Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 19. März 1848.[Spaltenumbruch]
mehr wenn die Waldungen, welche solches zu liefern geeignet find, Endlich dürfte durch einen allgemeinen Artikel dem Bunde die Be- Bis jetzt habe ich von wünschenswerthen positiven Bestimmungen Ich schließe diese Einsendung mit der Vitte an Ihre verehrten Kurhessen. * Kassel, 12 März. Auch bei uns heißt es jetzt wie einst in *) Kass. Allg. Zeit. No. 72 vom 12 März 1848.
[Spaltenumbruch]
mehr wenn die Waldungen, welche ſolches zu liefern geeignet find, Endlich dürfte durch einen allgemeinen Artikel dem Bunde die Be- Bis jetzt habe ich von wünſchenswerthen poſitiven Beſtimmungen Ich ſchließe dieſe Einſendung mit der Vitte an Ihre verehrten Kurheſſen. * Kaſſel, 12 März. Auch bei uns heißt es jetzt wie einſt in *) Kaſſ. Allg. Zeit. No. 72 vom 12 März 1848.
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Die Folge hievon iſt die Entwaldung der<lb/> Gebirge, die Abſchwemmung der Dammerde von den Höhen, das gänz-<lb/> liche Kahlwerden derſelben, die furchtbare Austrocknung des Landes<lb/> und der Flüſſe, und die ebenſo furchtbaren Ueberſchwemmungen der<lb/> letzteren, weil der Regen, anſtatt von der Moosdecke und von dem Humus<lb/> angeſogen zu werden und nach und nach in der Form von Quellen und<lb/> Bächen daraus wieder herauszufiltriren, von den kahlen Höhen in rei-<lb/> ßenden Gießbächen den Flüſſen und Strömen zuſtürzt, und die Thäler<lb/> periodiſch mit tobenden Seeen unter Waſſer ſetzt. Dieſer Gegenſtand<lb/> — auch von Fallmerayer in ſeinen anatoliſchen Briefen ſo richtig ge-<lb/> würdigt und jedem gebildeten deutſchen Forſtmann wohlbekannt — iſt<lb/> von ſo unendlicher <hi rendition="#g">nationaler</hi> Wichtigkeit für die Erhaltung des<lb/> Wohlſtandes der Länder, daß er gewiß höchſt würdig iſt bei der Feſt-<lb/> ſetzung der Zuſtändigkeit des deutſchen Bundes ausdrücklich vorgeſehen<lb/> zu werden. Geben ja doch einzelne deutſche Länder, wie z. B. Tirol,<lb/> abſchreckende Beiſpiele des gleichen Unglücks wie es Frankreich aus der<lb/> ſorgloſen Preisgebung ſeiner Waldungen erntet. Hier kann aber <hi rendition="#g">eine</hi><lb/> Regierung allein nicht helfen. Denn wenn z. 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Nun<lb/> ſey es mir aber erlaubt noch einer Hauptbeſtimmung der ſeitherigen<lb/> Bundesacte zu erwähnen, deren Wiederaufnahme im Intereſſe der Na-<lb/> tion <hi rendition="#g">nicht</hi> zu wünſchen iſt, nämlich des Artikels 14, welcher von den<lb/> Vorrechten des ſtandesherrlichen und ritterſchaftlichen Adels handelt.<lb/> Dieſer Artikel iſt unſtreitig ein Hauptgrund des Sturmes ſtaatlicher<lb/> Erregtheit welcher jetzt durch Deutſchland fährt. Er iſt die unvolks-<lb/> thümlichſte, offen geſagt die verhaßteſte Seite der ſeitherigen Bundes-<lb/> verfaſſung. Der ſtandesherrliche und reichsritterſchaftliche deutſche Adel<lb/> iſt, die liebenswürdigen äußeren Formen abgerechnet, im allgemeinen<lb/> nicht die gebildetſte Claſſe der Nation, er wird ſelbſt nicht behaupten<lb/> wollen ſeiner Mehrzahl nach die verdienteſte derſelben zu ſeyn. Jagd-,<lb/> Bad- und Hofleben, und feiner geſelliger Lebensgenuß waren die Be-<lb/> ſchäftigungen, Erhaltung, Steigerung ſeiner Vorrechte das Streben<lb/> einer großen Zahl ſeiner Mitglieder. Alle ſeine Anſprüche auf Vor-<lb/> rechte als Staatsbürgerclaſſe ſtützen ſich daher lediglich auf die That-<lb/> ſache daß er deren früher noch größere beſaß. Dieſe Thatſache genügt<lb/> aber heutzutage dem erwachten Selbſtbewußtſeyn der Völker nicht mehr.<lb/> Das „verdienen Sie der Welt voranzugehen“ iſt in alle Köpfe und<lb/> Herzen gedrungen. Gerechtigkeit und Staatsklugheit dürften daher<lb/> den Regierungen empfehlen alle und jede Adelsvorrechte fallen zu laſſen,<lb/> Vaterlandsliebe und weiſes Erkennen der Zeit dem Adel ſelbſt rathen<lb/> ſich in die Reihen ſeiner Mitbürger zu ſtellen, und ſich in denſelben<lb/> den Vorrang perſönlich zu erringen.</p><lb/> <p>Ich ſchließe dieſe Einſendung mit der Vitte an Ihre verehrten<lb/> Leſer das Ungenügende der vorſtehenden Erörterung mit dem Drange<lb/> der Zeit entſchuldigen zu wollen. 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Jedenfalls iſt es ein auch den Ungläubigſten in der tief-<lb/> ſten Seele erſchütterndes Ereigniß daß ſeit dem 6 December v. J.,<lb/> wo dem Militär, wiewohl erfolglos ein Eid angemuthet wurde, der mit<lb/> dem früher auf die Verfaſſung geleiſteten nicht vereinbar erſchien, das<lb/> ganze bisherige, dem äußern Anſchein nach ſo feſt begründete Regie-<lb/> rungsſyſtem von einem Schlag nach dem andern heimgeſucht wurde,<lb/> bis endlich geſtern die letzten Trümmer desſelben zuſammenſtürzten. Die un-<lb/> mittelbare Veranlaſſung zu der neuen Proclamation<note place="foot" n="*)">Kaſſ. Allg. Zeit. No. 72 vom 12 März 1848.</note> waren die Ih-<lb/> ren Leſern gewiß bereits bekannten Forderungen des „bewaffneten Vol-<lb/> kes“ zu Hanau, welche in einer ſehr ſtürmiſchen Form noch Einzel-<lb/> heiten begehrten, die im weſentlichen und allgemeinen ſchon in der<lb/> Proclamation vom 7 enthalten waren. Um jedoch den verfaſſungs-<lb/> mäßig gefinnten Bewohnern Hanau’s alle thunlichen Mittel in die<lb/> Hand zu geben die „bewaffneten Zuzüge“ aus der Nachbarſchaft zu<lb/> entfernen, ohne daß die Militärmacht zum Einſchreiten genöthigt werde,<lb/> ſo wurde hier ſowohl von den Miniſtern als auch von Seite der ſtäd-<lb/> tiſchen Behörden und von vielen andern patriotiſch geſinnten Män-<lb/> nern alles aufgeboten, um den Kurfürſten zu bewegen daß er unter<lb/> den obwaltenden Umſtänden von der Form abſehe. 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Freilich<lb/> wurden, was in Beziehung auf den beabſichtigten Erfolg ſehr zu be-<lb/> klagen war, dieſe neuen Zugeſtändniſſe, die ja an ſich gar kein Be-<lb/> denken haben konnten, nicht nach Einer reiflichen Erwägung raſch und<lb/> entſchieden bewilligt, ſondern nur ſtückweiſe nach und nach gewährt, ſo daß<lb/> die kaſſel’ſchen Bürger, als die Hanauer am 11ten gegen 5 Uhr Abends nur<lb/> halbbefriedigt wegfahren wollten, den Pferden in die Zügel fielen, und<lb/> die Kutſchen noch über eine Stunde auf der Straße unfern des Pa-<lb/> laſts feſthielten, bis ihnen endlich alle von ihnen gewünſchten Mittel<lb/> den Aufſtand in Hanau friedlich zu ſtillen gewährt und verbrieft wur-<lb/> den. Möge der Himmel nunmehr unſerm deutſchen Vaterlande in<lb/> allen ſeinen Theilen den Frieden von außen erhalten und im Jnnern zu<lb/> Theil werden laſſen, ohne welchen keine gedeihliche Entwickelung un-<lb/> ſeres neuen Volkslebens möglich iſt. Hier in Kaſſel und in Alt-Heſſen<lb/> iſt die verfaſſungsmäßige Ordnung verbürgt durch den entſchiedenen<lb/> Sinn nnd die Feſtigkeit der großen Mehrzahl der Bürger aller Claſſen.<lb/> Die neue Preßfreiheit wird allerdings noch mancherlei Sonderbar-<lb/> keiten hervorbringen, bis ſich die Vorſtellungen darüber geklärt haben;<lb/> aber auch das wird ſich hoffentlich bald organiſch geſtalten. Schon<lb/> ſeit einigen Tagen iſt hier die Rede davon einen „Verein der freien<lb/> Preſſe für Wahrheit, Recht und Verfaſſung“ zu begründen, dem ge-<lb/> wiß die Mehrzahl der Schriftſteller, Verleger und Drucker beitreten<lb/> wird, um dahin zu wirken daß die öffentliche Meinung nicht durch<lb/> lügenhafte Gerüchte und durch Verbreitung verfaſſungswidriger Grund-<lb/> ſätze irre geleitet werde. Bei dieſer Gelegenheit kann ich folgende<lb/> Anekdote nicht übergehen: Ein Proletarier fragte am 7ten Abends als<lb/> die Proclamation, welche der Stadtrath in Eile drucken, öffentlich<lb/> anſchlagen und gratis ertheilen ließ, an vielen Straßenecken laut vor-<lb/> geleſen wurde, ſeinen Collegen und Nachbar: Sag’, was iſt denn das<lb/> „Preßfreiheit“? Ei, antwortet jener, nun wird alles gedruckt und<lb/> wir kriegens umſonſt zu leſen. Ja, erwiedert der erſte, wer bezahlt<lb/> aber dann? „<hi rendition="#g">Der Bundestag!</hi>“ war die naive Antwort des ein-<lb/> fachen Mannes, der freilich in ſeinem Sinn nur den Stadtrath mit<lb/> dem Bundestag verwechſelte, von dem in Preßangelegenheiten jetzt<lb/> vorzugsweiſe überall die Rede war. Unſer Miniſterium iſt jetzt fol-<lb/> gendermaßen beſetzt: Juſtizminiſter, der bisherige Obergerichtsdirec-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1259/0011]
mehr wenn die Waldungen, welche ſolches zu liefern geeignet find,
nicht unter den ſtrengſten Banngeſetzen in dieſer Hinſicht und unter dem
Waldhammer der Marine ſtänden. Dagegen hat Frankreich ſeit ſeiner
erſten Staatsumwälzung auf die ſchauerlichſte Weiſe einen großen Theil
ſeiner übrigen Waldungen verſchleudert und der Verwüſtung preisge-
geben, und die gegenwärtige Regierung iſt bekanntlich wieder in Be-
griff für 100 Mill. Franken Staatswaldungen zu verkaufen, d. h. dem
Verderben preiszugeben. Die Folge hievon iſt die Entwaldung der
Gebirge, die Abſchwemmung der Dammerde von den Höhen, das gänz-
liche Kahlwerden derſelben, die furchtbare Austrocknung des Landes
und der Flüſſe, und die ebenſo furchtbaren Ueberſchwemmungen der
letzteren, weil der Regen, anſtatt von der Moosdecke und von dem Humus
angeſogen zu werden und nach und nach in der Form von Quellen und
Bächen daraus wieder herauszufiltriren, von den kahlen Höhen in rei-
ßenden Gießbächen den Flüſſen und Strömen zuſtürzt, und die Thäler
periodiſch mit tobenden Seeen unter Waſſer ſetzt. Dieſer Gegenſtand
— auch von Fallmerayer in ſeinen anatoliſchen Briefen ſo richtig ge-
würdigt und jedem gebildeten deutſchen Forſtmann wohlbekannt — iſt
von ſo unendlicher nationaler Wichtigkeit für die Erhaltung des
Wohlſtandes der Länder, daß er gewiß höchſt würdig iſt bei der Feſt-
ſetzung der Zuſtändigkeit des deutſchen Bundes ausdrücklich vorgeſehen
zu werden. Geben ja doch einzelne deutſche Länder, wie z. B. Tirol,
abſchreckende Beiſpiele des gleichen Unglücks wie es Frankreich aus der
ſorgloſen Preisgebung ſeiner Waldungen erntet. Hier kann aber eine
Regierung allein nicht helfen. Denn wenn z. B. wir Süddeutſchen
den Schwarzwald oder Odenwald entwalden und in Folge deſſen Ueber-
ſchwemmungen den Neckar und Rhein hinunterſchicken, oder zur Aus-
trocknung von Süddeutſchland beitragen, ſo können die darunter mit-
leidenden Länder Naſſau, Preußen, Bayern u. ſ. w. hier nicht helfen,
falls der Bund nicht das Recht hat es zu verhüten.
Endlich dürfte durch einen allgemeinen Artikel dem Bunde die Be-
fugniß zu Ergreifung von Maßregeln und zu Errichtung von Anſtalten
für das Nationalwohl überhaupt vorzubehalten ſeyn, da keine Verfaſ-
ſung alle Fälle zweckmäßiger Thätigkeit vorauszuſehen vermag.
Bis jetzt habe ich von wünſchenswerthen poſitiven Beſtimmungen
der neuen Bundesacte in volkswirthſchaftlicher Hinſicht geſprochen. Nun
ſey es mir aber erlaubt noch einer Hauptbeſtimmung der ſeitherigen
Bundesacte zu erwähnen, deren Wiederaufnahme im Intereſſe der Na-
tion nicht zu wünſchen iſt, nämlich des Artikels 14, welcher von den
Vorrechten des ſtandesherrlichen und ritterſchaftlichen Adels handelt.
Dieſer Artikel iſt unſtreitig ein Hauptgrund des Sturmes ſtaatlicher
Erregtheit welcher jetzt durch Deutſchland fährt. Er iſt die unvolks-
thümlichſte, offen geſagt die verhaßteſte Seite der ſeitherigen Bundes-
verfaſſung. Der ſtandesherrliche und reichsritterſchaftliche deutſche Adel
iſt, die liebenswürdigen äußeren Formen abgerechnet, im allgemeinen
nicht die gebildetſte Claſſe der Nation, er wird ſelbſt nicht behaupten
wollen ſeiner Mehrzahl nach die verdienteſte derſelben zu ſeyn. Jagd-,
Bad- und Hofleben, und feiner geſelliger Lebensgenuß waren die Be-
ſchäftigungen, Erhaltung, Steigerung ſeiner Vorrechte das Streben
einer großen Zahl ſeiner Mitglieder. Alle ſeine Anſprüche auf Vor-
rechte als Staatsbürgerclaſſe ſtützen ſich daher lediglich auf die That-
ſache daß er deren früher noch größere beſaß. Dieſe Thatſache genügt
aber heutzutage dem erwachten Selbſtbewußtſeyn der Völker nicht mehr.
Das „verdienen Sie der Welt voranzugehen“ iſt in alle Köpfe und
Herzen gedrungen. Gerechtigkeit und Staatsklugheit dürften daher
den Regierungen empfehlen alle und jede Adelsvorrechte fallen zu laſſen,
Vaterlandsliebe und weiſes Erkennen der Zeit dem Adel ſelbſt rathen
ſich in die Reihen ſeiner Mitbürger zu ſtellen, und ſich in denſelben
den Vorrang perſönlich zu erringen.
Ich ſchließe dieſe Einſendung mit der Vitte an Ihre verehrten
Leſer das Ungenügende der vorſtehenden Erörterung mit dem Drange
der Zeit entſchuldigen zu wollen. Der neue Bund ſcheint raſch gebildet
werden zu ſollen; es iſt alſo keine Zeit zu Ausführungen; ich wünſchte
nur Gedanken zur Erwägung in die Welt zu ſenden.
Moriz Mohl.
Kurheſſen.
* Kaſſel, 12 März.
Auch bei uns heißt es jetzt wie einſt in
England bei dem Untergang der verderbendrohenden Armada: Aſſlavit
Deus, et dissipati sunt! Ja, der Hauch des Herrn hat ſie hinweg-
geblaſen dieſe Partei, welche ſeit ſechzehn Jahren alle wichtigen Stellen
mit getreuen Anhängern beſetzt zu haben glaubte, und deren Haupt-
wortführer ſich vermaß in offener Ständeverſammlung zu erklären daß
er „den alten Chriſtusglauben aufrecht zu halten“ beſchloſſen habe.
Aber der Himmel hat dieſe Solidarität abgelehnt, und wir hoffen ver-
trauensvoll, der wahre Chriſtusglaube unſeres Volkes wird darunter
nicht leiden. Jedenfalls iſt es ein auch den Ungläubigſten in der tief-
ſten Seele erſchütterndes Ereigniß daß ſeit dem 6 December v. J.,
wo dem Militär, wiewohl erfolglos ein Eid angemuthet wurde, der mit
dem früher auf die Verfaſſung geleiſteten nicht vereinbar erſchien, das
ganze bisherige, dem äußern Anſchein nach ſo feſt begründete Regie-
rungsſyſtem von einem Schlag nach dem andern heimgeſucht wurde,
bis endlich geſtern die letzten Trümmer desſelben zuſammenſtürzten. Die un-
mittelbare Veranlaſſung zu der neuen Proclamation *) waren die Ih-
ren Leſern gewiß bereits bekannten Forderungen des „bewaffneten Vol-
kes“ zu Hanau, welche in einer ſehr ſtürmiſchen Form noch Einzel-
heiten begehrten, die im weſentlichen und allgemeinen ſchon in der
Proclamation vom 7 enthalten waren. Um jedoch den verfaſſungs-
mäßig gefinnten Bewohnern Hanau’s alle thunlichen Mittel in die
Hand zu geben die „bewaffneten Zuzüge“ aus der Nachbarſchaft zu
entfernen, ohne daß die Militärmacht zum Einſchreiten genöthigt werde,
ſo wurde hier ſowohl von den Miniſtern als auch von Seite der ſtäd-
tiſchen Behörden und von vielen andern patriotiſch geſinnten Män-
nern alles aufgeboten, um den Kurfürſten zu bewegen daß er unter
den obwaltenden Umſtänden von der Form abſehe. Es ward demnach
außer den früher gewährten Punkten noch der verdiente Oberbürger-
meiſter Eberhard zu Hanau, obwohl er jene Forderungen mit un-
terzeichnet hatte, zum Vorſtand des Miniſteriums des Innern ernannt;
deßgleichen vollſtändige Amneſtie für alle politiſchen Vergehen ſeit 1830
bis zum Tage der Verkündigung theils unmittelbar gewährt, theils
— ſoweit nämlich die Ständeverſammlung dazu mitzuwirken hat —
feierlich zugeſagt; und endlich erklärt daß „alle den Genuß verfaſſungs-
mäßiger Rechte, insbeſondere des Petitions-Einigungs und Verſamm-
lungsrechtes beſchränkenden Beſchlüſſe“ aufgehoben ſeyn ſollten. Freilich
wurden, was in Beziehung auf den beabſichtigten Erfolg ſehr zu be-
klagen war, dieſe neuen Zugeſtändniſſe, die ja an ſich gar kein Be-
denken haben konnten, nicht nach Einer reiflichen Erwägung raſch und
entſchieden bewilligt, ſondern nur ſtückweiſe nach und nach gewährt, ſo daß
die kaſſel’ſchen Bürger, als die Hanauer am 11ten gegen 5 Uhr Abends nur
halbbefriedigt wegfahren wollten, den Pferden in die Zügel fielen, und
die Kutſchen noch über eine Stunde auf der Straße unfern des Pa-
laſts feſthielten, bis ihnen endlich alle von ihnen gewünſchten Mittel
den Aufſtand in Hanau friedlich zu ſtillen gewährt und verbrieft wur-
den. Möge der Himmel nunmehr unſerm deutſchen Vaterlande in
allen ſeinen Theilen den Frieden von außen erhalten und im Jnnern zu
Theil werden laſſen, ohne welchen keine gedeihliche Entwickelung un-
ſeres neuen Volkslebens möglich iſt. Hier in Kaſſel und in Alt-Heſſen
iſt die verfaſſungsmäßige Ordnung verbürgt durch den entſchiedenen
Sinn nnd die Feſtigkeit der großen Mehrzahl der Bürger aller Claſſen.
Die neue Preßfreiheit wird allerdings noch mancherlei Sonderbar-
keiten hervorbringen, bis ſich die Vorſtellungen darüber geklärt haben;
aber auch das wird ſich hoffentlich bald organiſch geſtalten. Schon
ſeit einigen Tagen iſt hier die Rede davon einen „Verein der freien
Preſſe für Wahrheit, Recht und Verfaſſung“ zu begründen, dem ge-
wiß die Mehrzahl der Schriftſteller, Verleger und Drucker beitreten
wird, um dahin zu wirken daß die öffentliche Meinung nicht durch
lügenhafte Gerüchte und durch Verbreitung verfaſſungswidriger Grund-
ſätze irre geleitet werde. Bei dieſer Gelegenheit kann ich folgende
Anekdote nicht übergehen: Ein Proletarier fragte am 7ten Abends als
die Proclamation, welche der Stadtrath in Eile drucken, öffentlich
anſchlagen und gratis ertheilen ließ, an vielen Straßenecken laut vor-
geleſen wurde, ſeinen Collegen und Nachbar: Sag’, was iſt denn das
„Preßfreiheit“? Ei, antwortet jener, nun wird alles gedruckt und
wir kriegens umſonſt zu leſen. Ja, erwiedert der erſte, wer bezahlt
aber dann? „Der Bundestag!“ war die naive Antwort des ein-
fachen Mannes, der freilich in ſeinem Sinn nur den Stadtrath mit
dem Bundestag verwechſelte, von dem in Preßangelegenheiten jetzt
vorzugsweiſe überall die Rede war. Unſer Miniſterium iſt jetzt fol-
gendermaßen beſetzt: Juſtizminiſter, der bisherige Obergerichtsdirec-
*) Kaſſ. Allg. Zeit. No. 72 vom 12 März 1848.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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