Allgemeine Zeitung, Nr. 36, 5. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
als richtig anerkannt hatte, ohne sich durch die inzwischen aufgetauchten Ein großes Verdienst hat de Wette auch durch Belebung des Stu- Wir haben oben gesagt daß kein Zweig der Theologie de Wette ver- Wenn wir die wissenschaftlichen Arbeiten de Wette's in der prakti- Wir sind weit entfernt eine vollständige Aufzählung der Werke de Exegit monumentum aere perennius [Spaltenumbruch]
Regalique situ pyramidum altius, Quod non imber edax, non Aquilo impotens Possit diruere aut innumerabilis Annorum series et fuga temporum. G. Schadow. * Berlin, 31 Jan. Diesen Morgen ist der am 28 hier verstorbene Der Norddeutsch-österreichische Handelsbund.*) ** Bremen, Ende Decembers. I. Seit ich die sechs früheren Briefe In den vorhergehenden Briefen ist zweierlei zu zeigen, beziehungs- *) Die Hauptstücke des christlichen Glaubens in einer Reihe von Predigten, von Dr. W. M. L. de Wette. Basel, Neukirch. *) Siehe die Beilage der Allg. Ztg. vom 5 Sept. und folgende.
[Spaltenumbruch]
als richtig anerkannt hatte, ohne ſich durch die inzwiſchen aufgetauchten Ein großes Verdienſt hat de Wette auch durch Belebung des Stu- Wir haben oben geſagt daß kein Zweig der Theologie de Wette ver- Wenn wir die wiſſenſchaftlichen Arbeiten de Wette’s in der prakti- Wir ſind weit entfernt eine vollſtändige Aufzählung der Werke de Exegit monumentum ære perennius [Spaltenumbruch]
Regalique situ pyramidum altius, Quod non imber edax, non Aquilo impotens Possit diruere aut innumerabilis Annorum series et fuga temporum. G. Schadow. * Berlin, 31 Jan. Dieſen Morgen iſt der am 28 hier verſtorbene Der Norddeutſch-öſterreichiſche Handelsbund.*) ** Bremen, Ende Decembers. I. Seit ich die ſechs früheren Briefe In den vorhergehenden Briefen iſt zweierlei zu zeigen, beziehungs- *) Die Hauptſtücke des chriſtlichen Glaubens in einer Reihe von Predigten, von Dr. W. M. L. de Wette. Baſel, Neukirch. *) Siehe die Beilage der Allg. Ztg. vom 5 Sept. und folgende.
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Sein „Lehr-<lb/> buch der chriſtlichen Dogmatik“, das in zwei Theile zerfällt, die bibliſche<lb/> Dogmatik (dritte Auflage 1831) und die kirchliche Dogmatik (dritte Auſ-<lb/> lage 1840), hat ſich als ein äußerſt brauchbares Compendium bewährt.<lb/> Zwei ſeiner früheren dogmatiſchen Arbeiten find die Diſſertation: „<hi rendition="#aq">De<lb/> morte Jesu Christi expiatoria</hi>“ (1813) und die Schrift: „Ueber die<lb/> Sünde“ (1819). Die lateiniſche Diſſertation wurde vielfach angefochten,<lb/> und De Wette, der niemals gegründete Belehrung von ſich wies, ſcheute<lb/> fich auch nicht in ſeinen Vorleſungen zu erklären daß er darin zu weit<lb/> gegangen ſey. Das eigenthümlichſte dogmatiſche Werk De Wette’s iſt die<lb/> 1846 erſchienene Schrift: „Das Weſen des chriſtlichen Glaubens vom<lb/> Standpunkte des Glaubens“, welche ein ſchönes wohlgeordnetes Syſtem<lb/> der Dogmatik enthält, deſſen Mittelpunkt die Wiederherſtellung der ge-<lb/> ſtörten Harmonie des Menſchen mit Gott durch Chriſtus iſt.</p><lb/> <p>Ein großes Verdienſt hat de Wette auch durch Belebung des Stu-<lb/> diums der <hi rendition="#g">chriſtlichen Sittenlehre</hi>, welches bei den Theologen etwas<lb/> in Abnahme gekommen war. Er behandelte dieſelbe theils in einem grö-<lb/> ßern Werk von drei Bänden 1819—23, theils in Vorleſungen 1823, 24,<lb/> theils in einem Lehrbuche zum Behuf akademiſcher Vorleſungen 1833.<lb/> Die Sittenlehre zerfällt in drei Haupttheile, einen allgemeinen, einen<lb/> hiſtoriſchen und einen beſondern Theil. Sie iſt auf die Offenbarung ge-<lb/> gründet, aus welcher die ſittlichen Geſetze analytiſch herausgehoben wer-<lb/> den. 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Unſer<lb/> Zweck war nur kurz zu überſchauen was dieſer Mann geleiſtet, und da<lb/> müſſen wir geſtehen daß er nicht vergebens gelebt, daß er gewirkt und ge-<lb/> arbeitet wie nur irgendeiner, und daß er ſich ſelbſt durch ſeine Werke ein<lb/> Denkmal geſtiftet hat welches Stein und Erz überdauert, und von keiner<lb/> Unbill der Zeit vernichtet werden wird:</p><lb/> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#aq">Exegit monumentum ære perennius</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq">Regalique situ pyramidum altius,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq">Quod non imber edax, non Aquilo impotens</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq">Possit diruere aut innumerabilis</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq">Annorum series et fuga temporum.</hi> </l> </lg><lb/> <cb/> </div> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">G. 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Gerade vor achtundzwanzig Jahren,<lb/> am 31 Januar 1822, ſtarb ſein erſtgeborner Sohn <hi rendition="#g">Rudolph</hi> Schadow zu<lb/> Rom, gewöhnlich Ridolfo Schadow genannt, Bildhauer wie der Vater, und<lb/> ſchon damals hochberühmt. <hi rendition="#g">Schadow</hi> war nicht ein ſo hoher ſcharfer Geiſt<lb/> wie <hi rendition="#g">Hinkel,</hi> aber doch ein Mann klarſter Erkenntniß, edelſter Bildung und<lb/> von einer Geradheit, ja faſt kindlichen Naivität und einem Wohlwollen<lb/> das ihn ebenſo zum Gegenſtand der Liebe wie der Verehrung aller machte.<lb/> Er war in der That unempfindlich gegen die äußern Unterſchiede von Rang<lb/> und Reichthum; Kaiſern und Königen gegenüber behielt er ſeine gleichmäßige<lb/> Gemüthlichkeit. Ganz eigenthümlich war er in der Improviſation humoriſti-<lb/> ſcher Reden; ein Ton den er ſelbſt bei öffentlichen, feierlichen Angelegen-<lb/> heiten nicht leicht aufgab. Was er als <hi rendition="#g">Künſtler</hi> geweſen, darüber mö-<lb/> gen nicht <hi rendition="#g">unſere Worte,</hi> ſondern <hi rendition="#g">ſeine Werke</hi> Zeugniß geben, und<lb/> — die Zahl der Tauſende von Schülern die ihn verehrten, und die in<lb/> ihm immer noch, als er ſchon längſt zu ſchaffen aufgehört, den Mann des<lb/> feinſten Urtheils, des klarſten künſtleriſchen Rathes erkannten. Er hatte<lb/> wie Neſtor das Schwert abgelegt, aber im Rath blieb er unerſetzlich.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der Norddeutſch-öſterreichiſche Handelsbund.</hi> <note place="foot" n="*)">Siehe die Beilage der Allg. 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Denn<lb/> ich, der, wie Sie wiſſen, in gar keiner Verbindung mit dem öſterreichiſchen<lb/> Miniſterium ſteht, hatte bis dahin, faſt von allen Seiten als Phantaſt<lb/> verlacht und im Kampfe mit Deutſchlands erſtem Nationalökonomen,<lb/> nichts für mich als meine eigene gute Ueberzeugung; und wie wenig man<lb/> in unſerer Wirrniß der Anſichten damit als Einzelner ausrichtet, wiſſen<lb/> Sie ſicher eben ſo gut wie ich. Auf die Vorſchläge der „Wiener Zeitung“<lb/> fußend, hätte ich nunmehr die Aufgabe die Coincidenz der anſcheinend<lb/> ſo weit auseinanderlaufenden materiellen Intereſſen in der Mitte von Eu-<lb/> ropa nachzuweiſen, aber da die ökonomiſche Politik in meinen Augen nie-<lb/> mals von der formalen getrennt werden kann, und man, eben wegen ge-<lb/> wohnter Beiſeitſetzung der erſteren im Vaterlande, jetzt gar nicht weiß<lb/> was aus unſerer ſtaatlichen Einigung werden ſoll, ſo ziehe ich es vor<lb/> Ihnen nach den gewonnenen Reſultaten der früheren Briefe zuerſt meine<lb/> Gedanken über die noch immer ſchwebende Conſtituirung des Geſammt-<lb/> deutſchlands mitzutheilen, ehe ich mich jener mehr ſtatiſtiſchen Zuſammen-<lb/> ſtellung unterziehe. Sollten dabei Wiederholungen von früher ausge-<lb/> ſprochenen Gedanken mitunterlaufen, ſo wollen Sie das der größeren<lb/> Deutlichkeit wegen bei der manchmal ſchwierigen Verwickelung des Stof-<lb/> fes entſchuldigen.</p><lb/> <p>In den vorhergehenden Briefen iſt zweierlei zu zeigen, beziehungs-<lb/> weiſe zu beweiſen verſucht: nämlich einmal durch eine Darlegung der euro-<lb/> päiſchen Handelslinien, daß der ökonomiſche Schwerpunkt von dem<lb/> „Reiche der Mitte“ in Wien als ihrem Knotenpunkte ſich findet; und zwei-<lb/> tens, daß man nur dann einen Staat ſicher aufbaut wenn man ſeine öko-<lb/> nomiſchen Motoren politiſch zur berechtigten Anerkennung bringt, die<lb/> politiſchen Kryſtalliſationen keine von den materiellen Grundbedingungen<lb/> divergirenden Winkel annehmen läßt. Es mußte ſchon bei dieſer Ausein-<lb/> anderſetzung unſer Blick oft auf die hiſtoriſchen Verhältniſſe fallen, da aus<lb/> ihnen allein die concreten Belege der aufgeſtellten Behauptungen herge-<lb/> nommen werden konnten. Noch vielmehr aber ſind wir genöthigt in<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [571/0011]
als richtig anerkannt hatte, ohne ſich durch die inzwiſchen aufgetauchten
Schelling’ſchen und Hegel’ſchen Syſteme beirren zu laſſen. Der Hegel’-
ſchen Philoſophie namentlich war er ſehr abgeneigt, und er pflegte wohl
im Privatgeſpräche manche ironiſche Aeußerung über dieſelbe zu thun.
Dennoch ſteht De Wette als Dogmatiker groß da, beſonders dadurch daß
er das ganze Gebiet derſelben ſammt der Moral umfaßte. Sein „Lehr-
buch der chriſtlichen Dogmatik“, das in zwei Theile zerfällt, die bibliſche
Dogmatik (dritte Auflage 1831) und die kirchliche Dogmatik (dritte Auſ-
lage 1840), hat ſich als ein äußerſt brauchbares Compendium bewährt.
Zwei ſeiner früheren dogmatiſchen Arbeiten find die Diſſertation: „De
morte Jesu Christi expiatoria“ (1813) und die Schrift: „Ueber die
Sünde“ (1819). Die lateiniſche Diſſertation wurde vielfach angefochten,
und De Wette, der niemals gegründete Belehrung von ſich wies, ſcheute
fich auch nicht in ſeinen Vorleſungen zu erklären daß er darin zu weit
gegangen ſey. Das eigenthümlichſte dogmatiſche Werk De Wette’s iſt die
1846 erſchienene Schrift: „Das Weſen des chriſtlichen Glaubens vom
Standpunkte des Glaubens“, welche ein ſchönes wohlgeordnetes Syſtem
der Dogmatik enthält, deſſen Mittelpunkt die Wiederherſtellung der ge-
ſtörten Harmonie des Menſchen mit Gott durch Chriſtus iſt.
Ein großes Verdienſt hat de Wette auch durch Belebung des Stu-
diums der chriſtlichen Sittenlehre, welches bei den Theologen etwas
in Abnahme gekommen war. Er behandelte dieſelbe theils in einem grö-
ßern Werk von drei Bänden 1819—23, theils in Vorleſungen 1823, 24,
theils in einem Lehrbuche zum Behuf akademiſcher Vorleſungen 1833.
Die Sittenlehre zerfällt in drei Haupttheile, einen allgemeinen, einen
hiſtoriſchen und einen beſondern Theil. Sie iſt auf die Offenbarung ge-
gründet, aus welcher die ſittlichen Geſetze analytiſch herausgehoben wer-
den. Chriſtus iſt das Princip der chriſtlichen Sittenlehre.
Wir haben oben geſagt daß kein Zweig der Theologie de Wette ver-
ſchloſſen war. Den merkwürdigſten Beweis hievon liefert die hiſtoriſche
Theologie. Wie ſehr de Wette hiſtoriſchen Sinn beſaß, und wie wichtig
er überhaupt die hiſtoriſche Betrachtung hielt, dafür zeugen die hiſtoriſchen
Abriffe die er den Lehrbüchern der Dogmatik und Sittenlehre beigegeben
hat. Er war zu Hauſe im fernſten Alterthum wie in der Neuzeit. Die
hebräiſch-jüdiſche Archäologie, nach ſeinem eigenen Geſtändniß
eines ſeiner Lieblingsfächer, verdankt ihm ein vortreffliches Lehrbuch, das
in dritter Auflage 1842 erſchien. Ganz beſonders aber verdient unter ſei-
nen hiſtoriſchen Arbeiten die 1825—27 herausgekommene Sammlung
der Briefe und Sendſchreiben Luthers ehrenvolle Erwähnung,
ein Werk welches nicht nur für den Theologen, ſondern auch für den Hi-
ſtoriker, dem es um genauere Kenntniß des ſechzehnten Jahrhunderts zu
thun iſt, die größte Wichtigkeit hat. Noch eines ſeiner letzten Werke (1846)
behandelt die bibliſche Geſchichte, wie er wünſchte daß ſie von den
Lehrern zum Gegenſtande des Unterrichts der Jugend gemacht werden
ſollte.
Wenn wir die wiſſenſchaftlichen Arbeiten de Wette’s in der prakti-
ſchen Theologie anführen ſollen, ſo nennen wir zunächſt ſeine mancherlei
Predigten, von denen viele vereinzelt, andere in Sammlungen erſchienen.
Ein nachgelaſſenes Werk welches einen zuſammenhängenden Kreis von
Predigten über die chriſtliche Glaubenslehre enthält, hat eben
als ein ſchönes Vermächtniß des denkenden Gortesgelehrten die Preſſe
verlaſſen. *) Die praktiſche Wirkſamkeit des Mannes beſchränkte ſich aber
nicht auf die Ausarbeitung von Predigten, ſondern er betheiligte ſich an
allem was gut und gemeinnützig war, wo wahre Nächſtenliebe ausgeübt
und das Wohl der Kirche, zumal der proteſtantiſchen, gefördert werden
konnte.
Wir ſind weit entfernt eine vollſtändige Aufzählung der Werke de
Wette’s gegeben zu haben; wir haben nur einige der hauptſächlichſten in
den verſchiedenen Gebieten der Theologie angeführt. Es iſt uns nicht un-
bekannt daß er noch vieles andere geſchrieben, daß er eine große Anzahl
zum Theil trefflicher Aufſätze in theologiſchen Zeitſchriften und Litteratur-
Zeitungen niedergelegt, daß er ſelbſt Gegenſtände die nicht eigentlich theo-
logiſch ſind in freierer Form und auf geiſtvolle Weiſe behandelt hat. Unſer
Zweck war nur kurz zu überſchauen was dieſer Mann geleiſtet, und da
müſſen wir geſtehen daß er nicht vergebens gelebt, daß er gewirkt und ge-
arbeitet wie nur irgendeiner, und daß er ſich ſelbſt durch ſeine Werke ein
Denkmal geſtiftet hat welches Stein und Erz überdauert, und von keiner
Unbill der Zeit vernichtet werden wird:
Exegit monumentum ære perennius
Regalique situ pyramidum altius,
Quod non imber edax, non Aquilo impotens
Possit diruere aut innumerabilis
Annorum series et fuga temporum.
G. Schadow.
* Berlin, 31 Jan. Dieſen Morgen iſt der am 28 hier verſtorbene
berühmte Bildhauer und Director der Akademie der Künſte, Gottfried
Schadow zur Erde beſtattet worden. Er war wohl der Neſtor aller
deutſchen Bildhauer, vielleicht aller deutſchen Künſtler überhaupt, da er
das 86ſte Jahr erreicht hatte. Sein Leichenzug war großartig. Die
ganze Akademie der Künſte, ein Theil der der Wiſſenſchaften, der Univer-
ſttät u. ſ. w. hatte ſich angeſchloſſen. Die jüngeren Künſtler hoben den
Sarg in den Leichenwagen und gingen dieſem zu Fuß voran, bis zum
Friedhof. Schadow ruht an der Seite ſeiner beiden Gattinnen, deren
zweite achtzehn Jahre früher ſtarb als er. Gerade vor achtundzwanzig Jahren,
am 31 Januar 1822, ſtarb ſein erſtgeborner Sohn Rudolph Schadow zu
Rom, gewöhnlich Ridolfo Schadow genannt, Bildhauer wie der Vater, und
ſchon damals hochberühmt. Schadow war nicht ein ſo hoher ſcharfer Geiſt
wie Hinkel, aber doch ein Mann klarſter Erkenntniß, edelſter Bildung und
von einer Geradheit, ja faſt kindlichen Naivität und einem Wohlwollen
das ihn ebenſo zum Gegenſtand der Liebe wie der Verehrung aller machte.
Er war in der That unempfindlich gegen die äußern Unterſchiede von Rang
und Reichthum; Kaiſern und Königen gegenüber behielt er ſeine gleichmäßige
Gemüthlichkeit. Ganz eigenthümlich war er in der Improviſation humoriſti-
ſcher Reden; ein Ton den er ſelbſt bei öffentlichen, feierlichen Angelegen-
heiten nicht leicht aufgab. Was er als Künſtler geweſen, darüber mö-
gen nicht unſere Worte, ſondern ſeine Werke Zeugniß geben, und
— die Zahl der Tauſende von Schülern die ihn verehrten, und die in
ihm immer noch, als er ſchon längſt zu ſchaffen aufgehört, den Mann des
feinſten Urtheils, des klarſten künſtleriſchen Rathes erkannten. Er hatte
wie Neſtor das Schwert abgelegt, aber im Rath blieb er unerſetzlich.
Der Norddeutſch-öſterreichiſche Handelsbund. *)
I.
** Bremen, Ende Decembers. Seit ich die ſechs früheren Briefe
über die öſterreichiſch-deutſche Handelseinigung an Sie abſandte, ſind mehr
als drei Monate verfloſſen; es war mir verſchiedener Umſtände wegen
nicht möglich eher an eine Fortſetzung der Behandlung dieſes Themas
zu gehen, und jetzt, wo uns inzwiſchen die „Wiener Zeitung“ durch die
Feder des Miniſterialſecretärs G. Höfken die Verſicherung gegeben hat
daß Hr. v. Bruck keineswegs „über dergleichen Plane lächle,“ wie mein
bisheriger Gegner glaubte, freue ich mich meines unfreiwilligen Zauderns.
Setzt mich doch dieſe notoriſche Thatſache in den Stand nunmehr meine
Polemik gegen Hrn. v. Herman aufgeben zu können; abgeſehen von der
größern Sicherheit welche daraus für die Combinationen reſultirt. Denn
ich, der, wie Sie wiſſen, in gar keiner Verbindung mit dem öſterreichiſchen
Miniſterium ſteht, hatte bis dahin, faſt von allen Seiten als Phantaſt
verlacht und im Kampfe mit Deutſchlands erſtem Nationalökonomen,
nichts für mich als meine eigene gute Ueberzeugung; und wie wenig man
in unſerer Wirrniß der Anſichten damit als Einzelner ausrichtet, wiſſen
Sie ſicher eben ſo gut wie ich. Auf die Vorſchläge der „Wiener Zeitung“
fußend, hätte ich nunmehr die Aufgabe die Coincidenz der anſcheinend
ſo weit auseinanderlaufenden materiellen Intereſſen in der Mitte von Eu-
ropa nachzuweiſen, aber da die ökonomiſche Politik in meinen Augen nie-
mals von der formalen getrennt werden kann, und man, eben wegen ge-
wohnter Beiſeitſetzung der erſteren im Vaterlande, jetzt gar nicht weiß
was aus unſerer ſtaatlichen Einigung werden ſoll, ſo ziehe ich es vor
Ihnen nach den gewonnenen Reſultaten der früheren Briefe zuerſt meine
Gedanken über die noch immer ſchwebende Conſtituirung des Geſammt-
deutſchlands mitzutheilen, ehe ich mich jener mehr ſtatiſtiſchen Zuſammen-
ſtellung unterziehe. Sollten dabei Wiederholungen von früher ausge-
ſprochenen Gedanken mitunterlaufen, ſo wollen Sie das der größeren
Deutlichkeit wegen bei der manchmal ſchwierigen Verwickelung des Stof-
fes entſchuldigen.
In den vorhergehenden Briefen iſt zweierlei zu zeigen, beziehungs-
weiſe zu beweiſen verſucht: nämlich einmal durch eine Darlegung der euro-
päiſchen Handelslinien, daß der ökonomiſche Schwerpunkt von dem
„Reiche der Mitte“ in Wien als ihrem Knotenpunkte ſich findet; und zwei-
tens, daß man nur dann einen Staat ſicher aufbaut wenn man ſeine öko-
nomiſchen Motoren politiſch zur berechtigten Anerkennung bringt, die
politiſchen Kryſtalliſationen keine von den materiellen Grundbedingungen
divergirenden Winkel annehmen läßt. Es mußte ſchon bei dieſer Ausein-
anderſetzung unſer Blick oft auf die hiſtoriſchen Verhältniſſe fallen, da aus
ihnen allein die concreten Belege der aufgeſtellten Behauptungen herge-
nommen werden konnten. Noch vielmehr aber ſind wir genöthigt in
*) Die Hauptſtücke des chriſtlichen Glaubens in einer Reihe von Predigten,
von Dr. W. M. L. de Wette. Baſel, Neukirch.
*) Siehe die Beilage der Allg. Ztg. vom 5 Sept. und folgende.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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