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Allgemeine Zeitung, Nr. 41, 10. Oktober 1914.

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Allgemeine Zeitung 10. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] vorträge. Gewöhnlich ist es ja umgekehrt. Als eine ganz eigen-
artige aber überaus glückliche Idee erwies sich die schlichte und doch
so zündende Zusammenstellung der vier Kriegsproklamationen von
1813, 1870, 1871 und 1914, wie sie Herr Franz Jacobi ebenso ein-
dringlich wie würdig vermittelte.

Am Tage darauf, am 1. Oktober, eröffnete das Hoftheater seine
gewöhnlichen Vorstellungen im Abonnement und zwar mit dem
Tristan, mit dem zwei Monate vorher die sommerlichen Festauf-
führungen im Prinzregenten-Theater wegen des Krieges vorzeitig
abbrechen mußten. Die Situation schien sich trotz des veränderten
Lokals kaum gebessert zu haben: damals wie jetzt ein kleines Publi-
kum, das nicht so ganz bei der Sache war. Tags darauf machte
man der herrschenden Stimmung eine Konzession durch Aufführung
von Kleist's Hermannsschlacht. Dieselbe brauchte nur neu einstudiert
zu werden, da sie doch ein paar Jahre vorher schon gegeben worden
war und zwar in der Hauptsache mit denselben Kräften. Wo es
eine Veränderung in der Rollenbesetzung gab, konnte man anneh-
men, daß der ursprüngliche Inhaber im Felde steht. Ja der In-
haber der Hauptrolle, des Cheruskerfürsten Hermann, Herr Ulmer,
hatte die Rolle mit schöner Aufopferung übernommen, obwohl er
erst kürzlich verwundet aus dem Felde zurückgekehrt war. Auch
die übrigen Hauptrollen: des Marbod, des Quintilius Varus und
der Thusnelde waren in den alten Händen des Herrn Jacobi,
Lützenkirchen und Fräuleins Berndl. Da diesmal die bedenkliche
und viel umstrittene Szene im Bärenzwinger ganz weggelassen
worden war, kam die letztere allerdings um ihren dankbarsten Auf-
tritt.

Interessanter war uns die Aufführung von Paul Heyse's
historischen Schauspiel "Colberg", das wir hier überhaupt noch
nicht zu sehen bekommen hatten. Die Münchener Premiere dieses
neben seinem "Hans Lange" besten Stückes Paul Heyse's liegt ja
bis in das Jahr 1869 zurück. Heyse hat die späte Genugtuung,
daß endlich sein Colberg in einer patriotisch bewegten Zeit wieder
aufgeführt wird, leider nicht mehr erlebt. Der Dichter hat darin
die bekannte Episode von der Belagerung der Festung Colberg
durch Napoleon und die Franzosen im Jahre 1807 und deren Be-
freiung durch Gneisenau und den trefflichen Bürger Nettelbeck in
fünf kraftvollen Akten behandelt, von denen nur der letzte etwas
abfällt. Als Gneisenau und Nettelbeck standen sich die Herren
Lützenkirchen und Jacobi gegenüber, von denen uns der letztere
eine ebenso echte, wie liebenswürdige Figur aus dem Leben auf
die Bretter stellte. Leider wurde wieder recht undeutlich gesprochen.
An dieser Undeutlichkeit trägt wohl aber auch der schlechte Besuch
der Vorstellung mit schuld und die dadurch veranlaßte Verschlechte-
rung der Akustik; manches Wort widerhallte wie im leeren Raume.
Man hatte diesmal viele verwundete Soldaten ins Parkett geschickt;
es hätten deren noch mehr Platz gehabt. -- Unsere Literatur ist
übrigens nicht so arm an guten vaterländischen Stücken, und es
läßt sich mit ihnen nicht eben schwer ein Spielplan aufstellen.
Voran mit Goethe und Schiller, wir nennen vom ersteren nur
seinen "Götz von Berlichingen", von letzterem den Wallenstein und
Wilhelm Tell; dann Kleist noch mit dem Prinzen von Homburg
und der Penthesilea. Die Nibelungen Hebbels waren uns schon
vor Jahren versprochen. Dann kämen ferner Otto Ludwig, Gutz-
kow und Wildenbruch in Frage, gar nicht zu reden von so manchem
vaterländischen Stoff moderner Dichter, die bei uns nie aufgeführt
worden sind. Dagegen kann ja unsere Hofbühne gar nicht daran
denken, ihr ursprünglich angekündigtes Novitätenprogramm, das
vornehmlich aus russischen, englischen und französischen Stücken be-
stand, durchzuführen. Darüber hat der Krieg, wie über so man-
ches Andere, einen Strich gemacht.

Vielleicht ist auch der Krieg schuld, daß das Schauspielhaus es
wagte, ein ernstes, ja altväterisch-rührsames Volksschauspiel heraus-
zubringen, welches "das Mädchen vom Moorhof" heißt und das
die bekannte schwedische Dichterin Selma Lagerlöf mit Berndt Fred-
gren zusammen aus einer ihrer Novellen dramatisiert hat. Das
Stück selbst spielt in Värmland in Schweden, und es war auch in
den Kostümen sehr echt ausgestattet, hatte auch einen hübschen Er-
folg. Es schildert das Schicksal eines armen verführten Mädchens,
das aus Barmherzigkeit von einem jungen Bauern, der eben
heiraten will, in Dienst genommen wird. Die reiche Braut lehnt
sich aber dagegen auf. Der junge Bauer glaubt in seiner letzten
Junggesellennacht in einer Rauferei Einen erstochen zu haben, und
nun kommt der Unwert der reichen aber kaltherzigen Braut gegen-
über der Aufopferung des armen Mädchens zutage. Den Schluß
[Spaltenumbruch] kann man sich denken: der Bauer läßt die reiche Braut fahren und
nimmt das anhängliche Mädchen. Herr Randolf und Fräulein
Rosar haben dies für einander bestimmte Paar sehr hübsch und ein-
dringlich gespielt. Der Beifall war groß, das Publikum aber wie
jetzt meistens klein. Für die gegenwärtige so theaterfremde Zeit
sind eben zu viel Theater in München. Und alle wollen gefüllt
sein, wenn sie bestehen sollen.



Konzerte.

Ein großes, zweimal in der Tonhalle veranstaltetes Wohl-
tätigkeitskonzert zugunsten der Münchener Wohlfahrtspflege und
der Freiwilligen Krankenpflege im Kriege, hatte einen so unge-
heuren Zulauf, daß der Saal bis fast zur polizeiwidrigen Ueber-
füllung voll war. Und das machte nur die Buntheit des Pro-
gramms, die vieles brachte, indem sie jedem etwas bringen wollte.
Das berühmte Sängerehepaar Kraus-Osborne sang alte Gesänge
von Schütz und Händel, der Namensvetter Max Krauß Lieder. Eine
junge Geigerin Lilli Heller spielte ein paar Virtuosenstücke, Gott-
fried Galston gab Klaviervorträge zum besten, unser Franz Fein-
hals sang, noch dazu in Felduniform, Lieder, und Knote und Edith
Walker gaben das große Duett zwischen Siegfried und Brünnhilde
zum besten. Possart aber sprach Schillers Lied von der Glocke --
eine vortreffliche Wahl, denn wem wurde es da nicht eindringlich
klar, daß keine Literatur der Erde Schillers Glocke etwas annähernd
Gleiches an die Seite zu stellen hat.


Die Volkssymphoniekonzerte in der Tonhalle stehen nach wie
vor im Zeichen berühmter Gastdirigenten. Nach einem zweiten
von Richard Strauß geleiteten Abende bestieg Generaldirektor
Walter das Podium, um Bruchstücke aus Wagners Tondramen,
die Faust-Ouvertüre und das Siegfriedidyll vorzuführen, nach ihm
Boehe mit der Eroica und dem von Lampe herrlich gespielten
A-dur-Konzert von Mozart. Für Ferdinand Löwe, der durch
anderweitige Verpflichtungen verhindert ist, springt abermals be-
reitwillig Richard Strauß ein.

Die Reihe der Liederabende wurde durch Frau Cahier er-
öffnet, die, von Zilcher ausgezeichnet begleitet, Lieder von Schu-
bert, Schumann und Wolf meisterhaft sang. Das von Zilcher ver-
tonte Lied Dehmels "Von Feld zu Feld", in dessen letzter Strophe
"Deutschland, Deutschland über alles" als Begleitung verwendet
wird, mußte auf stürmisches Verlangen wiederholt werden.

Feuilleton
Kriegs-hymne.
Es ist, als ob die Sterne des himmels weinen.
Es zittert die Nacht vor ihrem Licht.
Sie sitzt gebeugt über rauchenden Steinen
und verbirgt ihr Gesicht.
Des himmels schwarzen Mantel hat sie sich umschlungen,
und sie hält die bleichen hände verrungen
und starrt in den Grund.
Ihre Augen schleppen sich müd
über das Tal,
wie ein treuer hund
folgt sie den Spuren
der Qual.
Und sie beugt sich über die seufzenden Fluren:
Alle, die hier zur Erde fuhren,
hast du zu dir erhöht.
1) Der bekannte Dichter und Religionsphilosoph hans Ludwig held hat im
hans Sachs-Verlag (München--Leipzig) eine schwungvolle Kriegs-hymne im Sonder-
abdruck erscheinen lassen, von der wir mit Erlaubnis des Versassers den Schlußteil

veröffentlichen.

Allgemeine Zeitung 10. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] vorträge. Gewöhnlich iſt es ja umgekehrt. Als eine ganz eigen-
artige aber überaus glückliche Idee erwies ſich die ſchlichte und doch
ſo zündende Zuſammenſtellung der vier Kriegsproklamationen von
1813, 1870, 1871 und 1914, wie ſie Herr Franz Jacobi ebenſo ein-
dringlich wie würdig vermittelte.

Am Tage darauf, am 1. Oktober, eröffnete das Hoftheater ſeine
gewöhnlichen Vorſtellungen im Abonnement und zwar mit dem
Triſtan, mit dem zwei Monate vorher die ſommerlichen Feſtauf-
führungen im Prinzregenten-Theater wegen des Krieges vorzeitig
abbrechen mußten. Die Situation ſchien ſich trotz des veränderten
Lokals kaum gebeſſert zu haben: damals wie jetzt ein kleines Publi-
kum, das nicht ſo ganz bei der Sache war. Tags darauf machte
man der herrſchenden Stimmung eine Konzeſſion durch Aufführung
von Kleiſt’s Hermannsſchlacht. Dieſelbe brauchte nur neu einſtudiert
zu werden, da ſie doch ein paar Jahre vorher ſchon gegeben worden
war und zwar in der Hauptſache mit denſelben Kräften. Wo es
eine Veränderung in der Rollenbeſetzung gab, konnte man anneh-
men, daß der urſprüngliche Inhaber im Felde ſteht. Ja der In-
haber der Hauptrolle, des Cheruskerfürſten Hermann, Herr Ulmer,
hatte die Rolle mit ſchöner Aufopferung übernommen, obwohl er
erſt kürzlich verwundet aus dem Felde zurückgekehrt war. Auch
die übrigen Hauptrollen: des Marbod, des Quintilius Varus und
der Thusnelde waren in den alten Händen des Herrn Jacobi,
Lützenkirchen und Fräuleins Berndl. Da diesmal die bedenkliche
und viel umſtrittene Szene im Bärenzwinger ganz weggelaſſen
worden war, kam die letztere allerdings um ihren dankbarſten Auf-
tritt.

Intereſſanter war uns die Aufführung von Paul Heyſe’s
hiſtoriſchen Schauſpiel „Colberg“, das wir hier überhaupt noch
nicht zu ſehen bekommen hatten. Die Münchener Premiere dieſes
neben ſeinem „Hans Lange“ beſten Stückes Paul Heyſe’s liegt ja
bis in das Jahr 1869 zurück. Heyſe hat die ſpäte Genugtuung,
daß endlich ſein Colberg in einer patriotiſch bewegten Zeit wieder
aufgeführt wird, leider nicht mehr erlebt. Der Dichter hat darin
die bekannte Epiſode von der Belagerung der Feſtung Colberg
durch Napoleon und die Franzoſen im Jahre 1807 und deren Be-
freiung durch Gneiſenau und den trefflichen Bürger Nettelbeck in
fünf kraftvollen Akten behandelt, von denen nur der letzte etwas
abfällt. Als Gneiſenau und Nettelbeck ſtanden ſich die Herren
Lützenkirchen und Jacobi gegenüber, von denen uns der letztere
eine ebenſo echte, wie liebenswürdige Figur aus dem Leben auf
die Bretter ſtellte. Leider wurde wieder recht undeutlich geſprochen.
An dieſer Undeutlichkeit trägt wohl aber auch der ſchlechte Beſuch
der Vorſtellung mit ſchuld und die dadurch veranlaßte Verſchlechte-
rung der Akuſtik; manches Wort widerhallte wie im leeren Raume.
Man hatte diesmal viele verwundete Soldaten ins Parkett geſchickt;
es hätten deren noch mehr Platz gehabt. — Unſere Literatur iſt
übrigens nicht ſo arm an guten vaterländiſchen Stücken, und es
läßt ſich mit ihnen nicht eben ſchwer ein Spielplan aufſtellen.
Voran mit Goethe und Schiller, wir nennen vom erſteren nur
ſeinen „Götz von Berlichingen“, von letzterem den Wallenſtein und
Wilhelm Tell; dann Kleiſt noch mit dem Prinzen von Homburg
und der Pentheſilea. Die Nibelungen Hebbels waren uns ſchon
vor Jahren verſprochen. Dann kämen ferner Otto Ludwig, Gutz-
kow und Wildenbruch in Frage, gar nicht zu reden von ſo manchem
vaterländiſchen Stoff moderner Dichter, die bei uns nie aufgeführt
worden ſind. Dagegen kann ja unſere Hofbühne gar nicht daran
denken, ihr urſprünglich angekündigtes Novitätenprogramm, das
vornehmlich aus ruſſiſchen, engliſchen und franzöſiſchen Stücken be-
ſtand, durchzuführen. Darüber hat der Krieg, wie über ſo man-
ches Andere, einen Strich gemacht.

Vielleicht iſt auch der Krieg ſchuld, daß das Schauſpielhaus es
wagte, ein ernſtes, ja altväteriſch-rührſames Volksſchauſpiel heraus-
zubringen, welches „das Mädchen vom Moorhof“ heißt und das
die bekannte ſchwediſche Dichterin Selma Lagerlöf mit Berndt Fred-
gren zuſammen aus einer ihrer Novellen dramatiſiert hat. Das
Stück ſelbſt ſpielt in Värmland in Schweden, und es war auch in
den Koſtümen ſehr echt ausgeſtattet, hatte auch einen hübſchen Er-
folg. Es ſchildert das Schickſal eines armen verführten Mädchens,
das aus Barmherzigkeit von einem jungen Bauern, der eben
heiraten will, in Dienſt genommen wird. Die reiche Braut lehnt
ſich aber dagegen auf. Der junge Bauer glaubt in ſeiner letzten
Junggeſellennacht in einer Rauferei Einen erſtochen zu haben, und
nun kommt der Unwert der reichen aber kaltherzigen Braut gegen-
über der Aufopferung des armen Mädchens zutage. Den Schluß
[Spaltenumbruch] kann man ſich denken: der Bauer läßt die reiche Braut fahren und
nimmt das anhängliche Mädchen. Herr Randolf und Fräulein
Roſar haben dies für einander beſtimmte Paar ſehr hübſch und ein-
dringlich geſpielt. Der Beifall war groß, das Publikum aber wie
jetzt meiſtens klein. Für die gegenwärtige ſo theaterfremde Zeit
ſind eben zu viel Theater in München. Und alle wollen gefüllt
ſein, wenn ſie beſtehen ſollen.



Konzerte.

Ein großes, zweimal in der Tonhalle veranſtaltetes Wohl-
tätigkeitskonzert zugunſten der Münchener Wohlfahrtspflege und
der Freiwilligen Krankenpflege im Kriege, hatte einen ſo unge-
heuren Zulauf, daß der Saal bis faſt zur polizeiwidrigen Ueber-
füllung voll war. Und das machte nur die Buntheit des Pro-
gramms, die vieles brachte, indem ſie jedem etwas bringen wollte.
Das berühmte Sängerehepaar Kraus-Osborne ſang alte Geſänge
von Schütz und Händel, der Namensvetter Max Krauß Lieder. Eine
junge Geigerin Lilli Heller ſpielte ein paar Virtuoſenſtücke, Gott-
fried Galſton gab Klaviervorträge zum beſten, unſer Franz Fein-
hals ſang, noch dazu in Felduniform, Lieder, und Knote und Edith
Walker gaben das große Duett zwiſchen Siegfried und Brünnhilde
zum beſten. Poſſart aber ſprach Schillers Lied von der Glocke —
eine vortreffliche Wahl, denn wem wurde es da nicht eindringlich
klar, daß keine Literatur der Erde Schillers Glocke etwas annähernd
Gleiches an die Seite zu ſtellen hat.


Die Volksſymphoniekonzerte in der Tonhalle ſtehen nach wie
vor im Zeichen berühmter Gaſtdirigenten. Nach einem zweiten
von Richard Strauß geleiteten Abende beſtieg Generaldirektor
Walter das Podium, um Bruchſtücke aus Wagners Tondramen,
die Fauſt-Ouvertüre und das Siegfriedidyll vorzuführen, nach ihm
Boehe mit der Eroica und dem von Lampe herrlich geſpielten
A-dur-Konzert von Mozart. Für Ferdinand Löwe, der durch
anderweitige Verpflichtungen verhindert iſt, ſpringt abermals be-
reitwillig Richard Strauß ein.

Die Reihe der Liederabende wurde durch Frau Cahier er-
öffnet, die, von Zilcher ausgezeichnet begleitet, Lieder von Schu-
bert, Schumann und Wolf meiſterhaft ſang. Das von Zilcher ver-
tonte Lied Dehmels „Von Feld zu Feld“, in deſſen letzter Strophe
„Deutſchland, Deutſchland über alles“ als Begleitung verwendet
wird, mußte auf ſtürmiſches Verlangen wiederholt werden.

Feuilleton
Kriegs-hymne.
Es iſt, als ob die Sterne des himmels weinen.
Es zittert die Nacht vor ihrem Licht.
Sie ſitzt gebeugt über rauchenden Steinen
und verbirgt ihr Geſicht.
Des himmels ſchwarzen Mantel hat ſie ſich umſchlungen,
und ſie hält die bleichen hände verrungen
und ſtarrt in den Grund.
Ihre Augen ſchleppen ſich müd
über das Tal,
wie ein treuer hund
folgt ſie den Spuren
der Qual.
Und ſie beugt ſich über die ſeufzenden Fluren:
Alle, die hier zur Erde fuhren,
haſt du zu dir erhöht.
1) Der bekannte Dichter und Religionsphiloſoph hans Ludwig held hat im
hans Sachs-Verlag (München—Leipzig) eine ſchwungvolle Kriegs-hymne im Sonder-
abdruck erſcheinen laſſen, von der wir mit Erlaubnis des Verſaſſers den Schlußteil

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[604.[604]/0008] Allgemeine Zeitung 10. Oktober 1914. vorträge. Gewöhnlich iſt es ja umgekehrt. Als eine ganz eigen- artige aber überaus glückliche Idee erwies ſich die ſchlichte und doch ſo zündende Zuſammenſtellung der vier Kriegsproklamationen von 1813, 1870, 1871 und 1914, wie ſie Herr Franz Jacobi ebenſo ein- dringlich wie würdig vermittelte. Am Tage darauf, am 1. Oktober, eröffnete das Hoftheater ſeine gewöhnlichen Vorſtellungen im Abonnement und zwar mit dem Triſtan, mit dem zwei Monate vorher die ſommerlichen Feſtauf- führungen im Prinzregenten-Theater wegen des Krieges vorzeitig abbrechen mußten. Die Situation ſchien ſich trotz des veränderten Lokals kaum gebeſſert zu haben: damals wie jetzt ein kleines Publi- kum, das nicht ſo ganz bei der Sache war. Tags darauf machte man der herrſchenden Stimmung eine Konzeſſion durch Aufführung von Kleiſt’s Hermannsſchlacht. Dieſelbe brauchte nur neu einſtudiert zu werden, da ſie doch ein paar Jahre vorher ſchon gegeben worden war und zwar in der Hauptſache mit denſelben Kräften. Wo es eine Veränderung in der Rollenbeſetzung gab, konnte man anneh- men, daß der urſprüngliche Inhaber im Felde ſteht. Ja der In- haber der Hauptrolle, des Cheruskerfürſten Hermann, Herr Ulmer, hatte die Rolle mit ſchöner Aufopferung übernommen, obwohl er erſt kürzlich verwundet aus dem Felde zurückgekehrt war. Auch die übrigen Hauptrollen: des Marbod, des Quintilius Varus und der Thusnelde waren in den alten Händen des Herrn Jacobi, Lützenkirchen und Fräuleins Berndl. Da diesmal die bedenkliche und viel umſtrittene Szene im Bärenzwinger ganz weggelaſſen worden war, kam die letztere allerdings um ihren dankbarſten Auf- tritt. Intereſſanter war uns die Aufführung von Paul Heyſe’s hiſtoriſchen Schauſpiel „Colberg“, das wir hier überhaupt noch nicht zu ſehen bekommen hatten. Die Münchener Premiere dieſes neben ſeinem „Hans Lange“ beſten Stückes Paul Heyſe’s liegt ja bis in das Jahr 1869 zurück. Heyſe hat die ſpäte Genugtuung, daß endlich ſein Colberg in einer patriotiſch bewegten Zeit wieder aufgeführt wird, leider nicht mehr erlebt. Der Dichter hat darin die bekannte Epiſode von der Belagerung der Feſtung Colberg durch Napoleon und die Franzoſen im Jahre 1807 und deren Be- freiung durch Gneiſenau und den trefflichen Bürger Nettelbeck in fünf kraftvollen Akten behandelt, von denen nur der letzte etwas abfällt. Als Gneiſenau und Nettelbeck ſtanden ſich die Herren Lützenkirchen und Jacobi gegenüber, von denen uns der letztere eine ebenſo echte, wie liebenswürdige Figur aus dem Leben auf die Bretter ſtellte. Leider wurde wieder recht undeutlich geſprochen. An dieſer Undeutlichkeit trägt wohl aber auch der ſchlechte Beſuch der Vorſtellung mit ſchuld und die dadurch veranlaßte Verſchlechte- rung der Akuſtik; manches Wort widerhallte wie im leeren Raume. Man hatte diesmal viele verwundete Soldaten ins Parkett geſchickt; es hätten deren noch mehr Platz gehabt. — Unſere Literatur iſt übrigens nicht ſo arm an guten vaterländiſchen Stücken, und es läßt ſich mit ihnen nicht eben ſchwer ein Spielplan aufſtellen. Voran mit Goethe und Schiller, wir nennen vom erſteren nur ſeinen „Götz von Berlichingen“, von letzterem den Wallenſtein und Wilhelm Tell; dann Kleiſt noch mit dem Prinzen von Homburg und der Pentheſilea. Die Nibelungen Hebbels waren uns ſchon vor Jahren verſprochen. Dann kämen ferner Otto Ludwig, Gutz- kow und Wildenbruch in Frage, gar nicht zu reden von ſo manchem vaterländiſchen Stoff moderner Dichter, die bei uns nie aufgeführt worden ſind. Dagegen kann ja unſere Hofbühne gar nicht daran denken, ihr urſprünglich angekündigtes Novitätenprogramm, das vornehmlich aus ruſſiſchen, engliſchen und franzöſiſchen Stücken be- ſtand, durchzuführen. Darüber hat der Krieg, wie über ſo man- ches Andere, einen Strich gemacht. Vielleicht iſt auch der Krieg ſchuld, daß das Schauſpielhaus es wagte, ein ernſtes, ja altväteriſch-rührſames Volksſchauſpiel heraus- zubringen, welches „das Mädchen vom Moorhof“ heißt und das die bekannte ſchwediſche Dichterin Selma Lagerlöf mit Berndt Fred- gren zuſammen aus einer ihrer Novellen dramatiſiert hat. Das Stück ſelbſt ſpielt in Värmland in Schweden, und es war auch in den Koſtümen ſehr echt ausgeſtattet, hatte auch einen hübſchen Er- folg. Es ſchildert das Schickſal eines armen verführten Mädchens, das aus Barmherzigkeit von einem jungen Bauern, der eben heiraten will, in Dienſt genommen wird. Die reiche Braut lehnt ſich aber dagegen auf. Der junge Bauer glaubt in ſeiner letzten Junggeſellennacht in einer Rauferei Einen erſtochen zu haben, und nun kommt der Unwert der reichen aber kaltherzigen Braut gegen- über der Aufopferung des armen Mädchens zutage. Den Schluß kann man ſich denken: der Bauer läßt die reiche Braut fahren und nimmt das anhängliche Mädchen. Herr Randolf und Fräulein Roſar haben dies für einander beſtimmte Paar ſehr hübſch und ein- dringlich geſpielt. Der Beifall war groß, das Publikum aber wie jetzt meiſtens klein. Für die gegenwärtige ſo theaterfremde Zeit ſind eben zu viel Theater in München. Und alle wollen gefüllt ſein, wenn ſie beſtehen ſollen. Alfred Frhr. v. Menſi. Konzerte. Ein großes, zweimal in der Tonhalle veranſtaltetes Wohl- tätigkeitskonzert zugunſten der Münchener Wohlfahrtspflege und der Freiwilligen Krankenpflege im Kriege, hatte einen ſo unge- heuren Zulauf, daß der Saal bis faſt zur polizeiwidrigen Ueber- füllung voll war. Und das machte nur die Buntheit des Pro- gramms, die vieles brachte, indem ſie jedem etwas bringen wollte. Das berühmte Sängerehepaar Kraus-Osborne ſang alte Geſänge von Schütz und Händel, der Namensvetter Max Krauß Lieder. Eine junge Geigerin Lilli Heller ſpielte ein paar Virtuoſenſtücke, Gott- fried Galſton gab Klaviervorträge zum beſten, unſer Franz Fein- hals ſang, noch dazu in Felduniform, Lieder, und Knote und Edith Walker gaben das große Duett zwiſchen Siegfried und Brünnhilde zum beſten. Poſſart aber ſprach Schillers Lied von der Glocke — eine vortreffliche Wahl, denn wem wurde es da nicht eindringlich klar, daß keine Literatur der Erde Schillers Glocke etwas annähernd Gleiches an die Seite zu ſtellen hat. M. Die Volksſymphoniekonzerte in der Tonhalle ſtehen nach wie vor im Zeichen berühmter Gaſtdirigenten. Nach einem zweiten von Richard Strauß geleiteten Abende beſtieg Generaldirektor Walter das Podium, um Bruchſtücke aus Wagners Tondramen, die Fauſt-Ouvertüre und das Siegfriedidyll vorzuführen, nach ihm Boehe mit der Eroica und dem von Lampe herrlich geſpielten A-dur-Konzert von Mozart. Für Ferdinand Löwe, der durch anderweitige Verpflichtungen verhindert iſt, ſpringt abermals be- reitwillig Richard Strauß ein. Die Reihe der Liederabende wurde durch Frau Cahier er- öffnet, die, von Zilcher ausgezeichnet begleitet, Lieder von Schu- bert, Schumann und Wolf meiſterhaft ſang. Das von Zilcher ver- tonte Lied Dehmels „Von Feld zu Feld“, in deſſen letzter Strophe „Deutſchland, Deutſchland über alles“ als Begleitung verwendet wird, mußte auf ſtürmiſches Verlangen wiederholt werden. H. Feuilleton Kriegs-hymne. von hans Ludwig held. 1) Es iſt, als ob die Sterne des himmels weinen. Es zittert die Nacht vor ihrem Licht. Sie ſitzt gebeugt über rauchenden Steinen und verbirgt ihr Geſicht. Des himmels ſchwarzen Mantel hat ſie ſich umſchlungen, und ſie hält die bleichen hände verrungen und ſtarrt in den Grund. Ihre Augen ſchleppen ſich müd über das Tal, wie ein treuer hund folgt ſie den Spuren der Qual. Und ſie beugt ſich über die ſeufzenden Fluren: Alle, die hier zur Erde fuhren, haſt du zu dir erhöht. 1) Der bekannte Dichter und Religionsphiloſoph hans Ludwig held hat im hans Sachs-Verlag (München—Leipzig) eine ſchwungvolle Kriegs-hymne im Sonder- abdruck erſcheinen laſſen, von der wir mit Erlaubnis des Verſaſſers den Schlußteil veröffentlichen.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-27T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 41, 10. Oktober 1914, S. 604.[604]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine41_1914/8>, abgerufen am 21.11.2024.