Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 7. November 1914.7. November 1914. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
die Hjördis hätte wohl jedermann in unserem PersonalFrl. Berndl ausgesucht. Diese gab aber die sanfte Dagny, um als solche die kleinere und unbedeutendere Hjördis des Frl. Lena um einen halben Kopf zu überschauen: eine ver- fehlte Besetzung schon nach den Aeußerlichkeiten. Frl. Lena war, wie schon früher einmal als Sappho, im ruhigen Fluß der Rede am besten und verständlichsten. Im gesteigerten Affekt wird die kleine, auf die gewöhnliche Konversation an- gelegte Stimme leicht kreischend, die Bewegungen eckig und fahrig. Darüber helfen leider weder ein entschiedenes Talent noch gewiß nicht abzuleugnende Bühnenintelligenz hinweg. Den jungen Thorolf würde wohl Herr v. Jacobi am besten gegeben haben. Er ist aber das erste Opfer des Krieges aus unserem Hoftheater-Personal geworden. Die Generalinten- danz widmete ihm -- der erste Fall in diesem Hause -- einen begeisterten Nachruf, den ich hier um so lieber zitiere, als ich Herrn v. Jacobi zwar stets für ein großes Talent und für eine glückliche Akquisition unseres Hofschauspiels gehalten habe, nicht aber die fast tendenziöse Begeisterung unserer Modernen für alles, was er spielte, teilen konnte. In die- sem traurigen Falle aber kann die Kritik gern auf ihr Wort verzichten und es der um einen ihren Besten trauernden Lei- tung unserer Hofbühne überlassen: "Bernhard von Jacobi Zum letztenmal konnte man Herrn v. Jacobi noch kaum Zu Grillparzers 100 jährigem Geburtstage ließ Dr. Max 7. November 1914. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
die Hjördis hätte wohl jedermann in unſerem PerſonalFrl. Berndl ausgeſucht. Dieſe gab aber die ſanfte Dagny, um als ſolche die kleinere und unbedeutendere Hjördis des Frl. Lena um einen halben Kopf zu überſchauen: eine ver- fehlte Beſetzung ſchon nach den Aeußerlichkeiten. Frl. Lena war, wie ſchon früher einmal als Sappho, im ruhigen Fluß der Rede am beſten und verſtändlichſten. Im geſteigerten Affekt wird die kleine, auf die gewöhnliche Konverſation an- gelegte Stimme leicht kreiſchend, die Bewegungen eckig und fahrig. Darüber helfen leider weder ein entſchiedenes Talent noch gewiß nicht abzuleugnende Bühnenintelligenz hinweg. Den jungen Thorolf würde wohl Herr v. Jacobi am beſten gegeben haben. Er iſt aber das erſte Opfer des Krieges aus unſerem Hoftheater-Perſonal geworden. Die Generalinten- danz widmete ihm — der erſte Fall in dieſem Hauſe — einen begeiſterten Nachruf, den ich hier um ſo lieber zitiere, als ich Herrn v. Jacobi zwar ſtets für ein großes Talent und für eine glückliche Akquiſition unſeres Hofſchauſpiels gehalten habe, nicht aber die faſt tendenziöſe Begeiſterung unſerer Modernen für alles, was er ſpielte, teilen konnte. In die- ſem traurigen Falle aber kann die Kritik gern auf ihr Wort verzichten und es der um einen ihren Beſten trauernden Lei- tung unſerer Hofbühne überlaſſen: „Bernhard von Jacobi Zum letztenmal konnte man Herrn v. Jacobi noch kaum Zu Grillparzers 100 jährigem Geburtstage ließ Dr. Max <TEI> <text> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0011" n="655"/><fw place="top" type="header">7. November 1914. <hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi></fw><lb/><cb/> die Hjördis hätte wohl jedermann in unſerem Perſonal<lb/> Frl. Berndl ausgeſucht. Dieſe gab aber die ſanfte Dagny,<lb/> um als ſolche die kleinere und unbedeutendere Hjördis des<lb/> Frl. Lena um einen halben Kopf zu überſchauen: eine ver-<lb/> fehlte Beſetzung ſchon nach den Aeußerlichkeiten. Frl. Lena<lb/> war, wie ſchon früher einmal als Sappho, im ruhigen Fluß<lb/> der Rede am beſten und verſtändlichſten. Im geſteigerten<lb/> Affekt wird die kleine, auf die gewöhnliche Konverſation an-<lb/> gelegte Stimme leicht kreiſchend, die Bewegungen eckig und<lb/> fahrig. Darüber helfen leider weder ein entſchiedenes Talent<lb/> noch gewiß nicht abzuleugnende Bühnenintelligenz hinweg.<lb/> Den jungen Thorolf würde wohl Herr v. Jacobi am beſten<lb/> gegeben haben. Er iſt aber das erſte Opfer des Krieges aus<lb/> unſerem Hoftheater-Perſonal geworden. Die Generalinten-<lb/> danz widmete ihm — der erſte Fall in dieſem Hauſe — einen<lb/> begeiſterten Nachruf, den ich hier um ſo lieber zitiere, als ich<lb/> Herrn v. Jacobi zwar ſtets für ein großes Talent und für<lb/> eine glückliche Akquiſition unſeres Hofſchauſpiels gehalten<lb/> habe, nicht aber die faſt tendenziöſe Begeiſterung unſerer<lb/> Modernen für <hi rendition="#g">alles</hi>, was er ſpielte, teilen konnte. In die-<lb/> ſem traurigen Falle aber kann die Kritik gern auf ihr Wort<lb/> verzichten und es der um einen ihren Beſten trauernden Lei-<lb/> tung unſerer Hofbühne überlaſſen: <cit><quote>„Bernhard von Jacobi<lb/> iſt auf dem Schlachtfeld in Nordfrankreich als ein Held ge-<lb/> fallen. Er war inmitten der bunten, vielgliedrigen Welt des<lb/> Theaters eine Geſtalt von ſtarken, weithin ſichtbarer Eigen-<lb/> art. Das Auszeichnende dieſer Eigenart beſtand vor allem<lb/> darin, daß zwei oftmals unverträgliche Eigenſchaften — ſchar-<lb/> fer Verſtand und glühende Empfindung — zur ſchönſten<lb/> Wechſelwirkung ſich vereinigten. Eine ungemein klare und<lb/> regſame Intelligenz, der eine umfaſſende Bildung ſtets neue<lb/> Nahrung gab, ermöglichte ihm, bedeutſame künſtleriſche Auf-<lb/> gaben ſehr mannigfaltiger Art ſich ſelbſt und anderen bis in<lb/> die feinſten Veräſtelungen durchſichtig zu machen. Zugleich<lb/> ſicherte das ſtets wachſame Gehirn ſeinem ſtürmiſchen Tem-<lb/> perament jene Mäßigung und innere Gehaltenheit, ohne die<lb/> gerade die Schauſpielkunſt ſo leicht ins Rohe und Zügelloſe<lb/> abirrt. Das feurige Gefühl wiederum gab ſeinem Verſtande<lb/> Flügel und verhinderte, daß er je zu einem froſtigen Hemm-<lb/> nis des produktiven Anſturms werden konnte. Die kühn zu-<lb/> packende, ſchwungvolle Jugendlichkeit war es ſogar, die den<lb/> meiſten Geſtalten Bernhard von Jacobi’s das charakteriſtiſche<lb/> Gepräge gab. Sein ſchöner, ſchlanker und geſchmeidiger<lb/> Körper war dabei gleichſam das koſtbare Inſtrument, das<lb/> jedem Antrieb der beherrſchenden Energie willig und aus-<lb/> drucksvoll gehorchte. Der Tod des vortrefflichen Künſtlers iſt<lb/> für die Hofbühne, der er ſeit 1909 angehörte, ein harter,<lb/> ſchwer zu erſetzender Verluſt. Aber im ganzen Umkreis der<lb/> Königlichen Theater bis zum letzten Arbeiter hinab, iſt nie-<lb/> mand, der nicht zugleich, im Innerſten erſchüttert, das Schei-<lb/> den des edlen und liebenswürdigen Menſchen beklagte, von<lb/> dem ohne Uebertreibung geſagt werden darf, daß er nur<lb/> Freunde und keine Gegner hinterläßt. Das Andenken Bern-<lb/> hard von Jacobi’s wird in der Geſchichte des Münchener<lb/> Hoftheaters bewahrt bleiben, und, wenn der ruhmvolle Friede<lb/> einen neuen Aufſchwung der Künſte herbeiführt, werden wir<lb/> mit Ehrfurcht und nie verlöſchendem Danke des Tapferen<lb/> gedenken, der gleich ſo vielen anderen ſein Leben hingab, um<lb/> dieſen Weg zur Höhe für uns zu erſchließen.“</quote></cit></p><lb/> <p>Zum letztenmal konnte man Herrn v. Jacobi noch kaum<lb/> vierzehn Tage vor ſeinem Tode ſehen und hören. Schon ein-<lb/> mal verwundet vom Feld zurückgekehrt, trat er ſichtlich nicht<lb/> ganz ohne Mühe in einem der ſogenannten Vaterländiſchen<lb/> Abende auf und trug zündend einige patriotiſche Gedichte<lb/> vor. Dieſe Vaterländiſchen Abende, die gewiſſermaßen eine<lb/> Fortſetzung der vor dem Kriege im Reſidenztheater veran-<lb/> ſtalteten Sonntags-Matineen waren, haben jetzt wieder einer<lb/> neuen Einrichtung, den ſogenannten „Deutſchen Abenden“<lb/> im Hoftheater Platz gemacht. Ich vermute, ſie ſind wie jene<lb/> eine Idee des Dramaturgen Dr. Wollf und, wie es ſcheint,<lb/> keine ſolche, die einen erheblichen Erfolg verſpräche. Die<lb/> Vaterländiſchen Abende hatten noch ihre Berechtigung, in-<lb/> dem ſie mitten in den erſten ſchwankenden Kriegsereigniſſen<lb/> zur eigentlichen Theaterſaiſon hinüberleiteten. Jetzt aber<lb/> können ſie eben die Konkurrenz mit dem Theater ſelbſt nicht<lb/><cb/> recht aushalten. Die Sänger, die mit Klavierbegleitung da<lb/> ſingen, hört man weit lieber und beſſer in der Oper und die<lb/> Gedichte deklamierenden Schauſpieler lieber im Schauſpiel.<lb/> Wenn nun gar, wie mir vom erſten Deutſchen Abend, der<lb/> ſchon wieder ſehr ſchwach beſucht geweſen ſein ſoll, berichtet<lb/> wird, gerade <hi rendition="#g">der</hi> Schauſpieler Schiller’ſche Gedichte vortrug,<lb/> der wie Herr Steinrück zu ſämtlichen deutſchen Dichtern ein<lb/> ſtärkeres und inneres Verhältnis haben mag als gerade zu<lb/> Friedrich Schiller, ſo darf man ſich nicht wundern, wenn die<lb/> Anziehungskraft trotz der niedrigen Preiſe nur gering iſt.<lb/> Der Gedanke, an jedem dieſer Deutſchen Abende <hi rendition="#g">einem</hi><lb/> Dichter ausſchließlich das Programm zu widmen, iſt ja an ſich<lb/> ſehr ſchön, aber ich fürchte faſt, nach den bisherigen Erfah-<lb/> rungen, wird man keine Seide dabei ſpinnen. Niemand kann<lb/> Schiller höher ſtellen und hat ihn ſchon vor dem Kriege<lb/> höher geſtellt als der Unterzeichnete, aber um ihn richtig zu<lb/> feiern und ihn von der Bühne herabreden zu laſſen, darf man<lb/> nicht ſeine Gedichte deklamieren und ſingen laſſen, ſondern<lb/> man muß ſeine unſterblichen großen Dramen aufführen und<lb/> immer wieder aufführen.</p><lb/> <p>Zu Grillparzers 100 jährigem Geburtstage ließ Dr. Max<lb/> Georg Zimmermann im Januar 1891 in unſerer Beilage<lb/> eine Serie von Artikeln erſcheinen, welche die Antike in des<lb/> Dichters Dramen behandelten. Im Eingange derſelben heißt<lb/> es mit Recht: „Bei uns im Reich, da ſind es nur Teile, welche<lb/> die Erkenntnis in ſich tragen, daß Grillparzer nicht nur dem<lb/> öſterreichiſchen Volk angehört, daß er Gemeingut des deut-<lb/> ſchen Volkes iſt, daß er zu den größten Dichtern unſrer Nation<lb/> zählt, daß nach Goethe und Schiller keiner iſt, der neben ihm<lb/> den Anſpruch auf den erſten Platz erheben kann. Nicht iſt<lb/> er eine Geſtalt wie Schiller, nicht ſpricht er wie dieſer zum<lb/> Herzen des einfachen Volkes; wie Goethe wendet er ſich an<lb/> die Gebildeten der Nation; aber während bei Goethe das<lb/> Anſehen ſo ungeheuer gewachſen iſt, daß auch diejenigen,<lb/> welche ihn nicht kennen und verſtehen, ſich in Ehrfurcht vor<lb/> ſeinem Namen beugen, hat ſich die Größe Grillparzers zu<lb/> dieſer Stellung erſt in einem beſchränkten Teile des deut-<lb/> ſchen Vaterlandes, in ſeinem engeren Heimatſtaate, durch-<lb/> gerungen. Von den Staaten des Reiches hat zumeiſt<lb/> Bayern, mit Wien durch alte Ueberlieferung verbunden, den<lb/> Dichter geſchätzt. Das Münchener Hoftheater iſt nächſt dem<lb/> Burgtheater zu Wien dasjenige, welches des Dichters Dra-<lb/> men am häufigſten gegeben hat. ... Die letzte Arbeit, mit<lb/> der Grillparzer an die Oeffentlichkeit trat, war das Luſtſpiel:<lb/> „Weh dem, der lügt“ vom Jahre 1838. Diesmal aber blieb<lb/> der Erfolg aus, trotzdem daß das Haus in der beſten Stim-<lb/> mung für den Dichter war. Zu geiſtreich, zu fein, zu poetiſch<lb/> iſt dieſes Luſtſpiel aus der Merowingerzeit, als daß ſelbſt ein<lb/> ſo geſchultes Publikum, wie das des Burgtheaters, es bei<lb/> einer Vorſtellung hätte faſſen können. Und doch iſt es eine<lb/> Leiſtung, ebenſo bedeutend wie die großen Tragödien des<lb/> Meiſters, wenn auch der eigentliche Humor in dem Stücke<lb/> fehlt. Die Zeit auch für dieſes Stück wird noch kommen,<lb/> wenn das Publikum gelernt hat, ſich mit Liebe in des Dich-<lb/> ters Eigentümlichkeiten zu verſenken.“ — „Weh’ dem, der<lb/> lügt!“ iſt in den neunziger Jahren einigemal in unſerem<lb/> Hoftheater aufgeführt worden. Nun erſcheint die liebens-<lb/> würdige Komödie auf einmal drüben im Schauſpielhaus, was<lb/> an ſich ſchon hohe Anerkennung verdient, denn ſchon Großes<lb/> zu wollen iſt ein Verdienſt, hier um ſo mehr, als es eigent-<lb/> lich an unſerer Hofbühne geweſen wäre, dem großen Drama-<lb/> tiker gerecht zu werden, den ſie nach der Aufführung ſeines<lb/> „Bruderzwiſts in Habsburg“ allzu ſchnell hat wieder fallen<lb/> laſſen. Mit früheren Hoftheater-Aufführungen konnte ſich<lb/> nun allerdings die Aufführung im Schauſpielhauſe nicht ver-<lb/> gleichen: ſein Perſonal ſteht dem Versſtücke immer etwas<lb/> fremd gegenüber. Auch die Inſzenierung war etwas ver-<lb/> nachläſſigt worden, inſofern man ſie ins Häßliche und Derb-<lb/> komiſche übertrieb. An Uebertreibung litt auch der Galomir<lb/> des Herrn Peppler und der Kattwald des Herrn Jeſſen. Bei<lb/> der erſteren Rolle hat Grillparzer ſelbſt ſchon ganz dieſelbe<lb/> falſche Auffaſſung des erſten Darſtellers korrigiert. Gut<lb/> waren die Edrita des Frl. Nicoletti, der Leon des Herrn<lb/> Günther und der Biſchof Siegfried Raabes. Das Stück hatte<lb/> vor ziemlich ſchwach beſetztem Hauſe einen entſchiedenen Er-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [655/0011]
7. November 1914. Allgemeine Zeitung
die Hjördis hätte wohl jedermann in unſerem Perſonal
Frl. Berndl ausgeſucht. Dieſe gab aber die ſanfte Dagny,
um als ſolche die kleinere und unbedeutendere Hjördis des
Frl. Lena um einen halben Kopf zu überſchauen: eine ver-
fehlte Beſetzung ſchon nach den Aeußerlichkeiten. Frl. Lena
war, wie ſchon früher einmal als Sappho, im ruhigen Fluß
der Rede am beſten und verſtändlichſten. Im geſteigerten
Affekt wird die kleine, auf die gewöhnliche Konverſation an-
gelegte Stimme leicht kreiſchend, die Bewegungen eckig und
fahrig. Darüber helfen leider weder ein entſchiedenes Talent
noch gewiß nicht abzuleugnende Bühnenintelligenz hinweg.
Den jungen Thorolf würde wohl Herr v. Jacobi am beſten
gegeben haben. Er iſt aber das erſte Opfer des Krieges aus
unſerem Hoftheater-Perſonal geworden. Die Generalinten-
danz widmete ihm — der erſte Fall in dieſem Hauſe — einen
begeiſterten Nachruf, den ich hier um ſo lieber zitiere, als ich
Herrn v. Jacobi zwar ſtets für ein großes Talent und für
eine glückliche Akquiſition unſeres Hofſchauſpiels gehalten
habe, nicht aber die faſt tendenziöſe Begeiſterung unſerer
Modernen für alles, was er ſpielte, teilen konnte. In die-
ſem traurigen Falle aber kann die Kritik gern auf ihr Wort
verzichten und es der um einen ihren Beſten trauernden Lei-
tung unſerer Hofbühne überlaſſen: „Bernhard von Jacobi
iſt auf dem Schlachtfeld in Nordfrankreich als ein Held ge-
fallen. Er war inmitten der bunten, vielgliedrigen Welt des
Theaters eine Geſtalt von ſtarken, weithin ſichtbarer Eigen-
art. Das Auszeichnende dieſer Eigenart beſtand vor allem
darin, daß zwei oftmals unverträgliche Eigenſchaften — ſchar-
fer Verſtand und glühende Empfindung — zur ſchönſten
Wechſelwirkung ſich vereinigten. Eine ungemein klare und
regſame Intelligenz, der eine umfaſſende Bildung ſtets neue
Nahrung gab, ermöglichte ihm, bedeutſame künſtleriſche Auf-
gaben ſehr mannigfaltiger Art ſich ſelbſt und anderen bis in
die feinſten Veräſtelungen durchſichtig zu machen. Zugleich
ſicherte das ſtets wachſame Gehirn ſeinem ſtürmiſchen Tem-
perament jene Mäßigung und innere Gehaltenheit, ohne die
gerade die Schauſpielkunſt ſo leicht ins Rohe und Zügelloſe
abirrt. Das feurige Gefühl wiederum gab ſeinem Verſtande
Flügel und verhinderte, daß er je zu einem froſtigen Hemm-
nis des produktiven Anſturms werden konnte. Die kühn zu-
packende, ſchwungvolle Jugendlichkeit war es ſogar, die den
meiſten Geſtalten Bernhard von Jacobi’s das charakteriſtiſche
Gepräge gab. Sein ſchöner, ſchlanker und geſchmeidiger
Körper war dabei gleichſam das koſtbare Inſtrument, das
jedem Antrieb der beherrſchenden Energie willig und aus-
drucksvoll gehorchte. Der Tod des vortrefflichen Künſtlers iſt
für die Hofbühne, der er ſeit 1909 angehörte, ein harter,
ſchwer zu erſetzender Verluſt. Aber im ganzen Umkreis der
Königlichen Theater bis zum letzten Arbeiter hinab, iſt nie-
mand, der nicht zugleich, im Innerſten erſchüttert, das Schei-
den des edlen und liebenswürdigen Menſchen beklagte, von
dem ohne Uebertreibung geſagt werden darf, daß er nur
Freunde und keine Gegner hinterläßt. Das Andenken Bern-
hard von Jacobi’s wird in der Geſchichte des Münchener
Hoftheaters bewahrt bleiben, und, wenn der ruhmvolle Friede
einen neuen Aufſchwung der Künſte herbeiführt, werden wir
mit Ehrfurcht und nie verlöſchendem Danke des Tapferen
gedenken, der gleich ſo vielen anderen ſein Leben hingab, um
dieſen Weg zur Höhe für uns zu erſchließen.“
Zum letztenmal konnte man Herrn v. Jacobi noch kaum
vierzehn Tage vor ſeinem Tode ſehen und hören. Schon ein-
mal verwundet vom Feld zurückgekehrt, trat er ſichtlich nicht
ganz ohne Mühe in einem der ſogenannten Vaterländiſchen
Abende auf und trug zündend einige patriotiſche Gedichte
vor. Dieſe Vaterländiſchen Abende, die gewiſſermaßen eine
Fortſetzung der vor dem Kriege im Reſidenztheater veran-
ſtalteten Sonntags-Matineen waren, haben jetzt wieder einer
neuen Einrichtung, den ſogenannten „Deutſchen Abenden“
im Hoftheater Platz gemacht. Ich vermute, ſie ſind wie jene
eine Idee des Dramaturgen Dr. Wollf und, wie es ſcheint,
keine ſolche, die einen erheblichen Erfolg verſpräche. Die
Vaterländiſchen Abende hatten noch ihre Berechtigung, in-
dem ſie mitten in den erſten ſchwankenden Kriegsereigniſſen
zur eigentlichen Theaterſaiſon hinüberleiteten. Jetzt aber
können ſie eben die Konkurrenz mit dem Theater ſelbſt nicht
recht aushalten. Die Sänger, die mit Klavierbegleitung da
ſingen, hört man weit lieber und beſſer in der Oper und die
Gedichte deklamierenden Schauſpieler lieber im Schauſpiel.
Wenn nun gar, wie mir vom erſten Deutſchen Abend, der
ſchon wieder ſehr ſchwach beſucht geweſen ſein ſoll, berichtet
wird, gerade der Schauſpieler Schiller’ſche Gedichte vortrug,
der wie Herr Steinrück zu ſämtlichen deutſchen Dichtern ein
ſtärkeres und inneres Verhältnis haben mag als gerade zu
Friedrich Schiller, ſo darf man ſich nicht wundern, wenn die
Anziehungskraft trotz der niedrigen Preiſe nur gering iſt.
Der Gedanke, an jedem dieſer Deutſchen Abende einem
Dichter ausſchließlich das Programm zu widmen, iſt ja an ſich
ſehr ſchön, aber ich fürchte faſt, nach den bisherigen Erfah-
rungen, wird man keine Seide dabei ſpinnen. Niemand kann
Schiller höher ſtellen und hat ihn ſchon vor dem Kriege
höher geſtellt als der Unterzeichnete, aber um ihn richtig zu
feiern und ihn von der Bühne herabreden zu laſſen, darf man
nicht ſeine Gedichte deklamieren und ſingen laſſen, ſondern
man muß ſeine unſterblichen großen Dramen aufführen und
immer wieder aufführen.
Zu Grillparzers 100 jährigem Geburtstage ließ Dr. Max
Georg Zimmermann im Januar 1891 in unſerer Beilage
eine Serie von Artikeln erſcheinen, welche die Antike in des
Dichters Dramen behandelten. Im Eingange derſelben heißt
es mit Recht: „Bei uns im Reich, da ſind es nur Teile, welche
die Erkenntnis in ſich tragen, daß Grillparzer nicht nur dem
öſterreichiſchen Volk angehört, daß er Gemeingut des deut-
ſchen Volkes iſt, daß er zu den größten Dichtern unſrer Nation
zählt, daß nach Goethe und Schiller keiner iſt, der neben ihm
den Anſpruch auf den erſten Platz erheben kann. Nicht iſt
er eine Geſtalt wie Schiller, nicht ſpricht er wie dieſer zum
Herzen des einfachen Volkes; wie Goethe wendet er ſich an
die Gebildeten der Nation; aber während bei Goethe das
Anſehen ſo ungeheuer gewachſen iſt, daß auch diejenigen,
welche ihn nicht kennen und verſtehen, ſich in Ehrfurcht vor
ſeinem Namen beugen, hat ſich die Größe Grillparzers zu
dieſer Stellung erſt in einem beſchränkten Teile des deut-
ſchen Vaterlandes, in ſeinem engeren Heimatſtaate, durch-
gerungen. Von den Staaten des Reiches hat zumeiſt
Bayern, mit Wien durch alte Ueberlieferung verbunden, den
Dichter geſchätzt. Das Münchener Hoftheater iſt nächſt dem
Burgtheater zu Wien dasjenige, welches des Dichters Dra-
men am häufigſten gegeben hat. ... Die letzte Arbeit, mit
der Grillparzer an die Oeffentlichkeit trat, war das Luſtſpiel:
„Weh dem, der lügt“ vom Jahre 1838. Diesmal aber blieb
der Erfolg aus, trotzdem daß das Haus in der beſten Stim-
mung für den Dichter war. Zu geiſtreich, zu fein, zu poetiſch
iſt dieſes Luſtſpiel aus der Merowingerzeit, als daß ſelbſt ein
ſo geſchultes Publikum, wie das des Burgtheaters, es bei
einer Vorſtellung hätte faſſen können. Und doch iſt es eine
Leiſtung, ebenſo bedeutend wie die großen Tragödien des
Meiſters, wenn auch der eigentliche Humor in dem Stücke
fehlt. Die Zeit auch für dieſes Stück wird noch kommen,
wenn das Publikum gelernt hat, ſich mit Liebe in des Dich-
ters Eigentümlichkeiten zu verſenken.“ — „Weh’ dem, der
lügt!“ iſt in den neunziger Jahren einigemal in unſerem
Hoftheater aufgeführt worden. Nun erſcheint die liebens-
würdige Komödie auf einmal drüben im Schauſpielhaus, was
an ſich ſchon hohe Anerkennung verdient, denn ſchon Großes
zu wollen iſt ein Verdienſt, hier um ſo mehr, als es eigent-
lich an unſerer Hofbühne geweſen wäre, dem großen Drama-
tiker gerecht zu werden, den ſie nach der Aufführung ſeines
„Bruderzwiſts in Habsburg“ allzu ſchnell hat wieder fallen
laſſen. Mit früheren Hoftheater-Aufführungen konnte ſich
nun allerdings die Aufführung im Schauſpielhauſe nicht ver-
gleichen: ſein Perſonal ſteht dem Versſtücke immer etwas
fremd gegenüber. Auch die Inſzenierung war etwas ver-
nachläſſigt worden, inſofern man ſie ins Häßliche und Derb-
komiſche übertrieb. An Uebertreibung litt auch der Galomir
des Herrn Peppler und der Kattwald des Herrn Jeſſen. Bei
der erſteren Rolle hat Grillparzer ſelbſt ſchon ganz dieſelbe
falſche Auffaſſung des erſten Darſtellers korrigiert. Gut
waren die Edrita des Frl. Nicoletti, der Leon des Herrn
Günther und der Biſchof Siegfried Raabes. Das Stück hatte
vor ziemlich ſchwach beſetztem Hauſe einen entſchiedenen Er-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-04-27T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |