Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 22. März 1848.Nr. 82. [Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. [Spaltenumbruch]
22 März 1848.[Spaltenumbruch]
Die Republik in Frankreich und die Monarchie in Deutschland. II. *+* Seit unserem ersten Artikel haben die Begebenheiten ihre Mit diesem allem ist nicht gesagt daß man die französische Republik Diese erscheinen mit der Monarchie oder mit den zerstückelten Mon- So schmerzlich es auch seyn mag, es gilt dieser Wahrheit entschlos- Dazu reicht nicht hin daß die Falschheit des Princips erkannt werde Nr. 82. [Spaltenumbruch]
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22 März 1848.[Spaltenumbruch]
Die Republik in Frankreich und die Monarchie in Deutſchland. II. *†* Seit unſerem erſten Artikel haben die Begebenheiten ihre Mit dieſem allem iſt nicht geſagt daß man die franzöſiſche Republik Dieſe erſcheinen mit der Monarchie oder mit den zerſtückelten Mon- So ſchmerzlich es auch ſeyn mag, es gilt dieſer Wahrheit entſchloſ- Dazu reicht nicht hin daß die Falſchheit des Princips erkannt werde <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="volume"> <hi rendition="#b">Nr. 82.</hi> </titlePart> <cb/> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zur Allgemeinen Zeitung.</hi> </titlePart> </docTitle> <cb/> <docImprint> <docDate> <hi rendition="#b">22 März 1848.</hi> </docDate> </docImprint> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <body> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Die Republik in Frankreich und die Monarchie in<lb/> Deutſchland.<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi></hi> </hi> </head><lb/> <p>*†* Seit unſerem erſten Artikel haben die Begebenheiten ihre<lb/> Natur anders herausgeſtellt als es für den erſten Augenblick zu beſorgen<lb/> ſchien. Die franzöſiſche Republik hat nicht alſobald ihre Gränzmarken<lb/> mit den Waffen überſchritten; Lamartine, für den Augenblick ihr<lb/> humaniſtiſches Oberhaupt, verkündet ſogar Friede und Freundſchaft<lb/> aller Welt, und Louis Blanc ſucht den neuen Oberherrn, das Volk der<lb/> Arbeiter, in den goldenen Sälen und ſammetenen Stühlen der vertrie-<lb/> benen Pairs mit Hoffnungen zu ſpeiſen und mit ſchönen Empfindungen<lb/> zu beſchwichtigen. Er ſcheint ſogar abzuſtehen von ſeinem erſten Beginn<lb/> den Arbeitern Beſchäftigung durch den Staat zu verſchaffen, und ſtellt<lb/> die Aſſociation, d. i. den Verein der Arbeiter zu gemeinſamen Zwecken,<lb/> an die Stelle des Arbeitspatronats, das er eben erſt ſeiner Republik<lb/> vorzubehalten ſchien. Aber man darf in allem dieſem nicht ein Auf-<lb/> heben, ſondern nur ein Verſchieben der Gefahr wahrnehmen. Hebt doch<lb/> Lamartine ſelbſt den Rechtsbeſtand der Verträge auf, und läßt ſie als<lb/> Thatſachen nur ſo lange beſtehen als ſie der franzöſiſchen Convenienz<lb/> und den Anſprüchen der Republik genügen, und wenn er von Gebiets-<lb/> erweiterungen durch Waffengewalt für den Augenblick abſteht, ſo glaubt<lb/> er dagegen durch das was er Modification der Verträge nennt, mit Zu-<lb/> ſtimmung der betheiligten Staaten vorwärts zu kommen, was denn doch<lb/> wohl heißt daß Piemont, die Rheinſtaaten und Belgien ſich durch Er-<lb/> wägungen, die man noch zurückhält und nach Umſtänden vorrücken läßt,<lb/> beſtimmt fühlen werden der franzöſiſchen Republik, die nach Nord, Süd<lb/> und Oſt ſich zu eng umringt und bloßgeſtellt fühlt, die nöthigen Erwei-<lb/> terungen und Sicherheiten zu geſtatten. Wird auf dieſe Weiſe die<lb/> franzöſiſche Republik von den übrigen europäiſchen Staaten, die auf<lb/> jenen Verträgen als zu Recht beſtehenden gebaut ſind, iſolirt und ihnen<lb/> gegenüber gleichſam auf das Piquet geſtellt, ſo ſteht es nicht beſſer mit<lb/> der innern Politik von Louis Blanc. Die Unmöglichkeit die friedlichen<lb/> Grundſätze der Politik in dieſer Gährung aufrechtzuerhalten, und die<lb/> Unmöglichkeit den Andrang der unteren Schichten mit ihrer wachſenden<lb/> Noth durch eitle Verheißungen zu beſchwichtigen, gehen Hand in Hand,<lb/> und täuſchen nicht alle Symptome, ſo hat das Syſtem Lamartine-Louis<lb/> Blanc kaum Lebensfähigkeit genug bis zum Eintritt der Nationalver-<lb/> ſammlung aufrecht zu bleiben. Dann tritt die Periode von Lamoricière<lb/> und die Angriffscolonne von 100,000 Mann in Thätigkeit, die er ſchon<lb/> jetzt zu rüſten begonnen hat, und neben ihr in weit ſchrofferen Formen<lb/> die Herrſchaft der Maſſen, welche bis dahin erkannt haben daß es auch<lb/> mit der Aſſociation der Arbeiter nicht vorwärts geht, ſo lange ſich die<lb/> großen Capitalien als die Grundlage jeder auf Tantièmen gebauten<lb/> Aſſociation von dieſer zurückhalten.</p><lb/> <p>Mit dieſem allem iſt nicht geſagt daß man die franzöſiſche Republik<lb/> ſchon jetzt als eine feindſelige Macht anſehen, wohl aber daß man gefaßt<lb/> ſeyn ſoll ihr als einer ſolchen zu begegnen, wenn ſie ihre innere Natur<lb/> als eine gewaltthätige nach außen wie nach innen hervorwendet. Frank-<lb/> reich entfaltet in allen Umgeſtaltungen denſelben Charakter den es ſchon<lb/> im Alterthum den Römern enthüllte. „Die Gallier“, ſagt der größte<lb/> der römiſchen Geſchichtſchreiber, „ſeyen ein Volk das weder die Freiheit<lb/> noch die Knechtſchaft ertragen könne: die Freiheit nicht weil ihm das<lb/> Maß und die Beſonnenheit abgeht die zum Beſtehen der Kämpfe für ſie<lb/> unerläßlich ſind; und die Knechtſchaft nicht weil das Volk zu lebhaft<lb/> und im Grunde zu edel iſt um das Ungebührliche zu erdulden.“ Jede<lb/> Macht wird darum dort gebrochen ſobald ſie von der Meinung derer ver-<lb/> laſſen wird auf welche ſie geſtützt war. Ludwig Philipp fiel weil ſich<lb/> ihm die Mittelclaſſen, auf die ſein Thron gebaut war, entzogen, und<lb/> Louis Blanc mit Lamartine wird fallen weil ſie der Meinung der nie-<lb/> deren Schichten der Geſellſchaft nicht entſprechen die obenauf gekommen<lb/> ſind. Das iſt der Ernſt und die innere Nothwendigkeit der franzöſiſchen<lb/> Zuſtände, und von ihnen Ernſt und Nothwendigkeit der unſrigen<lb/> bedingt.</p><lb/> <p>Dieſe erſcheinen mit der Monarchie oder mit den zerſtückelten Mon-<lb/> archien gegenüber von jenen unhaltbar, weil die Monarchie unter<lb/> uns auf ein falſches Princip gebaut war, falſch an ſich, und gefähr-<lb/> lich noch mehr durch die Zerſtückelung fürſtlicher Gewalt in ſo vielen<lb/><cb/> Staaten. Jenes Princip zeigt ſchon durch den fremden Namen der<lb/> Souveränetät den es trägt, ſeine dem Deutſchen widerſtrebende Fremd-<lb/> artigkeit. Souverän, <hi rendition="#aq">sovrano, superaneus,</hi> iſt an ſich bloß: oberherr-<lb/> lich; man hat es aber zum Unbedingt- oder Abſolut-Herrlichen, zum<lb/> Princip des Abſolutismus geſtempelt, zu dem es unter Ludwig <hi rendition="#aq">XIV</hi><lb/> entartete, dann durch Napoleon auf ſcheinbar demokratiſcher Grundlage<lb/> erneuert wurde. Dem Wiener Congreß wurde es als ein für Deutſch-<lb/> land fremdes Erbſtück der zertrümmerten imperatoriſchen Macht des<lb/> Welteroberers zurückgelaſſen. In Folge davon wurden ſeine Könige<lb/> und Fürſten im genannten Sinne ſouverän. Sie vereinigten in ſich alle<lb/> legislative, richterliche und adminiſtrative Gewalt, und erklärten ſie in<lb/> den Schranken üben zu wollen die ſie ſich ſelbſt geſtellt hatten, vorbe-<lb/> haltlich der Befugniß in einem Fürſtencongreß jene Schranken umzu-<lb/> ſtellen, und verbunden ſich gegen widerſtrebende Forderungen durch<lb/> Waffengewalt Hülfe zu leiſten. Das Uebel ſtieg dadurch daß der Con-<lb/> greß der Abgeordneten der Souveräne, d. i. der deutſche Bundestag,<lb/> bald zu einem geheimen ward, daß die Inſtructionen für die Bundes-<lb/> tagsgeſandten der öffentlichen Kunde ebenſo entzogen blieben wie dem<lb/> Princip nach die Beſchlüſſe des Bundes, der durch die innere Nothwen-<lb/> digkeit des falſchen Princips bald dahin gedrängt wurde die Beurthei-<lb/> lung ſeiner Thathandlungen zu verbieten, und ſelbſt das Petitionsrecht,<lb/> inſofern es Reſormen betraf, aufzuheben. Dieſer Zuſtand, weil un-<lb/> natürlich, trug den Keim des Todes in ſich ſelbſt, und wie ſchnell dieſer<lb/> politiſche Tod eingetreten, wurde ſchon dadurch klar daß der Bund weder<lb/> privatrechtlichen Titel des Beſitzes, wie bei den weſtfäliſchen Domänen-<lb/> käufern, noch wohlerworbenes politiſches Recht, wie bei der hannöveriſchen<lb/> Verfaſſungsfrage, zu ſchirmen im Stande war. Nur wo es galt die<lb/> Beſorgniſſe der abſoluten Gewalt gegen das Anſtreben der öffentlichen<lb/> Macht zu bethätigen und zu ihrer Beſchwichtigung die Regungen des<lb/> Nationalgefühls und Nationalbedürfniſſes durch Specialcommiſſionen<lb/> zu ſchwächen oder zu brechen, entfaltete ſich ſeine zweideutige Thätigkeit,<lb/> während er dreißig Jahre lang die zum Schutz des ſüdweſtlichen Deutſch-<lb/> lands nöthigen Vorkehrungen in Verſäumniß und die dafür verfügbaren<lb/> Millionen in den Händen von Rothſchild ließ. Die Nation war dadurch<lb/> auf ſich ſelbſt und auf die Eventualität politiſcher Kataſtrophen ange-<lb/> wieſen, die nun zwar ſpät, aber immer noch raſcher als die Bethörten<lb/> wähnten, an die Pforten von Deutſchland anſchlagen und den haltlos<lb/> gewordenen Beſtand erſchüttern.</p><lb/> <p>So ſchmerzlich es auch ſeyn mag, es gilt dieſer Wahrheit entſchloſ-<lb/> ſen in das Geſicht zu ſehen, in ihre Folgen einzudringen, und zu ent-<lb/> decken was nun geſchehen muß, was keinen Augenblick verſchoben wer-<lb/> den darf, ſoll noch Rettung übrig ſeyn.</p><lb/> <p>Dazu reicht nicht hin daß die Falſchheit des Princips erkannt werde<lb/> auf dem die Monarchie in Deutſchland gebaut war; es gilt dem Wahren<lb/> Anerkennung zu verſchaffen, und es ſtatt des Falſchen dem neuen<lb/> Deutſchland als die allein haltbare Baſis unterzulegen. Deutſche Art<lb/> und Weiſe iſt daß keine Gewalt, auch fürſtliche und königliche nicht, eine<lb/> unbedingte ſey. Im deutſchen Reiche, ehe es verunſtaltet und verdorben<lb/> wurde, hatten die einzelnen Stände, Städte und Landſchaften ihr ver-<lb/> bürgtes Recht, und die oberſte Gewalt ruhte allein in der Geſammtheit<lb/> des Reiches, dem die Fürſten als Vaſallen gehörten, und in dem auch<lb/> das durch Wahl berufene Oberhaupt allein ein „kaiſerliches Amt und<lb/> Würden“ beſaß. Dieſes Recht, das dem abſoluten als das parlamen-<lb/> tare entgegenſteht, und das aus allen Mißgeſtaltungen des ſpäteren<lb/> deutſchen Reiches noch hervorleuchtet, gilt es aus dem Schutt der Zer-<lb/> ſtörungen hervorzugraben, in ſeinem innern Weſen wieder anzuerkennen,<lb/> in ſeiner Bedeutſamkeit zu entfalten und als das Palladium der neuen<lb/> deutſchen Monarchie in dem Heiligthum unſerer Zukunft aufzuſtellen,<lb/> ſo lange es noch Zeit iſt dieſes Heiligthum zu erbauen und zu ſeinem<lb/> Schirm Meinung und Macht der Nation herbeizurufen. Wir übergehen<lb/> dabei was in den einzelnen Staaten geſchehen muß um, ſey es die ab-<lb/> ſolutiſtiſchen, ſey es die ſtändiſchen oder conſtitutionellen, auf jeden Fall<lb/> die verkümmerten in wahrhaft verfaſſungsmäßige oder parlamentäre<lb/> zu verwandeln. Man weiß das allgemein; man verfährt darnach,<lb/> und ſelbſt aus der bis dahin verſchloſſenen alten Kaiſerburg von Wien<lb/> iſt endlich das bedeutungsvolle Wort der Zugeſtändniſſe zur Beſchwich-<lb/> tigung des Sturmes vernommen worden. Dagegen wenden wir uns<lb/> auf das Einheitliche der deutſchen Monarchien, das, wie im alten<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Nr. 82.
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
22 März 1848.
Die Republik in Frankreich und die Monarchie in
Deutſchland.
II.
*†* Seit unſerem erſten Artikel haben die Begebenheiten ihre
Natur anders herausgeſtellt als es für den erſten Augenblick zu beſorgen
ſchien. Die franzöſiſche Republik hat nicht alſobald ihre Gränzmarken
mit den Waffen überſchritten; Lamartine, für den Augenblick ihr
humaniſtiſches Oberhaupt, verkündet ſogar Friede und Freundſchaft
aller Welt, und Louis Blanc ſucht den neuen Oberherrn, das Volk der
Arbeiter, in den goldenen Sälen und ſammetenen Stühlen der vertrie-
benen Pairs mit Hoffnungen zu ſpeiſen und mit ſchönen Empfindungen
zu beſchwichtigen. Er ſcheint ſogar abzuſtehen von ſeinem erſten Beginn
den Arbeitern Beſchäftigung durch den Staat zu verſchaffen, und ſtellt
die Aſſociation, d. i. den Verein der Arbeiter zu gemeinſamen Zwecken,
an die Stelle des Arbeitspatronats, das er eben erſt ſeiner Republik
vorzubehalten ſchien. Aber man darf in allem dieſem nicht ein Auf-
heben, ſondern nur ein Verſchieben der Gefahr wahrnehmen. Hebt doch
Lamartine ſelbſt den Rechtsbeſtand der Verträge auf, und läßt ſie als
Thatſachen nur ſo lange beſtehen als ſie der franzöſiſchen Convenienz
und den Anſprüchen der Republik genügen, und wenn er von Gebiets-
erweiterungen durch Waffengewalt für den Augenblick abſteht, ſo glaubt
er dagegen durch das was er Modification der Verträge nennt, mit Zu-
ſtimmung der betheiligten Staaten vorwärts zu kommen, was denn doch
wohl heißt daß Piemont, die Rheinſtaaten und Belgien ſich durch Er-
wägungen, die man noch zurückhält und nach Umſtänden vorrücken läßt,
beſtimmt fühlen werden der franzöſiſchen Republik, die nach Nord, Süd
und Oſt ſich zu eng umringt und bloßgeſtellt fühlt, die nöthigen Erwei-
terungen und Sicherheiten zu geſtatten. Wird auf dieſe Weiſe die
franzöſiſche Republik von den übrigen europäiſchen Staaten, die auf
jenen Verträgen als zu Recht beſtehenden gebaut ſind, iſolirt und ihnen
gegenüber gleichſam auf das Piquet geſtellt, ſo ſteht es nicht beſſer mit
der innern Politik von Louis Blanc. Die Unmöglichkeit die friedlichen
Grundſätze der Politik in dieſer Gährung aufrechtzuerhalten, und die
Unmöglichkeit den Andrang der unteren Schichten mit ihrer wachſenden
Noth durch eitle Verheißungen zu beſchwichtigen, gehen Hand in Hand,
und täuſchen nicht alle Symptome, ſo hat das Syſtem Lamartine-Louis
Blanc kaum Lebensfähigkeit genug bis zum Eintritt der Nationalver-
ſammlung aufrecht zu bleiben. Dann tritt die Periode von Lamoricière
und die Angriffscolonne von 100,000 Mann in Thätigkeit, die er ſchon
jetzt zu rüſten begonnen hat, und neben ihr in weit ſchrofferen Formen
die Herrſchaft der Maſſen, welche bis dahin erkannt haben daß es auch
mit der Aſſociation der Arbeiter nicht vorwärts geht, ſo lange ſich die
großen Capitalien als die Grundlage jeder auf Tantièmen gebauten
Aſſociation von dieſer zurückhalten.
Mit dieſem allem iſt nicht geſagt daß man die franzöſiſche Republik
ſchon jetzt als eine feindſelige Macht anſehen, wohl aber daß man gefaßt
ſeyn ſoll ihr als einer ſolchen zu begegnen, wenn ſie ihre innere Natur
als eine gewaltthätige nach außen wie nach innen hervorwendet. Frank-
reich entfaltet in allen Umgeſtaltungen denſelben Charakter den es ſchon
im Alterthum den Römern enthüllte. „Die Gallier“, ſagt der größte
der römiſchen Geſchichtſchreiber, „ſeyen ein Volk das weder die Freiheit
noch die Knechtſchaft ertragen könne: die Freiheit nicht weil ihm das
Maß und die Beſonnenheit abgeht die zum Beſtehen der Kämpfe für ſie
unerläßlich ſind; und die Knechtſchaft nicht weil das Volk zu lebhaft
und im Grunde zu edel iſt um das Ungebührliche zu erdulden.“ Jede
Macht wird darum dort gebrochen ſobald ſie von der Meinung derer ver-
laſſen wird auf welche ſie geſtützt war. Ludwig Philipp fiel weil ſich
ihm die Mittelclaſſen, auf die ſein Thron gebaut war, entzogen, und
Louis Blanc mit Lamartine wird fallen weil ſie der Meinung der nie-
deren Schichten der Geſellſchaft nicht entſprechen die obenauf gekommen
ſind. Das iſt der Ernſt und die innere Nothwendigkeit der franzöſiſchen
Zuſtände, und von ihnen Ernſt und Nothwendigkeit der unſrigen
bedingt.
Dieſe erſcheinen mit der Monarchie oder mit den zerſtückelten Mon-
archien gegenüber von jenen unhaltbar, weil die Monarchie unter
uns auf ein falſches Princip gebaut war, falſch an ſich, und gefähr-
lich noch mehr durch die Zerſtückelung fürſtlicher Gewalt in ſo vielen
Staaten. Jenes Princip zeigt ſchon durch den fremden Namen der
Souveränetät den es trägt, ſeine dem Deutſchen widerſtrebende Fremd-
artigkeit. Souverän, sovrano, superaneus, iſt an ſich bloß: oberherr-
lich; man hat es aber zum Unbedingt- oder Abſolut-Herrlichen, zum
Princip des Abſolutismus geſtempelt, zu dem es unter Ludwig XIV
entartete, dann durch Napoleon auf ſcheinbar demokratiſcher Grundlage
erneuert wurde. Dem Wiener Congreß wurde es als ein für Deutſch-
land fremdes Erbſtück der zertrümmerten imperatoriſchen Macht des
Welteroberers zurückgelaſſen. In Folge davon wurden ſeine Könige
und Fürſten im genannten Sinne ſouverän. Sie vereinigten in ſich alle
legislative, richterliche und adminiſtrative Gewalt, und erklärten ſie in
den Schranken üben zu wollen die ſie ſich ſelbſt geſtellt hatten, vorbe-
haltlich der Befugniß in einem Fürſtencongreß jene Schranken umzu-
ſtellen, und verbunden ſich gegen widerſtrebende Forderungen durch
Waffengewalt Hülfe zu leiſten. Das Uebel ſtieg dadurch daß der Con-
greß der Abgeordneten der Souveräne, d. i. der deutſche Bundestag,
bald zu einem geheimen ward, daß die Inſtructionen für die Bundes-
tagsgeſandten der öffentlichen Kunde ebenſo entzogen blieben wie dem
Princip nach die Beſchlüſſe des Bundes, der durch die innere Nothwen-
digkeit des falſchen Princips bald dahin gedrängt wurde die Beurthei-
lung ſeiner Thathandlungen zu verbieten, und ſelbſt das Petitionsrecht,
inſofern es Reſormen betraf, aufzuheben. Dieſer Zuſtand, weil un-
natürlich, trug den Keim des Todes in ſich ſelbſt, und wie ſchnell dieſer
politiſche Tod eingetreten, wurde ſchon dadurch klar daß der Bund weder
privatrechtlichen Titel des Beſitzes, wie bei den weſtfäliſchen Domänen-
käufern, noch wohlerworbenes politiſches Recht, wie bei der hannöveriſchen
Verfaſſungsfrage, zu ſchirmen im Stande war. Nur wo es galt die
Beſorgniſſe der abſoluten Gewalt gegen das Anſtreben der öffentlichen
Macht zu bethätigen und zu ihrer Beſchwichtigung die Regungen des
Nationalgefühls und Nationalbedürfniſſes durch Specialcommiſſionen
zu ſchwächen oder zu brechen, entfaltete ſich ſeine zweideutige Thätigkeit,
während er dreißig Jahre lang die zum Schutz des ſüdweſtlichen Deutſch-
lands nöthigen Vorkehrungen in Verſäumniß und die dafür verfügbaren
Millionen in den Händen von Rothſchild ließ. Die Nation war dadurch
auf ſich ſelbſt und auf die Eventualität politiſcher Kataſtrophen ange-
wieſen, die nun zwar ſpät, aber immer noch raſcher als die Bethörten
wähnten, an die Pforten von Deutſchland anſchlagen und den haltlos
gewordenen Beſtand erſchüttern.
So ſchmerzlich es auch ſeyn mag, es gilt dieſer Wahrheit entſchloſ-
ſen in das Geſicht zu ſehen, in ihre Folgen einzudringen, und zu ent-
decken was nun geſchehen muß, was keinen Augenblick verſchoben wer-
den darf, ſoll noch Rettung übrig ſeyn.
Dazu reicht nicht hin daß die Falſchheit des Princips erkannt werde
auf dem die Monarchie in Deutſchland gebaut war; es gilt dem Wahren
Anerkennung zu verſchaffen, und es ſtatt des Falſchen dem neuen
Deutſchland als die allein haltbare Baſis unterzulegen. Deutſche Art
und Weiſe iſt daß keine Gewalt, auch fürſtliche und königliche nicht, eine
unbedingte ſey. Im deutſchen Reiche, ehe es verunſtaltet und verdorben
wurde, hatten die einzelnen Stände, Städte und Landſchaften ihr ver-
bürgtes Recht, und die oberſte Gewalt ruhte allein in der Geſammtheit
des Reiches, dem die Fürſten als Vaſallen gehörten, und in dem auch
das durch Wahl berufene Oberhaupt allein ein „kaiſerliches Amt und
Würden“ beſaß. Dieſes Recht, das dem abſoluten als das parlamen-
tare entgegenſteht, und das aus allen Mißgeſtaltungen des ſpäteren
deutſchen Reiches noch hervorleuchtet, gilt es aus dem Schutt der Zer-
ſtörungen hervorzugraben, in ſeinem innern Weſen wieder anzuerkennen,
in ſeiner Bedeutſamkeit zu entfalten und als das Palladium der neuen
deutſchen Monarchie in dem Heiligthum unſerer Zukunft aufzuſtellen,
ſo lange es noch Zeit iſt dieſes Heiligthum zu erbauen und zu ſeinem
Schirm Meinung und Macht der Nation herbeizurufen. Wir übergehen
dabei was in den einzelnen Staaten geſchehen muß um, ſey es die ab-
ſolutiſtiſchen, ſey es die ſtändiſchen oder conſtitutionellen, auf jeden Fall
die verkümmerten in wahrhaft verfaſſungsmäßige oder parlamentäre
zu verwandeln. Man weiß das allgemein; man verfährt darnach,
und ſelbſt aus der bis dahin verſchloſſenen alten Kaiſerburg von Wien
iſt endlich das bedeutungsvolle Wort der Zugeſtändniſſe zur Beſchwich-
tigung des Sturmes vernommen worden. Dagegen wenden wir uns
auf das Einheitliche der deutſchen Monarchien, das, wie im alten
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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