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Allgemeine Zeitung, Nr. 346, 14. Dezember 1890.

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Nr. 346. -- 92. Jahrgang.
Morgenblatt.
München, Sonntag, 14. December 1890.


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Allgemeine Zeitung.
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u. Co., Haasenstein u. Vogler u. R. Mosse.
In den Filialen der Zeitungsbureaur Invalidendank zu Berlin,
Dresden, Leipzig, Chemnitz etc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenstr. 26) und S. Kornik (Krausenstr. 12),
Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publishing Agency, 710 Broadway.
Druck und Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München.

Mit Bayerischer Handels-Zeitung. Organ der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern.




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Inhalts-Uebersicht.
Deutsch-österreichische Zollconferenzen sonst und jetzt.
Deutsches Reich. * Berlin: Bundesrath. Schulbildung
der Recruten in Preußen. n. Metz: Proceß Stöckel.
Schweiz. @ Bern: Wahl des Bundesraths.
Belgien. # Brüssel: Die preußische und österreichische Officiers-
deputation beim König. Die Revisionsfrage. Zur Congo-Zoll-
conferenz.
Frankreich. r Paris: Zur inneren Lage. * Trauben- und
Getränkezölle. Uniformirung der Cavallerie.
Die Schulreform-Conferenz in Berlin.
Fenilleton: Alcibiades. Von Heinrich Noe. (Schluß.)
Hiezu: Zweites, drittes und viertes Morgenblatt.





Deutsch-österreichische Zollconferenzen sonst
und jetzt.

-y- Die jetzigen Handelsvertragsverhandlungen in Wien
zwischen den deutschen, österreichischen und ungarischen Dele-
girten legen einen vergleichenden Rückblick auf die Wiener
Zollconferenzen vom Jahre 1852 nahe. Oesterreich hatte mit
Schreiben vom 25. Nov. 1851 die Regierungen sämmtlicher
deutscher Bundesstaaten zu einer am 2. Jan. 1852 zu eröffnen-
den Zusammenkunft eingeladen. Preußen, die thüringischen
Staaten, Mecklenburg und Holstein folgten der Einladung nicht.
Als Ministerpräsident Fürst Schwarzenberg am 4. Jan. 1852
die Mitglieder der Conferenz begrüßte, konnte er nicht umhin,
hervorzuheben, wie die kaiserliche Regierung nicht der Ansicht
sei, daß schon in der gegenwärtigen Zusammenkunft, in welcher
"so manche wichtige Theile Deutschlands" nicht vertreten seien,
endgültige Beschlüsse gefaßt werden sollten. Ueberhaupt über-
wiegt in der historisch bedeutsamen Eröffnungsrede des Fürsten
Schwarzenberg das negative und volemische Element. Zwar
wird der positive Zweck der Verhandlungen zunächst mit Ent-
schiedenheit vorausgestellt; dieser Zweck ist "kein anderer, als
jener, womöglich die geeigneten Verabredungen zum Behufe
eines die künftige Handels- und Zolleinigung Deutschlands und
Oesterreichs vorbereitenden und deren Verwirklichung sicher-
stellenden Vertrags zu treffen". Das charakteristische "kein
anderer" dieses Satzes findet sofort seine weitere Ausspinnung
in dem folgenden Satze, in welchem Fürst Schwarzenberg her-
vorhebt, es werde an manchem Orte noch zur Stunde die
Besorgniß gehegt, daß Oesterreich außer dem von ihm laut
verkündeten Zwecke auch noch andere zu erreichen strebe,
oder daß doch wenigstens die Durchführung der österreichi-
schen Absichten die bisherigen handelspolitischen Verbindungen
in ihrem Fortbestand unfehlbar würde gefährden müssen. Mit
großer Vorsicht vermeidet der österreichische Ministerpräsident
die Betonung der neben den handelspolitischen Erwägungen
bestehenden politischen Interessen, wohl empfindend, daß in
dem damals noch mangelnden Austrag der Frage, wer die
deutsche Vormacht sein solle, die größte Schwierigkeit der Ver-
knüpfung politischer und handelspolitischer Interessen lag.
Das politische Interesse Oesterreichs wird sogar in gewissem
[Spaltenumbruch] Sinne verhüllt, wenn der Fürst hervorhebt, Oesterreich könne
sich nach seinen volkswirthschaftlichen Verhältnissen und Be-
ziehungen zwar selbst genügen, "um jedoch den großartigen
Gedanken eines mitteleuropäischen Zollbündnisses seiner Ver-
wirklichung zuzuführen und die Bande der Freundschaft
zwischen dem Kaiserstaate und den mit ihm im deutschen
Bunde vereinten Fürsten und Völkern zu allseitigem Vortheil
noch enger und fester zu knüpfen, werde Oesterreich sich zu
den seinerseits zu bringenden entsprechenden Opfern gewiß
bereit finden lassen".

Wie ganz anders sind die Verhältnisse, unter welchen jetzt
der Graf Kalnoky die Mitglieder der gegenwärtigen Wiener
Zollconferenzen begrüßt hat! Heute erscheinen nicht mehr ver-
einzelte deutsche Staaten, welche an Macht und Bevölkerung
des deutschen Gebietes nur eine Minderheit darstellten, sondern
Alldeutschland in der geeinten, jedes innere handelspolitische
Zerwürfniß ausschließenden Erscheinung des Reiches, unter
werkthätiger Beihülfe gewiegter Sachkenner aus den nach ihrer
Bedeutung und geographischen Lage besonders interessirten
deutschen Einzelstaaten.

Und auch auf der anderen Seite hat sich eine bedeutsame
Wandlung vollzogen, in dem die wirthschaftlichen Interessen Ungarns
nunmehr ihren besonderen staatsrechtlichen Ausdruck neben
jenen Cisleithaniens und der gesammten österreichisch-ungarischen
Monarchie gefunden haben. Im Einzelfalle wird die selb-
ständige Sprache Ungarns gewiß recht oft die Verständigung
erschweren; wenn sie aber zu Stande kommt, ist sie gerade
durch die vorgängige Aussprache der ungarischen Interessen um
so mehr gefestigt.

Der politische Kampf um die Vormacht in Deutschland ist
jetzt ausgetragen; nun besteht auch kein Bedenken mehr, der
Wahrheit die Ehre zu geben und die hohe Bedeutung der han-
delspolitischen neben der politischen Freundschaft ausdrücklich
hervorzuheben, wie dies in der That Graf Kalnoky in seiner
Begrüßungsansprache gethan hat.

Auch in dem sachlichen Ziele der Bestrebungen besteht. der
größte Gegensatz zwischen jetzt und sonst. Durch die Wiener
Conferenzen von 1852 sollten gleich zwei Etappen der handels-
politischen Annäherung von Deutschland und Oesterreich be-
wältigt werden. In der That verständigte sich die Conferent
nicht bloß über einen Handels- und Zollvertrag, welcher am
1. Januar 1854 in Kraft treten sollte, sondern auch über einen
mit dem 1. Januar 1859 in Wirksamkeit zu setzenden Zolleini-
gungsvertrag. Keiner dieser beiden Vertragsentwürfe kam be-
kanntlich zur Verwirklichung, wohl aber auf Grund directer
Verhandlungen zwischen Oesterreich und Preußen ein Handels-
vertrag mit Zollcartell vom 19. Februar 1853, welcher den
gesunden Gedanken eines Systems ausschließlicher gegenseitiger
Zollbegünstigungen zur Durchführung brachte.

Die jetzigen Conferenzen sind nicht durch die Wucht formu-
lirter weitaussehender Projecte belastet; fast möchten wir meinen,
daß eher das Gegentheil der Fall ist. Hoffen wir, daß der
jetzt angebahnte persönliche Meinungsaustausch dazu führt, die
Aussichten einer ernstlichen handelspolitischen Annäherung
zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn zu fördern. Die bloße
Verständigung über einzelne Tarifänderungen, welche ohne
weiteres der ganzen übrigen meistbegünstigten Welt zu gute
[Spaltenumbruch] kämen, würde allerdings auch dem bescheidensten Ideale einer
solchen Annäherung nicht wohl entsprechen. Der Gedanke,
welcher dem Februar-Vertrag zu Grunde lag, muß, wenn auch
nicht gerade in der Form, welche er damals fand, eine durch
die Rücksichten auf die handelspolitische Weltlage bedingte
Wiederbelebung erfahren, wenn des Grafen Kalnoky zur Be-
grüßung der Conferenz ausgesprochene und gewiß allseitig in
Deutschland mit wärmstem Beifall aufgenommene Hoffnungen
zur Wahrheit werden sollen, "daß die Ergebnisse der Verhand-
lungen zu einer erfreulichen Ergänzung der politischen Freund-
schaft zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn auf handels-
politischem Gebiete führen". Für das Gelingen ist seitdem
auch Kaiser Franz Joseph in eigener Person eingetreten.



Deutsches Reich.

Der Bundesrath ertheilte in der
am 11. d. M. unter dem Vorsitz des Staatssecretärs des Innern,
Dr. v. Boetticher, abgehaltenen Plenarsitzung die Zustimmung:
dem am 26. August d. J. zwischen dem Reich und der Türkei ab-
geschlossenen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrage, dem
Entwurf einer Verordnung, betreffend die Formen des Verfahrens
und den Geschäftsgang des Reichsversicherungsamts in den Ange-
legenheiten der Invaliditäts- und Altersversicherung, den Anträgen
Preußens betreffend den Aufruf und die Einziehung der Ein-
hundertmarknoten der Danziger Privatactienbank, und wegen Ver-
längerung des Banknotenprivilegiums der städtischen Bank zu
Breslau, dem Besoldungs- und Pensionsetat der Reichsbankbeamten
für 1891, dem Antrage der Direction der pfälzischen Eisenbahnen
zu Ludwigshafen am Rhein wegen Anwendung der Bestimmungen
des §. 4 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes auf
die bei den pfälzischen Eisenbahnen mit Pensionsberechtigung an-
gestellten Beamten, ferner den Gesetzentwürfen für Elsaß-Loth-
ringen betreffend die Aufhebung der Denunciantenantheile und die
Einrichtung von Grundbüchern. Die Arbeiterpensionscasse für den
Bereich der großherzoglich badischen Staatseisenbahn- und Boden-
see-Dampfschifffahrts- und der großherzoglichen Salinenverwaltung
und die Arbeiterpensionscasse der königlich bayeri-
schen Staatseisenbahnverwaltung
wurden auf Grund der
vorgelegten Satzungen als Casseneinrichtungen im Sinne der
§§. 5 und 6 des Reichsgesetzes vom 29. Juni 1889 anerkannt.
Der Entwurf einer Verordnung wegen des Verbots von Maschinen
zur Herstellung künstlicher Kaffeebohnen wurde den Ausschüssen
für Handel und Verkehr und für Justizwesen, die Eingabe des
Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirthschaftlichen Interessen
in Rheinland und Westfalen zu Düsseldorf, betreffend die reichs-
gesetzliche Regelung des Postsparcassenwesens dem Hrn. Reichs-
kanzler überwiesen. Mit der bereits erfolgten Ueberweisung der
Vorlage, betressend die Befreiung der mit Pensionsberechtigung
angestellten Beamten landesherrlicher Hof- und anderer Verwal-
tungen von der Versicherungspflicht auf Grund des §. 7 des In-
validitäts- und Altersversicherungsgesetzes, an den Ausschuß für
Handel und Verkehr, erklärte sich die Versammlung einverstanden.
Von mehreren vorgelegten Actenstücken über die Verhältnisse in
Deutsch-Ostasrika nahm dieselbe Kenntniß. Endlich wurde über
den Sr. Majestät dem Kaiser wegen Wiederbesetzung einer Raths-
stelle bei dem Reichsgericht zu unterbreitenden Vorschlag, über das



[Spaltenumbruch]
Feuilleton.


(Nachdruck verboten.)
Alcibiades.

(Schluß.)

* Pierino war in seinem Leben niemals verlegen oder blöd
gewesen und beschloß deßhalb, sich um Hülfe an einen Officier
seines Regimentes zu wenden.

Als derjenige, an welchen der Brief gerichtet war, von
demselben Kenntniß genommen hatte, gab er sich zunächst dem
Erstaunen hin. Wie kam der Marchese dazu, von seiner Hei-
math aus, wo alle Hülfsquellen nahe waren, die Hand nach
einem fremden Lande und nach dem mageren Geldbeutel eines
Kameraden auszustrecken?

Nach langem Nachdenken faßte der Officier den Entschluß,
die Sache dem Obersten vorzutragen. Dieser besann sich nicht
lange. Er wußte, auf wessen Verwendung hin der junge
Sausewind ins Regiment gekommen war, und dachte, daß es
ihm selbst späterhin verargt werden würde, wenn er den
kleinen Marchese fallen ließe, ohne vorher an der nämlichen
Stelle um Hülfe angesucht zu haben.

Und so geschah es. Nach wenigen Tagen traf die ge-
forderte Summe ein, nicht im landesüblichen Papier, sondern
in schweren Goldstücken, wie es der Würde des Spenders
entsprach.

Hätte Pierino es darauf angelegt gehabt, das Piedestal,
auf welchem er dort nicht nur für die Augen der Maulaffen
und Müßiggänger, sondern sogar für die seiner Cameraden
stand, zu erhöhen, so hätte er nichts Besseres thun können,
als mit dieser nothgedrungenen Bettelei heranzurücken. Die-
selbe hatte gar keine Demüthigung, sondern nur einen Zu-
wachs seines Ansehens im Gefolge.

Wenn er über den Corso ging, blieben alle Müßiggänger
stehen, aus den Fenstern und Thüren der Casehäuser, Apo-
theken und Barbierstuben wurden die Köpfe vorgestreckt. Und
wenn die schleiergeschmückten Schönen mit Einbruch der
Dämmerung, gleich den Fledermäusen, Arm in Arm in ein-
[Spaltenumbruch] ander eingehängt in die beginnende Kühlung hinausschlender-
ten, so daß ihre Reihen die ganze Breite des Corsos ein-
nahmen, wendeten sich meist alle Nacken gleichzeitig nach
ihm um.

Darum verursachte es wohl große Aufregung, aber
keinerlei Verwunderung, als es plötzlich hieß, die junge Gio-
vannina, die Tochter eines wohlhabenden Grundbesitzers, der
zwei Paläste in der Stadt, ausgedehnte Oelgärten und Wein-
berge sein eigen nannte, sei die erklärte Zukünftige Pierino's.

Das Mädchen selbst trug allenthalben die Freudennach-
richt herum, und es zeigte deutlich, daß Vater und Mutter
noch ärger in Pierino vernarrt waren, als die Braut selbst.

"Sior Domenico" führte den jungen Herrn in seiner
Staatskutsche spazieren, es gab Einladung auf Einladung
nicht bloß in dem marmornen Palaste, sondern auch im
schönsten der Landhäuser, auf welches man jetzt, mit Beginn
des Frühlings, sich gerne zurückzog. Zahlreiche Herren und
Damen wurden diesen Gesellschaften beigezogen und Alles
schwamm in Glück und Wonne. Den Mittelpunkt der Kreise
aber, welche diese Lustbarkeit zog, bildete stets Pierino.

Wenn ihm seine ernsten Kameraden die eine oder andere
Bemerkung über den lockeren Lebenswandel, dem er sich hin-
gab, machten, so antwortete der ehemalige Zögling der
Annunziatella: "Ihr wißt doch, daß ich alle vier Wochen zur
Beichte gehe?"

Es schien aber, als ob dem Herrn Obersten diese im Regi-
ment beispiellose Frömmigkeit doch nicht als hinlängliche
Gegenleistung für manche peinliche Betrachtung, die hinsicht-
lich dieses Herrn angestellt werden konnte, erschiene. Denn
bald darauf spielte sich folgende eigenthümliche Scene ab.

Ein Dutzend Armleuchter brannte im Hause Sior Dome-
nico's. Alles schien Lust und Froysinn. Gleichwohl aber
bildeten die Mienen derjenigen, denen diese Freudenstunden
galten, einen Gegensatz zu der geräuschvollen Munterkeit, in
welcher sich die geladenen Herren und Damen unterhielten.
Sowohl Sior Domenico, als Signora Claudia und die junge
Giovan nina bemühten sich mit jedem Augenblicke mehr, eine
in ihnen aufsteigende Aengstlichkeit zu verbergen.

Von dem geoffneten Balcon aus blickte man auf das nahe
Meer. Einige Herren und Damen der Gesellschaft standen in
[Spaltenumbruch] Erwartung, daß das Festmahl der Verlobung beginne, draußen
und schauten den Bewegungen der Lichter auf dem in Dunkel-
heit versinkenden Wasser zu.

Unter diesen Lichtern, welche hin und her schwankten, waren
einige rothe und grüne, die ruhig an ihrer Stelle blieben.
Plötzlich ertönte ein dreimaliger, hohler, schier ängstlich klingender
Ruf -- offenbar das Zeichen irgendeiner Dampfpfeife. Wenige
Augenblicke später fingen auch diese rothen und grünen Lichter
zu zittern an und entfernten sich langsam vom Ufer.

"Es ist der Dampfer; er wird eine schöne Fahrt haben",
hieß es auf dem Balcon.

In diesem Augenblick sagte drinnen der Oberst:

"Es war in der That nicht anders möglich. Ich mußte
den jungen Mann Hals über Kopf fortschicken. Ich hatte
keinen andern Officiersstellvertreter zur Hand, nachdem der be-
treffende Herr in den letzten Augenblicken sich krank gemeldet
hatte. Er hat die Urlauber heimzubringen."

Giovannina hatte man, in Thränen aufgelöst, hinaus-
gebracht.

Indessen sollte Pierino in drei Wochen zurück sein. Der
Oberst wußte es freilich besser, daß er nicht wieder zurückkehren
würde. Einer geachteten Familie mußte eine schwere Ent-
täuschung und dem Regimente eine unliebsame Nachrede erspart
bleiben.

Pierino hatte sich von einem Kalligraphen in Palermo, auf
den er während seines letzten Aufenthaltes in Italien aufmerl-
sam gemacht worden war, sein Wappen in schöner Malerei auf
Pergament ausführen und auch eine Art von Diplom dazu
anfertigen lassen. Der Künstler, der zugleich als Heraldiker galt,
und als solcher in einem Lande, in welchem die Conti, Marchest
und Principi wild wachsen, oft in Anspruch genommen wurde,
hatte seine Sache so gut gemacht, daß Sior Domenico, der die
Pergamente zufällig zu sehen bekam, davon entzückt war. Der
Oberst dagegen, in der Heraldik weniger bewandert, wollte
in denselben nur gefärbtes Packpapier erblicken und stellte das
Marchesat Pierino's, was dessen Greifbarkeit anbelangt, auf
die gleiche Linie mit dessen Reichthümern und Tugenden, durch
die er sich die Bewunderung der Familie Giovannina's er-
obert hatte.

Aus diesem Grunde saß Pierino jetzt auf dem Dampfer,

Nr. 346. — 92. Jahrgang.
Morgenblatt.
München, Sonntag, 14. December 1890.


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Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. Loeſcher und Frat.
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amt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt. E. Stechert,
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u. Co., Haaſenſtein u. Vogler u. R. Moſſe.
In den Filialen der Zeitungsbureaur Invalidendank zu Berlin,
Dresden, Leipzig, Chemnitz ꝛc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtr. 26) und S. Kornik (Krauſenſtr. 12),
Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publiſhing Agency, 710 Broadway.
Druck und Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München.

Mit Bayeriſcher Handels-Zeitung. Organ der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern.




[Spaltenumbruch]
Inhalts-Ueberſicht.
Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt und jetzt.
Deutſches Reich. * Berlin: Bundesrath. ☿ Schulbildung
der Recruten in Preußen. n. Metz: Proceß Stöckel.
Schweiz.Bern: Wahl des Bundesraths.
Belgien.Brüſſel: Die preußiſche und öſterreichiſche Officiers-
deputation beim König. Die Reviſionsfrage. Zur Congo-Zoll-
conferenz.
Frankreich.Paris: Zur inneren Lage. * Trauben- und
Getränkezölle. Uniformirung der Cavallerie.
Die Schulreform-Conferenz in Berlin.
Fenilleton: Alcibiades. Von Heinrich Noé. (Schluß.)
Hiezu: Zweites, drittes und viertes Morgenblatt.





Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt
und jetzt.

-y- Die jetzigen Handelsvertragsverhandlungen in Wien
zwiſchen den deutſchen, öſterreichiſchen und ungariſchen Dele-
girten legen einen vergleichenden Rückblick auf die Wiener
Zollconferenzen vom Jahre 1852 nahe. Oeſterreich hatte mit
Schreiben vom 25. Nov. 1851 die Regierungen ſämmtlicher
deutſcher Bundesſtaaten zu einer am 2. Jan. 1852 zu eröffnen-
den Zuſammenkunft eingeladen. Preußen, die thüringiſchen
Staaten, Mecklenburg und Holſtein folgten der Einladung nicht.
Als Miniſterpräſident Fürſt Schwarzenberg am 4. Jan. 1852
die Mitglieder der Conferenz begrüßte, konnte er nicht umhin,
hervorzuheben, wie die kaiſerliche Regierung nicht der Anſicht
ſei, daß ſchon in der gegenwärtigen Zuſammenkunft, in welcher
„ſo manche wichtige Theile Deutſchlands“ nicht vertreten ſeien,
endgültige Beſchlüſſe gefaßt werden ſollten. Ueberhaupt über-
wiegt in der hiſtoriſch bedeutſamen Eröffnungsrede des Fürſten
Schwarzenberg das negative und volemiſche Element. Zwar
wird der poſitive Zweck der Verhandlungen zunächſt mit Ent-
ſchiedenheit vorausgeſtellt; dieſer Zweck iſt „kein anderer, als
jener, womöglich die geeigneten Verabredungen zum Behufe
eines die künftige Handels- und Zolleinigung Deutſchlands und
Oeſterreichs vorbereitenden und deren Verwirklichung ſicher-
ſtellenden Vertrags zu treffen“. Das charakteriſtiſche „kein
anderer“ dieſes Satzes findet ſofort ſeine weitere Ausſpinnung
in dem folgenden Satze, in welchem Fürſt Schwarzenberg her-
vorhebt, es werde an manchem Orte noch zur Stunde die
Beſorgniß gehegt, daß Oeſterreich außer dem von ihm laut
verkündeten Zwecke auch noch andere zu erreichen ſtrebe,
oder daß doch wenigſtens die Durchführung der öſterreichi-
ſchen Abſichten die bisherigen handelspolitiſchen Verbindungen
in ihrem Fortbeſtand unfehlbar würde gefährden müſſen. Mit
großer Vorſicht vermeidet der öſterreichiſche Miniſterpräſident
die Betonung der neben den handelspolitiſchen Erwägungen
beſtehenden politiſchen Intereſſen, wohl empfindend, daß in
dem damals noch mangelnden Austrag der Frage, wer die
deutſche Vormacht ſein ſolle, die größte Schwierigkeit der Ver-
knüpfung politiſcher und handelspolitiſcher Intereſſen lag.
Das politiſche Intereſſe Oeſterreichs wird ſogar in gewiſſem
[Spaltenumbruch] Sinne verhüllt, wenn der Fürſt hervorhebt, Oeſterreich könne
ſich nach ſeinen volkswirthſchaftlichen Verhältniſſen und Be-
ziehungen zwar ſelbſt genügen, „um jedoch den großartigen
Gedanken eines mitteleuropäiſchen Zollbündniſſes ſeiner Ver-
wirklichung zuzuführen und die Bande der Freundſchaft
zwiſchen dem Kaiſerſtaate und den mit ihm im deutſchen
Bunde vereinten Fürſten und Völkern zu allſeitigem Vortheil
noch enger und feſter zu knüpfen, werde Oeſterreich ſich zu
den ſeinerſeits zu bringenden entſprechenden Opfern gewiß
bereit finden laſſen“.

Wie ganz anders ſind die Verhältniſſe, unter welchen jetzt
der Graf Kálnoky die Mitglieder der gegenwärtigen Wiener
Zollconferenzen begrüßt hat! Heute erſcheinen nicht mehr ver-
einzelte deutſche Staaten, welche an Macht und Bevölkerung
des deutſchen Gebietes nur eine Minderheit darſtellten, ſondern
Alldeutſchland in der geeinten, jedes innere handelspolitiſche
Zerwürfniß ausſchließenden Erſcheinung des Reiches, unter
werkthätiger Beihülfe gewiegter Sachkenner aus den nach ihrer
Bedeutung und geographiſchen Lage beſonders intereſſirten
deutſchen Einzelſtaaten.

Und auch auf der anderen Seite hat ſich eine bedeutſame
Wandlung vollzogen, in dem die wirthſchaftlichen Intereſſen Ungarns
nunmehr ihren beſonderen ſtaatsrechtlichen Ausdruck neben
jenen Cisleithaniens und der geſammten öſterreichiſch-ungariſchen
Monarchie gefunden haben. Im Einzelfalle wird die ſelb-
ſtändige Sprache Ungarns gewiß recht oft die Verſtändigung
erſchweren; wenn ſie aber zu Stande kommt, iſt ſie gerade
durch die vorgängige Ausſprache der ungariſchen Intereſſen um
ſo mehr gefeſtigt.

Der politiſche Kampf um die Vormacht in Deutſchland iſt
jetzt ausgetragen; nun beſteht auch kein Bedenken mehr, der
Wahrheit die Ehre zu geben und die hohe Bedeutung der han-
delspolitiſchen neben der politiſchen Freundſchaft ausdrücklich
hervorzuheben, wie dies in der That Graf Kálnoky in ſeiner
Begrüßungsanſprache gethan hat.

Auch in dem ſachlichen Ziele der Beſtrebungen beſteht. der
größte Gegenſatz zwiſchen jetzt und ſonſt. Durch die Wiener
Conferenzen von 1852 ſollten gleich zwei Etappen der handels-
politiſchen Annäherung von Deutſchland und Oeſterreich be-
wältigt werden. In der That verſtändigte ſich die Conferent
nicht bloß über einen Handels- und Zollvertrag, welcher am
1. Januar 1854 in Kraft treten ſollte, ſondern auch über einen
mit dem 1. Januar 1859 in Wirkſamkeit zu ſetzenden Zolleini-
gungsvertrag. Keiner dieſer beiden Vertragsentwürfe kam be-
kanntlich zur Verwirklichung, wohl aber auf Grund directer
Verhandlungen zwiſchen Oeſterreich und Preußen ein Handels-
vertrag mit Zollcartell vom 19. Februar 1853, welcher den
geſunden Gedanken eines Syſtems ausſchließlicher gegenſeitiger
Zollbegünſtigungen zur Durchführung brachte.

Die jetzigen Conferenzen ſind nicht durch die Wucht formu-
lirter weitausſehender Projecte belaſtet; faſt möchten wir meinen,
daß eher das Gegentheil der Fall iſt. Hoffen wir, daß der
jetzt angebahnte perſönliche Meinungsaustauſch dazu führt, die
Ausſichten einer ernſtlichen handelspolitiſchen Annäherung
zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich-Ungarn zu fördern. Die bloße
Verſtändigung über einzelne Tarifänderungen, welche ohne
weiteres der ganzen übrigen meiſtbegünſtigten Welt zu gute
[Spaltenumbruch] kämen, würde allerdings auch dem beſcheidenſten Ideale einer
ſolchen Annäherung nicht wohl entſprechen. Der Gedanke,
welcher dem Februar-Vertrag zu Grunde lag, muß, wenn auch
nicht gerade in der Form, welche er damals fand, eine durch
die Rückſichten auf die handelspolitiſche Weltlage bedingte
Wiederbelebung erfahren, wenn des Grafen Kálnoky zur Be-
grüßung der Conferenz ausgeſprochene und gewiß allſeitig in
Deutſchland mit wärmſtem Beifall aufgenommene Hoffnungen
zur Wahrheit werden ſollen, „daß die Ergebniſſe der Verhand-
lungen zu einer erfreulichen Ergänzung der politiſchen Freund-
ſchaft zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich-Ungarn auf handels-
politiſchem Gebiete führen“. Für das Gelingen iſt ſeitdem
auch Kaiſer Franz Joſeph in eigener Perſon eingetreten.



Deutſches Reich.

Der Bundesrath ertheilte in der
am 11. d. M. unter dem Vorſitz des Staatsſecretärs des Innern,
Dr. v. Boetticher, abgehaltenen Plenarſitzung die Zuſtimmung:
dem am 26. Auguſt d. J. zwiſchen dem Reich und der Türkei ab-
geſchloſſenen Freundſchafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrage, dem
Entwurf einer Verordnung, betreffend die Formen des Verfahrens
und den Geſchäftsgang des Reichsverſicherungsamts in den Ange-
legenheiten der Invaliditäts- und Altersverſicherung, den Anträgen
Preußens betreffend den Aufruf und die Einziehung der Ein-
hundertmarknoten der Danziger Privatactienbank, und wegen Ver-
längerung des Banknotenprivilegiums der ſtädtiſchen Bank zu
Breslau, dem Beſoldungs- und Penſionsetat der Reichsbankbeamten
für 1891, dem Antrage der Direction der pfälziſchen Eiſenbahnen
zu Ludwigshafen am Rhein wegen Anwendung der Beſtimmungen
des §. 4 des Invaliditäts- und Altersverſicherungsgeſetzes auf
die bei den pfälziſchen Eiſenbahnen mit Penſionsberechtigung an-
geſtellten Beamten, ferner den Geſetzentwürfen für Elſaß-Loth-
ringen betreffend die Aufhebung der Denunciantenantheile und die
Einrichtung von Grundbüchern. Die Arbeiterpenſionscaſſe für den
Bereich der großherzoglich badiſchen Staatseiſenbahn- und Boden-
ſee-Dampfſchifffahrts- und der großherzoglichen Salinenverwaltung
und die Arbeiterpenſionscaſſe der königlich bayeri-
ſchen Staatseiſenbahnverwaltung
wurden auf Grund der
vorgelegten Satzungen als Caſſeneinrichtungen im Sinne der
§§. 5 und 6 des Reichsgeſetzes vom 29. Juni 1889 anerkannt.
Der Entwurf einer Verordnung wegen des Verbots von Maſchinen
zur Herſtellung künſtlicher Kaffeebohnen wurde den Ausſchüſſen
für Handel und Verkehr und für Juſtizweſen, die Eingabe des
Vereins zur Wahrung der gemeinſamen wirthſchaftlichen Intereſſen
in Rheinland und Weſtfalen zu Düſſeldorf, betreffend die reichs-
geſetzliche Regelung des Poſtſparcaſſenweſens dem Hrn. Reichs-
kanzler überwieſen. Mit der bereits erfolgten Ueberweiſung der
Vorlage, betreſſend die Befreiung der mit Penſionsberechtigung
angeſtellten Beamten landesherrlicher Hof- und anderer Verwal-
tungen von der Verſicherungspflicht auf Grund des §. 7 des In-
validitäts- und Altersverſicherungsgeſetzes, an den Ausſchuß für
Handel und Verkehr, erklärte ſich die Verſammlung einverſtanden.
Von mehreren vorgelegten Actenſtücken über die Verhältniſſe in
Deutſch-Oſtaſrika nahm dieſelbe Kenntniß. Endlich wurde über
den Sr. Majeſtät dem Kaiſer wegen Wiederbeſetzung einer Raths-
ſtelle bei dem Reichsgericht zu unterbreitenden Vorſchlag, über das



[Spaltenumbruch]
Feuilleton.


(Nachdruck verboten.)
Alcibiades.

(Schluß.)

* Pierino war in ſeinem Leben niemals verlegen oder blöd
geweſen und beſchloß deßhalb, ſich um Hülfe an einen Officier
ſeines Regimentes zu wenden.

Als derjenige, an welchen der Brief gerichtet war, von
demſelben Kenntniß genommen hatte, gab er ſich zunächſt dem
Erſtaunen hin. Wie kam der Marcheſe dazu, von ſeiner Hei-
math aus, wo alle Hülfsquellen nahe waren, die Hand nach
einem fremden Lande und nach dem mageren Geldbeutel eines
Kameraden auszuſtrecken?

Nach langem Nachdenken faßte der Officier den Entſchluß,
die Sache dem Oberſten vorzutragen. Dieſer beſann ſich nicht
lange. Er wußte, auf weſſen Verwendung hin der junge
Sauſewind ins Regiment gekommen war, und dachte, daß es
ihm ſelbſt ſpäterhin verargt werden würde, wenn er den
kleinen Marcheſe fallen ließe, ohne vorher an der nämlichen
Stelle um Hülfe angeſucht zu haben.

Und ſo geſchah es. Nach wenigen Tagen traf die ge-
forderte Summe ein, nicht im landesüblichen Papier, ſondern
in ſchweren Goldſtücken, wie es der Würde des Spenders
entſprach.

Hätte Pierino es darauf angelegt gehabt, das Piedeſtal,
auf welchem er dort nicht nur für die Augen der Maulaffen
und Müßiggänger, ſondern ſogar für die ſeiner Cameraden
ſtand, zu erhöhen, ſo hätte er nichts Beſſeres thun können,
als mit dieſer nothgedrungenen Bettelei heranzurücken. Die-
ſelbe hatte gar keine Demüthigung, ſondern nur einen Zu-
wachs ſeines Anſehens im Gefolge.

Wenn er über den Corſo ging, blieben alle Müßiggänger
ſtehen, aus den Fenſtern und Thüren der Caſéhäuſer, Apo-
theken und Barbierſtuben wurden die Köpfe vorgeſtreckt. Und
wenn die ſchleiergeſchmückten Schönen mit Einbruch der
Dämmerung, gleich den Fledermäuſen, Arm in Arm in ein-
[Spaltenumbruch] ander eingehängt in die beginnende Kühlung hinausſchlender-
ten, ſo daß ihre Reihen die ganze Breite des Corſos ein-
nahmen, wendeten ſich meiſt alle Nacken gleichzeitig nach
ihm um.

Darum verurſachte es wohl große Aufregung, aber
keinerlei Verwunderung, als es plötzlich hieß, die junge Gio-
vannina, die Tochter eines wohlhabenden Grundbeſitzers, der
zwei Paläſte in der Stadt, ausgedehnte Oelgärten und Wein-
berge ſein eigen nannte, ſei die erklärte Zukünftige Pierino’s.

Das Mädchen ſelbſt trug allenthalben die Freudennach-
richt herum, und es zeigte deutlich, daß Vater und Mutter
noch ärger in Pierino vernarrt waren, als die Braut ſelbſt.

„Sior Domenico“ führte den jungen Herrn in ſeiner
Staatskutſche ſpazieren, es gab Einladung auf Einladung
nicht bloß in dem marmornen Palaſte, ſondern auch im
ſchönſten der Landhäuſer, auf welches man jetzt, mit Beginn
des Frühlings, ſich gerne zurückzog. Zahlreiche Herren und
Damen wurden dieſen Geſellſchaften beigezogen und Alles
ſchwamm in Glück und Wonne. Den Mittelpunkt der Kreiſe
aber, welche dieſe Luſtbarkeit zog, bildete ſtets Pierino.

Wenn ihm ſeine ernſten Kameraden die eine oder andere
Bemerkung über den lockeren Lebenswandel, dem er ſich hin-
gab, machten, ſo antwortete der ehemalige Zögling der
Annunziatella: „Ihr wißt doch, daß ich alle vier Wochen zur
Beichte gehe?“

Es ſchien aber, als ob dem Herrn Oberſten dieſe im Regi-
ment beiſpielloſe Frömmigkeit doch nicht als hinlängliche
Gegenleiſtung für manche peinliche Betrachtung, die hinſicht-
lich dieſes Herrn angeſtellt werden konnte, erſchiene. Denn
bald darauf ſpielte ſich folgende eigenthümliche Scene ab.

Ein Dutzend Armleuchter brannte im Hauſe Sior Dome-
nico’s. Alles ſchien Luſt und Froyſinn. Gleichwohl aber
bildeten die Mienen derjenigen, denen dieſe Freudenſtunden
galten, einen Gegenſatz zu der geräuſchvollen Munterkeit, in
welcher ſich die geladenen Herren und Damen unterhielten.
Sowohl Sior Domenico, als Signora Claudia und die junge
Giovan nina bemühten ſich mit jedem Augenblicke mehr, eine
in ihnen aufſteigende Aengſtlichkeit zu verbergen.

Von dem geoffneten Balcon aus blickte man auf das nahe
Meer. Einige Herren und Damen der Geſellſchaft ſtanden in
[Spaltenumbruch] Erwartung, daß das Feſtmahl der Verlobung beginne, draußen
und ſchauten den Bewegungen der Lichter auf dem in Dunkel-
heit verſinkenden Waſſer zu.

Unter dieſen Lichtern, welche hin und her ſchwankten, waren
einige rothe und grüne, die ruhig an ihrer Stelle blieben.
Plötzlich ertönte ein dreimaliger, hohler, ſchier ängſtlich klingender
Ruf — offenbar das Zeichen irgendeiner Dampfpfeife. Wenige
Augenblicke ſpäter fingen auch dieſe rothen und grünen Lichter
zu zittern an und entfernten ſich langſam vom Ufer.

„Es iſt der Dampfer; er wird eine ſchöne Fahrt haben“,
hieß es auf dem Balcon.

In dieſem Augenblick ſagte drinnen der Oberſt:

„Es war in der That nicht anders möglich. Ich mußte
den jungen Mann Hals über Kopf fortſchicken. Ich hatte
keinen andern Officiersſtellvertreter zur Hand, nachdem der be-
treffende Herr in den letzten Augenblicken ſich krank gemeldet
hatte. Er hat die Urlauber heimzubringen.“

Giovannina hatte man, in Thränen aufgelöst, hinaus-
gebracht.

Indeſſen ſollte Pierino in drei Wochen zurück ſein. Der
Oberſt wußte es freilich beſſer, daß er nicht wieder zurückkehren
würde. Einer geachteten Familie mußte eine ſchwere Ent-
täuſchung und dem Regimente eine unliebſame Nachrede erſpart
bleiben.

Pierino hatte ſich von einem Kalligraphen in Palermo, auf
den er während ſeines letzten Aufenthaltes in Italien aufmerl-
ſam gemacht worden war, ſein Wappen in ſchöner Malerei auf
Pergament ausführen und auch eine Art von Diplom dazu
anfertigen laſſen. Der Künſtler, der zugleich als Heraldiker galt,
und als ſolcher in einem Lande, in welchem die Conti, Marcheſt
und Principi wild wachſen, oft in Anſpruch genommen wurde,
hatte ſeine Sache ſo gut gemacht, daß Sior Domenico, der die
Pergamente zufällig zu ſehen bekam, davon entzückt war. Der
Oberſt dagegen, in der Heraldik weniger bewandert, wollte
in denſelben nur gefärbtes Packpapier erblicken und ſtellte das
Marcheſat Pierino’s, was deſſen Greifbarkeit anbelangt, auf
die gleiche Linie mit deſſen Reichthümern und Tugenden, durch
die er ſich die Bewunderung der Familie Giovannina’s er-
obert hatte.

Aus dieſem Grunde ſaß Pierino jetzt auf dem Dampfer,

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Ver&#x017F;tändigung über einzelne Tarifänderungen, welche ohne<lb/>
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Der Entwurf einer Verordnung wegen des Verbots von Ma&#x017F;chinen<lb/>
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[0001] Nr. 346. — 92. Jahrgang. Morgenblatt. München, Sonntag, 14. December 1890. Abonnementspreis in München b. d. Ex- pedition oder den im Stadtbezirk errichte- ten Depots abgeholt monatl. M. 2.—, bei 2malig. Zuſtellung ins Haus M. 2.50; durch d. Poſt bezogen: vier- teljährlich ſ. Deutſchl. u. Oeſterreich M. 9.—, für d. Ausl. mit ent- ſprechendem Zuſchlag. Direkter Bezug unter Streifband für Deutſchland a. Oeſterreich monatk. M. 4. —, Ausland M. 5.60. Allgemeine Zeitung. Inſertionspreis p. Colonelzeile 25 Pf.; finanzielle Anzeigen 35 Pf.; Lokalanzeigen 20 Pf.; kleine Anzei- gen i. gewöhnl. Schrift 3 Pf., in fetter Schrift 5 Pf. für das Wort. Redaktion u. Expedi- tion befinden ſich Schwanthalerſtr. 73 in München. Berichte ſind an die Redaktion, Inſerat- aufträge an die Ex- pedition franko einzu- ſenden. Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Sir. London: für Frankreich, Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. Loeſcher und Frat. Bocca in Turin, Florenz und Rom. U. Hoevli in Mailand; für den Orient das kaiſerlich königliche Poſt- amt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt. E. Stechert, Weſtermann u. Co., International Publiſhing Agency, 710 Broadway, in New York. Verankwortlicher Rebakteur: Hugo Jacobi in München. [Abbildung] Inſeratenannahme in München b. d. Erpedition, Schwanthalerſtraße 73, ferner in Berlin, Hamburg, Breslan, Köln, Leivzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnbera, Wien, Paris, London. Zürich, Baſel ꝛc. b. d Annoncenbureaur G. L. Daube u. Co., Haaſenſtein u. Vogler u. R. Moſſe. In den Filialen der Zeitungsbureaur Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig, Chemnitz ꝛc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtr. 26) und S. Kornik (Krauſenſtr. 12), Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publiſhing Agency, 710 Broadway. Druck und Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München. Mit Bayeriſcher Handels-Zeitung. Organ der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern. Inhalts-Ueberſicht. Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt und jetzt. Deutſches Reich. * Berlin: Bundesrath. ☿ Schulbildung der Recruten in Preußen. n. Metz: Proceß Stöckel. Schweiz.  Bern: Wahl des Bundesraths. Belgien. □ Brüſſel: Die preußiſche und öſterreichiſche Officiers- deputation beim König. Die Reviſionsfrage. Zur Congo-Zoll- conferenz. Frankreich. ᕒ Paris: Zur inneren Lage. * Trauben- und Getränkezölle. Uniformirung der Cavallerie. Die Schulreform-Conferenz in Berlin. Fenilleton: Alcibiades. Von Heinrich Noé. (Schluß.) ☛ Hiezu: Zweites, drittes und viertes Morgenblatt. München, 13. December. Deutſch-öſterreichiſche Zollconferenzen ſonſt und jetzt. -y- Die jetzigen Handelsvertragsverhandlungen in Wien zwiſchen den deutſchen, öſterreichiſchen und ungariſchen Dele- girten legen einen vergleichenden Rückblick auf die Wiener Zollconferenzen vom Jahre 1852 nahe. Oeſterreich hatte mit Schreiben vom 25. Nov. 1851 die Regierungen ſämmtlicher deutſcher Bundesſtaaten zu einer am 2. Jan. 1852 zu eröffnen- den Zuſammenkunft eingeladen. Preußen, die thüringiſchen Staaten, Mecklenburg und Holſtein folgten der Einladung nicht. Als Miniſterpräſident Fürſt Schwarzenberg am 4. Jan. 1852 die Mitglieder der Conferenz begrüßte, konnte er nicht umhin, hervorzuheben, wie die kaiſerliche Regierung nicht der Anſicht ſei, daß ſchon in der gegenwärtigen Zuſammenkunft, in welcher „ſo manche wichtige Theile Deutſchlands“ nicht vertreten ſeien, endgültige Beſchlüſſe gefaßt werden ſollten. Ueberhaupt über- wiegt in der hiſtoriſch bedeutſamen Eröffnungsrede des Fürſten Schwarzenberg das negative und volemiſche Element. Zwar wird der poſitive Zweck der Verhandlungen zunächſt mit Ent- ſchiedenheit vorausgeſtellt; dieſer Zweck iſt „kein anderer, als jener, womöglich die geeigneten Verabredungen zum Behufe eines die künftige Handels- und Zolleinigung Deutſchlands und Oeſterreichs vorbereitenden und deren Verwirklichung ſicher- ſtellenden Vertrags zu treffen“. Das charakteriſtiſche „kein anderer“ dieſes Satzes findet ſofort ſeine weitere Ausſpinnung in dem folgenden Satze, in welchem Fürſt Schwarzenberg her- vorhebt, es werde an manchem Orte noch zur Stunde die Beſorgniß gehegt, daß Oeſterreich außer dem von ihm laut verkündeten Zwecke auch noch andere zu erreichen ſtrebe, oder daß doch wenigſtens die Durchführung der öſterreichi- ſchen Abſichten die bisherigen handelspolitiſchen Verbindungen in ihrem Fortbeſtand unfehlbar würde gefährden müſſen. Mit großer Vorſicht vermeidet der öſterreichiſche Miniſterpräſident die Betonung der neben den handelspolitiſchen Erwägungen beſtehenden politiſchen Intereſſen, wohl empfindend, daß in dem damals noch mangelnden Austrag der Frage, wer die deutſche Vormacht ſein ſolle, die größte Schwierigkeit der Ver- knüpfung politiſcher und handelspolitiſcher Intereſſen lag. Das politiſche Intereſſe Oeſterreichs wird ſogar in gewiſſem Sinne verhüllt, wenn der Fürſt hervorhebt, Oeſterreich könne ſich nach ſeinen volkswirthſchaftlichen Verhältniſſen und Be- ziehungen zwar ſelbſt genügen, „um jedoch den großartigen Gedanken eines mitteleuropäiſchen Zollbündniſſes ſeiner Ver- wirklichung zuzuführen und die Bande der Freundſchaft zwiſchen dem Kaiſerſtaate und den mit ihm im deutſchen Bunde vereinten Fürſten und Völkern zu allſeitigem Vortheil noch enger und feſter zu knüpfen, werde Oeſterreich ſich zu den ſeinerſeits zu bringenden entſprechenden Opfern gewiß bereit finden laſſen“. Wie ganz anders ſind die Verhältniſſe, unter welchen jetzt der Graf Kálnoky die Mitglieder der gegenwärtigen Wiener Zollconferenzen begrüßt hat! Heute erſcheinen nicht mehr ver- einzelte deutſche Staaten, welche an Macht und Bevölkerung des deutſchen Gebietes nur eine Minderheit darſtellten, ſondern Alldeutſchland in der geeinten, jedes innere handelspolitiſche Zerwürfniß ausſchließenden Erſcheinung des Reiches, unter werkthätiger Beihülfe gewiegter Sachkenner aus den nach ihrer Bedeutung und geographiſchen Lage beſonders intereſſirten deutſchen Einzelſtaaten. Und auch auf der anderen Seite hat ſich eine bedeutſame Wandlung vollzogen, in dem die wirthſchaftlichen Intereſſen Ungarns nunmehr ihren beſonderen ſtaatsrechtlichen Ausdruck neben jenen Cisleithaniens und der geſammten öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie gefunden haben. Im Einzelfalle wird die ſelb- ſtändige Sprache Ungarns gewiß recht oft die Verſtändigung erſchweren; wenn ſie aber zu Stande kommt, iſt ſie gerade durch die vorgängige Ausſprache der ungariſchen Intereſſen um ſo mehr gefeſtigt. Der politiſche Kampf um die Vormacht in Deutſchland iſt jetzt ausgetragen; nun beſteht auch kein Bedenken mehr, der Wahrheit die Ehre zu geben und die hohe Bedeutung der han- delspolitiſchen neben der politiſchen Freundſchaft ausdrücklich hervorzuheben, wie dies in der That Graf Kálnoky in ſeiner Begrüßungsanſprache gethan hat. Auch in dem ſachlichen Ziele der Beſtrebungen beſteht. der größte Gegenſatz zwiſchen jetzt und ſonſt. Durch die Wiener Conferenzen von 1852 ſollten gleich zwei Etappen der handels- politiſchen Annäherung von Deutſchland und Oeſterreich be- wältigt werden. In der That verſtändigte ſich die Conferent nicht bloß über einen Handels- und Zollvertrag, welcher am 1. Januar 1854 in Kraft treten ſollte, ſondern auch über einen mit dem 1. Januar 1859 in Wirkſamkeit zu ſetzenden Zolleini- gungsvertrag. Keiner dieſer beiden Vertragsentwürfe kam be- kanntlich zur Verwirklichung, wohl aber auf Grund directer Verhandlungen zwiſchen Oeſterreich und Preußen ein Handels- vertrag mit Zollcartell vom 19. Februar 1853, welcher den geſunden Gedanken eines Syſtems ausſchließlicher gegenſeitiger Zollbegünſtigungen zur Durchführung brachte. Die jetzigen Conferenzen ſind nicht durch die Wucht formu- lirter weitausſehender Projecte belaſtet; faſt möchten wir meinen, daß eher das Gegentheil der Fall iſt. Hoffen wir, daß der jetzt angebahnte perſönliche Meinungsaustauſch dazu führt, die Ausſichten einer ernſtlichen handelspolitiſchen Annäherung zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich-Ungarn zu fördern. Die bloße Verſtändigung über einzelne Tarifänderungen, welche ohne weiteres der ganzen übrigen meiſtbegünſtigten Welt zu gute kämen, würde allerdings auch dem beſcheidenſten Ideale einer ſolchen Annäherung nicht wohl entſprechen. Der Gedanke, welcher dem Februar-Vertrag zu Grunde lag, muß, wenn auch nicht gerade in der Form, welche er damals fand, eine durch die Rückſichten auf die handelspolitiſche Weltlage bedingte Wiederbelebung erfahren, wenn des Grafen Kálnoky zur Be- grüßung der Conferenz ausgeſprochene und gewiß allſeitig in Deutſchland mit wärmſtem Beifall aufgenommene Hoffnungen zur Wahrheit werden ſollen, „daß die Ergebniſſe der Verhand- lungen zu einer erfreulichen Ergänzung der politiſchen Freund- ſchaft zwiſchen Deutſchland und Oeſterreich-Ungarn auf handels- politiſchem Gebiete führen“. Für das Gelingen iſt ſeitdem auch Kaiſer Franz Joſeph in eigener Perſon eingetreten. Deutſches Reich. * Berlin. 12. Dec. Der Bundesrath ertheilte in der am 11. d. M. unter dem Vorſitz des Staatsſecretärs des Innern, Dr. v. Boetticher, abgehaltenen Plenarſitzung die Zuſtimmung: dem am 26. Auguſt d. J. zwiſchen dem Reich und der Türkei ab- geſchloſſenen Freundſchafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrage, dem Entwurf einer Verordnung, betreffend die Formen des Verfahrens und den Geſchäftsgang des Reichsverſicherungsamts in den Ange- legenheiten der Invaliditäts- und Altersverſicherung, den Anträgen Preußens betreffend den Aufruf und die Einziehung der Ein- hundertmarknoten der Danziger Privatactienbank, und wegen Ver- längerung des Banknotenprivilegiums der ſtädtiſchen Bank zu Breslau, dem Beſoldungs- und Penſionsetat der Reichsbankbeamten für 1891, dem Antrage der Direction der pfälziſchen Eiſenbahnen zu Ludwigshafen am Rhein wegen Anwendung der Beſtimmungen des §. 4 des Invaliditäts- und Altersverſicherungsgeſetzes auf die bei den pfälziſchen Eiſenbahnen mit Penſionsberechtigung an- geſtellten Beamten, ferner den Geſetzentwürfen für Elſaß-Loth- ringen betreffend die Aufhebung der Denunciantenantheile und die Einrichtung von Grundbüchern. Die Arbeiterpenſionscaſſe für den Bereich der großherzoglich badiſchen Staatseiſenbahn- und Boden- ſee-Dampfſchifffahrts- und der großherzoglichen Salinenverwaltung und die Arbeiterpenſionscaſſe der königlich bayeri- ſchen Staatseiſenbahnverwaltung wurden auf Grund der vorgelegten Satzungen als Caſſeneinrichtungen im Sinne der §§. 5 und 6 des Reichsgeſetzes vom 29. Juni 1889 anerkannt. Der Entwurf einer Verordnung wegen des Verbots von Maſchinen zur Herſtellung künſtlicher Kaffeebohnen wurde den Ausſchüſſen für Handel und Verkehr und für Juſtizweſen, die Eingabe des Vereins zur Wahrung der gemeinſamen wirthſchaftlichen Intereſſen in Rheinland und Weſtfalen zu Düſſeldorf, betreffend die reichs- geſetzliche Regelung des Poſtſparcaſſenweſens dem Hrn. Reichs- kanzler überwieſen. Mit der bereits erfolgten Ueberweiſung der Vorlage, betreſſend die Befreiung der mit Penſionsberechtigung angeſtellten Beamten landesherrlicher Hof- und anderer Verwal- tungen von der Verſicherungspflicht auf Grund des §. 7 des In- validitäts- und Altersverſicherungsgeſetzes, an den Ausſchuß für Handel und Verkehr, erklärte ſich die Verſammlung einverſtanden. Von mehreren vorgelegten Actenſtücken über die Verhältniſſe in Deutſch-Oſtaſrika nahm dieſelbe Kenntniß. Endlich wurde über den Sr. Majeſtät dem Kaiſer wegen Wiederbeſetzung einer Raths- ſtelle bei dem Reichsgericht zu unterbreitenden Vorſchlag, über das Feuilleton. (Nachdruck verboten.) Alcibiades. Von Heinrich Noé. (Schluß.) * Pierino war in ſeinem Leben niemals verlegen oder blöd geweſen und beſchloß deßhalb, ſich um Hülfe an einen Officier ſeines Regimentes zu wenden. Als derjenige, an welchen der Brief gerichtet war, von demſelben Kenntniß genommen hatte, gab er ſich zunächſt dem Erſtaunen hin. Wie kam der Marcheſe dazu, von ſeiner Hei- math aus, wo alle Hülfsquellen nahe waren, die Hand nach einem fremden Lande und nach dem mageren Geldbeutel eines Kameraden auszuſtrecken? Nach langem Nachdenken faßte der Officier den Entſchluß, die Sache dem Oberſten vorzutragen. Dieſer beſann ſich nicht lange. Er wußte, auf weſſen Verwendung hin der junge Sauſewind ins Regiment gekommen war, und dachte, daß es ihm ſelbſt ſpäterhin verargt werden würde, wenn er den kleinen Marcheſe fallen ließe, ohne vorher an der nämlichen Stelle um Hülfe angeſucht zu haben. Und ſo geſchah es. Nach wenigen Tagen traf die ge- forderte Summe ein, nicht im landesüblichen Papier, ſondern in ſchweren Goldſtücken, wie es der Würde des Spenders entſprach. Hätte Pierino es darauf angelegt gehabt, das Piedeſtal, auf welchem er dort nicht nur für die Augen der Maulaffen und Müßiggänger, ſondern ſogar für die ſeiner Cameraden ſtand, zu erhöhen, ſo hätte er nichts Beſſeres thun können, als mit dieſer nothgedrungenen Bettelei heranzurücken. Die- ſelbe hatte gar keine Demüthigung, ſondern nur einen Zu- wachs ſeines Anſehens im Gefolge. Wenn er über den Corſo ging, blieben alle Müßiggänger ſtehen, aus den Fenſtern und Thüren der Caſéhäuſer, Apo- theken und Barbierſtuben wurden die Köpfe vorgeſtreckt. Und wenn die ſchleiergeſchmückten Schönen mit Einbruch der Dämmerung, gleich den Fledermäuſen, Arm in Arm in ein- ander eingehängt in die beginnende Kühlung hinausſchlender- ten, ſo daß ihre Reihen die ganze Breite des Corſos ein- nahmen, wendeten ſich meiſt alle Nacken gleichzeitig nach ihm um. Darum verurſachte es wohl große Aufregung, aber keinerlei Verwunderung, als es plötzlich hieß, die junge Gio- vannina, die Tochter eines wohlhabenden Grundbeſitzers, der zwei Paläſte in der Stadt, ausgedehnte Oelgärten und Wein- berge ſein eigen nannte, ſei die erklärte Zukünftige Pierino’s. Das Mädchen ſelbſt trug allenthalben die Freudennach- richt herum, und es zeigte deutlich, daß Vater und Mutter noch ärger in Pierino vernarrt waren, als die Braut ſelbſt. „Sior Domenico“ führte den jungen Herrn in ſeiner Staatskutſche ſpazieren, es gab Einladung auf Einladung nicht bloß in dem marmornen Palaſte, ſondern auch im ſchönſten der Landhäuſer, auf welches man jetzt, mit Beginn des Frühlings, ſich gerne zurückzog. Zahlreiche Herren und Damen wurden dieſen Geſellſchaften beigezogen und Alles ſchwamm in Glück und Wonne. Den Mittelpunkt der Kreiſe aber, welche dieſe Luſtbarkeit zog, bildete ſtets Pierino. Wenn ihm ſeine ernſten Kameraden die eine oder andere Bemerkung über den lockeren Lebenswandel, dem er ſich hin- gab, machten, ſo antwortete der ehemalige Zögling der Annunziatella: „Ihr wißt doch, daß ich alle vier Wochen zur Beichte gehe?“ Es ſchien aber, als ob dem Herrn Oberſten dieſe im Regi- ment beiſpielloſe Frömmigkeit doch nicht als hinlängliche Gegenleiſtung für manche peinliche Betrachtung, die hinſicht- lich dieſes Herrn angeſtellt werden konnte, erſchiene. Denn bald darauf ſpielte ſich folgende eigenthümliche Scene ab. Ein Dutzend Armleuchter brannte im Hauſe Sior Dome- nico’s. Alles ſchien Luſt und Froyſinn. Gleichwohl aber bildeten die Mienen derjenigen, denen dieſe Freudenſtunden galten, einen Gegenſatz zu der geräuſchvollen Munterkeit, in welcher ſich die geladenen Herren und Damen unterhielten. Sowohl Sior Domenico, als Signora Claudia und die junge Giovan nina bemühten ſich mit jedem Augenblicke mehr, eine in ihnen aufſteigende Aengſtlichkeit zu verbergen. Von dem geoffneten Balcon aus blickte man auf das nahe Meer. Einige Herren und Damen der Geſellſchaft ſtanden in Erwartung, daß das Feſtmahl der Verlobung beginne, draußen und ſchauten den Bewegungen der Lichter auf dem in Dunkel- heit verſinkenden Waſſer zu. Unter dieſen Lichtern, welche hin und her ſchwankten, waren einige rothe und grüne, die ruhig an ihrer Stelle blieben. Plötzlich ertönte ein dreimaliger, hohler, ſchier ängſtlich klingender Ruf — offenbar das Zeichen irgendeiner Dampfpfeife. Wenige Augenblicke ſpäter fingen auch dieſe rothen und grünen Lichter zu zittern an und entfernten ſich langſam vom Ufer. „Es iſt der Dampfer; er wird eine ſchöne Fahrt haben“, hieß es auf dem Balcon. In dieſem Augenblick ſagte drinnen der Oberſt: „Es war in der That nicht anders möglich. Ich mußte den jungen Mann Hals über Kopf fortſchicken. Ich hatte keinen andern Officiersſtellvertreter zur Hand, nachdem der be- treffende Herr in den letzten Augenblicken ſich krank gemeldet hatte. Er hat die Urlauber heimzubringen.“ Giovannina hatte man, in Thränen aufgelöst, hinaus- gebracht. Indeſſen ſollte Pierino in drei Wochen zurück ſein. Der Oberſt wußte es freilich beſſer, daß er nicht wieder zurückkehren würde. Einer geachteten Familie mußte eine ſchwere Ent- täuſchung und dem Regimente eine unliebſame Nachrede erſpart bleiben. Pierino hatte ſich von einem Kalligraphen in Palermo, auf den er während ſeines letzten Aufenthaltes in Italien aufmerl- ſam gemacht worden war, ſein Wappen in ſchöner Malerei auf Pergament ausführen und auch eine Art von Diplom dazu anfertigen laſſen. Der Künſtler, der zugleich als Heraldiker galt, und als ſolcher in einem Lande, in welchem die Conti, Marcheſt und Principi wild wachſen, oft in Anſpruch genommen wurde, hatte ſeine Sache ſo gut gemacht, daß Sior Domenico, der die Pergamente zufällig zu ſehen bekam, davon entzückt war. Der Oberſt dagegen, in der Heraldik weniger bewandert, wollte in denſelben nur gefärbtes Packpapier erblicken und ſtellte das Marcheſat Pierino’s, was deſſen Greifbarkeit anbelangt, auf die gleiche Linie mit deſſen Reichthümern und Tugenden, durch die er ſich die Bewunderung der Familie Giovannina’s er- obert hatte. Aus dieſem Grunde ſaß Pierino jetzt auf dem Dampfer,

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 346, 14. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine346_1890/1>, abgerufen am 23.11.2024.