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Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848.

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[Spaltenumbruch] versucht daß die kirchenrechtlichen Grundsätze der Jesuiten mit den im
schweizerischen Bundesvertrage anerkannten staatsrechtlichen Verhält-
nissen unvereinbar seyen. Da es bekanntlich sehr schwer ist die von
dem genannten Orden anerkannten Grundsätze dieser Art actenmäßig
festzustellen, so ward, um alle etwaigen Zweifel an der Aechtheit der
Urkunde von vornherein abzuschneiden, der Text der Nachtmahlsbulle
gewählt, da, wie sich Prof. Danz in einer kurzen Geschichte dieser
Bulle*) ausdrückt, "außer den Verdiensten welche sich die Jesuiten um
die Abfassung der Nachtmahlsbulle erworben haben.... auch ihre Be-
mühungen dieselbe überall bekannt zu machen nicht außer Acht zu
lassen" find, und dieselbe fast in keinem Werke ihrer berühmtesten
Casuiften fehlt. Dagegen sind nun, wie wir aus Nr. 32 S. 509 der
Beilage dieser Zeitung ersehen, in einem der neuesten Hefte der Historisch-
politischen Blätter Einwendungen gemacht worden welche "im wesent-
lichen" auf folgende zwei Behauptungen zurückgeführt werden können**):
1) Die Abendmahlsbulle könne als eine authentische Quelle der noch
jetzt zu Rom geltenden kirchenrechtlichen Grundsätze nicht angesehen
werden, weil "die Päpste seit Clemens XIV und Pius VI dem Zeit-
geist, und zwar mit Recht, das Zugeständniß gemacht haben daß diese
Bulle gar nicht mehr publicirt wird." 2) Jn der Abendmahlsbulle
seyen den Jesuiten gar keine besondern Verpflichtungen auferlegt,
sondern nur den katholischen Geistlichen überhaupt. Und daraus wird
der Schluß gezogen: "Wenn also die Gefährlichkeit der Jesuiten für
die Ruhe des Landes auf der bulla coenae beruhen soll, so ist sie rein
aus der Luft gegriffen." Was den ersten Punkt betrifft, so behauptet
zwar Danz daß noch die bekannte Elise von der Recke und der Hof-
rath Göttling zu Jena bei ihrem Aufenthalt in Rom der Verlesung
dieser Bulle persönlich beigewohnt haben. Jndessen hat die erstere (im
J. 1806) nur etwas vorlesen sehen, und das Buch welches die Er-
zählung des letztern (aus dem J. 1828) enthält haben wir nicht selbst
vergleichen können; wir wollen deßhalb annehmen daß unser Gegner
in den Historisch-politischen Blättern in diesem Stück besser unterrichtet
ist, und wir begrüßen dieses Zugeständniß von Seite der römischen Curie
mit aufrichtiger Freude als ein Zeichen friedlicherer Gesinnungen, aber --
in Beziehung auf die fortwährende Gültigkeit der Bulle ist die
alljährliche Verlesung doch offenbar ganz unerheblich, und wir können
die von dem Recensenten aus dieser Unterlassung gezogene Folgerung
nur dann für richtig anerkennen wenn er nachzuweisen im Stande wäre
daß die fragliche Bulle förmlich und rechtskräftig aufgehoben
worden; denn der Art. 21 derselben besagt ausdrücklich: "Und wir wollen
daß diese unsere gegenwärtige Bannbulle und alles was darin enthalten
ist dauere und in Kraft bleibe bis andere dergleichen von uns oder dem
jeweiligen römischen Papst gemacht oder erlassen werden." Wäre übrigens
wirklich eine solche Aufhebungsbulle vorhanden, so würde das ein freu-
diges Ereigniß nicht bloß für die protestantische sondern auch für die ganze
katholische Christenheit seyn; denn es werden in jener Bulle nicht etwa
nur die kirchenrechtlichen sondern auch die reinstaatlichen Ansprüche des
römischen Stuhls allen Gläubigen dergestalt ins Gewissen geschoben daß
nicht etwa nur das neue revolutionäre Frankreich, sondern auch schon
Fenelon und Bossuet und alle Gallicaner, deßgleichen das katholische
Deutschland fast ohne Ausnahme, und zwar Geistliche wie Laien, den
darin enthaltenen Bannflüchen unterliegen. Wir find bereit dieß im
einzelnen nachzuweisen wenn diese Thatsache irgendwie in Zweifel ge-
zogen werden sollte.

Zu 2. Hätte unser Gegner den Umstand daß gerade Clemens XIV
der erste Papst war welcher die jährliche Verlesung der Abendmahls-
bulle abgeschafft hat gehörig gewürdigt, so würde er die Beziehungen
welche wir zwischen den Bestrebungen des Jesuitenordens und den in
der Bulle ausgesprochenen Grundsätzen zu finden glauben, nicht so ohne
weiteres als ungegründet verworfen haben. Und wenn er behauptet:
"die Jesuiten find nicht staatsgefährlicher als jeder andere katholische
Geistliche", so hat er offenbar nicht bedacht daß, solange die förmliche
Abschaffung der Abendmahlsbulle nicht erfolgt ist, dieser Satz gleich-
bedeutend ist mit der Behauptung: jeder katholische Geistliche habe alle
Bestimmungen der Bulle ebenso rücksichtslos zu vollziehen wie ein solches
Ordensmitglied -- eine Behauptung die wir für durchaus irrig halten;
[Spaltenumbruch] denn die in den einzelnen deutschen Staaten wirklich bestellten Geist-
lichen welche auf den Grund der deutschen Bundesacte und der besondern
Landesverfassung den Unterthaneneid offenkundig geleistet haben, über-
nehmen dadurch unstreitig die Verpflichtung die Gewissen ihrer Beicht-
kinder in Beziehung auf alle verfassungsmäßig anerkannten Staats-
und Kirchenverhältnisse nicht zu beunruhigen, während jene Ordens-
glieder sich zu einem solchen Eide ohne Vorbehalt wohl in keinem
paritätischen Lande verstanden haben, auch in Gemäßheit ihrer Ordens-
regel schwerlich verstehen dürfen.

So weit unsere Vertheidigung! Nun aber zum Schluß noch ein
friedliches und zwar offnes deutsches Wort. Schreiber dieses ist, was
dem Leser kaum zweifelhaft geblieben seyn wird, Protestant, der Ver-
fasser des fraglichen Aufsatzes dagegen unstreitig Katholik. Gewiß be-
klagen wir aber beide gleich aufrichtig das religiöse Zerwürfniß welches
seit drei Jahrhunderten Deutschlands politischen Lebensnerv wenn nicht
zerschnitten, doch in allen wichtigen Unternehmungen dergestalt gelähmt
hat daß das "Reich deutscher Nation" zum Spielball des Auslands ge-
worden ist; wiewohl wir nicht läugnen wollen daß das geistige und
wissenschaftliche Leben der Nation durch diese Kämpfe wesentlich ange-
regt und gefördert worden ist, und gegen die Schmach der Vergangenheit
wenigstens die Hoffnung einer reichen Zukunft eingetauscht hat. Sollte
es nun nicht die Aufgabe unserer Zeit seyn dahin zu wirken daß man in
Deutschland, ähnlich wie in England, den wissenschaftlichen Kampf der
Ueberzeugungen frei walten lasse, ohne dabei im Hintergrunde die staats-
rechtlichen Grundlagen des heutigen Deutschlands immer wieder in Frage
zu stellen? Mit andern Worten: ist denn wohl gar keine Hoffnung daß
die Grundgesetze des neuern europäischen Staatsrechts, wie sie in Münster,
Osnabrück und Wien festgestellt find, endlich auch jenseits der Alpen un-
umwundene Anerkennung finden? Deutschland begeht in diesem Jahr die
zweihundertjährige Feier des Vertrags welcher einen dreißigjährigen
Krieg beschloß und eine drittelhundertjährige Feier desjenigen welcher
einen mehr als dreißigjährigen Frieden gebracht und bis dahin glücklich
erhalten hat! Welch schöneres Geschenk könnten unsere deutschen Brüder
katholischen Bekenntnisses bei dieser Feier auf den Altar des Vaterlands
niederlegen als ein "Ja und Amen", zu diesen Werken des Friedens
feierlich ausgesprochen von dem hochherzigen Mann in dessen Hand der
Herr die wunderbare Macht gelegt hat Millionen von Herzen mit Einem
Wort zu erregen oder zu beruhigen? Mögen unsere katholischen Brüder
von uns Protestanten eine entsprechende Gegenleistung verlangen! Wir
wollen gern ein Opfer bringen wenn wir es dahin bringen können daß
die friedlichen und freundlichen Beziehungen, die nur mit seltenen und
vereinzelten Ausnahmen in ganz Deutschland zwischen Protestanten und
Katholiken bereits factisch bestehen, auch kirchenrechtlich so gesichert
werden daß man sie dogmatischen Eiferern gegenüber principiell ver-
theidigen und aufrechterhalten kann. Jn dieses Jahr fällt ja auch das
sechshundertjährige Jubelfeft des Kölner Dombaues! Nun, so wollen
wir euch helfen euren Dom fertigbanen zum ewigen Zeugniß daß wir
uns aufrichtig freuen wenn eure Kirchen auf deutschem Boden glänzend
emporsteigen, und daß neben dem Verein der Gustav-Adolf-Stiftung
und dessen Zweck in unsern Herzen noch Raum ist für die Auferbauung
der christlichen Kirche nach all ihren verschiedenen Bekenntnissen. K. B.

Fragen an die Zukunft.

"Ehre dem französischen Namen!
Das Volk das ihn trägt hat seinem Ruhmeskranz einen neuen Lorbeer
zugefügt. Nennt mir eine Nation und eine Zeit in welcher eine so
gewaltige Umwälzung mit so geringem Blutverlust, mit so wenig Aus-
schweifung und mit so viel Edelmuth gegen die Befiegten vollbracht
worden wäre! Die Krists welche der Denkende längst erwartete ist ein-
getreten. Mit welchen Schrecken hatten die Unglückspropheten das
Bild derselben ausgestattet! Mit welchen schwarzen Farben wurde sie
zumeist von bekehrten Radicalen gemalt, die, mit den schlechten Lei-
denschaften aus der eigenen Vergangenheit vertraut, das böse Princip,
von welchem sie sich abgewandt, gespenstisch allenthalben außer sich er-
blicken und, weil sie auf der eigenen Lebensfahrt Schiffbruch gelitten,
die Welt für morsch erklären. Nun, da die Tiefen sich geöffnet, wo
find jene dämonischen Mächte die nach der Berkündigung jener Pro-
pheten aus dem Abgrunde steigen mußten? Freien Spielraum hatten
in jenen Tagen die Leidenschaften: aber wo find die Ausbrüche des
grimmigen Neides und des wüthenden Hasses die verkündigt worden

*) Allgemeine Encyklopädie von Ersch und Gruber. Section II. Bd. 16.
S. 420.
**) Da uns das betreffende Heft noch nicht zugänglich geworden ist, so
bleibt die Erläuterung anderer etwa noch bestrittener Punkte vorbe-
halten.

[Spaltenumbruch] verſucht daß die kirchenrechtlichen Grundſätze der Jeſuiten mit den im
ſchweizeriſchen Bundesvertrage anerkannten ſtaatsrechtlichen Verhält-
niſſen unvereinbar ſeyen. Da es bekanntlich ſehr ſchwer iſt die von
dem genannten Orden anerkannten Grundſätze dieſer Art actenmäßig
feſtzuſtellen, ſo ward, um alle etwaigen Zweifel an der Aechtheit der
Urkunde von vornherein abzuſchneiden, der Text der Nachtmahlsbulle
gewählt, da, wie ſich Prof. Danz in einer kurzen Geſchichte dieſer
Bulle*) ausdrückt, „außer den Verdienſten welche ſich die Jeſuiten um
die Abfaſſung der Nachtmahlsbulle erworben haben.... auch ihre Be-
mühungen dieſelbe überall bekannt zu machen nicht außer Acht zu
laſſen“ find, und dieſelbe faſt in keinem Werke ihrer berühmteſten
Caſuiften fehlt. Dagegen ſind nun, wie wir aus Nr. 32 S. 509 der
Beilage dieſer Zeitung erſehen, in einem der neueſten Hefte der Hiſtoriſch-
politiſchen Blätter Einwendungen gemacht worden welche „im weſent-
lichen“ auf folgende zwei Behauptungen zurückgeführt werden können**):
1) Die Abendmahlsbulle könne als eine authentiſche Quelle der noch
jetzt zu Rom geltenden kirchenrechtlichen Grundſätze nicht angeſehen
werden, weil „die Päpſte ſeit Clemens XIV und Pius VI dem Zeit-
geiſt, und zwar mit Recht, das Zugeſtändniß gemacht haben daß dieſe
Bulle gar nicht mehr publicirt wird.“ 2) Jn der Abendmahlsbulle
ſeyen den Jeſuiten gar keine beſondern Verpflichtungen auferlegt,
ſondern nur den katholiſchen Geiſtlichen überhaupt. Und daraus wird
der Schluß gezogen: „Wenn alſo die Gefährlichkeit der Jeſuiten für
die Ruhe des Landes auf der bulla coenae beruhen ſoll, ſo iſt ſie rein
aus der Luft gegriffen.“ Was den erſten Punkt betrifft, ſo behauptet
zwar Danz daß noch die bekannte Eliſe von der Recke und der Hof-
rath Göttling zu Jena bei ihrem Aufenthalt in Rom der Verleſung
dieſer Bulle perſönlich beigewohnt haben. Jndeſſen hat die erſtere (im
J. 1806) nur etwas vorleſen ſehen, und das Buch welches die Er-
zählung des letztern (aus dem J. 1828) enthält haben wir nicht ſelbſt
vergleichen können; wir wollen deßhalb annehmen daß unſer Gegner
in den Hiſtoriſch-politiſchen Blättern in dieſem Stück beſſer unterrichtet
iſt, und wir begrüßen dieſes Zugeſtändniß von Seite der römiſchen Curie
mit aufrichtiger Freude als ein Zeichen friedlicherer Geſinnungen, aber —
in Beziehung auf die fortwährende Gültigkeit der Bulle iſt die
alljährliche Verleſung doch offenbar ganz unerheblich, und wir können
die von dem Recenſenten aus dieſer Unterlaſſung gezogene Folgerung
nur dann für richtig anerkennen wenn er nachzuweiſen im Stande wäre
daß die fragliche Bulle förmlich und rechtskräftig aufgehoben
worden; denn der Art. 21 derſelben beſagt ausdrücklich: „Und wir wollen
daß dieſe unſere gegenwärtige Bannbulle und alles was darin enthalten
iſt dauere und in Kraft bleibe bis andere dergleichen von uns oder dem
jeweiligen römiſchen Papſt gemacht oder erlaſſen werden.“ Wäre übrigens
wirklich eine ſolche Aufhebungsbulle vorhanden, ſo würde das ein freu-
diges Ereigniß nicht bloß für die proteſtantiſche ſondern auch für die ganze
katholiſche Chriſtenheit ſeyn; denn es werden in jener Bulle nicht etwa
nur die kirchenrechtlichen ſondern auch die reinſtaatlichen Anſprüche des
römiſchen Stuhls allen Gläubigen dergeſtalt ins Gewiſſen geſchoben daß
nicht etwa nur das neue revolutionäre Frankreich, ſondern auch ſchon
Fénélon und Boſſuet und alle Gallicaner, deßgleichen das katholiſche
Deutſchland faſt ohne Ausnahme, und zwar Geiſtliche wie Laien, den
darin enthaltenen Bannflüchen unterliegen. Wir find bereit dieß im
einzelnen nachzuweiſen wenn dieſe Thatſache irgendwie in Zweifel ge-
zogen werden ſollte.

Zu 2. Hätte unſer Gegner den Umſtand daß gerade Clemens XIV
der erſte Papſt war welcher die jährliche Verleſung der Abendmahls-
bulle abgeſchafft hat gehörig gewürdigt, ſo würde er die Beziehungen
welche wir zwiſchen den Beſtrebungen des Jeſuitenordens und den in
der Bulle ausgeſprochenen Grundſätzen zu finden glauben, nicht ſo ohne
weiteres als ungegründet verworfen haben. Und wenn er behauptet:
„die Jeſuiten find nicht ſtaatsgefährlicher als jeder andere katholiſche
Geiſtliche“, ſo hat er offenbar nicht bedacht daß, ſolange die förmliche
Abſchaffung der Abendmahlsbulle nicht erfolgt iſt, dieſer Satz gleich-
bedeutend iſt mit der Behauptung: jeder katholiſche Geiſtliche habe alle
Beſtimmungen der Bulle ebenſo rückſichtslos zu vollziehen wie ein ſolches
Ordensmitglied — eine Behauptung die wir für durchaus irrig halten;
[Spaltenumbruch] denn die in den einzelnen deutſchen Staaten wirklich beſtellten Geiſt-
lichen welche auf den Grund der deutſchen Bundesacte und der beſondern
Landesverfaſſung den Unterthaneneid offenkundig geleiſtet haben, über-
nehmen dadurch unſtreitig die Verpflichtung die Gewiſſen ihrer Beicht-
kinder in Beziehung auf alle verfaſſungsmäßig anerkannten Staats-
und Kirchenverhältniſſe nicht zu beunruhigen, während jene Ordens-
glieder ſich zu einem ſolchen Eide ohne Vorbehalt wohl in keinem
paritätiſchen Lande verſtanden haben, auch in Gemäßheit ihrer Ordens-
regel ſchwerlich verſtehen dürfen.

So weit unſere Vertheidigung! Nun aber zum Schluß noch ein
friedliches und zwar offnes deutſches Wort. Schreiber dieſes iſt, was
dem Leſer kaum zweifelhaft geblieben ſeyn wird, Proteſtant, der Ver-
faſſer des fraglichen Aufſatzes dagegen unſtreitig Katholik. Gewiß be-
klagen wir aber beide gleich aufrichtig das religiöſe Zerwürfniß welches
ſeit drei Jahrhunderten Deutſchlands politiſchen Lebensnerv wenn nicht
zerſchnitten, doch in allen wichtigen Unternehmungen dergeſtalt gelähmt
hat daß das „Reich deutſcher Nation“ zum Spielball des Auslands ge-
worden iſt; wiewohl wir nicht läugnen wollen daß das geiſtige und
wiſſenſchaftliche Leben der Nation durch dieſe Kämpfe weſentlich ange-
regt und gefördert worden iſt, und gegen die Schmach der Vergangenheit
wenigſtens die Hoffnung einer reichen Zukunft eingetauſcht hat. Sollte
es nun nicht die Aufgabe unſerer Zeit ſeyn dahin zu wirken daß man in
Deutſchland, ähnlich wie in England, den wiſſenſchaftlichen Kampf der
Ueberzeugungen frei walten laſſe, ohne dabei im Hintergrunde die ſtaats-
rechtlichen Grundlagen des heutigen Deutſchlands immer wieder in Frage
zu ſtellen? Mit andern Worten: iſt denn wohl gar keine Hoffnung daß
die Grundgeſetze des neuern europäiſchen Staatsrechts, wie ſie in Münſter,
Osnabrück und Wien feſtgeſtellt find, endlich auch jenſeits der Alpen un-
umwundene Anerkennung finden? Deutſchland begeht in dieſem Jahr die
zweihundertjährige Feier des Vertrags welcher einen dreißigjährigen
Krieg beſchloß und eine drittelhundertjährige Feier desjenigen welcher
einen mehr als dreißigjährigen Frieden gebracht und bis dahin glücklich
erhalten hat! Welch ſchöneres Geſchenk könnten unſere deutſchen Brüder
katholiſchen Bekenntniſſes bei dieſer Feier auf den Altar des Vaterlands
niederlegen als ein „Ja und Amen“, zu dieſen Werken des Friedens
feierlich ausgeſprochen von dem hochherzigen Mann in deſſen Hand der
Herr die wunderbare Macht gelegt hat Millionen von Herzen mit Einem
Wort zu erregen oder zu beruhigen? Mögen unſere katholiſchen Brüder
von uns Proteſtanten eine entſprechende Gegenleiſtung verlangen! Wir
wollen gern ein Opfer bringen wenn wir es dahin bringen können daß
die friedlichen und freundlichen Beziehungen, die nur mit ſeltenen und
vereinzelten Ausnahmen in ganz Deutſchland zwiſchen Proteſtanten und
Katholiken bereits factiſch beſtehen, auch kirchenrechtlich ſo geſichert
werden daß man ſie dogmatiſchen Eiferern gegenüber principiell ver-
theidigen und aufrechterhalten kann. Jn dieſes Jahr fällt ja auch das
ſechshundertjährige Jubelfeft des Kölner Dombaues! Nun, ſo wollen
wir euch helfen euren Dom fertigbanen zum ewigen Zeugniß daß wir
uns aufrichtig freuen wenn eure Kirchen auf deutſchem Boden glänzend
emporſteigen, und daß neben dem Verein der Guſtav-Adolf-Stiftung
und deſſen Zweck in unſern Herzen noch Raum iſt für die Auferbauung
der chriſtlichen Kirche nach all ihren verſchiedenen Bekenntniſſen. K. B.

Fragen an die Zukunft.

„Ehre dem franzöſiſchen Namen!
Das Volk das ihn trägt hat ſeinem Ruhmeskranz einen neuen Lorbeer
zugefügt. Nennt mir eine Nation und eine Zeit in welcher eine ſo
gewaltige Umwälzung mit ſo geringem Blutverluſt, mit ſo wenig Aus-
ſchweifung und mit ſo viel Edelmuth gegen die Befiegten vollbracht
worden wäre! Die Kriſts welche der Denkende längſt erwartete iſt ein-
getreten. Mit welchen Schrecken hatten die Unglückspropheten das
Bild derſelben ausgeſtattet! Mit welchen ſchwarzen Farben wurde ſie
zumeiſt von bekehrten Radicalen gemalt, die, mit den ſchlechten Lei-
denſchaften aus der eigenen Vergangenheit vertraut, das böſe Princip,
von welchem ſie ſich abgewandt, geſpenſtiſch allenthalben außer ſich er-
blicken und, weil ſie auf der eigenen Lebensfahrt Schiffbruch gelitten,
die Welt für morſch erklären. Nun, da die Tiefen ſich geöffnet, wo
find jene dämoniſchen Mächte die nach der Berkündigung jener Pro-
pheten aus dem Abgrunde ſteigen mußten? Freien Spielraum hatten
in jenen Tagen die Leidenſchaften: aber wo find die Ausbrüche des
grimmigen Neides und des wüthenden Haſſes die verkündigt worden

*) Allgemeine Encyklopädie von Erſch und Gruber. Section II. Bd. 16.
S. 420.
**) Da uns das betreffende Heft noch nicht zugänglich geworden iſt, ſo
bleibt die Erläuterung anderer etwa noch beſtrittener Punkte vorbe-
halten.
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[1227/0011] verſucht daß die kirchenrechtlichen Grundſätze der Jeſuiten mit den im ſchweizeriſchen Bundesvertrage anerkannten ſtaatsrechtlichen Verhält- niſſen unvereinbar ſeyen. Da es bekanntlich ſehr ſchwer iſt die von dem genannten Orden anerkannten Grundſätze dieſer Art actenmäßig feſtzuſtellen, ſo ward, um alle etwaigen Zweifel an der Aechtheit der Urkunde von vornherein abzuſchneiden, der Text der Nachtmahlsbulle gewählt, da, wie ſich Prof. Danz in einer kurzen Geſchichte dieſer Bulle *) ausdrückt, „außer den Verdienſten welche ſich die Jeſuiten um die Abfaſſung der Nachtmahlsbulle erworben haben.... auch ihre Be- mühungen dieſelbe überall bekannt zu machen nicht außer Acht zu laſſen“ find, und dieſelbe faſt in keinem Werke ihrer berühmteſten Caſuiften fehlt. Dagegen ſind nun, wie wir aus Nr. 32 S. 509 der Beilage dieſer Zeitung erſehen, in einem der neueſten Hefte der Hiſtoriſch- politiſchen Blätter Einwendungen gemacht worden welche „im weſent- lichen“ auf folgende zwei Behauptungen zurückgeführt werden können **): 1) Die Abendmahlsbulle könne als eine authentiſche Quelle der noch jetzt zu Rom geltenden kirchenrechtlichen Grundſätze nicht angeſehen werden, weil „die Päpſte ſeit Clemens XIV und Pius VI dem Zeit- geiſt, und zwar mit Recht, das Zugeſtändniß gemacht haben daß dieſe Bulle gar nicht mehr publicirt wird.“ 2) Jn der Abendmahlsbulle ſeyen den Jeſuiten gar keine beſondern Verpflichtungen auferlegt, ſondern nur den katholiſchen Geiſtlichen überhaupt. Und daraus wird der Schluß gezogen: „Wenn alſo die Gefährlichkeit der Jeſuiten für die Ruhe des Landes auf der bulla coenae beruhen ſoll, ſo iſt ſie rein aus der Luft gegriffen.“ Was den erſten Punkt betrifft, ſo behauptet zwar Danz daß noch die bekannte Eliſe von der Recke und der Hof- rath Göttling zu Jena bei ihrem Aufenthalt in Rom der Verleſung dieſer Bulle perſönlich beigewohnt haben. Jndeſſen hat die erſtere (im J. 1806) nur etwas vorleſen ſehen, und das Buch welches die Er- zählung des letztern (aus dem J. 1828) enthält haben wir nicht ſelbſt vergleichen können; wir wollen deßhalb annehmen daß unſer Gegner in den Hiſtoriſch-politiſchen Blättern in dieſem Stück beſſer unterrichtet iſt, und wir begrüßen dieſes Zugeſtändniß von Seite der römiſchen Curie mit aufrichtiger Freude als ein Zeichen friedlicherer Geſinnungen, aber — in Beziehung auf die fortwährende Gültigkeit der Bulle iſt die alljährliche Verleſung doch offenbar ganz unerheblich, und wir können die von dem Recenſenten aus dieſer Unterlaſſung gezogene Folgerung nur dann für richtig anerkennen wenn er nachzuweiſen im Stande wäre daß die fragliche Bulle förmlich und rechtskräftig aufgehoben worden; denn der Art. 21 derſelben beſagt ausdrücklich: „Und wir wollen daß dieſe unſere gegenwärtige Bannbulle und alles was darin enthalten iſt dauere und in Kraft bleibe bis andere dergleichen von uns oder dem jeweiligen römiſchen Papſt gemacht oder erlaſſen werden.“ Wäre übrigens wirklich eine ſolche Aufhebungsbulle vorhanden, ſo würde das ein freu- diges Ereigniß nicht bloß für die proteſtantiſche ſondern auch für die ganze katholiſche Chriſtenheit ſeyn; denn es werden in jener Bulle nicht etwa nur die kirchenrechtlichen ſondern auch die reinſtaatlichen Anſprüche des römiſchen Stuhls allen Gläubigen dergeſtalt ins Gewiſſen geſchoben daß nicht etwa nur das neue revolutionäre Frankreich, ſondern auch ſchon Fénélon und Boſſuet und alle Gallicaner, deßgleichen das katholiſche Deutſchland faſt ohne Ausnahme, und zwar Geiſtliche wie Laien, den darin enthaltenen Bannflüchen unterliegen. Wir find bereit dieß im einzelnen nachzuweiſen wenn dieſe Thatſache irgendwie in Zweifel ge- zogen werden ſollte. Zu 2. Hätte unſer Gegner den Umſtand daß gerade Clemens XIV der erſte Papſt war welcher die jährliche Verleſung der Abendmahls- bulle abgeſchafft hat gehörig gewürdigt, ſo würde er die Beziehungen welche wir zwiſchen den Beſtrebungen des Jeſuitenordens und den in der Bulle ausgeſprochenen Grundſätzen zu finden glauben, nicht ſo ohne weiteres als ungegründet verworfen haben. Und wenn er behauptet: „die Jeſuiten find nicht ſtaatsgefährlicher als jeder andere katholiſche Geiſtliche“, ſo hat er offenbar nicht bedacht daß, ſolange die förmliche Abſchaffung der Abendmahlsbulle nicht erfolgt iſt, dieſer Satz gleich- bedeutend iſt mit der Behauptung: jeder katholiſche Geiſtliche habe alle Beſtimmungen der Bulle ebenſo rückſichtslos zu vollziehen wie ein ſolches Ordensmitglied — eine Behauptung die wir für durchaus irrig halten; denn die in den einzelnen deutſchen Staaten wirklich beſtellten Geiſt- lichen welche auf den Grund der deutſchen Bundesacte und der beſondern Landesverfaſſung den Unterthaneneid offenkundig geleiſtet haben, über- nehmen dadurch unſtreitig die Verpflichtung die Gewiſſen ihrer Beicht- kinder in Beziehung auf alle verfaſſungsmäßig anerkannten Staats- und Kirchenverhältniſſe nicht zu beunruhigen, während jene Ordens- glieder ſich zu einem ſolchen Eide ohne Vorbehalt wohl in keinem paritätiſchen Lande verſtanden haben, auch in Gemäßheit ihrer Ordens- regel ſchwerlich verſtehen dürfen. So weit unſere Vertheidigung! Nun aber zum Schluß noch ein friedliches und zwar offnes deutſches Wort. Schreiber dieſes iſt, was dem Leſer kaum zweifelhaft geblieben ſeyn wird, Proteſtant, der Ver- faſſer des fraglichen Aufſatzes dagegen unſtreitig Katholik. Gewiß be- klagen wir aber beide gleich aufrichtig das religiöſe Zerwürfniß welches ſeit drei Jahrhunderten Deutſchlands politiſchen Lebensnerv wenn nicht zerſchnitten, doch in allen wichtigen Unternehmungen dergeſtalt gelähmt hat daß das „Reich deutſcher Nation“ zum Spielball des Auslands ge- worden iſt; wiewohl wir nicht läugnen wollen daß das geiſtige und wiſſenſchaftliche Leben der Nation durch dieſe Kämpfe weſentlich ange- regt und gefördert worden iſt, und gegen die Schmach der Vergangenheit wenigſtens die Hoffnung einer reichen Zukunft eingetauſcht hat. Sollte es nun nicht die Aufgabe unſerer Zeit ſeyn dahin zu wirken daß man in Deutſchland, ähnlich wie in England, den wiſſenſchaftlichen Kampf der Ueberzeugungen frei walten laſſe, ohne dabei im Hintergrunde die ſtaats- rechtlichen Grundlagen des heutigen Deutſchlands immer wieder in Frage zu ſtellen? Mit andern Worten: iſt denn wohl gar keine Hoffnung daß die Grundgeſetze des neuern europäiſchen Staatsrechts, wie ſie in Münſter, Osnabrück und Wien feſtgeſtellt find, endlich auch jenſeits der Alpen un- umwundene Anerkennung finden? Deutſchland begeht in dieſem Jahr die zweihundertjährige Feier des Vertrags welcher einen dreißigjährigen Krieg beſchloß und eine drittelhundertjährige Feier desjenigen welcher einen mehr als dreißigjährigen Frieden gebracht und bis dahin glücklich erhalten hat! Welch ſchöneres Geſchenk könnten unſere deutſchen Brüder katholiſchen Bekenntniſſes bei dieſer Feier auf den Altar des Vaterlands niederlegen als ein „Ja und Amen“, zu dieſen Werken des Friedens feierlich ausgeſprochen von dem hochherzigen Mann in deſſen Hand der Herr die wunderbare Macht gelegt hat Millionen von Herzen mit Einem Wort zu erregen oder zu beruhigen? Mögen unſere katholiſchen Brüder von uns Proteſtanten eine entſprechende Gegenleiſtung verlangen! Wir wollen gern ein Opfer bringen wenn wir es dahin bringen können daß die friedlichen und freundlichen Beziehungen, die nur mit ſeltenen und vereinzelten Ausnahmen in ganz Deutſchland zwiſchen Proteſtanten und Katholiken bereits factiſch beſtehen, auch kirchenrechtlich ſo geſichert werden daß man ſie dogmatiſchen Eiferern gegenüber principiell ver- theidigen und aufrechterhalten kann. Jn dieſes Jahr fällt ja auch das ſechshundertjährige Jubelfeft des Kölner Dombaues! Nun, ſo wollen wir euch helfen euren Dom fertigbanen zum ewigen Zeugniß daß wir uns aufrichtig freuen wenn eure Kirchen auf deutſchem Boden glänzend emporſteigen, und daß neben dem Verein der Guſtav-Adolf-Stiftung und deſſen Zweck in unſern Herzen noch Raum iſt für die Auferbauung der chriſtlichen Kirche nach all ihren verſchiedenen Bekenntniſſen. K. B. Fragen an die Zukunft. *** Vom Reckar, 7 März. „Ehre dem franzöſiſchen Namen! Das Volk das ihn trägt hat ſeinem Ruhmeskranz einen neuen Lorbeer zugefügt. Nennt mir eine Nation und eine Zeit in welcher eine ſo gewaltige Umwälzung mit ſo geringem Blutverluſt, mit ſo wenig Aus- ſchweifung und mit ſo viel Edelmuth gegen die Befiegten vollbracht worden wäre! Die Kriſts welche der Denkende längſt erwartete iſt ein- getreten. Mit welchen Schrecken hatten die Unglückspropheten das Bild derſelben ausgeſtattet! Mit welchen ſchwarzen Farben wurde ſie zumeiſt von bekehrten Radicalen gemalt, die, mit den ſchlechten Lei- denſchaften aus der eigenen Vergangenheit vertraut, das böſe Princip, von welchem ſie ſich abgewandt, geſpenſtiſch allenthalben außer ſich er- blicken und, weil ſie auf der eigenen Lebensfahrt Schiffbruch gelitten, die Welt für morſch erklären. Nun, da die Tiefen ſich geöffnet, wo find jene dämoniſchen Mächte die nach der Berkündigung jener Pro- pheten aus dem Abgrunde ſteigen mußten? Freien Spielraum hatten in jenen Tagen die Leidenſchaften: aber wo find die Ausbrüche des grimmigen Neides und des wüthenden Haſſes die verkündigt worden *) Allgemeine Encyklopädie von Erſch und Gruber. Section II. Bd. 16. S. 420. **) Da uns das betreffende Heft noch nicht zugänglich geworden iſt, ſo bleibt die Erläuterung anderer etwa noch beſtrittener Punkte vorbe- halten.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848, S. 1227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine77_1848/11>, abgerufen am 21.11.2024.