Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 19. März 1848.[Spaltenumbruch]
die Bürgersoldaten standen in zahlreichen Bataillonen auf den Haupt- Jupiter Wien, 15 März. Nachdem ich schon gestern meinen zweiten [Spaltenumbruch]
die Bürgerſoldaten ſtanden in zahlreichen Bataillonen auf den Haupt- ♃ Wien, 15 März. Nachdem ich ſchon geſtern meinen zweiten <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0018"/><cb/> die Bürgerſoldaten ſtanden in zahlreichen Bataillonen auf den Haupt-<lb/> plätzen; das Vertheilen der Gewehre aus den Zeughäuſern hatte, wie<lb/> auch die ganze Nacht hindurch, ungeſtörten Fortgang; und unzählige<lb/> Haufen von Bewaffneten füllten bald alle Straßen und Plätze. Sie<lb/> formirten ſich in Bataillone von 100 bis 200, Bürgerofficiere und Pro-<lb/> feſſoren an der Spitze, Fahnen in mannichfachſter Art vor ſich hertra-<lb/> gend. Schon gegen 10 Uhr waren mehr als 13,000 Gewehre ausge-<lb/> theilt, und die bewaffneten Haufen zeigten einen von dem geſtrigen ſehr<lb/> verſchiedenen Anblick; nicht mehr Studenten allein und Bürgern, auch<lb/> Handwerksgeſellen, Buben und Taglöhnern wurden Waffen verab-<lb/> reicht, denn es ließ ſich der Sturm im Zeughaus nicht regeln. Als ich<lb/> gegen 12 Uhr mit einem Bataillon durch die Stadt zog, begegneten mir<lb/> wenigſtens 60 bis 80 verſchiedene Haufen, und die Geſammtzahl der<lb/> Bewaffneten mochte ſich ſchon 15 bis 18,000 belaufen. Gegen 1 Uhr<lb/> bewaffnete ſich der politiſch-juridiſche Leſeverein, und eine weiße Fahne<lb/> mit der Inſchrift „Preßfreiheit“ an der Spitze zog er zu ſeinem Local.<lb/> Die Wachen waren unterdeß alle von Bürgern und Studenten beſetzt;<lb/> ſelbſt die Bank nicht ausgenommen; die Plätze waren von Bewaffneten<lb/> gefüllt und die Wache vor dem Hofkriegsgebäude, wo 4 Kanonen aufge-<lb/> pflanzt und die ganze Generalität verſammelt war, wurde in geſchloſſe-<lb/> nem Viereck von den Studenten und Bürgern umſchloſſen. Man harrte<lb/> mit Sehnſucht und Ungeduld der kaiſerlichen Decrete. Endlich erſchie-<lb/> nen Deputationen und Commiſſäre und brachten zuerſt die Nachricht:<lb/> Erzherzog Albrecht iſt nicht mehr Commandant der Stadt, ihn erſetzt<lb/> Fürſt Windiſch-Grätz; <hi rendition="#g">Erzherzog Ludwig hat abgedankt</hi>; der<lb/> Kaiſer bewilligt die augenblickliche Bildung einer Nationalgarde; Graf<lb/> Hoyos-Prinzenſtein iſt Commandant derſelben. Alles dieſes wurde<lb/> zwar mit Freuden vernommen, beruhigte und befriedigte aber noch kei-<lb/> neswegs. Endlich erſchienen neue Herolde vom Hofe; Prof. Hirn und<lb/> der um die Bewegung vielverdiente Notar der mediciniſchen Facultät,<lb/><hi rendition="#aq">Dr.</hi> Schilling, verkündeten daß „der Kaiſer die Auſhebung der Cenſur<lb/> decretirt habe.“ Jetzt hallte in allen Straßen nur ein Wort und ein<lb/> Laut: „Preßfreiheit!“ und zahlreiche Fahnen mit dieſer Jnſchrift wehten<lb/> an der Spitze der bewaffneten Haufen. Der Kern derſelben ſtand noch<lb/> immer unbeweglich auf dem Hof; und alle erklärten laut und einſtim-<lb/> mig: „daß zwar das Errungene dankbar anzuerkennen ſey, daß man<lb/> aber die Waffen nicht eher niederlegen werde bis alles errungen.“ Be-<lb/> ſonders unruhig und herausfordernd zeigten ſich bei dieſer Gelegenheit<lb/> die bewaffneten Compagnien der Italiener. Unterdeß war Fürſt Met-<lb/> ternich mit ſeiner Frau in einem kaiſerlichen Wäſcherwagen verkleidet<lb/> aus der Stadt geflohen. Er hatte ſich gegen Oedenburg gewandt, wie<lb/> man ſagt. Erzherzog Albrecht, deſſen Leben am meiſten bedroht war,<lb/> iſt nach Preßburg abgegangen; von Erzherzog Ludwig weiß man nichts.<lb/> Die Ligorianer, denen man ſchon geſtern einen höchſt unfreundlichen<lb/> Beſuch abſtattete, haben heute ihren Convent verlaſſen. Auch die Thore<lb/> der Stadt ſind jetzt von Studenten und Bürgern beſetzt, und das Mili-<lb/> tär fängt an mit ihnen zu fraterniſiren. Dagegen wüthet das Volk in<lb/> den entlegenen Vorſtädten; in Fünf- und Sechshaus wohin ich mit<lb/> 600 andern Bewaffneten beordert wurde, hat man die Gefällshäuſer<lb/> niedergebrannt, zwei große Fabriken angezündet, und 5 bis 6 große<lb/> Wirthshäuſer geplündert. Auch auf der Landſtraße (der Vorſtadt) ſoll<lb/> es ſehr wild hergehen, Metternichs Villa — von der man die Fürſten-<lb/> krone zuerſt wegnahm — konnte nur durch Studentencorps geſchützt<lb/> werden. Uebrigens iſt in der Stadt keine Gewaltthätigkeit vorgefallen.<lb/> Die großen Anſchlagzettel, welche Bildung der Nationalgarden, Preß-<lb/> freiheit u. ſ. w. verkünden, werden wie verſchlungen. Die Geſinnung<lb/> der Bewaffneten iſt eine vorzügliche; ihre Zahl mehrt ſich jeden Augen-<lb/> blick, denn auch die kaiſerlichen Militär-Zeughäuſer liefern jetzt Waffen.<lb/> Ueberall Trommeln, Fahnen und Hurrahrufen. Alle Fenſter in Stadt<lb/> und Vorſtädten find feſtlich beleuchtet, aus den meiſten wehen weiße<lb/> Fahnen. Das Loſungswort für heute wird ſeyn: „Verantwortliches<lb/> Miniſterium, ein conſtitutioneller Kaiſer und ein einziges, einiges<lb/> Deutſchland.“ Die Weltgeſchichte iſt aus den alten Angeln gehoben!<lb/><hi rendition="#g">Nachſchrift</hi>. Am 15 März. 10 Uhr. Die Stadt iſt ruhig aber von<lb/> Bewaffneten gefüllt; es ſcheinen ſich endlich organiſirende Comites für<lb/> die Leitung des Ganzen bilden zu wollen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>♃ <hi rendition="#b">Wien,</hi> 15 März.</dateline><lb/> <p>Nachdem ich ſchon geſtern meinen zweiten<lb/> Brief abgeſandt hatte, trat ein Zwiſchenfall ein der leicht bedenkliche Fol-<lb/> gen hätte haben können. Es verbreitete ſich nämlich plötzlich das Gerücht<lb/> in der Stadt daß die verheißene Preßfreiheit nicht gegeben werden ſolle,<lb/> und daß man einer jeden weitern Forderung der Bürger mit Kanonen<lb/><cb/> antworten würde. Einige wollten dieß dem inzwiſchen zur Ergreifung<lb/> des Commando über die Militärmacht herbeigerufenen Fürſten Win-<lb/> diſchgrätz zuſchreiben, andere gingen ſo weit zu behaupten Fürſt Metter-<lb/> nich ſey noch in Wien verborgen und leite alles einer Reaction zu. Die<lb/> Stimmung wurde kritiſch. Die unter den Waffen ſtehenden Bürger zeig-<lb/> ten ſich entſchloſſen alles zu wagen. Sie ſagten: man will uns nur hin-<lb/> halten um Zeit zu gewinnen Militärverſtärkung herbeizuziehen und uns<lb/> dann zu vernichten. Jede Ueberredung von Seite der Ruhigen, welche<lb/> Anarchie fürchteten und beſonders die Macht des loſen Haufens, der noch<lb/> immer in den bloßgeſtellten Linien Gräuel verübte, wurde mit Entrüſtung<lb/> zurückgewieſen. Man hatte die rothen Abzeichen am Vormittag, als die<lb/> Freudenbotſchaften erfolgt waren, allgemein mit weißen vertauſcht, jetzt<lb/> wurden dieſe weggeworfen und mit Füßen getreten und die rothen wie-<lb/> der angelegt. Man hörte überall Verwünſchungen ausſtoßen und den<lb/> Entſchluß eher zu ſterben als nachzugeben. Eine Deputation von Bür-<lb/> gern die ſich zum Kaiſer begab, wurde nicht vorgelaſſen. Ich hörte die<lb/> Worte aus dem Munde eines dem höhern Stande angehörigen nicht<lb/> mehr jungen Mannes: „Und wenn ſie auch ihre Kanonen auf uns ab-<lb/> feuern, wir müſſen für unſere Sache ſtehen; wir fallen nicht unrühm-<lb/> lich. Ganz Europa ſieht auf uns!“ Man gab inzwiſchen das Beruhi-<lb/> gungsgeſchäft nicht auf, ſo wenig es auch zu fruchten ſchien; man hoffte<lb/> auf das Erſcheinen einer gedruckten Proclamation und wollte nur Auf-<lb/> ſchub der Gewaltthätigkeiten bis dahin erwirken. So verſtrich der Nach-<lb/> mittag; gegen Abend hörte man daß der Fürſt v. Windiſchgrätz ſich habe<lb/> ſprechen laſſen, der mit den ausgedehnteſten Vollmachten vom Kaiſer<lb/> verſehen ſey. Die Proclamation über die Preßfreiheit wurde auf das<lb/> ſchnellſte verheißen. Es währte nicht lange, da brachte man eiligſt und<lb/> athemlos Placate herbei, des Inhalts: „<hi rendition="#g">Se. k. k. apoſtoliſche Maj.<lb/> haben die Aufhebung der Cenſur und die alsbaldige Ver-<lb/> öffentlichung eines Preßgeſetzes allergnädigſt zu beſchlie-<lb/> ßen geruht</hi>.“ Für den Augenblick herrſchte Freude und Jubel; die<lb/> Stadt und die Vorſtädte wurden wie am vorhergehenden Abend beleuch-<lb/> tet; aber die Stimmung war dennoch nicht dieſelbe. Die Verzögerun-<lb/> gen hatten die Gemüther zum Mißtrauen geneigt gemacht, und die Ver-<lb/> breitung welche von einigen in beſter Abſicht, jedoch mit wenig Ueberlegung<lb/> und Erwägung des drohenden Momentes, geſchah: Oeſterreich wolle<lb/> und müſſe abwarten was Preußen beſchließen würde und daß man hie-<lb/> mit ſehr wohl zufrieden ſeyn könne, brachte keine gute Wirkung hervor.<lb/> Beſchwichtigender wirkte eine Aeußerung die Kolowrat gemacht haben<lb/> ſollte: „Die Regierung habe das alte Syſtem für immer verlaſſen, und<lb/> man ſolle ſich überzeugt halten daß das neue welches man ergreifen<lb/> würde, gewiß allen Anforderungen der Zeit entſprechen werde.“ Allein<lb/> man wollte von Syſtemen nichts mehr hören; man wollte Thatſachen<lb/> und auf ſchneller Entſcheidung beſtehen. Die Stimmung der National-<lb/> garde war ganz in dieſem Sinn und entſchloſſen. Die Nacht kam und<lb/> alles blieb ruhig. Aus der Ferne hörte man ſtarkes Schießen; in Fünf-<lb/> haus, vor der Linie wütheten Horden Geſindels. Zum Schutze der Leo-<lb/> poldſtadt, deren Bürger ſich zur Nationalgarde geſtellt hatten, ſah man<lb/> ein Häuflein von etwa 50 Mann am rothen Thurm nächſt der Schlagbrücke<lb/> poſtirt. Es war der Director Carl, der ſeine Angeſtellten mobil gemacht<lb/> hatte und ſelbſt anführte. Neſtroy und Scholz unter Waffen! <hi rendition="#g">Ein</hi> Geiſt hat<lb/> alle beſeelt. Der Kaiſer hatte bereits Nachmittags die Burg verlaſſen.<lb/> Man ſagt der Hof ſey in Laxenburg. Des Kaiſers Vögel wurden einem<lb/> Bekannten von mir zum Aufheben übergeben, zur guten Pflege bis daß<lb/> er wiederkäme. Die Studenten ſtehen an der Spitze der Bürgerbewaff-<lb/> nung; Profeſſoren führen ſie an. Endlicher trug die weiße Fahne. Dieſe<lb/> weißen Fahnen, die man überall ſieht, wurden aus den Fenſtern den Bür-<lb/> gern zugeworfen, und an die erſte beſte Stange befeſtigt. Kaiſer Joſephs<lb/> Standbild auf dem Joſephsplatze trägt eine Blumenkrone auf dem Haupt<lb/> und eine Fahne mit dem Worte: <hi rendition="#g">Preßfreiheit</hi>. Man erwartete die<lb/> Prager Studenten, die Peſther Juraten, allein man hört daß die Eiſen-<lb/> bahn ſie nicht befördern will. Auch nehmen die in jenen Städten, wie<lb/> man ſagt, ausgebrochenen Unruhen ſie wohl am eigenen Herde zu ſehr<lb/> in Anſpruch. Für den heutigen Tag iſt man ſehr beſorgt. Ein Theil<lb/> der Bevölkerung beſteht feſt auf allen Conceſſionen welche von den an-<lb/> dern deutſchen Regierungen in jüngſter Zeit gemacht wurden, und zwar<lb/> ohne Rückhalt und ſogleich. Wir wollen ſehen ob es den Wenigerwollenden<lb/> gelingt den Sturm zu bemeiſtern. Was bis jetzt erreicht wurde, iſt, in<lb/> Erwägung deſſen was hier ſo feſt mit der alten Staatsmaſchine verkittet<lb/> war, unglaublich. Entfernung Metternichs, des Erzherzogs Albrecht,<lb/> des Erzherzogs Ludwig gar, Aufhebung der Cenſur, Errichtung einer<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0018]
die Bürgerſoldaten ſtanden in zahlreichen Bataillonen auf den Haupt-
plätzen; das Vertheilen der Gewehre aus den Zeughäuſern hatte, wie
auch die ganze Nacht hindurch, ungeſtörten Fortgang; und unzählige
Haufen von Bewaffneten füllten bald alle Straßen und Plätze. Sie
formirten ſich in Bataillone von 100 bis 200, Bürgerofficiere und Pro-
feſſoren an der Spitze, Fahnen in mannichfachſter Art vor ſich hertra-
gend. Schon gegen 10 Uhr waren mehr als 13,000 Gewehre ausge-
theilt, und die bewaffneten Haufen zeigten einen von dem geſtrigen ſehr
verſchiedenen Anblick; nicht mehr Studenten allein und Bürgern, auch
Handwerksgeſellen, Buben und Taglöhnern wurden Waffen verab-
reicht, denn es ließ ſich der Sturm im Zeughaus nicht regeln. Als ich
gegen 12 Uhr mit einem Bataillon durch die Stadt zog, begegneten mir
wenigſtens 60 bis 80 verſchiedene Haufen, und die Geſammtzahl der
Bewaffneten mochte ſich ſchon 15 bis 18,000 belaufen. Gegen 1 Uhr
bewaffnete ſich der politiſch-juridiſche Leſeverein, und eine weiße Fahne
mit der Inſchrift „Preßfreiheit“ an der Spitze zog er zu ſeinem Local.
Die Wachen waren unterdeß alle von Bürgern und Studenten beſetzt;
ſelbſt die Bank nicht ausgenommen; die Plätze waren von Bewaffneten
gefüllt und die Wache vor dem Hofkriegsgebäude, wo 4 Kanonen aufge-
pflanzt und die ganze Generalität verſammelt war, wurde in geſchloſſe-
nem Viereck von den Studenten und Bürgern umſchloſſen. Man harrte
mit Sehnſucht und Ungeduld der kaiſerlichen Decrete. Endlich erſchie-
nen Deputationen und Commiſſäre und brachten zuerſt die Nachricht:
Erzherzog Albrecht iſt nicht mehr Commandant der Stadt, ihn erſetzt
Fürſt Windiſch-Grätz; Erzherzog Ludwig hat abgedankt; der
Kaiſer bewilligt die augenblickliche Bildung einer Nationalgarde; Graf
Hoyos-Prinzenſtein iſt Commandant derſelben. Alles dieſes wurde
zwar mit Freuden vernommen, beruhigte und befriedigte aber noch kei-
neswegs. Endlich erſchienen neue Herolde vom Hofe; Prof. Hirn und
der um die Bewegung vielverdiente Notar der mediciniſchen Facultät,
Dr. Schilling, verkündeten daß „der Kaiſer die Auſhebung der Cenſur
decretirt habe.“ Jetzt hallte in allen Straßen nur ein Wort und ein
Laut: „Preßfreiheit!“ und zahlreiche Fahnen mit dieſer Jnſchrift wehten
an der Spitze der bewaffneten Haufen. Der Kern derſelben ſtand noch
immer unbeweglich auf dem Hof; und alle erklärten laut und einſtim-
mig: „daß zwar das Errungene dankbar anzuerkennen ſey, daß man
aber die Waffen nicht eher niederlegen werde bis alles errungen.“ Be-
ſonders unruhig und herausfordernd zeigten ſich bei dieſer Gelegenheit
die bewaffneten Compagnien der Italiener. Unterdeß war Fürſt Met-
ternich mit ſeiner Frau in einem kaiſerlichen Wäſcherwagen verkleidet
aus der Stadt geflohen. Er hatte ſich gegen Oedenburg gewandt, wie
man ſagt. Erzherzog Albrecht, deſſen Leben am meiſten bedroht war,
iſt nach Preßburg abgegangen; von Erzherzog Ludwig weiß man nichts.
Die Ligorianer, denen man ſchon geſtern einen höchſt unfreundlichen
Beſuch abſtattete, haben heute ihren Convent verlaſſen. Auch die Thore
der Stadt ſind jetzt von Studenten und Bürgern beſetzt, und das Mili-
tär fängt an mit ihnen zu fraterniſiren. Dagegen wüthet das Volk in
den entlegenen Vorſtädten; in Fünf- und Sechshaus wohin ich mit
600 andern Bewaffneten beordert wurde, hat man die Gefällshäuſer
niedergebrannt, zwei große Fabriken angezündet, und 5 bis 6 große
Wirthshäuſer geplündert. Auch auf der Landſtraße (der Vorſtadt) ſoll
es ſehr wild hergehen, Metternichs Villa — von der man die Fürſten-
krone zuerſt wegnahm — konnte nur durch Studentencorps geſchützt
werden. Uebrigens iſt in der Stadt keine Gewaltthätigkeit vorgefallen.
Die großen Anſchlagzettel, welche Bildung der Nationalgarden, Preß-
freiheit u. ſ. w. verkünden, werden wie verſchlungen. Die Geſinnung
der Bewaffneten iſt eine vorzügliche; ihre Zahl mehrt ſich jeden Augen-
blick, denn auch die kaiſerlichen Militär-Zeughäuſer liefern jetzt Waffen.
Ueberall Trommeln, Fahnen und Hurrahrufen. Alle Fenſter in Stadt
und Vorſtädten find feſtlich beleuchtet, aus den meiſten wehen weiße
Fahnen. Das Loſungswort für heute wird ſeyn: „Verantwortliches
Miniſterium, ein conſtitutioneller Kaiſer und ein einziges, einiges
Deutſchland.“ Die Weltgeſchichte iſt aus den alten Angeln gehoben!
Nachſchrift. Am 15 März. 10 Uhr. Die Stadt iſt ruhig aber von
Bewaffneten gefüllt; es ſcheinen ſich endlich organiſirende Comites für
die Leitung des Ganzen bilden zu wollen.
♃ Wien, 15 März.
Nachdem ich ſchon geſtern meinen zweiten
Brief abgeſandt hatte, trat ein Zwiſchenfall ein der leicht bedenkliche Fol-
gen hätte haben können. Es verbreitete ſich nämlich plötzlich das Gerücht
in der Stadt daß die verheißene Preßfreiheit nicht gegeben werden ſolle,
und daß man einer jeden weitern Forderung der Bürger mit Kanonen
antworten würde. Einige wollten dieß dem inzwiſchen zur Ergreifung
des Commando über die Militärmacht herbeigerufenen Fürſten Win-
diſchgrätz zuſchreiben, andere gingen ſo weit zu behaupten Fürſt Metter-
nich ſey noch in Wien verborgen und leite alles einer Reaction zu. Die
Stimmung wurde kritiſch. Die unter den Waffen ſtehenden Bürger zeig-
ten ſich entſchloſſen alles zu wagen. Sie ſagten: man will uns nur hin-
halten um Zeit zu gewinnen Militärverſtärkung herbeizuziehen und uns
dann zu vernichten. Jede Ueberredung von Seite der Ruhigen, welche
Anarchie fürchteten und beſonders die Macht des loſen Haufens, der noch
immer in den bloßgeſtellten Linien Gräuel verübte, wurde mit Entrüſtung
zurückgewieſen. Man hatte die rothen Abzeichen am Vormittag, als die
Freudenbotſchaften erfolgt waren, allgemein mit weißen vertauſcht, jetzt
wurden dieſe weggeworfen und mit Füßen getreten und die rothen wie-
der angelegt. Man hörte überall Verwünſchungen ausſtoßen und den
Entſchluß eher zu ſterben als nachzugeben. Eine Deputation von Bür-
gern die ſich zum Kaiſer begab, wurde nicht vorgelaſſen. Ich hörte die
Worte aus dem Munde eines dem höhern Stande angehörigen nicht
mehr jungen Mannes: „Und wenn ſie auch ihre Kanonen auf uns ab-
feuern, wir müſſen für unſere Sache ſtehen; wir fallen nicht unrühm-
lich. Ganz Europa ſieht auf uns!“ Man gab inzwiſchen das Beruhi-
gungsgeſchäft nicht auf, ſo wenig es auch zu fruchten ſchien; man hoffte
auf das Erſcheinen einer gedruckten Proclamation und wollte nur Auf-
ſchub der Gewaltthätigkeiten bis dahin erwirken. So verſtrich der Nach-
mittag; gegen Abend hörte man daß der Fürſt v. Windiſchgrätz ſich habe
ſprechen laſſen, der mit den ausgedehnteſten Vollmachten vom Kaiſer
verſehen ſey. Die Proclamation über die Preßfreiheit wurde auf das
ſchnellſte verheißen. Es währte nicht lange, da brachte man eiligſt und
athemlos Placate herbei, des Inhalts: „Se. k. k. apoſtoliſche Maj.
haben die Aufhebung der Cenſur und die alsbaldige Ver-
öffentlichung eines Preßgeſetzes allergnädigſt zu beſchlie-
ßen geruht.“ Für den Augenblick herrſchte Freude und Jubel; die
Stadt und die Vorſtädte wurden wie am vorhergehenden Abend beleuch-
tet; aber die Stimmung war dennoch nicht dieſelbe. Die Verzögerun-
gen hatten die Gemüther zum Mißtrauen geneigt gemacht, und die Ver-
breitung welche von einigen in beſter Abſicht, jedoch mit wenig Ueberlegung
und Erwägung des drohenden Momentes, geſchah: Oeſterreich wolle
und müſſe abwarten was Preußen beſchließen würde und daß man hie-
mit ſehr wohl zufrieden ſeyn könne, brachte keine gute Wirkung hervor.
Beſchwichtigender wirkte eine Aeußerung die Kolowrat gemacht haben
ſollte: „Die Regierung habe das alte Syſtem für immer verlaſſen, und
man ſolle ſich überzeugt halten daß das neue welches man ergreifen
würde, gewiß allen Anforderungen der Zeit entſprechen werde.“ Allein
man wollte von Syſtemen nichts mehr hören; man wollte Thatſachen
und auf ſchneller Entſcheidung beſtehen. Die Stimmung der National-
garde war ganz in dieſem Sinn und entſchloſſen. Die Nacht kam und
alles blieb ruhig. Aus der Ferne hörte man ſtarkes Schießen; in Fünf-
haus, vor der Linie wütheten Horden Geſindels. Zum Schutze der Leo-
poldſtadt, deren Bürger ſich zur Nationalgarde geſtellt hatten, ſah man
ein Häuflein von etwa 50 Mann am rothen Thurm nächſt der Schlagbrücke
poſtirt. Es war der Director Carl, der ſeine Angeſtellten mobil gemacht
hatte und ſelbſt anführte. Neſtroy und Scholz unter Waffen! Ein Geiſt hat
alle beſeelt. Der Kaiſer hatte bereits Nachmittags die Burg verlaſſen.
Man ſagt der Hof ſey in Laxenburg. Des Kaiſers Vögel wurden einem
Bekannten von mir zum Aufheben übergeben, zur guten Pflege bis daß
er wiederkäme. Die Studenten ſtehen an der Spitze der Bürgerbewaff-
nung; Profeſſoren führen ſie an. Endlicher trug die weiße Fahne. Dieſe
weißen Fahnen, die man überall ſieht, wurden aus den Fenſtern den Bür-
gern zugeworfen, und an die erſte beſte Stange befeſtigt. Kaiſer Joſephs
Standbild auf dem Joſephsplatze trägt eine Blumenkrone auf dem Haupt
und eine Fahne mit dem Worte: Preßfreiheit. Man erwartete die
Prager Studenten, die Peſther Juraten, allein man hört daß die Eiſen-
bahn ſie nicht befördern will. Auch nehmen die in jenen Städten, wie
man ſagt, ausgebrochenen Unruhen ſie wohl am eigenen Herde zu ſehr
in Anſpruch. Für den heutigen Tag iſt man ſehr beſorgt. Ein Theil
der Bevölkerung beſteht feſt auf allen Conceſſionen welche von den an-
dern deutſchen Regierungen in jüngſter Zeit gemacht wurden, und zwar
ohne Rückhalt und ſogleich. Wir wollen ſehen ob es den Wenigerwollenden
gelingt den Sturm zu bemeiſtern. Was bis jetzt erreicht wurde, iſt, in
Erwägung deſſen was hier ſo feſt mit der alten Staatsmaſchine verkittet
war, unglaublich. Entfernung Metternichs, des Erzherzogs Albrecht,
des Erzherzogs Ludwig gar, Aufhebung der Cenſur, Errichtung einer
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |