Allgemeine Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848.[Spaltenumbruch]
gegen das (wie sie sagten) extemporisirte (rögtönzött) Ganze stemm- Großbritannien. London, 16 März. Am 15 März, als einem Mittwoch, hielt das Oberhaus keine Die gestrige Chartisten-Versammlung in Birmingham -- von Die gemeldete Abreise des Herzogs und der Herzogin v. Montpen- Die meisten Journale betrachten die französischen Finanzschwierig- Mehrere Journale sprechen die Besorgniß aus daß die französischen Frankreich. Paris, 17 März. Was die Münchner Studenten in ihrer Adresse sagten: "Kein *) Die Franzosen, sagt das Ehronicle, verdienen die rührende Lob-
rede die Niebuhr dem athenischen Volke gewidmet, welchem jene so ähnlich seyen (whom they so much resemble. Das hat bekanntlich auch Chateaubriand behauptet, und doch ist es nicht wahr): "Ich will diejenigen welche die Athener als ein heillos unbesonnenes Volk und ihre Republik als eine von vornherein hoffnungslose verschreien, keiner muthwilligen Ungerechtigkeit zeihen, denn sie wissen nicht was sie thun. Ein aufrichtiger Mann wird die Antwort hören wie vom Dämon des Sokrates: Mag wer da will tadeln und spotten, ich meines Theils, soll- ten schwere Schicksale für meine alten Tage aufgespart seyn, und für meine Kinder, welche gewiß schlimme Zeiten erleben wer- den, ich erbitte mir nur so viel Selbstbeherrschung, so viel Mäßigung inmitten der Versuchung, so viel Muth in der Stunde der Gefahr, so viel ruhige Ausdauer im Bewußtseyn eines ruhmvollen Entschlusses, wie das athenische Volk, als ein Mann betrachtet, gezeigt hat." Der gelehrte Niebuhr hat sich aber bekanntlich nicht immer so zukunftsmu- thig geäußert. Der Mann hatte lebendigen Sinn für die einfache Großheit des Alterthums und eine Passion für den preußischen Peli- zeistaat auf fast wundersame Weise in sich verquickt, und nach der Ju- liusrevolution war sein großer Jammer: die Bildung möchte Scha- den leiden; d. h. mit dem wiedererwachenden politischen Leben der Völ- ker möchte ein Stück Berliner Scholastik abhanden kommen. Was aber diese, von Platen nach Gebühr besungene, Scholastik werth ist, das ist in unsern Tagen auch den Blinden offenbar geworden. [Spaltenumbruch]
gegen das (wie ſie ſagten) extemporiſirte (rögtönzött) Ganze ſtemm- Großbritannien. London, 16 März. Am 15 März, als einem Mittwoch, hielt das Oberhaus keine Die geſtrige Chartiſten-Verſammlung in Birmingham — von Die gemeldete Abreiſe des Herzogs und der Herzogin v. Montpen- Die meiſten Journale betrachten die franzöſiſchen Finanzſchwierig- Mehrere Journale ſprechen die Beſorgniß aus daß die franzöſiſchen Frankreich. Paris, 17 März. Was die Münchner Studenten in ihrer Adreſſe ſagten: „Kein *) Die Franzoſen, ſagt das Ehronicle, verdienen die rührende Lob-
rede die Niebuhr dem atheniſchen Volke gewidmet, welchem jene ſo ähnlich ſeyen (whom they so much resemble. Das hat bekanntlich auch Chateaubriand behauptet, und doch iſt es nicht wahr): „Ich will diejenigen welche die Athener als ein heillos unbeſonnenes Volk und ihre Republik als eine von vornherein hoffnungsloſe verſchreien, keiner muthwilligen Ungerechtigkeit zeihen, denn ſie wiſſen nicht was ſie thun. Ein aufrichtiger Mann wird die Antwort hören wie vom Dämon des Sokrates: Mag wer da will tadeln und ſpotten, ich meines Theils, ſoll- ten ſchwere Schickſale für meine alten Tage aufgeſpart ſeyn, und für meine Kinder, welche gewiß ſchlimme Zeiten erleben wer- den, ich erbitte mir nur ſo viel Selbſtbeherrſchung, ſo viel Mäßigung inmitten der Verſuchung, ſo viel Muth in der Stunde der Gefahr, ſo viel ruhige Ausdauer im Bewußtſeyn eines ruhmvollen Entſchluſſes, wie das atheniſche Volk, als ein Mann betrachtet, gezeigt hat.“ Der gelehrte Niebuhr hat ſich aber bekanntlich nicht immer ſo zukunftsmu- thig geäußert. Der Mann hatte lebendigen Sinn für die einfache Großheit des Alterthums und eine Paſſion für den preußiſchen Peli- zeiſtaat auf faſt wunderſame Weiſe in ſich verquickt, und nach der Ju- liusrevolution war ſein großer Jammer: die Bildung möchte Scha- den leiden; d. h. mit dem wiedererwachenden politiſchen Leben der Völ- ker möchte ein Stück Berliner Scholaſtik abhanden kommen. Was aber dieſe, von Platen nach Gebühr beſungene, Scholaſtik werth iſt, das iſt in unſern Tagen auch den Blinden offenbar geworden. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0007" n="1287"/><cb/> gegen das (wie ſie ſagten) <hi rendition="#g">extemporiſirte</hi> <hi rendition="#aq">(rögtönzött)</hi> Ganze ſtemm-<lb/> ten. Dieſe Autoritäten waren der zufällig in Peſth aweſende ehemalige<lb/> Deputirte <hi rendition="#g">Klauzál</hi> und <hi rendition="#g">Nyári</hi> der zweite Vicegeſpan des hieſigen<lb/> Comitates, die ſich mit einer Petition, die bloß von einigen Bürgern<lb/> und der Jugend unterzeichnet wäre, nicht zufrieden gaben. Klauzáls<lb/> Vorſchlag, ging alſo dahin: „erſt den Grafen L. B. 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Mit dem ſoeben angelangten<lb/> Dampfboote aus Wien verbreitet ſich die Kunde eines blutigen Auf-<lb/> ſtandes iu Wien, der aber ſchnell die beſten Früchte getragen. <hi rendition="#g">Ge-<lb/> meindevertretung, Preßfreiheit, Bürgergarde</hi>, vom Kaiſer<lb/><hi rendition="#g">gewährte Conſtitution für Oeſterreich</hi>!</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Großbritannien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">London</hi>, 16 März.</dateline><lb/> <p>Am 15 März, als einem Mittwoch, hielt das <hi rendition="#g">Oberhaus</hi> keine<lb/> Sitzung. Das <hi rendition="#g">Haus der Gemeinen</hi>, welches von Mittag bis 6 Uhr<lb/> Abends ſaß, beſchäftigte ſich bloß mit Wahlangelegenheiten, namentlich<lb/> mit einer „Converſation“ über die durch einen Unterſuchungsausſchuß<lb/> des Hauſes wegen erwieſener Beſtechung für ungültig erklärte Wahl<lb/> des Hrn. Attwood für Harwich, für welchen Burgflecken ein neuer<lb/> Wahlbefehl erlaſſen wurde. Sir John Cam <hi rendition="#g">Hobhouſe</hi>, der Präſident<lb/> des indiſchen Controlamts, hat nun gleich ſeinem miniſteriellen Collegen<lb/> Benjamin Hawes auch wieder einen Sitz im Hauſe gefunden, indem der<lb/> berühmte Novelliſt Sir Edward Bulwer Lytton, der im Parlament nie<lb/> Glück gehabt hat, ſeinen Sitz für Lincoln freiwillig zu deſſen Gunſten<lb/> geräumt. Sir John wurde gegen den conſervativen Mitbewerber Hrn.<lb/> Humphrey mit einer Mehrheit von 53 Stimmen (554:501) gewählt.<lb/> Hr. Macaulay, glaubt man, werde demnächſt einen ſchottiſchen Parla-<lb/> mentsſitz finden, vielleicht für Edinburg.</p> </div> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Die geſtrige Chartiſten-Verſammlung in Birmingham — von<lb/> welcher man Ruheſtörungen gefürchtet hatte, ſo daß die Regierung für<lb/> nöthig fand eine Abtheilung Infanterie auf der Eiſenbahn dahin zu<lb/> entſenden — iſt ganz ruhig vorübergegangen. Das Meeting ward auf<lb/> dem Stadthaus gehalten, und Hr. Baldwin, ein Mitglied des Gemeinde-<lb/> raths, führte den Vorſitz. Die Redner waren meiſt unbekannte Namen;<lb/> denn Hr. Scholefield, das eingeladene radicale Parlamentsmitglied für<lb/> die Stadt, war zu erſcheinen verhindert. Nur Hr. Joſeph Sturge, der<lb/> vor einigen Jahren oftgenannte Quäker, welcher hier als Schutzredner<lb/> der „Volkscharte“: allgemeines Stimmrecht, Ballot, dreijährige Par-<lb/> lamente u. ſ. w. auftrat, iſt in weiteren Kreiſen bekannt. Zu Gunſten<lb/> dieſer Charter wurden Bittſchriften ans Parlament unter Zuruf ange-<lb/> nommen. Den Franzoſen ward enthuſtaſtiſches Lob geſpendet, ſowie<lb/> die Chartiſten auch deren Loſungswort: „Freiheit, Gleichheit, Brüder-<lb/> lichkeit“ ſich angeeignet haben. Ludwig Philipp bekam, unter an-<lb/> dern Ehrentiteln, den eines „hinterliſtigen Ränkeſchmieds <hi rendition="#aq">(artful<lb/> dodger)</hi>“ beigelegt. Frankreich, äußerte Sturge, habe unter dem<lb/> Deſpotiſmus <hi rendition="#g">eines</hi> Mannes geſeufzt, und das Joch muthig abgeſchüt-<lb/> telt; England ſeufze unter dem Deſpotiſmus einer Oligarchie. Gegen<lb/> dieſe müſſe das Volk ſich einig erheben, aber eine Republik wolle es<lb/> nicht. Eine ähnliche Demonſtration hat in <hi rendition="#g">Bath</hi> ſtattgefunden. Dort<lb/> wählte man das Motto: „Die Republik für Frankreich, die Conſtitution<lb/> für England!“ — Die Nachrichten aus Irland lauten bedrohlicher. In-<lb/> deſſen hat John O’Connell, an die Stelle des nach ſeines Vaters Tod<lb/> zurückgetretenen Tom Steele, ſich als der „Ober-Pacificator von Irland“<lb/> angekündigt, und in dieſer Eigenſchaft bereits einer Verſammlung der<lb/> Dubliner „Trades-Union“ (Handwerkerverein) im Abbey-Street-Theater<lb/> beigewohnt. Die notabeln Bürger Dublins, Bankiers, Kaufleute u. ſ. w.,<lb/> haben eine Adreſſe an den Lordſtatthalter geſandt, worin ſie ihm ihre<lb/> Unterſtützung zur Aufrechthaltung der Ruhe in Stadt und Land zu-<lb/> ſichern. Dasſelbe haben die Oranienmänner des Nordens — <hi rendition="#aq">„the<lb/> loyal Orangemen of Armagh“</hi> — gethan. Lord Miltown aber iſt jetzt<lb/> öffentlich der Repealaſſociation beigetreten.</p><lb/> <cb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>Die gemeldete Abreiſe des Herzogs und der Herzogin v. Montpen-<lb/> ſier nach Deutſchland hat, glaubt man, <hi rendition="#g">Spanien</hi> zu ihrem letzten Ziel<lb/> (vergl. unſern geſtrigen Madrider Brief). Im Publicum geht überdieß<lb/> das Gerücht: in Folge einer in den Tuilerien gefundenen und der britti-<lb/> ſchen Regierung mitgetheilten Correſpondenz habe der Herzog vom aus-<lb/> wärtigen Amte die gemeſſene Einladung erhalten England zu verlaſſen.<lb/> Die Mehrzahl der Blätter ſchenkt dieſer „allzu ſcharfſinnigen Vermu-<lb/> thung“ keinen Glauben. — Hr. Guizot und ſeine Familie haben ſich der<lb/> franzöſiſch-preſbyteriſchen (calviniſtiſchen) Kirchengemeinde von St. Mar-<lb/> tin’s-le-Grand in London angeſchloſſen. Das Erſcheinen ſeiner 80jäh-<lb/> rigen Mutter und ihrer zwei Enkelinnen im letzten Sonntagsgottesdienſt<lb/> erregte großes Aufſehen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>Die meiſten Journale betrachten die franzöſiſchen Finanzſchwierig-<lb/> keiten in hoffnungsloſem Lichte. So ſagt die <hi rendition="#g">Times</hi>: „Die Finanz-<lb/> darlegung des Hrn. Garnier-Pagès nimmt den Schleier von dem Ab-<lb/> grunde welcher den Credit, die Wohlfahrt, die Induſtrie, vielleicht das<lb/> ſociale Daſeyn Frankreichs zu verſchlingen droht. Trotz der in einigen<lb/> leeren Ausdrücken enthaltenen ſchmeichelhaften Verſicherungen, ſprechen<lb/> die Ziffern des Miniſters eine Sprache die ſich nicht mißverſtehen läßt,<lb/> und die Vorſchläge der Regierung deuten auf einen verzweifelten<lb/> Nothdrang. Die theilweiſe Zahlungseinſtellung der Sparbanken iſt eine<lb/> Handlung der Inſolvenz. Dem Arbeiter der ſein Hinterlegtes zurück-<lb/> ziehen will wird geſagt: er ſoll <formula notation="TeX">\frac{1}{10}</formula> in Baarem, <formula notation="TeX">\frac{4}{10}</formula> in verzinslichen Schei-<lb/> nen des Schatzamtes, die andere Hälfte in jetzt werthloſem Papiergeld<lb/> annehmen. Es iſt in der That ſchrecklich zu denken welche Wirkung ein<lb/> ſolcher Schlag auf den beſten Theil der arbeitenden Claſſen in Frank-<lb/> reich äußern muß. Was die Mittel betrifft den Staat aus dieſer furcht-<lb/> baren Lage herauszuwinden, ſo geht der Hauptvorſchlag auf ein freiwil-<lb/> liges Nationaldarlehen von 100 Millionen Francs; aber die Urheber<lb/> dieſes Plans glauben wohl ſelbſt nicht daran. Die Nationalanleihe von<lb/> 1830 brachte, unter ſehr verſchiedenen Umſtänden, keine 20 Millionen<lb/> ein. Und dann die andern Auskunftsmittel ... was bedeutet der Ver-<lb/> kauf einiger Diamanten oder die Ausmünzung einiges Silberzeugs ge-<lb/> genüber den Bedürfniſſen einer Nation? Wir haben lange vorausge-<lb/> ſehen und vorausgeſagt daß Ludwig Philipps Finanzverwaltung vom<lb/> Schlimmen ins Schlimmere gerathen, und bei dem erſten Stoß des öffent-<lb/> lichen Credits zu unheilvollen Folgen führen müſſe. Die Verſchwen-<lb/> dung der Monarchie hat Frankreich große, Verbindlichkeiten aufgebürdet,<lb/> und die Dazwiſchenkunft der Republik macht Frankreich unfähig ſie zu<lb/> erfüllen.“ Das M. <hi rendition="#g">Chronicle</hi>, ſonſt ein warmer Bewunderer der<lb/> franzöſiſchen Republicaner<note place="foot" n="*)">Die Franzoſen, ſagt das <hi rendition="#g">Ehronicle</hi>, verdienen die rührende Lob-<lb/> rede die <hi rendition="#g">Niebuhr</hi> dem atheniſchen Volke gewidmet, welchem jene ſo<lb/> ähnlich ſeyen (<hi rendition="#aq">whom they so much resemble.</hi> Das hat bekanntlich<lb/> auch Chateaubriand behauptet, und doch iſt es nicht wahr): „Ich will<lb/> diejenigen welche die Athener als ein heillos unbeſonnenes Volk und<lb/> ihre Republik als eine von vornherein hoffnungsloſe verſchreien, keiner<lb/> muthwilligen Ungerechtigkeit zeihen, denn ſie wiſſen nicht was ſie thun.<lb/> Ein aufrichtiger Mann wird die Antwort hören wie vom Dämon des<lb/> Sokrates: Mag wer da will tadeln und ſpotten, ich meines Theils, ſoll-<lb/> ten ſchwere Schickſale für meine alten Tage aufgeſpart ſeyn, und für<lb/> meine Kinder, <hi rendition="#g">welche gewiß ſchlimme Zeiten erleben wer-<lb/> den</hi>, ich erbitte mir nur ſo viel Selbſtbeherrſchung, ſo viel Mäßigung<lb/> inmitten der Verſuchung, ſo viel Muth in der Stunde der Gefahr, ſo<lb/> viel ruhige Ausdauer im Bewußtſeyn eines ruhmvollen Entſchluſſes,<lb/> wie das atheniſche Volk, als <hi rendition="#g">ein</hi> Mann betrachtet, gezeigt hat.“ Der<lb/> gelehrte Niebuhr hat ſich aber bekanntlich nicht immer ſo zukunftsmu-<lb/> thig geäußert. Der Mann hatte lebendigen Sinn für die einfache<lb/> Großheit des Alterthums und eine Paſſion für den preußiſchen Peli-<lb/> zeiſtaat auf faſt wunderſame Weiſe in ſich verquickt, und nach der Ju-<lb/> liusrevolution war ſein großer Jammer: die <hi rendition="#g">Bildung</hi> möchte Scha-<lb/> den leiden; d. h. mit dem wiedererwachenden politiſchen Leben der Völ-<lb/> ker möchte ein Stück Berliner Scholaſtik abhanden kommen. Was aber<lb/> dieſe, von Platen nach Gebühr beſungene, Scholaſtik werth iſt, das iſt<lb/> in unſern Tagen auch den Blinden offenbar geworden.</note>, urtheilt von Garnier-Pagès’ Finanzpro-<lb/> gramm: in ſeinen Verheißungen ſey es eines Caglioſtro, in ſeinem Geiſt<lb/> eines Law, in ſeiner Weisheit eines Lord Bexley würdig.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>Mehrere Journale ſprechen die Beſorgniß aus daß die franzöſiſchen<lb/> Ereigniſſe zunächſt auf <hi rendition="#g">Portugal</hi> erſchütternd zurückwirken dürſten.<lb/> Der <hi rendition="#g">Sun</hi> erklärt geradezu den Thron der Dona Maria in Gefahr.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris</hi>, 17 März.</dateline><lb/> <p>Was die Münchner Studenten in ihrer Adreſſe ſagten: „Kein<lb/> Krieg mit Frankreich als ein Vertheidigungskrieg, ſonſt <hi rendition="#g">mit Frank-<lb/> reich gegen Rußland</hi>,“ hat in Paris einen ſehr guten Eindruck ge-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1287/0007]
gegen das (wie ſie ſagten) extemporiſirte (rögtönzött) Ganze ſtemm-
ten. Dieſe Autoritäten waren der zufällig in Peſth aweſende ehemalige
Deputirte Klauzál und Nyári der zweite Vicegeſpan des hieſigen
Comitates, die ſich mit einer Petition, die bloß von einigen Bürgern
und der Jugend unterzeichnet wäre, nicht zufrieden gaben. Klauzáls
Vorſchlag, ging alſo dahin: „erſt den Grafen L. B. (bei uns muß nun
einmal ſtets ein Graf an der Spitze irgendeiner Sache ſtehen!) auf-
zufordern, er möge eine allgemeine Sitzung des Oppoſitionsclubs aus-
ſchreiben, und von dieſer Sitzung aus mögen wieder Aufrufe an die
Comitate und Städte ergehen eine derlei Petition zu unterſtützen. Die
Sache daher hiebei bewenden zu laſſen und zu vertagen! — Der Jo-
ſephimarkt, der heute begonnen, iſt recht zahlreich beſucht, weit zahl-
reicher als dieß bei den jetzigen politiſchen Aufregungen zu erwarten
war. Nachſchrift. Es iſt 9½ Uhr. Ein Jubel der Freude ertönt in
den Straßen, in allen Kaffee- und Gaſthäuſern. Die Menſchen um-
armen ſich, drücken ſich die Hände. Mit dem ſoeben angelangten
Dampfboote aus Wien verbreitet ſich die Kunde eines blutigen Auf-
ſtandes iu Wien, der aber ſchnell die beſten Früchte getragen. Ge-
meindevertretung, Preßfreiheit, Bürgergarde, vom Kaiſer
gewährte Conſtitution für Oeſterreich!
Großbritannien.
London, 16 März.
Am 15 März, als einem Mittwoch, hielt das Oberhaus keine
Sitzung. Das Haus der Gemeinen, welches von Mittag bis 6 Uhr
Abends ſaß, beſchäftigte ſich bloß mit Wahlangelegenheiten, namentlich
mit einer „Converſation“ über die durch einen Unterſuchungsausſchuß
des Hauſes wegen erwieſener Beſtechung für ungültig erklärte Wahl
des Hrn. Attwood für Harwich, für welchen Burgflecken ein neuer
Wahlbefehl erlaſſen wurde. Sir John Cam Hobhouſe, der Präſident
des indiſchen Controlamts, hat nun gleich ſeinem miniſteriellen Collegen
Benjamin Hawes auch wieder einen Sitz im Hauſe gefunden, indem der
berühmte Novelliſt Sir Edward Bulwer Lytton, der im Parlament nie
Glück gehabt hat, ſeinen Sitz für Lincoln freiwillig zu deſſen Gunſten
geräumt. Sir John wurde gegen den conſervativen Mitbewerber Hrn.
Humphrey mit einer Mehrheit von 53 Stimmen (554:501) gewählt.
Hr. Macaulay, glaubt man, werde demnächſt einen ſchottiſchen Parla-
mentsſitz finden, vielleicht für Edinburg.
Die geſtrige Chartiſten-Verſammlung in Birmingham — von
welcher man Ruheſtörungen gefürchtet hatte, ſo daß die Regierung für
nöthig fand eine Abtheilung Infanterie auf der Eiſenbahn dahin zu
entſenden — iſt ganz ruhig vorübergegangen. Das Meeting ward auf
dem Stadthaus gehalten, und Hr. Baldwin, ein Mitglied des Gemeinde-
raths, führte den Vorſitz. Die Redner waren meiſt unbekannte Namen;
denn Hr. Scholefield, das eingeladene radicale Parlamentsmitglied für
die Stadt, war zu erſcheinen verhindert. Nur Hr. Joſeph Sturge, der
vor einigen Jahren oftgenannte Quäker, welcher hier als Schutzredner
der „Volkscharte“: allgemeines Stimmrecht, Ballot, dreijährige Par-
lamente u. ſ. w. auftrat, iſt in weiteren Kreiſen bekannt. Zu Gunſten
dieſer Charter wurden Bittſchriften ans Parlament unter Zuruf ange-
nommen. Den Franzoſen ward enthuſtaſtiſches Lob geſpendet, ſowie
die Chartiſten auch deren Loſungswort: „Freiheit, Gleichheit, Brüder-
lichkeit“ ſich angeeignet haben. Ludwig Philipp bekam, unter an-
dern Ehrentiteln, den eines „hinterliſtigen Ränkeſchmieds (artful
dodger)“ beigelegt. Frankreich, äußerte Sturge, habe unter dem
Deſpotiſmus eines Mannes geſeufzt, und das Joch muthig abgeſchüt-
telt; England ſeufze unter dem Deſpotiſmus einer Oligarchie. Gegen
dieſe müſſe das Volk ſich einig erheben, aber eine Republik wolle es
nicht. Eine ähnliche Demonſtration hat in Bath ſtattgefunden. Dort
wählte man das Motto: „Die Republik für Frankreich, die Conſtitution
für England!“ — Die Nachrichten aus Irland lauten bedrohlicher. In-
deſſen hat John O’Connell, an die Stelle des nach ſeines Vaters Tod
zurückgetretenen Tom Steele, ſich als der „Ober-Pacificator von Irland“
angekündigt, und in dieſer Eigenſchaft bereits einer Verſammlung der
Dubliner „Trades-Union“ (Handwerkerverein) im Abbey-Street-Theater
beigewohnt. Die notabeln Bürger Dublins, Bankiers, Kaufleute u. ſ. w.,
haben eine Adreſſe an den Lordſtatthalter geſandt, worin ſie ihm ihre
Unterſtützung zur Aufrechthaltung der Ruhe in Stadt und Land zu-
ſichern. Dasſelbe haben die Oranienmänner des Nordens — „the
loyal Orangemen of Armagh“ — gethan. Lord Miltown aber iſt jetzt
öffentlich der Repealaſſociation beigetreten.
Die gemeldete Abreiſe des Herzogs und der Herzogin v. Montpen-
ſier nach Deutſchland hat, glaubt man, Spanien zu ihrem letzten Ziel
(vergl. unſern geſtrigen Madrider Brief). Im Publicum geht überdieß
das Gerücht: in Folge einer in den Tuilerien gefundenen und der britti-
ſchen Regierung mitgetheilten Correſpondenz habe der Herzog vom aus-
wärtigen Amte die gemeſſene Einladung erhalten England zu verlaſſen.
Die Mehrzahl der Blätter ſchenkt dieſer „allzu ſcharfſinnigen Vermu-
thung“ keinen Glauben. — Hr. Guizot und ſeine Familie haben ſich der
franzöſiſch-preſbyteriſchen (calviniſtiſchen) Kirchengemeinde von St. Mar-
tin’s-le-Grand in London angeſchloſſen. Das Erſcheinen ſeiner 80jäh-
rigen Mutter und ihrer zwei Enkelinnen im letzten Sonntagsgottesdienſt
erregte großes Aufſehen.
Die meiſten Journale betrachten die franzöſiſchen Finanzſchwierig-
keiten in hoffnungsloſem Lichte. So ſagt die Times: „Die Finanz-
darlegung des Hrn. Garnier-Pagès nimmt den Schleier von dem Ab-
grunde welcher den Credit, die Wohlfahrt, die Induſtrie, vielleicht das
ſociale Daſeyn Frankreichs zu verſchlingen droht. Trotz der in einigen
leeren Ausdrücken enthaltenen ſchmeichelhaften Verſicherungen, ſprechen
die Ziffern des Miniſters eine Sprache die ſich nicht mißverſtehen läßt,
und die Vorſchläge der Regierung deuten auf einen verzweifelten
Nothdrang. Die theilweiſe Zahlungseinſtellung der Sparbanken iſt eine
Handlung der Inſolvenz. Dem Arbeiter der ſein Hinterlegtes zurück-
ziehen will wird geſagt: er ſoll [FORMEL] in Baarem, [FORMEL] in verzinslichen Schei-
nen des Schatzamtes, die andere Hälfte in jetzt werthloſem Papiergeld
annehmen. Es iſt in der That ſchrecklich zu denken welche Wirkung ein
ſolcher Schlag auf den beſten Theil der arbeitenden Claſſen in Frank-
reich äußern muß. Was die Mittel betrifft den Staat aus dieſer furcht-
baren Lage herauszuwinden, ſo geht der Hauptvorſchlag auf ein freiwil-
liges Nationaldarlehen von 100 Millionen Francs; aber die Urheber
dieſes Plans glauben wohl ſelbſt nicht daran. Die Nationalanleihe von
1830 brachte, unter ſehr verſchiedenen Umſtänden, keine 20 Millionen
ein. Und dann die andern Auskunftsmittel ... was bedeutet der Ver-
kauf einiger Diamanten oder die Ausmünzung einiges Silberzeugs ge-
genüber den Bedürfniſſen einer Nation? Wir haben lange vorausge-
ſehen und vorausgeſagt daß Ludwig Philipps Finanzverwaltung vom
Schlimmen ins Schlimmere gerathen, und bei dem erſten Stoß des öffent-
lichen Credits zu unheilvollen Folgen führen müſſe. Die Verſchwen-
dung der Monarchie hat Frankreich große, Verbindlichkeiten aufgebürdet,
und die Dazwiſchenkunft der Republik macht Frankreich unfähig ſie zu
erfüllen.“ Das M. Chronicle, ſonſt ein warmer Bewunderer der
franzöſiſchen Republicaner *), urtheilt von Garnier-Pagès’ Finanzpro-
gramm: in ſeinen Verheißungen ſey es eines Caglioſtro, in ſeinem Geiſt
eines Law, in ſeiner Weisheit eines Lord Bexley würdig.
Mehrere Journale ſprechen die Beſorgniß aus daß die franzöſiſchen
Ereigniſſe zunächſt auf Portugal erſchütternd zurückwirken dürſten.
Der Sun erklärt geradezu den Thron der Dona Maria in Gefahr.
Frankreich.
Paris, 17 März.
Was die Münchner Studenten in ihrer Adreſſe ſagten: „Kein
Krieg mit Frankreich als ein Vertheidigungskrieg, ſonſt mit Frank-
reich gegen Rußland,“ hat in Paris einen ſehr guten Eindruck ge-
*) Die Franzoſen, ſagt das Ehronicle, verdienen die rührende Lob-
rede die Niebuhr dem atheniſchen Volke gewidmet, welchem jene ſo
ähnlich ſeyen (whom they so much resemble. Das hat bekanntlich
auch Chateaubriand behauptet, und doch iſt es nicht wahr): „Ich will
diejenigen welche die Athener als ein heillos unbeſonnenes Volk und
ihre Republik als eine von vornherein hoffnungsloſe verſchreien, keiner
muthwilligen Ungerechtigkeit zeihen, denn ſie wiſſen nicht was ſie thun.
Ein aufrichtiger Mann wird die Antwort hören wie vom Dämon des
Sokrates: Mag wer da will tadeln und ſpotten, ich meines Theils, ſoll-
ten ſchwere Schickſale für meine alten Tage aufgeſpart ſeyn, und für
meine Kinder, welche gewiß ſchlimme Zeiten erleben wer-
den, ich erbitte mir nur ſo viel Selbſtbeherrſchung, ſo viel Mäßigung
inmitten der Verſuchung, ſo viel Muth in der Stunde der Gefahr, ſo
viel ruhige Ausdauer im Bewußtſeyn eines ruhmvollen Entſchluſſes,
wie das atheniſche Volk, als ein Mann betrachtet, gezeigt hat.“ Der
gelehrte Niebuhr hat ſich aber bekanntlich nicht immer ſo zukunftsmu-
thig geäußert. Der Mann hatte lebendigen Sinn für die einfache
Großheit des Alterthums und eine Paſſion für den preußiſchen Peli-
zeiſtaat auf faſt wunderſame Weiſe in ſich verquickt, und nach der Ju-
liusrevolution war ſein großer Jammer: die Bildung möchte Scha-
den leiden; d. h. mit dem wiedererwachenden politiſchen Leben der Völ-
ker möchte ein Stück Berliner Scholaſtik abhanden kommen. Was aber
dieſe, von Platen nach Gebühr beſungene, Scholaſtik werth iſt, das iſt
in unſern Tagen auch den Blinden offenbar geworden.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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