Allgemeine Zeitung, Nr. 78, 18. März 1848.[Spaltenumbruch]
Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Oesterreich. Die Ereignisse in Wien. Wien, 13 März. 111/2 Uhr Nachts.Ich [Spaltenumbruch]
Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung [Spaltenumbruch]
Oeſterreich. Die Ereigniſſe in Wien. ☆ Wien, 13 März. 11½ Uhr Nachts.Ich <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jAnnouncements" n="2"> <pb facs="#f0017"/> <cb/> </div> </body> </floatingText> </div> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> <docImprint> <docDate>vom 18 März 1848.</docDate> </docImprint> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">Oeſterreich.</hi> </head><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Die Ereigniſſe in Wien.</hi> </head><lb/> <dateline>☆ <hi rendition="#b">Wien,</hi> 13 März. 11½ Uhr Nachts.</dateline><lb/> <p>Ich<lb/> ſchreibe Ihnen dieſe Worte von der Studentenhauptwache im Univerfi-<lb/> tätsgebäude, wo ſich ſeit einer Stunde die verſchiedenen Corps der Be-<lb/> waffneten ſammeln. Das Unglaubliche, das Unerhörte iſt heute hier<lb/> geſchehen: Wien, das bürgerliche, kaiſertreue Wien iſt in vollſtem Auf-<lb/> ſtand, der Revolutionsruf erſchallt in allen Straßen der Stadt und<lb/> der bevölkerten Vorſtädte. Ich will Ihnen, ſo weit es meine fieberhafte<lb/> Aufregung erlaubt, die Geſchichte des heutigen Tags erzählen, der einzig<lb/> in der Geſchichte des Kaiſerreichs und glorreich in der Geſchichte Deutſch-<lb/> lands daſteht. Schon ſeit vorgeſtern circulirten hier unter Studenten,<lb/> Profeſſoren und unter den Bürgern energiſche Petitionen, in einer<lb/> Sprache abgefaßt wie ſie nur der augenblickliche Zuſtand aller Gemüther<lb/> der civilifirten Völker Europa’s reden kann. Tauſende von Unterſchrif-<lb/> ten decken fie; Preßfreiheit, repräſentative Verfafſung, baſirt auf der<lb/> breiten Grundlage der Volksvertretung, neu zu organifirende Munlcipal-<lb/> Verfaſſung mit freier Wahl der ſtädtiſchen Beamten und Vertreter, volle<lb/> Religionsgleichheit, <hi rendition="#g">ein einziges gemeinſames öſterreichiſches<lb/> Parlament,</hi> engerer Anſchluß an Deutſchland und <hi rendition="#g">Vertretung in<lb/> einem deutſchen Parlament</hi> — dieß waren die weſentlichſten Forde-<lb/> rungen des Volkes, denen ich noch Umgeſtaltung des Militärweſens und<lb/> Schaffung einer Bürgergarde beifügen muß. Der heutige Tag, wo ſich die<lb/> Landſtände im Landhauſe verſammeln ſollten, wurde zur allgemeinen De-<lb/> monſtration beſtimmt. Schon früh morgens ſammelten ſich etwa 2—3000<lb/> Studenten im Univerſitätsgebäude um eine Deputation zu erwählen,<lb/> welche die Wünſche den Ständen ſchriftlich überreichen und mündlich<lb/> vortragen ſollte. Einer der Profeſſoren verwies vergebens auf das<lb/> Ungeſetzliche ſolcher Demonſtration; er ſprach von organiſcher Entwick-<lb/> lung auf dem beſtehenden Rechtsboden und wurde, wie ſich von ſelbſt<lb/> verſteht, gänzlich abgewieſen. Gegen 9 Uhr ſammelten ſich ſchon Schaa<lb/> ren des Volkes um das Landhaus in der Herrengaſſe, und gegen 10 Uhr<lb/> erſchienen die Studenten. Zahlreiche Redner beſtiegen alles was eine<lb/> Erhöhung bot, und redeten zum Volke welches nach jedem Vorſchlage<lb/> und vorgetragenen Wunſche in laute Hurrahs ausbrach. Endlich orga-<lb/> nifirten ſich die Maſſen in dem inneren Hofe des Landhauſes ſelbſt. Zwei<lb/> Studenten — Juriſten, von denen der eine ein Pole war — nahmen von<lb/> einer Altane aus das Wort, und verlaſen zuerſt die vortreffliche Rede<lb/> Koſſuths worin alle Wünſche des Volkes mit Klarheit und Energie aus-<lb/> geſprochen waren. Dann folgte die Verleſung der Forderungen des<lb/> Volkes und eine beredte Auseinanderſetzung der Nothwendigkeit dieſe<lb/> augenblicklich realiſirt zu ſehen. Vor allen zeichnete ſich hier ein Stu-<lb/> dent Namens Barian aus, der zu wiederholtenmalen eine wirklich große<lb/> Volksberedſamkeit entwickelte. Unterdeſſen ging eine Deputation in den<lb/> Ständeſaal, von wo aus wiederum ein Ständemitglied erſchien und er-<lb/> klärte: die Stände ſelbſt ſeyen mit den Wünſchen des Polkes einverſtan-<lb/> den. Es wurde bei dieſer Gelegenheit der Entwurf der ſtändiſchen<lb/> Adreffe an den Kaiſer verleſen, aber die Sprache zu gemäßigt, der Jnhalt<lb/> den dringenden Umſtänden der Zeit nicht mehr angemeſſen gefunden.<lb/> Sie wurde von dem Studentenredner unter ungeheurem Jubel des<lb/> Volkes vor den Augen der Stände zerriſſen. Unterdeſſen ſteigerte ſich<lb/> der Tumult, die Maſſen drangen in alle Säle des Landhauſes ein; und<lb/> man verlangte immer lauter eine augenblickliche Erklärung der Stände,<lb/> und daß dieſelben gleich <hi rendition="#aq">in corpore</hi> zum Kaiſer ſich begeben ſollten. Jn<lb/> dem innern Hofraum wurde eine zweite Deputation aus Volk und Stu-<lb/> denten gewählt, wozu auch Schreiber dieſer Zeilen gehörte. Der Name<lb/> Metternich wurde immer lauter gerufen, und unter wildem Lärm gelang<lb/> es der Deputation bis an den Eingang des Ständeſaales vorzudringen.<lb/> Vergebens bemühren ſich einzelne Ständemitglieder ihren Eintritt in die<lb/> Verſammlung zu verwehren und bei dieſer Gelegenheit gab ein Mißver-<lb/> ſtändniß Veranlaſſung zu bedauernswerthen Scenen. Etwa 5 der De-<lb/> putirten waren in dem Vorzimmer des Ständeſaales verſchwunden und<lb/> man glaubte ſie verhaftet; augenblicklich wurden die Thüren geſtürmt<lb/> und mit Bänken eingerannt; alle Tiſche, Stühle, Uhren, Fenſter der<lb/> Vorzimmer in tauſend Trümmer zerſchlagen und daraus Waffen ge-<lb/> macht. Die Stände zitterten für ihr Leben. Ein Deputirter (Schreiber<lb/> dieſes) ſchlug als einzige Garantie für die Herſtellung der Ruhe augen-<lb/> blickliche Abſetzung des Fürſten Metternich und in Anklageſtandſetzung<lb/><cb/> desſelben, wegen Hochverrath an Volk und Kaiſer, vor. Unterdeſſen<lb/> wuchs der Tumult in den Höfen und Straßen. Der obengenannte Red-<lb/> ner wurde vom Volk im Triumph herumgetragen und alles ſchrie plötzlich,<lb/> als habe es ſich elektriſch durch die Maſſen bewegt — „nach dem Palais<lb/> Metternich“. Der Redner wurde hingetragen, und hier geſtützt auf vier<lb/> kräftige Schultern hielt er bald an das Volk, bald an die in Metternichs<lb/> Salon verſammelten Hof- und Staatsbeamten ſich wendend eine Rede<lb/> als wäre er Lamartine in Paris. Das Hurrah und Halloh des Volkes<lb/> war unbeſchreiblich, unermeßlich. Darauf wälzte ſich wieder der Zug ins<lb/> Ständehaus, wo unterdeſſen alles zertrümmert war. Die Stände wur-<lb/> den genöthigt augenblicklich ſich in Geſammtheit zum Kaiſer zu verfügen und<lb/> außer Anerkennung der aufgeſtellten und vielfach ſchriftlich überreichten<lb/> Forderungen auf alsbaldige Abſetzung Metternichs anzutragen. Unter-<lb/> deſſen wurden die Fenſter am Burgtheater eingeſchlagen, der Straßen-<lb/> tumult war allgemein. Endlich trat eine gewiſſe Pauſe ein; man erwar-<lb/> tete mit geſpannter Hoffnung die Antwort des Kaiſers. Aber ſtatt der-<lb/> ſelben erſchienen zahlreiche Militär-Abtheilungen welche die Burg beſetz-<lb/> ten, alle Zugänge abſperrten, wie auch das Palais Metternich in weitem<lb/> Kreiſe umringten. Der Ruf nach dem Erſcheinen der Bürgergarden<lb/> und Bewaffnung der Studenten wurde immer lauter und lauter, im-<lb/> mer maſſenhafter entwickelten ſich die Volkshaufen. Man ſing ſchon<lb/> an das Militär eng zu umdrängen, und zwei Compagnien Grenadiere,<lb/> welche den Eingang des Landhauſes beſetzen ſollten, wurden bald in<lb/> zwei Abtheilungen vom Volke getrennt, zuſammengedrückt und nach<lb/> Niedertretung von zwei bis drei etwas barſchigen Grenadieren ge-<lb/> zwungen ihre Bajonette abzunehmen und abzuziehen. Unterdeſſen<lb/> ſammelten ſich immer größere Maſſen — beſonders auf dem Judenplatz<lb/> und dem Hof; aber es erſchienen auch impoſante Militärmaſſen:<lb/> Linie, ungariſche Garden, Huſaren, Cuiraſſiere beſetzten alle Haupt-<lb/> plätze und Straßen — vom Bürgermilitär war noch nichts zu ſehen.<lb/> Auf einmal erſchallt tauſendſtimmiger Ruf: „das Volk zum Zeug-<lb/> haus“, und mit Knütteln, Stöcken und Brettern bewaffnete Maſ-<lb/> ſen wälzen fich von der Gegend des Landhauſes zum Hof und zur<lb/> Gegend des Zeughauſes. Auf der Freiung geſchah die erſte brutale<lb/> Gewaltthat. Einiges Werfen mit Ziegelſteinen, wovon jedoch kein<lb/> Soldat ernſtlich betroffen wurde, war wohl neben der auf dem voll-<lb/> glänzenden Geſicht eines übermüthigen Rittmeiſters ſichtbaren Erhitzung<lb/> gegen das Volk die Haupturſache des Angriffes. Plötzlich hört man in<lb/> der Nähe eine Infanterieſalve; Entſetzen und Wuth ergreift das Volk;<lb/> rathlos, ohne Waffen, ohne Führer ſtürzt es wuthheulend durch die Stra-<lb/> ßen; dann erfolgt ein zweiter, ein dritter Angriff des Militärs, mit<lb/> wohlgenährtem Pelotonfeuer und Bajonnetangriff. Etwa 13 bis 15<lb/> blieben todt auf dem Platz und einige 50 haben mehr und wenig bedeu-<lb/> tende Wunden, darunter friedliche, angeſehene Bürger. Sprachlos zer-<lb/> ſtreuen ſich für einige Augenblicke die angewachſenen Volkshaufen, welche<lb/> auch trotz unmenſchlicher Mühe die ſie ſich bei Erſtürmung der Thüre<lb/> des Zeughauſes gaben, dieſe nicht zu Stande brachten. Abermals trat<lb/> eine Pauſe ein; der Ruf nach Bürgerbewaffnung wurde lauter und lau-<lb/> ter, doch erſchien noch keiner. Unterdeſſen wurden Todte, mit Blut be-<lb/> deckt, durch die Straßen getragen; einige Verwundete ritten mit blut-<lb/> geröthetem Geſicht und Binde zu Pferd durch alle Straßen der Stadt um<lb/> dem Volk das Entſetzliche zu zeigen. Unterdeſſen fingen die dichtbevöl-<lb/> kerten-Vorſtädte an ſich gegen die Stadt hin zu entleeren; der weite<lb/> Raum der Glacis deckte ſich mit unzähligen Gruppen, worunter überall<lb/> die Redner die Ereigniſſe des Tages erzählten. Endlich erſchienen einige<lb/> Bürgerſoldaten: ſie wurden mit Jubelruf begrüßt und unzählige Volks-<lb/> haufen umgaben ſie. Auf den Glacis bildeten ſich dann einige Batail-<lb/> lone und gegen 6 Uhr rückten ſie in die Stadt ein. Unterdeſſen durch-<lb/> zogen lärmende Volkshaufen die Straßen; Schilderhäuſer, Annoncen-<lb/> bretter, Baugerüſte wurden zertrümmert und niedergeriſſen, am Polizei-<lb/> gebäude und an hundert andern die Fenſter eingeworfen und Verſuche<lb/> zu Barricaden gemacht. Die Studenten waren unter Leitung ihrer<lb/> Profeſſoren und Führer abermals verſammelt und verlangten Bewaff-<lb/> nung zum Schutze der Stadt und der Wehrloſen. Deputation folgt auf<lb/> Deputation; endlich heißt es: „zum bürgerlichen Zeughaus, wir bekom-<lb/> men Waffen!“ Die Mediciner, Juriſten, Philoſophen und Polytechniker<lb/> wandten ſich alsbald dahin und nach einigem Zögern thaten ſich die Thore<lb/> auf. Im Hofe unter Fackelſchein und Ueberwachung durch Bürgergar-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 18 März 1848.
Oeſterreich.
Die Ereigniſſe in Wien.
☆ Wien, 13 März. 11½ Uhr Nachts.
Ich
ſchreibe Ihnen dieſe Worte von der Studentenhauptwache im Univerfi-
tätsgebäude, wo ſich ſeit einer Stunde die verſchiedenen Corps der Be-
waffneten ſammeln. Das Unglaubliche, das Unerhörte iſt heute hier
geſchehen: Wien, das bürgerliche, kaiſertreue Wien iſt in vollſtem Auf-
ſtand, der Revolutionsruf erſchallt in allen Straßen der Stadt und
der bevölkerten Vorſtädte. Ich will Ihnen, ſo weit es meine fieberhafte
Aufregung erlaubt, die Geſchichte des heutigen Tags erzählen, der einzig
in der Geſchichte des Kaiſerreichs und glorreich in der Geſchichte Deutſch-
lands daſteht. Schon ſeit vorgeſtern circulirten hier unter Studenten,
Profeſſoren und unter den Bürgern energiſche Petitionen, in einer
Sprache abgefaßt wie ſie nur der augenblickliche Zuſtand aller Gemüther
der civilifirten Völker Europa’s reden kann. Tauſende von Unterſchrif-
ten decken fie; Preßfreiheit, repräſentative Verfafſung, baſirt auf der
breiten Grundlage der Volksvertretung, neu zu organifirende Munlcipal-
Verfaſſung mit freier Wahl der ſtädtiſchen Beamten und Vertreter, volle
Religionsgleichheit, ein einziges gemeinſames öſterreichiſches
Parlament, engerer Anſchluß an Deutſchland und Vertretung in
einem deutſchen Parlament — dieß waren die weſentlichſten Forde-
rungen des Volkes, denen ich noch Umgeſtaltung des Militärweſens und
Schaffung einer Bürgergarde beifügen muß. Der heutige Tag, wo ſich die
Landſtände im Landhauſe verſammeln ſollten, wurde zur allgemeinen De-
monſtration beſtimmt. Schon früh morgens ſammelten ſich etwa 2—3000
Studenten im Univerſitätsgebäude um eine Deputation zu erwählen,
welche die Wünſche den Ständen ſchriftlich überreichen und mündlich
vortragen ſollte. Einer der Profeſſoren verwies vergebens auf das
Ungeſetzliche ſolcher Demonſtration; er ſprach von organiſcher Entwick-
lung auf dem beſtehenden Rechtsboden und wurde, wie ſich von ſelbſt
verſteht, gänzlich abgewieſen. Gegen 9 Uhr ſammelten ſich ſchon Schaa
ren des Volkes um das Landhaus in der Herrengaſſe, und gegen 10 Uhr
erſchienen die Studenten. Zahlreiche Redner beſtiegen alles was eine
Erhöhung bot, und redeten zum Volke welches nach jedem Vorſchlage
und vorgetragenen Wunſche in laute Hurrahs ausbrach. Endlich orga-
nifirten ſich die Maſſen in dem inneren Hofe des Landhauſes ſelbſt. Zwei
Studenten — Juriſten, von denen der eine ein Pole war — nahmen von
einer Altane aus das Wort, und verlaſen zuerſt die vortreffliche Rede
Koſſuths worin alle Wünſche des Volkes mit Klarheit und Energie aus-
geſprochen waren. Dann folgte die Verleſung der Forderungen des
Volkes und eine beredte Auseinanderſetzung der Nothwendigkeit dieſe
augenblicklich realiſirt zu ſehen. Vor allen zeichnete ſich hier ein Stu-
dent Namens Barian aus, der zu wiederholtenmalen eine wirklich große
Volksberedſamkeit entwickelte. Unterdeſſen ging eine Deputation in den
Ständeſaal, von wo aus wiederum ein Ständemitglied erſchien und er-
klärte: die Stände ſelbſt ſeyen mit den Wünſchen des Polkes einverſtan-
den. Es wurde bei dieſer Gelegenheit der Entwurf der ſtändiſchen
Adreffe an den Kaiſer verleſen, aber die Sprache zu gemäßigt, der Jnhalt
den dringenden Umſtänden der Zeit nicht mehr angemeſſen gefunden.
Sie wurde von dem Studentenredner unter ungeheurem Jubel des
Volkes vor den Augen der Stände zerriſſen. Unterdeſſen ſteigerte ſich
der Tumult, die Maſſen drangen in alle Säle des Landhauſes ein; und
man verlangte immer lauter eine augenblickliche Erklärung der Stände,
und daß dieſelben gleich in corpore zum Kaiſer ſich begeben ſollten. Jn
dem innern Hofraum wurde eine zweite Deputation aus Volk und Stu-
denten gewählt, wozu auch Schreiber dieſer Zeilen gehörte. Der Name
Metternich wurde immer lauter gerufen, und unter wildem Lärm gelang
es der Deputation bis an den Eingang des Ständeſaales vorzudringen.
Vergebens bemühren ſich einzelne Ständemitglieder ihren Eintritt in die
Verſammlung zu verwehren und bei dieſer Gelegenheit gab ein Mißver-
ſtändniß Veranlaſſung zu bedauernswerthen Scenen. Etwa 5 der De-
putirten waren in dem Vorzimmer des Ständeſaales verſchwunden und
man glaubte ſie verhaftet; augenblicklich wurden die Thüren geſtürmt
und mit Bänken eingerannt; alle Tiſche, Stühle, Uhren, Fenſter der
Vorzimmer in tauſend Trümmer zerſchlagen und daraus Waffen ge-
macht. Die Stände zitterten für ihr Leben. Ein Deputirter (Schreiber
dieſes) ſchlug als einzige Garantie für die Herſtellung der Ruhe augen-
blickliche Abſetzung des Fürſten Metternich und in Anklageſtandſetzung
desſelben, wegen Hochverrath an Volk und Kaiſer, vor. Unterdeſſen
wuchs der Tumult in den Höfen und Straßen. Der obengenannte Red-
ner wurde vom Volk im Triumph herumgetragen und alles ſchrie plötzlich,
als habe es ſich elektriſch durch die Maſſen bewegt — „nach dem Palais
Metternich“. Der Redner wurde hingetragen, und hier geſtützt auf vier
kräftige Schultern hielt er bald an das Volk, bald an die in Metternichs
Salon verſammelten Hof- und Staatsbeamten ſich wendend eine Rede
als wäre er Lamartine in Paris. Das Hurrah und Halloh des Volkes
war unbeſchreiblich, unermeßlich. Darauf wälzte ſich wieder der Zug ins
Ständehaus, wo unterdeſſen alles zertrümmert war. Die Stände wur-
den genöthigt augenblicklich ſich in Geſammtheit zum Kaiſer zu verfügen und
außer Anerkennung der aufgeſtellten und vielfach ſchriftlich überreichten
Forderungen auf alsbaldige Abſetzung Metternichs anzutragen. Unter-
deſſen wurden die Fenſter am Burgtheater eingeſchlagen, der Straßen-
tumult war allgemein. Endlich trat eine gewiſſe Pauſe ein; man erwar-
tete mit geſpannter Hoffnung die Antwort des Kaiſers. Aber ſtatt der-
ſelben erſchienen zahlreiche Militär-Abtheilungen welche die Burg beſetz-
ten, alle Zugänge abſperrten, wie auch das Palais Metternich in weitem
Kreiſe umringten. Der Ruf nach dem Erſcheinen der Bürgergarden
und Bewaffnung der Studenten wurde immer lauter und lauter, im-
mer maſſenhafter entwickelten ſich die Volkshaufen. Man ſing ſchon
an das Militär eng zu umdrängen, und zwei Compagnien Grenadiere,
welche den Eingang des Landhauſes beſetzen ſollten, wurden bald in
zwei Abtheilungen vom Volke getrennt, zuſammengedrückt und nach
Niedertretung von zwei bis drei etwas barſchigen Grenadieren ge-
zwungen ihre Bajonette abzunehmen und abzuziehen. Unterdeſſen
ſammelten ſich immer größere Maſſen — beſonders auf dem Judenplatz
und dem Hof; aber es erſchienen auch impoſante Militärmaſſen:
Linie, ungariſche Garden, Huſaren, Cuiraſſiere beſetzten alle Haupt-
plätze und Straßen — vom Bürgermilitär war noch nichts zu ſehen.
Auf einmal erſchallt tauſendſtimmiger Ruf: „das Volk zum Zeug-
haus“, und mit Knütteln, Stöcken und Brettern bewaffnete Maſ-
ſen wälzen fich von der Gegend des Landhauſes zum Hof und zur
Gegend des Zeughauſes. Auf der Freiung geſchah die erſte brutale
Gewaltthat. Einiges Werfen mit Ziegelſteinen, wovon jedoch kein
Soldat ernſtlich betroffen wurde, war wohl neben der auf dem voll-
glänzenden Geſicht eines übermüthigen Rittmeiſters ſichtbaren Erhitzung
gegen das Volk die Haupturſache des Angriffes. Plötzlich hört man in
der Nähe eine Infanterieſalve; Entſetzen und Wuth ergreift das Volk;
rathlos, ohne Waffen, ohne Führer ſtürzt es wuthheulend durch die Stra-
ßen; dann erfolgt ein zweiter, ein dritter Angriff des Militärs, mit
wohlgenährtem Pelotonfeuer und Bajonnetangriff. Etwa 13 bis 15
blieben todt auf dem Platz und einige 50 haben mehr und wenig bedeu-
tende Wunden, darunter friedliche, angeſehene Bürger. Sprachlos zer-
ſtreuen ſich für einige Augenblicke die angewachſenen Volkshaufen, welche
auch trotz unmenſchlicher Mühe die ſie ſich bei Erſtürmung der Thüre
des Zeughauſes gaben, dieſe nicht zu Stande brachten. Abermals trat
eine Pauſe ein; der Ruf nach Bürgerbewaffnung wurde lauter und lau-
ter, doch erſchien noch keiner. Unterdeſſen wurden Todte, mit Blut be-
deckt, durch die Straßen getragen; einige Verwundete ritten mit blut-
geröthetem Geſicht und Binde zu Pferd durch alle Straßen der Stadt um
dem Volk das Entſetzliche zu zeigen. Unterdeſſen fingen die dichtbevöl-
kerten-Vorſtädte an ſich gegen die Stadt hin zu entleeren; der weite
Raum der Glacis deckte ſich mit unzähligen Gruppen, worunter überall
die Redner die Ereigniſſe des Tages erzählten. Endlich erſchienen einige
Bürgerſoldaten: ſie wurden mit Jubelruf begrüßt und unzählige Volks-
haufen umgaben ſie. Auf den Glacis bildeten ſich dann einige Batail-
lone und gegen 6 Uhr rückten ſie in die Stadt ein. Unterdeſſen durch-
zogen lärmende Volkshaufen die Straßen; Schilderhäuſer, Annoncen-
bretter, Baugerüſte wurden zertrümmert und niedergeriſſen, am Polizei-
gebäude und an hundert andern die Fenſter eingeworfen und Verſuche
zu Barricaden gemacht. Die Studenten waren unter Leitung ihrer
Profeſſoren und Führer abermals verſammelt und verlangten Bewaff-
nung zum Schutze der Stadt und der Wehrloſen. Deputation folgt auf
Deputation; endlich heißt es: „zum bürgerlichen Zeughaus, wir bekom-
men Waffen!“ Die Mediciner, Juriſten, Philoſophen und Polytechniker
wandten ſich alsbald dahin und nach einigem Zögern thaten ſich die Thore
auf. Im Hofe unter Fackelſchein und Ueberwachung durch Bürgergar-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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