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Allgemeine Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 21 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Harleß' Heerpredigt.

Die Dinge erfüllen sich
wunderbar! Hier ist vorgestern in der Hauptkirche ein deutscher Pater
Ventura oder Abbe Lacordaire aufgetreten, welcher in donnernder Be-
redsamkeit die Sache des deutschen Volks als die Sache Gottes erklärt
hat. Der aus Franken stammende, als orthodox berühmte Prediger
Dr. Harleß hat vorgestern eine "Heerpredigt" gehalten, welche nun auch
das ganze stillere Publicum in Aufregung gesetzt hat. Sie wurde schon
gestern unter dem Titel: "die Stimme des Herrn der Herren," im Druck
ausgegeben, und ist gar wohl geeignet Propaganda zu machen auf allen
deutschen Kanzeln. Ihr wesentlicher Inhalt und ihre Hauptstellen sind
folgende: "Im Psalmbuch steht geschrieben: der Herr ist König, darum
toben die Völker; er sitzet auf Cherubim, darum regt sich die Welt. So
laßt euch nun weisen, ihr Könige, und laßt euch züchtigen, ihr Richter
auf Erden; denn er kommt, er kommt zu richten das Erdreich; er wird
den Erdboden richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahr-
heit. Der Herr macht zu nichte der Heiden Rath und wendet die Ge-
danken der Völker."
Solch eine Zeit sey gekommen, der Herr erscheine
in Wettern, und man solle nicht bloß zittern, sondern auch jauchzen vor
dem Herrn. "Nun, ich weiß nicht ob schon vor den Tagen die gekommen
sind euch bange gewesen ist um das deutsche Volk. Ich weiß nicht ob
ihr schon vorher erkannt habt wie morsch und zerfressen die glänzende
Decke scheinbaren Wohlergehens war -- das aber weiß ich daß jeder der
in Sorgen gebetet hat, jetzt sagen muß: der Herr der Herren hat geredet!
Wir hören seine Stimme!"
Nun wird nachgewiesen daß der Herr der
Herren in Paris geredet habe. "Was aber hat Gott geredet? Da, Ge-
liebte, gehen die Urtheile auseinander, und doch hängt für alle Welt,
namentlich aber für unser deutsches Volk, alles Heil davon ab daß wir
das Wort des Herrn recht verstehn. Wollte Gott ich könnte sagen daß
Gott der Herr mit seinem Wort zunächst Frieden zugesagt habe unserm
Volk! Allein ich kann es nicht sagen, und kein Deutscher wird jetzt bloß
von Frieden träumen."
Dann zeigt er daß der Thron in Frankreich ge-
stürzt sey, weil Ehre und Gerechtigkeit aus den öffentlichen Zuständen
gewichen -- "wo soll da Güte und Treue herkommen! Wenn nicht Ehre
im Lande wohnt, nicht Güte und Treue einander begegnen, werden nim-
mermehr Gerechtigkeit und Friede sich küssen; im Gegentheil, es ist
Fürst und Volk verloren, und zwar gerade deßhalb weil sie wähnen der
Völker Heil ohne Achtsamkeit auf Gottes Stimme bloß mit ihrer Klug-
heit und nach ihrer Berechnung machen zu können." "Wir werden
schwere Prüfungen und Kämpfe zu bestehen haben. Aber wir bedurften
der bittern Arznei; vom Scheitel bis zur Sohle krankt der Leib des
deutschen Volks. Wenn aber jetzt etwa die Geschwüre aufbrechen, so
kann das zwar eine Krankheit zum Tode seyn, aber ebenso gut auch eine
Krankheit, ja ein Tod zur Auferstehung und Genesung. Denn
der einst Lazarum aus dem Grabe steigen hieß, der breitet den Arm sei-
ner Macht auch jetzt noch über unser Volk aus, und so wir diesen Arm
nicht von uns stoßen, brauchen wir auch nicht uns zu entsetzen vor dem
Sturze, der ohne Zweifel über vieles von dem hereinbricht was wir bis-
her den gegenwärtigen Zustand nannten." -- "Denn wenn Gott der Herr
anfängt zu reden, so stürzt nicht bloß zu Boden was sich wider Gott er-
hebt, sondern es bricht auch zusammen was bloß Menschenwitz künstlich
erdacht und gemacht und geordnet hat. Und verhehlen wir es uns
nicht, an künstlich gemachtem, nicht aus Gott und dem wirklichen Le-
ben gequollenem haben wir Deutsche reichlichen Ueberfluß. Das alles
wird zusammenbrechen. Vor allem und zuerst die deutsche Schulweis-
heit, von der linken wie von der rechten Seite, welche statt aus dem
Brunnquell des wirklichen und wahren Lebens zu schöpfen mit nebel-
haften Lehren und Doctrinen aller nur denkbaren Art hat unserm Volk
Heilung bringen wollen. Nun kommen Gottes Wetter und werfen
alle diese Weisheit um. Nur Wahrheit und Wirklichkeit werde bestehn.
Der Kampf aber werde uns ein Segen werden, und nicht in "falschem
Frieden und in falscher Einheit und Einigung" sey Hülfe. "Niemand
darf preisgeben was er als das Rechte erkannt hat. Aber von dem einen
Gedanken der gemeinsamen Vaterlandgefahr soll jetzt alles Kleinliche, Hä-
mische, Gehässige des Parteiwesens verschlungen werden" -- jetzt gilt es die
Rettung Deutschlands durch Zusammentritt aller Deutschgesinnten. Die
Fahne weht über unsern Häuptern, zu dieser Fahne haben wir alle ge-
[Spaltenumbruch] schworen. Wer aber hat dieß Banner jetzt aufgepflanzt? Des Herrn
Verhängniß hat es gethan, dessen Donnerstimme hat einen faulen Völ-
kerfrieden brechen wollen." -- "Ach daß wir des Herrn Stimme fürchte-
ten und seine Gnade suchten! Das heißt aber in der Gegenwart nicht bloß
im einsamen Kämmerlein sorgen und beten, sondern in dieser Zeit der Tha-
ten muß es die That beweisen. Weg mit den Gedanken an eigenen Vortheil,
an Parteivortheil, an den Vortheil des Augenblicks, an die kleinliche Spanne
nächstliegender, häuslicher, örtlicher, landesgränzlicher Interessen. An
die Zukunft des ganzen großen Deutschlands denkt; Gott hat die Ver-
antwortlichkeit hiefür auf unser Haupt, auf die Häupter der gegenwärti-
gen Geschlechter gelegt. So bedenkt denn daß ihr von Gottes Gnaden
Deutsche seyd und thut darnach; und Schmach über die welche wagen
sollten an irgendeine fremde Sache, an irgendein eigennütziges Bestre-
ben den gottgegebenen Beruf Deutschlands zu verrathen!"
-- Welchein Sig-
nal! Ich habe schon gesagt daß Harleß zur orthodoxen Richtung in der
Kirche gehört, und zwar zur strengen. Jetzt vergegenwärtige man sich
von welcher politischen Seite immerdar Heil gesucht wurde, bei othodoxer
Theologie für die künstliche Erhaltung, die "gemachte" Weiterbildung des
Bestehenden, und nun ermesse man was es zu bedeuten hat, wenn solch
ein Geistlicher rückhaltlos von der Kanzel herab auf die Seite der Natio-
nalpartei tritt. Die ächten Jugendkeime gehen alle auf: Harleß war
Burschenschafter in Erlangen. Und am hiesigen Orte, hier in Sachsen,
ist solch eine nationale Heerpredigt von entscheidender Wichtigkeit. Wir
bilden hier die Brücke zwischen Süd- und Norddeutschland, wir empfin-
den hier am tiefsten die trostlose Schweigsamkeit welche in Berlin noch
immer nicht gebrochen wird. Preußische Regimenter liegen zwei Stun-
den von hier, sie sind an der Gränze angekommen, ohne daß ihr Weg
nach Westen hier vorüberführte, *) und die ärgsten Deutungen sind na-
türlich, das traurigste Wort "es stehe eine Spaltung zwischen Süd-
und Norddeutschland bevor," ein Wort welches um jeden Preis nieder-
gehalten werden muß, wird ausgesprochen -- da ist eine solche nationale
Heerpredigt wahrlich am Orte. Von Tag zu Tag haben wir erwartet
daß von Berlin die Aufhebung der Censur, die Einberufung des Land-
tags ausgesprochen, daß die Periode des "Machens" einer Staatsverfas-
sung für beendigt erklärt, die volle überall bereite Theilnahme der preu-
ßischen Völkerschaften in Anspruch genommen werde für eine so frucht-
bar wie furchtbar sich ankündigende Zukunft. Wir haben erwartet, un-
ser stärkster Staat werde seine Stärke großartig benützen zum harren-
den populären Werke; wir warten noch, aber die Hoffnung wird immer
geringer. Möge das schreckliche Losungswort: "Es ist zu spät!" welches
seit Wochen von Stadt zu Stadt, von Land zu Land fliegt wie der Ruf
eines unsichtbaren Nachtvogels, möge es nicht auch um unsere Ohren
schwirren! Die günstigen Momente wollen heutigen Tages in der poli-
tischen Welt blitzschnell ergriffen seyn, sonst sind sie dahin für immer.

Frankreich.

Die Antwort welche gestern Lamartine
dem "Club für Sicherung der Wahlfreiheit" gegeben, als derselbe vor der
Regierung der öffentlichen Stimmung über das Rundschreiben Ledru-
Rollin's energischen Ausdruck gab, hat günstig gewirkt. Gestern
Abends hatten sich in allen Quartieren von Paris auf den Plätzen, in
den Straßen Volksversammlungen gebildet, welche sehr gereizt gegen
Hrn. Ledru-Rollin sich aussprachen. Endlich erschienen die Mitglieder
jenes Clubs welche mit auf dem Stadthause die Antwort des Hrn. La-
martine vernommen hatten, und theilten sie überall dem Volke mit, in-
dem sie auf Stühle stiegen um so von allen Seiten vernommen werden
zu können. Lauter Beifall brach aus und der Ruf es lebe Lamartine!
Aber gleich darauf suchten die Anhänger Ledru-Rollin's, gegen den so
eben nicht sehr schmeichelhafte Aeußerungen gefallen waren, die Stim-
mung wieder zu dessen Gunsten zu bearbeiten, was indessen nur zum
Theil gelang. In der Nationalgarde hat die Abschaffung der soge-
nannten Elitecompagnien große Aufregung gemacht. Gestern schon er-
schienen Deputationen mit Vorstellungen dagegen, erhielten aber ab-
schlägige Antwort. Heute sammelten sich nun sämmtliche Grenadiere
und Voltigeurs aller Legionen, in einer Masse die wohl 30,000 (?) Mann
bilden mochte, ohne Waffen, und zogen vor das Stadthaus zu wieder-

*) Man übersehe das Datum des Briefs nicht.
Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 21 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Harleß’ Heerpredigt.

Die Dinge erfüllen ſich
wunderbar! Hier iſt vorgeſtern in der Hauptkirche ein deutſcher Pater
Ventura oder Abbè Lacordaire aufgetreten, welcher in donnernder Be-
redſamkeit die Sache des deutſchen Volks als die Sache Gottes erklärt
hat. Der aus Franken ſtammende, als orthodox berühmte Prediger
Dr. Harleß hat vorgeſtern eine „Heerpredigt“ gehalten, welche nun auch
das ganze ſtillere Publicum in Aufregung geſetzt hat. Sie wurde ſchon
geſtern unter dem Titel: „die Stimme des Herrn der Herren,“ im Druck
ausgegeben, und iſt gar wohl geeignet Propaganda zu machen auf allen
deutſchen Kanzeln. Ihr weſentlicher Inhalt und ihre Hauptſtellen ſind
folgende: „Im Pſalmbuch ſteht geſchrieben: der Herr iſt König, darum
toben die Völker; er ſitzet auf Cherubim, darum regt ſich die Welt. So
laßt euch nun weiſen, ihr Könige, und laßt euch züchtigen, ihr Richter
auf Erden; denn er kommt, er kommt zu richten das Erdreich; er wird
den Erdboden richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit ſeiner Wahr-
heit. Der Herr macht zu nichte der Heiden Rath und wendet die Ge-
danken der Völker.“
Solch eine Zeit ſey gekommen, der Herr erſcheine
in Wettern, und man ſolle nicht bloß zittern, ſondern auch jauchzen vor
dem Herrn. „Nun, ich weiß nicht ob ſchon vor den Tagen die gekommen
ſind euch bange geweſen iſt um das deutſche Volk. Ich weiß nicht ob
ihr ſchon vorher erkannt habt wie morſch und zerfreſſen die glänzende
Decke ſcheinbaren Wohlergehens war — das aber weiß ich daß jeder der
in Sorgen gebetet hat, jetzt ſagen muß: der Herr der Herren hat geredet!
Wir hören ſeine Stimme!“
Nun wird nachgewieſen daß der Herr der
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liebte, gehen die Urtheile auseinander, und doch hängt für alle Welt,
namentlich aber für unſer deutſches Volk, alles Heil davon ab daß wir
das Wort des Herrn recht verſtehn. Wollte Gott ich könnte ſagen daß
Gott der Herr mit ſeinem Wort zunächſt Frieden zugeſagt habe unſerm
Volk! Allein ich kann es nicht ſagen, und kein Deutſcher wird jetzt bloß
von Frieden träumen.“
Dann zeigt er daß der Thron in Frankreich ge-
ſtürzt ſey, weil Ehre und Gerechtigkeit aus den öffentlichen Zuſtänden
gewichen — „wo ſoll da Güte und Treue herkommen! Wenn nicht Ehre
im Lande wohnt, nicht Güte und Treue einander begegnen, werden nim-
mermehr Gerechtigkeit und Friede ſich küſſen; im Gegentheil, es iſt
Fürſt und Volk verloren, und zwar gerade deßhalb weil ſie wähnen der
Völker Heil ohne Achtſamkeit auf Gottes Stimme bloß mit ihrer Klug-
heit und nach ihrer Berechnung machen zu können.“ „Wir werden
ſchwere Prüfungen und Kämpfe zu beſtehen haben. Aber wir bedurften
der bittern Arznei; vom Scheitel bis zur Sohle krankt der Leib des
deutſchen Volks. Wenn aber jetzt etwa die Geſchwüre aufbrechen, ſo
kann das zwar eine Krankheit zum Tode ſeyn, aber ebenſo gut auch eine
Krankheit, ja ein Tod zur Auferſtehung und Geneſung. Denn
der einſt Lazarum aus dem Grabe ſteigen hieß, der breitet den Arm ſei-
ner Macht auch jetzt noch über unſer Volk aus, und ſo wir dieſen Arm
nicht von uns ſtoßen, brauchen wir auch nicht uns zu entſetzen vor dem
Sturze, der ohne Zweifel über vieles von dem hereinbricht was wir bis-
her den gegenwärtigen Zuſtand nannten.“ — „Denn wenn Gott der Herr
anfängt zu reden, ſo ſtürzt nicht bloß zu Boden was ſich wider Gott er-
hebt, ſondern es bricht auch zuſammen was bloß Menſchenwitz künſtlich
erdacht und gemacht und geordnet hat. Und verhehlen wir es uns
nicht, an künſtlich gemachtem, nicht aus Gott und dem wirklichen Le-
ben gequollenem haben wir Deutſche reichlichen Ueberfluß. Das alles
wird zuſammenbrechen. Vor allem und zuerſt die deutſche Schulweis-
heit, von der linken wie von der rechten Seite, welche ſtatt aus dem
Brunnquell des wirklichen und wahren Lebens zu ſchöpfen mit nebel-
haften Lehren und Doctrinen aller nur denkbaren Art hat unſerm Volk
Heilung bringen wollen. Nun kommen Gottes Wetter und werfen
alle dieſe Weisheit um. Nur Wahrheit und Wirklichkeit werde beſtehn.
Der Kampf aber werde uns ein Segen werden, und nicht in „falſchem
Frieden und in falſcher Einheit und Einigung“ ſey Hülfe. „Niemand
darf preisgeben was er als das Rechte erkannt hat. Aber von dem einen
Gedanken der gemeinſamen Vaterlandgefahr ſoll jetzt alles Kleinliche, Hä-
miſche, Gehäſſige des Parteiweſens verſchlungen werden“ — jetzt gilt es die
Rettung Deutſchlands durch Zuſammentritt aller Deutſchgeſinnten. Die
Fahne weht über unſern Häuptern, zu dieſer Fahne haben wir alle ge-
[Spaltenumbruch] ſchworen. Wer aber hat dieß Banner jetzt aufgepflanzt? Des Herrn
Verhängniß hat es gethan, deſſen Donnerſtimme hat einen faulen Völ-
kerfrieden brechen wollen.“ — „Ach daß wir des Herrn Stimme fürchte-
ten und ſeine Gnade ſuchten! Das heißt aber in der Gegenwart nicht bloß
im einſamen Kämmerlein ſorgen und beten, ſondern in dieſer Zeit der Tha-
ten muß es die That beweiſen. Weg mit den Gedanken an eigenen Vortheil,
an Parteivortheil, an den Vortheil des Augenblicks, an die kleinliche Spanne
nächſtliegender, häuslicher, örtlicher, landesgränzlicher Intereſſen. An
die Zukunft des ganzen großen Deutſchlands denkt; Gott hat die Ver-
antwortlichkeit hiefür auf unſer Haupt, auf die Häupter der gegenwärti-
gen Geſchlechter gelegt. So bedenkt denn daß ihr von Gottes Gnaden
Deutſche ſeyd und thut darnach; und Schmach über die welche wagen
ſollten an irgendeine fremde Sache, an irgendein eigennütziges Beſtre-
ben den gottgegebenen Beruf Deutſchlands zu verrathen!“
— Welchein Sig-
nal! Ich habe ſchon geſagt daß Harleß zur orthodoxen Richtung in der
Kirche gehört, und zwar zur ſtrengen. Jetzt vergegenwärtige man ſich
von welcher politiſchen Seite immerdar Heil geſucht wurde, bei othodoxer
Theologie für die künſtliche Erhaltung, die „gemachte“ Weiterbildung des
Beſtehenden, und nun ermeſſe man was es zu bedeuten hat, wenn ſolch
ein Geiſtlicher rückhaltlos von der Kanzel herab auf die Seite der Natio-
nalpartei tritt. Die ächten Jugendkeime gehen alle auf: Harleß war
Burſchenſchafter in Erlangen. Und am hieſigen Orte, hier in Sachſen,
iſt ſolch eine nationale Heerpredigt von entſcheidender Wichtigkeit. Wir
bilden hier die Brücke zwiſchen Süd- und Norddeutſchland, wir empfin-
den hier am tiefſten die troſtloſe Schweigſamkeit welche in Berlin noch
immer nicht gebrochen wird. Preußiſche Regimenter liegen zwei Stun-
den von hier, ſie ſind an der Gränze angekommen, ohne daß ihr Weg
nach Weſten hier vorüberführte, *) und die ärgſten Deutungen ſind na-
türlich, das traurigſte Wort „es ſtehe eine Spaltung zwiſchen Süd-
und Norddeutſchland bevor,“ ein Wort welches um jeden Preis nieder-
gehalten werden muß, wird ausgeſprochen — da iſt eine ſolche nationale
Heerpredigt wahrlich am Orte. Von Tag zu Tag haben wir erwartet
daß von Berlin die Aufhebung der Cenſur, die Einberufung des Land-
tags ausgeſprochen, daß die Periode des „Machens“ einer Staatsverfaſ-
ſung für beendigt erklärt, die volle überall bereite Theilnahme der preu-
ßiſchen Völkerſchaften in Anſpruch genommen werde für eine ſo frucht-
bar wie furchtbar ſich ankündigende Zukunft. Wir haben erwartet, un-
ſer ſtärkſter Staat werde ſeine Stärke großartig benützen zum harren-
den populären Werke; wir warten noch, aber die Hoffnung wird immer
geringer. Möge das ſchreckliche Loſungswort: „Es iſt zu ſpät!“ welches
ſeit Wochen von Stadt zu Stadt, von Land zu Land fliegt wie der Ruf
eines unſichtbaren Nachtvogels, möge es nicht auch um unſere Ohren
ſchwirren! Die günſtigen Momente wollen heutigen Tages in der poli-
tiſchen Welt blitzſchnell ergriffen ſeyn, ſonſt ſind ſie dahin für immer.

Frankreich.

Die Antwort welche geſtern Lamartine
dem „Club für Sicherung der Wahlfreiheit“ gegeben, als derſelbe vor der
Regierung der öffentlichen Stimmung über das Rundſchreiben Ledru-
Rollin’s energiſchen Ausdruck gab, hat günſtig gewirkt. Geſtern
Abends hatten ſich in allen Quartieren von Paris auf den Plätzen, in
den Straßen Volksverſammlungen gebildet, welche ſehr gereizt gegen
Hrn. Ledru-Rollin ſich ausſprachen. Endlich erſchienen die Mitglieder
jenes Clubs welche mit auf dem Stadthauſe die Antwort des Hrn. La-
martine vernommen hatten, und theilten ſie überall dem Volke mit, in-
dem ſie auf Stühle ſtiegen um ſo von allen Seiten vernommen werden
zu können. Lauter Beifall brach aus und der Ruf es lebe Lamartine!
Aber gleich darauf ſuchten die Anhänger Ledru-Rollin’s, gegen den ſo
eben nicht ſehr ſchmeichelhafte Aeußerungen gefallen waren, die Stim-
mung wieder zu deſſen Gunſten zu bearbeiten, was indeſſen nur zum
Theil gelang. In der Nationalgarde hat die Abſchaffung der ſoge-
nannten Elitecompagnien große Aufregung gemacht. Geſtern ſchon er-
ſchienen Deputationen mit Vorſtellungen dagegen, erhielten aber ab-
ſchlägige Antwort. Heute ſammelten ſich nun ſämmtliche Grenadiere
und Voltigeurs aller Legionen, in einer Maſſe die wohl 30,000 (?) Mann
bilden mochte, ohne Waffen, und zogen vor das Stadthaus zu wieder-

*) Man überſehe das Datum des Briefs nicht.
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[0017] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 21 März 1848. Harleß’ Heerpredigt. K. Sachſen △ Leipzig, 14 März. Die Dinge erfüllen ſich wunderbar! Hier iſt vorgeſtern in der Hauptkirche ein deutſcher Pater Ventura oder Abbè Lacordaire aufgetreten, welcher in donnernder Be- redſamkeit die Sache des deutſchen Volks als die Sache Gottes erklärt hat. Der aus Franken ſtammende, als orthodox berühmte Prediger Dr. Harleß hat vorgeſtern eine „Heerpredigt“ gehalten, welche nun auch das ganze ſtillere Publicum in Aufregung geſetzt hat. Sie wurde ſchon geſtern unter dem Titel: „die Stimme des Herrn der Herren,“ im Druck ausgegeben, und iſt gar wohl geeignet Propaganda zu machen auf allen deutſchen Kanzeln. Ihr weſentlicher Inhalt und ihre Hauptſtellen ſind folgende: „Im Pſalmbuch ſteht geſchrieben: der Herr iſt König, darum toben die Völker; er ſitzet auf Cherubim, darum regt ſich die Welt. So laßt euch nun weiſen, ihr Könige, und laßt euch züchtigen, ihr Richter auf Erden; denn er kommt, er kommt zu richten das Erdreich; er wird den Erdboden richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit ſeiner Wahr- heit. Der Herr macht zu nichte der Heiden Rath und wendet die Ge- danken der Völker.“ Solch eine Zeit ſey gekommen, der Herr erſcheine in Wettern, und man ſolle nicht bloß zittern, ſondern auch jauchzen vor dem Herrn. „Nun, ich weiß nicht ob ſchon vor den Tagen die gekommen ſind euch bange geweſen iſt um das deutſche Volk. Ich weiß nicht ob ihr ſchon vorher erkannt habt wie morſch und zerfreſſen die glänzende Decke ſcheinbaren Wohlergehens war — das aber weiß ich daß jeder der in Sorgen gebetet hat, jetzt ſagen muß: der Herr der Herren hat geredet! Wir hören ſeine Stimme!“ Nun wird nachgewieſen daß der Herr der Herren in Paris geredet habe. „Was aber hat Gott geredet? Da, Ge- liebte, gehen die Urtheile auseinander, und doch hängt für alle Welt, namentlich aber für unſer deutſches Volk, alles Heil davon ab daß wir das Wort des Herrn recht verſtehn. Wollte Gott ich könnte ſagen daß Gott der Herr mit ſeinem Wort zunächſt Frieden zugeſagt habe unſerm Volk! Allein ich kann es nicht ſagen, und kein Deutſcher wird jetzt bloß von Frieden träumen.“ Dann zeigt er daß der Thron in Frankreich ge- ſtürzt ſey, weil Ehre und Gerechtigkeit aus den öffentlichen Zuſtänden gewichen — „wo ſoll da Güte und Treue herkommen! Wenn nicht Ehre im Lande wohnt, nicht Güte und Treue einander begegnen, werden nim- mermehr Gerechtigkeit und Friede ſich küſſen; im Gegentheil, es iſt Fürſt und Volk verloren, und zwar gerade deßhalb weil ſie wähnen der Völker Heil ohne Achtſamkeit auf Gottes Stimme bloß mit ihrer Klug- heit und nach ihrer Berechnung machen zu können.“ „Wir werden ſchwere Prüfungen und Kämpfe zu beſtehen haben. Aber wir bedurften der bittern Arznei; vom Scheitel bis zur Sohle krankt der Leib des deutſchen Volks. Wenn aber jetzt etwa die Geſchwüre aufbrechen, ſo kann das zwar eine Krankheit zum Tode ſeyn, aber ebenſo gut auch eine Krankheit, ja ein Tod zur Auferſtehung und Geneſung. Denn der einſt Lazarum aus dem Grabe ſteigen hieß, der breitet den Arm ſei- ner Macht auch jetzt noch über unſer Volk aus, und ſo wir dieſen Arm nicht von uns ſtoßen, brauchen wir auch nicht uns zu entſetzen vor dem Sturze, der ohne Zweifel über vieles von dem hereinbricht was wir bis- her den gegenwärtigen Zuſtand nannten.“ — „Denn wenn Gott der Herr anfängt zu reden, ſo ſtürzt nicht bloß zu Boden was ſich wider Gott er- hebt, ſondern es bricht auch zuſammen was bloß Menſchenwitz künſtlich erdacht und gemacht und geordnet hat. Und verhehlen wir es uns nicht, an künſtlich gemachtem, nicht aus Gott und dem wirklichen Le- ben gequollenem haben wir Deutſche reichlichen Ueberfluß. Das alles wird zuſammenbrechen. Vor allem und zuerſt die deutſche Schulweis- heit, von der linken wie von der rechten Seite, welche ſtatt aus dem Brunnquell des wirklichen und wahren Lebens zu ſchöpfen mit nebel- haften Lehren und Doctrinen aller nur denkbaren Art hat unſerm Volk Heilung bringen wollen. Nun kommen Gottes Wetter und werfen alle dieſe Weisheit um. Nur Wahrheit und Wirklichkeit werde beſtehn. Der Kampf aber werde uns ein Segen werden, und nicht in „falſchem Frieden und in falſcher Einheit und Einigung“ ſey Hülfe. „Niemand darf preisgeben was er als das Rechte erkannt hat. Aber von dem einen Gedanken der gemeinſamen Vaterlandgefahr ſoll jetzt alles Kleinliche, Hä- miſche, Gehäſſige des Parteiweſens verſchlungen werden“ — jetzt gilt es die Rettung Deutſchlands durch Zuſammentritt aller Deutſchgeſinnten. Die Fahne weht über unſern Häuptern, zu dieſer Fahne haben wir alle ge- ſchworen. Wer aber hat dieß Banner jetzt aufgepflanzt? Des Herrn Verhängniß hat es gethan, deſſen Donnerſtimme hat einen faulen Völ- kerfrieden brechen wollen.“ — „Ach daß wir des Herrn Stimme fürchte- ten und ſeine Gnade ſuchten! Das heißt aber in der Gegenwart nicht bloß im einſamen Kämmerlein ſorgen und beten, ſondern in dieſer Zeit der Tha- ten muß es die That beweiſen. Weg mit den Gedanken an eigenen Vortheil, an Parteivortheil, an den Vortheil des Augenblicks, an die kleinliche Spanne nächſtliegender, häuslicher, örtlicher, landesgränzlicher Intereſſen. An die Zukunft des ganzen großen Deutſchlands denkt; Gott hat die Ver- antwortlichkeit hiefür auf unſer Haupt, auf die Häupter der gegenwärti- gen Geſchlechter gelegt. So bedenkt denn daß ihr von Gottes Gnaden Deutſche ſeyd und thut darnach; und Schmach über die welche wagen ſollten an irgendeine fremde Sache, an irgendein eigennütziges Beſtre- ben den gottgegebenen Beruf Deutſchlands zu verrathen!“ — Welchein Sig- nal! Ich habe ſchon geſagt daß Harleß zur orthodoxen Richtung in der Kirche gehört, und zwar zur ſtrengen. Jetzt vergegenwärtige man ſich von welcher politiſchen Seite immerdar Heil geſucht wurde, bei othodoxer Theologie für die künſtliche Erhaltung, die „gemachte“ Weiterbildung des Beſtehenden, und nun ermeſſe man was es zu bedeuten hat, wenn ſolch ein Geiſtlicher rückhaltlos von der Kanzel herab auf die Seite der Natio- nalpartei tritt. Die ächten Jugendkeime gehen alle auf: Harleß war Burſchenſchafter in Erlangen. Und am hieſigen Orte, hier in Sachſen, iſt ſolch eine nationale Heerpredigt von entſcheidender Wichtigkeit. Wir bilden hier die Brücke zwiſchen Süd- und Norddeutſchland, wir empfin- den hier am tiefſten die troſtloſe Schweigſamkeit welche in Berlin noch immer nicht gebrochen wird. Preußiſche Regimenter liegen zwei Stun- den von hier, ſie ſind an der Gränze angekommen, ohne daß ihr Weg nach Weſten hier vorüberführte, *) und die ärgſten Deutungen ſind na- türlich, das traurigſte Wort „es ſtehe eine Spaltung zwiſchen Süd- und Norddeutſchland bevor,“ ein Wort welches um jeden Preis nieder- gehalten werden muß, wird ausgeſprochen — da iſt eine ſolche nationale Heerpredigt wahrlich am Orte. Von Tag zu Tag haben wir erwartet daß von Berlin die Aufhebung der Cenſur, die Einberufung des Land- tags ausgeſprochen, daß die Periode des „Machens“ einer Staatsverfaſ- ſung für beendigt erklärt, die volle überall bereite Theilnahme der preu- ßiſchen Völkerſchaften in Anſpruch genommen werde für eine ſo frucht- bar wie furchtbar ſich ankündigende Zukunft. Wir haben erwartet, un- ſer ſtärkſter Staat werde ſeine Stärke großartig benützen zum harren- den populären Werke; wir warten noch, aber die Hoffnung wird immer geringer. Möge das ſchreckliche Loſungswort: „Es iſt zu ſpät!“ welches ſeit Wochen von Stadt zu Stadt, von Land zu Land fliegt wie der Ruf eines unſichtbaren Nachtvogels, möge es nicht auch um unſere Ohren ſchwirren! Die günſtigen Momente wollen heutigen Tages in der poli- tiſchen Welt blitzſchnell ergriffen ſeyn, ſonſt ſind ſie dahin für immer. Frankreich. ♯ Paris, 16 März. Die Antwort welche geſtern Lamartine dem „Club für Sicherung der Wahlfreiheit“ gegeben, als derſelbe vor der Regierung der öffentlichen Stimmung über das Rundſchreiben Ledru- Rollin’s energiſchen Ausdruck gab, hat günſtig gewirkt. Geſtern Abends hatten ſich in allen Quartieren von Paris auf den Plätzen, in den Straßen Volksverſammlungen gebildet, welche ſehr gereizt gegen Hrn. Ledru-Rollin ſich ausſprachen. Endlich erſchienen die Mitglieder jenes Clubs welche mit auf dem Stadthauſe die Antwort des Hrn. La- martine vernommen hatten, und theilten ſie überall dem Volke mit, in- dem ſie auf Stühle ſtiegen um ſo von allen Seiten vernommen werden zu können. Lauter Beifall brach aus und der Ruf es lebe Lamartine! Aber gleich darauf ſuchten die Anhänger Ledru-Rollin’s, gegen den ſo eben nicht ſehr ſchmeichelhafte Aeußerungen gefallen waren, die Stim- mung wieder zu deſſen Gunſten zu bearbeiten, was indeſſen nur zum Theil gelang. In der Nationalgarde hat die Abſchaffung der ſoge- nannten Elitecompagnien große Aufregung gemacht. Geſtern ſchon er- ſchienen Deputationen mit Vorſtellungen dagegen, erhielten aber ab- ſchlägige Antwort. Heute ſammelten ſich nun ſämmtliche Grenadiere und Voltigeurs aller Legionen, in einer Maſſe die wohl 30,000 (?) Mann bilden mochte, ohne Waffen, und zogen vor das Stadthaus zu wieder- *) Man überſehe das Datum des Briefs nicht.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine81_1848/17>, abgerufen am 21.11.2024.