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Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 19. März 1848.

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[Spaltenumbruch] die Bürgersoldaten standen in zahlreichen Bataillonen auf den Haupt-
plätzen; das Vertheilen der Gewehre aus den Zeughäusern hatte, wie
auch die ganze Nacht hindurch, ungestörten Fortgang; und unzählige
Haufen von Bewaffneten füllten bald alle Straßen und Plätze. Sie
formirten sich in Bataillone von 100 bis 200, Bürgerofficiere und Pro-
fessoren an der Spitze, Fahnen in mannichfachster Art vor sich hertra-
gend. Schon gegen 10 Uhr waren mehr als 13,000 Gewehre ausge-
theilt, und die bewaffneten Haufen zeigten einen von dem gestrigen sehr
verschiedenen Anblick; nicht mehr Studenten allein und Bürgern, auch
Handwerksgesellen, Buben und Taglöhnern wurden Waffen verab-
reicht, denn es ließ sich der Sturm im Zeughaus nicht regeln. Als ich
gegen 12 Uhr mit einem Bataillon durch die Stadt zog, begegneten mir
wenigstens 60 bis 80 verschiedene Haufen, und die Gesammtzahl der
Bewaffneten mochte sich schon 15 bis 18,000 belaufen. Gegen 1 Uhr
bewaffnete sich der politisch-juridische Leseverein, und eine weiße Fahne
mit der Inschrift "Preßfreiheit" an der Spitze zog er zu seinem Local.
Die Wachen waren unterdeß alle von Bürgern und Studenten besetzt;
selbst die Bank nicht ausgenommen; die Plätze waren von Bewaffneten
gefüllt und die Wache vor dem Hofkriegsgebäude, wo 4 Kanonen aufge-
pflanzt und die ganze Generalität versammelt war, wurde in geschlosse-
nem Viereck von den Studenten und Bürgern umschlossen. Man harrte
mit Sehnsucht und Ungeduld der kaiserlichen Decrete. Endlich erschie-
nen Deputationen und Commissäre und brachten zuerst die Nachricht:
Erzherzog Albrecht ist nicht mehr Commandant der Stadt, ihn ersetzt
Fürst Windisch-Grätz; Erzherzog Ludwig hat abgedankt; der
Kaiser bewilligt die augenblickliche Bildung einer Nationalgarde; Graf
Hoyos-Prinzenstein ist Commandant derselben. Alles dieses wurde
zwar mit Freuden vernommen, beruhigte und befriedigte aber noch kei-
neswegs. Endlich erschienen neue Herolde vom Hofe; Prof. Hirn und
der um die Bewegung vielverdiente Notar der medicinischen Facultät,
Dr. Schilling, verkündeten daß "der Kaiser die Aushebung der Censur
decretirt habe." Jetzt hallte in allen Straßen nur ein Wort und ein
Laut: "Preßfreiheit!" und zahlreiche Fahnen mit dieser Jnschrift wehten
an der Spitze der bewaffneten Haufen. Der Kern derselben stand noch
immer unbeweglich auf dem Hof; und alle erklärten laut und einstim-
mig: "daß zwar das Errungene dankbar anzuerkennen sey, daß man
aber die Waffen nicht eher niederlegen werde bis alles errungen." Be-
sonders unruhig und herausfordernd zeigten sich bei dieser Gelegenheit
die bewaffneten Compagnien der Italiener. Unterdeß war Fürst Met-
ternich mit seiner Frau in einem kaiserlichen Wäscherwagen verkleidet
aus der Stadt geflohen. Er hatte sich gegen Oedenburg gewandt, wie
man sagt. Erzherzog Albrecht, dessen Leben am meisten bedroht war,
ist nach Preßburg abgegangen; von Erzherzog Ludwig weiß man nichts.
Die Ligorianer, denen man schon gestern einen höchst unfreundlichen
Besuch abstattete, haben heute ihren Convent verlassen. Auch die Thore
der Stadt sind jetzt von Studenten und Bürgern besetzt, und das Mili-
tär fängt an mit ihnen zu fraternisiren. Dagegen wüthet das Volk in
den entlegenen Vorstädten; in Fünf- und Sechshaus wohin ich mit
600 andern Bewaffneten beordert wurde, hat man die Gefällshäuser
niedergebrannt, zwei große Fabriken angezündet, und 5 bis 6 große
Wirthshäuser geplündert. Auch auf der Landstraße (der Vorstadt) soll
es sehr wild hergehen, Metternichs Villa -- von der man die Fürsten-
krone zuerst wegnahm -- konnte nur durch Studentencorps geschützt
werden. Uebrigens ist in der Stadt keine Gewaltthätigkeit vorgefallen.
Die großen Anschlagzettel, welche Bildung der Nationalgarden, Preß-
freiheit u. s. w. verkünden, werden wie verschlungen. Die Gesinnung
der Bewaffneten ist eine vorzügliche; ihre Zahl mehrt sich jeden Augen-
blick, denn auch die kaiserlichen Militär-Zeughäuser liefern jetzt Waffen.
Ueberall Trommeln, Fahnen und Hurrahrufen. Alle Fenster in Stadt
und Vorstädten find festlich beleuchtet, aus den meisten wehen weiße
Fahnen. Das Losungswort für heute wird seyn: "Verantwortliches
Ministerium, ein constitutioneller Kaiser und ein einziges, einiges
Deutschland." Die Weltgeschichte ist aus den alten Angeln gehoben!
Nachschrift. Am 15 März. 10 Uhr. Die Stadt ist ruhig aber von
Bewaffneten gefüllt; es scheinen sich endlich organisirende Comites für
die Leitung des Ganzen bilden zu wollen.


Nachdem ich schon gestern meinen zweiten
Brief abgesandt hatte, trat ein Zwischenfall ein der leicht bedenkliche Fol-
gen hätte haben können. Es verbreitete sich nämlich plötzlich das Gerücht
in der Stadt daß die verheißene Preßfreiheit nicht gegeben werden solle,
und daß man einer jeden weitern Forderung der Bürger mit Kanonen
[Spaltenumbruch] antworten würde. Einige wollten dieß dem inzwischen zur Ergreifung
des Commando über die Militärmacht herbeigerufenen Fürsten Win-
dischgrätz zuschreiben, andere gingen so weit zu behaupten Fürst Metter-
nich sey noch in Wien verborgen und leite alles einer Reaction zu. Die
Stimmung wurde kritisch. Die unter den Waffen stehenden Bürger zeig-
ten sich entschlossen alles zu wagen. Sie sagten: man will uns nur hin-
halten um Zeit zu gewinnen Militärverstärkung herbeizuziehen und uns
dann zu vernichten. Jede Ueberredung von Seite der Ruhigen, welche
Anarchie fürchteten und besonders die Macht des losen Haufens, der noch
immer in den bloßgestellten Linien Gräuel verübte, wurde mit Entrüstung
zurückgewiesen. Man hatte die rothen Abzeichen am Vormittag, als die
Freudenbotschaften erfolgt waren, allgemein mit weißen vertauscht, jetzt
wurden diese weggeworfen und mit Füßen getreten und die rothen wie-
der angelegt. Man hörte überall Verwünschungen ausstoßen und den
Entschluß eher zu sterben als nachzugeben. Eine Deputation von Bür-
gern die sich zum Kaiser begab, wurde nicht vorgelassen. Ich hörte die
Worte aus dem Munde eines dem höhern Stande angehörigen nicht
mehr jungen Mannes: "Und wenn sie auch ihre Kanonen auf uns ab-
feuern, wir müssen für unsere Sache stehen; wir fallen nicht unrühm-
lich. Ganz Europa sieht auf uns!" Man gab inzwischen das Beruhi-
gungsgeschäft nicht auf, so wenig es auch zu fruchten schien; man hoffte
auf das Erscheinen einer gedruckten Proclamation und wollte nur Auf-
schub der Gewaltthätigkeiten bis dahin erwirken. So verstrich der Nach-
mittag; gegen Abend hörte man daß der Fürst v. Windischgrätz sich habe
sprechen lassen, der mit den ausgedehntesten Vollmachten vom Kaiser
versehen sey. Die Proclamation über die Preßfreiheit wurde auf das
schnellste verheißen. Es währte nicht lange, da brachte man eiligst und
athemlos Placate herbei, des Inhalts: "Se. k. k. apostolische Maj.
haben die Aufhebung der Censur und die alsbaldige Ver-
öffentlichung eines Preßgesetzes allergnädigst zu beschlie-
ßen geruht
." Für den Augenblick herrschte Freude und Jubel; die
Stadt und die Vorstädte wurden wie am vorhergehenden Abend beleuch-
tet; aber die Stimmung war dennoch nicht dieselbe. Die Verzögerun-
gen hatten die Gemüther zum Mißtrauen geneigt gemacht, und die Ver-
breitung welche von einigen in bester Absicht, jedoch mit wenig Ueberlegung
und Erwägung des drohenden Momentes, geschah: Oesterreich wolle
und müsse abwarten was Preußen beschließen würde und daß man hie-
mit sehr wohl zufrieden seyn könne, brachte keine gute Wirkung hervor.
Beschwichtigender wirkte eine Aeußerung die Kolowrat gemacht haben
sollte: "Die Regierung habe das alte System für immer verlassen, und
man solle sich überzeugt halten daß das neue welches man ergreifen
würde, gewiß allen Anforderungen der Zeit entsprechen werde." Allein
man wollte von Systemen nichts mehr hören; man wollte Thatsachen
und auf schneller Entscheidung bestehen. Die Stimmung der National-
garde war ganz in diesem Sinn und entschlossen. Die Nacht kam und
alles blieb ruhig. Aus der Ferne hörte man starkes Schießen; in Fünf-
haus, vor der Linie wütheten Horden Gesindels. Zum Schutze der Leo-
poldstadt, deren Bürger sich zur Nationalgarde gestellt hatten, sah man
ein Häuflein von etwa 50 Mann am rothen Thurm nächst der Schlagbrücke
postirt. Es war der Director Carl, der seine Angestellten mobil gemacht
hatte und selbst anführte. Nestroy und Scholz unter Waffen! Ein Geist hat
alle beseelt. Der Kaiser hatte bereits Nachmittags die Burg verlassen.
Man sagt der Hof sey in Laxenburg. Des Kaisers Vögel wurden einem
Bekannten von mir zum Aufheben übergeben, zur guten Pflege bis daß
er wiederkäme. Die Studenten stehen an der Spitze der Bürgerbewaff-
nung; Professoren führen sie an. Endlicher trug die weiße Fahne. Diese
weißen Fahnen, die man überall sieht, wurden aus den Fenstern den Bür-
gern zugeworfen, und an die erste beste Stange befestigt. Kaiser Josephs
Standbild auf dem Josephsplatze trägt eine Blumenkrone auf dem Haupt
und eine Fahne mit dem Worte: Preßfreiheit. Man erwartete die
Prager Studenten, die Pesther Juraten, allein man hört daß die Eisen-
bahn sie nicht befördern will. Auch nehmen die in jenen Städten, wie
man sagt, ausgebrochenen Unruhen sie wohl am eigenen Herde zu sehr
in Anspruch. Für den heutigen Tag ist man sehr besorgt. Ein Theil
der Bevölkerung besteht fest auf allen Concessionen welche von den an-
dern deutschen Regierungen in jüngster Zeit gemacht wurden, und zwar
ohne Rückhalt und sogleich. Wir wollen sehen ob es den Wenigerwollenden
gelingt den Sturm zu bemeistern. Was bis jetzt erreicht wurde, ist, in
Erwägung dessen was hier so fest mit der alten Staatsmaschine verkittet
war, unglaublich. Entfernung Metternichs, des Erzherzogs Albrecht,
des Erzherzogs Ludwig gar, Aufhebung der Censur, Errichtung einer

[Spaltenumbruch] die Bürgerſoldaten ſtanden in zahlreichen Bataillonen auf den Haupt-
plätzen; das Vertheilen der Gewehre aus den Zeughäuſern hatte, wie
auch die ganze Nacht hindurch, ungeſtörten Fortgang; und unzählige
Haufen von Bewaffneten füllten bald alle Straßen und Plätze. Sie
formirten ſich in Bataillone von 100 bis 200, Bürgerofficiere und Pro-
feſſoren an der Spitze, Fahnen in mannichfachſter Art vor ſich hertra-
gend. Schon gegen 10 Uhr waren mehr als 13,000 Gewehre ausge-
theilt, und die bewaffneten Haufen zeigten einen von dem geſtrigen ſehr
verſchiedenen Anblick; nicht mehr Studenten allein und Bürgern, auch
Handwerksgeſellen, Buben und Taglöhnern wurden Waffen verab-
reicht, denn es ließ ſich der Sturm im Zeughaus nicht regeln. Als ich
gegen 12 Uhr mit einem Bataillon durch die Stadt zog, begegneten mir
wenigſtens 60 bis 80 verſchiedene Haufen, und die Geſammtzahl der
Bewaffneten mochte ſich ſchon 15 bis 18,000 belaufen. Gegen 1 Uhr
bewaffnete ſich der politiſch-juridiſche Leſeverein, und eine weiße Fahne
mit der Inſchrift „Preßfreiheit“ an der Spitze zog er zu ſeinem Local.
Die Wachen waren unterdeß alle von Bürgern und Studenten beſetzt;
ſelbſt die Bank nicht ausgenommen; die Plätze waren von Bewaffneten
gefüllt und die Wache vor dem Hofkriegsgebäude, wo 4 Kanonen aufge-
pflanzt und die ganze Generalität verſammelt war, wurde in geſchloſſe-
nem Viereck von den Studenten und Bürgern umſchloſſen. Man harrte
mit Sehnſucht und Ungeduld der kaiſerlichen Decrete. Endlich erſchie-
nen Deputationen und Commiſſäre und brachten zuerſt die Nachricht:
Erzherzog Albrecht iſt nicht mehr Commandant der Stadt, ihn erſetzt
Fürſt Windiſch-Grätz; Erzherzog Ludwig hat abgedankt; der
Kaiſer bewilligt die augenblickliche Bildung einer Nationalgarde; Graf
Hoyos-Prinzenſtein iſt Commandant derſelben. Alles dieſes wurde
zwar mit Freuden vernommen, beruhigte und befriedigte aber noch kei-
neswegs. Endlich erſchienen neue Herolde vom Hofe; Prof. Hirn und
der um die Bewegung vielverdiente Notar der mediciniſchen Facultät,
Dr. Schilling, verkündeten daß „der Kaiſer die Auſhebung der Cenſur
decretirt habe.“ Jetzt hallte in allen Straßen nur ein Wort und ein
Laut: „Preßfreiheit!“ und zahlreiche Fahnen mit dieſer Jnſchrift wehten
an der Spitze der bewaffneten Haufen. Der Kern derſelben ſtand noch
immer unbeweglich auf dem Hof; und alle erklärten laut und einſtim-
mig: „daß zwar das Errungene dankbar anzuerkennen ſey, daß man
aber die Waffen nicht eher niederlegen werde bis alles errungen.“ Be-
ſonders unruhig und herausfordernd zeigten ſich bei dieſer Gelegenheit
die bewaffneten Compagnien der Italiener. Unterdeß war Fürſt Met-
ternich mit ſeiner Frau in einem kaiſerlichen Wäſcherwagen verkleidet
aus der Stadt geflohen. Er hatte ſich gegen Oedenburg gewandt, wie
man ſagt. Erzherzog Albrecht, deſſen Leben am meiſten bedroht war,
iſt nach Preßburg abgegangen; von Erzherzog Ludwig weiß man nichts.
Die Ligorianer, denen man ſchon geſtern einen höchſt unfreundlichen
Beſuch abſtattete, haben heute ihren Convent verlaſſen. Auch die Thore
der Stadt ſind jetzt von Studenten und Bürgern beſetzt, und das Mili-
tär fängt an mit ihnen zu fraterniſiren. Dagegen wüthet das Volk in
den entlegenen Vorſtädten; in Fünf- und Sechshaus wohin ich mit
600 andern Bewaffneten beordert wurde, hat man die Gefällshäuſer
niedergebrannt, zwei große Fabriken angezündet, und 5 bis 6 große
Wirthshäuſer geplündert. Auch auf der Landſtraße (der Vorſtadt) ſoll
es ſehr wild hergehen, Metternichs Villa — von der man die Fürſten-
krone zuerſt wegnahm — konnte nur durch Studentencorps geſchützt
werden. Uebrigens iſt in der Stadt keine Gewaltthätigkeit vorgefallen.
Die großen Anſchlagzettel, welche Bildung der Nationalgarden, Preß-
freiheit u. ſ. w. verkünden, werden wie verſchlungen. Die Geſinnung
der Bewaffneten iſt eine vorzügliche; ihre Zahl mehrt ſich jeden Augen-
blick, denn auch die kaiſerlichen Militär-Zeughäuſer liefern jetzt Waffen.
Ueberall Trommeln, Fahnen und Hurrahrufen. Alle Fenſter in Stadt
und Vorſtädten find feſtlich beleuchtet, aus den meiſten wehen weiße
Fahnen. Das Loſungswort für heute wird ſeyn: „Verantwortliches
Miniſterium, ein conſtitutioneller Kaiſer und ein einziges, einiges
Deutſchland.“ Die Weltgeſchichte iſt aus den alten Angeln gehoben!
Nachſchrift. Am 15 März. 10 Uhr. Die Stadt iſt ruhig aber von
Bewaffneten gefüllt; es ſcheinen ſich endlich organiſirende Comites für
die Leitung des Ganzen bilden zu wollen.


Nachdem ich ſchon geſtern meinen zweiten
Brief abgeſandt hatte, trat ein Zwiſchenfall ein der leicht bedenkliche Fol-
gen hätte haben können. Es verbreitete ſich nämlich plötzlich das Gerücht
in der Stadt daß die verheißene Preßfreiheit nicht gegeben werden ſolle,
und daß man einer jeden weitern Forderung der Bürger mit Kanonen
[Spaltenumbruch] antworten würde. Einige wollten dieß dem inzwiſchen zur Ergreifung
des Commando über die Militärmacht herbeigerufenen Fürſten Win-
diſchgrätz zuſchreiben, andere gingen ſo weit zu behaupten Fürſt Metter-
nich ſey noch in Wien verborgen und leite alles einer Reaction zu. Die
Stimmung wurde kritiſch. Die unter den Waffen ſtehenden Bürger zeig-
ten ſich entſchloſſen alles zu wagen. Sie ſagten: man will uns nur hin-
halten um Zeit zu gewinnen Militärverſtärkung herbeizuziehen und uns
dann zu vernichten. Jede Ueberredung von Seite der Ruhigen, welche
Anarchie fürchteten und beſonders die Macht des loſen Haufens, der noch
immer in den bloßgeſtellten Linien Gräuel verübte, wurde mit Entrüſtung
zurückgewieſen. Man hatte die rothen Abzeichen am Vormittag, als die
Freudenbotſchaften erfolgt waren, allgemein mit weißen vertauſcht, jetzt
wurden dieſe weggeworfen und mit Füßen getreten und die rothen wie-
der angelegt. Man hörte überall Verwünſchungen ausſtoßen und den
Entſchluß eher zu ſterben als nachzugeben. Eine Deputation von Bür-
gern die ſich zum Kaiſer begab, wurde nicht vorgelaſſen. Ich hörte die
Worte aus dem Munde eines dem höhern Stande angehörigen nicht
mehr jungen Mannes: „Und wenn ſie auch ihre Kanonen auf uns ab-
feuern, wir müſſen für unſere Sache ſtehen; wir fallen nicht unrühm-
lich. Ganz Europa ſieht auf uns!“ Man gab inzwiſchen das Beruhi-
gungsgeſchäft nicht auf, ſo wenig es auch zu fruchten ſchien; man hoffte
auf das Erſcheinen einer gedruckten Proclamation und wollte nur Auf-
ſchub der Gewaltthätigkeiten bis dahin erwirken. So verſtrich der Nach-
mittag; gegen Abend hörte man daß der Fürſt v. Windiſchgrätz ſich habe
ſprechen laſſen, der mit den ausgedehnteſten Vollmachten vom Kaiſer
verſehen ſey. Die Proclamation über die Preßfreiheit wurde auf das
ſchnellſte verheißen. Es währte nicht lange, da brachte man eiligſt und
athemlos Placate herbei, des Inhalts: „Se. k. k. apoſtoliſche Maj.
haben die Aufhebung der Cenſur und die alsbaldige Ver-
öffentlichung eines Preßgeſetzes allergnädigſt zu beſchlie-
ßen geruht
.“ Für den Augenblick herrſchte Freude und Jubel; die
Stadt und die Vorſtädte wurden wie am vorhergehenden Abend beleuch-
tet; aber die Stimmung war dennoch nicht dieſelbe. Die Verzögerun-
gen hatten die Gemüther zum Mißtrauen geneigt gemacht, und die Ver-
breitung welche von einigen in beſter Abſicht, jedoch mit wenig Ueberlegung
und Erwägung des drohenden Momentes, geſchah: Oeſterreich wolle
und müſſe abwarten was Preußen beſchließen würde und daß man hie-
mit ſehr wohl zufrieden ſeyn könne, brachte keine gute Wirkung hervor.
Beſchwichtigender wirkte eine Aeußerung die Kolowrat gemacht haben
ſollte: „Die Regierung habe das alte Syſtem für immer verlaſſen, und
man ſolle ſich überzeugt halten daß das neue welches man ergreifen
würde, gewiß allen Anforderungen der Zeit entſprechen werde.“ Allein
man wollte von Syſtemen nichts mehr hören; man wollte Thatſachen
und auf ſchneller Entſcheidung beſtehen. Die Stimmung der National-
garde war ganz in dieſem Sinn und entſchloſſen. Die Nacht kam und
alles blieb ruhig. Aus der Ferne hörte man ſtarkes Schießen; in Fünf-
haus, vor der Linie wütheten Horden Geſindels. Zum Schutze der Leo-
poldſtadt, deren Bürger ſich zur Nationalgarde geſtellt hatten, ſah man
ein Häuflein von etwa 50 Mann am rothen Thurm nächſt der Schlagbrücke
poſtirt. Es war der Director Carl, der ſeine Angeſtellten mobil gemacht
hatte und ſelbſt anführte. Neſtroy und Scholz unter Waffen! Ein Geiſt hat
alle beſeelt. Der Kaiſer hatte bereits Nachmittags die Burg verlaſſen.
Man ſagt der Hof ſey in Laxenburg. Des Kaiſers Vögel wurden einem
Bekannten von mir zum Aufheben übergeben, zur guten Pflege bis daß
er wiederkäme. Die Studenten ſtehen an der Spitze der Bürgerbewaff-
nung; Profeſſoren führen ſie an. Endlicher trug die weiße Fahne. Dieſe
weißen Fahnen, die man überall ſieht, wurden aus den Fenſtern den Bür-
gern zugeworfen, und an die erſte beſte Stange befeſtigt. Kaiſer Joſephs
Standbild auf dem Joſephsplatze trägt eine Blumenkrone auf dem Haupt
und eine Fahne mit dem Worte: Preßfreiheit. Man erwartete die
Prager Studenten, die Peſther Juraten, allein man hört daß die Eiſen-
bahn ſie nicht befördern will. Auch nehmen die in jenen Städten, wie
man ſagt, ausgebrochenen Unruhen ſie wohl am eigenen Herde zu ſehr
in Anſpruch. Für den heutigen Tag iſt man ſehr beſorgt. Ein Theil
der Bevölkerung beſteht feſt auf allen Conceſſionen welche von den an-
dern deutſchen Regierungen in jüngſter Zeit gemacht wurden, und zwar
ohne Rückhalt und ſogleich. Wir wollen ſehen ob es den Wenigerwollenden
gelingt den Sturm zu bemeiſtern. Was bis jetzt erreicht wurde, iſt, in
Erwägung deſſen was hier ſo feſt mit der alten Staatsmaſchine verkittet
war, unglaublich. Entfernung Metternichs, des Erzherzogs Albrecht,
des Erzherzogs Ludwig gar, Aufhebung der Cenſur, Errichtung einer

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[0018] die Bürgerſoldaten ſtanden in zahlreichen Bataillonen auf den Haupt- plätzen; das Vertheilen der Gewehre aus den Zeughäuſern hatte, wie auch die ganze Nacht hindurch, ungeſtörten Fortgang; und unzählige Haufen von Bewaffneten füllten bald alle Straßen und Plätze. Sie formirten ſich in Bataillone von 100 bis 200, Bürgerofficiere und Pro- feſſoren an der Spitze, Fahnen in mannichfachſter Art vor ſich hertra- gend. Schon gegen 10 Uhr waren mehr als 13,000 Gewehre ausge- theilt, und die bewaffneten Haufen zeigten einen von dem geſtrigen ſehr verſchiedenen Anblick; nicht mehr Studenten allein und Bürgern, auch Handwerksgeſellen, Buben und Taglöhnern wurden Waffen verab- reicht, denn es ließ ſich der Sturm im Zeughaus nicht regeln. Als ich gegen 12 Uhr mit einem Bataillon durch die Stadt zog, begegneten mir wenigſtens 60 bis 80 verſchiedene Haufen, und die Geſammtzahl der Bewaffneten mochte ſich ſchon 15 bis 18,000 belaufen. Gegen 1 Uhr bewaffnete ſich der politiſch-juridiſche Leſeverein, und eine weiße Fahne mit der Inſchrift „Preßfreiheit“ an der Spitze zog er zu ſeinem Local. Die Wachen waren unterdeß alle von Bürgern und Studenten beſetzt; ſelbſt die Bank nicht ausgenommen; die Plätze waren von Bewaffneten gefüllt und die Wache vor dem Hofkriegsgebäude, wo 4 Kanonen aufge- pflanzt und die ganze Generalität verſammelt war, wurde in geſchloſſe- nem Viereck von den Studenten und Bürgern umſchloſſen. Man harrte mit Sehnſucht und Ungeduld der kaiſerlichen Decrete. Endlich erſchie- nen Deputationen und Commiſſäre und brachten zuerſt die Nachricht: Erzherzog Albrecht iſt nicht mehr Commandant der Stadt, ihn erſetzt Fürſt Windiſch-Grätz; Erzherzog Ludwig hat abgedankt; der Kaiſer bewilligt die augenblickliche Bildung einer Nationalgarde; Graf Hoyos-Prinzenſtein iſt Commandant derſelben. Alles dieſes wurde zwar mit Freuden vernommen, beruhigte und befriedigte aber noch kei- neswegs. Endlich erſchienen neue Herolde vom Hofe; Prof. Hirn und der um die Bewegung vielverdiente Notar der mediciniſchen Facultät, Dr. Schilling, verkündeten daß „der Kaiſer die Auſhebung der Cenſur decretirt habe.“ Jetzt hallte in allen Straßen nur ein Wort und ein Laut: „Preßfreiheit!“ und zahlreiche Fahnen mit dieſer Jnſchrift wehten an der Spitze der bewaffneten Haufen. Der Kern derſelben ſtand noch immer unbeweglich auf dem Hof; und alle erklärten laut und einſtim- mig: „daß zwar das Errungene dankbar anzuerkennen ſey, daß man aber die Waffen nicht eher niederlegen werde bis alles errungen.“ Be- ſonders unruhig und herausfordernd zeigten ſich bei dieſer Gelegenheit die bewaffneten Compagnien der Italiener. Unterdeß war Fürſt Met- ternich mit ſeiner Frau in einem kaiſerlichen Wäſcherwagen verkleidet aus der Stadt geflohen. Er hatte ſich gegen Oedenburg gewandt, wie man ſagt. Erzherzog Albrecht, deſſen Leben am meiſten bedroht war, iſt nach Preßburg abgegangen; von Erzherzog Ludwig weiß man nichts. Die Ligorianer, denen man ſchon geſtern einen höchſt unfreundlichen Beſuch abſtattete, haben heute ihren Convent verlaſſen. Auch die Thore der Stadt ſind jetzt von Studenten und Bürgern beſetzt, und das Mili- tär fängt an mit ihnen zu fraterniſiren. Dagegen wüthet das Volk in den entlegenen Vorſtädten; in Fünf- und Sechshaus wohin ich mit 600 andern Bewaffneten beordert wurde, hat man die Gefällshäuſer niedergebrannt, zwei große Fabriken angezündet, und 5 bis 6 große Wirthshäuſer geplündert. Auch auf der Landſtraße (der Vorſtadt) ſoll es ſehr wild hergehen, Metternichs Villa — von der man die Fürſten- krone zuerſt wegnahm — konnte nur durch Studentencorps geſchützt werden. Uebrigens iſt in der Stadt keine Gewaltthätigkeit vorgefallen. Die großen Anſchlagzettel, welche Bildung der Nationalgarden, Preß- freiheit u. ſ. w. verkünden, werden wie verſchlungen. Die Geſinnung der Bewaffneten iſt eine vorzügliche; ihre Zahl mehrt ſich jeden Augen- blick, denn auch die kaiſerlichen Militär-Zeughäuſer liefern jetzt Waffen. Ueberall Trommeln, Fahnen und Hurrahrufen. Alle Fenſter in Stadt und Vorſtädten find feſtlich beleuchtet, aus den meiſten wehen weiße Fahnen. Das Loſungswort für heute wird ſeyn: „Verantwortliches Miniſterium, ein conſtitutioneller Kaiſer und ein einziges, einiges Deutſchland.“ Die Weltgeſchichte iſt aus den alten Angeln gehoben! Nachſchrift. Am 15 März. 10 Uhr. Die Stadt iſt ruhig aber von Bewaffneten gefüllt; es ſcheinen ſich endlich organiſirende Comites für die Leitung des Ganzen bilden zu wollen. ♃ Wien, 15 März. Nachdem ich ſchon geſtern meinen zweiten Brief abgeſandt hatte, trat ein Zwiſchenfall ein der leicht bedenkliche Fol- gen hätte haben können. Es verbreitete ſich nämlich plötzlich das Gerücht in der Stadt daß die verheißene Preßfreiheit nicht gegeben werden ſolle, und daß man einer jeden weitern Forderung der Bürger mit Kanonen antworten würde. Einige wollten dieß dem inzwiſchen zur Ergreifung des Commando über die Militärmacht herbeigerufenen Fürſten Win- diſchgrätz zuſchreiben, andere gingen ſo weit zu behaupten Fürſt Metter- nich ſey noch in Wien verborgen und leite alles einer Reaction zu. Die Stimmung wurde kritiſch. Die unter den Waffen ſtehenden Bürger zeig- ten ſich entſchloſſen alles zu wagen. Sie ſagten: man will uns nur hin- halten um Zeit zu gewinnen Militärverſtärkung herbeizuziehen und uns dann zu vernichten. Jede Ueberredung von Seite der Ruhigen, welche Anarchie fürchteten und beſonders die Macht des loſen Haufens, der noch immer in den bloßgeſtellten Linien Gräuel verübte, wurde mit Entrüſtung zurückgewieſen. Man hatte die rothen Abzeichen am Vormittag, als die Freudenbotſchaften erfolgt waren, allgemein mit weißen vertauſcht, jetzt wurden dieſe weggeworfen und mit Füßen getreten und die rothen wie- der angelegt. Man hörte überall Verwünſchungen ausſtoßen und den Entſchluß eher zu ſterben als nachzugeben. Eine Deputation von Bür- gern die ſich zum Kaiſer begab, wurde nicht vorgelaſſen. Ich hörte die Worte aus dem Munde eines dem höhern Stande angehörigen nicht mehr jungen Mannes: „Und wenn ſie auch ihre Kanonen auf uns ab- feuern, wir müſſen für unſere Sache ſtehen; wir fallen nicht unrühm- lich. Ganz Europa ſieht auf uns!“ Man gab inzwiſchen das Beruhi- gungsgeſchäft nicht auf, ſo wenig es auch zu fruchten ſchien; man hoffte auf das Erſcheinen einer gedruckten Proclamation und wollte nur Auf- ſchub der Gewaltthätigkeiten bis dahin erwirken. So verſtrich der Nach- mittag; gegen Abend hörte man daß der Fürſt v. Windiſchgrätz ſich habe ſprechen laſſen, der mit den ausgedehnteſten Vollmachten vom Kaiſer verſehen ſey. Die Proclamation über die Preßfreiheit wurde auf das ſchnellſte verheißen. Es währte nicht lange, da brachte man eiligſt und athemlos Placate herbei, des Inhalts: „Se. k. k. apoſtoliſche Maj. haben die Aufhebung der Cenſur und die alsbaldige Ver- öffentlichung eines Preßgeſetzes allergnädigſt zu beſchlie- ßen geruht.“ Für den Augenblick herrſchte Freude und Jubel; die Stadt und die Vorſtädte wurden wie am vorhergehenden Abend beleuch- tet; aber die Stimmung war dennoch nicht dieſelbe. Die Verzögerun- gen hatten die Gemüther zum Mißtrauen geneigt gemacht, und die Ver- breitung welche von einigen in beſter Abſicht, jedoch mit wenig Ueberlegung und Erwägung des drohenden Momentes, geſchah: Oeſterreich wolle und müſſe abwarten was Preußen beſchließen würde und daß man hie- mit ſehr wohl zufrieden ſeyn könne, brachte keine gute Wirkung hervor. Beſchwichtigender wirkte eine Aeußerung die Kolowrat gemacht haben ſollte: „Die Regierung habe das alte Syſtem für immer verlaſſen, und man ſolle ſich überzeugt halten daß das neue welches man ergreifen würde, gewiß allen Anforderungen der Zeit entſprechen werde.“ Allein man wollte von Syſtemen nichts mehr hören; man wollte Thatſachen und auf ſchneller Entſcheidung beſtehen. Die Stimmung der National- garde war ganz in dieſem Sinn und entſchloſſen. Die Nacht kam und alles blieb ruhig. Aus der Ferne hörte man ſtarkes Schießen; in Fünf- haus, vor der Linie wütheten Horden Geſindels. Zum Schutze der Leo- poldſtadt, deren Bürger ſich zur Nationalgarde geſtellt hatten, ſah man ein Häuflein von etwa 50 Mann am rothen Thurm nächſt der Schlagbrücke poſtirt. Es war der Director Carl, der ſeine Angeſtellten mobil gemacht hatte und ſelbſt anführte. Neſtroy und Scholz unter Waffen! Ein Geiſt hat alle beſeelt. Der Kaiſer hatte bereits Nachmittags die Burg verlaſſen. Man ſagt der Hof ſey in Laxenburg. Des Kaiſers Vögel wurden einem Bekannten von mir zum Aufheben übergeben, zur guten Pflege bis daß er wiederkäme. Die Studenten ſtehen an der Spitze der Bürgerbewaff- nung; Profeſſoren führen ſie an. Endlicher trug die weiße Fahne. Dieſe weißen Fahnen, die man überall ſieht, wurden aus den Fenſtern den Bür- gern zugeworfen, und an die erſte beſte Stange befeſtigt. Kaiſer Joſephs Standbild auf dem Joſephsplatze trägt eine Blumenkrone auf dem Haupt und eine Fahne mit dem Worte: Preßfreiheit. Man erwartete die Prager Studenten, die Peſther Juraten, allein man hört daß die Eiſen- bahn ſie nicht befördern will. Auch nehmen die in jenen Städten, wie man ſagt, ausgebrochenen Unruhen ſie wohl am eigenen Herde zu ſehr in Anſpruch. Für den heutigen Tag iſt man ſehr beſorgt. Ein Theil der Bevölkerung beſteht feſt auf allen Conceſſionen welche von den an- dern deutſchen Regierungen in jüngſter Zeit gemacht wurden, und zwar ohne Rückhalt und ſogleich. Wir wollen ſehen ob es den Wenigerwollenden gelingt den Sturm zu bemeiſtern. Was bis jetzt erreicht wurde, iſt, in Erwägung deſſen was hier ſo feſt mit der alten Staatsmaſchine verkittet war, unglaublich. Entfernung Metternichs, des Erzherzogs Albrecht, des Erzherzogs Ludwig gar, Aufhebung der Cenſur, Errichtung einer

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 19. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine79_1848/18>, abgerufen am 21.11.2024.