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Allgemeine Zeitung, Nr. 40, 3. Oktober 1914.

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Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] Oriente, die Hauptquelle seit dreißig Jahren aller europäischen
Beunruhigung dauernd zu vernichten.

Aber da hier politische Interessenfragen vorliegen, die jeder
friedlichen, schiedlichen Lösung spotten, darum muß auch der uns
und Oesterreich aufgedrungene Kampf bis zur Niederwerfung
unserer Gegner durchgeführt werden. Sonst wird in wenigen Jah-
ren der Kampf von Neuem entbrennen, und zwar unter schwereren
Verhältnissen als heute, da dann England wahrscheinlich die allge-
meine Wehrpflicht bei sich eingeführt haben wird. Europa wird nur
Ruhe bekommen, wenn dem Drange Rußlands nach dem Besitz der
Dardanellen definitiv ein Riegel vorgeschoben ist, wenn Frankreich bis
zur Vernichtung geschwächt ist, wenn England keine Aussicht mehr
hat, die aufftrebende Seeentwicklung Deutschlands noch weiter zu
hindern.

Jetzt oder nie! heißt es für Deutschland und Oesterreich, wenn
sie sich aus einer unmöglichen Lage befreien wollen.



Deutscher Kampf gegen welsche Lüge.

In einem bedeutsamen Aufsatz (Der Kampf gegen die Lüge,
Dienstag, 22. Sept. 1914 Nr. 486) wurde kürzlich in den Münchener
Neuesten Nachrichten auf den schwächsten Punkt in unserer Rüstung,
das Verhältnis zum neutralen Ausland, hingewiesen. Die politisch-
diplomatischen Fragen würden dabei kaum gestreift und sollen auch
hier ausgeschaltet bleiben. Doch sei an die Fanfaren des Dreibund-
Artikels erinnert, die der römische Spectator Germanicus schon im
Jahre 1912 zu den Süddeutschen Monatsheften beigesteuert hat.

Es handelt sich nicht um Versäumnisse von heute und gestern:
das neue Deutschland hat es nicht verstanden, im Süden und Osten
die Sympathien zu gewinnen, die vor allem Frankreich immer wie-
der entgegengebracht werden. Soweit der Gegensatz zwischen deut-
schem und romanisch-levantinischen Wesen im Spiel ist, wird sich die
Lage in absehbarer Zeit nicht ändern. Das Franzosentum der Repu-
blik zehrt immer noch von dem gewaltigen Vorrecht, das das Fran-
zosentum des ancien regime und des Kaiserreichs gewonnen hat.
In Mailand, Florenz, Rom, Smyrna, Athen, Alexandrien, Kairo
spricht Französisch jeder Gebildete, deutsch nur der Gelehrte.
Die elegante Italienerin schaut genau so nach Paris wie die Dame
der haute finance in Alexandrien und Smyrna oder die "moderne"
Athenerin (bislang leider auch die deutschen Durchschnittsfrauen der
"höheren" Stände). Französische Zeitungen, französische Romane
und Dichtungen, selbst Werke wie die Bergsons oder Pierre Lotis
finden da überall ihren Weg -- wie viel deutsche Lektüre mag auf
hundert Seiten französischer kommen? Kaum eine Zeile. Diese alten
kulturellen Eroberungen Frankreichs sind eine ganz gewaltige Macht.
Wie alle Provinzen des Römerreichs das römische Recht und der
römische Geschmack vereinte, so hält noch heute der im Franzosentum
gipfelnde romanische Geist die europäische Welt, mit Ausnahme
Deutschlands und Skandinaviens, in seinem Banne. Man kann
sagen: die levantinische Talmikultur ist heute romanischer als vor
hundert Jahren, romanischer als zur Zeit des römischen Kaiserreichs,
wo Griechenland seine geistige Selbständigkeit behauptete. Wer den
Osten kennt, weiß, daß Englands Herrschaft in Aegypten daran nichts
geändert hat.

Je schwieriger hier also die Lage des Deutschtums ist, desto kraft-
voller sollte für seine Geltung in der Gesellschaft und in der öffent-
lichen Meinung gearbeitet werden. Hier hat es gerade das neue
Reich, im Gefühl stolzer Selbstsicherheit und überlegener Kraft, viel-
fach fehlen lassen. -- Darüber sind sich wohl die unbefangenen Be-
obachter einig, die bislang Prediger in der Wüste waren. Wer
auf einige Jahrzehnte zurückblicken kann, wird den Eindruck haben,
daß es vielfach mehr zurückgegangen ist als vorwärts. In der römi-
schen Gesellschaft der siebenziger und achtziger Jahre spielte der deut-
sche Gelehrte und Künstler, vor allem das archäologische Institut
als einer der gesellschaftlichen Mittelpunkte, eine ganz andere Rolle
als jetzt. In Florenz halten noch heute Männer, wie A. von Hilde-
brand und R. Davidsohn, die alte Ueberlieferung aufrecht: schaut man
in den Spiegel, den Bülows Briefe, Karl Hildebrands Schriften oder
die Florentinischen Erinnerungen von Isolde Kurz darbieten, wird
man aber den Eindruck gewinnen, daß sich auch hier die Verhältnisse
nicht gerade zu unseren Gunsten verschoben haben. Unser archäolo-
gisches Institut in Athen mit seiner trefflichen Bibliothek ist für die
[Spaltenumbruch] wackere Gelehrtenarbeit, die das neue Hellas verrichtet, ein Haupt-
stützpunkt und immer wieder finden die begabtesten Geister dieses
aufsteigenden Volkes den Weg nach Deutschland, vor allem nach
München und Berlin: in der Gesellschaft von Athen gewinnt
die französische und neuerdings auch die englische "Schule" uns mehr
und mehr den Vorrang ab, trotz der energischen und gewinnenden
Persönlichkeiten, denen die Leitung unserer Anstalt dort anvertraut
war und ist. Wie ein Einzelner moralische Eroberungen für Deutsch-
land fördern kann, dafür ist ein glänzendes Beispiel der Berliner
Archäologe und Epigraphiker Freiherr Hiller von Gärtringen. Bei
den Ausgrabungen auf Santorin (Thera) hat er soviel für das Ge-
meinwohl der Insel getan (vor allem durch Wegebauten, z. T. aus
eigenen Mitteln) und sich zugleich so trefflich in Sprache und Landes-
art einzuleben verstanden, daß er einer der beliebtesten und bekann-
testen Männer auf der ganzen Inselgruppe geworden ist. Das wissen
Hillers Reisegenossen und oft genug haben es die Zeitungen bezeugt,
die auch auf diesem einsamen phantastischen Eiland eine gewaltige
Rolle spielen. Aehnliches kann man von der Tätigkeit Dörpfelds,
G. Karos und Th. Wiegands sagen. Die Ausgrabungen in Ithaka
und der Troas in Didyma und Milet haben nicht nur der archäolo-
gischen Forschung Förderung gebracht.

Das wird nun die Hauptaufgabe bleiben: die zahlreichen persön-
lichen Beziehungen auszunützen, die deutsche Gelehrte, Künstler,
Kaufleute, Gewerbetreibende mit Italien, Griechenland, Rumänien
verbinden, etwa im Sinn jener deutsch-griechischen Gesellschaft, die
sich die Vermittlung zwischen Deutschland und der griechischen Le-
vante zur Aufgabe gemacht hatte. (Gegründet wurde sie kurz vor
der Mobilmachung und wenn der Krieg auch für den Augenblick
ihre Tätigkeit lahmgelegt hat, so hat er ihre Daseins-Berechtigung,
ja -Notwendigkeit doch erst recht bewiesen.) Diese persönlichen Be-
ziehungen sind so zahlreich und so stark, daß sie bei geschicktem und
tatkräftigem Vorgehen der Beteiligten schließlich auch die "öffentliche
Meinung" und ihre Dienerin und Herrin, die Presse, wenigstens
zum Teil erobern werden.

Seit dem Beginn des Krieges hat Deutschland eine "schlechte
Presse" im neutralen Ausland. Hier rächen sich zweifellos alte Sün-
den. Man erzählt seltsame Dinge von der kavaliermäßigen Art, mit
der unsere diplomatische Vertretung, z. B. in Rom, die Leiter der
siebenten Großmacht behandelt habe, während die führende Entente-
macht sie mit Ehren und Gold überschüttete. Doch dergleichen läßt
sich nicht kontrollieren, und wir wollen nicht zurückschauen, sondern
vorwärts. Da kann festgestellt werden (was dem Verfasser des
Artikels "Kampf gegen die Lüge" unbekannt zu sein scheint), daß die
leitenden Kreise das Gewicht dieser Imponderabilien jetzt ganz rich-
tig einschätzen und daß sie auch hier am Werke sind. Das deutsche
Institut in Athen, dessen Leiter (Dr. Karo) auf seinem Posten aus-
harrt, weiß, daß es ein deutsches Institut ist und wird seine
Pflicht tun. Vor allem aber ist es das Nachrichtenbureau im Reichs-
marineamt (Dr. Paul Rohrbach), auf das wir hoffen dürfen. Eine
jedem zugängliche Zentralstelle hat sich schon in Berlin gebildet: es
ist der deutsche Werkbund (Berlin W, Schönebergerufer 36a), der
für die planmäßige Versendung von Zeitungen an vertrauenswür-
dige Privatmänner im neutralen Ausland, wie an wissenschaftliche
und wirtschaftliche Instituten Sorge tragen will. In München arbei-
tet das Kriegs-Pressebureau des Dr. Fred B. Hardt (bislang Lud-
wigstraße 4/I) an der Orientierung Italiens, während der Ausschuß
der genannten deutsch-griechischen Gesellschaft, dem der Unterzeichnete
(Widenmayerstr. 10/III) angehört, für die Levante tätig ist.

Die Menge von Druckerschwärze und Papier, die auf diese Ver-
mittlungsstellen täglich hereindrängt, ist fast erdrückend. Aber leider
muß es gesagt werden: bei scharfer Prüfung, vor einem Blicke, der
vom andern Ufer her die Dinge zu sehen sucht, hält nur ganz Weni-
ges stand. Das meiste ist zwischen den deutschen vier Wänden ge-
dacht und gesprochen und hätte selbst da nicht so gedacht und ge-
sprochen werden sollen.

Die vaterländische Rede über den wahren Krieg von Wilhelm
Wundt in Leipzig nimmt man mit dem Gedanken zur Hand: Das ist
etwas für die Intellektuellen im Ausland. Man hat seine Freude
daran, wie zunächst ein Fichtescher Gedanke in die handfestere
Sprache von heute übersetzt wird. Man läßt sich tragen von dem
jugendlichen Schwung und der mannhaften Zuversicht des greisen
Philosophen. Aber der Schluß. Wundt stellt bereits die neue Land-
karte fest. Mit einem Bedauern: Unmöglich! legt man die Schrift
zur Seite.

Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] Oriente, die Hauptquelle ſeit dreißig Jahren aller europäiſchen
Beunruhigung dauernd zu vernichten.

Aber da hier politiſche Intereſſenfragen vorliegen, die jeder
friedlichen, ſchiedlichen Löſung ſpotten, darum muß auch der uns
und Oeſterreich aufgedrungene Kampf bis zur Niederwerfung
unſerer Gegner durchgeführt werden. Sonſt wird in wenigen Jah-
ren der Kampf von Neuem entbrennen, und zwar unter ſchwereren
Verhältniſſen als heute, da dann England wahrſcheinlich die allge-
meine Wehrpflicht bei ſich eingeführt haben wird. Europa wird nur
Ruhe bekommen, wenn dem Drange Rußlands nach dem Beſitz der
Dardanellen definitiv ein Riegel vorgeſchoben iſt, wenn Frankreich bis
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hat, die aufftrebende Seeentwicklung Deutſchlands noch weiter zu
hindern.

Jetzt oder nie! heißt es für Deutſchland und Oeſterreich, wenn
ſie ſich aus einer unmöglichen Lage befreien wollen.



Deutſcher Kampf gegen welſche Lüge.

In einem bedeutſamen Aufſatz (Der Kampf gegen die Lüge,
Dienstag, 22. Sept. 1914 Nr. 486) wurde kürzlich in den Münchener
Neueſten Nachrichten auf den ſchwächſten Punkt in unſerer Rüſtung,
das Verhältnis zum neutralen Ausland, hingewieſen. Die politiſch-
diplomatiſchen Fragen würden dabei kaum geſtreift und ſollen auch
hier ausgeſchaltet bleiben. Doch ſei an die Fanfaren des Dreibund-
Artikels erinnert, die der römiſche Spectator Germanicus ſchon im
Jahre 1912 zu den Süddeutſchen Monatsheften beigeſteuert hat.

Es handelt ſich nicht um Verſäumniſſe von heute und geſtern:
das neue Deutſchland hat es nicht verſtanden, im Süden und Oſten
die Sympathien zu gewinnen, die vor allem Frankreich immer wie-
der entgegengebracht werden. Soweit der Gegenſatz zwiſchen deut-
ſchem und romaniſch-levantiniſchen Weſen im Spiel iſt, wird ſich die
Lage in abſehbarer Zeit nicht ändern. Das Franzoſentum der Repu-
blik zehrt immer noch von dem gewaltigen Vorrecht, das das Fran-
zoſentum des ancien régime und des Kaiſerreichs gewonnen hat.
In Mailand, Florenz, Rom, Smyrna, Athen, Alexandrien, Kairo
ſpricht Franzöſiſch jeder Gebildete, deutſch nur der Gelehrte.
Die elegante Italienerin ſchaut genau ſo nach Paris wie die Dame
der haute finance in Alexandrien und Smyrna oder die „moderne“
Athenerin (bislang leider auch die deutſchen Durchſchnittsfrauen der
„höheren“ Stände). Franzöſiſche Zeitungen, franzöſiſche Romane
und Dichtungen, ſelbſt Werke wie die Bergſons oder Pierre Lotis
finden da überall ihren Weg — wie viel deutſche Lektüre mag auf
hundert Seiten franzöſiſcher kommen? Kaum eine Zeile. Dieſe alten
kulturellen Eroberungen Frankreichs ſind eine ganz gewaltige Macht.
Wie alle Provinzen des Römerreichs das römiſche Recht und der
römiſche Geſchmack vereinte, ſo hält noch heute der im Franzoſentum
gipfelnde romaniſche Geiſt die europäiſche Welt, mit Ausnahme
Deutſchlands und Skandinaviens, in ſeinem Banne. Man kann
ſagen: die levantiniſche Talmikultur iſt heute romaniſcher als vor
hundert Jahren, romaniſcher als zur Zeit des römiſchen Kaiſerreichs,
wo Griechenland ſeine geiſtige Selbſtändigkeit behauptete. Wer den
Oſten kennt, weiß, daß Englands Herrſchaft in Aegypten daran nichts
geändert hat.

Je ſchwieriger hier alſo die Lage des Deutſchtums iſt, deſto kraft-
voller ſollte für ſeine Geltung in der Geſellſchaft und in der öffent-
lichen Meinung gearbeitet werden. Hier hat es gerade das neue
Reich, im Gefühl ſtolzer Selbſtſicherheit und überlegener Kraft, viel-
fach fehlen laſſen. — Darüber ſind ſich wohl die unbefangenen Be-
obachter einig, die bislang Prediger in der Wüſte waren. Wer
auf einige Jahrzehnte zurückblicken kann, wird den Eindruck haben,
daß es vielfach mehr zurückgegangen iſt als vorwärts. In der römi-
ſchen Geſellſchaft der ſiebenziger und achtziger Jahre ſpielte der deut-
ſche Gelehrte und Künſtler, vor allem das archäologiſche Inſtitut
als einer der geſellſchaftlichen Mittelpunkte, eine ganz andere Rolle
als jetzt. In Florenz halten noch heute Männer, wie A. von Hilde-
brand und R. Davidſohn, die alte Ueberlieferung aufrecht: ſchaut man
in den Spiegel, den Bülows Briefe, Karl Hildebrands Schriften oder
die Florentiniſchen Erinnerungen von Iſolde Kurz darbieten, wird
man aber den Eindruck gewinnen, daß ſich auch hier die Verhältniſſe
nicht gerade zu unſeren Gunſten verſchoben haben. Unſer archäolo-
giſches Inſtitut in Athen mit ſeiner trefflichen Bibliothek iſt für die
[Spaltenumbruch] wackere Gelehrtenarbeit, die das neue Hellas verrichtet, ein Haupt-
ſtützpunkt und immer wieder finden die begabteſten Geiſter dieſes
aufſteigenden Volkes den Weg nach Deutſchland, vor allem nach
München und Berlin: in der Geſellſchaft von Athen gewinnt
die franzöſiſche und neuerdings auch die engliſche „Schule“ uns mehr
und mehr den Vorrang ab, trotz der energiſchen und gewinnenden
Perſönlichkeiten, denen die Leitung unſerer Anſtalt dort anvertraut
war und iſt. Wie ein Einzelner moraliſche Eroberungen für Deutſch-
land fördern kann, dafür iſt ein glänzendes Beiſpiel der Berliner
Archäologe und Epigraphiker Freiherr Hiller von Gärtringen. Bei
den Ausgrabungen auf Santorin (Thera) hat er ſoviel für das Ge-
meinwohl der Inſel getan (vor allem durch Wegebauten, z. T. aus
eigenen Mitteln) und ſich zugleich ſo trefflich in Sprache und Landes-
art einzuleben verſtanden, daß er einer der beliebteſten und bekann-
teſten Männer auf der ganzen Inſelgruppe geworden iſt. Das wiſſen
Hillers Reiſegenoſſen und oft genug haben es die Zeitungen bezeugt,
die auch auf dieſem einſamen phantaſtiſchen Eiland eine gewaltige
Rolle ſpielen. Aehnliches kann man von der Tätigkeit Dörpfelds,
G. Karos und Th. Wiegands ſagen. Die Ausgrabungen in Ithaka
und der Troas in Didyma und Milet haben nicht nur der archäolo-
giſchen Forſchung Förderung gebracht.

Das wird nun die Hauptaufgabe bleiben: die zahlreichen perſön-
lichen Beziehungen auszunützen, die deutſche Gelehrte, Künſtler,
Kaufleute, Gewerbetreibende mit Italien, Griechenland, Rumänien
verbinden, etwa im Sinn jener deutſch-griechiſchen Geſellſchaft, die
ſich die Vermittlung zwiſchen Deutſchland und der griechiſchen Le-
vante zur Aufgabe gemacht hatte. (Gegründet wurde ſie kurz vor
der Mobilmachung und wenn der Krieg auch für den Augenblick
ihre Tätigkeit lahmgelegt hat, ſo hat er ihre Daſeins-Berechtigung,
ja -Notwendigkeit doch erſt recht bewieſen.) Dieſe perſönlichen Be-
ziehungen ſind ſo zahlreich und ſo ſtark, daß ſie bei geſchicktem und
tatkräftigem Vorgehen der Beteiligten ſchließlich auch die „öffentliche
Meinung“ und ihre Dienerin und Herrin, die Preſſe, wenigſtens
zum Teil erobern werden.

Seit dem Beginn des Krieges hat Deutſchland eine „ſchlechte
Preſſe“ im neutralen Ausland. Hier rächen ſich zweifellos alte Sün-
den. Man erzählt ſeltſame Dinge von der kavaliermäßigen Art, mit
der unſere diplomatiſche Vertretung, z. B. in Rom, die Leiter der
ſiebenten Großmacht behandelt habe, während die führende Entente-
macht ſie mit Ehren und Gold überſchüttete. Doch dergleichen läßt
ſich nicht kontrollieren, und wir wollen nicht zurückſchauen, ſondern
vorwärts. Da kann feſtgeſtellt werden (was dem Verfaſſer des
Artikels „Kampf gegen die Lüge“ unbekannt zu ſein ſcheint), daß die
leitenden Kreiſe das Gewicht dieſer Imponderabilien jetzt ganz rich-
tig einſchätzen und daß ſie auch hier am Werke ſind. Das deutſche
Inſtitut in Athen, deſſen Leiter (Dr. Karo) auf ſeinem Poſten aus-
harrt, weiß, daß es ein deutſches Inſtitut iſt und wird ſeine
Pflicht tun. Vor allem aber iſt es das Nachrichtenbureau im Reichs-
marineamt (Dr. Paul Rohrbach), auf das wir hoffen dürfen. Eine
jedem zugängliche Zentralſtelle hat ſich ſchon in Berlin gebildet: es
iſt der deutſche Werkbund (Berlin W, Schönebergerufer 36a), der
für die planmäßige Verſendung von Zeitungen an vertrauenswür-
dige Privatmänner im neutralen Ausland, wie an wiſſenſchaftliche
und wirtſchaftliche Inſtituten Sorge tragen will. In München arbei-
tet das Kriegs-Preſſebureau des Dr. Fred B. Hardt (bislang Lud-
wigſtraße 4/I) an der Orientierung Italiens, während der Ausſchuß
der genannten deutſch-griechiſchen Geſellſchaft, dem der Unterzeichnete
(Widenmayerſtr. 10/III) angehört, für die Levante tätig iſt.

Die Menge von Druckerſchwärze und Papier, die auf dieſe Ver-
mittlungsſtellen täglich hereindrängt, iſt faſt erdrückend. Aber leider
muß es geſagt werden: bei ſcharfer Prüfung, vor einem Blicke, der
vom andern Ufer her die Dinge zu ſehen ſucht, hält nur ganz Weni-
ges ſtand. Das meiſte iſt zwiſchen den deutſchen vier Wänden ge-
dacht und geſprochen und hätte ſelbſt da nicht ſo gedacht und ge-
ſprochen werden ſollen.

Die vaterländiſche Rede über den wahren Krieg von Wilhelm
Wundt in Leipzig nimmt man mit dem Gedanken zur Hand: Das iſt
etwas für die Intellektuellen im Ausland. Man hat ſeine Freude
daran, wie zunächſt ein Fichteſcher Gedanke in die handfeſtere
Sprache von heute überſetzt wird. Man läßt ſich tragen von dem
jugendlichen Schwung und der mannhaften Zuverſicht des greiſen
Philoſophen. Aber der Schluß. Wundt ſtellt bereits die neue Land-
karte feſt. Mit einem Bedauern: Unmöglich! legt man die Schrift
zur Seite.

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[592/0008] Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914. Oriente, die Hauptquelle ſeit dreißig Jahren aller europäiſchen Beunruhigung dauernd zu vernichten. Aber da hier politiſche Intereſſenfragen vorliegen, die jeder friedlichen, ſchiedlichen Löſung ſpotten, darum muß auch der uns und Oeſterreich aufgedrungene Kampf bis zur Niederwerfung unſerer Gegner durchgeführt werden. Sonſt wird in wenigen Jah- ren der Kampf von Neuem entbrennen, und zwar unter ſchwereren Verhältniſſen als heute, da dann England wahrſcheinlich die allge- meine Wehrpflicht bei ſich eingeführt haben wird. Europa wird nur Ruhe bekommen, wenn dem Drange Rußlands nach dem Beſitz der Dardanellen definitiv ein Riegel vorgeſchoben iſt, wenn Frankreich bis zur Vernichtung geſchwächt iſt, wenn England keine Ausſicht mehr hat, die aufftrebende Seeentwicklung Deutſchlands noch weiter zu hindern. Jetzt oder nie! heißt es für Deutſchland und Oeſterreich, wenn ſie ſich aus einer unmöglichen Lage befreien wollen. Wolfgang Eiſenhart. Deutſcher Kampf gegen welſche Lüge. In einem bedeutſamen Aufſatz (Der Kampf gegen die Lüge, Dienstag, 22. Sept. 1914 Nr. 486) wurde kürzlich in den Münchener Neueſten Nachrichten auf den ſchwächſten Punkt in unſerer Rüſtung, das Verhältnis zum neutralen Ausland, hingewieſen. Die politiſch- diplomatiſchen Fragen würden dabei kaum geſtreift und ſollen auch hier ausgeſchaltet bleiben. Doch ſei an die Fanfaren des Dreibund- Artikels erinnert, die der römiſche Spectator Germanicus ſchon im Jahre 1912 zu den Süddeutſchen Monatsheften beigeſteuert hat. Es handelt ſich nicht um Verſäumniſſe von heute und geſtern: das neue Deutſchland hat es nicht verſtanden, im Süden und Oſten die Sympathien zu gewinnen, die vor allem Frankreich immer wie- der entgegengebracht werden. Soweit der Gegenſatz zwiſchen deut- ſchem und romaniſch-levantiniſchen Weſen im Spiel iſt, wird ſich die Lage in abſehbarer Zeit nicht ändern. Das Franzoſentum der Repu- blik zehrt immer noch von dem gewaltigen Vorrecht, das das Fran- zoſentum des ancien régime und des Kaiſerreichs gewonnen hat. In Mailand, Florenz, Rom, Smyrna, Athen, Alexandrien, Kairo ſpricht Franzöſiſch jeder Gebildete, deutſch nur der Gelehrte. Die elegante Italienerin ſchaut genau ſo nach Paris wie die Dame der haute finance in Alexandrien und Smyrna oder die „moderne“ Athenerin (bislang leider auch die deutſchen Durchſchnittsfrauen der „höheren“ Stände). Franzöſiſche Zeitungen, franzöſiſche Romane und Dichtungen, ſelbſt Werke wie die Bergſons oder Pierre Lotis finden da überall ihren Weg — wie viel deutſche Lektüre mag auf hundert Seiten franzöſiſcher kommen? Kaum eine Zeile. Dieſe alten kulturellen Eroberungen Frankreichs ſind eine ganz gewaltige Macht. Wie alle Provinzen des Römerreichs das römiſche Recht und der römiſche Geſchmack vereinte, ſo hält noch heute der im Franzoſentum gipfelnde romaniſche Geiſt die europäiſche Welt, mit Ausnahme Deutſchlands und Skandinaviens, in ſeinem Banne. Man kann ſagen: die levantiniſche Talmikultur iſt heute romaniſcher als vor hundert Jahren, romaniſcher als zur Zeit des römiſchen Kaiſerreichs, wo Griechenland ſeine geiſtige Selbſtändigkeit behauptete. Wer den Oſten kennt, weiß, daß Englands Herrſchaft in Aegypten daran nichts geändert hat. Je ſchwieriger hier alſo die Lage des Deutſchtums iſt, deſto kraft- voller ſollte für ſeine Geltung in der Geſellſchaft und in der öffent- lichen Meinung gearbeitet werden. Hier hat es gerade das neue Reich, im Gefühl ſtolzer Selbſtſicherheit und überlegener Kraft, viel- fach fehlen laſſen. — Darüber ſind ſich wohl die unbefangenen Be- obachter einig, die bislang Prediger in der Wüſte waren. Wer auf einige Jahrzehnte zurückblicken kann, wird den Eindruck haben, daß es vielfach mehr zurückgegangen iſt als vorwärts. In der römi- ſchen Geſellſchaft der ſiebenziger und achtziger Jahre ſpielte der deut- ſche Gelehrte und Künſtler, vor allem das archäologiſche Inſtitut als einer der geſellſchaftlichen Mittelpunkte, eine ganz andere Rolle als jetzt. In Florenz halten noch heute Männer, wie A. von Hilde- brand und R. Davidſohn, die alte Ueberlieferung aufrecht: ſchaut man in den Spiegel, den Bülows Briefe, Karl Hildebrands Schriften oder die Florentiniſchen Erinnerungen von Iſolde Kurz darbieten, wird man aber den Eindruck gewinnen, daß ſich auch hier die Verhältniſſe nicht gerade zu unſeren Gunſten verſchoben haben. Unſer archäolo- giſches Inſtitut in Athen mit ſeiner trefflichen Bibliothek iſt für die wackere Gelehrtenarbeit, die das neue Hellas verrichtet, ein Haupt- ſtützpunkt und immer wieder finden die begabteſten Geiſter dieſes aufſteigenden Volkes den Weg nach Deutſchland, vor allem nach München und Berlin: in der Geſellſchaft von Athen gewinnt die franzöſiſche und neuerdings auch die engliſche „Schule“ uns mehr und mehr den Vorrang ab, trotz der energiſchen und gewinnenden Perſönlichkeiten, denen die Leitung unſerer Anſtalt dort anvertraut war und iſt. Wie ein Einzelner moraliſche Eroberungen für Deutſch- land fördern kann, dafür iſt ein glänzendes Beiſpiel der Berliner Archäologe und Epigraphiker Freiherr Hiller von Gärtringen. Bei den Ausgrabungen auf Santorin (Thera) hat er ſoviel für das Ge- meinwohl der Inſel getan (vor allem durch Wegebauten, z. T. aus eigenen Mitteln) und ſich zugleich ſo trefflich in Sprache und Landes- art einzuleben verſtanden, daß er einer der beliebteſten und bekann- teſten Männer auf der ganzen Inſelgruppe geworden iſt. Das wiſſen Hillers Reiſegenoſſen und oft genug haben es die Zeitungen bezeugt, die auch auf dieſem einſamen phantaſtiſchen Eiland eine gewaltige Rolle ſpielen. Aehnliches kann man von der Tätigkeit Dörpfelds, G. Karos und Th. Wiegands ſagen. Die Ausgrabungen in Ithaka und der Troas in Didyma und Milet haben nicht nur der archäolo- giſchen Forſchung Förderung gebracht. Das wird nun die Hauptaufgabe bleiben: die zahlreichen perſön- lichen Beziehungen auszunützen, die deutſche Gelehrte, Künſtler, Kaufleute, Gewerbetreibende mit Italien, Griechenland, Rumänien verbinden, etwa im Sinn jener deutſch-griechiſchen Geſellſchaft, die ſich die Vermittlung zwiſchen Deutſchland und der griechiſchen Le- vante zur Aufgabe gemacht hatte. (Gegründet wurde ſie kurz vor der Mobilmachung und wenn der Krieg auch für den Augenblick ihre Tätigkeit lahmgelegt hat, ſo hat er ihre Daſeins-Berechtigung, ja -Notwendigkeit doch erſt recht bewieſen.) Dieſe perſönlichen Be- ziehungen ſind ſo zahlreich und ſo ſtark, daß ſie bei geſchicktem und tatkräftigem Vorgehen der Beteiligten ſchließlich auch die „öffentliche Meinung“ und ihre Dienerin und Herrin, die Preſſe, wenigſtens zum Teil erobern werden. Seit dem Beginn des Krieges hat Deutſchland eine „ſchlechte Preſſe“ im neutralen Ausland. Hier rächen ſich zweifellos alte Sün- den. Man erzählt ſeltſame Dinge von der kavaliermäßigen Art, mit der unſere diplomatiſche Vertretung, z. B. in Rom, die Leiter der ſiebenten Großmacht behandelt habe, während die führende Entente- macht ſie mit Ehren und Gold überſchüttete. Doch dergleichen läßt ſich nicht kontrollieren, und wir wollen nicht zurückſchauen, ſondern vorwärts. Da kann feſtgeſtellt werden (was dem Verfaſſer des Artikels „Kampf gegen die Lüge“ unbekannt zu ſein ſcheint), daß die leitenden Kreiſe das Gewicht dieſer Imponderabilien jetzt ganz rich- tig einſchätzen und daß ſie auch hier am Werke ſind. Das deutſche Inſtitut in Athen, deſſen Leiter (Dr. Karo) auf ſeinem Poſten aus- harrt, weiß, daß es ein deutſches Inſtitut iſt und wird ſeine Pflicht tun. Vor allem aber iſt es das Nachrichtenbureau im Reichs- marineamt (Dr. Paul Rohrbach), auf das wir hoffen dürfen. Eine jedem zugängliche Zentralſtelle hat ſich ſchon in Berlin gebildet: es iſt der deutſche Werkbund (Berlin W, Schönebergerufer 36a), der für die planmäßige Verſendung von Zeitungen an vertrauenswür- dige Privatmänner im neutralen Ausland, wie an wiſſenſchaftliche und wirtſchaftliche Inſtituten Sorge tragen will. In München arbei- tet das Kriegs-Preſſebureau des Dr. Fred B. Hardt (bislang Lud- wigſtraße 4/I) an der Orientierung Italiens, während der Ausſchuß der genannten deutſch-griechiſchen Geſellſchaft, dem der Unterzeichnete (Widenmayerſtr. 10/III) angehört, für die Levante tätig iſt. Die Menge von Druckerſchwärze und Papier, die auf dieſe Ver- mittlungsſtellen täglich hereindrängt, iſt faſt erdrückend. Aber leider muß es geſagt werden: bei ſcharfer Prüfung, vor einem Blicke, der vom andern Ufer her die Dinge zu ſehen ſucht, hält nur ganz Weni- ges ſtand. Das meiſte iſt zwiſchen den deutſchen vier Wänden ge- dacht und geſprochen und hätte ſelbſt da nicht ſo gedacht und ge- ſprochen werden ſollen. Die vaterländiſche Rede über den wahren Krieg von Wilhelm Wundt in Leipzig nimmt man mit dem Gedanken zur Hand: Das iſt etwas für die Intellektuellen im Ausland. Man hat ſeine Freude daran, wie zunächſt ein Fichteſcher Gedanke in die handfeſtere Sprache von heute überſetzt wird. Man läßt ſich tragen von dem jugendlichen Schwung und der mannhaften Zuverſicht des greiſen Philoſophen. Aber der Schluß. Wundt ſtellt bereits die neue Land- karte feſt. Mit einem Bedauern: Unmöglich! legt man die Schrift zur Seite.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 40, 3. Oktober 1914, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine40_1914/8>, abgerufen am 21.11.2024.