Allgemeine Zeitung, Nr. 40, 3. Oktober 1914.Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914. [Spaltenumbruch]
Oriente, die Hauptquelle seit dreißig Jahren aller europäischenBeunruhigung dauernd zu vernichten. Aber da hier politische Interessenfragen vorliegen, die jeder Jetzt oder nie! heißt es für Deutschland und Oesterreich, wenn Deutscher Kampf gegen welsche Lüge. In einem bedeutsamen Aufsatz (Der Kampf gegen die Lüge, Es handelt sich nicht um Versäumnisse von heute und gestern: Je schwieriger hier also die Lage des Deutschtums ist, desto kraft- Das wird nun die Hauptaufgabe bleiben: die zahlreichen persön- Seit dem Beginn des Krieges hat Deutschland eine "schlechte Die Menge von Druckerschwärze und Papier, die auf diese Ver- Die vaterländische Rede über den wahren Krieg von Wilhelm Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914. [Spaltenumbruch]
Oriente, die Hauptquelle ſeit dreißig Jahren aller europäiſchenBeunruhigung dauernd zu vernichten. Aber da hier politiſche Intereſſenfragen vorliegen, die jeder Jetzt oder nie! heißt es für Deutſchland und Oeſterreich, wenn Deutſcher Kampf gegen welſche Lüge. In einem bedeutſamen Aufſatz (Der Kampf gegen die Lüge, Es handelt ſich nicht um Verſäumniſſe von heute und geſtern: Je ſchwieriger hier alſo die Lage des Deutſchtums iſt, deſto kraft- Das wird nun die Hauptaufgabe bleiben: die zahlreichen perſön- Seit dem Beginn des Krieges hat Deutſchland eine „ſchlechte Die Menge von Druckerſchwärze und Papier, die auf dieſe Ver- Die vaterländiſche Rede über den wahren Krieg von Wilhelm <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0008" n="592"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 3. 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Europa wird nur<lb/> Ruhe bekommen, wenn dem Drange Rußlands nach dem Beſitz der<lb/> Dardanellen definitiv ein Riegel vorgeſchoben iſt, wenn Frankreich bis<lb/> zur Vernichtung geſchwächt iſt, wenn England keine Ausſicht mehr<lb/> hat, die aufftrebende Seeentwicklung Deutſchlands noch weiter zu<lb/> hindern.</p><lb/> <p>Jetzt oder nie! heißt es für Deutſchland und Oeſterreich, wenn<lb/> ſie ſich aus einer unmöglichen Lage befreien wollen.</p><lb/> <byline> <hi rendition="#g">Wolfgang Eiſenhart.</hi> </byline> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Deutſcher Kampf gegen welſche Lüge.</hi> </head><lb/> <p>In einem bedeutſamen Aufſatz (Der Kampf gegen die Lüge,<lb/> Dienstag, 22. Sept. 1914 Nr. 486) wurde kürzlich in den Münchener<lb/> Neueſten Nachrichten auf den ſchwächſten Punkt in unſerer Rüſtung,<lb/> das Verhältnis zum neutralen Ausland, hingewieſen. Die politiſch-<lb/> diplomatiſchen Fragen würden dabei kaum geſtreift und ſollen auch<lb/> hier ausgeſchaltet bleiben. Doch ſei an die Fanfaren des Dreibund-<lb/> Artikels erinnert, die der römiſche Spectator Germanicus ſchon im<lb/> Jahre 1912 zu den Süddeutſchen Monatsheften beigeſteuert hat.</p><lb/> <p>Es handelt ſich nicht um Verſäumniſſe von heute und geſtern:<lb/> das neue Deutſchland hat es nicht verſtanden, im Süden und Oſten<lb/> die Sympathien zu gewinnen, die vor allem Frankreich immer wie-<lb/> der entgegengebracht werden. Soweit der Gegenſatz zwiſchen deut-<lb/> ſchem und romaniſch-levantiniſchen Weſen im Spiel iſt, wird ſich die<lb/> Lage in abſehbarer Zeit nicht ändern. Das Franzoſentum der Repu-<lb/> blik zehrt immer noch von dem gewaltigen Vorrecht, das das Fran-<lb/> zoſentum des <hi rendition="#aq">ancien régime</hi> und des Kaiſerreichs gewonnen hat.<lb/> In Mailand, Florenz, Rom, Smyrna, Athen, Alexandrien, Kairo<lb/> ſpricht Franzöſiſch jeder <hi rendition="#g">Gebildete,</hi> deutſch nur der <hi rendition="#g">Gelehrte.</hi><lb/> Die elegante Italienerin ſchaut genau ſo nach Paris wie die Dame<lb/> der <hi rendition="#aq">haute finance</hi> in Alexandrien und Smyrna oder die „moderne“<lb/> Athenerin (bislang leider auch die deutſchen Durchſchnittsfrauen der<lb/> „höheren“ Stände). Franzöſiſche Zeitungen, franzöſiſche Romane<lb/> und Dichtungen, ſelbſt Werke wie die Bergſons oder Pierre Lotis<lb/> finden da überall ihren Weg — wie viel deutſche Lektüre mag auf<lb/> hundert Seiten franzöſiſcher kommen? Kaum eine Zeile. Dieſe alten<lb/> kulturellen Eroberungen Frankreichs ſind eine ganz gewaltige Macht.<lb/> Wie alle Provinzen des Römerreichs das römiſche Recht und der<lb/> römiſche Geſchmack vereinte, ſo hält noch heute der im Franzoſentum<lb/> gipfelnde romaniſche Geiſt die europäiſche Welt, mit Ausnahme<lb/> Deutſchlands und Skandinaviens, in ſeinem Banne. Man kann<lb/> ſagen: die levantiniſche Talmikultur iſt heute romaniſcher als vor<lb/> hundert Jahren, romaniſcher als zur Zeit des römiſchen Kaiſerreichs,<lb/> wo Griechenland ſeine geiſtige Selbſtändigkeit behauptete. Wer den<lb/> Oſten kennt, weiß, daß Englands Herrſchaft in Aegypten daran nichts<lb/> geändert hat.</p><lb/> <p>Je ſchwieriger hier alſo die Lage des Deutſchtums iſt, deſto kraft-<lb/> voller ſollte für ſeine Geltung in der Geſellſchaft und in der öffent-<lb/> lichen Meinung gearbeitet werden. Hier hat es gerade das neue<lb/> Reich, im Gefühl ſtolzer Selbſtſicherheit und überlegener Kraft, viel-<lb/> fach fehlen laſſen. — Darüber ſind ſich wohl die unbefangenen Be-<lb/> obachter einig, die bislang Prediger in der Wüſte waren. Wer<lb/> auf einige Jahrzehnte zurückblicken kann, wird den Eindruck haben,<lb/> daß es vielfach mehr zurückgegangen iſt als vorwärts. In der römi-<lb/> ſchen Geſellſchaft der ſiebenziger und achtziger Jahre ſpielte der deut-<lb/> ſche Gelehrte und Künſtler, vor allem das archäologiſche Inſtitut<lb/> als einer der geſellſchaftlichen Mittelpunkte, eine ganz andere Rolle<lb/> als jetzt. In Florenz halten noch heute Männer, wie A. von Hilde-<lb/> brand und R. Davidſohn, die alte Ueberlieferung aufrecht: ſchaut man<lb/> in den Spiegel, den Bülows Briefe, Karl Hildebrands Schriften oder<lb/> die Florentiniſchen Erinnerungen von Iſolde Kurz darbieten, wird<lb/> man aber den Eindruck gewinnen, daß ſich auch hier die Verhältniſſe<lb/> nicht gerade zu unſeren Gunſten verſchoben haben. Unſer archäolo-<lb/> giſches Inſtitut in Athen mit ſeiner trefflichen Bibliothek iſt für die<lb/><cb/> wackere Gelehrtenarbeit, die das neue Hellas verrichtet, ein Haupt-<lb/> ſtützpunkt und immer wieder finden die begabteſten Geiſter dieſes<lb/> aufſteigenden Volkes den Weg nach Deutſchland, vor allem nach<lb/> München und Berlin: in der <hi rendition="#g">Geſellſchaft</hi> von Athen gewinnt<lb/> die franzöſiſche und neuerdings auch die engliſche „Schule“ uns mehr<lb/> und mehr den Vorrang ab, trotz der energiſchen und gewinnenden<lb/> Perſönlichkeiten, denen die Leitung unſerer Anſtalt dort anvertraut<lb/> war und iſt. Wie ein Einzelner moraliſche Eroberungen für Deutſch-<lb/> land fördern kann, dafür iſt ein glänzendes Beiſpiel der Berliner<lb/> Archäologe und Epigraphiker Freiherr Hiller von Gärtringen. Bei<lb/> den Ausgrabungen auf Santorin (Thera) hat er ſoviel für das Ge-<lb/> meinwohl der Inſel getan (vor allem durch Wegebauten, z. T. aus<lb/> eigenen Mitteln) und ſich zugleich ſo trefflich in Sprache und Landes-<lb/> art einzuleben verſtanden, daß er einer der beliebteſten und bekann-<lb/> teſten Männer auf der ganzen Inſelgruppe geworden iſt. Das wiſſen<lb/> Hillers Reiſegenoſſen und oft genug haben es die Zeitungen bezeugt,<lb/> die auch auf dieſem einſamen phantaſtiſchen Eiland eine gewaltige<lb/> Rolle ſpielen. Aehnliches kann man von der Tätigkeit Dörpfelds,<lb/> G. Karos und Th. Wiegands ſagen. Die Ausgrabungen in Ithaka<lb/> und der Troas in Didyma und Milet haben nicht nur der archäolo-<lb/> giſchen Forſchung Förderung gebracht.</p><lb/> <p>Das wird nun die Hauptaufgabe bleiben: die zahlreichen perſön-<lb/> lichen Beziehungen auszunützen, die deutſche Gelehrte, Künſtler,<lb/> Kaufleute, Gewerbetreibende mit Italien, Griechenland, Rumänien<lb/> verbinden, etwa im Sinn jener deutſch-griechiſchen Geſellſchaft, die<lb/> ſich die Vermittlung zwiſchen Deutſchland und der griechiſchen Le-<lb/> vante zur Aufgabe gemacht hatte. (Gegründet wurde ſie kurz vor<lb/> der Mobilmachung und wenn der Krieg auch für den Augenblick<lb/> ihre Tätigkeit lahmgelegt hat, ſo hat er ihre Daſeins-Berechtigung,<lb/> ja -Notwendigkeit doch erſt recht bewieſen.) Dieſe perſönlichen Be-<lb/> ziehungen ſind ſo zahlreich und ſo ſtark, daß ſie bei geſchicktem und<lb/> tatkräftigem Vorgehen der Beteiligten ſchließlich auch die „öffentliche<lb/> Meinung“ und ihre Dienerin <hi rendition="#g">und</hi> Herrin, die Preſſe, wenigſtens<lb/> zum Teil erobern werden.</p><lb/> <p>Seit dem Beginn des Krieges hat Deutſchland eine „ſchlechte<lb/> Preſſe“ im neutralen Ausland. Hier rächen ſich zweifellos alte Sün-<lb/> den. Man erzählt ſeltſame Dinge von der kavaliermäßigen Art, mit<lb/> der unſere diplomatiſche Vertretung, z. B. in Rom, die Leiter der<lb/> ſiebenten Großmacht behandelt habe, während die führende Entente-<lb/> macht ſie mit Ehren und Gold überſchüttete. Doch dergleichen läßt<lb/> ſich nicht kontrollieren, und wir wollen nicht zurückſchauen, ſondern<lb/> vorwärts. Da kann feſtgeſtellt werden (was dem Verfaſſer des<lb/> Artikels „Kampf gegen die Lüge“ unbekannt zu ſein ſcheint), daß die<lb/> leitenden Kreiſe das Gewicht dieſer Imponderabilien jetzt ganz rich-<lb/> tig einſchätzen und daß ſie auch hier am Werke ſind. Das deutſche<lb/> Inſtitut in Athen, deſſen Leiter (Dr. Karo) auf ſeinem Poſten aus-<lb/> harrt, weiß, daß es ein <hi rendition="#g">deutſches</hi> Inſtitut iſt und wird ſeine<lb/> Pflicht tun. Vor allem aber iſt es das Nachrichtenbureau im Reichs-<lb/> marineamt (Dr. Paul Rohrbach), auf das wir hoffen dürfen. Eine<lb/> jedem zugängliche Zentralſtelle hat ſich ſchon in Berlin gebildet: es<lb/> iſt der deutſche Werkbund (Berlin <hi rendition="#aq">W,</hi> Schönebergerufer 36<hi rendition="#aq">a</hi>), der<lb/> für die planmäßige Verſendung von Zeitungen an vertrauenswür-<lb/> dige Privatmänner im neutralen Ausland, wie an wiſſenſchaftliche<lb/> und wirtſchaftliche Inſtituten Sorge tragen will. 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Allgemeine Zeitung 3. Oktober 1914.
Oriente, die Hauptquelle ſeit dreißig Jahren aller europäiſchen
Beunruhigung dauernd zu vernichten.
Aber da hier politiſche Intereſſenfragen vorliegen, die jeder
friedlichen, ſchiedlichen Löſung ſpotten, darum muß auch der uns
und Oeſterreich aufgedrungene Kampf bis zur Niederwerfung
unſerer Gegner durchgeführt werden. Sonſt wird in wenigen Jah-
ren der Kampf von Neuem entbrennen, und zwar unter ſchwereren
Verhältniſſen als heute, da dann England wahrſcheinlich die allge-
meine Wehrpflicht bei ſich eingeführt haben wird. Europa wird nur
Ruhe bekommen, wenn dem Drange Rußlands nach dem Beſitz der
Dardanellen definitiv ein Riegel vorgeſchoben iſt, wenn Frankreich bis
zur Vernichtung geſchwächt iſt, wenn England keine Ausſicht mehr
hat, die aufftrebende Seeentwicklung Deutſchlands noch weiter zu
hindern.
Jetzt oder nie! heißt es für Deutſchland und Oeſterreich, wenn
ſie ſich aus einer unmöglichen Lage befreien wollen.
Wolfgang Eiſenhart.
Deutſcher Kampf gegen welſche Lüge.
In einem bedeutſamen Aufſatz (Der Kampf gegen die Lüge,
Dienstag, 22. Sept. 1914 Nr. 486) wurde kürzlich in den Münchener
Neueſten Nachrichten auf den ſchwächſten Punkt in unſerer Rüſtung,
das Verhältnis zum neutralen Ausland, hingewieſen. Die politiſch-
diplomatiſchen Fragen würden dabei kaum geſtreift und ſollen auch
hier ausgeſchaltet bleiben. Doch ſei an die Fanfaren des Dreibund-
Artikels erinnert, die der römiſche Spectator Germanicus ſchon im
Jahre 1912 zu den Süddeutſchen Monatsheften beigeſteuert hat.
Es handelt ſich nicht um Verſäumniſſe von heute und geſtern:
das neue Deutſchland hat es nicht verſtanden, im Süden und Oſten
die Sympathien zu gewinnen, die vor allem Frankreich immer wie-
der entgegengebracht werden. Soweit der Gegenſatz zwiſchen deut-
ſchem und romaniſch-levantiniſchen Weſen im Spiel iſt, wird ſich die
Lage in abſehbarer Zeit nicht ändern. Das Franzoſentum der Repu-
blik zehrt immer noch von dem gewaltigen Vorrecht, das das Fran-
zoſentum des ancien régime und des Kaiſerreichs gewonnen hat.
In Mailand, Florenz, Rom, Smyrna, Athen, Alexandrien, Kairo
ſpricht Franzöſiſch jeder Gebildete, deutſch nur der Gelehrte.
Die elegante Italienerin ſchaut genau ſo nach Paris wie die Dame
der haute finance in Alexandrien und Smyrna oder die „moderne“
Athenerin (bislang leider auch die deutſchen Durchſchnittsfrauen der
„höheren“ Stände). Franzöſiſche Zeitungen, franzöſiſche Romane
und Dichtungen, ſelbſt Werke wie die Bergſons oder Pierre Lotis
finden da überall ihren Weg — wie viel deutſche Lektüre mag auf
hundert Seiten franzöſiſcher kommen? Kaum eine Zeile. Dieſe alten
kulturellen Eroberungen Frankreichs ſind eine ganz gewaltige Macht.
Wie alle Provinzen des Römerreichs das römiſche Recht und der
römiſche Geſchmack vereinte, ſo hält noch heute der im Franzoſentum
gipfelnde romaniſche Geiſt die europäiſche Welt, mit Ausnahme
Deutſchlands und Skandinaviens, in ſeinem Banne. Man kann
ſagen: die levantiniſche Talmikultur iſt heute romaniſcher als vor
hundert Jahren, romaniſcher als zur Zeit des römiſchen Kaiſerreichs,
wo Griechenland ſeine geiſtige Selbſtändigkeit behauptete. Wer den
Oſten kennt, weiß, daß Englands Herrſchaft in Aegypten daran nichts
geändert hat.
Je ſchwieriger hier alſo die Lage des Deutſchtums iſt, deſto kraft-
voller ſollte für ſeine Geltung in der Geſellſchaft und in der öffent-
lichen Meinung gearbeitet werden. Hier hat es gerade das neue
Reich, im Gefühl ſtolzer Selbſtſicherheit und überlegener Kraft, viel-
fach fehlen laſſen. — Darüber ſind ſich wohl die unbefangenen Be-
obachter einig, die bislang Prediger in der Wüſte waren. Wer
auf einige Jahrzehnte zurückblicken kann, wird den Eindruck haben,
daß es vielfach mehr zurückgegangen iſt als vorwärts. In der römi-
ſchen Geſellſchaft der ſiebenziger und achtziger Jahre ſpielte der deut-
ſche Gelehrte und Künſtler, vor allem das archäologiſche Inſtitut
als einer der geſellſchaftlichen Mittelpunkte, eine ganz andere Rolle
als jetzt. In Florenz halten noch heute Männer, wie A. von Hilde-
brand und R. Davidſohn, die alte Ueberlieferung aufrecht: ſchaut man
in den Spiegel, den Bülows Briefe, Karl Hildebrands Schriften oder
die Florentiniſchen Erinnerungen von Iſolde Kurz darbieten, wird
man aber den Eindruck gewinnen, daß ſich auch hier die Verhältniſſe
nicht gerade zu unſeren Gunſten verſchoben haben. Unſer archäolo-
giſches Inſtitut in Athen mit ſeiner trefflichen Bibliothek iſt für die
wackere Gelehrtenarbeit, die das neue Hellas verrichtet, ein Haupt-
ſtützpunkt und immer wieder finden die begabteſten Geiſter dieſes
aufſteigenden Volkes den Weg nach Deutſchland, vor allem nach
München und Berlin: in der Geſellſchaft von Athen gewinnt
die franzöſiſche und neuerdings auch die engliſche „Schule“ uns mehr
und mehr den Vorrang ab, trotz der energiſchen und gewinnenden
Perſönlichkeiten, denen die Leitung unſerer Anſtalt dort anvertraut
war und iſt. Wie ein Einzelner moraliſche Eroberungen für Deutſch-
land fördern kann, dafür iſt ein glänzendes Beiſpiel der Berliner
Archäologe und Epigraphiker Freiherr Hiller von Gärtringen. Bei
den Ausgrabungen auf Santorin (Thera) hat er ſoviel für das Ge-
meinwohl der Inſel getan (vor allem durch Wegebauten, z. T. aus
eigenen Mitteln) und ſich zugleich ſo trefflich in Sprache und Landes-
art einzuleben verſtanden, daß er einer der beliebteſten und bekann-
teſten Männer auf der ganzen Inſelgruppe geworden iſt. Das wiſſen
Hillers Reiſegenoſſen und oft genug haben es die Zeitungen bezeugt,
die auch auf dieſem einſamen phantaſtiſchen Eiland eine gewaltige
Rolle ſpielen. Aehnliches kann man von der Tätigkeit Dörpfelds,
G. Karos und Th. Wiegands ſagen. Die Ausgrabungen in Ithaka
und der Troas in Didyma und Milet haben nicht nur der archäolo-
giſchen Forſchung Förderung gebracht.
Das wird nun die Hauptaufgabe bleiben: die zahlreichen perſön-
lichen Beziehungen auszunützen, die deutſche Gelehrte, Künſtler,
Kaufleute, Gewerbetreibende mit Italien, Griechenland, Rumänien
verbinden, etwa im Sinn jener deutſch-griechiſchen Geſellſchaft, die
ſich die Vermittlung zwiſchen Deutſchland und der griechiſchen Le-
vante zur Aufgabe gemacht hatte. (Gegründet wurde ſie kurz vor
der Mobilmachung und wenn der Krieg auch für den Augenblick
ihre Tätigkeit lahmgelegt hat, ſo hat er ihre Daſeins-Berechtigung,
ja -Notwendigkeit doch erſt recht bewieſen.) Dieſe perſönlichen Be-
ziehungen ſind ſo zahlreich und ſo ſtark, daß ſie bei geſchicktem und
tatkräftigem Vorgehen der Beteiligten ſchließlich auch die „öffentliche
Meinung“ und ihre Dienerin und Herrin, die Preſſe, wenigſtens
zum Teil erobern werden.
Seit dem Beginn des Krieges hat Deutſchland eine „ſchlechte
Preſſe“ im neutralen Ausland. Hier rächen ſich zweifellos alte Sün-
den. Man erzählt ſeltſame Dinge von der kavaliermäßigen Art, mit
der unſere diplomatiſche Vertretung, z. B. in Rom, die Leiter der
ſiebenten Großmacht behandelt habe, während die führende Entente-
macht ſie mit Ehren und Gold überſchüttete. Doch dergleichen läßt
ſich nicht kontrollieren, und wir wollen nicht zurückſchauen, ſondern
vorwärts. Da kann feſtgeſtellt werden (was dem Verfaſſer des
Artikels „Kampf gegen die Lüge“ unbekannt zu ſein ſcheint), daß die
leitenden Kreiſe das Gewicht dieſer Imponderabilien jetzt ganz rich-
tig einſchätzen und daß ſie auch hier am Werke ſind. Das deutſche
Inſtitut in Athen, deſſen Leiter (Dr. Karo) auf ſeinem Poſten aus-
harrt, weiß, daß es ein deutſches Inſtitut iſt und wird ſeine
Pflicht tun. Vor allem aber iſt es das Nachrichtenbureau im Reichs-
marineamt (Dr. Paul Rohrbach), auf das wir hoffen dürfen. Eine
jedem zugängliche Zentralſtelle hat ſich ſchon in Berlin gebildet: es
iſt der deutſche Werkbund (Berlin W, Schönebergerufer 36a), der
für die planmäßige Verſendung von Zeitungen an vertrauenswür-
dige Privatmänner im neutralen Ausland, wie an wiſſenſchaftliche
und wirtſchaftliche Inſtituten Sorge tragen will. In München arbei-
tet das Kriegs-Preſſebureau des Dr. Fred B. Hardt (bislang Lud-
wigſtraße 4/I) an der Orientierung Italiens, während der Ausſchuß
der genannten deutſch-griechiſchen Geſellſchaft, dem der Unterzeichnete
(Widenmayerſtr. 10/III) angehört, für die Levante tätig iſt.
Die Menge von Druckerſchwärze und Papier, die auf dieſe Ver-
mittlungsſtellen täglich hereindrängt, iſt faſt erdrückend. Aber leider
muß es geſagt werden: bei ſcharfer Prüfung, vor einem Blicke, der
vom andern Ufer her die Dinge zu ſehen ſucht, hält nur ganz Weni-
ges ſtand. Das meiſte iſt zwiſchen den deutſchen vier Wänden ge-
dacht und geſprochen und hätte ſelbſt da nicht ſo gedacht und ge-
ſprochen werden ſollen.
Die vaterländiſche Rede über den wahren Krieg von Wilhelm
Wundt in Leipzig nimmt man mit dem Gedanken zur Hand: Das iſt
etwas für die Intellektuellen im Ausland. Man hat ſeine Freude
daran, wie zunächſt ein Fichteſcher Gedanke in die handfeſtere
Sprache von heute überſetzt wird. Man läßt ſich tragen von dem
jugendlichen Schwung und der mannhaften Zuverſicht des greiſen
Philoſophen. Aber der Schluß. Wundt ſtellt bereits die neue Land-
karte feſt. Mit einem Bedauern: Unmöglich! legt man die Schrift
zur Seite.
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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