Allgemeine Zeitung, Nr. 36, 5. Februar 1850.Dienstag. Beilage zu Nr. 36 der Allg. Zeitung. 5 Februar 1850.[Spaltenumbruch] Uebersicht. Wilhelm Martin Leberecht de Wette. (Schluß.) Das Jahr 1839 brachte in der Schweiz in Folge der Berufung des Ebensowenig wie 1839 nahm de Wette 1847 bei der Berufung des Wenn auch nicht in diesen beiden Fällen, die für das kirchliche Leben Unter den mancherlei Reisen die de Wette fast alljährlich unter- Der Abend von de Wette's Tagen wurde durch zwei Lichtpunkte er- Dienſtag. Beilage zu Nr. 36 der Allg. Zeitung. 5 Februar 1850.[Spaltenumbruch] Ueberſicht. Wilhelm Martin Leberecht de Wette. (Schluß.) Das Jahr 1839 brachte in der Schweiz in Folge der Berufung des Ebenſowenig wie 1839 nahm de Wette 1847 bei der Berufung des Wenn auch nicht in dieſen beiden Fällen, die für das kirchliche Leben Unter den mancherlei Reiſen die de Wette faſt alljährlich unter- Der Abend von de Wette’s Tagen wurde durch zwei Lichtpunkte er- <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div> <p> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docDate>Dienſtag.</docDate> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zu Nr. 36 der Allg. Zeitung.</hi> </titlePart> </docTitle> <docDate>5 Februar 1850.</docDate> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <body> <div type="contents" n="1"> <p><hi rendition="#c"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ueberſicht</hi>.</hi></hi><lb/> Wilhelm Martin Leberecht De Wette. (Beſchluß.) — G. Schadow.<lb/> — Der nordöſterreichiſche Handelsſtaat. — Wien. (Die deutſche Han-<lb/> delseinigung. Das Gendarmeriegeſetz. 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Noch wirkt de Wette in Baſel, von den Anhängern der<lb/> verſchiedenſten religiöſen Anſichten hochgeachtet, als einer der größten le-<lb/> benden Gottesgelehrten; wie er in Folge ſeines Forſchens und ſeiner<lb/> Lebenserfahrungen mehr und mehr einer pofitiv-bibliſchen Anſicht des<lb/> Chriſtenthums ſich zuwandte, ſo waren auch bei Lutz allmählich ſeine<lb/> frühern, mehr freieren theologiſchen Meinungen in eine viel poſitivere,<lb/> dem Kirchenglauben ſich anſchließendere Faſſung des Chriſtenthums auf-<lb/> gegangen, ohne daß einer von ihnen das freie Forſchen aufgegeben hätte.<lb/> Säulen der Kirche wurden ſie beide.“</p><lb/> <p>Wenn auch nicht in dieſen beiden Fällen, die für das kirchliche Leben<lb/> der Schweiz große Bedeutung hatten, ſo gab doch de Wette in einem<lb/> andern ähnlichen Fall, der Deutſchland betraf, ſein gewichtiges theolo-<lb/> giſches Votum ab — ein neuer Beweis wie ſehr er immer ſeinem innerſten<lb/> Weſen nach ſeinem urſprünglichen Vaterlande angehörte und an allen<lb/> Schickſalen desſelben bis auf die jüngſten Ereigniſſe Antheil nahm. In<lb/> Deutſchland hatten ſich nämlich, bevor die politiſche Bewegung von 1848<lb/> ausbrach, allerhand religiöſe Secten gebildet, deren Haupttendenz, wie<lb/> es nachher offen eingeſtanden wurde, eine politiſche war, die aber dadurch<lb/> daß ſie ſich über alle biſtoriſch-objective Wahrheit des Chriſtenthums<lb/> wegſetzten und ſich namentlich von den Symbolen, dieſen hiſtoriſchen Ur-<lb/> kunden der proteſtantiſchen Kirche, losſagten, einem freiſinnigeren Chri-<lb/> ſtenthum anzugehören heuchelten. Es handelte ſich in dieſer Beziehung<lb/> um die ſpecielle Frage: ob <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Rupp von Königsberg, der ſich von dem<lb/> evangeliſch-kirchlichen Bekenntniß öffentlich losgeſagt hatte, aus dem<lb/> deutſchen Guſtav-Adolf-Verein auszuſchließen ſey oder nicht. De Wette<lb/> ſtand nicht an mit den bedeutendſten Theologen Deutſchlands in einer<lb/> beſondern kleinen Schrift ſich <hi rendition="#g">für</hi> die Ausſchließung auszuſprechen. Er<lb/> durchſchaute mit ſcharfem Blick das Weſen jener Leute, und konnte ihnen<lb/> ſo wenig beiſtimmen als er dem oberflächlichen Liberalismus des Tages<lb/> huldigte. „Für die Freiheit des Geiſtes (ſchrieb er damals) habe ich nach<lb/> Kräften gewirkt, und mein letzter Hauch wird ihr gewidmet ſeyn; aber<lb/> ich kann bei den Freiheitsmännern des Tages nicht die rechte Freiheit,<lb/> und bei den Lichtfreunden nicht das rechte Licht finden. Ich halte an der<lb/> hiſtoriſchen objectiven Wahrheit des Chriſtenthums feſt und ſehe die<lb/> Geltendmachung und Befeſtigung auch einer kirchlichen Objectivität ſo-<lb/> wohl in der Lehre als in der Verfaſſung, im Regiment und Cultus als<lb/> eine dringende Nothwendigkeit an. Die jetzt herrſchende Symbolſchen<lb/> betrachte ich als die Frucht der Unwiſſenheit, Oberflächlichkeit und dün-<lb/> kelhaften Abſprecherei.“</p><lb/> <p>Unter den mancherlei Reiſen die de Wette faſt alljährlich unter-<lb/> nahm, nimmt ein längerer Aufenthalt in Italien und Rom im Winter<lb/> 1845 bis 46 die bedeutendſte Stelle ein. In theologiſcher Beziehung äu-<lb/> ßerte dieſe Reiſe einen ähnlichen Einfluß auf ihn wie ſeiner Zeit der<lb/> Aufenthalt zu Rom auf Luther. Er fühlte ſich abgeſtoßen von dem For-<lb/> malismus und dem Ceremonienweſen der römiſch-katholiſchen Kirche,<lb/> das er nun an der Quelle in der Hauptſtadt der katholiſchen Chriſtenheit<lb/> zu betrachten Gelegenheit hatte. De Wette war dem innerſten Kern nach<lb/> Proteſtant, und ſeine proteſtantiſchen Sympathien hat er niemals ver-<lb/> läugnet. Er pflegte die katholiſche Kirche in ſeinen Vorleſungen wohl<lb/> mit einer Ruine zu vergleichen die aus dem Mittelalter in die Gegen-<lb/> wart hineinragt, und deren Gemäuer zwar äußerlich noch Beſtand hat,<lb/> die aber im Innern zerfallen und unwohnlich iſt. Wenn aber Rom als<lb/> Sitz des Katholicismus ihn nicht beſonders feſſelte, ſo hat ihn dagegen<lb/> die Stadt als Sitz der Kunſt mächtig angezogen. Wie ſein Gemüth für<lb/> alles Edle und Schöne offen war, ſo hatte es ſich auch der Kunſt er-<lb/> ſchloſſen, und unter allen Künſten ſcheint die Muſik diejenige geweſen zu<lb/> ſeyn die ihn am tiefſten berührte. Aber auch die Malerei und die Bau-<lb/> kunft zog er in den Kreis ſeines Nachdenkens. In Folge ſeines Aufent-<lb/> halts zu Rom entſtand daher die kleine Schrift: „Gedanken über Malerei<lb/> und Baukunſt, beſonders in kirchlicher Beziehung.“ De Wette ſuchte<lb/> dieſen Künſten eine höhere Betrachtung abzugewinnen, und namentlich<lb/> zu ermitteln inwiefern ſie auch zur Erhöhung des proteſtantiſchen Cultus<lb/> beitragen könnten. Denn er war der Anſicht daß dieſer zu kahl und nackt<lb/> ſey, und daß eine Umbildung desſelben in den gehörigen Schranken dem<lb/> kirchlichen Leben neuen Anſtoß geben könnte. Eigenthümlich iſt auch die<lb/> Anſicht die de Wette von der Dichtkunſt hatte. Poeſte und Religion hielt<lb/> er für verſchwiſtert, und er meinte daß es die höchſte Aufgabe der Poeſie<lb/> ſey ganz von dem Geiſt des Chriſtenthums durchdrungen zu werden.</p><lb/> <p>Der Abend von de Wette’s Tagen wurde durch zwei Lichtpunkte er-<lb/> hellt, welche ein freundliches Licht auf ſeine lange theologiſche Laufbahn<lb/> warfen. Am 31 Mai 1847 feierten nämlich ſeine Freunde und Verehrer<lb/> das Andenken an die Zeit an welcher er vor 25 Jahren nach Baſel ge-<lb/> kommen war. Die Univerſttät ließ ihn durch eine beſondere Deputation<lb/> feierlich begrüßen und ihm ein Ehrendiplom überreichen, in welchem ſeine<lb/> Verdienſte kurz und bündig erwähnt werden, und das in deutſcher Ueber-<lb/> ſetzung alſo lautet: „Heil, Segen und Glück! Den ſehr berühmten, durch<lb/> Rechtſchaffenheit und Aufrichtigkeit nicht weniger als durch Gelehrſam-<lb/> keit und Wiſſenſchaft ausgezeichneten Mann, <hi rendition="#g">Wilhelm Martin Lebe-<lb/> recht de Wette,</hi> Doctor der Theologie, Lehrer der deutſchen und ſchwei-<lb/> zeriſchen Jugend, der die Lehre der ganzen Theologie in ſeinem Studium<lb/> umfaſſend mehrere Zweige derſelben mit ſo genauer Sorgfalt und ſolchem<lb/> Fleiß bearbeitete, und durch ſeine Schriften ſo viel Licht auf dieſelben<lb/> warf daß er ſowohl dem Urtheil der Gelehrten Genüge leiftete als auch<lb/> die Bedürfniſſe der Jugend ſich angelegen ſeyn ließ; und der, einzig auf<lb/> die Erforſchung der Wahrheit gerichtet und verkehrter Beſtrebung fremd,<lb/> den höchſten Ruhm des Lebens in die Eröffnung der Quellen der chriſt-<lb/> lichen Religion ſetzte; was er für wahr erkannte, mit den klarſten Be-<lb/> weiſen beflätigte und beleuchtete; der dieſes Studium in Jena begann,<lb/> dann nach Heidelberg übertrug, hierauf zu den berühmteſten deutſchen<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Dienſtag. Beilage zu Nr. 36 der Allg. Zeitung. 5 Februar 1850.
Ueberſicht.
Wilhelm Martin Leberecht De Wette. (Beſchluß.) — G. Schadow.
— Der nordöſterreichiſche Handelsſtaat. — Wien. (Die deutſche Han-
delseinigung. Das Gendarmeriegeſetz. Das Petitionsrecht und die
Slaven.) — Das Schützenweſen in Tirol. — Das ſpaniſche Amerika.
— Layard.
Wilhelm Martin Leberecht de Wette.
(Schluß.)
Das Jahr 1839 brachte in der Schweiz in Folge der Berufung des
Dr. Dav. Fried. Strauß an die Züricher Hochſchule eine große kirchliche
Bewegung hervor. De Wette war zwar nichts weniger als gleichgültiger
Zuſchauer bei derſelben, hielt ſich aber doch nicht für berufen dabei ir-
gendeinen thätigen Antheil zu nehmen. Doch bevorwortete er eine damals
erſchienene kleine Schrift, die man allgemein einem berühmten Göttinger
Theologen zuſchrieb, und die den Titel führte: „Dr. Strauß und die
Züricher Kirche. Eine Stimme aus Norddeutſchland.“ Als ein Theologe,
der die Freiheit der Forſchung ungeſchmälert wiſſen wollte, ſuchte de
Wette in dem Vorwort zu dieſer Schrift die Wiſſenſchaft, die in der ſo
lärmenden Abweiſung der Straußiſchen Kritik vom theologiſchen Lehr-
ſtuhl einen Widerſpruch von Seiten des kirchlichen Volkes und ſeiner
Führer erfahren habe, wodurch leicht ein Verdacht auf ſie ſelbſt geworfen
werden könnte, in Schutz zu nehmen. „Beſonders iſt zu wünſchen, ſagte
er, daß das junge theologiſche Geſchlecht, aus welchem die künftigen
Führer der Gemeinde und die Pfleger der theologiſchen Wiſſenſchaft her-
vorgehen, vor leidenſchaftlicher Parteinahme bewahrt bleibe, und nicht
die Beute einer Reaction werde, welche uns um die Frucht langwieriger,
ernſter und gründlicher Studien zu bringen droht. Die ſchlimmſten
Feinde der Wiſſenſchaft, die der Kirche nicht fremd bleiben darf, deren
Ergebniſſe nach und nach ins Volk eingeführt werden ſollen, ſind ihre
unfähigen, faulen oder verſtockten Jünger, die ſich den ächten Geiſt der-
ſelben nicht aneignen können oder wollen, und die, wenn ſie ins prakti-
ſche Leben treten, ſich auf die Seite der Unwiſſenſchaftlichkeit ſchlagen
und in der Gemeinde den Verdacht gegen die Wiſſenſchaft ausſtreuen und
unterhalten. Die wahre Vermittlung zwiſchen ihr und der Kirche ſollte
durch die Geiſtlichen geſchehen, welche der Natur der Sache nach mitten
inne ſtehen, und die das in der Schule ausgebeutete reine Gold in um-
laufende Münze ausprägen ſollten.“
Ebenſowenig wie 1839 nahm de Wette 1847 bei der Berufung des
Dr. Zeller nach Bern, wodurch in dieſem Kanton nicht geringe Aufregung
hervorgebracht wurde, thätigen Antheil an dem Kampfe der Parteien.
Sonderbarerweiſe ſtellte man ihn damals mit Uſteri und Lutz neben
Zeller, und ſagte daß auch bei ſeiner Anſtellung zu Baſel auf gleiche
Weiſe, wie jetzt in Bern, Neligionsgefahr gepredigt worden ſey. Hier-
auf entgegnete aber eine damals erſchienene Streitſchrift ſehr richtig:
„Es iſt zwiſchen dieſen drei Männern und Dr. Zeller ein himmelweiter
Unterſchied. Jene hatten von den Grundwahrheiten der Religion nie
abgeſehen wie Dr. Zeller; ihre Rechtgläubigkeit wurde nur in unterge-
ordneten Fragen bezweifelt; ſie hatten nie Lehrſätze ausgeſprochen die in
der praktiſchen Verwirklichung dem religiös-ſittlichen Leben gefährlich
werden können; ihre anfänglichen Abweichungen von der ſtrengkirchlichen
Auffaſſung des Chriſtenthums bezogen ſich eben nur auf minder weſent-
liche Punkte. Noch wirkt de Wette in Baſel, von den Anhängern der
verſchiedenſten religiöſen Anſichten hochgeachtet, als einer der größten le-
benden Gottesgelehrten; wie er in Folge ſeines Forſchens und ſeiner
Lebenserfahrungen mehr und mehr einer pofitiv-bibliſchen Anſicht des
Chriſtenthums ſich zuwandte, ſo waren auch bei Lutz allmählich ſeine
frühern, mehr freieren theologiſchen Meinungen in eine viel poſitivere,
dem Kirchenglauben ſich anſchließendere Faſſung des Chriſtenthums auf-
gegangen, ohne daß einer von ihnen das freie Forſchen aufgegeben hätte.
Säulen der Kirche wurden ſie beide.“
Wenn auch nicht in dieſen beiden Fällen, die für das kirchliche Leben
der Schweiz große Bedeutung hatten, ſo gab doch de Wette in einem
andern ähnlichen Fall, der Deutſchland betraf, ſein gewichtiges theolo-
giſches Votum ab — ein neuer Beweis wie ſehr er immer ſeinem innerſten
Weſen nach ſeinem urſprünglichen Vaterlande angehörte und an allen
Schickſalen desſelben bis auf die jüngſten Ereigniſſe Antheil nahm. In
Deutſchland hatten ſich nämlich, bevor die politiſche Bewegung von 1848
ausbrach, allerhand religiöſe Secten gebildet, deren Haupttendenz, wie
es nachher offen eingeſtanden wurde, eine politiſche war, die aber dadurch
daß ſie ſich über alle biſtoriſch-objective Wahrheit des Chriſtenthums
wegſetzten und ſich namentlich von den Symbolen, dieſen hiſtoriſchen Ur-
kunden der proteſtantiſchen Kirche, losſagten, einem freiſinnigeren Chri-
ſtenthum anzugehören heuchelten. Es handelte ſich in dieſer Beziehung
um die ſpecielle Frage: ob Dr. Rupp von Königsberg, der ſich von dem
evangeliſch-kirchlichen Bekenntniß öffentlich losgeſagt hatte, aus dem
deutſchen Guſtav-Adolf-Verein auszuſchließen ſey oder nicht. De Wette
ſtand nicht an mit den bedeutendſten Theologen Deutſchlands in einer
beſondern kleinen Schrift ſich für die Ausſchließung auszuſprechen. Er
durchſchaute mit ſcharfem Blick das Weſen jener Leute, und konnte ihnen
ſo wenig beiſtimmen als er dem oberflächlichen Liberalismus des Tages
huldigte. „Für die Freiheit des Geiſtes (ſchrieb er damals) habe ich nach
Kräften gewirkt, und mein letzter Hauch wird ihr gewidmet ſeyn; aber
ich kann bei den Freiheitsmännern des Tages nicht die rechte Freiheit,
und bei den Lichtfreunden nicht das rechte Licht finden. Ich halte an der
hiſtoriſchen objectiven Wahrheit des Chriſtenthums feſt und ſehe die
Geltendmachung und Befeſtigung auch einer kirchlichen Objectivität ſo-
wohl in der Lehre als in der Verfaſſung, im Regiment und Cultus als
eine dringende Nothwendigkeit an. Die jetzt herrſchende Symbolſchen
betrachte ich als die Frucht der Unwiſſenheit, Oberflächlichkeit und dün-
kelhaften Abſprecherei.“
Unter den mancherlei Reiſen die de Wette faſt alljährlich unter-
nahm, nimmt ein längerer Aufenthalt in Italien und Rom im Winter
1845 bis 46 die bedeutendſte Stelle ein. In theologiſcher Beziehung äu-
ßerte dieſe Reiſe einen ähnlichen Einfluß auf ihn wie ſeiner Zeit der
Aufenthalt zu Rom auf Luther. Er fühlte ſich abgeſtoßen von dem For-
malismus und dem Ceremonienweſen der römiſch-katholiſchen Kirche,
das er nun an der Quelle in der Hauptſtadt der katholiſchen Chriſtenheit
zu betrachten Gelegenheit hatte. De Wette war dem innerſten Kern nach
Proteſtant, und ſeine proteſtantiſchen Sympathien hat er niemals ver-
läugnet. Er pflegte die katholiſche Kirche in ſeinen Vorleſungen wohl
mit einer Ruine zu vergleichen die aus dem Mittelalter in die Gegen-
wart hineinragt, und deren Gemäuer zwar äußerlich noch Beſtand hat,
die aber im Innern zerfallen und unwohnlich iſt. Wenn aber Rom als
Sitz des Katholicismus ihn nicht beſonders feſſelte, ſo hat ihn dagegen
die Stadt als Sitz der Kunſt mächtig angezogen. Wie ſein Gemüth für
alles Edle und Schöne offen war, ſo hatte es ſich auch der Kunſt er-
ſchloſſen, und unter allen Künſten ſcheint die Muſik diejenige geweſen zu
ſeyn die ihn am tiefſten berührte. Aber auch die Malerei und die Bau-
kunft zog er in den Kreis ſeines Nachdenkens. In Folge ſeines Aufent-
halts zu Rom entſtand daher die kleine Schrift: „Gedanken über Malerei
und Baukunſt, beſonders in kirchlicher Beziehung.“ De Wette ſuchte
dieſen Künſten eine höhere Betrachtung abzugewinnen, und namentlich
zu ermitteln inwiefern ſie auch zur Erhöhung des proteſtantiſchen Cultus
beitragen könnten. Denn er war der Anſicht daß dieſer zu kahl und nackt
ſey, und daß eine Umbildung desſelben in den gehörigen Schranken dem
kirchlichen Leben neuen Anſtoß geben könnte. Eigenthümlich iſt auch die
Anſicht die de Wette von der Dichtkunſt hatte. Poeſte und Religion hielt
er für verſchwiſtert, und er meinte daß es die höchſte Aufgabe der Poeſie
ſey ganz von dem Geiſt des Chriſtenthums durchdrungen zu werden.
Der Abend von de Wette’s Tagen wurde durch zwei Lichtpunkte er-
hellt, welche ein freundliches Licht auf ſeine lange theologiſche Laufbahn
warfen. Am 31 Mai 1847 feierten nämlich ſeine Freunde und Verehrer
das Andenken an die Zeit an welcher er vor 25 Jahren nach Baſel ge-
kommen war. Die Univerſttät ließ ihn durch eine beſondere Deputation
feierlich begrüßen und ihm ein Ehrendiplom überreichen, in welchem ſeine
Verdienſte kurz und bündig erwähnt werden, und das in deutſcher Ueber-
ſetzung alſo lautet: „Heil, Segen und Glück! Den ſehr berühmten, durch
Rechtſchaffenheit und Aufrichtigkeit nicht weniger als durch Gelehrſam-
keit und Wiſſenſchaft ausgezeichneten Mann, Wilhelm Martin Lebe-
recht de Wette, Doctor der Theologie, Lehrer der deutſchen und ſchwei-
zeriſchen Jugend, der die Lehre der ganzen Theologie in ſeinem Studium
umfaſſend mehrere Zweige derſelben mit ſo genauer Sorgfalt und ſolchem
Fleiß bearbeitete, und durch ſeine Schriften ſo viel Licht auf dieſelben
warf daß er ſowohl dem Urtheil der Gelehrten Genüge leiftete als auch
die Bedürfniſſe der Jugend ſich angelegen ſeyn ließ; und der, einzig auf
die Erforſchung der Wahrheit gerichtet und verkehrter Beſtrebung fremd,
den höchſten Ruhm des Lebens in die Eröffnung der Quellen der chriſt-
lichen Religion ſetzte; was er für wahr erkannte, mit den klarſten Be-
weiſen beflätigte und beleuchtete; der dieſes Studium in Jena begann,
dann nach Heidelberg übertrug, hierauf zu den berühmteſten deutſchen
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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