja ganz junge Collegen ſo artig und nachſichtsvoll daß
ſolche nicht ſelten darüber verlegen geworden. Obwohl leicht verletzt, ſetzte er
ſeinen Gegnern Verzeihung und Vergeſſen erlittener Ungebühr entgegen. Er
ahnte nie Intrigue, und war unfähig ſolche zu ſpinnen; er wirkte verſöhnend
und wurde manchmal als Vermittler gebraucht. Stets war er Förderer
wiſſenſchaftlichen Strebens, der erſte Kämpfer für das Princip der Wiſ-
ſenſchaft, und ſtand immer in den Schranken für die Freiheit derſelben.
Neuen wichtigen Erfindungen in der Heilkunſt immerhin hold, ward er
gerne Protector derſelben. Die Blaſenſteinzertrümmerung nach Deutſch-
land zu verpflanzen, Frankreich den Alleinbeſitz derſelben zu entreißen,
und ſeinen Landsleuten, wenn ſie an Blaſenſtein leiden, die neuerfundene,
wohlthätige und hülfreiche Kunſt zugänglich zu machen, war ſeit einer
Reihe von Jahren und blieb bis an ſein Ende ihm eine wahre Angelegen-
heit. „Ich rechne dieß,“ ſagt er in ſeiner letzten, kurz vor ſeinem Erkran-
ken begonnenen, noch unvollendet auf ſeinem Schreibtiſche gelegenen, mo-
nographiſchen Abhandlung über Lithotritie, „zu den Aufgaben welche ich
in dem noch übrigen kurzen Reſte meiner Lebensjahre zur Förderung der
Wiſſenſchaft und zum Nutzen meines Landes, ehe ich mein mühſames Tag-
werk ſchließe, gerne löſen möchte.“

Der Tod ereilte ihn und ließ ihn nicht mehr die Früchte ſeiner Saat
genießen, die darin beſtand daß er jüngere Aerzte, welche in der operati-
ven Kunſt einige Fortſchritte gemacht, ermuthigte, und es ihnen möglich
zu machen ſuchte in Paris dieſe Kunſt ſich anzueignen. In ihm verliert
der mit ächtem wiſſenſchaftlichem Eifer begabte junge bayeriſche Arzt ſei-
nen vorzüglichen Schützer und Protector, der Obermedicinalausſchuß ſei-
nen gediegenſten Arbeiter und ſeine Triebfeder für vernünfrige Reform,
die mediciniſche Facultät in München ihren Senior und — Superior, die
Univerſität ihre glänzendſte Zierde, die Akademie der Wiſſenſchaften ihr
berühmteſtes Mitglied von mehr als europäiſchem Ruf.



Griepenkerls Robespierre auf der Bühne.

Nachdem ich vor Monaten bloß ein
Bruchſtück des Griepenkerlſchen Trauerſpiels vorleſen hörte, wohnte ich
geſtern der zweiten Vorſtellung desſelben bei. Die Urtheile welche ich über
die erſte Aufführung des Robespierre gehört hatte, waren ſo ſehr von ein-
ander abweichend, und überdieß größtentheils ihrer ſelbſt ſo wenig gewiß,
daß ich zwar mit einer ziemlich lebhaften Neugier, aber ohne große Er-
wartungen, und ohne alle vorgefaßte Meinung in das Schauſpielhaus
ging. Ich wußte aus der erwähnten Vorleſung daß der Robespierre große
Züge enthalte; war er aber ein fertiges Kunſtwerk, war er der Bühne
gewachſen — darüber hatte ich mir mein Urtheil erſt zu bilden. Kurz,
mein Auge und Ohr waren zwar unvorbereitet, aber eben deßhalb auch
unbefangen, und ich bin nach dieſer doppelten Vorausſetzung um ſo mehr
überzeugt von der Aechtheit der empfangenen Eindrücke, je mächtiger und
je ſchärfer ausgeprägt dieſelben ſind.

Das Stück beginnt mit dem Zerfall Dantons und Robespierre’s, und
endigt mit dem 9ten Thermidor. Die Handlung desſelben — ich ſuche
vergebens nach dem beſtimmenden, anſchaulich machenden Wort, und je
mehr ich ſuche deſtomehr überzeuge ich mich daß mir das Wort fehlt, weil

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[490/0010] Gönner, Feuerbach, Sailer, Winter, theils durch Annahme von Be- rufungen an ausländiſche Univerſitäten wie von Savigny, Mittermaier, Hufeland, Tiedemann, ſchwand die Zahl der Celebritäten unter den Leh- rern, und dieß war auch, wie aus Briefen von Schelling und Gönner zu erſehen, das Motiv für Walther einen dritten Ruf an die neue rheiniſche Univerſität in Bonn im Jahr 1819 endlich anzunehmen. Ein lichthunge- riges Auge hat Wehe im Dunkeln. Auf Bonns neuentſtehenden Glanz gründete man, auch Walther, große Hoffnungen. Dieſe gingen ihm auch aufs ſchönſte in Erfüllung. Er fand nicht nur im Publicum, bei den Studirenden, bei ſeinen Collegen, namentlich auch ſeiner Facultät reich- liche Anerkennung ſeines Werthes, ſondern auch, wie aus einer großen Anzahl der ſchmeichelhafteſten Zuſchriften von Seite der preußiſchen Re- gierung zu entnehmen iſt, bei dieſer die verdiente ungeſchmälerte Würdi- gung und Werthſchätzung ſeines ſegensreichen, vielſeitigen Wirkens. Was er in ſeinem Wirkungskreiſe für gut fand, war der königlichen Ge- nehmigung im voraus gewiß; ſobald es ins Leben getreten war, ver- ſäumte es die Regierung nicht ihre dankbare Anerkennung auszuſprechen. Beweiſe dieſer Anerkennung waren die Verleihung des rothen Adler- Ordens, des Titels geheimen Medicinalrathes, damals eine beſondere, ungewöhnliche Auszeichnung. In dem freundſchaftlichſten Verhältniß lebte Walther dort mit Niebuhr und A. W. v. Schlegel, Mackeldey, Brandis und Lücke, ſowie auch mit Rehfues, Windiſchmann, Arndt, Har- leß, Näcke, Heinrich, Nitzſch, Dieſterweg und den Brüdern Welcker. Niebuhr und Schlegel waren bekanntlich nicht ſehr freundlich gegenein- ander gefinnt; darin aber kamen beide überein daß ſie Walthern mit wärmſter Freundſchaft zugethan waren. Walther war in Bonn als Freund geliebt und als Arzt gefeiert wie ſelten einer, und als er nach ſchon mehrjähriger Abweſenheit von dort wieder nach Bonn kam, ward er daſelbſt wie ein Landesfürſt empfangen. Bei ſeinem Abgang (1830) war die ganze Rheingegend darüber in Trauer. Hoch und Niedrig, die kön. preußiſche Regierung, die Univerſität, die Bonner Bürgerſchaft ſuchten ihn auf jede Art von ſeinem Vorhaben abzubringen — und er hatte in München nicht ſelten Anlaß zu bereuen daß er nicht nachgegeben. Seine Anhänglichkeit an Bayern, an die Ludovico-Maximilianea und der Glanz derſelben zu damaliger Zeit, ſowie die Hoffnung auf Erweite- rung ſeiner Wirkſamkeit, hauptſächlich aber Rückſicht auf die Geſundheit ſeiner theuern Gattin, welche vom Heimweh nach Bayern befallen, konn- ten ihn bewegen ſeine in jeder Beziehung höchſt angenehme, glänzende Stellung in Bonn zu verlaſſen. Ein weſentliches Motiv hierzu war auch der Wunſch mit ſeinem Jugendfreunde Schelling wieder zuſammenleben zu können, und er war tief betrübt als Schelling 1840 München verließ, wie denn auch Schelling bei ſeinem Abgang äußerte: das ſchmerze ihn bei ſeinem Scheiden am meiſten daß er ſeinen theuern Freund Walther verlaſſen müſſe. Walther, der in Landshut und dann in Bonn eine chirurgiſche und Augenkranken-Klinik gegründet, welche unter ſeiner Leitung berühmt geworden, ging mit der ſanguiniſchen Hoffnung nach München, hier die derartige Klinik, welche einen weiteren Maßſtab zuließe, zu einer Muſter- anſtalt zu machen. Allein verſchiedenartig hemmende Elemente traten Walthers Wünſchen und Planen mehr oder weniger ſchroff, offen oder verſteckt entgegen. Walther erreichte daher ſelten, und dann nur halb ſeinen Zweck. Das war auch der Grund daß er ſich bewegen ließ ſich von der Klinik, der er immer die größte Vorliebe geſchenkt, 1837, ob- wohl ſchwerſten Herzens, zu trennen. Walther hat im Operiren wohl „das Seine geleiſtet“, wie ein geehrter Hr.: Correſpondent der Allgem. Zeitung ſich auszudrücken beliebte, allein vermöge ſeiner noch integren körperlichen Fähigkeit hätte er ſich damals nicht für benöthigt zu finden gehabt „ſich vom Operationstiſche zurückzuziehen.“ Er wollte dieß auch nicht. Es iſt wahr, es hat ſich zu ſelbiger Zeit das beinahe allgemein gewordene Gerücht verbreitet: Walther operire nicht mehr; es war eines jener Mißverſtändniſſe deren Urſprung und Verbreitung man nicht immer den edelſten Triebfedern zu verdanken hat. Walther hat die Fähigkeit der ſteten Ruhe ſeiner Hand bis ans Ende ſeines Lebens beibehalten. Noch vor dem Tage des Eintritts des verhängnißvollen Schüttelfroſtes führte er, wie er täglich gewohnt, ein bis an den Rand vollgefülltes Glas vom Tiſche mit ruhiger Hand bis zum Munde, ohne nur einen Tropfen zu verſchütten. In den letzten Jahren hat nur die Schärfe ſeiner Sehkraft bei unbewaffnetem Auge in allernächſter Nähe in etwas abgenommen. Fernſichtig zu werden, iſt aller Greiſe natürlich Loos. Walthers viele und große Verdienſte in Wort, Schrift und That einzeln zu erwähnen, liegt nicht im Zweck dieſer Zeilen und erlaubte es der Raum nicht. Er beſaß für einen Operateur die Eigenſchaften welche A. Cooper verlangt: the eagle’s eye, the lady’s hand, and the lion’s heart. Von dem Celſus’ſchen Motto als Vorſchrift bei Ausübung einer Operation: Certe, cito, jucunde galt Walther das Certe, wie auch ge- mäß der Wortſtellung Celſus es gemeint haben muß, als die Haupt- ſache. Der gerade und einfachſte Weg war ihm derjenige den er allen andern vorzog, und er liebte weder unnöthig combinirte Operationsme- thoden noch complicirte Inſtrumente. Die Vernunft lehrte ihn einfach denken und handeln; und es war nicht ſelten daß Gelehrte und Unge- lehrte ſtaunten ob der Einfachheit die in ſeiner Löſung ſchwieriger und dunkler Fragen gelegen. Sein Lehrvortrag war klar, vielfach erläuternd, blühend, wahr — von großer Eleganz ſeine Rede — ſeine Schreib- art die ſchönſte ſämmtlicher mediciniſchen Autoren. Seine Werke ſind claſſiſch. In allem gründlich zu Hauſe war Walther eine Goethe’ſche Natur, wahr durch und durch, Wahrheit in allem was er ſprach und that. Hatte er auch nicht immer das Herz auf der Zunge, war er ſchweigſam, zurück- gezogen und verſchloſſen, ſo kam — das kann jeder der ihn kannte be- zeugen — kein unwahres Wort je aus ſeinem Munde, und er war der größte Feind der Lüge. Zwangen ihn Kranke oder deren Umgebungen ſein gutgemeintes Schweigen zu brechen, ſo erfuhren ſie von ihm die wenn auch manchmal troſtloſe Wahrheit ihres Zuſtandes. Dieſe Cha- raktereigenſchaft war es auch welche bei vielen ſeiner Clienten oft Miß- behagen hervorrief. Wer ihn einmal kannte, hatte ihn lieb, Kind und Greis, er konnte ſehr gemüthlich, unterhaltend ſeyn, und was er ſagte galt als heiliger Befehl, denn es war Wahrheit. Betrübende Ereigniſſe, gleichviel ob ſpeciell ihn treffende oder allgemeine, gingen ihm ſehr und tief zu Herzen — beugen ließ er ſich nicht von ihnen. Als College ging er allen Aerzten als Muſter vor, er war collegialiſch im reinſten Sinne, und gegen jüngere, ja ganz junge Collegen ſo artig und nachſichtsvoll daß ſolche nicht ſelten darüber verlegen geworden. Obwohl leicht verletzt, ſetzte er ſeinen Gegnern Verzeihung und Vergeſſen erlittener Ungebühr entgegen. Er ahnte nie Intrigue, und war unfähig ſolche zu ſpinnen; er wirkte verſöhnend und wurde manchmal als Vermittler gebraucht. Stets war er Förderer wiſſenſchaftlichen Strebens, der erſte Kämpfer für das Princip der Wiſ- ſenſchaft, und ſtand immer in den Schranken für die Freiheit derſelben. Neuen wichtigen Erfindungen in der Heilkunſt immerhin hold, ward er gerne Protector derſelben. 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Ich wußte aus der erwähnten Vorleſung daß der Robespierre große Züge enthalte; war er aber ein fertiges Kunſtwerk, war er der Bühne gewachſen — darüber hatte ich mir mein Urtheil erſt zu bilden. Kurz, mein Auge und Ohr waren zwar unvorbereitet, aber eben deßhalb auch unbefangen, und ich bin nach dieſer doppelten Vorausſetzung um ſo mehr überzeugt von der Aechtheit der empfangenen Eindrücke, je mächtiger und je ſchärfer ausgeprägt dieſelben ſind. Das Stück beginnt mit dem Zerfall Dantons und Robespierre’s, und endigt mit dem 9ten Thermidor. Die Handlung desſelben — ich ſuche vergebens nach dem beſtimmenden, anſchaulich machenden Wort, und je mehr ich ſuche deſtomehr überzeuge ich mich daß mir das Wort fehlt, weil

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 31. Januar 1850, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine31_1850/10>, abgerufen am 21.11.2024.