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Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 14. Februar 1871.

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[Spaltenumbruch] wart reactionären Tendenzen huldige -- was sehr wahrscheinlich seine volle
Richtigkeit hat -- so empfand doch das große Publicum beim Lesen der
unserer Zunge wenig geläufigen tschechischen Namen zweier Minister nur
eine ganz absonderliche Heiterkeit, und gegen das gesammte Cabinet, mit
allem was daran hängt, jetzt und in Zukunft, eine unglaubliche Gleich-
gültigkeit. Kein Denkender kann sich einer Jllusion darüber hingeben daß
wir in ein neues Fahrwasser einlenken, und doch kümmert sich eigentlich
niemand darum.

Zweifelsohne wird es nicht an geschäftigen Federn fehlen welche mich
der Uebertreibung und des Pessimismus zeihen werden; es ist jedoch hier
am Platz einzuschalten welch klaffender Zwiespalt bei uns zwischen dem
Publicum und seinen sogenannten öffentlichen Anwälten, den Journalen,
besteht. Nur in den allerseltensten Fällen drückt bei uns die Journalistik die
öffentliche Meinung aus; viel öfter hört man das Publicum an den ein-
zelnen Blättern sein "Räsonnirtalent" üben (eine Thatsache welche natür-
lich diese ängstlich verschweigen), und selbst gebildete Leute entblöden sich
nicht von unsern "Zeitungsjuden" in wenig ehrerbietiger Weise zu sprechen.
Geläugnet kann nicht werden daß die österreichische Presse sich zunächst in
den Händen ausländischer Semiten oder, wenn man lieber will, semi-
tischer Ausländer ruht, welche hier den Journalismus handwerksmäßig
betreiben und ausnützen. Ganz abgesehen davon daß ihr jene solide Gründ-
lichkeit und Gediegenheit mangelt*) welche die deutsche Presse in so hohem
Grad auszeichnet, hat sie durch ihr Herbeiziehen und Verunglimpfen des
Persönlichen die Achtung selbst der Gebildeten eingebüßt, und natürlich
den desto größern Haß aller Feinde der Preßfreiheit geerntet. Solche Ver-
hältnisse bringen die Presse begreiflicherweise mitunter in eine recht fatale
Lage. Wie komisch klingt z. B. der sonst berechtigte Vorwurf daß Prof.
Schäffle als Ausländer kaum befähigt sein dürfte als österreichischer Han-
delsminister zu fungiren, in den Spalten eines Blattes dessen Leiter, eben-
falls Ausländer, sich dennoch berufen fühlen dem österreichischen Volke den
rechten Weg zur Glückseligkeit zu weisen. Einen Schleier wollen wir werfen
auf die so zu sagen sprichwörtlich gewordene Käuflichkeit unserer Journale
in politischen wie in andern Dingen. Diesen härtesten aller Vorwürfe
wird wohl kaum irgendjemand zu erweisen im Stande sein, allein dieß ist
auch gar nicht nöthig; es genügt daß derlei Gerüchte circuliren und allge-
mein geglaubt werden, um darzuthun was das Publicum von der österrei-
chischen Presse und ihrem moralischen Werthe hält, wessen es sich von ihr
versieht. Wer wagt es irgendeinem deutschen Blatt ähnliches nachzureden?

Diese Abschweifung war nicht ganz überflüssig um die Gleichgültig-
keit unserer bessern Kreise gegen die androhenden Gefahren zu erklären.
Man hat die Blätter so oft ihre Ansichten ändern sehen, daß man von
ihrem Urtheile nur wenig mehr berührt wird. Die liberale Aera des Bür-
gerministeriums ward von den Leiborganen der HH. Giskra-Herbst mit
vollen Backen gepriesen, und die Völker Oesterreichs sahen sich jämmerlich
enttäuscht. Die mit allen antiken Tugenden geschmückten Männer
schrumpften, als sie mehr leisten sollten denn Phrasendrechseln, zu fratzen-
haften Zwergen zusammen, welche den Staat in größerer Verwirrung
zurückließen als sie ihn ausgeliefert erhielten, und so recht eigentlich die
Suppe einkochten welche wir nunmehr ausessen sollen. Das Publicum
hat dieß alles nicht vergessen. Damals getäuscht, wo es so viele schöne
Hoffnungen nährte, glaubt es heute den Schwarzsehern -- vielleicht dießmal
mit Unrecht -- nicht mehr. Jmmerhin wird also von künftigen Hiftorikern
der österreichischen Presse die Anklage nicht erspart bleiben mitgearbeitet
zu haben an der moralischen Apathie in welcher unser Volk befangen ist,
d. h. mehr geschadet als genützt zu haben. Jn diesem Sinn ist auch das
zweite was bisher vom neuen Ministerium bekannt geworden, nämlich
eine Auslassung des Grafen Hohenwart über die Presse, von billig Den-
kenden nicht zu tadeln, denn er hat leider vollständig Recht wenn er die
"ungerechtfertigte Einflußnahme" der Presse rügt. Daß die Zeitungen die
Aeußerung sehr übel vermerken ist begreiflich; das Publicum wird nur
wenig dagegen einwenden, wenn es ihm gelingt in diesem heikeln Fall das
richtige Maß zu treffen.

Der Wiener sieht also den Ereignissen, wie gewöhnlich, sehr indiffe-
rent entgegen; er begrüßt die neuen Minister durchaus nicht mit Sym-
pathie, um so mehr als die tschechischen Namen des Justiz- und Cultus-
ministers keine liebliche Musik in seinen Ohren sind; er bedauert aber
ebenso wenig die abgetretenen, und am allerwenigsten wünscht er sich die
Reichsrathsclique zurück. Ein hiesiges Blatt, dem wir sonst ob seines
wüthenden, uns unanständig dünkenden Preußenhasses gern aus dem Wege
gehen, hat in diesem Falle den Nagel sehr richtig auf den Kopf getroffen,
indem es aussprach wie an dem Umstande kein parlamentarisches Ministe-
[Spaltenumbruch] rium zu Stande bringen zu können das österreichische Volk lediglich selbst
Schuld sei, das jene pitoyablen Gestalten gewählt habe die bei uns zu
Hause Reichsrath benannt werden. In der That, ein Parlament das mehr
als dieses den Namen eines Parlaments der politischen Unfähigkeit ver-
diente, läßt sich schwerlich ausfindig machen, und in jedem lebt die innige
Ueberzeugung daß die Hohenwart-Jiretschek-Habietinek an politischer Be-
fähigung keinesfalls jenen Männern nachstehen welche uns etwa der Reichs-
rath gespendet hätte.

Es erübrigt nunmehr noch die Tendenz des neuen Cabinets ins Auge
zu fassen. Täuschen wir in keiner Weise. Es gilt abermals ein neues
Experiment
zu machen. Oft haben wir freilich gehört: am österreichischen
Staatskörper sei schon genug experimentirt worden; wir stimmen dem bei;
was aber soll man jenen antworten die mit nicht geringerem Recht darauf
hinweisen daß es so wie bisher nicht weiter gehen könne? Da vermittle
wer kann! Vom Einheitsstaat des Bach'schen Absolutismus, der, wie nun-
mehr manche Stimme klagend behauptet, die schlechteste Phase unseres
Staatslebens nicht war, sind wir durch den Scheinliberalismus des Hrn.
v. Schmerling zum liberalen Dualismus gelangt; jetzt stehen wir vor dem
Föderalismus, was ich Jhnen übrigens zur Zeit der berühmten Majori-
täts- und Minoritätsvota des Bürgerministeriums als unumgänglich
nothwendige Folge vorherzusagen mir erlaubte. Jn kaum einem Jahr
sind wir an diesem Punkt angelangt. Es ist noch ein letzter Zug, ehe wir
matt gesetzt werden. Man muß ihn machen, ob man will, oder nicht. Ob
er gelingen wird, wer vermöchte dieß zu bejahen? Andererseits hat der
Liberalismus in Oesterreich ein glänzendes Fiasco gemacht; was seit 1860
geschehen, konnte nur Wasser auf die Mühle jener Reactionäre sein welche
da behaupten Oesterreich sei nicht reif für freiheitliche Jdeen. Jn der That
haben dieselben im Volke nicht den geringsten Boden gefunden, weil das
Volk die politische Freiheit wenig oder gar nicht schätzt, und jedenfalls nur
dann wenn gleichzeitig eine Erleichterung in seinen materiellen Lasten ein-
tritt. Dieß war aber nicht der Fall. Liberal oder nicht, jedes Ministerium
hat die Lasten nur vermehrt; den untern Volksschichten ist es völlig gleich-
gültig wer die Steuern erhöht. Von dieser Seite wird also das Ministe-
rium Hohenwart, sollte es Reactionsgelüste verspüren, keinen Widerstand
erfahren.

Die höheren Kreise Deutsch-Oesterreichs haben zumeist, wenn auch in
öffentlichen Blättern die Sache hartnäckig in Abrede gestellt wird, "Actien
auf den Untergang Oesterreichs" genommen, wie sich ein hiesiger Finanz-
mann ausdrückte. Sie sehen ein daß es in der Monarchie nur noch cen-
trifugale Tendenzen gebe. Damit ist das Geschick des Staates besiegelt;
seine endliche Auflösung ist nur eine Frage der Zeit. Jst man unter sich,
so bespricht man dieses Thema als etwas ganz selbstverständliches, und
interessirt sich höchstens noch für die seinerzeitige Lage unserer transleitha-
nischen Nachbarn. Das rollende Rad der Zeit läßt sich kaum aufhalten,
was da im Jnnern auch kommen möge; darüber sind sich seit Sedan so-
gar jene klar geworden welche Oesterreich gern an der Seite Frankreichs
gesehen hätten, und dieß war -- verlassen Sie sich darauf -- die immense
Mehrheit. Also auch hier hat die Gleichgültigkeit ihre Begründung.

Wie sich die verschiedenen nichtdeutschen Nationalitäten zu dem Mi-
nisterium Hohenwart verhalten werden, steht abzuwarten. Die Tschechen
haben erklärt: sie würden dasselbe nach seinen Thaten beurtheilen und
darnach Stellung nehmen; die Ungarn sind den neuen Männern nicht
grün, doch fällt es ihnen nicht bei sich unsertwegen auch nur ein graues
Härchen wachsen zu lassen. Dieß in Kürze die Lage. Sang- und klang-
los ist das Cabinet aufgetreten, ein Gesprächsstoff willkommen für jeden,
weil unerwartet und neu, im Grunde genommen aber jedem völlig gleich-
gültig. Niemals vielleicht hat ein Volk einer bedeutungsvollen Wendung
seiner Geschicke mit gleichgültigerem Auge beigewohnt. An der Börse nahm
man von den überraschenden Ernennungen der "Wiener Zeitung" gar
keine Notiz.
Sapienti sat!


Die Häufigkeit und Zähigkeit der österreichi-
schen Ministerkrisen deutet auf ein tiefes in unserem Staatsleben eingeniste-
tes Uebel. Die innere Politik gestaltet sich dadurch wesentlich experimen-
tativ, und nur eine verschränkte unleidliche Lage kann davon die Ursache
sein. So gewiß es nun ist daß die widerstrebenden staatsrechtlichen und
nationalen Ansprüche verschiedenster Art die vorzüglichste Quelle unserer
innern Krisen bilden, so läßt sich doch andrerseits nicht verkennen daß auch
andere Elemente und Factoren ganz außerordentlich dazu beitragen die-
selben mannichfach zu verschärfen. Wir leiden an einer Zerklüftung des
Parteilebens wie kaum ein anderes Land Europa's. Alle diese verschie-
denen Bestrebungen in einer ausgleichenden Formel zusammenzufassen und
demgemäß ein sogenanntes Coalitions-Ministerium zu bilden, ist bei uns
geradezu undenkbar. Das deutsche wie das slavische Element werden
derzeit von heißblütigen Ultras bearbeitet und haben leider das öster-

*) Die "Neue Freie Presse" von gestern citirte z. B.: "Victrix causa Diis pla-
cuit, sed victa Platoni."
Und damit es ja nicht für einen Druckfehler gelte,
fährt sie fort: "Solcher Plato zählt Oesterreich heute in nicht unansehnlicher
Zahl, und ein Stück dieser Abart platouischer Liebe verk ärt u. s. w." D. E.

[Spaltenumbruch] wart reactionären Tendenzen huldige — was ſehr wahrſcheinlich ſeine volle
Richtigkeit hat — ſo empfand doch das große Publicum beim Leſen der
unſerer Zunge wenig geläufigen tſchechiſchen Namen zweier Miniſter nur
eine ganz abſonderliche Heiterkeit, und gegen das geſammte Cabinet, mit
allem was daran hängt, jetzt und in Zukunft, eine unglaubliche Gleich-
gültigkeit. Kein Denkender kann ſich einer Jlluſion darüber hingeben daß
wir in ein neues Fahrwaſſer einlenken, und doch kümmert ſich eigentlich
niemand darum.

Zweifelsohne wird es nicht an geſchäftigen Federn fehlen welche mich
der Uebertreibung und des Peſſimismus zeihen werden; es iſt jedoch hier
am Platz einzuſchalten welch klaffender Zwieſpalt bei uns zwiſchen dem
Publicum und ſeinen ſogenannten öffentlichen Anwälten, den Journalen,
beſteht. Nur in den allerſeltenſten Fällen drückt bei uns die Journaliſtik die
öffentliche Meinung aus; viel öfter hört man das Publicum an den ein-
zelnen Blättern ſein „Räſonnirtalent“ üben (eine Thatſache welche natür-
lich dieſe ängſtlich verſchweigen), und ſelbſt gebildete Leute entblöden ſich
nicht von unſern „Zeitungsjuden“ in wenig ehrerbietiger Weiſe zu ſprechen.
Geläugnet kann nicht werden daß die öſterreichiſche Preſſe ſich zunächſt in
den Händen ausländiſcher Semiten oder, wenn man lieber will, ſemi-
tiſcher Ausländer ruht, welche hier den Journalismus handwerksmäßig
betreiben und ausnützen. Ganz abgeſehen davon daß ihr jene ſolide Gründ-
lichkeit und Gediegenheit mangelt*) welche die deutſche Preſſe in ſo hohem
Grad auszeichnet, hat ſie durch ihr Herbeiziehen und Verunglimpfen des
Perſönlichen die Achtung ſelbſt der Gebildeten eingebüßt, und natürlich
den deſto größern Haß aller Feinde der Preßfreiheit geerntet. Solche Ver-
hältniſſe bringen die Preſſe begreiflicherweiſe mitunter in eine recht fatale
Lage. Wie komiſch klingt z. B. der ſonſt berechtigte Vorwurf daß Prof.
Schäffle als Ausländer kaum befähigt ſein dürfte als öſterreichiſcher Han-
delsminiſter zu fungiren, in den Spalten eines Blattes deſſen Leiter, eben-
falls Ausländer, ſich dennoch berufen fühlen dem öſterreichiſchen Volke den
rechten Weg zur Glückſeligkeit zu weiſen. Einen Schleier wollen wir werfen
auf die ſo zu ſagen ſprichwörtlich gewordene Käuflichkeit unſerer Journale
in politiſchen wie in andern Dingen. Dieſen härteſten aller Vorwürfe
wird wohl kaum irgendjemand zu erweiſen im Stande ſein, allein dieß iſt
auch gar nicht nöthig; es genügt daß derlei Gerüchte circuliren und allge-
mein geglaubt werden, um darzuthun was das Publicum von der öſterrei-
chiſchen Preſſe und ihrem moraliſchen Werthe hält, weſſen es ſich von ihr
verſieht. Wer wagt es irgendeinem deutſchen Blatt ähnliches nachzureden?

Dieſe Abſchweifung war nicht ganz überflüſſig um die Gleichgültig-
keit unſerer beſſern Kreiſe gegen die androhenden Gefahren zu erklären.
Man hat die Blätter ſo oft ihre Anſichten ändern ſehen, daß man von
ihrem Urtheile nur wenig mehr berührt wird. Die liberale Aera des Bür-
germiniſteriums ward von den Leiborganen der HH. Giskra-Herbſt mit
vollen Backen geprieſen, und die Völker Oeſterreichs ſahen ſich jämmerlich
enttäuſcht. Die mit allen antiken Tugenden geſchmückten Männer
ſchrumpften, als ſie mehr leiſten ſollten denn Phraſendrechſeln, zu fratzen-
haften Zwergen zuſammen, welche den Staat in größerer Verwirrung
zurückließen als ſie ihn ausgeliefert erhielten, und ſo recht eigentlich die
Suppe einkochten welche wir nunmehr auseſſen ſollen. Das Publicum
hat dieß alles nicht vergeſſen. Damals getäuſcht, wo es ſo viele ſchöne
Hoffnungen nährte, glaubt es heute den Schwarzſehern — vielleicht dießmal
mit Unrecht — nicht mehr. Jmmerhin wird alſo von künftigen Hiftorikern
der öſterreichiſchen Preſſe die Anklage nicht erſpart bleiben mitgearbeitet
zu haben an der moraliſchen Apathie in welcher unſer Volk befangen iſt,
d. h. mehr geſchadet als genützt zu haben. Jn dieſem Sinn iſt auch das
zweite was bisher vom neuen Miniſterium bekannt geworden, nämlich
eine Auslaſſung des Grafen Hohenwart über die Preſſe, von billig Den-
kenden nicht zu tadeln, denn er hat leider vollſtändig Recht wenn er die
„ungerechtfertigte Einflußnahme“ der Preſſe rügt. Daß die Zeitungen die
Aeußerung ſehr übel vermerken iſt begreiflich; das Publicum wird nur
wenig dagegen einwenden, wenn es ihm gelingt in dieſem heikeln Fall das
richtige Maß zu treffen.

Der Wiener ſieht alſo den Ereigniſſen, wie gewöhnlich, ſehr indiffe-
rent entgegen; er begrüßt die neuen Miniſter durchaus nicht mit Sym-
pathie, um ſo mehr als die tſchechiſchen Namen des Juſtiz- und Cultus-
miniſters keine liebliche Muſik in ſeinen Ohren ſind; er bedauert aber
ebenſo wenig die abgetretenen, und am allerwenigſten wünſcht er ſich die
Reichsrathsclique zurück. Ein hieſiges Blatt, dem wir ſonſt ob ſeines
wüthenden, uns unanſtändig dünkenden Preußenhaſſes gern aus dem Wege
gehen, hat in dieſem Falle den Nagel ſehr richtig auf den Kopf getroffen,
indem es ausſprach wie an dem Umſtande kein parlamentariſches Miniſte-
[Spaltenumbruch] rium zu Stande bringen zu können das öſterreichiſche Volk lediglich ſelbſt
Schuld ſei, das jene pitoyablen Geſtalten gewählt habe die bei uns zu
Hauſe Reichsrath benannt werden. In der That, ein Parlament das mehr
als dieſes den Namen eines Parlaments der politiſchen Unfähigkeit ver-
diente, läßt ſich ſchwerlich ausfindig machen, und in jedem lebt die innige
Ueberzeugung daß die Hohenwart-Jiretſchek-Habietinek an politiſcher Be-
fähigung keinesfalls jenen Männern nachſtehen welche uns etwa der Reichs-
rath geſpendet hätte.

Es erübrigt nunmehr noch die Tendenz des neuen Cabinets ins Auge
zu faſſen. Täuſchen wir in keiner Weiſe. Es gilt abermals ein neues
Experiment
zu machen. Oft haben wir freilich gehört: am öſterreichiſchen
Staatskörper ſei ſchon genug experimentirt worden; wir ſtimmen dem bei;
was aber ſoll man jenen antworten die mit nicht geringerem Recht darauf
hinweiſen daß es ſo wie bisher nicht weiter gehen könne? Da vermittle
wer kann! Vom Einheitsſtaat des Bach’ſchen Abſolutismus, der, wie nun-
mehr manche Stimme klagend behauptet, die ſchlechteſte Phaſe unſeres
Staatslebens nicht war, ſind wir durch den Scheinliberalismus des Hrn.
v. Schmerling zum liberalen Dualismus gelangt; jetzt ſtehen wir vor dem
Föderalismus, was ich Jhnen übrigens zur Zeit der berühmten Majori-
täts- und Minoritätsvota des Bürgerminiſteriums als unumgänglich
nothwendige Folge vorherzuſagen mir erlaubte. Jn kaum einem Jahr
ſind wir an dieſem Punkt angelangt. Es iſt noch ein letzter Zug, ehe wir
matt geſetzt werden. Man muß ihn machen, ob man will, oder nicht. Ob
er gelingen wird, wer vermöchte dieß zu bejahen? Andererſeits hat der
Liberalismus in Oeſterreich ein glänzendes Fiasco gemacht; was ſeit 1860
geſchehen, konnte nur Waſſer auf die Mühle jener Reactionäre ſein welche
da behaupten Oeſterreich ſei nicht reif für freiheitliche Jdeen. Jn der That
haben dieſelben im Volke nicht den geringſten Boden gefunden, weil das
Volk die politiſche Freiheit wenig oder gar nicht ſchätzt, und jedenfalls nur
dann wenn gleichzeitig eine Erleichterung in ſeinen materiellen Laſten ein-
tritt. Dieß war aber nicht der Fall. Liberal oder nicht, jedes Miniſterium
hat die Laſten nur vermehrt; den untern Volksſchichten iſt es völlig gleich-
gültig wer die Steuern erhöht. Von dieſer Seite wird alſo das Miniſte-
rium Hohenwart, ſollte es Reactionsgelüſte verſpüren, keinen Widerſtand
erfahren.

Die höheren Kreiſe Deutſch-Oeſterreichs haben zumeiſt, wenn auch in
öffentlichen Blättern die Sache hartnäckig in Abrede geſtellt wird, „Actien
auf den Untergang Oeſterreichs“ genommen, wie ſich ein hieſiger Finanz-
mann ausdrückte. Sie ſehen ein daß es in der Monarchie nur noch cen-
trifugale Tendenzen gebe. Damit iſt das Geſchick des Staates beſiegelt;
ſeine endliche Auflöſung iſt nur eine Frage der Zeit. Jſt man unter ſich,
ſo beſpricht man dieſes Thema als etwas ganz ſelbſtverſtändliches, und
intereſſirt ſich höchſtens noch für die ſeinerzeitige Lage unſerer transleitha-
niſchen Nachbarn. Das rollende Rad der Zeit läßt ſich kaum aufhalten,
was da im Jnnern auch kommen möge; darüber ſind ſich ſeit Sedan ſo-
gar jene klar geworden welche Oeſterreich gern an der Seite Frankreichs
geſehen hätten, und dieß war — verlaſſen Sie ſich darauf — die immenſe
Mehrheit. Alſo auch hier hat die Gleichgültigkeit ihre Begründung.

Wie ſich die verſchiedenen nichtdeutſchen Nationalitäten zu dem Mi-
niſterium Hohenwart verhalten werden, ſteht abzuwarten. Die Tſchechen
haben erklärt: ſie würden dasſelbe nach ſeinen Thaten beurtheilen und
darnach Stellung nehmen; die Ungarn ſind den neuen Männern nicht
grün, doch fällt es ihnen nicht bei ſich unſertwegen auch nur ein graues
Härchen wachſen zu laſſen. Dieß in Kürze die Lage. Sang- und klang-
los iſt das Cabinet aufgetreten, ein Geſprächsſtoff willkommen für jeden,
weil unerwartet und neu, im Grunde genommen aber jedem völlig gleich-
gültig. Niemals vielleicht hat ein Volk einer bedeutungsvollen Wendung
ſeiner Geſchicke mit gleichgültigerem Auge beigewohnt. An der Börſe nahm
man von den überraſchenden Ernennungen der „Wiener Zeitung“ gar
keine Notiz.
Sapienti sat!


Die Häufigkeit und Zähigkeit der öſterreichi-
ſchen Miniſterkriſen deutet auf ein tiefes in unſerem Staatsleben eingeniſte-
tes Uebel. Die innere Politik geſtaltet ſich dadurch weſentlich experimen-
tativ, und nur eine verſchränkte unleidliche Lage kann davon die Urſache
ſein. So gewiß es nun iſt daß die widerſtrebenden ſtaatsrechtlichen und
nationalen Anſprüche verſchiedenſter Art die vorzüglichſte Quelle unſerer
innern Kriſen bilden, ſo läßt ſich doch andrerſeits nicht verkennen daß auch
andere Elemente und Factoren ganz außerordentlich dazu beitragen die-
ſelben mannichfach zu verſchärfen. Wir leiden an einer Zerklüftung des
Parteilebens wie kaum ein anderes Land Europa’s. Alle dieſe verſchie-
denen Beſtrebungen in einer ausgleichenden Formel zuſammenzufaſſen und
demgemäß ein ſogenanntes Coalitions-Miniſterium zu bilden, iſt bei uns
geradezu undenkbar. Das deutſche wie das ſlaviſche Element werden
derzeit von heißblütigen Ultras bearbeitet und haben leider das öſter-

*) Die „Neue Freie Preſſe“ von geſtern citirte z. B.: „Victrix causa Diis pla-
cuit, sed victa Platoni.“
Und damit es ja nicht für einen Druckfehler gelte,
fährt ſie fort: „Solcher Plato zählt Oeſterreich heute in nicht unanſehnlicher
Zahl, und ein Stück dieſer Abart platouiſcher Liebe verk ärt u. ſ. w.“ D. E.
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[742/0002] wart reactionären Tendenzen huldige — was ſehr wahrſcheinlich ſeine volle Richtigkeit hat — ſo empfand doch das große Publicum beim Leſen der unſerer Zunge wenig geläufigen tſchechiſchen Namen zweier Miniſter nur eine ganz abſonderliche Heiterkeit, und gegen das geſammte Cabinet, mit allem was daran hängt, jetzt und in Zukunft, eine unglaubliche Gleich- gültigkeit. Kein Denkender kann ſich einer Jlluſion darüber hingeben daß wir in ein neues Fahrwaſſer einlenken, und doch kümmert ſich eigentlich niemand darum. Zweifelsohne wird es nicht an geſchäftigen Federn fehlen welche mich der Uebertreibung und des Peſſimismus zeihen werden; es iſt jedoch hier am Platz einzuſchalten welch klaffender Zwieſpalt bei uns zwiſchen dem Publicum und ſeinen ſogenannten öffentlichen Anwälten, den Journalen, beſteht. Nur in den allerſeltenſten Fällen drückt bei uns die Journaliſtik die öffentliche Meinung aus; viel öfter hört man das Publicum an den ein- zelnen Blättern ſein „Räſonnirtalent“ üben (eine Thatſache welche natür- lich dieſe ängſtlich verſchweigen), und ſelbſt gebildete Leute entblöden ſich nicht von unſern „Zeitungsjuden“ in wenig ehrerbietiger Weiſe zu ſprechen. Geläugnet kann nicht werden daß die öſterreichiſche Preſſe ſich zunächſt in den Händen ausländiſcher Semiten oder, wenn man lieber will, ſemi- tiſcher Ausländer ruht, welche hier den Journalismus handwerksmäßig betreiben und ausnützen. Ganz abgeſehen davon daß ihr jene ſolide Gründ- lichkeit und Gediegenheit mangelt *) welche die deutſche Preſſe in ſo hohem Grad auszeichnet, hat ſie durch ihr Herbeiziehen und Verunglimpfen des Perſönlichen die Achtung ſelbſt der Gebildeten eingebüßt, und natürlich den deſto größern Haß aller Feinde der Preßfreiheit geerntet. Solche Ver- hältniſſe bringen die Preſſe begreiflicherweiſe mitunter in eine recht fatale Lage. Wie komiſch klingt z. B. der ſonſt berechtigte Vorwurf daß Prof. Schäffle als Ausländer kaum befähigt ſein dürfte als öſterreichiſcher Han- delsminiſter zu fungiren, in den Spalten eines Blattes deſſen Leiter, eben- falls Ausländer, ſich dennoch berufen fühlen dem öſterreichiſchen Volke den rechten Weg zur Glückſeligkeit zu weiſen. Einen Schleier wollen wir werfen auf die ſo zu ſagen ſprichwörtlich gewordene Käuflichkeit unſerer Journale in politiſchen wie in andern Dingen. Dieſen härteſten aller Vorwürfe wird wohl kaum irgendjemand zu erweiſen im Stande ſein, allein dieß iſt auch gar nicht nöthig; es genügt daß derlei Gerüchte circuliren und allge- mein geglaubt werden, um darzuthun was das Publicum von der öſterrei- chiſchen Preſſe und ihrem moraliſchen Werthe hält, weſſen es ſich von ihr verſieht. Wer wagt es irgendeinem deutſchen Blatt ähnliches nachzureden? Dieſe Abſchweifung war nicht ganz überflüſſig um die Gleichgültig- keit unſerer beſſern Kreiſe gegen die androhenden Gefahren zu erklären. Man hat die Blätter ſo oft ihre Anſichten ändern ſehen, daß man von ihrem Urtheile nur wenig mehr berührt wird. Die liberale Aera des Bür- germiniſteriums ward von den Leiborganen der HH. Giskra-Herbſt mit vollen Backen geprieſen, und die Völker Oeſterreichs ſahen ſich jämmerlich enttäuſcht. Die mit allen antiken Tugenden geſchmückten Männer ſchrumpften, als ſie mehr leiſten ſollten denn Phraſendrechſeln, zu fratzen- haften Zwergen zuſammen, welche den Staat in größerer Verwirrung zurückließen als ſie ihn ausgeliefert erhielten, und ſo recht eigentlich die Suppe einkochten welche wir nunmehr auseſſen ſollen. Das Publicum hat dieß alles nicht vergeſſen. Damals getäuſcht, wo es ſo viele ſchöne Hoffnungen nährte, glaubt es heute den Schwarzſehern — vielleicht dießmal mit Unrecht — nicht mehr. Jmmerhin wird alſo von künftigen Hiftorikern der öſterreichiſchen Preſſe die Anklage nicht erſpart bleiben mitgearbeitet zu haben an der moraliſchen Apathie in welcher unſer Volk befangen iſt, d. h. mehr geſchadet als genützt zu haben. Jn dieſem Sinn iſt auch das zweite was bisher vom neuen Miniſterium bekannt geworden, nämlich eine Auslaſſung des Grafen Hohenwart über die Preſſe, von billig Den- kenden nicht zu tadeln, denn er hat leider vollſtändig Recht wenn er die „ungerechtfertigte Einflußnahme“ der Preſſe rügt. Daß die Zeitungen die Aeußerung ſehr übel vermerken iſt begreiflich; das Publicum wird nur wenig dagegen einwenden, wenn es ihm gelingt in dieſem heikeln Fall das richtige Maß zu treffen. Der Wiener ſieht alſo den Ereigniſſen, wie gewöhnlich, ſehr indiffe- rent entgegen; er begrüßt die neuen Miniſter durchaus nicht mit Sym- pathie, um ſo mehr als die tſchechiſchen Namen des Juſtiz- und Cultus- miniſters keine liebliche Muſik in ſeinen Ohren ſind; er bedauert aber ebenſo wenig die abgetretenen, und am allerwenigſten wünſcht er ſich die Reichsrathsclique zurück. Ein hieſiges Blatt, dem wir ſonſt ob ſeines wüthenden, uns unanſtändig dünkenden Preußenhaſſes gern aus dem Wege gehen, hat in dieſem Falle den Nagel ſehr richtig auf den Kopf getroffen, indem es ausſprach wie an dem Umſtande kein parlamentariſches Miniſte- rium zu Stande bringen zu können das öſterreichiſche Volk lediglich ſelbſt Schuld ſei, das jene pitoyablen Geſtalten gewählt habe die bei uns zu Hauſe Reichsrath benannt werden. 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Schmerling zum liberalen Dualismus gelangt; jetzt ſtehen wir vor dem Föderalismus, was ich Jhnen übrigens zur Zeit der berühmten Majori- täts- und Minoritätsvota des Bürgerminiſteriums als unumgänglich nothwendige Folge vorherzuſagen mir erlaubte. Jn kaum einem Jahr ſind wir an dieſem Punkt angelangt. Es iſt noch ein letzter Zug, ehe wir matt geſetzt werden. Man muß ihn machen, ob man will, oder nicht. Ob er gelingen wird, wer vermöchte dieß zu bejahen? Andererſeits hat der Liberalismus in Oeſterreich ein glänzendes Fiasco gemacht; was ſeit 1860 geſchehen, konnte nur Waſſer auf die Mühle jener Reactionäre ſein welche da behaupten Oeſterreich ſei nicht reif für freiheitliche Jdeen. Jn der That haben dieſelben im Volke nicht den geringſten Boden gefunden, weil das Volk die politiſche Freiheit wenig oder gar nicht ſchätzt, und jedenfalls nur dann wenn gleichzeitig eine Erleichterung in ſeinen materiellen Laſten ein- tritt. Dieß war aber nicht der Fall. Liberal oder nicht, jedes Miniſterium hat die Laſten nur vermehrt; den untern Volksſchichten iſt es völlig gleich- gültig wer die Steuern erhöht. Von dieſer Seite wird alſo das Miniſte- rium Hohenwart, ſollte es Reactionsgelüſte verſpüren, keinen Widerſtand erfahren. Die höheren Kreiſe Deutſch-Oeſterreichs haben zumeiſt, wenn auch in öffentlichen Blättern die Sache hartnäckig in Abrede geſtellt wird, „Actien auf den Untergang Oeſterreichs“ genommen, wie ſich ein hieſiger Finanz- mann ausdrückte. Sie ſehen ein daß es in der Monarchie nur noch cen- trifugale Tendenzen gebe. Damit iſt das Geſchick des Staates beſiegelt; ſeine endliche Auflöſung iſt nur eine Frage der Zeit. Jſt man unter ſich, ſo beſpricht man dieſes Thema als etwas ganz ſelbſtverſtändliches, und intereſſirt ſich höchſtens noch für die ſeinerzeitige Lage unſerer transleitha- niſchen Nachbarn. Das rollende Rad der Zeit läßt ſich kaum aufhalten, was da im Jnnern auch kommen möge; darüber ſind ſich ſeit Sedan ſo- gar jene klar geworden welche Oeſterreich gern an der Seite Frankreichs geſehen hätten, und dieß war — verlaſſen Sie ſich darauf — die immenſe Mehrheit. Alſo auch hier hat die Gleichgültigkeit ihre Begründung. Wie ſich die verſchiedenen nichtdeutſchen Nationalitäten zu dem Mi- niſterium Hohenwart verhalten werden, ſteht abzuwarten. Die Tſchechen haben erklärt: ſie würden dasſelbe nach ſeinen Thaten beurtheilen und darnach Stellung nehmen; die Ungarn ſind den neuen Männern nicht grün, doch fällt es ihnen nicht bei ſich unſertwegen auch nur ein graues Härchen wachſen zu laſſen. Dieß in Kürze die Lage. Sang- und klang- los iſt das Cabinet aufgetreten, ein Geſprächsſtoff willkommen für jeden, weil unerwartet und neu, im Grunde genommen aber jedem völlig gleich- gültig. Niemals vielleicht hat ein Volk einer bedeutungsvollen Wendung ſeiner Geſchicke mit gleichgültigerem Auge beigewohnt. An der Börſe nahm man von den überraſchenden Ernennungen der „Wiener Zeitung“ gar keine Notiz. Sapienti sat! †* Wien, 10 Febr. Die Häufigkeit und Zähigkeit der öſterreichi- ſchen Miniſterkriſen deutet auf ein tiefes in unſerem Staatsleben eingeniſte- tes Uebel. Die innere Politik geſtaltet ſich dadurch weſentlich experimen- tativ, und nur eine verſchränkte unleidliche Lage kann davon die Urſache ſein. So gewiß es nun iſt daß die widerſtrebenden ſtaatsrechtlichen und nationalen Anſprüche verſchiedenſter Art die vorzüglichſte Quelle unſerer innern Kriſen bilden, ſo läßt ſich doch andrerſeits nicht verkennen daß auch andere Elemente und Factoren ganz außerordentlich dazu beitragen die- ſelben mannichfach zu verſchärfen. Wir leiden an einer Zerklüftung des Parteilebens wie kaum ein anderes Land Europa’s. Alle dieſe verſchie- denen Beſtrebungen in einer ausgleichenden Formel zuſammenzufaſſen und demgemäß ein ſogenanntes Coalitions-Miniſterium zu bilden, iſt bei uns geradezu undenkbar. Das deutſche wie das ſlaviſche Element werden derzeit von heißblütigen Ultras bearbeitet und haben leider das öſter- *) Die „Neue Freie Preſſe“ von geſtern citirte z. B.: „Victrix causa Diis pla- cuit, sed victa Platoni.“ Und damit es ja nicht für einen Druckfehler gelte, fährt ſie fort: „Solcher Plato zählt Oeſterreich heute in nicht unanſehnlicher Zahl, und ein Stück dieſer Abart platouiſcher Liebe verk ärt u. ſ. w.“ D. E.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 14. Februar 1871, S. 742. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine45_1871/2>, abgerufen am 03.12.2024.