Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848.[Spaltenumbruch]
glaubten, welches man uns aber immer von neuem auf den Hals hetzt -- * Nachts 12 Uhr. Ich sende Ihnen obigen Brief als den ge- +* Augsburg, 17 März. Heute Nacht ist eine Abtheilung Württemberg ** Stuttgart, 14 März. Die in Ihrer Num- *) Ebenso wenig Glauben sand ein königlicher Prinz, welcher durch die
gleichen Versicherungen die aufgeregten Haufen zu beruhigen suchte Der Eins. [Spaltenumbruch]
glaubten, welches man uns aber immer von neuem auf den Hals hetzt — * Nachts 12 Uhr. Ich ſende Ihnen obigen Brief als den ge- †* Augsburg, 17 März. Heute Nacht iſt eine Abtheilung Württemberg ** Stuttgart, 14 März. Die in Ihrer Num- *) Ebenſo wenig Glauben ſand ein königlicher Prinz, welcher durch die
gleichen Verſicherungen die aufgeregten Haufen zu beruhigen ſuchte Der Einſ. <TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0002" n="1218"/><cb/> glaubten, welches man uns aber immer von neuem auf den Hals hetzt —<lb/> ich meine die Gräfin Landsfeld. Jch würde Sie verſchonen mit dieſem<lb/> Gegenſtand, wenn es nicht offenbar wäre daß derſelbe wieder zu ernſten<lb/> Ruheſtörungen die Veranlaſſung zu geben im Begriff ſteht. Es iſt doch<lb/> wahrhaft ſchmählich daß unſere Stadt, die im gegenwärtigen Augenblick<lb/> mit ſo hochwichtigen Dingen ſich zu beſchäftigen hat, die Angeſichts der<lb/> ernſten Verwickelungen welche ſich in und um das Vaterland aufthürmen<lb/> der ruhigen Faſſung ſo nothwendig bedarf, daß dieſe fort und fort wieder<lb/> ſich muß in Aufregung verſetzen laſſen durch den Ruf „ſie iſt ſchon wieder<lb/> da!“ Gälte es bloß der Perſon, man würde ſich nichts darum kümmern<lb/> und die Sache ſo ſchnell wieder vergeſſen als man ſie gehört, aber es iſt<lb/> nur zu bekannt wie hartnäckig ſie den vielleicht nie ganz verlornen Ein-<lb/> fluß wieder zu erobern ſucht, und wie ein Gelingen um ſo näher liegt je<lb/> näher ſie ſich München befindet. Daher der Unmuth und die gerechte Er-<lb/> bitterung welche nun ſchon drei Tage in ſteigendem Maße die hiefigen<lb/> Mittelclaſſen erfüllt, nachdem man in Erfahrung gebracht daß jener<lb/> Poltergeiſt ſich wieder in unſerer Nähe, und zwar in dem eine Stunde<lb/> von hier entfernten Schloſſe Fürſtenried befinde. Man iſt zu dem feſten<lb/> Entſchluß gekommen um jeden Preis dieſe Landplage unſchädlich zu<lb/> machen. Zu dem Zweck zog geſtern Abend eine Schaar von einigen<lb/> Hunderten hinaus nach Fürſtenried, hielt eine förmliche Streife gegen<lb/> ſie und verjagte ſie von dort. Jn der Dunkelheit der Nacht entging fie<lb/> ihren Verfolgern, und flüchtete ſich hieher. Aus einem Umſtand, den ich<lb/> verſchweigen muß, ſchloß man daß fie ſich in einem Hauſe der Wurzerſtraße<lb/> bei demſelben ehemaligen Günſtling verſteckt halte, bei welchem ſie kürzlich<lb/> in der Nacht entdeckt und unter einem Canapee hervorgezogen worden<lb/> war. Heute Nachmittag umſtellten deßhalb viele Hunderte das Haus,<lb/> ſperrten die Straße von beiden Seiten ab, und eine Art Unterſuchungs-<lb/> Commiſſion durchſtöberte alle Theile des Hauſes — ohne aber ſie aus-<lb/> findig zu machen. Nun zieht die Menge vor alle jene Häuſer wo fie<lb/> möglicherweiſe einen Zufluchtsort gefunden haben könnte, und das Zu-<lb/> ſammenſtrömen großer Maſſen von Unzufriedenen und Neugierigen wird<lb/> dadurch wieder in die verſchiedenſten Theile der Stadt getragen. Jſt es<lb/> nicht unverantwortlich daß dem nicht gründlich vorgebeugt worden, daß<lb/> man unredlich zu Werk gegangen bei ihrer letzten Hinwegſchaffung von<lb/> hier? Denn wenn es nur bei den Aufläufen bliebe — aber die Menge<lb/> wird darin neuen Anlaß zu Ausgelaffenheiten ſuchen, und ich müßte mich<lb/> ſehr irren wenn ich Jhnen nicht morgen von Straßenexceffen zu berich-<lb/> ten haben ſollte. Wen aber trifft hier die Verantwortung? Unſer<lb/> Miniſter des Jnnern ließ geſtern Abend, gewiſſermaßen officiell, verbrei-<lb/> ten „daß wenn die Gräfin in der Nähe Münchens ſey, ſie es ſey wider<lb/> Wiffen und Willen Sr. Majeſtät,“ und der Vorwurf der im Munde des<lb/> Volks nach dieſer Seite hin gemacht wird, zerfällt dadurch in Nichts.<lb/> Jſt derſelbe aber beſeitigt, ſo können wir von den Behörden verlangen<lb/> daß ſie dem höchſten Willen völlig entſprechen, die Gräfin von hier blei-<lb/> bend entfernen, und dadurch die möglicherweiſe ſehr traurig ausfallenden<lb/> Folgen der nun einmal heraufbeſchworenen Volksrache verhüten.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="2"> <dateline>* <hi rendition="#g">Nachts</hi> 12 Uhr.</dateline><lb/> <p>Ich ſende Ihnen obigen Brief als den ge-<lb/> treuen Ausdruck der Anſichten und Ueberzeugungen, wie ſie bis zur<lb/> Stunde wo er geſchrieben wurde, hier allgemein geltend waren. Als<lb/> eben die letzten Zeilen geſchrieben waren, rief mich der unheimliche<lb/> Ton des Generalmarſches vom Hauſe weg. Meiner Vorherſage war<lb/> die Erfüllung auf dem Fuße nachgefolgt. Um 7 Uhr begann ein<lb/> Volkshaufe die Polizei zu ſtürmen. Alle Fenſter, viele derſelben<lb/> ſammt den Kreuzſtöcken wurden mit Steinen eingeworfen und mit<lb/> Wagendeichſeln eingeſtoßen. Die Thore, die beim erſten Angriff ge-<lb/> ſperrt worden waren, wichen in kurzer Zeit den Brechinſtrumenten<lb/> die man anwendete. Man drang ein ohne auf weſentlichen Wider-<lb/> ſtand zu ſtoßen. Der Haufe ergoß ſich in die Amtszimmer. Als-<lb/> bald wurden Actenſtöße, Bücher, Pulte und andere Geräthſchaften<lb/> durch die Fenſter herausgeworfen oder zum Hausthore heraus-<lb/> getragen; beſonders aus dem Paßbureau ſollen eine Menge Pa-<lb/> piere hinweggeſchleppt und vernichtet worden ſeyn. Die Tumultuan-<lb/> ten hatten die zum Polizeigebäude führenden Straßenzugänge durch<lb/> Barrikaden verſperrt und ſo ſich vor augenblicklicher Störung ihres<lb/> Vernichtungswerkes geſchützt. Jnnerhalb des Gebäudes ſollen Gefan-<lb/> gene befreit worden ſeyn und es muß dabei eine Zeitlang zum Kampfe<lb/> mit Gendarmen gekommen ſeyn, denn man will Schüſſe gehört haben,<lb/> auch wurde einigemale herausgeſchoſſen auf die Stürmer. Gegen 8<lb/> Uhr rückte Militär an, ſperrte die Zugänge ab und trieb allmählich die<lb/><cb/> Eingedrungenen hinweg. Hiebei wurde einer derſelben bedeutend an der<lb/> Hand verletzt. Faſt zur ſelben Zeit als dieß an der Polizei vorging hatte ein<lb/> Haufe in der Reſidenzſtraße, gegenüber dem Chokolade-Fabrikanten<lb/> Mayrhofer, die Fenſter der Reſidenz einzuwerfen begonnen. Dieſem<lb/> wurde aber bald Einhalt gethan; Cuiraſſtere und Linientruppen ſäuber-<lb/> ten raſch dieſe Gegend, aber auch hier nicht ohne Blutpergießen, einer<lb/> erhielt dabei einen Stich in die rechte Seite und ein anderer einen Sä-<lb/> belhieb über den Kopf. Bis gegen halb 9 Uhr waren alle Zugänge zur<lb/> Reſidenz mit Militär abgeſchloſſen, der Schrannenplatz beſetzt und frü-<lb/> her ſchon das bürgerliche Zeughaus durch eine anſehnliche Truppenmacht<lb/> aller Gattungen (die Studenten mit eingerechnet) geſchützt. Von Seite<lb/> der Bürger-Artillerie die mit Gewehren ausgerückt war ſollen hier etwa<lb/> 5—6 Schüſſe gefallen ſeyn, jedoch ohne daß einer von den Herausfor-<lb/> derern verletzt worden wäre. Um halb 10 Uhr etwa wurde an allen Orten<lb/> wo ſich größere Gruppen befanden folgende Bekanntmachung vertheilt:<lb/> „Nachdem ſich wiederholt das Gerücht verbreitet hat daß die Gräfin<lb/> Landsfeld in hieſiger Stadt oder deren nächſter Umgebung ſich beſinde,<lb/> ſo wird hiemit in Folge höchſter Entſchließung des königl. Miniſteriums<lb/> des Jnnern bekannt gemacht: daß nach Privatmittheilungen von ganz<lb/> verläſſigen Perſonen aus Karlsruhe vom 14 d. M. Gräfin Lands-<lb/> feld an eben dieſem 14 d. Mts. in Karlsruhe eintraf und von da<lb/> nach Frankfurt a. M. abreiste. München am 16 März 1848, Abends<lb/> 8 Uhr. Der Magiſtrat der k. Haupt- und Reſidenzſtadt München.<lb/> v. Steinsdorf, Bürgermeiſter, Lachmayr, Secretär.“ Jch konnte je-<lb/> doch wahrnehmen daß keiner von allen die dieſelbe beim Mondſchein<lb/> laſen oder vorleſen hörten der darin enthaltenen Verſicherung Glauben<lb/> ſchenkte; „der Miniſter müſſe ſelbſt getäuſcht ſeyn, oder durch den<lb/> Drang der Umſtände gezwungen ſeyn zu täuſchen“ — ſo hörte ich all-<lb/> gemein ſagen.<note place="foot" n="*)">Ebenſo wenig Glauben ſand ein königlicher Prinz, welcher durch die<lb/> gleichen Verſicherungen die aufgeregten Haufen zu beruhigen ſuchte<lb/><hi rendition="#g">Der Einſ</hi>.</note> Um ¾ auf 10 Uhr fiel auf dem Schraunenplatz vom<lb/> Rathhauſe aus, wo ein lärmender Haufen ſtand, ein Piſtolenſchuß<lb/> auf die am Platze aufgeſtellten Cuiraſſierre, und ſpäter wurden letztere<lb/> noch mehrmals mit zahlreichen Steinwürfen von den Bögen aus an-<lb/> gegriffen. Dasſelbe widerfuhr auch mehrern Studentenabtheilungen,<lb/> die alle unter Gewehr die Gefahren mit den übrigen Soldaten zu<lb/> theilen und unter ihnen zu leiden hatten. Jch enthalte mich ein Ur-<lb/> theil abzugeben ob dieſe Unruhe ihre Grundlage in einer großartigen Täu-<lb/> ſchung hatte oder in der factiſchen Anweſenheit der verhaßten Gräfin.<lb/> Eine gründliche Unterſuchung und Beweisführung wird, ſo wünſche und<lb/> hoffe ich, den Worten des verehrten Miniſters des Jnnern die ihnen<lb/> gebührrende Achtung verſchaffen.</p> </div> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <dateline>†* <hi rendition="#b">Augsburg,</hi> 17 März.</dateline><lb/> <p>Heute Nacht iſt eine Abtheilung<lb/> des dahier garniſonirenden Cheveaulegersregiments König nach Edelſtetten<lb/> abgegangen, wo das fürſtl. Eſterhazy’ſche Herrſchaftsgericht dieſes Na-<lb/> mens ſeinen Sitz hat; andere Abtheilungen des Cheveaulegerregiments<lb/> Herzog Maximilian zu Dillingen ſind in den jüngſten Tagen für die<lb/> fürſtl. Oettingen-Wallerſtein’ſchen Herrſchaftsgerichte und das königl.<lb/> Landgericht Burgau in Anſpruch genommen worden. Eine, wie es<lb/> ſcheint, ziemlich allgemein ſich kundgebende Unzufriedenheit der ſtandes-<lb/> und gutsherrſchaftlichen Grundholden in Bezug auf die Grundbarkeits-<lb/> verhältniſſe und darangeknüpfte Forderungen der gutsherrlichen Hinter-<lb/> faſſen, mit bedrohlichen Demonſtrationen geltend gemacht und von der<lb/> herrſchenden Aufregung unterſtützt, ſollen dieſe militäriſche Beſetzung<lb/> nothwendig gemacht haben. Mehrere Grundherrſchaften haben ſich durch<lb/> ähnliche Veranlaſſung, aber bei viel beſcheidenern Auſprüchen gedrun-<lb/> gen gefunden ſich mit ihren Grundholden zu vereinbaren, ſo in den<lb/> Fürſtenthümern Oettingen-Spielberg und Fugger-Babenhauſen. Dieſe<lb/> Vorgänge dürfen indeß mit den wilden Ausbrüchen die anderwärts<lb/> vorgekommen nicht in eine Linie geſtellt werden. Wir verweiſen in<lb/> dieſer Beziehung nur auf die bekanntgewordene Vorſtellung der fürſtlich<lb/> Oettingen-Wallerſtein’ſchen Hinterfaſſen im Ries, deren Jnhalt laut<lb/> genug für die längſt anerkannte dringende Nothwendigkeit zeitge-<lb/> mäßer Umgeſtaltung des Grundbarkeitsverhältniſſes auf geſetzlichem<lb/> Wege ſpricht.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#g">Württemberg</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>** <hi rendition="#b">Stuttgart,</hi> 14 März.</dateline><lb/> <p>Die in Ihrer Num-<lb/> mer vom geſtrigen Tage von zwei hiefigen Correſpondenten gegebene<lb/> Nachricht von der Flucht des Fürften von Hechingen iſt glücklicherweiſe<lb/> irrig. Auch der größere Theil der Berichte über den „Bauernkrieg“<lb/> welche gegenwärtig die Runde durch die Zeitungen machen, iſt über-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1218/0002]
glaubten, welches man uns aber immer von neuem auf den Hals hetzt —
ich meine die Gräfin Landsfeld. Jch würde Sie verſchonen mit dieſem
Gegenſtand, wenn es nicht offenbar wäre daß derſelbe wieder zu ernſten
Ruheſtörungen die Veranlaſſung zu geben im Begriff ſteht. Es iſt doch
wahrhaft ſchmählich daß unſere Stadt, die im gegenwärtigen Augenblick
mit ſo hochwichtigen Dingen ſich zu beſchäftigen hat, die Angeſichts der
ernſten Verwickelungen welche ſich in und um das Vaterland aufthürmen
der ruhigen Faſſung ſo nothwendig bedarf, daß dieſe fort und fort wieder
ſich muß in Aufregung verſetzen laſſen durch den Ruf „ſie iſt ſchon wieder
da!“ Gälte es bloß der Perſon, man würde ſich nichts darum kümmern
und die Sache ſo ſchnell wieder vergeſſen als man ſie gehört, aber es iſt
nur zu bekannt wie hartnäckig ſie den vielleicht nie ganz verlornen Ein-
fluß wieder zu erobern ſucht, und wie ein Gelingen um ſo näher liegt je
näher ſie ſich München befindet. Daher der Unmuth und die gerechte Er-
bitterung welche nun ſchon drei Tage in ſteigendem Maße die hiefigen
Mittelclaſſen erfüllt, nachdem man in Erfahrung gebracht daß jener
Poltergeiſt ſich wieder in unſerer Nähe, und zwar in dem eine Stunde
von hier entfernten Schloſſe Fürſtenried befinde. Man iſt zu dem feſten
Entſchluß gekommen um jeden Preis dieſe Landplage unſchädlich zu
machen. Zu dem Zweck zog geſtern Abend eine Schaar von einigen
Hunderten hinaus nach Fürſtenried, hielt eine förmliche Streife gegen
ſie und verjagte ſie von dort. Jn der Dunkelheit der Nacht entging fie
ihren Verfolgern, und flüchtete ſich hieher. Aus einem Umſtand, den ich
verſchweigen muß, ſchloß man daß fie ſich in einem Hauſe der Wurzerſtraße
bei demſelben ehemaligen Günſtling verſteckt halte, bei welchem ſie kürzlich
in der Nacht entdeckt und unter einem Canapee hervorgezogen worden
war. Heute Nachmittag umſtellten deßhalb viele Hunderte das Haus,
ſperrten die Straße von beiden Seiten ab, und eine Art Unterſuchungs-
Commiſſion durchſtöberte alle Theile des Hauſes — ohne aber ſie aus-
findig zu machen. Nun zieht die Menge vor alle jene Häuſer wo fie
möglicherweiſe einen Zufluchtsort gefunden haben könnte, und das Zu-
ſammenſtrömen großer Maſſen von Unzufriedenen und Neugierigen wird
dadurch wieder in die verſchiedenſten Theile der Stadt getragen. Jſt es
nicht unverantwortlich daß dem nicht gründlich vorgebeugt worden, daß
man unredlich zu Werk gegangen bei ihrer letzten Hinwegſchaffung von
hier? Denn wenn es nur bei den Aufläufen bliebe — aber die Menge
wird darin neuen Anlaß zu Ausgelaffenheiten ſuchen, und ich müßte mich
ſehr irren wenn ich Jhnen nicht morgen von Straßenexceffen zu berich-
ten haben ſollte. Wen aber trifft hier die Verantwortung? Unſer
Miniſter des Jnnern ließ geſtern Abend, gewiſſermaßen officiell, verbrei-
ten „daß wenn die Gräfin in der Nähe Münchens ſey, ſie es ſey wider
Wiffen und Willen Sr. Majeſtät,“ und der Vorwurf der im Munde des
Volks nach dieſer Seite hin gemacht wird, zerfällt dadurch in Nichts.
Jſt derſelbe aber beſeitigt, ſo können wir von den Behörden verlangen
daß ſie dem höchſten Willen völlig entſprechen, die Gräfin von hier blei-
bend entfernen, und dadurch die möglicherweiſe ſehr traurig ausfallenden
Folgen der nun einmal heraufbeſchworenen Volksrache verhüten.
* Nachts 12 Uhr.
Ich ſende Ihnen obigen Brief als den ge-
treuen Ausdruck der Anſichten und Ueberzeugungen, wie ſie bis zur
Stunde wo er geſchrieben wurde, hier allgemein geltend waren. Als
eben die letzten Zeilen geſchrieben waren, rief mich der unheimliche
Ton des Generalmarſches vom Hauſe weg. Meiner Vorherſage war
die Erfüllung auf dem Fuße nachgefolgt. Um 7 Uhr begann ein
Volkshaufe die Polizei zu ſtürmen. Alle Fenſter, viele derſelben
ſammt den Kreuzſtöcken wurden mit Steinen eingeworfen und mit
Wagendeichſeln eingeſtoßen. Die Thore, die beim erſten Angriff ge-
ſperrt worden waren, wichen in kurzer Zeit den Brechinſtrumenten
die man anwendete. Man drang ein ohne auf weſentlichen Wider-
ſtand zu ſtoßen. Der Haufe ergoß ſich in die Amtszimmer. Als-
bald wurden Actenſtöße, Bücher, Pulte und andere Geräthſchaften
durch die Fenſter herausgeworfen oder zum Hausthore heraus-
getragen; beſonders aus dem Paßbureau ſollen eine Menge Pa-
piere hinweggeſchleppt und vernichtet worden ſeyn. Die Tumultuan-
ten hatten die zum Polizeigebäude führenden Straßenzugänge durch
Barrikaden verſperrt und ſo ſich vor augenblicklicher Störung ihres
Vernichtungswerkes geſchützt. Jnnerhalb des Gebäudes ſollen Gefan-
gene befreit worden ſeyn und es muß dabei eine Zeitlang zum Kampfe
mit Gendarmen gekommen ſeyn, denn man will Schüſſe gehört haben,
auch wurde einigemale herausgeſchoſſen auf die Stürmer. Gegen 8
Uhr rückte Militär an, ſperrte die Zugänge ab und trieb allmählich die
Eingedrungenen hinweg. Hiebei wurde einer derſelben bedeutend an der
Hand verletzt. Faſt zur ſelben Zeit als dieß an der Polizei vorging hatte ein
Haufe in der Reſidenzſtraße, gegenüber dem Chokolade-Fabrikanten
Mayrhofer, die Fenſter der Reſidenz einzuwerfen begonnen. Dieſem
wurde aber bald Einhalt gethan; Cuiraſſtere und Linientruppen ſäuber-
ten raſch dieſe Gegend, aber auch hier nicht ohne Blutpergießen, einer
erhielt dabei einen Stich in die rechte Seite und ein anderer einen Sä-
belhieb über den Kopf. Bis gegen halb 9 Uhr waren alle Zugänge zur
Reſidenz mit Militär abgeſchloſſen, der Schrannenplatz beſetzt und frü-
her ſchon das bürgerliche Zeughaus durch eine anſehnliche Truppenmacht
aller Gattungen (die Studenten mit eingerechnet) geſchützt. Von Seite
der Bürger-Artillerie die mit Gewehren ausgerückt war ſollen hier etwa
5—6 Schüſſe gefallen ſeyn, jedoch ohne daß einer von den Herausfor-
derern verletzt worden wäre. Um halb 10 Uhr etwa wurde an allen Orten
wo ſich größere Gruppen befanden folgende Bekanntmachung vertheilt:
„Nachdem ſich wiederholt das Gerücht verbreitet hat daß die Gräfin
Landsfeld in hieſiger Stadt oder deren nächſter Umgebung ſich beſinde,
ſo wird hiemit in Folge höchſter Entſchließung des königl. Miniſteriums
des Jnnern bekannt gemacht: daß nach Privatmittheilungen von ganz
verläſſigen Perſonen aus Karlsruhe vom 14 d. M. Gräfin Lands-
feld an eben dieſem 14 d. Mts. in Karlsruhe eintraf und von da
nach Frankfurt a. M. abreiste. München am 16 März 1848, Abends
8 Uhr. Der Magiſtrat der k. Haupt- und Reſidenzſtadt München.
v. Steinsdorf, Bürgermeiſter, Lachmayr, Secretär.“ Jch konnte je-
doch wahrnehmen daß keiner von allen die dieſelbe beim Mondſchein
laſen oder vorleſen hörten der darin enthaltenen Verſicherung Glauben
ſchenkte; „der Miniſter müſſe ſelbſt getäuſcht ſeyn, oder durch den
Drang der Umſtände gezwungen ſeyn zu täuſchen“ — ſo hörte ich all-
gemein ſagen. *) Um ¾ auf 10 Uhr fiel auf dem Schraunenplatz vom
Rathhauſe aus, wo ein lärmender Haufen ſtand, ein Piſtolenſchuß
auf die am Platze aufgeſtellten Cuiraſſierre, und ſpäter wurden letztere
noch mehrmals mit zahlreichen Steinwürfen von den Bögen aus an-
gegriffen. Dasſelbe widerfuhr auch mehrern Studentenabtheilungen,
die alle unter Gewehr die Gefahren mit den übrigen Soldaten zu
theilen und unter ihnen zu leiden hatten. Jch enthalte mich ein Ur-
theil abzugeben ob dieſe Unruhe ihre Grundlage in einer großartigen Täu-
ſchung hatte oder in der factiſchen Anweſenheit der verhaßten Gräfin.
Eine gründliche Unterſuchung und Beweisführung wird, ſo wünſche und
hoffe ich, den Worten des verehrten Miniſters des Jnnern die ihnen
gebührrende Achtung verſchaffen.
†* Augsburg, 17 März.
Heute Nacht iſt eine Abtheilung
des dahier garniſonirenden Cheveaulegersregiments König nach Edelſtetten
abgegangen, wo das fürſtl. Eſterhazy’ſche Herrſchaftsgericht dieſes Na-
mens ſeinen Sitz hat; andere Abtheilungen des Cheveaulegerregiments
Herzog Maximilian zu Dillingen ſind in den jüngſten Tagen für die
fürſtl. Oettingen-Wallerſtein’ſchen Herrſchaftsgerichte und das königl.
Landgericht Burgau in Anſpruch genommen worden. Eine, wie es
ſcheint, ziemlich allgemein ſich kundgebende Unzufriedenheit der ſtandes-
und gutsherrſchaftlichen Grundholden in Bezug auf die Grundbarkeits-
verhältniſſe und darangeknüpfte Forderungen der gutsherrlichen Hinter-
faſſen, mit bedrohlichen Demonſtrationen geltend gemacht und von der
herrſchenden Aufregung unterſtützt, ſollen dieſe militäriſche Beſetzung
nothwendig gemacht haben. Mehrere Grundherrſchaften haben ſich durch
ähnliche Veranlaſſung, aber bei viel beſcheidenern Auſprüchen gedrun-
gen gefunden ſich mit ihren Grundholden zu vereinbaren, ſo in den
Fürſtenthümern Oettingen-Spielberg und Fugger-Babenhauſen. Dieſe
Vorgänge dürfen indeß mit den wilden Ausbrüchen die anderwärts
vorgekommen nicht in eine Linie geſtellt werden. Wir verweiſen in
dieſer Beziehung nur auf die bekanntgewordene Vorſtellung der fürſtlich
Oettingen-Wallerſtein’ſchen Hinterfaſſen im Ries, deren Jnhalt laut
genug für die längſt anerkannte dringende Nothwendigkeit zeitge-
mäßer Umgeſtaltung des Grundbarkeitsverhältniſſes auf geſetzlichem
Wege ſpricht.
Württemberg
** Stuttgart, 14 März.
Die in Ihrer Num-
mer vom geſtrigen Tage von zwei hiefigen Correſpondenten gegebene
Nachricht von der Flucht des Fürften von Hechingen iſt glücklicherweiſe
irrig. Auch der größere Theil der Berichte über den „Bauernkrieg“
welche gegenwärtig die Runde durch die Zeitungen machen, iſt über-
*) Ebenſo wenig Glauben ſand ein königlicher Prinz, welcher durch die
gleichen Verſicherungen die aufgeregten Haufen zu beruhigen ſuchte
Der Einſ.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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