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Allgemeine Zeitung, Nr. 345, 13. Dezember 1890.

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München, Samstag Allgemeine Zeitung 13. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 345.
[Spaltenumbruch] welche er früher vorgebracht habe, die ihm aber damals von der
Regierung bestritten worden seien; er freue sich über diese Be-
kehrung umsomehr, als nach dem Spruche mehr Freude ist über
einen bekehrten Sünder, als über tausend Gerechte. (Heiterkeit.)
Redner berechnet die Prämien, welche die Zuckerindustriellen im
Verlaufe der Jahre auf Reichskosten erhalten haben, auf mehr als
285 Millionen Mark. Die Begründung der Vorlage hat eine
schwache Stelle, die heute von dem Staatssecretär etwas ergänzt
ist, nämlich die, worin die Nothwendigkeit der Mehreinnahmen mit
dem Bedürfniß des Reiches begründet wird. Man hätte die Reform
dieser Steuer aus sich heraus machen sollen ohne jede finanzielle Neben-
absicht; das wäre für die Industrie sehr erwünscht gewesen. Sie
hätte dann keine so große Beunruhigung durchzumachen. Auf die deutsche
Landwirthschaft wird das Gesetz gar keinen Einfluß haben. Redner
berust sich dafür auf die Ausführungen des früheren Reichstags-
abgeordneten Robbe, dem man Sachkenntniß und ein Interesse
für die Landwirthschaft nicht aussprechen könne. Wir haben seit
dem 1. August 1888 ein neues Zuckersteuergesetz, welches eine ein-
schneidende Wirkung hätte ausüben müssen; denn die Material-
steuer ist dadurch auf die Hälfte ermäßigt worden. Aber das
Gesetz hat gar keine Wirkung auf die Zuckersabrication gehabt;
im Gegentheil, das erste Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes
hatte die größte Zuckerproduction, die jemals in Deutschland er-
reicht worden ist. Man befürchtet, daß die deutsche Zuckerindustrie
durch Wegfall der Prämie in ihrem Export geschädigt wird. Das
wird aber nicht der Fall sein; durch Wegfall der Prämie wird der
Weltmarkipreis entsprechend steigen. Das brauchte nicht der Fall zu sein,
wenn eine andere Concurrenz vorhanden wäre, welche Deutschlands Stelle
ersetzen könnte; das ist aber nicht der Fall. Der Ueberschuß der
Zuckervroduction Frankreichs ist ein so geringer, daß er den deut-
schen Zucker nicht ersetzen kann. Deutschland exportirt so viel Zucker,
wie Frankreich überhaupt nur erzeugen kann. Redner erklärt sich
mit der Abschaffung der Materialsteuer einverstanden, bedauert
aber, daß die Prämien nicht ebenfalls sofort abgeschafft, sondern
während der nächsten Jahre noch gezahlt werden sollen. Da
der Zucker heute kein Luxusartikel sei, sondern ein Artikel, dessen
Consum überhaupt möglichst verallgemeinert werden sollte, so sollte
man die Zuckersteuer nicht steigern. Ohne Erhöhung der Steuer
würde sich der Consum so erhöhen, daß Einnahmen sich er-
geben würden, die von der Regierung selbst nicht erwartet werden
dürften. Redner beantragt die Ueberweisung der Vorlage an eine
Commission von 28 Mitgliedern. (Beifall links.)

Abg. Graf Udo Stolberg (deutsch-cons.):

Wir erkennen
die finanziellen Bedürfnisse des Reiches an und wollen sie befrie-
digen. Wir halten auch den Zucker fur einen steuerfähigen Artikel,
aber diese Belastung muß erfolgen, ohne daß die Zuckerindustrie
geschädigt wird. Unter Zuckerindustrie verstehe ich alle dabei be-
theiligten Interessenten, auch die Landwirthe, welche Rüben bauen.
Daß die Landwirthschaft durch die Aenderung der Zuckersteuer ge-
schädigt wird, ist selbstverständlich, denn die Industrie wird immer
im Stande sein, die Schädigung zum Theil oder ganz auf die
Landwirthschaft abzuwälzen. Die Landwirthschaft hat auch ein
Interesse daran, edle Rüben mit starkem Zuckergehalt zu bauen,
denn die edle Rübe entzieht dem Boden nur die nothwendigsten
Stoffe, die sie braucht, läßt aber die andern für die später zu
bauenden Früchte zurück. Der Vorredner behauptet, Frankreich
habe weniger Rübenboden als Deutschland. Ich bestreite das.
Frankreich wird nach dem Fortfall unsrer Prämie, da es jetzt
zu unserm Steuersystem übergegangen ist, dem deutschen Zucker
Concurrenz auf dem Weltmarkt machen. Man darf dabei nicht
vergessen, daß die deutsche Zuckerindustrie mit theuren Arbeits-
köhnen arbeitet und belastet ist durch die Anforderungen der Social-
politik und durch die hohen Kohlenpreise namentlich in den öftlichen
Provinzen. Man wird untersuchen müssen, ob die festen Prämien
nicht auf eine längere Reihe von Jahren gewährt werden können.
Ferner erscheint es mir zweifelhast, ob nicht der Sprung von 12
auf 22 M. Consumsteuer ein zu hoher ist. Denn wenn der Welt-
marktpreis sich erhöhen sollte, so wird durch die Erhöhung der
Steuer auch der Inlandspreis erhöht und dadurch eine Steigerung
des Consums verhindert. Der Schwerpunkt der Verhandlungen
wird in der Commission liegen, deren Einsetzung auch ich beantrage.

Abg. Oechelhäuser (nat.-lib.):

Ich spreche nur für einen
Theil meiner Freunde und kann nur mein Bedauern darüber
ausdrücken, daß die Vorlage überhaupt gemacht worden ist. Die
Zuckerfabricanten mußten sich darauf einrichten, daß die Prämien
einmal wegfallen, weil die finanziellen Bedürfnisse des Reiches
dies nothwendig machen. Aber sie konnten das Gesetz von 1887,
welches seit zwei Jahren in Kraft ist, nicht als ein Uebergangs-
stadium betrachten, sondern sie mußten es nach den eigenen
Aeußerungen des Hrn. v. Maltzahn als ein dauerndes betrachten,
welches nicht so plötzlich aufgehoben werden kann. Man hat von
dem Zucker bisher nur immer eine Steuersumme von 50 bis 60
Millionen Mark in Anspruch genommen, diese Summe ist durch
das Gesetz von 1887 erreicht und es ist durchaus nicht noth-
wendig, jetzt eine Erhöhung eintreten zu lassen, zumal dieselbe
nur geeignet sein würde, das Steigern des Verbrauchs zu hindern,
ja vielleicht einen Rückgang hervorzurufen. Der Schatzsecretär hat
anerkannt, daß alle anderen Staaten sich bemühen, eine eigene
Zuckerindustrie zu schaffen; umsoweniger dürfen wir aber die
Begünstigungen, welche unsre Industrie genießt, beseitigen.
Durch diese Beseitigung der Grundlagen ihrer Prosperität wird die
Stellung unsrer Zuckerindustrie auf dem Weltmarkt erschüttert. In
Frankreich hat man, weil die Rüben diesmal weniger zuckerhaltig
waren, die Ausfuhrprämie, die ohnebin viel höher ist als bei uns,
noch weiter erhöht. Weßhalb Frankreich, welches in den letzten
Jahren feinen Export vervierfacht hat, eine noch weitere Ausdeh-
nung der Production nicht vornehmen kann, ist nicht zu verstehen.
Klima und Boden sind besser als bei uns und die Prämie beträgt
fast den vierten Theil des Preises. Auch Amerika wird bald Er-
folge erzielen, namentlich da eine Fabricationsprämie in Aussicht
genommen ist. Die Berechnung der Ausfuhrprämie ifl durchaus
unrichtig; man kann ernstlich gar nicht nachweisen, in welche
Taschen dieselben geflossen sind, und zweitens berechnet man die
Prämien zu Unrecht von der gesammten Production, während nur
die Aussuhr in Rechnung gestellt werden kann. Ein Freund der
Ausfuhrp rämien an sich bin ich nicht, ich will sie auch abschaffen,
sobald es die Zustände gestatten. Die Entscheidung über diese
Frage muß deßhalb vertagt werden bis zu dem Zeitpunkte, wo
wir die Verhältnisse besser übersehen können.

Staatssecretär v. Maltzahn:

Die Vertagung der Entschei-
dung ist nicht zweckmäßig; im Gegentheil, es muß ein genauer
Zeitpunkt festgestellt werden, mit welchem die Prämien aufhören,
und der inländische Consum darf nicht von einer Last befreit wer-
den, welcher ihm später doch im Reichsinteresse wieder auferlegt
werden muß. Ueber die Einzelheiten können wir uns in der Com-
mission unterhalten; die Regierung wird nicht unter allen Umstän-
den jede Vorschrift der Vorlage aufrecht erhalten. Ich hatte bei
früherer Gelegenheit nicht meine persönliche Stellung zu vertreten,
sondern die der verbündeten Regierungen. Die damalige Situation
war auch eine solche, daß ich nicht anders sprechen konnte. Die
Verhandlung vom 28. Januar 1889 war die erste, welche sich mit
der Londoner Convention beschästigte. Hätte ich damals sagen
können: Wir beseitigen die Steuerprämie doch, auch wenn die
[Spaltenumbruch] Convention nicht zu Stande kommt? Wir durften damals während
der Verhandlungen über die internationale Beseitigung der Prämie
eine solche Erklärung nicht abgeben. Uebrigens haben die Ver-
treter der Zuckerindustrie gewußt, daß man die Prämien aufgeben
will, sie sind darüber gar nicht im Unklaren gewesen. Die Stei-
gerung der Ausgaben des Reiches liegt offen vor Aller Augen,
namentlich die Invaliden-Versicherung erfordert Mehrausgaben, die
wir gar nicht berechnen können, wir wissen nur, daß sie stets steigen
werden.

Abg. v. Kardorff (Reichsp.):

Ich fühle mich 15 Jahre
jünger; es kommt mir vor, als wenn wir wieder in der Zeit
lebten, wo wir leichten Sinnes die Eisenzölle abschafften. Ich rechne
es mir zum Ruhme an, daß ich damals widersprochen habe. Die
Motive haben wieder ganz den Ton, wie in der Aera Delbrück-
Camphausen. Damals wurden wir wenigen Schutzzöllner alle
Augenblicke mit Insulten überhäuft, wie jetzt Hr. Bamberger sie
vorbringt, der von dem Pact der Großindustrie und des Groß-
grundbesitzes sprach, dem Volke gemeinsam das Fell über die
Ohren zu ziehen. (Sehr richtig! links. Sehr falsch! rechts.)
Wir können die Dinge heute ruhiger ertragen, denn wir
wissen, daß die Freihändler nur eine geringe Minderheit
im Reichstag sind. Die Bedeutung des Rübenbaues für die Land-
wirthschaft muß immer wieder hervorgehoben werden; da, wo
Rüben gebaut werden, kann das 21/2fache der früheren Ernte-
menge an Getreide erzielt werden. Ist denn die Zuckerausfuhr,
die, gering geschätzt, 150 Millionen Mark werth ist, so ganz un-
bedeutend? Welchen andern Artikel will man an die Stelle
desselben setzen? Die Ueberproduction soll durch die Zahl der
neubegründeten Fabriken bewiesen werden; aber die Zahl der
Fabriken hat sich in den letzten Jahren nicht vermehrt; zuzugeben
ist allerdings, daß die neuen Fabriken etwas größer sind als die
eingegangenen älteren Fabriken. Die Annahme dieser Vorlage
wird denselben Erfolg haben, wie die Aufhebung der Eisenzölle.
Der Erfolg war damals ein recht erwünschter. Als eine große
Zahl von Hochöfen ausgeblasen war und die Löhne zu Hunger-
löhnen herabsanken, da verurtheilte das deutsche Volk die Frei-
handelspolitik. Wenn die Vorlage Gesetz werden sollte, werden wir
dieselbe Katastrophe in der Zuckerindustrie erleben, wie damals in der
Eisenindustrie. Vorsichtiger wäre es daher, wenn man dieses Experiment
nicht machen wollte. (Sehr richtig! rechts.) Die Concurrenzfähigkeit
Frankreichs wird unterschätzt, sowohl von den verbündeten Regie-
rungen als von Hrn. Witte. In ganz Frankreich denkt man ganz
anders darüber und frent sich, daß man Deutschland jetzt leichter
vom Weltmarkt wird verdrängen können. Auf die früheren Aus-
lassungen des Hrn. v. Maltzahn hat Hr. Oechelhäuser schon ver-
wiesen. Wenn diese Praxis sich einbürgert, dann werden die Er-
klärungen unsrer Vertreter nicht mehr denselben Glauben finden,
wie früher. Und in welche Stellung kommen die englischen
Minister! Sie haben es unter heftigen Angriffen der Opposition
durchgesetzt, daß nach dem Zustandekommen der Londoner Convention
der mit Prämien bedachte Zucker vom englischen Markte ausge-
schlossen werden soll; was werden sie dazu sagen, wenn man jetzt
von deutscher Seite selbständig vorgeht? Und wie steht es denn
mit Oesterreich-Ungarn? Wird dieser Hauptconcurrent Deutschlands
feine Prämien beibehalten oder nicht? Man sollte doch die Beschluß-
fassung über diese Vorlage vertagen, bis über den österreichischen Handels-
vertrag Auskunft gegeben werden kann. (Sehr richtig! rechts.) Noch am
2. Februar dieses Jahres hat Hr. Miquel in einer Wahlrede
sich gegen die Abschaffung der Ausfuhrprämien erklärt. Alle Ver-
treter der Landwirthschaft, auch diejenigen, welche kein Interesse
an der Rübenzuckerindustrie haben, sollten bedenken, daß die Inter-
essen der Landwirthschaft solidarisch sind. Was jetzt der Zucker-
industrie geschieht, kann auch der Brennerei passiren, und schließlich
sollte auch die Industrie daran denken, daß die agrarischen Zölle,
von deren Ermäßigung ja jetzt vielfach gesprochen wird, mit den
industriellen Zöllen stehen und fallen. Wenn man eine neue Ver-
brauchssteuer braucht, dann sollte man einmal eine solche aus-
suchen, die nicht die Landwirthschaft betrifft, vielleicht eine Steuer
auf Kattun oder dergl. Sehr zweckmäßig wäre auch eine Inseraten-
steuer, deren Erträge die kühnsten Erwartungen übersteigen würden.
(Beifall rechts.)

Schatzsecretär v. Maltzahn:

Das Vorgehen bezüglich der
Eisenzölle im Jahre 1872 ist mit dem jetzigen Vorgehen durchaus
nicht zu vergleichen. Ich habe damals selbst für die Aufhebung
der Eisenzölle gestimmt und erkläre, daß ich diese Abstimmung
heute für eine falsche halte. Aber damals handelte es sich darum,
der Eisenindustrie den Schutz, welchen sie für den einheimischen
Markt besaß, zu entziehen. Nach der gegenwärtigen Vorlage bleibt
aber die Zuckerindustrie auf dem einheimischen Markte ebenso ge-
schützt wie bisher. Wir sind nicht leichten Herzens zu dieser Vor-
lage gekommen, ich kann wenigstens für meine Person das Gegen-
theil bezeugen; nur unter dem Drucke zwingender Nothwendigkeit
bin ich daran gegangen, diese Vorlage ausarbeiten zu lassen und
vorzulegen. Wenn ich die Sache nicht eindringlich genug gemacht
habe, wenn der Ton der Motive nicht gefällt, ich gebe die ganzen
Motive preis, wenn Sie nur die Vorlage annehmen. (Zustimmung;
große Heiterkeit.)

Abg. Heine (Soc.):

Die Ungerechtigkeiten der Zuckersteuer,
die Zuwendungen der großen Summen von Prämien an die
Fabricanten haben in den Arbeiterkreisen schon lange großen Un-
willen erregt und bei den letzten Wablen dahin geführt, daß ein
großer Zuckerfabricant, Hr. Dietze, von den Socialdemokraten ge-
schlagen wurde. Mit der Vorlage bin ich einverstanden in Bezug
auf die Abschaffung der Prämien; aber wir wollen keine Warte-
zeit dafür und auch keine Erhöhung der Zuckerverbrauchssteuer, weil
der Zucker jetzt schon ein nothwendiges Lebensmittel geworden ist.
Die kleinen Grundbesitzer sind durch die großen Rübenfabriken und
Rübenbauer allmählich ausgekauft und in das Proletariat
herabgestoßen worden. Die Arbeiter der Zuckerindustrie
sind gesundheitlich geschädigt worden, Scropheln und Schwind-
sucht nehmen zu; das Leben der Arbeiter ist ein sehr
kurzes. Ihre Abhängigkeit von den Fabricanten ist eine
ungeheure. Die Zuckerindustrie ist ein Moloch, nicht nur für die
Steuercasse, sondern auch für die Gesundheit der Bevölkerung.
Die Arbeiter werden in den Zuckerfabriken jetzt gezwungen, Petitionen
gegen die Zuckersteuervorlage zu unterschreiben! Die Zuckerfabri-
canten sträuben sich am meisten gegen die Einschränkung der
Frauenarbeit, ohne welche ihre Fabriken nicht bestehen könnten.
Die Zuckerprämien betragen genau so viel, als die Arbeiter als
Lohn erhalten. Der Lohnertrag während der fünf Campagne-
monate beträgt nämlich nach der Statistik der Berufsgenossen-
schasten 35 Millionen Mark und die Prämien stellen sich auf
36 Millionen Mark.

Abg. Dr. Buhl (nat.-lib.):

Der Abg. Oechelhäuser hat im
Namen eines Theiles meiner Freunde gesprochen; ich erkläre im
Namen des übrigen Theiles unsrer Partei, daß die Mehrheit auf
dem Boden der Vorlage steht. Der entscheidendste Punkt ist für
uns der, daß wir uns nicht entschließen können, den verbündeten
Regierungen unsre Unterstützung zu versagen, wenn diese den Zeit-
punkt gekommen glauben, eine so große Prämie zu Gunsten eines
Productionszweiges zu beseitigen. Wir verkennen dabei keineswegs
die Bedeutung der Zuckerindustrie; wir wissen, wie große Flächen
deutschen Bodens mit der Rübe bebaut werden, und Hr. v. Kar-
[Spaltenumbruch] dorff irrt sich, wenn er meint, es könnte hier gegen die Interessen
der Zuckerindustrie der particularistische bayerische Sonderstand-
punkt zur Geltung kommen, denn gerade in meiner engeren Hei-
math, der Pfalz, ist diese Industrie nicht unbedeutend. Gerade
unsre kleinen und mittleren Bauern finden in dem Rübenbau einen
willkommenen Ersatz für den Tabalbau. Bestimmend ist für
mich vor allem das von dem Herrn Staatssecretär angeführte
Moment, daß die anderen Länder im eigenen Interesse uns in der
Abschaffung der Prämien folgen werden. Ich glaube, daß diese
Prophezeiung keine falsche sein wird. So lange die Materialsteuer
in den einzelnen Ländern die Grundlage der Besteuerung bildet,
ist es außerordentlich schwer für den Außenstehenden, zu beur-
theilen, ob in dem betreffenden Lande auf Grund der Material-
steuer eine Prämie noch gewährt wird. Aber wenn der größte
Zuckerproducent der Welt die Abschaffung der Prämie in nahe
Aussicht stellt, so bin ich überzeugt, daß weite Kreise, die in den
einzelnen Ländern nicht an der Zuckerindustrie betheiligt sind, in
unserm Vorgehen eine bedeutende Verstärkung in ihrem Vorgehen
gegen die Zuckerprämie erkennen werden. Der österreichischen Finanz-
verwaltung kann es nur erwünscht sein, 5 Millionen Gulden
weniger auszugeben. Andere Länder will ich nicht nennen, um in
dieser Beziehung die Eifersucht nicht wachzurufen. Der Abg. Witte
hat den sehr wichtigen Satz aufgestellt, daß bei Fortfall der Prä-
mien der Weltmarktpreis steigen müsse, demnach haben die bisherigen
Prämien den Weltmarktpreis und also auch den Inlandspreis herab-
gesetzt. Die politischen Freunde des Abg. Witte bekämpfen doch
sonst immer Maßregeln, durch die der Consumpreis herabgesetzt
wird; warum ereifern sie sich denn jetzt so gegen die Prämien,
die den Consumpreis des Zuckers drücken? Es ist eben unrichtig,
daß durch die Prämien der deutsche Consumzucker vertheuert wird.
Durch das bisherige Steuersystem ist eine deutsche Industrie groß
und bedeutend geworden, wir wollen hoffen und wünschen, daß
durch das neue Gesetz der Industrie wie der Landwirthschaft ihre
alte Krast erhalten bleibt, und unter dieser Voraussetzung ent-
schließen wir uns, im allgemeinen für die Vorlage einzutreten.
(Beifall.)

Abg. Dr. Barth (dfreis.):

Wir haben stets behauptet, daß
durch die Exportprämie der Weltmarktpreis für Zucker gedrückt
werde, aber wir Freihändler haben niemals einen so thörichten
Standpunkt vertreten, daß wir durch künstliche Maßregeln die
Preise künstlich drücken wollen. Die erste Aufgabe einer gesunden
Wirthschaftspolitik ist es, alle Maßregeln zu beseitigen, welche die
Preise künstlich in aufsteigender oder absteigender Richtung
beeinflussen. Die Exportprämien haben nun den Weltmarktpreis
vollständig demoralisirt, denn wir geben jährlich 20 Millionen,
damit die englischen Consumenten unnatürlich billigen Zucker er-
halten. Mit Recht fühlt sich der Abg. v. Kardorff bei der Lectüre
dieser Vorlage an die Zeiten einer gemäßigten Freihandelspolitik
erinnert. Sie beruht auf einer wirklich rationellen Grundlage, nur
hoffen wir, die Regierung wird mit uns gemeinschaftlich noch
weiter gehen und die Schonzeit von vier Jahren durch sofortige
Abschaffung der Prämien fallen lassen. Eine Steigerung der Ver-
brauchssteuer hätte nach Wegfall der Materialsteuer auch nicht ein-
zutreten brauchen, denn die Steigerung des inländischen Consums
würde reichlichen Ersatz bieten. Wenn innerhalb der letzten sieben
Jahre die Zuckersteuer fünfmal abgeändert ist, so zeigt das nur,
daß früher ein falsches System ergriffen worden ist. Hüten wir
uns jetzt vor einem saulen Frieden, denn andernfalls wird die
Zuckerindustrie schon nach kurzer Zeit wieder mit neuen Factoren
zu rechnen haben. Je größer die auf dem Weltmarkt er-
scheinende Quantität Zucker sein wird, um so nothwendiger
ist es, daß der Gesundungsproceß unfrer Industrie rasch
vor sich gebt. Schon deßhalb dürfen wir nicht noch
weiter aus vier Jahre die Prämie beibehalten. Das kommt
mir vor, als wenn Jemand sich vornimmt, von übermorgen an
ein solider Mensch zu werden, die Zwischenzeit aber noch recht
lustig und fidel verleben will. Daß die Engländer die inter-
nationale Zuckerconvention unmöglich gemacht haben, verstehe ich
von ihrem Standpunkte vollständig. Wenn der Continent ihnen
billigen Zucker liefern will, warum sollen sie sich durch eine Con-
vention davor verschließen? Wenn Deutschland mit der Abschaffung
des Prämiensystems vorangeht, werden andere Staaten folgen.
Das unvermeidliche Anziehen des Weltmarktpreises wird die
Fabricanten für den Wegfall der Prämien vollständig entschädigen.
Wir werden in allem alsdann zu dem natürlichen System
kommen.

Damit schließt die Discussion. Die Vorlage wird an eine
Commission von 28 Mitgliedern überwiesen. Der Präfident
schlägt vor, die nächste Sitzung sofort abzuhalten, damit der
türkische Handelsvertrag noch vor Weihnachten erledigt werden
könne, andrerseits aber kein besonderer Sitzungstag erforder-
lich sei.

Schluß 3 3/4 Uhr. Nächste Sitzung 4 Uhr.



41. Sitzung.

Nachdem die Sitzung um 4 Uhr eröffnet worden, wird der
Antrag des Abg. Auer wegen Einstellung des gegen den
Abg. Kunert schwebenden Strafverfahrens nach kurzer
Begründung durch den Abg. Singer ohne Debatte angenommen.
Es folgt die dritte Berathung des zwischen dem Reiche und der Türkei
abgeschlossenen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrts-
vertrages,
welcher unverändert im ganzen genehmigt wird.
Die Geschäftsordnungscommission beantragt, die vom Reichs-
tag erbetene Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung des
Redacteurs Müller zu Naumburg a. S. und derjenigen Personen,
welche für eine Veröffentlichung in der in Magdeburg erscheinenden
"Volksstimme" vom 2. Juli verantwortlich sind, nicht zu er-
theilen. Der Antrag wird ohne Debatte angenommen. Schluß
halb 5 Uhr. Nächste Sitzung Dienstag den 13. Januar
1891, 2 Uhr. Tagesordnung: Anträge Auer und Richter,
betreffend die Ermäßigung, beziehungsweise Aufhebung der land-
wirthschaftlichen Zölle.



Verschiedenes.
* Die Treffchancen des Lebel-Gewehres.

Das
französische Kriegsministerium hat einige interessante statistische
Daten über die Treffchancen des Lebel-Gewehres veröffentlicht.
Den Versuchen zufolge müssen mit einem Lebel-Gewehr auf
die Distanz von 200 Metern vier Schüsse abgegeben werden,
um einen Fußsoldaten zu tödten, während der Tod eines
Cavalleristen erst nach 25 Schüssen herbeigeführt werden kann.
Die Zahl der Schüsse nimmt aber mit der weiteren Distanz
rapid zu, so daß zum Beispiel bei 600 Metern ein Fußsoldat
erst nach 37 und ein Cavallerist gar erst nach 167 Schüssen
fällt.

Große Vermächtnisse. Der
jüngst in New-York verstorbene amerikanische Bürger Daniel
Fayerweather hat die testamentarische Verfügung getroffen,
daß von seinem Vermögen 2,100,000 Dollars unter 20 Seminare
in verschiedenen Staaten und 95,000 Dollars unter die Hospitäler
von New-York vertheilt werden sollen.

München, Samſtag Allgemeine Zeitung 13. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 345.
[Spaltenumbruch] welche er früher vorgebracht habe, die ihm aber damals von der
Regierung beſtritten worden ſeien; er freue ſich über dieſe Be-
kehrung umſomehr, als nach dem Spruche mehr Freude iſt über
einen bekehrten Sünder, als über tauſend Gerechte. (Heiterkeit.)
Redner berechnet die Prämien, welche die Zuckerinduſtriellen im
Verlaufe der Jahre auf Reichskoſten erhalten haben, auf mehr als
285 Millionen Mark. Die Begründung der Vorlage hat eine
ſchwache Stelle, die heute von dem Staatsſecretär etwas ergänzt
iſt, nämlich die, worin die Nothwendigkeit der Mehreinnahmen mit
dem Bedürfniß des Reiches begründet wird. Man hätte die Reform
dieſer Steuer aus ſich heraus machen ſollen ohne jede finanzielle Neben-
abſicht; das wäre für die Induſtrie ſehr erwünſcht geweſen. Sie
hätte dann keine ſo große Beunruhigung durchzumachen. Auf die deutſche
Landwirthſchaft wird das Geſetz gar keinen Einfluß haben. Redner
beruſt ſich dafür auf die Ausführungen des früheren Reichstags-
abgeordneten Robbe, dem man Sachkenntniß und ein Intereſſe
für die Landwirthſchaft nicht ausſprechen könne. Wir haben ſeit
dem 1. Auguſt 1888 ein neues Zuckerſteuergeſetz, welches eine ein-
ſchneidende Wirkung hätte ausüben müſſen; denn die Material-
ſteuer iſt dadurch auf die Hälfte ermäßigt worden. Aber das
Geſetz hat gar keine Wirkung auf die Zuckerſabrication gehabt;
im Gegentheil, das erſte Jahr nach Inkrafttreten des Geſetzes
hatte die größte Zuckerproduction, die jemals in Deutſchland er-
reicht worden iſt. Man befürchtet, daß die deutſche Zuckerinduſtrie
durch Wegfall der Prämie in ihrem Export geſchädigt wird. Das
wird aber nicht der Fall ſein; durch Wegfall der Prämie wird der
Weltmarkipreis entſprechend ſteigen. Das brauchte nicht der Fall zu ſein,
wenn eine andere Concurrenz vorhanden wäre, welche Deutſchlands Stelle
erſetzen könnte; das iſt aber nicht der Fall. Der Ueberſchuß der
Zuckervroduction Frankreichs iſt ein ſo geringer, daß er den deut-
ſchen Zucker nicht erſetzen kann. Deutſchland exportirt ſo viel Zucker,
wie Frankreich überhaupt nur erzeugen kann. Redner erklärt ſich
mit der Abſchaffung der Materialſteuer einverſtanden, bedauert
aber, daß die Prämien nicht ebenfalls ſofort abgeſchafft, ſondern
während der nächſten Jahre noch gezahlt werden ſollen. Da
der Zucker heute kein Luxusartikel ſei, ſondern ein Artikel, deſſen
Conſum überhaupt möglichſt verallgemeinert werden ſollte, ſo ſollte
man die Zuckerſteuer nicht ſteigern. Ohne Erhöhung der Steuer
würde ſich der Conſum ſo erhöhen, daß Einnahmen ſich er-
geben würden, die von der Regierung ſelbſt nicht erwartet werden
dürften. Redner beantragt die Ueberweiſung der Vorlage an eine
Commiſſion von 28 Mitgliedern. (Beifall links.)

Abg. Graf Udo Stolberg (deutſch-conſ.):

Wir erkennen
die finanziellen Bedürfniſſe des Reiches an und wollen ſie befrie-
digen. Wir halten auch den Zucker fur einen ſteuerfähigen Artikel,
aber dieſe Belaſtung muß erfolgen, ohne daß die Zuckerinduſtrie
geſchädigt wird. Unter Zuckerinduſtrie verſtehe ich alle dabei be-
theiligten Intereſſenten, auch die Landwirthe, welche Rüben bauen.
Daß die Landwirthſchaft durch die Aenderung der Zuckerſteuer ge-
ſchädigt wird, iſt ſelbſtverſtändlich, denn die Induſtrie wird immer
im Stande ſein, die Schädigung zum Theil oder ganz auf die
Landwirthſchaft abzuwälzen. Die Landwirthſchaft hat auch ein
Intereſſe daran, edle Rüben mit ſtarkem Zuckergehalt zu bauen,
denn die edle Rübe entzieht dem Boden nur die nothwendigſten
Stoffe, die ſie braucht, läßt aber die andern für die ſpäter zu
bauenden Früchte zurück. Der Vorredner behauptet, Frankreich
habe weniger Rübenboden als Deutſchland. Ich beſtreite das.
Frankreich wird nach dem Fortfall unſrer Prämie, da es jetzt
zu unſerm Steuerſyſtem übergegangen iſt, dem deutſchen Zucker
Concurrenz auf dem Weltmarkt machen. Man darf dabei nicht
vergeſſen, daß die deutſche Zuckerinduſtrie mit theuren Arbeits-
köhnen arbeitet und belaſtet iſt durch die Anforderungen der Social-
politik und durch die hohen Kohlenpreiſe namentlich in den öftlichen
Provinzen. Man wird unterſuchen müſſen, ob die feſten Prämien
nicht auf eine längere Reihe von Jahren gewährt werden können.
Ferner erſcheint es mir zweifelhaſt, ob nicht der Sprung von 12
auf 22 M. Conſumſteuer ein zu hoher iſt. Denn wenn der Welt-
marktpreis ſich erhöhen ſollte, ſo wird durch die Erhöhung der
Steuer auch der Inlandspreis erhöht und dadurch eine Steigerung
des Conſums verhindert. Der Schwerpunkt der Verhandlungen
wird in der Commiſſion liegen, deren Einſetzung auch ich beantrage.

Abg. Oechelhäuſer (nat.-lib.):

Ich ſpreche nur für einen
Theil meiner Freunde und kann nur mein Bedauern darüber
ausdrücken, daß die Vorlage überhaupt gemacht worden iſt. Die
Zuckerfabricanten mußten ſich darauf einrichten, daß die Prämien
einmal wegfallen, weil die finanziellen Bedürfniſſe des Reiches
dies nothwendig machen. Aber ſie konnten das Geſetz von 1887,
welches ſeit zwei Jahren in Kraft iſt, nicht als ein Uebergangs-
ſtadium betrachten, ſondern ſie mußten es nach den eigenen
Aeußerungen des Hrn. v. Maltzahn als ein dauerndes betrachten,
welches nicht ſo plötzlich aufgehoben werden kann. Man hat von
dem Zucker bisher nur immer eine Steuerſumme von 50 bis 60
Millionen Mark in Anſpruch genommen, dieſe Summe iſt durch
das Geſetz von 1887 erreicht und es iſt durchaus nicht noth-
wendig, jetzt eine Erhöhung eintreten zu laſſen, zumal dieſelbe
nur geeignet ſein würde, das Steigern des Verbrauchs zu hindern,
ja vielleicht einen Rückgang hervorzurufen. Der Schatzſecretär hat
anerkannt, daß alle anderen Staaten ſich bemühen, eine eigene
Zuckerinduſtrie zu ſchaffen; umſoweniger dürfen wir aber die
Begünſtigungen, welche unſre Induſtrie genießt, beſeitigen.
Durch dieſe Beſeitigung der Grundlagen ihrer Proſperität wird die
Stellung unſrer Zuckerinduſtrie auf dem Weltmarkt erſchüttert. In
Frankreich hat man, weil die Rüben diesmal weniger zuckerhaltig
waren, die Ausfuhrprämie, die ohnebin viel höher iſt als bei uns,
noch weiter erhöht. Weßhalb Frankreich, welches in den letzten
Jahren feinen Export vervierfacht hat, eine noch weitere Ausdeh-
nung der Production nicht vornehmen kann, iſt nicht zu verſtehen.
Klima und Boden ſind beſſer als bei uns und die Prämie beträgt
faſt den vierten Theil des Preiſes. Auch Amerika wird bald Er-
folge erzielen, namentlich da eine Fabricationsprämie in Ausſicht
genommen iſt. Die Berechnung der Ausfuhrprämie ifl durchaus
unrichtig; man kann ernſtlich gar nicht nachweiſen, in welche
Taſchen dieſelben gefloſſen ſind, und zweitens berechnet man die
Prämien zu Unrecht von der geſammten Production, während nur
die Ausſuhr in Rechnung geſtellt werden kann. Ein Freund der
Ausfuhrp rämien an ſich bin ich nicht, ich will ſie auch abſchaffen,
ſobald es die Zuſtände geſtatten. Die Entſcheidung über dieſe
Frage muß deßhalb vertagt werden bis zu dem Zeitpunkte, wo
wir die Verhältniſſe beſſer überſehen können.

Staatsſecretär v. Maltzahn:

Die Vertagung der Entſchei-
dung iſt nicht zweckmäßig; im Gegentheil, es muß ein genauer
Zeitpunkt feſtgeſtellt werden, mit welchem die Prämien aufhören,
und der inländiſche Conſum darf nicht von einer Laſt befreit wer-
den, welcher ihm ſpäter doch im Reichsintereſſe wieder auferlegt
werden muß. Ueber die Einzelheiten können wir uns in der Com-
miſſion unterhalten; die Regierung wird nicht unter allen Umſtän-
den jede Vorſchrift der Vorlage aufrecht erhalten. Ich hatte bei
früherer Gelegenheit nicht meine perſönliche Stellung zu vertreten,
ſondern die der verbündeten Regierungen. Die damalige Situation
war auch eine ſolche, daß ich nicht anders ſprechen konnte. Die
Verhandlung vom 28. Januar 1889 war die erſte, welche ſich mit
der Londoner Convention beſchäſtigte. Hätte ich damals ſagen
können: Wir beſeitigen die Steuerprämie doch, auch wenn die
[Spaltenumbruch] Convention nicht zu Stande kommt? Wir durften damals während
der Verhandlungen über die internationale Beſeitigung der Prämie
eine ſolche Erklärung nicht abgeben. Uebrigens haben die Ver-
treter der Zuckerinduſtrie gewußt, daß man die Prämien aufgeben
will, ſie ſind darüber gar nicht im Unklaren geweſen. Die Stei-
gerung der Ausgaben des Reiches liegt offen vor Aller Augen,
namentlich die Invaliden-Verſicherung erfordert Mehrausgaben, die
wir gar nicht berechnen können, wir wiſſen nur, daß ſie ſtets ſteigen
werden.

Abg. v. Kardorff (Reichsp.):

Ich fühle mich 15 Jahre
jünger; es kommt mir vor, als wenn wir wieder in der Zeit
lebten, wo wir leichten Sinnes die Eiſenzölle abſchafften. Ich rechne
es mir zum Ruhme an, daß ich damals widerſprochen habe. Die
Motive haben wieder ganz den Ton, wie in der Aera Delbrück-
Camphauſen. Damals wurden wir wenigen Schutzzöllner alle
Augenblicke mit Inſulten überhäuft, wie jetzt Hr. Bamberger ſie
vorbringt, der von dem Pact der Großinduſtrie und des Groß-
grundbeſitzes ſprach, dem Volke gemeinſam das Fell über die
Ohren zu ziehen. (Sehr richtig! links. Sehr falſch! rechts.)
Wir können die Dinge heute ruhiger ertragen, denn wir
wiſſen, daß die Freihändler nur eine geringe Minderheit
im Reichstag ſind. Die Bedeutung des Rübenbaues für die Land-
wirthſchaft muß immer wieder hervorgehoben werden; da, wo
Rüben gebaut werden, kann das 2½fache der früheren Ernte-
menge an Getreide erzielt werden. Iſt denn die Zuckerausfuhr,
die, gering geſchätzt, 150 Millionen Mark werth iſt, ſo ganz un-
bedeutend? Welchen andern Artikel will man an die Stelle
desſelben ſetzen? Die Ueberproduction ſoll durch die Zahl der
neubegründeten Fabriken bewieſen werden; aber die Zahl der
Fabriken hat ſich in den letzten Jahren nicht vermehrt; zuzugeben
iſt allerdings, daß die neuen Fabriken etwas größer ſind als die
eingegangenen älteren Fabriken. Die Annahme dieſer Vorlage
wird denſelben Erfolg haben, wie die Aufhebung der Eiſenzölle.
Der Erfolg war damals ein recht erwünſchter. Als eine große
Zahl von Hochöfen ausgeblaſen war und die Löhne zu Hunger-
löhnen herabſanken, da verurtheilte das deutſche Volk die Frei-
handelspolitik. Wenn die Vorlage Geſetz werden ſollte, werden wir
dieſelbe Kataſtrophe in der Zuckerinduſtrie erleben, wie damals in der
Eiſeninduſtrie. Vorſichtiger wäre es daher, wenn man dieſes Experiment
nicht machen wollte. (Sehr richtig! rechts.) Die Concurrenzfähigkeit
Frankreichs wird unterſchätzt, ſowohl von den verbündeten Regie-
rungen als von Hrn. Witte. In ganz Frankreich denkt man ganz
anders darüber und frent ſich, daß man Deutſchland jetzt leichter
vom Weltmarkt wird verdrängen können. Auf die früheren Aus-
laſſungen des Hrn. v. Maltzahn hat Hr. Oechelhäuſer ſchon ver-
wieſen. Wenn dieſe Praxis ſich einbürgert, dann werden die Er-
klärungen unſrer Vertreter nicht mehr denſelben Glauben finden,
wie früher. Und in welche Stellung kommen die engliſchen
Miniſter! Sie haben es unter heftigen Angriffen der Oppoſition
durchgeſetzt, daß nach dem Zuſtandekommen der Londoner Convention
der mit Prämien bedachte Zucker vom engliſchen Markte ausge-
ſchloſſen werden ſoll; was werden ſie dazu ſagen, wenn man jetzt
von deutſcher Seite ſelbſtändig vorgeht? Und wie ſteht es denn
mit Oeſterreich-Ungarn? Wird dieſer Hauptconcurrent Deutſchlands
feine Prämien beibehalten oder nicht? Man ſollte doch die Beſchluß-
faſſung über dieſe Vorlage vertagen, bis über den öſterreichiſchen Handels-
vertrag Auskunft gegeben werden kann. (Sehr richtig! rechts.) Noch am
2. Februar dieſes Jahres hat Hr. Miquel in einer Wahlrede
ſich gegen die Abſchaffung der Ausfuhrprämien erklärt. Alle Ver-
treter der Landwirthſchaft, auch diejenigen, welche kein Intereſſe
an der Rübenzuckerinduſtrie haben, ſollten bedenken, daß die Inter-
eſſen der Landwirthſchaft ſolidariſch ſind. Was jetzt der Zucker-
induſtrie geſchieht, kann auch der Brennerei paſſiren, und ſchließlich
ſollte auch die Induſtrie daran denken, daß die agrariſchen Zölle,
von deren Ermäßigung ja jetzt vielfach geſprochen wird, mit den
induſtriellen Zöllen ſtehen und fallen. Wenn man eine neue Ver-
brauchsſteuer braucht, dann ſollte man einmal eine ſolche aus-
ſuchen, die nicht die Landwirthſchaft betrifft, vielleicht eine Steuer
auf Kattun oder dergl. Sehr zweckmäßig wäre auch eine Inſeraten-
ſteuer, deren Erträge die kühnſten Erwartungen überſteigen würden.
(Beifall rechts.)

Schatzſecretär v. Maltzahn:

Das Vorgehen bezüglich der
Eiſenzölle im Jahre 1872 iſt mit dem jetzigen Vorgehen durchaus
nicht zu vergleichen. Ich habe damals ſelbſt für die Aufhebung
der Eiſenzölle geſtimmt und erkläre, daß ich dieſe Abſtimmung
heute für eine falſche halte. Aber damals handelte es ſich darum,
der Eiſeninduſtrie den Schutz, welchen ſie für den einheimiſchen
Markt beſaß, zu entziehen. Nach der gegenwärtigen Vorlage bleibt
aber die Zuckerinduſtrie auf dem einheimiſchen Markte ebenſo ge-
ſchützt wie bisher. Wir ſind nicht leichten Herzens zu dieſer Vor-
lage gekommen, ich kann wenigſtens für meine Perſon das Gegen-
theil bezeugen; nur unter dem Drucke zwingender Nothwendigkeit
bin ich daran gegangen, dieſe Vorlage ausarbeiten zu laſſen und
vorzulegen. Wenn ich die Sache nicht eindringlich genug gemacht
habe, wenn der Ton der Motive nicht gefällt, ich gebe die ganzen
Motive preis, wenn Sie nur die Vorlage annehmen. (Zuſtimmung;
große Heiterkeit.)

Abg. Heine (Soc.):

Die Ungerechtigkeiten der Zuckerſteuer,
die Zuwendungen der großen Summen von Prämien an die
Fabricanten haben in den Arbeiterkreiſen ſchon lange großen Un-
willen erregt und bei den letzten Wablen dahin geführt, daß ein
großer Zuckerfabricant, Hr. Dietze, von den Socialdemokraten ge-
ſchlagen wurde. Mit der Vorlage bin ich einverſtanden in Bezug
auf die Abſchaffung der Prämien; aber wir wollen keine Warte-
zeit dafür und auch keine Erhöhung der Zuckerverbrauchsſteuer, weil
der Zucker jetzt ſchon ein nothwendiges Lebensmittel geworden iſt.
Die kleinen Grundbeſitzer ſind durch die großen Rübenfabriken und
Rübenbauer allmählich ausgekauft und in das Proletariat
herabgeſtoßen worden. Die Arbeiter der Zuckerinduſtrie
ſind geſundheitlich geſchädigt worden, Scropheln und Schwind-
ſucht nehmen zu; das Leben der Arbeiter iſt ein ſehr
kurzes. Ihre Abhängigkeit von den Fabricanten iſt eine
ungeheure. Die Zuckerinduſtrie iſt ein Moloch, nicht nur für die
Steuercaſſe, ſondern auch für die Geſundheit der Bevölkerung.
Die Arbeiter werden in den Zuckerfabriken jetzt gezwungen, Petitionen
gegen die Zuckerſteuervorlage zu unterſchreiben! Die Zuckerfabri-
canten ſträuben ſich am meiſten gegen die Einſchränkung der
Frauenarbeit, ohne welche ihre Fabriken nicht beſtehen könnten.
Die Zuckerprämien betragen genau ſo viel, als die Arbeiter als
Lohn erhalten. Der Lohnertrag während der fünf Campagne-
monate beträgt nämlich nach der Statiſtik der Berufsgenoſſen-
ſchaſten 35 Millionen Mark und die Prämien ſtellen ſich auf
36 Millionen Mark.

Abg. Dr. Buhl (nat.-lib.):

Der Abg. Oechelhäuſer hat im
Namen eines Theiles meiner Freunde geſprochen; ich erkläre im
Namen des übrigen Theiles unſrer Partei, daß die Mehrheit auf
dem Boden der Vorlage ſteht. Der entſcheidendſte Punkt iſt für
uns der, daß wir uns nicht entſchließen können, den verbündeten
Regierungen unſre Unterſtützung zu verſagen, wenn dieſe den Zeit-
punkt gekommen glauben, eine ſo große Prämie zu Gunſten eines
Productionszweiges zu beſeitigen. Wir verkennen dabei keineswegs
die Bedeutung der Zuckerinduſtrie; wir wiſſen, wie große Flächen
deutſchen Bodens mit der Rübe bebaut werden, und Hr. v. Kar-
[Spaltenumbruch] dorff irrt ſich, wenn er meint, es könnte hier gegen die Intereſſen
der Zuckerinduſtrie der particulariſtiſche bayeriſche Sonderſtand-
punkt zur Geltung kommen, denn gerade in meiner engeren Hei-
math, der Pfalz, iſt dieſe Induſtrie nicht unbedeutend. Gerade
unſre kleinen und mittleren Bauern finden in dem Rübenbau einen
willkommenen Erſatz für den Tabalbau. Beſtimmend iſt für
mich vor allem das von dem Herrn Staatsſecretär angeführte
Moment, daß die anderen Länder im eigenen Intereſſe uns in der
Abſchaffung der Prämien folgen werden. Ich glaube, daß dieſe
Prophezeiung keine falſche ſein wird. So lange die Materialſteuer
in den einzelnen Ländern die Grundlage der Beſteuerung bildet,
iſt es außerordentlich ſchwer für den Außenſtehenden, zu beur-
theilen, ob in dem betreffenden Lande auf Grund der Material-
ſteuer eine Prämie noch gewährt wird. Aber wenn der größte
Zuckerproducent der Welt die Abſchaffung der Prämie in nahe
Ausſicht ſtellt, ſo bin ich überzeugt, daß weite Kreiſe, die in den
einzelnen Ländern nicht an der Zuckerinduſtrie betheiligt ſind, in
unſerm Vorgehen eine bedeutende Verſtärkung in ihrem Vorgehen
gegen die Zuckerprämie erkennen werden. Der öſterreichiſchen Finanz-
verwaltung kann es nur erwünſcht ſein, 5 Millionen Gulden
weniger auszugeben. Andere Länder will ich nicht nennen, um in
dieſer Beziehung die Eiferſucht nicht wachzurufen. Der Abg. Witte
hat den ſehr wichtigen Satz aufgeſtellt, daß bei Fortfall der Prä-
mien der Weltmarktpreis ſteigen müſſe, demnach haben die bisherigen
Prämien den Weltmarktpreis und alſo auch den Inlandspreis herab-
geſetzt. Die politiſchen Freunde des Abg. Witte bekämpfen doch
ſonſt immer Maßregeln, durch die der Conſumpreis herabgeſetzt
wird; warum ereifern ſie ſich denn jetzt ſo gegen die Prämien,
die den Conſumpreis des Zuckers drücken? Es iſt eben unrichtig,
daß durch die Prämien der deutſche Conſumzucker vertheuert wird.
Durch das bisherige Steuerſyſtem iſt eine deutſche Induſtrie groß
und bedeutend geworden, wir wollen hoffen und wünſchen, daß
durch das neue Geſetz der Induſtrie wie der Landwirthſchaft ihre
alte Kraſt erhalten bleibt, und unter dieſer Vorausſetzung ent-
ſchließen wir uns, im allgemeinen für die Vorlage einzutreten.
(Beifall.)

Abg. Dr. Barth (dfreiſ.):

Wir haben ſtets behauptet, daß
durch die Exportprämie der Weltmarktpreis für Zucker gedrückt
werde, aber wir Freihändler haben niemals einen ſo thörichten
Standpunkt vertreten, daß wir durch künſtliche Maßregeln die
Preiſe künſtlich drücken wollen. Die erſte Aufgabe einer geſunden
Wirthſchaftspolitik iſt es, alle Maßregeln zu beſeitigen, welche die
Preiſe künſtlich in aufſteigender oder abſteigender Richtung
beeinfluſſen. Die Exportprämien haben nun den Weltmarktpreis
vollſtändig demoraliſirt, denn wir geben jährlich 20 Millionen,
damit die engliſchen Conſumenten unnatürlich billigen Zucker er-
halten. Mit Recht fühlt ſich der Abg. v. Kardorff bei der Lectüre
dieſer Vorlage an die Zeiten einer gemäßigten Freihandelspolitik
erinnert. Sie beruht auf einer wirklich rationellen Grundlage, nur
hoffen wir, die Regierung wird mit uns gemeinſchaftlich noch
weiter gehen und die Schonzeit von vier Jahren durch ſofortige
Abſchaffung der Prämien fallen laſſen. Eine Steigerung der Ver-
brauchsſteuer hätte nach Wegfall der Materialſteuer auch nicht ein-
zutreten brauchen, denn die Steigerung des inländiſchen Conſums
würde reichlichen Erſatz bieten. Wenn innerhalb der letzten ſieben
Jahre die Zuckerſteuer fünfmal abgeändert iſt, ſo zeigt das nur,
daß früher ein falſches Syſtem ergriffen worden iſt. Hüten wir
uns jetzt vor einem ſaulen Frieden, denn andernfalls wird die
Zuckerinduſtrie ſchon nach kurzer Zeit wieder mit neuen Factoren
zu rechnen haben. Je größer die auf dem Weltmarkt er-
ſcheinende Quantität Zucker ſein wird, um ſo nothwendiger
iſt es, daß der Geſundungsproceß unfrer Induſtrie raſch
vor ſich gebt. Schon deßhalb dürfen wir nicht noch
weiter auſ vier Jahre die Prämie beibehalten. Das kommt
mir vor, als wenn Jemand ſich vornimmt, von übermorgen an
ein ſolider Menſch zu werden, die Zwiſchenzeit aber noch recht
luſtig und fidel verleben will. Daß die Engländer die inter-
nationale Zuckerconvention unmöglich gemacht haben, verſtehe ich
von ihrem Standpunkte vollſtändig. Wenn der Continent ihnen
billigen Zucker liefern will, warum ſollen ſie ſich durch eine Con-
vention davor verſchließen? Wenn Deutſchland mit der Abſchaffung
des Prämienſyſtems vorangeht, werden andere Staaten folgen.
Das unvermeidliche Anziehen des Weltmarktpreiſes wird die
Fabricanten für den Wegfall der Prämien vollſtändig entſchädigen.
Wir werden in allem alsdann zu dem natürlichen Syſtem
kommen.

Damit ſchließt die Discuſſion. Die Vorlage wird an eine
Commiſſion von 28 Mitgliedern überwieſen. Der Präfident
ſchlägt vor, die nächſte Sitzung ſofort abzuhalten, damit der
türkiſche Handelsvertrag noch vor Weihnachten erledigt werden
könne, andrerſeits aber kein beſonderer Sitzungstag erforder-
lich ſei.

Schluß 3 ¾ Uhr. Nächſte Sitzung 4 Uhr.



41. Sitzung.

Nachdem die Sitzung um 4 Uhr eröffnet worden, wird der
Antrag des Abg. Auer wegen Einſtellung des gegen den
Abg. Kunert ſchwebenden Strafverfahrens nach kurzer
Begründung durch den Abg. Singer ohne Debatte angenommen.
Es folgt die dritte Berathung des zwiſchen dem Reiche und der Türkei
abgeſchloſſenen Freundſchafts-, Handels- und Schifffahrts-
vertrages,
welcher unverändert im ganzen genehmigt wird.
Die Geſchäftsordnungscommiſſion beantragt, die vom Reichs-
tag erbetene Ermächtigung zur ſtrafrechtlichen Verfolgung des
Redacteurs Müller zu Naumburg a. S. und derjenigen Perſonen,
welche für eine Veröffentlichung in der in Magdeburg erſcheinenden
„Volksſtimme“ vom 2. Juli verantwortlich ſind, nicht zu er-
theilen. Der Antrag wird ohne Debatte angenommen. Schluß
halb 5 Uhr. Nächſte Sitzung Dienſtag den 13. Januar
1891, 2 Uhr. Tagesordnung: Anträge Auer und Richter,
betreffend die Ermäßigung, beziehungsweiſe Aufhebung der land-
wirthſchaftlichen Zölle.



Verſchiedenes.
* Die Treffchancen des Lebel-Gewehres.

Das
franzöſiſche Kriegsminiſterium hat einige intereſſante ſtatiſtiſche
Daten über die Treffchancen des Lebel-Gewehres veröffentlicht.
Den Verſuchen zufolge müſſen mit einem Lebel-Gewehr auf
die Diſtanz von 200 Metern vier Schüſſe abgegeben werden,
um einen Fußſoldaten zu tödten, während der Tod eines
Cavalleriſten erſt nach 25 Schüſſen herbeigeführt werden kann.
Die Zahl der Schüſſe nimmt aber mit der weiteren Diſtanz
rapid zu, ſo daß zum Beiſpiel bei 600 Metern ein Fußſoldat
erſt nach 37 und ein Cavalleriſt gar erſt nach 167 Schüſſen
fällt.

Große Vermächtniſſe. Der
jüngſt in New-York verſtorbene amerikaniſche Bürger Daniel
Fayerweather hat die teſtamentariſche Verfügung getroffen,
daß von ſeinem Vermögen 2,100,000 Dollars unter 20 Seminare
in verſchiedenen Staaten und 95,000 Dollars unter die Hoſpitäler
von New-York vertheilt werden ſollen.

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&#x017F;ich gegen die Ab&#x017F;chaffung der Ausfuhrprämien erklärt. Alle Ver-<lb/>
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[6/0006] München, Samſtag Allgemeine Zeitung 13. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 345. welche er früher vorgebracht habe, die ihm aber damals von der Regierung beſtritten worden ſeien; er freue ſich über dieſe Be- kehrung umſomehr, als nach dem Spruche mehr Freude iſt über einen bekehrten Sünder, als über tauſend Gerechte. (Heiterkeit.) Redner berechnet die Prämien, welche die Zuckerinduſtriellen im Verlaufe der Jahre auf Reichskoſten erhalten haben, auf mehr als 285 Millionen Mark. Die Begründung der Vorlage hat eine ſchwache Stelle, die heute von dem Staatsſecretär etwas ergänzt iſt, nämlich die, worin die Nothwendigkeit der Mehreinnahmen mit dem Bedürfniß des Reiches begründet wird. Man hätte die Reform dieſer Steuer aus ſich heraus machen ſollen ohne jede finanzielle Neben- abſicht; das wäre für die Induſtrie ſehr erwünſcht geweſen. Sie hätte dann keine ſo große Beunruhigung durchzumachen. Auf die deutſche Landwirthſchaft wird das Geſetz gar keinen Einfluß haben. Redner beruſt ſich dafür auf die Ausführungen des früheren Reichstags- abgeordneten Robbe, dem man Sachkenntniß und ein Intereſſe für die Landwirthſchaft nicht ausſprechen könne. Wir haben ſeit dem 1. Auguſt 1888 ein neues Zuckerſteuergeſetz, welches eine ein- ſchneidende Wirkung hätte ausüben müſſen; denn die Material- ſteuer iſt dadurch auf die Hälfte ermäßigt worden. Aber das Geſetz hat gar keine Wirkung auf die Zuckerſabrication gehabt; im Gegentheil, das erſte Jahr nach Inkrafttreten des Geſetzes hatte die größte Zuckerproduction, die jemals in Deutſchland er- reicht worden iſt. Man befürchtet, daß die deutſche Zuckerinduſtrie durch Wegfall der Prämie in ihrem Export geſchädigt wird. Das wird aber nicht der Fall ſein; durch Wegfall der Prämie wird der Weltmarkipreis entſprechend ſteigen. Das brauchte nicht der Fall zu ſein, wenn eine andere Concurrenz vorhanden wäre, welche Deutſchlands Stelle erſetzen könnte; das iſt aber nicht der Fall. Der Ueberſchuß der Zuckervroduction Frankreichs iſt ein ſo geringer, daß er den deut- ſchen Zucker nicht erſetzen kann. Deutſchland exportirt ſo viel Zucker, wie Frankreich überhaupt nur erzeugen kann. Redner erklärt ſich mit der Abſchaffung der Materialſteuer einverſtanden, bedauert aber, daß die Prämien nicht ebenfalls ſofort abgeſchafft, ſondern während der nächſten Jahre noch gezahlt werden ſollen. Da der Zucker heute kein Luxusartikel ſei, ſondern ein Artikel, deſſen Conſum überhaupt möglichſt verallgemeinert werden ſollte, ſo ſollte man die Zuckerſteuer nicht ſteigern. Ohne Erhöhung der Steuer würde ſich der Conſum ſo erhöhen, daß Einnahmen ſich er- geben würden, die von der Regierung ſelbſt nicht erwartet werden dürften. Redner beantragt die Ueberweiſung der Vorlage an eine Commiſſion von 28 Mitgliedern. (Beifall links.) Abg. Graf Udo Stolberg (deutſch-conſ.): Wir erkennen die finanziellen Bedürfniſſe des Reiches an und wollen ſie befrie- digen. Wir halten auch den Zucker fur einen ſteuerfähigen Artikel, aber dieſe Belaſtung muß erfolgen, ohne daß die Zuckerinduſtrie geſchädigt wird. Unter Zuckerinduſtrie verſtehe ich alle dabei be- theiligten Intereſſenten, auch die Landwirthe, welche Rüben bauen. Daß die Landwirthſchaft durch die Aenderung der Zuckerſteuer ge- ſchädigt wird, iſt ſelbſtverſtändlich, denn die Induſtrie wird immer im Stande ſein, die Schädigung zum Theil oder ganz auf die Landwirthſchaft abzuwälzen. Die Landwirthſchaft hat auch ein Intereſſe daran, edle Rüben mit ſtarkem Zuckergehalt zu bauen, denn die edle Rübe entzieht dem Boden nur die nothwendigſten Stoffe, die ſie braucht, läßt aber die andern für die ſpäter zu bauenden Früchte zurück. Der Vorredner behauptet, Frankreich habe weniger Rübenboden als Deutſchland. Ich beſtreite das. Frankreich wird nach dem Fortfall unſrer Prämie, da es jetzt zu unſerm Steuerſyſtem übergegangen iſt, dem deutſchen Zucker Concurrenz auf dem Weltmarkt machen. Man darf dabei nicht vergeſſen, daß die deutſche Zuckerinduſtrie mit theuren Arbeits- köhnen arbeitet und belaſtet iſt durch die Anforderungen der Social- politik und durch die hohen Kohlenpreiſe namentlich in den öftlichen Provinzen. Man wird unterſuchen müſſen, ob die feſten Prämien nicht auf eine längere Reihe von Jahren gewährt werden können. Ferner erſcheint es mir zweifelhaſt, ob nicht der Sprung von 12 auf 22 M. Conſumſteuer ein zu hoher iſt. Denn wenn der Welt- marktpreis ſich erhöhen ſollte, ſo wird durch die Erhöhung der Steuer auch der Inlandspreis erhöht und dadurch eine Steigerung des Conſums verhindert. Der Schwerpunkt der Verhandlungen wird in der Commiſſion liegen, deren Einſetzung auch ich beantrage. Abg. Oechelhäuſer (nat.-lib.): Ich ſpreche nur für einen Theil meiner Freunde und kann nur mein Bedauern darüber ausdrücken, daß die Vorlage überhaupt gemacht worden iſt. Die Zuckerfabricanten mußten ſich darauf einrichten, daß die Prämien einmal wegfallen, weil die finanziellen Bedürfniſſe des Reiches dies nothwendig machen. Aber ſie konnten das Geſetz von 1887, welches ſeit zwei Jahren in Kraft iſt, nicht als ein Uebergangs- ſtadium betrachten, ſondern ſie mußten es nach den eigenen Aeußerungen des Hrn. v. Maltzahn als ein dauerndes betrachten, welches nicht ſo plötzlich aufgehoben werden kann. Man hat von dem Zucker bisher nur immer eine Steuerſumme von 50 bis 60 Millionen Mark in Anſpruch genommen, dieſe Summe iſt durch das Geſetz von 1887 erreicht und es iſt durchaus nicht noth- wendig, jetzt eine Erhöhung eintreten zu laſſen, zumal dieſelbe nur geeignet ſein würde, das Steigern des Verbrauchs zu hindern, ja vielleicht einen Rückgang hervorzurufen. Der Schatzſecretär hat anerkannt, daß alle anderen Staaten ſich bemühen, eine eigene Zuckerinduſtrie zu ſchaffen; umſoweniger dürfen wir aber die Begünſtigungen, welche unſre Induſtrie genießt, beſeitigen. Durch dieſe Beſeitigung der Grundlagen ihrer Proſperität wird die Stellung unſrer Zuckerinduſtrie auf dem Weltmarkt erſchüttert. In Frankreich hat man, weil die Rüben diesmal weniger zuckerhaltig waren, die Ausfuhrprämie, die ohnebin viel höher iſt als bei uns, noch weiter erhöht. Weßhalb Frankreich, welches in den letzten Jahren feinen Export vervierfacht hat, eine noch weitere Ausdeh- nung der Production nicht vornehmen kann, iſt nicht zu verſtehen. Klima und Boden ſind beſſer als bei uns und die Prämie beträgt faſt den vierten Theil des Preiſes. Auch Amerika wird bald Er- folge erzielen, namentlich da eine Fabricationsprämie in Ausſicht genommen iſt. Die Berechnung der Ausfuhrprämie ifl durchaus unrichtig; man kann ernſtlich gar nicht nachweiſen, in welche Taſchen dieſelben gefloſſen ſind, und zweitens berechnet man die Prämien zu Unrecht von der geſammten Production, während nur die Ausſuhr in Rechnung geſtellt werden kann. Ein Freund der Ausfuhrp rämien an ſich bin ich nicht, ich will ſie auch abſchaffen, ſobald es die Zuſtände geſtatten. Die Entſcheidung über dieſe Frage muß deßhalb vertagt werden bis zu dem Zeitpunkte, wo wir die Verhältniſſe beſſer überſehen können. Staatsſecretär v. Maltzahn: Die Vertagung der Entſchei- dung iſt nicht zweckmäßig; im Gegentheil, es muß ein genauer Zeitpunkt feſtgeſtellt werden, mit welchem die Prämien aufhören, und der inländiſche Conſum darf nicht von einer Laſt befreit wer- den, welcher ihm ſpäter doch im Reichsintereſſe wieder auferlegt werden muß. Ueber die Einzelheiten können wir uns in der Com- miſſion unterhalten; die Regierung wird nicht unter allen Umſtän- den jede Vorſchrift der Vorlage aufrecht erhalten. Ich hatte bei früherer Gelegenheit nicht meine perſönliche Stellung zu vertreten, ſondern die der verbündeten Regierungen. Die damalige Situation war auch eine ſolche, daß ich nicht anders ſprechen konnte. Die Verhandlung vom 28. Januar 1889 war die erſte, welche ſich mit der Londoner Convention beſchäſtigte. Hätte ich damals ſagen können: Wir beſeitigen die Steuerprämie doch, auch wenn die Convention nicht zu Stande kommt? Wir durften damals während der Verhandlungen über die internationale Beſeitigung der Prämie eine ſolche Erklärung nicht abgeben. Uebrigens haben die Ver- treter der Zuckerinduſtrie gewußt, daß man die Prämien aufgeben will, ſie ſind darüber gar nicht im Unklaren geweſen. Die Stei- gerung der Ausgaben des Reiches liegt offen vor Aller Augen, namentlich die Invaliden-Verſicherung erfordert Mehrausgaben, die wir gar nicht berechnen können, wir wiſſen nur, daß ſie ſtets ſteigen werden. Abg. v. Kardorff (Reichsp.): Ich fühle mich 15 Jahre jünger; es kommt mir vor, als wenn wir wieder in der Zeit lebten, wo wir leichten Sinnes die Eiſenzölle abſchafften. Ich rechne es mir zum Ruhme an, daß ich damals widerſprochen habe. Die Motive haben wieder ganz den Ton, wie in der Aera Delbrück- Camphauſen. Damals wurden wir wenigen Schutzzöllner alle Augenblicke mit Inſulten überhäuft, wie jetzt Hr. Bamberger ſie vorbringt, der von dem Pact der Großinduſtrie und des Groß- grundbeſitzes ſprach, dem Volke gemeinſam das Fell über die Ohren zu ziehen. (Sehr richtig! links. Sehr falſch! rechts.) Wir können die Dinge heute ruhiger ertragen, denn wir wiſſen, daß die Freihändler nur eine geringe Minderheit im Reichstag ſind. Die Bedeutung des Rübenbaues für die Land- wirthſchaft muß immer wieder hervorgehoben werden; da, wo Rüben gebaut werden, kann das 2½fache der früheren Ernte- menge an Getreide erzielt werden. Iſt denn die Zuckerausfuhr, die, gering geſchätzt, 150 Millionen Mark werth iſt, ſo ganz un- bedeutend? Welchen andern Artikel will man an die Stelle desſelben ſetzen? Die Ueberproduction ſoll durch die Zahl der neubegründeten Fabriken bewieſen werden; aber die Zahl der Fabriken hat ſich in den letzten Jahren nicht vermehrt; zuzugeben iſt allerdings, daß die neuen Fabriken etwas größer ſind als die eingegangenen älteren Fabriken. Die Annahme dieſer Vorlage wird denſelben Erfolg haben, wie die Aufhebung der Eiſenzölle. Der Erfolg war damals ein recht erwünſchter. Als eine große Zahl von Hochöfen ausgeblaſen war und die Löhne zu Hunger- löhnen herabſanken, da verurtheilte das deutſche Volk die Frei- handelspolitik. Wenn die Vorlage Geſetz werden ſollte, werden wir dieſelbe Kataſtrophe in der Zuckerinduſtrie erleben, wie damals in der Eiſeninduſtrie. Vorſichtiger wäre es daher, wenn man dieſes Experiment nicht machen wollte. (Sehr richtig! rechts.) Die Concurrenzfähigkeit Frankreichs wird unterſchätzt, ſowohl von den verbündeten Regie- rungen als von Hrn. Witte. In ganz Frankreich denkt man ganz anders darüber und frent ſich, daß man Deutſchland jetzt leichter vom Weltmarkt wird verdrängen können. Auf die früheren Aus- laſſungen des Hrn. v. Maltzahn hat Hr. Oechelhäuſer ſchon ver- wieſen. Wenn dieſe Praxis ſich einbürgert, dann werden die Er- klärungen unſrer Vertreter nicht mehr denſelben Glauben finden, wie früher. Und in welche Stellung kommen die engliſchen Miniſter! Sie haben es unter heftigen Angriffen der Oppoſition durchgeſetzt, daß nach dem Zuſtandekommen der Londoner Convention der mit Prämien bedachte Zucker vom engliſchen Markte ausge- ſchloſſen werden ſoll; was werden ſie dazu ſagen, wenn man jetzt von deutſcher Seite ſelbſtändig vorgeht? Und wie ſteht es denn mit Oeſterreich-Ungarn? Wird dieſer Hauptconcurrent Deutſchlands feine Prämien beibehalten oder nicht? Man ſollte doch die Beſchluß- faſſung über dieſe Vorlage vertagen, bis über den öſterreichiſchen Handels- vertrag Auskunft gegeben werden kann. (Sehr richtig! rechts.) Noch am 2. Februar dieſes Jahres hat Hr. Miquel in einer Wahlrede ſich gegen die Abſchaffung der Ausfuhrprämien erklärt. Alle Ver- treter der Landwirthſchaft, auch diejenigen, welche kein Intereſſe an der Rübenzuckerinduſtrie haben, ſollten bedenken, daß die Inter- eſſen der Landwirthſchaft ſolidariſch ſind. Was jetzt der Zucker- induſtrie geſchieht, kann auch der Brennerei paſſiren, und ſchließlich ſollte auch die Induſtrie daran denken, daß die agrariſchen Zölle, von deren Ermäßigung ja jetzt vielfach geſprochen wird, mit den induſtriellen Zöllen ſtehen und fallen. Wenn man eine neue Ver- brauchsſteuer braucht, dann ſollte man einmal eine ſolche aus- ſuchen, die nicht die Landwirthſchaft betrifft, vielleicht eine Steuer auf Kattun oder dergl. Sehr zweckmäßig wäre auch eine Inſeraten- ſteuer, deren Erträge die kühnſten Erwartungen überſteigen würden. (Beifall rechts.) Schatzſecretär v. Maltzahn: Das Vorgehen bezüglich der Eiſenzölle im Jahre 1872 iſt mit dem jetzigen Vorgehen durchaus nicht zu vergleichen. Ich habe damals ſelbſt für die Aufhebung der Eiſenzölle geſtimmt und erkläre, daß ich dieſe Abſtimmung heute für eine falſche halte. Aber damals handelte es ſich darum, der Eiſeninduſtrie den Schutz, welchen ſie für den einheimiſchen Markt beſaß, zu entziehen. Nach der gegenwärtigen Vorlage bleibt aber die Zuckerinduſtrie auf dem einheimiſchen Markte ebenſo ge- ſchützt wie bisher. Wir ſind nicht leichten Herzens zu dieſer Vor- lage gekommen, ich kann wenigſtens für meine Perſon das Gegen- theil bezeugen; nur unter dem Drucke zwingender Nothwendigkeit bin ich daran gegangen, dieſe Vorlage ausarbeiten zu laſſen und vorzulegen. Wenn ich die Sache nicht eindringlich genug gemacht habe, wenn der Ton der Motive nicht gefällt, ich gebe die ganzen Motive preis, wenn Sie nur die Vorlage annehmen. (Zuſtimmung; große Heiterkeit.) Abg. Heine (Soc.): Die Ungerechtigkeiten der Zuckerſteuer, die Zuwendungen der großen Summen von Prämien an die Fabricanten haben in den Arbeiterkreiſen ſchon lange großen Un- willen erregt und bei den letzten Wablen dahin geführt, daß ein großer Zuckerfabricant, Hr. Dietze, von den Socialdemokraten ge- ſchlagen wurde. Mit der Vorlage bin ich einverſtanden in Bezug auf die Abſchaffung der Prämien; aber wir wollen keine Warte- zeit dafür und auch keine Erhöhung der Zuckerverbrauchsſteuer, weil der Zucker jetzt ſchon ein nothwendiges Lebensmittel geworden iſt. Die kleinen Grundbeſitzer ſind durch die großen Rübenfabriken und Rübenbauer allmählich ausgekauft und in das Proletariat herabgeſtoßen worden. Die Arbeiter der Zuckerinduſtrie ſind geſundheitlich geſchädigt worden, Scropheln und Schwind- ſucht nehmen zu; das Leben der Arbeiter iſt ein ſehr kurzes. Ihre Abhängigkeit von den Fabricanten iſt eine ungeheure. Die Zuckerinduſtrie iſt ein Moloch, nicht nur für die Steuercaſſe, ſondern auch für die Geſundheit der Bevölkerung. Die Arbeiter werden in den Zuckerfabriken jetzt gezwungen, Petitionen gegen die Zuckerſteuervorlage zu unterſchreiben! Die Zuckerfabri- canten ſträuben ſich am meiſten gegen die Einſchränkung der Frauenarbeit, ohne welche ihre Fabriken nicht beſtehen könnten. Die Zuckerprämien betragen genau ſo viel, als die Arbeiter als Lohn erhalten. Der Lohnertrag während der fünf Campagne- monate beträgt nämlich nach der Statiſtik der Berufsgenoſſen- ſchaſten 35 Millionen Mark und die Prämien ſtellen ſich auf 36 Millionen Mark. Abg. Dr. Buhl (nat.-lib.): Der Abg. Oechelhäuſer hat im Namen eines Theiles meiner Freunde geſprochen; ich erkläre im Namen des übrigen Theiles unſrer Partei, daß die Mehrheit auf dem Boden der Vorlage ſteht. Der entſcheidendſte Punkt iſt für uns der, daß wir uns nicht entſchließen können, den verbündeten Regierungen unſre Unterſtützung zu verſagen, wenn dieſe den Zeit- punkt gekommen glauben, eine ſo große Prämie zu Gunſten eines Productionszweiges zu beſeitigen. Wir verkennen dabei keineswegs die Bedeutung der Zuckerinduſtrie; wir wiſſen, wie große Flächen deutſchen Bodens mit der Rübe bebaut werden, und Hr. v. Kar- dorff irrt ſich, wenn er meint, es könnte hier gegen die Intereſſen der Zuckerinduſtrie der particulariſtiſche bayeriſche Sonderſtand- punkt zur Geltung kommen, denn gerade in meiner engeren Hei- math, der Pfalz, iſt dieſe Induſtrie nicht unbedeutend. Gerade unſre kleinen und mittleren Bauern finden in dem Rübenbau einen willkommenen Erſatz für den Tabalbau. Beſtimmend iſt für mich vor allem das von dem Herrn Staatsſecretär angeführte Moment, daß die anderen Länder im eigenen Intereſſe uns in der Abſchaffung der Prämien folgen werden. Ich glaube, daß dieſe Prophezeiung keine falſche ſein wird. So lange die Materialſteuer in den einzelnen Ländern die Grundlage der Beſteuerung bildet, iſt es außerordentlich ſchwer für den Außenſtehenden, zu beur- theilen, ob in dem betreffenden Lande auf Grund der Material- ſteuer eine Prämie noch gewährt wird. Aber wenn der größte Zuckerproducent der Welt die Abſchaffung der Prämie in nahe Ausſicht ſtellt, ſo bin ich überzeugt, daß weite Kreiſe, die in den einzelnen Ländern nicht an der Zuckerinduſtrie betheiligt ſind, in unſerm Vorgehen eine bedeutende Verſtärkung in ihrem Vorgehen gegen die Zuckerprämie erkennen werden. Der öſterreichiſchen Finanz- verwaltung kann es nur erwünſcht ſein, 5 Millionen Gulden weniger auszugeben. Andere Länder will ich nicht nennen, um in dieſer Beziehung die Eiferſucht nicht wachzurufen. Der Abg. Witte hat den ſehr wichtigen Satz aufgeſtellt, daß bei Fortfall der Prä- mien der Weltmarktpreis ſteigen müſſe, demnach haben die bisherigen Prämien den Weltmarktpreis und alſo auch den Inlandspreis herab- geſetzt. Die politiſchen Freunde des Abg. Witte bekämpfen doch ſonſt immer Maßregeln, durch die der Conſumpreis herabgeſetzt wird; warum ereifern ſie ſich denn jetzt ſo gegen die Prämien, die den Conſumpreis des Zuckers drücken? Es iſt eben unrichtig, daß durch die Prämien der deutſche Conſumzucker vertheuert wird. Durch das bisherige Steuerſyſtem iſt eine deutſche Induſtrie groß und bedeutend geworden, wir wollen hoffen und wünſchen, daß durch das neue Geſetz der Induſtrie wie der Landwirthſchaft ihre alte Kraſt erhalten bleibt, und unter dieſer Vorausſetzung ent- ſchließen wir uns, im allgemeinen für die Vorlage einzutreten. (Beifall.) Abg. Dr. Barth (dfreiſ.): Wir haben ſtets behauptet, daß durch die Exportprämie der Weltmarktpreis für Zucker gedrückt werde, aber wir Freihändler haben niemals einen ſo thörichten Standpunkt vertreten, daß wir durch künſtliche Maßregeln die Preiſe künſtlich drücken wollen. Die erſte Aufgabe einer geſunden Wirthſchaftspolitik iſt es, alle Maßregeln zu beſeitigen, welche die Preiſe künſtlich in aufſteigender oder abſteigender Richtung beeinfluſſen. Die Exportprämien haben nun den Weltmarktpreis vollſtändig demoraliſirt, denn wir geben jährlich 20 Millionen, damit die engliſchen Conſumenten unnatürlich billigen Zucker er- halten. Mit Recht fühlt ſich der Abg. v. Kardorff bei der Lectüre dieſer Vorlage an die Zeiten einer gemäßigten Freihandelspolitik erinnert. Sie beruht auf einer wirklich rationellen Grundlage, nur hoffen wir, die Regierung wird mit uns gemeinſchaftlich noch weiter gehen und die Schonzeit von vier Jahren durch ſofortige Abſchaffung der Prämien fallen laſſen. Eine Steigerung der Ver- brauchsſteuer hätte nach Wegfall der Materialſteuer auch nicht ein- zutreten brauchen, denn die Steigerung des inländiſchen Conſums würde reichlichen Erſatz bieten. Wenn innerhalb der letzten ſieben Jahre die Zuckerſteuer fünfmal abgeändert iſt, ſo zeigt das nur, daß früher ein falſches Syſtem ergriffen worden iſt. Hüten wir uns jetzt vor einem ſaulen Frieden, denn andernfalls wird die Zuckerinduſtrie ſchon nach kurzer Zeit wieder mit neuen Factoren zu rechnen haben. Je größer die auf dem Weltmarkt er- ſcheinende Quantität Zucker ſein wird, um ſo nothwendiger iſt es, daß der Geſundungsproceß unfrer Induſtrie raſch vor ſich gebt. Schon deßhalb dürfen wir nicht noch weiter auſ vier Jahre die Prämie beibehalten. Das kommt mir vor, als wenn Jemand ſich vornimmt, von übermorgen an ein ſolider Menſch zu werden, die Zwiſchenzeit aber noch recht luſtig und fidel verleben will. Daß die Engländer die inter- nationale Zuckerconvention unmöglich gemacht haben, verſtehe ich von ihrem Standpunkte vollſtändig. Wenn der Continent ihnen billigen Zucker liefern will, warum ſollen ſie ſich durch eine Con- vention davor verſchließen? Wenn Deutſchland mit der Abſchaffung des Prämienſyſtems vorangeht, werden andere Staaten folgen. Das unvermeidliche Anziehen des Weltmarktpreiſes wird die Fabricanten für den Wegfall der Prämien vollſtändig entſchädigen. Wir werden in allem alsdann zu dem natürlichen Syſtem kommen. Damit ſchließt die Discuſſion. Die Vorlage wird an eine Commiſſion von 28 Mitgliedern überwieſen. Der Präfident ſchlägt vor, die nächſte Sitzung ſofort abzuhalten, damit der türkiſche Handelsvertrag noch vor Weihnachten erledigt werden könne, andrerſeits aber kein beſonderer Sitzungstag erforder- lich ſei. Schluß 3 ¾ Uhr. Nächſte Sitzung 4 Uhr. 41. Sitzung. Nachdem die Sitzung um 4 Uhr eröffnet worden, wird der Antrag des Abg. Auer wegen Einſtellung des gegen den Abg. Kunert ſchwebenden Strafverfahrens nach kurzer Begründung durch den Abg. Singer ohne Debatte angenommen. Es folgt die dritte Berathung des zwiſchen dem Reiche und der Türkei abgeſchloſſenen Freundſchafts-, Handels- und Schifffahrts- vertrages, welcher unverändert im ganzen genehmigt wird. Die Geſchäftsordnungscommiſſion beantragt, die vom Reichs- tag erbetene Ermächtigung zur ſtrafrechtlichen Verfolgung des Redacteurs Müller zu Naumburg a. S. und derjenigen Perſonen, welche für eine Veröffentlichung in der in Magdeburg erſcheinenden „Volksſtimme“ vom 2. Juli verantwortlich ſind, nicht zu er- theilen. Der Antrag wird ohne Debatte angenommen. Schluß halb 5 Uhr. Nächſte Sitzung Dienſtag den 13. Januar 1891, 2 Uhr. Tagesordnung: Anträge Auer und Richter, betreffend die Ermäßigung, beziehungsweiſe Aufhebung der land- wirthſchaftlichen Zölle. Verſchiedenes. * Die Treffchancen des Lebel-Gewehres. Das franzöſiſche Kriegsminiſterium hat einige intereſſante ſtatiſtiſche Daten über die Treffchancen des Lebel-Gewehres veröffentlicht. Den Verſuchen zufolge müſſen mit einem Lebel-Gewehr auf die Diſtanz von 200 Metern vier Schüſſe abgegeben werden, um einen Fußſoldaten zu tödten, während der Tod eines Cavalleriſten erſt nach 25 Schüſſen herbeigeführt werden kann. Die Zahl der Schüſſe nimmt aber mit der weiteren Diſtanz rapid zu, ſo daß zum Beiſpiel bei 600 Metern ein Fußſoldat erſt nach 37 und ein Cavalleriſt gar erſt nach 167 Schüſſen fällt. * Waſhington, 8. Dec. Große Vermächtniſſe. Der jüngſt in New-York verſtorbene amerikaniſche Bürger Daniel Fayerweather hat die teſtamentariſche Verfügung getroffen, daß von ſeinem Vermögen 2,100,000 Dollars unter 20 Seminare in verſchiedenen Staaten und 95,000 Dollars unter die Hoſpitäler von New-York vertheilt werden ſollen.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 345, 13. Dezember 1890, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine345_1890/6>, abgerufen am 16.07.2024.