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Allgemeine Zeitung, Nr. 43, 24. Oktober 1914.

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Allgemeine Zeitung 24. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] oft verkümmern läßt: den todesverachtenden Heldenmut, die selbst-
überwindende Aufopferung für den Dienst des Ganzen, die treue
Nächstenliebe, für die es keine Trennungsschranke der Stände und
Berufe mehr gibt.

Darum haben Kriege, die ein edles Volk mit begeistertem Hel-
dentum auf sich genommen hat, auch immer neue große Epochen
ihrer Geschichte eingeleitet. Von den glorreich durchgekämpften
Perserkriegen datierte einst die große Zeit des antiken Griechen-
tums, von dem Verzweiflungskampfe der punischen Kriege die große
Zeit des Römertums. Von dem Geiste, mit dem ein Volk in den
Krieg geht, wird es immer abhängen, ob für eine Nation der Krieg
eine kulturfeindliche oder kulturfördernde Macht sein wird.

Aber, wenn somit auch wir Deutschen hoffen, daß von diesem
Kriege, wenn uns Gott den Sieg schenkt, eine neue herrliche Epoche
unserer nationalen Geschichte anheben wird, wer möchte nicht heute
mit erschütterndem Schmerze auf die furchtbaren Opfer blicken, die
dieses Ringen der Millionenheere unserem Volke auferlegt? In das
Siegesgefühl der Freude über unsere herrlichen Erfolge, über die
unvergleichliche Tapferkeit unseres braven Heeres mischt sich der
laute Schrei des Schmerzes über die tausende und abertausende ge-
fallener Helden, die mit ihrem Herzblute unsere Siege besiegeln
mußten. Zugleich mit dem heiligen Gefühle für die Größe und den
Ruhm unseres Vaterlandes durchzuckt auch unser Volk heute eine
Ahnung jener ewigen Wahrheit, daß der Weg zu allem Großen hin-
weggeht über schmerzliche Opfer, über Blut und Thränen, über
Herzenskummer und Todesnot.

Warum ist es ein ewiges göttliches Gebot, daß alles wirklich
Große im menschlichen Leben immer nur errungen wird um einen
Preis, der das Höchste, was der Mensch besitzt, hingibt, um ein
noch Höheres zu gewinnen? Warum muß das Leben geopfert wer-
den, wenn neues Leben emporsprießen soll? Warum dieser furcht-
bare Einsatz alles menschlichen Glücks, um ein noch höheres Glück
zu gewinnen? Die Mutter, die mit Gefahr des eigenen Lebens
einem zarten Kinde das Leben schenkt, der Krieger, der die Brust
dem Todesgeschosse darbietet im Kampfe für die Freiheit, Macht
und Größe seines Vaterlandes, der Gelehrte und Forscher, der seine
ganze Existenz daran gibt und so oft auf alle Freuden der Welt ver-
zichtet, nur um dem heißersehnten Ideal der Wahrheit näher zu
kommen, verkünden uns ihre Geschicke und ihre Leiden nicht jene
tiefe Wahrheit, die unser großer Nationaldichter in die Worte zu-
sammenfaßt: "Und setzt ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das
Leben gewonnen sein?"

"Das Leben ist der Güter höchstes nicht", dieses
große Schillerwort durchzuckt heute Millionen deutscher Krieger-
herzen. Es begeistert unsere Heldenscharen und erfüllt sie mit dem
Bewußtsein, daß es noch etwas Höheres gibt als dieses vergängliche
Leben, daß es Ideale gibt, die über diese Welt hinausragen in den
Himmel, daß es etwas Ewiges, Unsagbares, Unfaßbares gibt, das
den Menschen seine überirdische Bestimmung ahnen läßt. Und diese
Durchläuterung und Veredlung des menschlichen Willens ist es, die
zuletzt selbst den Tod nicht mehr als ein Uebel erkennen läßt, die
sich ausprägt in den schönen Worten, die der Dichter dem in den
Kampf ziehenden Krieger in den Mund legt:

Und sollt ich einst beim Siegeseinzug fehlen,
Beklagt mich nicht, beneidet mir mein Glück!

Aber wer tröstet die armen Gattinnen, Eltern, Brüder und
Schwestern unserer gefallenen Helden? Wer lindert den erschüttern-
den Schmerz der Hinterbliebenen? Wer füllt die furchtbaren Lücken
aus, die der Krieg reißt? Wer kann tief genug mitempfinden mit
den zertrümmerten Hoffnungen, mit dem vernichteten Familienglück,
mit dieser Welt von Sorgen und Elend, die dieser Krieg in zahl-
losen Familien hinterläßt? Wer vermag die Witwen aufzurichten,
deren Lebensglück geknickt ist, wer den verwaisten Kindern den Vater
zu ersetzen, die nun ohne seine führende Hand den Weg durchs
Leben gehen müssen? Wer vermag den Schmerz der Eltern
zu lindern, die ihr Liebstes haben hingeben müssen, wenn sie hören,
daß der zu den schönsten Hoffnungen berechtigende Sohn auf dem
Schlachtfelde sich verblutet hat, er, der geliebte Sohn, für dessen Er-
ziehung und Bildung ihnen kein Opfer hoch genug gewesen war?

Nur ein edles Volk, das im religiösen Glauben stark ist, kann
hoffen, daß aus dieser furchtbaren Saat von Blut und Tränen für
unser Volk einmal neues Leben aufsprießen wird. Und darum tritt
an so viele Tausende heute die schwerste aller menschlichen Fragen
heran: Könnt ihr glauben, daß auch in diesen furchtbaren Schicksals-
schlägen, die euch mit zahllosen Genossen eures Leides getroffen
[Spaltenumbruch] haben, sich die Hand einer höheren Macht offenbart, die unser Ge-
schlecht durch Schmerz und Leid, durch Kummer und bittere Todes-
not doch zuletzt in ewiger Liebe zum wahren Heile führen will?

Ja, die Kriege sind furchtbare Prüfsteine für den religiösen
Glauben der Völker. Indem sie alles umzustürzen scheinen, was
den Menschen teuer, lieb und wert war, richten sie auch wieder die
Blicke auf das Ueberirdische, Ewige, Unvergängliche. In dem un-
wandelbaren Plane der göttlichen Weltregierung sind auch die Kriege
die großen Wegweiser der Menschen zu ihrem ewigen Heil.

Wer in dem erschütternden Herzeleid, das dieser Krieg über
unser Volk gebracht hat, irgend wo anders Trost sucht als in dem
Aufblicke zu der ewigen Gottesliebe, zu der Weisheit und Güte einer
über uns waltenden höheren Macht, der ist nur ein armer Tor.
Der hat sich noch nicht zur Wahrheit und Klarheit durchgerungen
in dem großen Problem, mit dem jeder Mensch, jede Zeit, jedes
Volk ringen soll: Was ist der letzte Zweck des menschlichen Lebens?

Und dieser letzte Zweck weist über diese Welt hinaus auf eine
bessere, ewige Welt der Vollendung.

Unsere gefallenen Helden aber, wie könnte man besser und
schöner ihrer gedenken als mit den herrlichen Worten, die Uhland
in seinem tiefempfundenen Gedichte "Die sterbenden Helden" einem
bereits mit dem Tode ringenden Krieger in den Mund legt:

Wohl wieget eines viele Taten auf,
Das ist um seines Vaterlandes Not
Der Heldentod.
Sieh hin! Die Feinde fliehen; blick hinan!
Der Himmel glänzt, dahin geht unsere Bahn!

Theater und Mulik
Münchener Cheater.

Ein Gastspiel. -- Der Barbier von Bagdad. -- Fidelio. -- Der Wild-
schütz. -- Max Zenger. -- Der Querulant.

Unsere Oper hat von der vorigen Spielzeit her noch eine
unerledigte Sorge übernommen: die Suche nach einem Bari-
ton, da ja Herr Rudow noch immer nicht ersetzt ist und Herr
Feinhals als ständiges Mitglied unserer Oper bekanntlich und
leider nicht mehr mitzählt. Und so gab es denn gleich wieder
ein Gastspiel. Herr August Kieß vom Düsseldorfer Stadt-
theater stellte sich als Silvio und Alfio vor. Unter den Bari-
tongästen der letzten Zeit darf er fast als der beachtenswerteste
angesehen werden. Eine gute Figur, frisches temperament-
volles Spiel und ein hübscher Bariton, der leicht und mühe-
los in die Höhe geht, in Mittellage und Tiefe aber allerdings
wenig Klangfülle aufweist. Sein Engagement wäre zu be-
fürworten, wenn ihm nicht etwa durchaus erste Rollen an-
vertraut werden sollen. Recht hohe Anforderungen können
wir ja wohl in der jetzigen Kriegszeit überhaupt nicht mehr
stellen, da natürlich auch das deutsche Opernpersonal von den
Einberufungen betroffen worden ist und die Auswahl eher
vermindert als vergrößert ist. Im übrigen könnte es wirklich
nicht schaden, wenn man die beiden abgespielten italienischen
Opern Bajazzo und Cavalleria rusticana einmal längere
Zeit ruhen ließe und sich in diesen Tagen mehr auf ein natio-
nales Programm besänne.

Zu den erfreulichsten Blüten der echt deutschen und selten
gepflegten komischen Oper gehört der Barbier von Bagdad
unseres Peter Cornelius, den Franz Lißt am 15. Dezember
1858 in Weimar zur ersten Aufführung gebracht hat, um
schmählich damit durchzufallen, worauf er mit gerechter Ent-
rüstung den Taktstock niederlegte. Erst Felix Mottl in Karls-
ruhe und Levi in München haben die Oper wieder aufleben
lassen und zwar gleich mit dem größten Erfolg. Am
15. Oktober 1885 kam sie in unserem Hoftheater zur ersten Auf-
führung, und sie hatte insofern immer Glück, als es uns nie-
mals an einer vortrefflichen Besetzung, insbesondere der Titel-
rolle gefehlt hat. Eugen Gura kreierte den Barbier von Bag-
dad, der früh verstorbene Klöpfer folgte ihm, und jetzt gibt
Herr Bender damit eine seiner glänzendsten Leistungen.
Trotzdem ist der Erfolg des Barbiers merkwürdigerweise nie
voll ausgenützt worden. Immer wieder verschwand er vom
Repertoire, und es bedurfte der dringendsten Bitten und
Mahnungen von seiten der Presse, daß er wieder und stets

Allgemeine Zeitung 24. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] oft verkümmern läßt: den todesverachtenden Heldenmut, die ſelbſt-
überwindende Aufopferung für den Dienſt des Ganzen, die treue
Nächſtenliebe, für die es keine Trennungsſchranke der Stände und
Berufe mehr gibt.

Darum haben Kriege, die ein edles Volk mit begeiſtertem Hel-
dentum auf ſich genommen hat, auch immer neue große Epochen
ihrer Geſchichte eingeleitet. Von den glorreich durchgekämpften
Perſerkriegen datierte einſt die große Zeit des antiken Griechen-
tums, von dem Verzweiflungskampfe der puniſchen Kriege die große
Zeit des Römertums. Von dem Geiſte, mit dem ein Volk in den
Krieg geht, wird es immer abhängen, ob für eine Nation der Krieg
eine kulturfeindliche oder kulturfördernde Macht ſein wird.

Aber, wenn ſomit auch wir Deutſchen hoffen, daß von dieſem
Kriege, wenn uns Gott den Sieg ſchenkt, eine neue herrliche Epoche
unſerer nationalen Geſchichte anheben wird, wer möchte nicht heute
mit erſchütterndem Schmerze auf die furchtbaren Opfer blicken, die
dieſes Ringen der Millionenheere unſerem Volke auferlegt? In das
Siegesgefühl der Freude über unſere herrlichen Erfolge, über die
unvergleichliche Tapferkeit unſeres braven Heeres miſcht ſich der
laute Schrei des Schmerzes über die tauſende und abertauſende ge-
fallener Helden, die mit ihrem Herzblute unſere Siege beſiegeln
mußten. Zugleich mit dem heiligen Gefühle für die Größe und den
Ruhm unſeres Vaterlandes durchzuckt auch unſer Volk heute eine
Ahnung jener ewigen Wahrheit, daß der Weg zu allem Großen hin-
weggeht über ſchmerzliche Opfer, über Blut und Thränen, über
Herzenskummer und Todesnot.

Warum iſt es ein ewiges göttliches Gebot, daß alles wirklich
Große im menſchlichen Leben immer nur errungen wird um einen
Preis, der das Höchſte, was der Menſch beſitzt, hingibt, um ein
noch Höheres zu gewinnen? Warum muß das Leben geopfert wer-
den, wenn neues Leben emporſprießen ſoll? Warum dieſer furcht-
bare Einſatz alles menſchlichen Glücks, um ein noch höheres Glück
zu gewinnen? Die Mutter, die mit Gefahr des eigenen Lebens
einem zarten Kinde das Leben ſchenkt, der Krieger, der die Bruſt
dem Todesgeſchoſſe darbietet im Kampfe für die Freiheit, Macht
und Größe ſeines Vaterlandes, der Gelehrte und Forſcher, der ſeine
ganze Exiſtenz daran gibt und ſo oft auf alle Freuden der Welt ver-
zichtet, nur um dem heißerſehnten Ideal der Wahrheit näher zu
kommen, verkünden uns ihre Geſchicke und ihre Leiden nicht jene
tiefe Wahrheit, die unſer großer Nationaldichter in die Worte zu-
ſammenfaßt: „Und ſetzt ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das
Leben gewonnen ſein?“

Das Leben iſt der Güter höchſtes nicht“, dieſes
große Schillerwort durchzuckt heute Millionen deutſcher Krieger-
herzen. Es begeiſtert unſere Heldenſcharen und erfüllt ſie mit dem
Bewußtſein, daß es noch etwas Höheres gibt als dieſes vergängliche
Leben, daß es Ideale gibt, die über dieſe Welt hinausragen in den
Himmel, daß es etwas Ewiges, Unſagbares, Unfaßbares gibt, das
den Menſchen ſeine überirdiſche Beſtimmung ahnen läßt. Und dieſe
Durchläuterung und Veredlung des menſchlichen Willens iſt es, die
zuletzt ſelbſt den Tod nicht mehr als ein Uebel erkennen läßt, die
ſich ausprägt in den ſchönen Worten, die der Dichter dem in den
Kampf ziehenden Krieger in den Mund legt:

Und ſollt ich einſt beim Siegeseinzug fehlen,
Beklagt mich nicht, beneidet mir mein Glück!

Aber wer tröſtet die armen Gattinnen, Eltern, Brüder und
Schweſtern unſerer gefallenen Helden? Wer lindert den erſchüttern-
den Schmerz der Hinterbliebenen? Wer füllt die furchtbaren Lücken
aus, die der Krieg reißt? Wer kann tief genug mitempfinden mit
den zertrümmerten Hoffnungen, mit dem vernichteten Familienglück,
mit dieſer Welt von Sorgen und Elend, die dieſer Krieg in zahl-
loſen Familien hinterläßt? Wer vermag die Witwen aufzurichten,
deren Lebensglück geknickt iſt, wer den verwaiſten Kindern den Vater
zu erſetzen, die nun ohne ſeine führende Hand den Weg durchs
Leben gehen müſſen? Wer vermag den Schmerz der Eltern
zu lindern, die ihr Liebſtes haben hingeben müſſen, wenn ſie hören,
daß der zu den ſchönſten Hoffnungen berechtigende Sohn auf dem
Schlachtfelde ſich verblutet hat, er, der geliebte Sohn, für deſſen Er-
ziehung und Bildung ihnen kein Opfer hoch genug geweſen war?

Nur ein edles Volk, das im religiöſen Glauben ſtark iſt, kann
hoffen, daß aus dieſer furchtbaren Saat von Blut und Tränen für
unſer Volk einmal neues Leben aufſprießen wird. Und darum tritt
an ſo viele Tauſende heute die ſchwerſte aller menſchlichen Fragen
heran: Könnt ihr glauben, daß auch in dieſen furchtbaren Schickſals-
ſchlägen, die euch mit zahlloſen Genoſſen eures Leides getroffen
[Spaltenumbruch] haben, ſich die Hand einer höheren Macht offenbart, die unſer Ge-
ſchlecht durch Schmerz und Leid, durch Kummer und bittere Todes-
not doch zuletzt in ewiger Liebe zum wahren Heile führen will?

Ja, die Kriege ſind furchtbare Prüfſteine für den religiöſen
Glauben der Völker. Indem ſie alles umzuſtürzen ſcheinen, was
den Menſchen teuer, lieb und wert war, richten ſie auch wieder die
Blicke auf das Ueberirdiſche, Ewige, Unvergängliche. In dem un-
wandelbaren Plane der göttlichen Weltregierung ſind auch die Kriege
die großen Wegweiſer der Menſchen zu ihrem ewigen Heil.

Wer in dem erſchütternden Herzeleid, das dieſer Krieg über
unſer Volk gebracht hat, irgend wo anders Troſt ſucht als in dem
Aufblicke zu der ewigen Gottesliebe, zu der Weisheit und Güte einer
über uns waltenden höheren Macht, der iſt nur ein armer Tor.
Der hat ſich noch nicht zur Wahrheit und Klarheit durchgerungen
in dem großen Problem, mit dem jeder Menſch, jede Zeit, jedes
Volk ringen ſoll: Was iſt der letzte Zweck des menſchlichen Lebens?

Und dieſer letzte Zweck weiſt über dieſe Welt hinaus auf eine
beſſere, ewige Welt der Vollendung.

Unſere gefallenen Helden aber, wie könnte man beſſer und
ſchöner ihrer gedenken als mit den herrlichen Worten, die Uhland
in ſeinem tiefempfundenen Gedichte „Die ſterbenden Helden“ einem
bereits mit dem Tode ringenden Krieger in den Mund legt:

Wohl wieget eines viele Taten auf,
Das iſt um ſeines Vaterlandes Not
Der Heldentod.
Sieh hin! Die Feinde fliehen; blick hinan!
Der Himmel glänzt, dahin geht unſere Bahn!

Theater und Mulik
Münchener Cheater.

Ein Gaſtſpiel. — Der Barbier von Bagdad. — Fidelio. — Der Wild-
ſchütz. — Max Zenger. — Der Querulant.

Unſere Oper hat von der vorigen Spielzeit her noch eine
unerledigte Sorge übernommen: die Suche nach einem Bari-
ton, da ja Herr Rudow noch immer nicht erſetzt iſt und Herr
Feinhals als ſtändiges Mitglied unſerer Oper bekanntlich und
leider nicht mehr mitzählt. Und ſo gab es denn gleich wieder
ein Gaſtſpiel. Herr Auguſt Kieß vom Düſſeldorfer Stadt-
theater ſtellte ſich als Silvio und Alfio vor. Unter den Bari-
tongäſten der letzten Zeit darf er faſt als der beachtenswerteſte
angeſehen werden. Eine gute Figur, friſches temperament-
volles Spiel und ein hübſcher Bariton, der leicht und mühe-
los in die Höhe geht, in Mittellage und Tiefe aber allerdings
wenig Klangfülle aufweiſt. Sein Engagement wäre zu be-
fürworten, wenn ihm nicht etwa durchaus erſte Rollen an-
vertraut werden ſollen. Recht hohe Anforderungen können
wir ja wohl in der jetzigen Kriegszeit überhaupt nicht mehr
ſtellen, da natürlich auch das deutſche Opernperſonal von den
Einberufungen betroffen worden iſt und die Auswahl eher
vermindert als vergrößert iſt. Im übrigen könnte es wirklich
nicht ſchaden, wenn man die beiden abgeſpielten italieniſchen
Opern Bajazzo und Cavalleria rusticana einmal längere
Zeit ruhen ließe und ſich in dieſen Tagen mehr auf ein natio-
nales Programm beſänne.

Zu den erfreulichſten Blüten der echt deutſchen und ſelten
gepflegten komiſchen Oper gehört der Barbier von Bagdad
unſeres Peter Cornelius, den Franz Liſzt am 15. Dezember
1858 in Weimar zur erſten Aufführung gebracht hat, um
ſchmählich damit durchzufallen, worauf er mit gerechter Ent-
rüſtung den Taktſtock niederlegte. Erſt Felix Mottl in Karls-
ruhe und Levi in München haben die Oper wieder aufleben
laſſen und zwar gleich mit dem größten Erfolg. Am
15. Oktober 1885 kam ſie in unſerem Hoftheater zur erſten Auf-
führung, und ſie hatte inſofern immer Glück, als es uns nie-
mals an einer vortrefflichen Beſetzung, insbeſondere der Titel-
rolle gefehlt hat. Eugen Gura kreierte den Barbier von Bag-
dad, der früh verſtorbene Klöpfer folgte ihm, und jetzt gibt
Herr Bender damit eine ſeiner glänzendſten Leiſtungen.
Trotzdem iſt der Erfolg des Barbiers merkwürdigerweiſe nie
voll ausgenützt worden. Immer wieder verſchwand er vom
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[628/0012] Allgemeine Zeitung 24. Oktober 1914. oft verkümmern läßt: den todesverachtenden Heldenmut, die ſelbſt- überwindende Aufopferung für den Dienſt des Ganzen, die treue Nächſtenliebe, für die es keine Trennungsſchranke der Stände und Berufe mehr gibt. Darum haben Kriege, die ein edles Volk mit begeiſtertem Hel- dentum auf ſich genommen hat, auch immer neue große Epochen ihrer Geſchichte eingeleitet. Von den glorreich durchgekämpften Perſerkriegen datierte einſt die große Zeit des antiken Griechen- tums, von dem Verzweiflungskampfe der puniſchen Kriege die große Zeit des Römertums. Von dem Geiſte, mit dem ein Volk in den Krieg geht, wird es immer abhängen, ob für eine Nation der Krieg eine kulturfeindliche oder kulturfördernde Macht ſein wird. Aber, wenn ſomit auch wir Deutſchen hoffen, daß von dieſem Kriege, wenn uns Gott den Sieg ſchenkt, eine neue herrliche Epoche unſerer nationalen Geſchichte anheben wird, wer möchte nicht heute mit erſchütterndem Schmerze auf die furchtbaren Opfer blicken, die dieſes Ringen der Millionenheere unſerem Volke auferlegt? In das Siegesgefühl der Freude über unſere herrlichen Erfolge, über die unvergleichliche Tapferkeit unſeres braven Heeres miſcht ſich der laute Schrei des Schmerzes über die tauſende und abertauſende ge- fallener Helden, die mit ihrem Herzblute unſere Siege beſiegeln mußten. Zugleich mit dem heiligen Gefühle für die Größe und den Ruhm unſeres Vaterlandes durchzuckt auch unſer Volk heute eine Ahnung jener ewigen Wahrheit, daß der Weg zu allem Großen hin- weggeht über ſchmerzliche Opfer, über Blut und Thränen, über Herzenskummer und Todesnot. Warum iſt es ein ewiges göttliches Gebot, daß alles wirklich Große im menſchlichen Leben immer nur errungen wird um einen Preis, der das Höchſte, was der Menſch beſitzt, hingibt, um ein noch Höheres zu gewinnen? Warum muß das Leben geopfert wer- den, wenn neues Leben emporſprießen ſoll? Warum dieſer furcht- bare Einſatz alles menſchlichen Glücks, um ein noch höheres Glück zu gewinnen? Die Mutter, die mit Gefahr des eigenen Lebens einem zarten Kinde das Leben ſchenkt, der Krieger, der die Bruſt dem Todesgeſchoſſe darbietet im Kampfe für die Freiheit, Macht und Größe ſeines Vaterlandes, der Gelehrte und Forſcher, der ſeine ganze Exiſtenz daran gibt und ſo oft auf alle Freuden der Welt ver- zichtet, nur um dem heißerſehnten Ideal der Wahrheit näher zu kommen, verkünden uns ihre Geſchicke und ihre Leiden nicht jene tiefe Wahrheit, die unſer großer Nationaldichter in die Worte zu- ſammenfaßt: „Und ſetzt ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen ſein?“ „Das Leben iſt der Güter höchſtes nicht“, dieſes große Schillerwort durchzuckt heute Millionen deutſcher Krieger- herzen. Es begeiſtert unſere Heldenſcharen und erfüllt ſie mit dem Bewußtſein, daß es noch etwas Höheres gibt als dieſes vergängliche Leben, daß es Ideale gibt, die über dieſe Welt hinausragen in den Himmel, daß es etwas Ewiges, Unſagbares, Unfaßbares gibt, das den Menſchen ſeine überirdiſche Beſtimmung ahnen läßt. Und dieſe Durchläuterung und Veredlung des menſchlichen Willens iſt es, die zuletzt ſelbſt den Tod nicht mehr als ein Uebel erkennen läßt, die ſich ausprägt in den ſchönen Worten, die der Dichter dem in den Kampf ziehenden Krieger in den Mund legt: Und ſollt ich einſt beim Siegeseinzug fehlen, Beklagt mich nicht, beneidet mir mein Glück! Aber wer tröſtet die armen Gattinnen, Eltern, Brüder und Schweſtern unſerer gefallenen Helden? Wer lindert den erſchüttern- den Schmerz der Hinterbliebenen? Wer füllt die furchtbaren Lücken aus, die der Krieg reißt? Wer kann tief genug mitempfinden mit den zertrümmerten Hoffnungen, mit dem vernichteten Familienglück, mit dieſer Welt von Sorgen und Elend, die dieſer Krieg in zahl- loſen Familien hinterläßt? Wer vermag die Witwen aufzurichten, deren Lebensglück geknickt iſt, wer den verwaiſten Kindern den Vater zu erſetzen, die nun ohne ſeine führende Hand den Weg durchs Leben gehen müſſen? Wer vermag den Schmerz der Eltern zu lindern, die ihr Liebſtes haben hingeben müſſen, wenn ſie hören, daß der zu den ſchönſten Hoffnungen berechtigende Sohn auf dem Schlachtfelde ſich verblutet hat, er, der geliebte Sohn, für deſſen Er- ziehung und Bildung ihnen kein Opfer hoch genug geweſen war? Nur ein edles Volk, das im religiöſen Glauben ſtark iſt, kann hoffen, daß aus dieſer furchtbaren Saat von Blut und Tränen für unſer Volk einmal neues Leben aufſprießen wird. Und darum tritt an ſo viele Tauſende heute die ſchwerſte aller menſchlichen Fragen heran: Könnt ihr glauben, daß auch in dieſen furchtbaren Schickſals- ſchlägen, die euch mit zahlloſen Genoſſen eures Leides getroffen haben, ſich die Hand einer höheren Macht offenbart, die unſer Ge- ſchlecht durch Schmerz und Leid, durch Kummer und bittere Todes- not doch zuletzt in ewiger Liebe zum wahren Heile führen will? Ja, die Kriege ſind furchtbare Prüfſteine für den religiöſen Glauben der Völker. Indem ſie alles umzuſtürzen ſcheinen, was den Menſchen teuer, lieb und wert war, richten ſie auch wieder die Blicke auf das Ueberirdiſche, Ewige, Unvergängliche. In dem un- wandelbaren Plane der göttlichen Weltregierung ſind auch die Kriege die großen Wegweiſer der Menſchen zu ihrem ewigen Heil. Wer in dem erſchütternden Herzeleid, das dieſer Krieg über unſer Volk gebracht hat, irgend wo anders Troſt ſucht als in dem Aufblicke zu der ewigen Gottesliebe, zu der Weisheit und Güte einer über uns waltenden höheren Macht, der iſt nur ein armer Tor. Der hat ſich noch nicht zur Wahrheit und Klarheit durchgerungen in dem großen Problem, mit dem jeder Menſch, jede Zeit, jedes Volk ringen ſoll: Was iſt der letzte Zweck des menſchlichen Lebens? Und dieſer letzte Zweck weiſt über dieſe Welt hinaus auf eine beſſere, ewige Welt der Vollendung. Unſere gefallenen Helden aber, wie könnte man beſſer und ſchöner ihrer gedenken als mit den herrlichen Worten, die Uhland in ſeinem tiefempfundenen Gedichte „Die ſterbenden Helden“ einem bereits mit dem Tode ringenden Krieger in den Mund legt: Wohl wieget eines viele Taten auf, Das iſt um ſeines Vaterlandes Not Der Heldentod. Sieh hin! Die Feinde fliehen; blick hinan! Der Himmel glänzt, dahin geht unſere Bahn! Wolfgang Eiſenhart. Theater und Mulik Münchener Cheater. Ein Gaſtſpiel. — Der Barbier von Bagdad. — Fidelio. — Der Wild- ſchütz. — Max Zenger. — Der Querulant. Unſere Oper hat von der vorigen Spielzeit her noch eine unerledigte Sorge übernommen: die Suche nach einem Bari- ton, da ja Herr Rudow noch immer nicht erſetzt iſt und Herr Feinhals als ſtändiges Mitglied unſerer Oper bekanntlich und leider nicht mehr mitzählt. Und ſo gab es denn gleich wieder ein Gaſtſpiel. Herr Auguſt Kieß vom Düſſeldorfer Stadt- theater ſtellte ſich als Silvio und Alfio vor. Unter den Bari- tongäſten der letzten Zeit darf er faſt als der beachtenswerteſte angeſehen werden. Eine gute Figur, friſches temperament- volles Spiel und ein hübſcher Bariton, der leicht und mühe- los in die Höhe geht, in Mittellage und Tiefe aber allerdings wenig Klangfülle aufweiſt. Sein Engagement wäre zu be- fürworten, wenn ihm nicht etwa durchaus erſte Rollen an- vertraut werden ſollen. Recht hohe Anforderungen können wir ja wohl in der jetzigen Kriegszeit überhaupt nicht mehr ſtellen, da natürlich auch das deutſche Opernperſonal von den Einberufungen betroffen worden iſt und die Auswahl eher vermindert als vergrößert iſt. Im übrigen könnte es wirklich nicht ſchaden, wenn man die beiden abgeſpielten italieniſchen Opern Bajazzo und Cavalleria rusticana einmal längere Zeit ruhen ließe und ſich in dieſen Tagen mehr auf ein natio- nales Programm beſänne. Zu den erfreulichſten Blüten der echt deutſchen und ſelten gepflegten komiſchen Oper gehört der Barbier von Bagdad unſeres Peter Cornelius, den Franz Liſzt am 15. Dezember 1858 in Weimar zur erſten Aufführung gebracht hat, um ſchmählich damit durchzufallen, worauf er mit gerechter Ent- rüſtung den Taktſtock niederlegte. Erſt Felix Mottl in Karls- ruhe und Levi in München haben die Oper wieder aufleben laſſen und zwar gleich mit dem größten Erfolg. Am 15. Oktober 1885 kam ſie in unſerem Hoftheater zur erſten Auf- führung, und ſie hatte inſofern immer Glück, als es uns nie- mals an einer vortrefflichen Beſetzung, insbeſondere der Titel- rolle gefehlt hat. Eugen Gura kreierte den Barbier von Bag- dad, der früh verſtorbene Klöpfer folgte ihm, und jetzt gibt Herr Bender damit eine ſeiner glänzendſten Leiſtungen. Trotzdem iſt der Erfolg des Barbiers merkwürdigerweiſe nie voll ausgenützt worden. Immer wieder verſchwand er vom Repertoire, und es bedurfte der dringendſten Bitten und Mahnungen von ſeiten der Preſſe, daß er wieder und ſtets

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 43, 24. Oktober 1914, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine43_1914/12>, abgerufen am 23.11.2024.