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Allgemeine Zeitung, Nr. 36, 5. Februar 1850.

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Beilage zu Nr. 36 der Allg. Zeitung.
5 Februar 1850.


[Spaltenumbruch]

Uebersicht.
Wilhelm Martin Leberecht De Wette. (Beschluß.) -- G. Schadow.
-- Der nordösterreichische Handelsstaat. -- Wien. (Die deutsche Han-
delseinigung. Das Gendarmeriegesetz. Das Petitionsrecht und die
Slaven.) -- Das Schützenwesen in Tirol. -- Das spanische Amerika.
-- Layard.



Wilhelm Martin Leberecht de Wette.
(Schluß.)

Das Jahr 1839 brachte in der Schweiz in Folge der Berufung des
Dr. Dav. Fried. Strauß an die Züricher Hochschule eine große kirchliche
Bewegung hervor. De Wette war zwar nichts weniger als gleichgültiger
Zuschauer bei derselben, hielt sich aber doch nicht für berufen dabei ir-
gendeinen thätigen Antheil zu nehmen. Doch bevorwortete er eine damals
erschienene kleine Schrift, die man allgemein einem berühmten Göttinger
Theologen zuschrieb, und die den Titel führte: "Dr. Strauß und die
Züricher Kirche. Eine Stimme aus Norddeutschland." Als ein Theologe,
der die Freiheit der Forschung ungeschmälert wissen wollte, suchte de
Wette in dem Vorwort zu dieser Schrift die Wissenschaft, die in der so
lärmenden Abweisung der Straußischen Kritik vom theologischen Lehr-
stuhl einen Widerspruch von Seiten des kirchlichen Volkes und seiner
Führer erfahren habe, wodurch leicht ein Verdacht auf sie selbst geworfen
werden könnte, in Schutz zu nehmen. "Besonders ist zu wünschen, sagte
er, daß das junge theologische Geschlecht, aus welchem die künftigen
Führer der Gemeinde und die Pfleger der theologischen Wissenschaft her-
vorgehen, vor leidenschaftlicher Parteinahme bewahrt bleibe, und nicht
die Beute einer Reaction werde, welche uns um die Frucht langwieriger,
ernster und gründlicher Studien zu bringen droht. Die schlimmsten
Feinde der Wissenschaft, die der Kirche nicht fremd bleiben darf, deren
Ergebnisse nach und nach ins Volk eingeführt werden sollen, sind ihre
unfähigen, faulen oder verstockten Jünger, die sich den ächten Geist der-
selben nicht aneignen können oder wollen, und die, wenn sie ins prakti-
sche Leben treten, sich auf die Seite der Unwissenschaftlichkeit schlagen
und in der Gemeinde den Verdacht gegen die Wissenschaft ausstreuen und
unterhalten. Die wahre Vermittlung zwischen ihr und der Kirche sollte
durch die Geistlichen geschehen, welche der Natur der Sache nach mitten
inne stehen, und die das in der Schule ausgebeutete reine Gold in um-
laufende Münze ausprägen sollten."

Ebensowenig wie 1839 nahm de Wette 1847 bei der Berufung des
Dr. Zeller nach Bern, wodurch in diesem Kanton nicht geringe Aufregung
hervorgebracht wurde, thätigen Antheil an dem Kampfe der Parteien.
Sonderbarerweise stellte man ihn damals mit Usteri und Lutz neben
Zeller, und sagte daß auch bei seiner Anstellung zu Basel auf gleiche
Weise, wie jetzt in Bern, Neligionsgefahr gepredigt worden sey. Hier-
auf entgegnete aber eine damals erschienene Streitschrift sehr richtig:
"Es ist zwischen diesen drei Männern und Dr. Zeller ein himmelweiter
Unterschied. Jene hatten von den Grundwahrheiten der Religion nie
abgesehen wie Dr. Zeller; ihre Rechtgläubigkeit wurde nur in unterge-
ordneten Fragen bezweifelt; sie hatten nie Lehrsätze ausgesprochen die in
der praktischen Verwirklichung dem religiös-sittlichen Leben gefährlich
werden können; ihre anfänglichen Abweichungen von der strengkirchlichen
Auffassung des Christenthums bezogen sich eben nur auf minder wesent-
liche Punkte. Noch wirkt de Wette in Basel, von den Anhängern der
verschiedensten religiösen Ansichten hochgeachtet, als einer der größten le-
benden Gottesgelehrten; wie er in Folge seines Forschens und seiner
Lebenserfahrungen mehr und mehr einer pofitiv-biblischen Ansicht des
Christenthums sich zuwandte, so waren auch bei Lutz allmählich seine
frühern, mehr freieren theologischen Meinungen in eine viel positivere,
dem Kirchenglauben sich anschließendere Fassung des Christenthums auf-
gegangen, ohne daß einer von ihnen das freie Forschen aufgegeben hätte.
Säulen der Kirche wurden sie beide."

Wenn auch nicht in diesen beiden Fällen, die für das kirchliche Leben
der Schweiz große Bedeutung hatten, so gab doch de Wette in einem
andern ähnlichen Fall, der Deutschland betraf, sein gewichtiges theolo-
gisches Votum ab -- ein neuer Beweis wie sehr er immer seinem innersten
Wesen nach seinem ursprünglichen Vaterlande angehörte und an allen
Schicksalen desselben bis auf die jüngsten Ereignisse Antheil nahm. In
Deutschland hatten sich nämlich, bevor die politische Bewegung von 1848
ausbrach, allerhand religiöse Secten gebildet, deren Haupttendenz, wie
es nachher offen eingestanden wurde, eine politische war, die aber dadurch
daß sie sich über alle bistorisch-objective Wahrheit des Christenthums
wegsetzten und sich namentlich von den Symbolen, diesen historischen Ur-
kunden der protestantischen Kirche, lossagten, einem freisinnigeren Chri-
stenthum anzugehören heuchelten. Es handelte sich in dieser Beziehung
um die specielle Frage: ob Dr. Rupp von Königsberg, der sich von dem
evangelisch-kirchlichen Bekenntniß öffentlich losgesagt hatte, aus dem
deutschen Gustav-Adolf-Verein auszuschließen sey oder nicht. De Wette
stand nicht an mit den bedeutendsten Theologen Deutschlands in einer
besondern kleinen Schrift sich für die Ausschließung auszusprechen. Er
durchschaute mit scharfem Blick das Wesen jener Leute, und konnte ihnen
so wenig beistimmen als er dem oberflächlichen Liberalismus des Tages
huldigte. "Für die Freiheit des Geistes (schrieb er damals) habe ich nach
Kräften gewirkt, und mein letzter Hauch wird ihr gewidmet seyn; aber
ich kann bei den Freiheitsmännern des Tages nicht die rechte Freiheit,
und bei den Lichtfreunden nicht das rechte Licht finden. Ich halte an der
historischen objectiven Wahrheit des Christenthums fest und sehe die
Geltendmachung und Befestigung auch einer kirchlichen Objectivität so-
wohl in der Lehre als in der Verfassung, im Regiment und Cultus als
eine dringende Nothwendigkeit an. Die jetzt herrschende Symbolschen
betrachte ich als die Frucht der Unwissenheit, Oberflächlichkeit und dün-
kelhaften Absprecherei."

Unter den mancherlei Reisen die de Wette fast alljährlich unter-
nahm, nimmt ein längerer Aufenthalt in Italien und Rom im Winter
1845 bis 46 die bedeutendste Stelle ein. In theologischer Beziehung äu-
ßerte diese Reise einen ähnlichen Einfluß auf ihn wie seiner Zeit der
Aufenthalt zu Rom auf Luther. Er fühlte sich abgestoßen von dem For-
malismus und dem Ceremonienwesen der römisch-katholischen Kirche,
das er nun an der Quelle in der Hauptstadt der katholischen Christenheit
zu betrachten Gelegenheit hatte. De Wette war dem innersten Kern nach
Protestant, und seine protestantischen Sympathien hat er niemals ver-
läugnet. Er pflegte die katholische Kirche in seinen Vorlesungen wohl
mit einer Ruine zu vergleichen die aus dem Mittelalter in die Gegen-
wart hineinragt, und deren Gemäuer zwar äußerlich noch Bestand hat,
die aber im Innern zerfallen und unwohnlich ist. Wenn aber Rom als
Sitz des Katholicismus ihn nicht besonders fesselte, so hat ihn dagegen
die Stadt als Sitz der Kunst mächtig angezogen. Wie sein Gemüth für
alles Edle und Schöne offen war, so hatte es sich auch der Kunst er-
schlossen, und unter allen Künsten scheint die Musik diejenige gewesen zu
seyn die ihn am tiefsten berührte. Aber auch die Malerei und die Bau-
kunft zog er in den Kreis seines Nachdenkens. In Folge seines Aufent-
halts zu Rom entstand daher die kleine Schrift: "Gedanken über Malerei
und Baukunst, besonders in kirchlicher Beziehung." De Wette suchte
diesen Künsten eine höhere Betrachtung abzugewinnen, und namentlich
zu ermitteln inwiefern sie auch zur Erhöhung des protestantischen Cultus
beitragen könnten. Denn er war der Ansicht daß dieser zu kahl und nackt
sey, und daß eine Umbildung desselben in den gehörigen Schranken dem
kirchlichen Leben neuen Anstoß geben könnte. Eigenthümlich ist auch die
Ansicht die de Wette von der Dichtkunst hatte. Poeste und Religion hielt
er für verschwistert, und er meinte daß es die höchste Aufgabe der Poesie
sey ganz von dem Geist des Christenthums durchdrungen zu werden.

Der Abend von de Wette's Tagen wurde durch zwei Lichtpunkte er-
hellt, welche ein freundliches Licht auf seine lange theologische Laufbahn
warfen. Am 31 Mai 1847 feierten nämlich seine Freunde und Verehrer
das Andenken an die Zeit an welcher er vor 25 Jahren nach Basel ge-
kommen war. Die Universttät ließ ihn durch eine besondere Deputation
feierlich begrüßen und ihm ein Ehrendiplom überreichen, in welchem seine
Verdienste kurz und bündig erwähnt werden, und das in deutscher Ueber-
setzung also lautet: "Heil, Segen und Glück! Den sehr berühmten, durch
Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit nicht weniger als durch Gelehrsam-
keit und Wissenschaft ausgezeichneten Mann, Wilhelm Martin Lebe-
recht de Wette,
Doctor der Theologie, Lehrer der deutschen und schwei-
zerischen Jugend, der die Lehre der ganzen Theologie in seinem Studium
umfassend mehrere Zweige derselben mit so genauer Sorgfalt und solchem
Fleiß bearbeitete, und durch seine Schriften so viel Licht auf dieselben
warf daß er sowohl dem Urtheil der Gelehrten Genüge leiftete als auch
die Bedürfnisse der Jugend sich angelegen seyn ließ; und der, einzig auf
die Erforschung der Wahrheit gerichtet und verkehrter Bestrebung fremd,
den höchsten Ruhm des Lebens in die Eröffnung der Quellen der christ-
lichen Religion setzte; was er für wahr erkannte, mit den klarsten Be-
weisen beflätigte und beleuchtete; der dieses Studium in Jena begann,
dann nach Heidelberg übertrug, hierauf zu den berühmtesten deutschen

Dienſtag.
Beilage zu Nr. 36 der Allg. Zeitung.
5 Februar 1850.


[Spaltenumbruch]

Ueberſicht.
Wilhelm Martin Leberecht De Wette. (Beſchluß.) — G. Schadow.
— Der nordöſterreichiſche Handelsſtaat. — Wien. (Die deutſche Han-
delseinigung. Das Gendarmeriegeſetz. Das Petitionsrecht und die
Slaven.) — Das Schützenweſen in Tirol. — Das ſpaniſche Amerika.
— Layard.



Wilhelm Martin Leberecht de Wette.
(Schluß.)

Das Jahr 1839 brachte in der Schweiz in Folge der Berufung des
Dr. Dav. Fried. Strauß an die Züricher Hochſchule eine große kirchliche
Bewegung hervor. De Wette war zwar nichts weniger als gleichgültiger
Zuſchauer bei derſelben, hielt ſich aber doch nicht für berufen dabei ir-
gendeinen thätigen Antheil zu nehmen. Doch bevorwortete er eine damals
erſchienene kleine Schrift, die man allgemein einem berühmten Göttinger
Theologen zuſchrieb, und die den Titel führte: „Dr. Strauß und die
Züricher Kirche. Eine Stimme aus Norddeutſchland.“ Als ein Theologe,
der die Freiheit der Forſchung ungeſchmälert wiſſen wollte, ſuchte de
Wette in dem Vorwort zu dieſer Schrift die Wiſſenſchaft, die in der ſo
lärmenden Abweiſung der Straußiſchen Kritik vom theologiſchen Lehr-
ſtuhl einen Widerſpruch von Seiten des kirchlichen Volkes und ſeiner
Führer erfahren habe, wodurch leicht ein Verdacht auf ſie ſelbſt geworfen
werden könnte, in Schutz zu nehmen. „Beſonders iſt zu wünſchen, ſagte
er, daß das junge theologiſche Geſchlecht, aus welchem die künftigen
Führer der Gemeinde und die Pfleger der theologiſchen Wiſſenſchaft her-
vorgehen, vor leidenſchaftlicher Parteinahme bewahrt bleibe, und nicht
die Beute einer Reaction werde, welche uns um die Frucht langwieriger,
ernſter und gründlicher Studien zu bringen droht. Die ſchlimmſten
Feinde der Wiſſenſchaft, die der Kirche nicht fremd bleiben darf, deren
Ergebniſſe nach und nach ins Volk eingeführt werden ſollen, ſind ihre
unfähigen, faulen oder verſtockten Jünger, die ſich den ächten Geiſt der-
ſelben nicht aneignen können oder wollen, und die, wenn ſie ins prakti-
ſche Leben treten, ſich auf die Seite der Unwiſſenſchaftlichkeit ſchlagen
und in der Gemeinde den Verdacht gegen die Wiſſenſchaft ausſtreuen und
unterhalten. Die wahre Vermittlung zwiſchen ihr und der Kirche ſollte
durch die Geiſtlichen geſchehen, welche der Natur der Sache nach mitten
inne ſtehen, und die das in der Schule ausgebeutete reine Gold in um-
laufende Münze ausprägen ſollten.“

Ebenſowenig wie 1839 nahm de Wette 1847 bei der Berufung des
Dr. Zeller nach Bern, wodurch in dieſem Kanton nicht geringe Aufregung
hervorgebracht wurde, thätigen Antheil an dem Kampfe der Parteien.
Sonderbarerweiſe ſtellte man ihn damals mit Uſteri und Lutz neben
Zeller, und ſagte daß auch bei ſeiner Anſtellung zu Baſel auf gleiche
Weiſe, wie jetzt in Bern, Neligionsgefahr gepredigt worden ſey. Hier-
auf entgegnete aber eine damals erſchienene Streitſchrift ſehr richtig:
„Es iſt zwiſchen dieſen drei Männern und Dr. Zeller ein himmelweiter
Unterſchied. Jene hatten von den Grundwahrheiten der Religion nie
abgeſehen wie Dr. Zeller; ihre Rechtgläubigkeit wurde nur in unterge-
ordneten Fragen bezweifelt; ſie hatten nie Lehrſätze ausgeſprochen die in
der praktiſchen Verwirklichung dem religiös-ſittlichen Leben gefährlich
werden können; ihre anfänglichen Abweichungen von der ſtrengkirchlichen
Auffaſſung des Chriſtenthums bezogen ſich eben nur auf minder weſent-
liche Punkte. Noch wirkt de Wette in Baſel, von den Anhängern der
verſchiedenſten religiöſen Anſichten hochgeachtet, als einer der größten le-
benden Gottesgelehrten; wie er in Folge ſeines Forſchens und ſeiner
Lebenserfahrungen mehr und mehr einer pofitiv-bibliſchen Anſicht des
Chriſtenthums ſich zuwandte, ſo waren auch bei Lutz allmählich ſeine
frühern, mehr freieren theologiſchen Meinungen in eine viel poſitivere,
dem Kirchenglauben ſich anſchließendere Faſſung des Chriſtenthums auf-
gegangen, ohne daß einer von ihnen das freie Forſchen aufgegeben hätte.
Säulen der Kirche wurden ſie beide.“

Wenn auch nicht in dieſen beiden Fällen, die für das kirchliche Leben
der Schweiz große Bedeutung hatten, ſo gab doch de Wette in einem
andern ähnlichen Fall, der Deutſchland betraf, ſein gewichtiges theolo-
giſches Votum ab — ein neuer Beweis wie ſehr er immer ſeinem innerſten
Weſen nach ſeinem urſprünglichen Vaterlande angehörte und an allen
Schickſalen desſelben bis auf die jüngſten Ereigniſſe Antheil nahm. In
Deutſchland hatten ſich nämlich, bevor die politiſche Bewegung von 1848
ausbrach, allerhand religiöſe Secten gebildet, deren Haupttendenz, wie
es nachher offen eingeſtanden wurde, eine politiſche war, die aber dadurch
daß ſie ſich über alle biſtoriſch-objective Wahrheit des Chriſtenthums
wegſetzten und ſich namentlich von den Symbolen, dieſen hiſtoriſchen Ur-
kunden der proteſtantiſchen Kirche, losſagten, einem freiſinnigeren Chri-
ſtenthum anzugehören heuchelten. Es handelte ſich in dieſer Beziehung
um die ſpecielle Frage: ob Dr. Rupp von Königsberg, der ſich von dem
evangeliſch-kirchlichen Bekenntniß öffentlich losgeſagt hatte, aus dem
deutſchen Guſtav-Adolf-Verein auszuſchließen ſey oder nicht. De Wette
ſtand nicht an mit den bedeutendſten Theologen Deutſchlands in einer
beſondern kleinen Schrift ſich für die Ausſchließung auszuſprechen. Er
durchſchaute mit ſcharfem Blick das Weſen jener Leute, und konnte ihnen
ſo wenig beiſtimmen als er dem oberflächlichen Liberalismus des Tages
huldigte. „Für die Freiheit des Geiſtes (ſchrieb er damals) habe ich nach
Kräften gewirkt, und mein letzter Hauch wird ihr gewidmet ſeyn; aber
ich kann bei den Freiheitsmännern des Tages nicht die rechte Freiheit,
und bei den Lichtfreunden nicht das rechte Licht finden. Ich halte an der
hiſtoriſchen objectiven Wahrheit des Chriſtenthums feſt und ſehe die
Geltendmachung und Befeſtigung auch einer kirchlichen Objectivität ſo-
wohl in der Lehre als in der Verfaſſung, im Regiment und Cultus als
eine dringende Nothwendigkeit an. Die jetzt herrſchende Symbolſchen
betrachte ich als die Frucht der Unwiſſenheit, Oberflächlichkeit und dün-
kelhaften Abſprecherei.“

Unter den mancherlei Reiſen die de Wette faſt alljährlich unter-
nahm, nimmt ein längerer Aufenthalt in Italien und Rom im Winter
1845 bis 46 die bedeutendſte Stelle ein. In theologiſcher Beziehung äu-
ßerte dieſe Reiſe einen ähnlichen Einfluß auf ihn wie ſeiner Zeit der
Aufenthalt zu Rom auf Luther. Er fühlte ſich abgeſtoßen von dem For-
malismus und dem Ceremonienweſen der römiſch-katholiſchen Kirche,
das er nun an der Quelle in der Hauptſtadt der katholiſchen Chriſtenheit
zu betrachten Gelegenheit hatte. De Wette war dem innerſten Kern nach
Proteſtant, und ſeine proteſtantiſchen Sympathien hat er niemals ver-
läugnet. Er pflegte die katholiſche Kirche in ſeinen Vorleſungen wohl
mit einer Ruine zu vergleichen die aus dem Mittelalter in die Gegen-
wart hineinragt, und deren Gemäuer zwar äußerlich noch Beſtand hat,
die aber im Innern zerfallen und unwohnlich iſt. Wenn aber Rom als
Sitz des Katholicismus ihn nicht beſonders feſſelte, ſo hat ihn dagegen
die Stadt als Sitz der Kunſt mächtig angezogen. Wie ſein Gemüth für
alles Edle und Schöne offen war, ſo hatte es ſich auch der Kunſt er-
ſchloſſen, und unter allen Künſten ſcheint die Muſik diejenige geweſen zu
ſeyn die ihn am tiefſten berührte. Aber auch die Malerei und die Bau-
kunft zog er in den Kreis ſeines Nachdenkens. In Folge ſeines Aufent-
halts zu Rom entſtand daher die kleine Schrift: „Gedanken über Malerei
und Baukunſt, beſonders in kirchlicher Beziehung.“ De Wette ſuchte
dieſen Künſten eine höhere Betrachtung abzugewinnen, und namentlich
zu ermitteln inwiefern ſie auch zur Erhöhung des proteſtantiſchen Cultus
beitragen könnten. Denn er war der Anſicht daß dieſer zu kahl und nackt
ſey, und daß eine Umbildung desſelben in den gehörigen Schranken dem
kirchlichen Leben neuen Anſtoß geben könnte. Eigenthümlich iſt auch die
Anſicht die de Wette von der Dichtkunſt hatte. Poeſte und Religion hielt
er für verſchwiſtert, und er meinte daß es die höchſte Aufgabe der Poeſie
ſey ganz von dem Geiſt des Chriſtenthums durchdrungen zu werden.

Der Abend von de Wette’s Tagen wurde durch zwei Lichtpunkte er-
hellt, welche ein freundliches Licht auf ſeine lange theologiſche Laufbahn
warfen. Am 31 Mai 1847 feierten nämlich ſeine Freunde und Verehrer
das Andenken an die Zeit an welcher er vor 25 Jahren nach Baſel ge-
kommen war. Die Univerſttät ließ ihn durch eine beſondere Deputation
feierlich begrüßen und ihm ein Ehrendiplom überreichen, in welchem ſeine
Verdienſte kurz und bündig erwähnt werden, und das in deutſcher Ueber-
ſetzung alſo lautet: „Heil, Segen und Glück! Den ſehr berühmten, durch
Rechtſchaffenheit und Aufrichtigkeit nicht weniger als durch Gelehrſam-
keit und Wiſſenſchaft ausgezeichneten Mann, Wilhelm Martin Lebe-
recht de Wette,
Doctor der Theologie, Lehrer der deutſchen und ſchwei-
zeriſchen Jugend, der die Lehre der ganzen Theologie in ſeinem Studium
umfaſſend mehrere Zweige derſelben mit ſo genauer Sorgfalt und ſolchem
Fleiß bearbeitete, und durch ſeine Schriften ſo viel Licht auf dieſelben
warf daß er ſowohl dem Urtheil der Gelehrten Genüge leiftete als auch
die Bedürfniſſe der Jugend ſich angelegen ſeyn ließ; und der, einzig auf
die Erforſchung der Wahrheit gerichtet und verkehrter Beſtrebung fremd,
den höchſten Ruhm des Lebens in die Eröffnung der Quellen der chriſt-
lichen Religion ſetzte; was er für wahr erkannte, mit den klarſten Be-
weiſen beflätigte und beleuchtete; der dieſes Studium in Jena begann,
dann nach Heidelberg übertrug, hierauf zu den berühmteſten deutſchen

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[0009] Dienſtag. Beilage zu Nr. 36 der Allg. Zeitung. 5 Februar 1850. Ueberſicht. Wilhelm Martin Leberecht De Wette. (Beſchluß.) — G. Schadow. — Der nordöſterreichiſche Handelsſtaat. — Wien. (Die deutſche Han- delseinigung. Das Gendarmeriegeſetz. Das Petitionsrecht und die Slaven.) — Das Schützenweſen in Tirol. — Das ſpaniſche Amerika. — Layard. Wilhelm Martin Leberecht de Wette. (Schluß.) Das Jahr 1839 brachte in der Schweiz in Folge der Berufung des Dr. Dav. Fried. Strauß an die Züricher Hochſchule eine große kirchliche Bewegung hervor. De Wette war zwar nichts weniger als gleichgültiger Zuſchauer bei derſelben, hielt ſich aber doch nicht für berufen dabei ir- gendeinen thätigen Antheil zu nehmen. Doch bevorwortete er eine damals erſchienene kleine Schrift, die man allgemein einem berühmten Göttinger Theologen zuſchrieb, und die den Titel führte: „Dr. Strauß und die Züricher Kirche. Eine Stimme aus Norddeutſchland.“ Als ein Theologe, der die Freiheit der Forſchung ungeſchmälert wiſſen wollte, ſuchte de Wette in dem Vorwort zu dieſer Schrift die Wiſſenſchaft, die in der ſo lärmenden Abweiſung der Straußiſchen Kritik vom theologiſchen Lehr- ſtuhl einen Widerſpruch von Seiten des kirchlichen Volkes und ſeiner Führer erfahren habe, wodurch leicht ein Verdacht auf ſie ſelbſt geworfen werden könnte, in Schutz zu nehmen. „Beſonders iſt zu wünſchen, ſagte er, daß das junge theologiſche Geſchlecht, aus welchem die künftigen Führer der Gemeinde und die Pfleger der theologiſchen Wiſſenſchaft her- vorgehen, vor leidenſchaftlicher Parteinahme bewahrt bleibe, und nicht die Beute einer Reaction werde, welche uns um die Frucht langwieriger, ernſter und gründlicher Studien zu bringen droht. Die ſchlimmſten Feinde der Wiſſenſchaft, die der Kirche nicht fremd bleiben darf, deren Ergebniſſe nach und nach ins Volk eingeführt werden ſollen, ſind ihre unfähigen, faulen oder verſtockten Jünger, die ſich den ächten Geiſt der- ſelben nicht aneignen können oder wollen, und die, wenn ſie ins prakti- ſche Leben treten, ſich auf die Seite der Unwiſſenſchaftlichkeit ſchlagen und in der Gemeinde den Verdacht gegen die Wiſſenſchaft ausſtreuen und unterhalten. Die wahre Vermittlung zwiſchen ihr und der Kirche ſollte durch die Geiſtlichen geſchehen, welche der Natur der Sache nach mitten inne ſtehen, und die das in der Schule ausgebeutete reine Gold in um- laufende Münze ausprägen ſollten.“ Ebenſowenig wie 1839 nahm de Wette 1847 bei der Berufung des Dr. Zeller nach Bern, wodurch in dieſem Kanton nicht geringe Aufregung hervorgebracht wurde, thätigen Antheil an dem Kampfe der Parteien. Sonderbarerweiſe ſtellte man ihn damals mit Uſteri und Lutz neben Zeller, und ſagte daß auch bei ſeiner Anſtellung zu Baſel auf gleiche Weiſe, wie jetzt in Bern, Neligionsgefahr gepredigt worden ſey. Hier- auf entgegnete aber eine damals erſchienene Streitſchrift ſehr richtig: „Es iſt zwiſchen dieſen drei Männern und Dr. Zeller ein himmelweiter Unterſchied. Jene hatten von den Grundwahrheiten der Religion nie abgeſehen wie Dr. Zeller; ihre Rechtgläubigkeit wurde nur in unterge- ordneten Fragen bezweifelt; ſie hatten nie Lehrſätze ausgeſprochen die in der praktiſchen Verwirklichung dem religiös-ſittlichen Leben gefährlich werden können; ihre anfänglichen Abweichungen von der ſtrengkirchlichen Auffaſſung des Chriſtenthums bezogen ſich eben nur auf minder weſent- liche Punkte. Noch wirkt de Wette in Baſel, von den Anhängern der verſchiedenſten religiöſen Anſichten hochgeachtet, als einer der größten le- benden Gottesgelehrten; wie er in Folge ſeines Forſchens und ſeiner Lebenserfahrungen mehr und mehr einer pofitiv-bibliſchen Anſicht des Chriſtenthums ſich zuwandte, ſo waren auch bei Lutz allmählich ſeine frühern, mehr freieren theologiſchen Meinungen in eine viel poſitivere, dem Kirchenglauben ſich anſchließendere Faſſung des Chriſtenthums auf- gegangen, ohne daß einer von ihnen das freie Forſchen aufgegeben hätte. Säulen der Kirche wurden ſie beide.“ Wenn auch nicht in dieſen beiden Fällen, die für das kirchliche Leben der Schweiz große Bedeutung hatten, ſo gab doch de Wette in einem andern ähnlichen Fall, der Deutſchland betraf, ſein gewichtiges theolo- giſches Votum ab — ein neuer Beweis wie ſehr er immer ſeinem innerſten Weſen nach ſeinem urſprünglichen Vaterlande angehörte und an allen Schickſalen desſelben bis auf die jüngſten Ereigniſſe Antheil nahm. In Deutſchland hatten ſich nämlich, bevor die politiſche Bewegung von 1848 ausbrach, allerhand religiöſe Secten gebildet, deren Haupttendenz, wie es nachher offen eingeſtanden wurde, eine politiſche war, die aber dadurch daß ſie ſich über alle biſtoriſch-objective Wahrheit des Chriſtenthums wegſetzten und ſich namentlich von den Symbolen, dieſen hiſtoriſchen Ur- kunden der proteſtantiſchen Kirche, losſagten, einem freiſinnigeren Chri- ſtenthum anzugehören heuchelten. Es handelte ſich in dieſer Beziehung um die ſpecielle Frage: ob Dr. Rupp von Königsberg, der ſich von dem evangeliſch-kirchlichen Bekenntniß öffentlich losgeſagt hatte, aus dem deutſchen Guſtav-Adolf-Verein auszuſchließen ſey oder nicht. De Wette ſtand nicht an mit den bedeutendſten Theologen Deutſchlands in einer beſondern kleinen Schrift ſich für die Ausſchließung auszuſprechen. Er durchſchaute mit ſcharfem Blick das Weſen jener Leute, und konnte ihnen ſo wenig beiſtimmen als er dem oberflächlichen Liberalismus des Tages huldigte. „Für die Freiheit des Geiſtes (ſchrieb er damals) habe ich nach Kräften gewirkt, und mein letzter Hauch wird ihr gewidmet ſeyn; aber ich kann bei den Freiheitsmännern des Tages nicht die rechte Freiheit, und bei den Lichtfreunden nicht das rechte Licht finden. Ich halte an der hiſtoriſchen objectiven Wahrheit des Chriſtenthums feſt und ſehe die Geltendmachung und Befeſtigung auch einer kirchlichen Objectivität ſo- wohl in der Lehre als in der Verfaſſung, im Regiment und Cultus als eine dringende Nothwendigkeit an. Die jetzt herrſchende Symbolſchen betrachte ich als die Frucht der Unwiſſenheit, Oberflächlichkeit und dün- kelhaften Abſprecherei.“ Unter den mancherlei Reiſen die de Wette faſt alljährlich unter- nahm, nimmt ein längerer Aufenthalt in Italien und Rom im Winter 1845 bis 46 die bedeutendſte Stelle ein. In theologiſcher Beziehung äu- ßerte dieſe Reiſe einen ähnlichen Einfluß auf ihn wie ſeiner Zeit der Aufenthalt zu Rom auf Luther. Er fühlte ſich abgeſtoßen von dem For- malismus und dem Ceremonienweſen der römiſch-katholiſchen Kirche, das er nun an der Quelle in der Hauptſtadt der katholiſchen Chriſtenheit zu betrachten Gelegenheit hatte. De Wette war dem innerſten Kern nach Proteſtant, und ſeine proteſtantiſchen Sympathien hat er niemals ver- läugnet. Er pflegte die katholiſche Kirche in ſeinen Vorleſungen wohl mit einer Ruine zu vergleichen die aus dem Mittelalter in die Gegen- wart hineinragt, und deren Gemäuer zwar äußerlich noch Beſtand hat, die aber im Innern zerfallen und unwohnlich iſt. Wenn aber Rom als Sitz des Katholicismus ihn nicht beſonders feſſelte, ſo hat ihn dagegen die Stadt als Sitz der Kunſt mächtig angezogen. Wie ſein Gemüth für alles Edle und Schöne offen war, ſo hatte es ſich auch der Kunſt er- ſchloſſen, und unter allen Künſten ſcheint die Muſik diejenige geweſen zu ſeyn die ihn am tiefſten berührte. Aber auch die Malerei und die Bau- kunft zog er in den Kreis ſeines Nachdenkens. In Folge ſeines Aufent- halts zu Rom entſtand daher die kleine Schrift: „Gedanken über Malerei und Baukunſt, beſonders in kirchlicher Beziehung.“ De Wette ſuchte dieſen Künſten eine höhere Betrachtung abzugewinnen, und namentlich zu ermitteln inwiefern ſie auch zur Erhöhung des proteſtantiſchen Cultus beitragen könnten. Denn er war der Anſicht daß dieſer zu kahl und nackt ſey, und daß eine Umbildung desſelben in den gehörigen Schranken dem kirchlichen Leben neuen Anſtoß geben könnte. Eigenthümlich iſt auch die Anſicht die de Wette von der Dichtkunſt hatte. Poeſte und Religion hielt er für verſchwiſtert, und er meinte daß es die höchſte Aufgabe der Poeſie ſey ganz von dem Geiſt des Chriſtenthums durchdrungen zu werden. Der Abend von de Wette’s Tagen wurde durch zwei Lichtpunkte er- hellt, welche ein freundliches Licht auf ſeine lange theologiſche Laufbahn warfen. Am 31 Mai 1847 feierten nämlich ſeine Freunde und Verehrer das Andenken an die Zeit an welcher er vor 25 Jahren nach Baſel ge- kommen war. Die Univerſttät ließ ihn durch eine beſondere Deputation feierlich begrüßen und ihm ein Ehrendiplom überreichen, in welchem ſeine Verdienſte kurz und bündig erwähnt werden, und das in deutſcher Ueber- ſetzung alſo lautet: „Heil, Segen und Glück! Den ſehr berühmten, durch Rechtſchaffenheit und Aufrichtigkeit nicht weniger als durch Gelehrſam- keit und Wiſſenſchaft ausgezeichneten Mann, Wilhelm Martin Lebe- recht de Wette, Doctor der Theologie, Lehrer der deutſchen und ſchwei- zeriſchen Jugend, der die Lehre der ganzen Theologie in ſeinem Studium umfaſſend mehrere Zweige derſelben mit ſo genauer Sorgfalt und ſolchem Fleiß bearbeitete, und durch ſeine Schriften ſo viel Licht auf dieſelben warf daß er ſowohl dem Urtheil der Gelehrten Genüge leiftete als auch die Bedürfniſſe der Jugend ſich angelegen ſeyn ließ; und der, einzig auf die Erforſchung der Wahrheit gerichtet und verkehrter Beſtrebung fremd, den höchſten Ruhm des Lebens in die Eröffnung der Quellen der chriſt- lichen Religion ſetzte; was er für wahr erkannte, mit den klarſten Be- weiſen beflätigte und beleuchtete; der dieſes Studium in Jena begann, dann nach Heidelberg übertrug, hierauf zu den berühmteſten deutſchen

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 36, 5. Februar 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine36_1850/9>, abgerufen am 23.11.2024.