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Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 20. März 1848.

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[Spaltenumbruch] welche die Zugeständnisse der Preßfreiheit, der Geschwornengerichte,
der Vertretung am Bundestag erzwang, war anscheinend klein, und
wäre unmächtig gewesen solche Veränderungen durchzusetzen, hätte sie
sich nicht auf ein langjähriges eingewurzeltes Mißvergnügen gestützt das
seinen Grund keineswegs allein in verweigerten politischen Rechten,
sondern in der steigenden Verarmung der unteren und der Mittelclassen
hatte. Schnell ist das Wort gesprochen das die politischen Concessionen
gewährt, aber rauh und mühsam ist der Weg um dem praktischen Uebel
der steigenden Verarmung der unteren und der Mittelclassen abzuhelfen.
Wer an dieser Aufgabe erlahmt, taugt nicht zum Führer in der gegen-
wärtigen Zeit; niemand besitzt einen Zauberstab, keiner kann die Quelle
aus dem harten Fels springen lassen, keiner die Armuth plötzlich in
Wohlstand umwandeln; aber das Nöthigste ist jetzt Vertrauen bei den
unteren Classen durch Entgegenkommen zu wecken, sie zu vermögen was noch
getragen werden muß, mit ausharrendem Muthe zu tragen. Darum
ist Offenheit die erste Pflicht, und die Freiheit der Presse das erste und
unerläßlichste Mittel. Man muß offen seyn, offen den Stand der Dinge
darlegen, dieß ist der einzige Weg zum Vertrauen, während Heimlich-
thuerei nur größeres, unabsehbares Mißtrauen erwecken würde. Ge-
länge es heute durch ein Zusammenwirken unvorhergesehener Umstände
die gewährte Preßfreiheit und alle andern Garantien eines gedeihlichen
Zustandes wieder zu vernichten, es wäre für die Seite der Regierenden
nicht das mindeste gewonnen, vielmehr sehr viel verloren; denn bereits
ist das Landvolk in einer Aufregung, bereits sind an mehreren Orten so
umfassende Concessionen angekündigt, daß man in dieser Beziehung
nicht mehr zurück kann, es sey denn man regiere mit brutaler Gewalt
und ziehe fremde Truppen herbei -- eine unter den jetzigen Umständen
geradezu unmögliche Sache. Man beachte nur die öffentliche Stimme,
man lese nur selbst die halbofficiellen Blätter, niemand wagt es auf das
empörte Landvolk den Stein zu werfen; alle erkennen an daß es nur
einen unerträglich gewordenen Druck abzuwerfen suche, und so wenig
man die geübte Gewalt entschuldigt oder gutheißt, so findet man sie
unter den gegenwärtigen Umständen doch völlig erklärlich. Hierin liegt,
was auch im einzelnen gefrevelt worden seyn mag, eine gewisse mora-
lische Rechtfertigung, und man hüte sich ja gegen dieß Rechtsgefühl
der öffentlichen Meinung zu verstoßen, der Gegenstoß würde sicherlich
nicht ausbleiben.

Noch ist im Landvolk der Sinn für Recht und Gesetz nicht erstor-
ben, noch ist der Sinn für Ordnung lebendig, und bei einiger Leitung
ist es bereit dazu mitzuwirken, aber man muß zeigen, und in Bälde
zeigen daß man das Billige gewähren will, dann erst kann man erwar-
ten das Billige auch zu erhalten. Daß der Staat längst die Feudal-
abgaben hätte ablösen lassen, längst die Willkür mancher adeligen
Grundbesitzer in Schranken hätte halten sollen, das läugnet jetzt nie-
mand mehr, und wohlwollende, vorsichtige Grundherren haben es auch
aus eigenem Antrieb gethan, und machten außer Gült und Zehnt, so
viel sie solche besitzen, keine Ansorderungen mehr. Mögen die welche es
nicht gethan haben, die Schuld sich selbst zuschreiben, der Staat kann
ihnen nur noch eine schwache Entschädigung bieten, aus dem einfachen
Grunde weil er, selbst der reichste Grundherr, die größten Einbußen er-
leidet, und diese auf anderem Wege wieder gedeckt werden müssen. Hier
liegt ein Grund zu den weitgreifendsten Veränderungen in unserem
Staatswesen, ein Grund der sich weder läugnen noch umgehen läßt.
Diese Veränderungen lassen sich nur bewerkstelligen mit dem Beirath
der gebildeten Classen, d. h. mit Hülfe der Presse. Man hüte sich allzu-
großes Vertrauen auf die Ständeversammlungen zu setzen, denn sie sind
im gegenwärtigen Augenblick aus einem doppelten Grunde machtlos:
erstens haben alle berathenden Versammlungen etwas schwerfälliges,
schleppendes, und jetzt ist energische Handlung nöthig, die nur von eini-
gen kräftigen Ministerien ausgehen kann; zweitens hat man sich seit
dreißig Jahren bemüht die Wirksamkeit der Kammern zu lähmen, und
wird jetzt, wo man sich auf sie stützen will, einen gebrochenen Stab
finden, denn die Stände sind ohne Ansehen im Volk; dieß verlangt von
der Regierung daß sie handle, und zwar energisch handle. Die Zeit ist
nicht mehr wo einer die Schuld auf den andern schieben darf; man
muß das Eigenthum sichern, und wenn ungerechte Feudalabgaben schnell
fallen müssen, so muß man die gerechten nur nach gemeinsamem güt-
lichen Vergleich aufheben, sonst geht eine ungeheure Vermögensmasse
zu Grunde, ohne wesentlichen Vortheil selbst für die betheiligten Ge-
meinden; denn die Staatsbedürfnisse müssen doch gedeckt werden, und
sie fallen auf die eine oder die andere Weise wieder auf den Besitzstand
[Spaltenumbruch] zurück, da das bewegliche Vermögen, wenn es zu schwer belastet wird,
unmerklich sich vermindert und der Besteuerung entzieht. Wir wollen
keine Abhandlung über Finanzverwaltung schreiben, geben aber zu
bedenken, wenn man auf dem jetzigen Wege der Gefährdung rechtlichen
Besitzes fortschreitet und nicht energische Mittel zur Wahrung des
öffentlichen Friedens, des eigentlichen Landfriedens ergreift, daß dann
der Staat in der raschen Abnahme seiner Einkünfte schnell gewahren
wird daß der Zustand unhaltbar geworden, und daß eine so kostspielige
Regierung, wie sie bisher geführt wurde, nicht fortgeführt wer-
den kann.

Was in Schwaben und Franken vorgeht, kann einen Maßstab geben
von dem was in kurzem kommen kann, da an auswärtige Hülfe nicht
mehr zu denken ist. Worauf will man sich stützen? Alle die Stützen auf
die man seit dreißig Jahren gebaut und gerechnet hat, sie sind in weni-
gen Wochen fast gänzlich gebrochen, und jetzt muß man erst selbständig
zu regieren anfangen, d. h. man muß aus dem Actenstaub heraus, mit
den Menschen verkehren, sie bei ihren Jnteressen fassen, die bei der un-
endlichen Mehrzahl noch immer in der Erhaltung der Ordnung liegen.
Geschieht dieß nicht, läßt man den Geist der Unbotmäßigkeit auf dem
Lande weiter greifen, so ist die Erschütterung unabsehbar. Man sehe
nur den Gang der Aufstände in den Hauptstädten: zuerst tritt Jugend
und Volk auf, das man mit dem Namen Gefindel abfertigt; diese Un-
ruhen dauern fort, bis der sonst stille, wenn auch über manches un-
zufriedene Bürger bewaffnet zusammentritt um die Ruhe seiner Stadt
zu wahren. Sind vorber allerlei mißverstandene Forderungen aufge-
treten, so hört man jetzt mit dem bewaffneten Auftreten des Bürgers
die wahren, tief in den öffentlichen Zustand einschneidenden Beschwer-
den, und daran erlahmt die Regierung, denn sie fühlt sich moralisch
zu schwach solchen auf unläugbare Thatsachen gestützten Beschwerden
herb entgegenzutreten. Ebenso, wenn auch etwas langsamer, wird es
auf dem Lande gehen; bis jetzt sind mehr nur Einzelne aufgetreten,
kleine Schaaren, wie Freibeuter, dauert aber die dadurch erweckte
Unsicherheit fort, so wird der reichere besitzende Bauer auftreten,
wird Waffen fordern zu seiner Sicherheit, und billigerweise kann man
sie ihm nicht verweigern. Dann aber möchten manche bis jetzt un-
geahnte Forderungen auftreten, darum lege man Hand ans Werk,
ehe es zu spät ist. Heute -- den 16 -- tritt die bayerische Kammer
zusammen, möchte sie nicht die Zeit mit eitlen Reden, mit Recrimi-
nationen über die Vergangenheit verlieren: alles dieß ist jetzt mehr als
unnütz, es ist positiv schädlich; sie verlange Aufklärung über den Stand
der Finanzen, suche die Lücken zu füllen, und sporne die Regierung
zu thätigen Maßregeln, das ist das dringendste, um der innern Anar-
chie und dem fast gewissen Anfall von außen zu begegnen. E. W.



Bundesgenossen für Deutschland?
II.

A. Wir wiesen in einem frühern Aufsatz aus den Verhältnissen
der Gegenwart nach, wie ein Anschluß Deutschlands an die Russen
unter allen Umständen für uns zum Verderben ausschlagen müsse.
Wir bewegten uns damit gewissermaßen auf theoretischem Boden. Wir
kennen aber auch das dort Erörterte vom rein praktischen Boden der
Erfahrung aus bereden. Es liegt eine in Bezug auf russische Hülfe lehr-
reiche Vergangenheit hinter uns.

Der ersten französischen Revolution trat Rußland frühzeitig
feindlich, aus Princip seindlich entgegen. Katharina II verwies 1793
alle Franzosen die nicht die Grundsätze des revolutionären Frankreichs
abschwören würden aus ihrem Lande, und erkannte den Grafen von
Provence als Regenten von Frankreich an. Katharinens Sohn, Paul,
verbot zu Anfang seiner Regierung in Rußland französische Tracht
zu tragen; er duldete nicht daß die russische Akademie von Revolu-
tionen des Firmaments rede; er erklärte im Julius 1799 die "gesetz-
losc" in Frankreich herrschende Regierung für eine "von Gott verwor-
fene;" und er verbot dänischen Schiffen und Unterthanen den Ein-
tritt in Rußland "weil in Kopenhagen und ganz Dänemark Clubs
und Gesellschaften mit Grundsätzen seyen, wie sie mit der französischen
Revolution aufgekommen, und die dänische Regierung das erlaubt
habe." Die zweite Coalition Europa's gegen die Republik war, wenn
auch nicht geradezu das Werk, doch der Lieblingswunsch des Zaren.
Kaum indeß begann, zum Theil eben in Folge dieser Coalition, in
Frankreich die Militärmonarchie sich zu erheben, so knüpften sich bereits

[Spaltenumbruch] welche die Zugeſtändniſſe der Preßfreiheit, der Geſchwornengerichte,
der Vertretung am Bundestag erzwang, war anſcheinend klein, und
wäre unmächtig geweſen ſolche Veränderungen durchzuſetzen, hätte ſie
ſich nicht auf ein langjähriges eingewurzeltes Mißvergnügen geſtützt das
ſeinen Grund keineswegs allein in verweigerten politiſchen Rechten,
ſondern in der ſteigenden Verarmung der unteren und der Mittelclaſſen
hatte. Schnell iſt das Wort geſprochen das die politiſchen Conceſſionen
gewährt, aber rauh und mühſam iſt der Weg um dem praktiſchen Uebel
der ſteigenden Verarmung der unteren und der Mittelclaſſen abzuhelfen.
Wer an dieſer Aufgabe erlahmt, taugt nicht zum Führer in der gegen-
wärtigen Zeit; niemand beſitzt einen Zauberſtab, keiner kann die Quelle
aus dem harten Fels ſpringen laſſen, keiner die Armuth plötzlich in
Wohlſtand umwandeln; aber das Nöthigſte iſt jetzt Vertrauen bei den
unteren Claſſen durch Entgegenkommen zu wecken, ſie zu vermögen was noch
getragen werden muß, mit ausharrendem Muthe zu tragen. Darum
iſt Offenheit die erſte Pflicht, und die Freiheit der Preſſe das erſte und
unerläßlichſte Mittel. Man muß offen ſeyn, offen den Stand der Dinge
darlegen, dieß iſt der einzige Weg zum Vertrauen, während Heimlich-
thuerei nur größeres, unabſehbares Mißtrauen erwecken würde. Ge-
länge es heute durch ein Zuſammenwirken unvorhergeſehener Umſtände
die gewährte Preßfreiheit und alle andern Garantien eines gedeihlichen
Zuſtandes wieder zu vernichten, es wäre für die Seite der Regierenden
nicht das mindeſte gewonnen, vielmehr ſehr viel verloren; denn bereits
iſt das Landvolk in einer Aufregung, bereits ſind an mehreren Orten ſo
umfaſſende Conceſſionen angekündigt, daß man in dieſer Beziehung
nicht mehr zurück kann, es ſey denn man regiere mit brutaler Gewalt
und ziehe fremde Truppen herbei — eine unter den jetzigen Umſtänden
geradezu unmögliche Sache. Man beachte nur die öffentliche Stimme,
man leſe nur ſelbſt die halbofficiellen Blätter, niemand wagt es auf das
empörte Landvolk den Stein zu werfen; alle erkennen an daß es nur
einen unerträglich gewordenen Druck abzuwerfen ſuche, und ſo wenig
man die geübte Gewalt entſchuldigt oder gutheißt, ſo findet man ſie
unter den gegenwärtigen Umſtänden doch völlig erklärlich. Hierin liegt,
was auch im einzelnen gefrevelt worden ſeyn mag, eine gewiſſe mora-
liſche Rechtfertigung, und man hüte ſich ja gegen dieß Rechtsgefühl
der öffentlichen Meinung zu verſtoßen, der Gegenſtoß würde ſicherlich
nicht ausbleiben.

Noch iſt im Landvolk der Sinn für Recht und Geſetz nicht erſtor-
ben, noch iſt der Sinn für Ordnung lebendig, und bei einiger Leitung
iſt es bereit dazu mitzuwirken, aber man muß zeigen, und in Bälde
zeigen daß man das Billige gewähren will, dann erſt kann man erwar-
ten das Billige auch zu erhalten. Daß der Staat längſt die Feudal-
abgaben hätte ablöſen laſſen, längſt die Willkür mancher adeligen
Grundbeſitzer in Schranken hätte halten ſollen, das läugnet jetzt nie-
mand mehr, und wohlwollende, vorſichtige Grundherren haben es auch
aus eigenem Antrieb gethan, und machten außer Gült und Zehnt, ſo
viel ſie ſolche beſitzen, keine Anſorderungen mehr. Mögen die welche es
nicht gethan haben, die Schuld ſich ſelbſt zuſchreiben, der Staat kann
ihnen nur noch eine ſchwache Entſchädigung bieten, aus dem einfachen
Grunde weil er, ſelbſt der reichſte Grundherr, die größten Einbußen er-
leidet, und dieſe auf anderem Wege wieder gedeckt werden müſſen. Hier
liegt ein Grund zu den weitgreifendſten Veränderungen in unſerem
Staatsweſen, ein Grund der ſich weder läugnen noch umgehen läßt.
Dieſe Veränderungen laſſen ſich nur bewerkſtelligen mit dem Beirath
der gebildeten Claſſen, d. h. mit Hülfe der Preſſe. Man hüte ſich allzu-
großes Vertrauen auf die Ständeverſammlungen zu ſetzen, denn ſie ſind
im gegenwärtigen Augenblick aus einem doppelten Grunde machtlos:
erſtens haben alle berathenden Verſammlungen etwas ſchwerfälliges,
ſchleppendes, und jetzt iſt energiſche Handlung nöthig, die nur von eini-
gen kräftigen Miniſterien ausgehen kann; zweitens hat man ſich ſeit
dreißig Jahren bemüht die Wirkſamkeit der Kammern zu lähmen, und
wird jetzt, wo man ſich auf ſie ſtützen will, einen gebrochenen Stab
finden, denn die Stände ſind ohne Anſehen im Volk; dieß verlangt von
der Regierung daß ſie handle, und zwar energiſch handle. Die Zeit iſt
nicht mehr wo einer die Schuld auf den andern ſchieben darf; man
muß das Eigenthum ſichern, und wenn ungerechte Feudalabgaben ſchnell
fallen müſſen, ſo muß man die gerechten nur nach gemeinſamem güt-
lichen Vergleich aufheben, ſonſt geht eine ungeheure Vermögensmaſſe
zu Grunde, ohne weſentlichen Vortheil ſelbſt für die betheiligten Ge-
meinden; denn die Staatsbedürfniſſe müſſen doch gedeckt werden, und
ſie fallen auf die eine oder die andere Weiſe wieder auf den Beſitzſtand
[Spaltenumbruch] zurück, da das bewegliche Vermögen, wenn es zu ſchwer belaſtet wird,
unmerklich ſich vermindert und der Beſteuerung entzieht. Wir wollen
keine Abhandlung über Finanzverwaltung ſchreiben, geben aber zu
bedenken, wenn man auf dem jetzigen Wege der Gefährdung rechtlichen
Beſitzes fortſchreitet und nicht energiſche Mittel zur Wahrung des
öffentlichen Friedens, des eigentlichen Landfriedens ergreift, daß dann
der Staat in der raſchen Abnahme ſeiner Einkünfte ſchnell gewahren
wird daß der Zuſtand unhaltbar geworden, und daß eine ſo koſtſpielige
Regierung, wie ſie bisher geführt wurde, nicht fortgeführt wer-
den kann.

Was in Schwaben und Franken vorgeht, kann einen Maßſtab geben
von dem was in kurzem kommen kann, da an auswärtige Hülfe nicht
mehr zu denken iſt. Worauf will man ſich ſtützen? Alle die Stützen auf
die man ſeit dreißig Jahren gebaut und gerechnet hat, ſie ſind in weni-
gen Wochen faſt gänzlich gebrochen, und jetzt muß man erſt ſelbſtändig
zu regieren anfangen, d. h. man muß aus dem Actenſtaub heraus, mit
den Menſchen verkehren, ſie bei ihren Jntereſſen faſſen, die bei der un-
endlichen Mehrzahl noch immer in der Erhaltung der Ordnung liegen.
Geſchieht dieß nicht, läßt man den Geiſt der Unbotmäßigkeit auf dem
Lande weiter greifen, ſo iſt die Erſchütterung unabſehbar. Man ſehe
nur den Gang der Aufſtände in den Hauptſtädten: zuerſt tritt Jugend
und Volk auf, das man mit dem Namen Gefindel abfertigt; dieſe Un-
ruhen dauern fort, bis der ſonſt ſtille, wenn auch über manches un-
zufriedene Bürger bewaffnet zuſammentritt um die Ruhe ſeiner Stadt
zu wahren. Sind vorber allerlei mißverſtandene Forderungen aufge-
treten, ſo hört man jetzt mit dem bewaffneten Auftreten des Bürgers
die wahren, tief in den öffentlichen Zuſtand einſchneidenden Beſchwer-
den, und daran erlahmt die Regierung, denn ſie fühlt ſich moraliſch
zu ſchwach ſolchen auf unläugbare Thatſachen geſtützten Beſchwerden
herb entgegenzutreten. Ebenſo, wenn auch etwas langſamer, wird es
auf dem Lande gehen; bis jetzt ſind mehr nur Einzelne aufgetreten,
kleine Schaaren, wie Freibeuter, dauert aber die dadurch erweckte
Unſicherheit fort, ſo wird der reichere beſitzende Bauer auftreten,
wird Waffen fordern zu ſeiner Sicherheit, und billigerweiſe kann man
ſie ihm nicht verweigern. Dann aber möchten manche bis jetzt un-
geahnte Forderungen auftreten, darum lege man Hand ans Werk,
ehe es zu ſpät iſt. Heute — den 16 — tritt die bayeriſche Kammer
zuſammen, möchte ſie nicht die Zeit mit eitlen Reden, mit Recrimi-
nationen über die Vergangenheit verlieren: alles dieß iſt jetzt mehr als
unnütz, es iſt poſitiv ſchädlich; ſie verlange Aufklärung über den Stand
der Finanzen, ſuche die Lücken zu füllen, und ſporne die Regierung
zu thätigen Maßregeln, das iſt das dringendſte, um der innern Anar-
chie und dem faſt gewiſſen Anfall von außen zu begegnen. E. W.



Bundesgenoſſen für Deutſchland?
II.

A. Wir wieſen in einem frühern Aufſatz aus den Verhältniſſen
der Gegenwart nach, wie ein Anſchluß Deutſchlands an die Ruſſen
unter allen Umſtänden für uns zum Verderben ausſchlagen müſſe.
Wir bewegten uns damit gewiſſermaßen auf theoretiſchem Boden. Wir
kennen aber auch das dort Erörterte vom rein praktiſchen Boden der
Erfahrung aus bereden. Es liegt eine in Bezug auf ruſſiſche Hülfe lehr-
reiche Vergangenheit hinter uns.

Der erſten franzöſiſchen Revolution trat Rußland frühzeitig
feindlich, aus Princip ſeindlich entgegen. Katharina II verwies 1793
alle Franzoſen die nicht die Grundſätze des revolutionären Frankreichs
abſchwören würden aus ihrem Lande, und erkannte den Grafen von
Provence als Regenten von Frankreich an. Katharinens Sohn, Paul,
verbot zu Anfang ſeiner Regierung in Rußland franzöſiſche Tracht
zu tragen; er duldete nicht daß die ruſſiſche Akademie von Revolu-
tionen des Firmaments rede; er erklärte im Julius 1799 die „geſetz-
loſc“ in Frankreich herrſchende Regierung für eine „von Gott verwor-
fene;“ und er verbot däniſchen Schiffen und Unterthanen den Ein-
tritt in Rußland „weil in Kopenhagen und ganz Dänemark Clubs
und Geſellſchaften mit Grundſätzen ſeyen, wie ſie mit der franzöſiſchen
Revolution aufgekommen, und die däniſche Regierung das erlaubt
habe.“ Die zweite Coalition Europa’s gegen die Republik war, wenn
auch nicht geradezu das Werk, doch der Lieblingswunſch des Zaren.
Kaum indeß begann, zum Theil eben in Folge dieſer Coalition, in
Frankreich die Militärmonarchie ſich zu erheben, ſo knüpften ſich bereits

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[1276/0012] welche die Zugeſtändniſſe der Preßfreiheit, der Geſchwornengerichte, der Vertretung am Bundestag erzwang, war anſcheinend klein, und wäre unmächtig geweſen ſolche Veränderungen durchzuſetzen, hätte ſie ſich nicht auf ein langjähriges eingewurzeltes Mißvergnügen geſtützt das ſeinen Grund keineswegs allein in verweigerten politiſchen Rechten, ſondern in der ſteigenden Verarmung der unteren und der Mittelclaſſen hatte. Schnell iſt das Wort geſprochen das die politiſchen Conceſſionen gewährt, aber rauh und mühſam iſt der Weg um dem praktiſchen Uebel der ſteigenden Verarmung der unteren und der Mittelclaſſen abzuhelfen. Wer an dieſer Aufgabe erlahmt, taugt nicht zum Führer in der gegen- wärtigen Zeit; niemand beſitzt einen Zauberſtab, keiner kann die Quelle aus dem harten Fels ſpringen laſſen, keiner die Armuth plötzlich in Wohlſtand umwandeln; aber das Nöthigſte iſt jetzt Vertrauen bei den unteren Claſſen durch Entgegenkommen zu wecken, ſie zu vermögen was noch getragen werden muß, mit ausharrendem Muthe zu tragen. Darum iſt Offenheit die erſte Pflicht, und die Freiheit der Preſſe das erſte und unerläßlichſte Mittel. Man muß offen ſeyn, offen den Stand der Dinge darlegen, dieß iſt der einzige Weg zum Vertrauen, während Heimlich- thuerei nur größeres, unabſehbares Mißtrauen erwecken würde. Ge- länge es heute durch ein Zuſammenwirken unvorhergeſehener Umſtände die gewährte Preßfreiheit und alle andern Garantien eines gedeihlichen Zuſtandes wieder zu vernichten, es wäre für die Seite der Regierenden nicht das mindeſte gewonnen, vielmehr ſehr viel verloren; denn bereits iſt das Landvolk in einer Aufregung, bereits ſind an mehreren Orten ſo umfaſſende Conceſſionen angekündigt, daß man in dieſer Beziehung nicht mehr zurück kann, es ſey denn man regiere mit brutaler Gewalt und ziehe fremde Truppen herbei — eine unter den jetzigen Umſtänden geradezu unmögliche Sache. Man beachte nur die öffentliche Stimme, man leſe nur ſelbſt die halbofficiellen Blätter, niemand wagt es auf das empörte Landvolk den Stein zu werfen; alle erkennen an daß es nur einen unerträglich gewordenen Druck abzuwerfen ſuche, und ſo wenig man die geübte Gewalt entſchuldigt oder gutheißt, ſo findet man ſie unter den gegenwärtigen Umſtänden doch völlig erklärlich. Hierin liegt, was auch im einzelnen gefrevelt worden ſeyn mag, eine gewiſſe mora- liſche Rechtfertigung, und man hüte ſich ja gegen dieß Rechtsgefühl der öffentlichen Meinung zu verſtoßen, der Gegenſtoß würde ſicherlich nicht ausbleiben. Noch iſt im Landvolk der Sinn für Recht und Geſetz nicht erſtor- ben, noch iſt der Sinn für Ordnung lebendig, und bei einiger Leitung iſt es bereit dazu mitzuwirken, aber man muß zeigen, und in Bälde zeigen daß man das Billige gewähren will, dann erſt kann man erwar- ten das Billige auch zu erhalten. Daß der Staat längſt die Feudal- abgaben hätte ablöſen laſſen, längſt die Willkür mancher adeligen Grundbeſitzer in Schranken hätte halten ſollen, das läugnet jetzt nie- mand mehr, und wohlwollende, vorſichtige Grundherren haben es auch aus eigenem Antrieb gethan, und machten außer Gült und Zehnt, ſo viel ſie ſolche beſitzen, keine Anſorderungen mehr. Mögen die welche es nicht gethan haben, die Schuld ſich ſelbſt zuſchreiben, der Staat kann ihnen nur noch eine ſchwache Entſchädigung bieten, aus dem einfachen Grunde weil er, ſelbſt der reichſte Grundherr, die größten Einbußen er- leidet, und dieſe auf anderem Wege wieder gedeckt werden müſſen. Hier liegt ein Grund zu den weitgreifendſten Veränderungen in unſerem Staatsweſen, ein Grund der ſich weder läugnen noch umgehen läßt. Dieſe Veränderungen laſſen ſich nur bewerkſtelligen mit dem Beirath der gebildeten Claſſen, d. h. mit Hülfe der Preſſe. Man hüte ſich allzu- großes Vertrauen auf die Ständeverſammlungen zu ſetzen, denn ſie ſind im gegenwärtigen Augenblick aus einem doppelten Grunde machtlos: erſtens haben alle berathenden Verſammlungen etwas ſchwerfälliges, ſchleppendes, und jetzt iſt energiſche Handlung nöthig, die nur von eini- gen kräftigen Miniſterien ausgehen kann; zweitens hat man ſich ſeit dreißig Jahren bemüht die Wirkſamkeit der Kammern zu lähmen, und wird jetzt, wo man ſich auf ſie ſtützen will, einen gebrochenen Stab finden, denn die Stände ſind ohne Anſehen im Volk; dieß verlangt von der Regierung daß ſie handle, und zwar energiſch handle. Die Zeit iſt nicht mehr wo einer die Schuld auf den andern ſchieben darf; man muß das Eigenthum ſichern, und wenn ungerechte Feudalabgaben ſchnell fallen müſſen, ſo muß man die gerechten nur nach gemeinſamem güt- lichen Vergleich aufheben, ſonſt geht eine ungeheure Vermögensmaſſe zu Grunde, ohne weſentlichen Vortheil ſelbſt für die betheiligten Ge- meinden; denn die Staatsbedürfniſſe müſſen doch gedeckt werden, und ſie fallen auf die eine oder die andere Weiſe wieder auf den Beſitzſtand zurück, da das bewegliche Vermögen, wenn es zu ſchwer belaſtet wird, unmerklich ſich vermindert und der Beſteuerung entzieht. Wir wollen keine Abhandlung über Finanzverwaltung ſchreiben, geben aber zu bedenken, wenn man auf dem jetzigen Wege der Gefährdung rechtlichen Beſitzes fortſchreitet und nicht energiſche Mittel zur Wahrung des öffentlichen Friedens, des eigentlichen Landfriedens ergreift, daß dann der Staat in der raſchen Abnahme ſeiner Einkünfte ſchnell gewahren wird daß der Zuſtand unhaltbar geworden, und daß eine ſo koſtſpielige Regierung, wie ſie bisher geführt wurde, nicht fortgeführt wer- den kann. Was in Schwaben und Franken vorgeht, kann einen Maßſtab geben von dem was in kurzem kommen kann, da an auswärtige Hülfe nicht mehr zu denken iſt. Worauf will man ſich ſtützen? Alle die Stützen auf die man ſeit dreißig Jahren gebaut und gerechnet hat, ſie ſind in weni- gen Wochen faſt gänzlich gebrochen, und jetzt muß man erſt ſelbſtändig zu regieren anfangen, d. h. man muß aus dem Actenſtaub heraus, mit den Menſchen verkehren, ſie bei ihren Jntereſſen faſſen, die bei der un- endlichen Mehrzahl noch immer in der Erhaltung der Ordnung liegen. Geſchieht dieß nicht, läßt man den Geiſt der Unbotmäßigkeit auf dem Lande weiter greifen, ſo iſt die Erſchütterung unabſehbar. Man ſehe nur den Gang der Aufſtände in den Hauptſtädten: zuerſt tritt Jugend und Volk auf, das man mit dem Namen Gefindel abfertigt; dieſe Un- ruhen dauern fort, bis der ſonſt ſtille, wenn auch über manches un- zufriedene Bürger bewaffnet zuſammentritt um die Ruhe ſeiner Stadt zu wahren. Sind vorber allerlei mißverſtandene Forderungen aufge- treten, ſo hört man jetzt mit dem bewaffneten Auftreten des Bürgers die wahren, tief in den öffentlichen Zuſtand einſchneidenden Beſchwer- den, und daran erlahmt die Regierung, denn ſie fühlt ſich moraliſch zu ſchwach ſolchen auf unläugbare Thatſachen geſtützten Beſchwerden herb entgegenzutreten. Ebenſo, wenn auch etwas langſamer, wird es auf dem Lande gehen; bis jetzt ſind mehr nur Einzelne aufgetreten, kleine Schaaren, wie Freibeuter, dauert aber die dadurch erweckte Unſicherheit fort, ſo wird der reichere beſitzende Bauer auftreten, wird Waffen fordern zu ſeiner Sicherheit, und billigerweiſe kann man ſie ihm nicht verweigern. Dann aber möchten manche bis jetzt un- geahnte Forderungen auftreten, darum lege man Hand ans Werk, ehe es zu ſpät iſt. Heute — den 16 — tritt die bayeriſche Kammer zuſammen, möchte ſie nicht die Zeit mit eitlen Reden, mit Recrimi- nationen über die Vergangenheit verlieren: alles dieß iſt jetzt mehr als unnütz, es iſt poſitiv ſchädlich; ſie verlange Aufklärung über den Stand der Finanzen, ſuche die Lücken zu füllen, und ſporne die Regierung zu thätigen Maßregeln, das iſt das dringendſte, um der innern Anar- chie und dem faſt gewiſſen Anfall von außen zu begegnen. E. W. Bundesgenoſſen für Deutſchland? II. A. Wir wieſen in einem frühern Aufſatz aus den Verhältniſſen der Gegenwart nach, wie ein Anſchluß Deutſchlands an die Ruſſen unter allen Umſtänden für uns zum Verderben ausſchlagen müſſe. Wir bewegten uns damit gewiſſermaßen auf theoretiſchem Boden. Wir kennen aber auch das dort Erörterte vom rein praktiſchen Boden der Erfahrung aus bereden. Es liegt eine in Bezug auf ruſſiſche Hülfe lehr- reiche Vergangenheit hinter uns. Der erſten franzöſiſchen Revolution trat Rußland frühzeitig feindlich, aus Princip ſeindlich entgegen. Katharina II verwies 1793 alle Franzoſen die nicht die Grundſätze des revolutionären Frankreichs abſchwören würden aus ihrem Lande, und erkannte den Grafen von Provence als Regenten von Frankreich an. Katharinens Sohn, Paul, verbot zu Anfang ſeiner Regierung in Rußland franzöſiſche Tracht zu tragen; er duldete nicht daß die ruſſiſche Akademie von Revolu- tionen des Firmaments rede; er erklärte im Julius 1799 die „geſetz- loſc“ in Frankreich herrſchende Regierung für eine „von Gott verwor- fene;“ und er verbot däniſchen Schiffen und Unterthanen den Ein- tritt in Rußland „weil in Kopenhagen und ganz Dänemark Clubs und Geſellſchaften mit Grundſätzen ſeyen, wie ſie mit der franzöſiſchen Revolution aufgekommen, und die däniſche Regierung das erlaubt habe.“ Die zweite Coalition Europa’s gegen die Republik war, wenn auch nicht geradezu das Werk, doch der Lieblingswunſch des Zaren. Kaum indeß begann, zum Theil eben in Folge dieſer Coalition, in Frankreich die Militärmonarchie ſich zu erheben, ſo knüpften ſich bereits

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 20. März 1848, S. 1276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine80_1848/12>, abgerufen am 21.11.2024.