Allgemeine Zeitung, Nr. 76, 16. März 1848.Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Frankreich. Am 10 März Nachmittags 2 Uhr hielt die Regierungscommission Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Frankreich. Am 10 März Nachmittags 2 Uhr hielt die Regierungscommiſſion <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0017"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> <docImprint> <docDate>vom 16 März 1848.</docDate> </docImprint> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"><lb/> <p>Am 10 März Nachmittags 2 Uhr hielt die Regierungscommiſſion<lb/> für die Arbeiter wieder eine Sitzung im Saal der alten Pairskammer,<lb/> im Palaſt Lurembourg. Es war eine Verſammlung der Delegirten<lb/> der verſchiedenen Gewerke von Paris, ungefähr 250 an der Zahl. Die<lb/> vollkommenſte Ordnung herrſchte, und in ehrerbietiger Stille, nur un-<lb/> terbrochen durch Aeußerungen ſtürmiſchen Beifalls, wurde die als Bei-<lb/> trag zur Charakteriſtik der franzöſiſchen Zuſtände und als ein Muſter<lb/> populärer Beredſamkeit merkwürdige Rede des Präſidenten Louis Blanc<lb/> unterbrochen. Derſelbe ließ ſich alſo vernehmen: „Erwählte der Ar-<lb/> beit, Nepräſentanten derjenigen die produciren und die leiden, meine<lb/> Mitbürger, meine Brüder! Jndem ich euch vereinigt ſehe in dieſem<lb/> Kreis den das Privilegium zu ſeinem Heiligthum erkoren, in dieſem<lb/> Kreis wo man ſo viele Geſetze ohne euch, trotz euch, gegen euch gemacht<lb/> hat, kann ich mich einer tiefen Rührung nicht erwehren. An dieſen ſel-<lb/> ben Plätzen wo geſtickte Röcke prunkten, ſiehe da Jacken welche die Ar-<lb/> beit edel abgenützt hat, die vielleicht zerriſſen find von neuen Kämpfen.<lb/> Erinnert ihr euch, von der Höhe der Tribüne wo ich rede, hat jüngſt<lb/> noch ein Tribun der Ariſtokratien gegen die republicaniſche Jdee die<lb/> ſchlimmſten Mächte der Vergangenheit aufgerufen, und auf ſeine Stimme<lb/> find die Pairs von Frankreich außer ſich gerathen daß es unbeſchreiblich<lb/> war. Geſetzgeber mit weißen Haaren haben Leidenſchaften entwickelt<lb/> die man eingeſchlafen und erſtarrt geglaubt. Eben hier iſt die Repu-<lb/> blik unſerer Väter verflucht worden, man hat es gewagt die Republik<lb/> unſern Kindern zu verbieten und alle Hände haben ſich erhoben Haß zu<lb/> ſchwören der Zukunft. Wohlan, nach Verfluß einiger Tage war der<lb/> Aufhetzer verſchwunden. Wo find ſie nun? Niemand weiß es, und an<lb/> ihrem Platz ſitzt ihr, die Erwählten der Arbeit. Jhr ſeht wie die Zu-<lb/> kunft geantwortet hat. Ja, vor einigen Tagen noch waren gewiſſe<lb/> Männer, Vertheidiger des Volks, um ſeinetwillen verleumdet. Man<lb/> ſagte ihnen ſie ſeyen Wühler, unmögliche Menſchen, ſie ſeyen Träumer.<lb/> Dank dem Sieg des Volks und ſeinem Muth, es hat ſich getroffen daß<lb/> die welche man Wühler nannte jetzt beauftragt find mit der Verant-<lb/> wortlichkeit der Ordnung. Es hat ſich getroffen daß die welche man<lb/> Träumer nannte jetzt die Handhabung der Geſellſchaft in Händen haben.<lb/> Die unmöglichen Männer find mit einemmal die nothwendigen Männer<lb/> geworden. Man verklagte ſie als die ſyſtematiſchen Apoſtel des Schre-<lb/> ckens. Nun an dem Tag wo die Revolution ſie zu den Geſchäften<lb/> brachte, was haben ſie gethan? Sie haben die Todesſtrafe abgeſchafft,<lb/> und ihre theuerſte Hoffnung iſt euch eines Tags auf den öffentlichen<lb/> Platz führen zu können, und da, in dem Glanz eines Nationalfeſtes, euch<lb/> einzuladen die letzten Spuren des Schaffots zu zerſtören. Dank euch,<lb/> den Delegirten des Volks durch welche dieſe großen Dinge möglich ge-<lb/> worden ſind, Dank euch. Durch euch wird Frankreich wieder werden<lb/> was es nie hätte ſollen aufhören zu ſeyn — es wird ſich von neuem an die<lb/> Spitze der Bewegung von Europa ſtellen, und wenn die franzöſiſche Fa-<lb/> milie conſtituirt ſeyn wird, wird es die Weltfamilie ſeyn. (Jubelnder<lb/> Zuruf: Wir ſchwören es! Wir ſchwören es!) Jch weiß, meine Freunde,<lb/> ihr erlaubt mir das Wort, nicht wahr? (Ja! Ja!) Jch weiß man ſoll<lb/> dem Volk nicht ſchmeicheln. Laſſen wir der Souveränetät der Könige<lb/> die Höflinge, dem Volk iſt man nur Gerechtigkeit und Wahrheit ſchul-<lb/> dig. Es iſt mir unmöglich, obgleich ihr die Delegirten des Volks ſeyd,<lb/> nicht zu ſagen daß das Betragen des Volks dießmal bewunderungswür-<lb/> dig war. Jch ſage es weil ich als freier Mann ſpreche, und weil ich<lb/> mich nicht gefürchtet hätte wenn das Volk ungerecht oder gewaltthätig<lb/> wäre, ihm gegen ſich ſelbſt zu dienen, und man muß es recht laut ſagen<lb/> damit man in Europa wiſſe was das franzöſiſche Volk iſt, wie es ſich<lb/> mit der republicaniſchen Jdee im Geiſt und dem Brüderſchaftsprincip<lb/> im Herzen erhebt. Ja, das Volk war bewunderungswürdig, nicht durch<lb/> den Muth allein, ſondern durch die Reſignation welche der Muth des<lb/> Schmerzes iſt. Männer find da gekommen, mit der Bläſſe auf der<lb/> Stirn, hungernd, Arbeit verlangend die man ihnen nicht geben konnte,<lb/> und als wir ihnen ſchmerzlich erwiederten: wartet noch, ſahen wir ſie<lb/> ſich zurückziehen, ſtill, in größter Ordnung, mit dem Ruf: Hoch die Re-<lb/> publik! Das läßt ſich nicht ohne Thränen ſagen, es iſt würdig ewiger<lb/> Bewunderung (die ganze Verſammlung von einer unwillkürlichen Be-<lb/> wegung hingeriſſen: es lebe das Volk!). Die zu löſenden Fragen ſind<lb/><cb/> leider nicht leicht. Wenn man an einen einzelnen Mißbrauch rührt,<lb/> greift man ſie alle an. Von einem Ende der Geſellſchaft zum andern<lb/> bildet das Uebel gleichſam eine Kette, woran es nicht möglich iſt einen<lb/> Ring zu erſchüttern, ohne daß die ganze Kette ſchwankt. Das iſt<lb/> die Schwierigkeit der Lage, und ſie iſt nicht unbedeutend. Um euch ein<lb/> ſchlagendes Beiſpiel zu geben, was hat das Volk am andern Tag nach<lb/> der Revolution verlangt? Die Verminderung der Arbeitsſtunden —<lb/> ein rührendes, auf heroiſchen Erwägungen gegründetes Begehren. Wir<lb/> verlangen, hat das Volk geſagt, eine Verminderung der Arbeitsſtunden,<lb/> damit es für unſere Brüder, die daran Mangel haben, mehr Beſchäfti-<lb/> gung gibt, und damit der Arbeiter eine Stunde habe, wenigſtens eine<lb/> Stunde um das Leben der Jntelligenz und des Herzens zu leben. (Aus-<lb/> bruch eines Beifallsſturms.) Das hat es zu uns geſagt, und auf der<lb/> Stelle, dießmal unbedenklich, nachdem wir die Tragweite eines ſolchen<lb/> Acts mit dem Herzen frei erwogen, haben wir geſagt: das muß ſeyn,<lb/> es wird ſeyn, komme was da wolle, denn der Menſch darf nicht als<lb/> eine Maſchine betrachtet werden, und wenn der Foriſchritt, wie wir ihn<lb/> träumen, wie wir ihn allmählich zu verwirklichen hoffen, vollbracht wird,<lb/> ſo muß eines Tags bei der Vertheilung der Arbeitsſtunden die Jntelli-<lb/> genz und das Herz einen größern Autheil haben als der Körper, weil<lb/> der beſſere Theil des Menſchen ſeine Jntelligenz und ſein Herz iſt. Aber<lb/> wie! die Arbeitsſtunden vermindern heißt das nicht die Production an-<lb/> greifen, die Producte vertheuern, den Verbrauch beſchränken, Gefahr<lb/> laufen auf unſern Märkten den auswärtigen Producten eine Ueberlegen-<lb/> heit zu ſichern, die endlich gegen den Arbeiter ſelbſt ausſchlagen könnte?<lb/> Verhehlen wir nichts: dieſer Einwurf hat etwas ſehr ernſthaftes. Er<lb/> beweist daß die Arbeiter ein Jntereſſe haben in ihren rechtmäßigſten<lb/> Forderungen Maß zu halten; er beweist daß, um ſchnell ausführbar<lb/> zu ſeyn, die Volkswünſche nicht zu ungeduldig ſeyn dürfen; er zeigt<lb/> endlich bis zu welchem Grad bei der gegenwärtigen ökonomiſchen Orga-<lb/> niſation jeder theilweiſe Fortſchritt ſchwer zu verwirklichen iſt. Wie viele<lb/> Beiſpiele könnte ich nicht liefern? Jhr wißt welche mörderiſche und unmo-<lb/> raliſche Concurrenz die Maſchinen der menſchlichen Arbeit machen, und wie<lb/> oft ſie, als Kampfwerkzeuge in den Händen eines einzelnen Mannes, die aus<lb/> der Werkſtatt gejagt haben denen die Arbeit Brod gab. Doch find die Ma-<lb/> ſchinen ein Fortſchritt. Woher kommt alſo dieſe tragiſche Anomalie? Sie<lb/> kommt daher daß im Schooß der induſtriellen Anarchie die gegenwärtig<lb/> herrſcht, und in Folge der Theilung der Jntereſſen, alles natürlich ſich<lb/> in eine Streitwaffe verwandelt. Möge der Jndividualismus durch die<lb/> Aſſociation erſetzt werden, und der Gebrauch der Maſchinen wird ſogleich<lb/> eine unermeßliche Wohlthat, weil ſie in dieſem Fall allen nützen, indem<lb/> ſie die Arbeit ergänzen ohne den Arbeiter zu unterdrücken. (Bravo!<lb/> Bravo!) Jhr ſeht die Fragen die wir zu ſtudiren haben wollen in ihrer<lb/> Geſammtheit ergriffen ſeyn, was übermorgen, morgen, in einer Stunde<lb/> zu ſuchen iſt, das iſt das Mittel die Aſſociation zu verwirklichen, dem<lb/> großen Princip der Solidarität der Jntereſſen den Sieg zu verſchaffen.<lb/> Dieſe Solidarität muß man ins Gute übergehen laſſen, denn ſie beſteht<lb/> im Böſen. Die Geſellſchaft iſt ähnlich dem menſchlichen Körper wo ein<lb/> krankes Bein jede Bewegung dem geſunden Bein unterſagt. Ein un-<lb/> ſichtbares aber wirkliches und verhängnißvolles Band verknüpft den Un-<lb/> terdrücker mit dem Elend des Unterdrückten. Ja, der Augenblick kommt<lb/> früher oder ſpäter wo dieſe Solidarität in ſchreckliche Silhnungen aus-<lb/> bricht. Was iſt vor 14 Tagen aus dem König von Frankreich gewor-<lb/> den? Wer kümmert ſich noch darum? Er iſt entflohen, in einem erbärm-<lb/> lichen Zuſtand. Jch halte ein, ich weiß daß man das Unglück achten muß.<lb/> Und gleichwohl, wenn das Unglück in dieſem Maß verdient iſt, ſo iſt es<lb/> gut daß es als Beiſpiel diene. Denen die ein ungerechtes Unglück erlei-<lb/> den, denen vor allem unſer brüderliches Mitleiden, ein unermeßliches<lb/> Mitleiden! Wieder zum Gegenſtand. Die Sache der Armen führen —<lb/> man kann es nicht zu oft wiederholen — heißt die Sache der Reichen<lb/> führen, heißt das allgemeine Jntereſſe vertheidigen. Daher find wir<lb/> hier die Männer keiner Faction. Wir lieben das Vaterland, wir beten<lb/> es an, wir find entſchloſſen ihm zu dienen in der Vereinigung aller ſei-<lb/> ner Kinder. Da ſeht ihr unter welcher Geſinnung Herrſchaft die<lb/> Regierungscommiſſion für die Arbeiter eingeſetzt iſt. Man hat ſich ge-<lb/> ſagt daß für die Menſchen welche die Kühnheit haben andern Menſchen<lb/> befehlen zu wollen, die Zeit gekommen ſey ſich frei hinſtellen zu müſſen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 16 März 1848.
Frankreich.
Am 10 März Nachmittags 2 Uhr hielt die Regierungscommiſſion
für die Arbeiter wieder eine Sitzung im Saal der alten Pairskammer,
im Palaſt Lurembourg. Es war eine Verſammlung der Delegirten
der verſchiedenen Gewerke von Paris, ungefähr 250 an der Zahl. Die
vollkommenſte Ordnung herrſchte, und in ehrerbietiger Stille, nur un-
terbrochen durch Aeußerungen ſtürmiſchen Beifalls, wurde die als Bei-
trag zur Charakteriſtik der franzöſiſchen Zuſtände und als ein Muſter
populärer Beredſamkeit merkwürdige Rede des Präſidenten Louis Blanc
unterbrochen. Derſelbe ließ ſich alſo vernehmen: „Erwählte der Ar-
beit, Nepräſentanten derjenigen die produciren und die leiden, meine
Mitbürger, meine Brüder! Jndem ich euch vereinigt ſehe in dieſem
Kreis den das Privilegium zu ſeinem Heiligthum erkoren, in dieſem
Kreis wo man ſo viele Geſetze ohne euch, trotz euch, gegen euch gemacht
hat, kann ich mich einer tiefen Rührung nicht erwehren. An dieſen ſel-
ben Plätzen wo geſtickte Röcke prunkten, ſiehe da Jacken welche die Ar-
beit edel abgenützt hat, die vielleicht zerriſſen find von neuen Kämpfen.
Erinnert ihr euch, von der Höhe der Tribüne wo ich rede, hat jüngſt
noch ein Tribun der Ariſtokratien gegen die republicaniſche Jdee die
ſchlimmſten Mächte der Vergangenheit aufgerufen, und auf ſeine Stimme
find die Pairs von Frankreich außer ſich gerathen daß es unbeſchreiblich
war. Geſetzgeber mit weißen Haaren haben Leidenſchaften entwickelt
die man eingeſchlafen und erſtarrt geglaubt. Eben hier iſt die Repu-
blik unſerer Väter verflucht worden, man hat es gewagt die Republik
unſern Kindern zu verbieten und alle Hände haben ſich erhoben Haß zu
ſchwören der Zukunft. Wohlan, nach Verfluß einiger Tage war der
Aufhetzer verſchwunden. Wo find ſie nun? Niemand weiß es, und an
ihrem Platz ſitzt ihr, die Erwählten der Arbeit. Jhr ſeht wie die Zu-
kunft geantwortet hat. Ja, vor einigen Tagen noch waren gewiſſe
Männer, Vertheidiger des Volks, um ſeinetwillen verleumdet. Man
ſagte ihnen ſie ſeyen Wühler, unmögliche Menſchen, ſie ſeyen Träumer.
Dank dem Sieg des Volks und ſeinem Muth, es hat ſich getroffen daß
die welche man Wühler nannte jetzt beauftragt find mit der Verant-
wortlichkeit der Ordnung. Es hat ſich getroffen daß die welche man
Träumer nannte jetzt die Handhabung der Geſellſchaft in Händen haben.
Die unmöglichen Männer find mit einemmal die nothwendigen Männer
geworden. Man verklagte ſie als die ſyſtematiſchen Apoſtel des Schre-
ckens. Nun an dem Tag wo die Revolution ſie zu den Geſchäften
brachte, was haben ſie gethan? Sie haben die Todesſtrafe abgeſchafft,
und ihre theuerſte Hoffnung iſt euch eines Tags auf den öffentlichen
Platz führen zu können, und da, in dem Glanz eines Nationalfeſtes, euch
einzuladen die letzten Spuren des Schaffots zu zerſtören. Dank euch,
den Delegirten des Volks durch welche dieſe großen Dinge möglich ge-
worden ſind, Dank euch. Durch euch wird Frankreich wieder werden
was es nie hätte ſollen aufhören zu ſeyn — es wird ſich von neuem an die
Spitze der Bewegung von Europa ſtellen, und wenn die franzöſiſche Fa-
milie conſtituirt ſeyn wird, wird es die Weltfamilie ſeyn. (Jubelnder
Zuruf: Wir ſchwören es! Wir ſchwören es!) Jch weiß, meine Freunde,
ihr erlaubt mir das Wort, nicht wahr? (Ja! Ja!) Jch weiß man ſoll
dem Volk nicht ſchmeicheln. Laſſen wir der Souveränetät der Könige
die Höflinge, dem Volk iſt man nur Gerechtigkeit und Wahrheit ſchul-
dig. Es iſt mir unmöglich, obgleich ihr die Delegirten des Volks ſeyd,
nicht zu ſagen daß das Betragen des Volks dießmal bewunderungswür-
dig war. Jch ſage es weil ich als freier Mann ſpreche, und weil ich
mich nicht gefürchtet hätte wenn das Volk ungerecht oder gewaltthätig
wäre, ihm gegen ſich ſelbſt zu dienen, und man muß es recht laut ſagen
damit man in Europa wiſſe was das franzöſiſche Volk iſt, wie es ſich
mit der republicaniſchen Jdee im Geiſt und dem Brüderſchaftsprincip
im Herzen erhebt. Ja, das Volk war bewunderungswürdig, nicht durch
den Muth allein, ſondern durch die Reſignation welche der Muth des
Schmerzes iſt. Männer find da gekommen, mit der Bläſſe auf der
Stirn, hungernd, Arbeit verlangend die man ihnen nicht geben konnte,
und als wir ihnen ſchmerzlich erwiederten: wartet noch, ſahen wir ſie
ſich zurückziehen, ſtill, in größter Ordnung, mit dem Ruf: Hoch die Re-
publik! Das läßt ſich nicht ohne Thränen ſagen, es iſt würdig ewiger
Bewunderung (die ganze Verſammlung von einer unwillkürlichen Be-
wegung hingeriſſen: es lebe das Volk!). Die zu löſenden Fragen ſind
leider nicht leicht. Wenn man an einen einzelnen Mißbrauch rührt,
greift man ſie alle an. Von einem Ende der Geſellſchaft zum andern
bildet das Uebel gleichſam eine Kette, woran es nicht möglich iſt einen
Ring zu erſchüttern, ohne daß die ganze Kette ſchwankt. Das iſt
die Schwierigkeit der Lage, und ſie iſt nicht unbedeutend. Um euch ein
ſchlagendes Beiſpiel zu geben, was hat das Volk am andern Tag nach
der Revolution verlangt? Die Verminderung der Arbeitsſtunden —
ein rührendes, auf heroiſchen Erwägungen gegründetes Begehren. Wir
verlangen, hat das Volk geſagt, eine Verminderung der Arbeitsſtunden,
damit es für unſere Brüder, die daran Mangel haben, mehr Beſchäfti-
gung gibt, und damit der Arbeiter eine Stunde habe, wenigſtens eine
Stunde um das Leben der Jntelligenz und des Herzens zu leben. (Aus-
bruch eines Beifallsſturms.) Das hat es zu uns geſagt, und auf der
Stelle, dießmal unbedenklich, nachdem wir die Tragweite eines ſolchen
Acts mit dem Herzen frei erwogen, haben wir geſagt: das muß ſeyn,
es wird ſeyn, komme was da wolle, denn der Menſch darf nicht als
eine Maſchine betrachtet werden, und wenn der Foriſchritt, wie wir ihn
träumen, wie wir ihn allmählich zu verwirklichen hoffen, vollbracht wird,
ſo muß eines Tags bei der Vertheilung der Arbeitsſtunden die Jntelli-
genz und das Herz einen größern Autheil haben als der Körper, weil
der beſſere Theil des Menſchen ſeine Jntelligenz und ſein Herz iſt. Aber
wie! die Arbeitsſtunden vermindern heißt das nicht die Production an-
greifen, die Producte vertheuern, den Verbrauch beſchränken, Gefahr
laufen auf unſern Märkten den auswärtigen Producten eine Ueberlegen-
heit zu ſichern, die endlich gegen den Arbeiter ſelbſt ausſchlagen könnte?
Verhehlen wir nichts: dieſer Einwurf hat etwas ſehr ernſthaftes. Er
beweist daß die Arbeiter ein Jntereſſe haben in ihren rechtmäßigſten
Forderungen Maß zu halten; er beweist daß, um ſchnell ausführbar
zu ſeyn, die Volkswünſche nicht zu ungeduldig ſeyn dürfen; er zeigt
endlich bis zu welchem Grad bei der gegenwärtigen ökonomiſchen Orga-
niſation jeder theilweiſe Fortſchritt ſchwer zu verwirklichen iſt. Wie viele
Beiſpiele könnte ich nicht liefern? Jhr wißt welche mörderiſche und unmo-
raliſche Concurrenz die Maſchinen der menſchlichen Arbeit machen, und wie
oft ſie, als Kampfwerkzeuge in den Händen eines einzelnen Mannes, die aus
der Werkſtatt gejagt haben denen die Arbeit Brod gab. Doch find die Ma-
ſchinen ein Fortſchritt. Woher kommt alſo dieſe tragiſche Anomalie? Sie
kommt daher daß im Schooß der induſtriellen Anarchie die gegenwärtig
herrſcht, und in Folge der Theilung der Jntereſſen, alles natürlich ſich
in eine Streitwaffe verwandelt. Möge der Jndividualismus durch die
Aſſociation erſetzt werden, und der Gebrauch der Maſchinen wird ſogleich
eine unermeßliche Wohlthat, weil ſie in dieſem Fall allen nützen, indem
ſie die Arbeit ergänzen ohne den Arbeiter zu unterdrücken. (Bravo!
Bravo!) Jhr ſeht die Fragen die wir zu ſtudiren haben wollen in ihrer
Geſammtheit ergriffen ſeyn, was übermorgen, morgen, in einer Stunde
zu ſuchen iſt, das iſt das Mittel die Aſſociation zu verwirklichen, dem
großen Princip der Solidarität der Jntereſſen den Sieg zu verſchaffen.
Dieſe Solidarität muß man ins Gute übergehen laſſen, denn ſie beſteht
im Böſen. Die Geſellſchaft iſt ähnlich dem menſchlichen Körper wo ein
krankes Bein jede Bewegung dem geſunden Bein unterſagt. Ein un-
ſichtbares aber wirkliches und verhängnißvolles Band verknüpft den Un-
terdrücker mit dem Elend des Unterdrückten. Ja, der Augenblick kommt
früher oder ſpäter wo dieſe Solidarität in ſchreckliche Silhnungen aus-
bricht. Was iſt vor 14 Tagen aus dem König von Frankreich gewor-
den? Wer kümmert ſich noch darum? Er iſt entflohen, in einem erbärm-
lichen Zuſtand. Jch halte ein, ich weiß daß man das Unglück achten muß.
Und gleichwohl, wenn das Unglück in dieſem Maß verdient iſt, ſo iſt es
gut daß es als Beiſpiel diene. Denen die ein ungerechtes Unglück erlei-
den, denen vor allem unſer brüderliches Mitleiden, ein unermeßliches
Mitleiden! Wieder zum Gegenſtand. Die Sache der Armen führen —
man kann es nicht zu oft wiederholen — heißt die Sache der Reichen
führen, heißt das allgemeine Jntereſſe vertheidigen. Daher find wir
hier die Männer keiner Faction. Wir lieben das Vaterland, wir beten
es an, wir find entſchloſſen ihm zu dienen in der Vereinigung aller ſei-
ner Kinder. Da ſeht ihr unter welcher Geſinnung Herrſchaft die
Regierungscommiſſion für die Arbeiter eingeſetzt iſt. Man hat ſich ge-
ſagt daß für die Menſchen welche die Kühnheit haben andern Menſchen
befehlen zu wollen, die Zeit gekommen ſey ſich frei hinſtellen zu müſſen
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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