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Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.

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[Spaltenumbruch] Zustand hat mit Sturmeseile den Weg durch Deutschland gemacht;
mit gleicher Entschiedenheit muß der sichtende Verstand die Arbeit
unternehmen, zu der ihm der ungestümme Drang des Gefühls den
Weg gebahnt. Man sage nicht, solche Dinge bedürften einer reif-
lichen Erwägung, Deutschland hat seit zwanzig Jahren Zeit genug ge-
habt reiflich zu erwägen was es will: Einheit der Vertretung gegen
außen, einheitliche Maßregeln in Angelegenheiten des Handels und der
Industrie, Einheit der Militärverfassung, das läßt sich, wenn man nur
guten Willen hat, in wenigen Tagen als Grundsatz feststellen und selbst
in kurzer Zeit in Ausführung bringen. Mit solchen Dingen, womit
allzulange gezögert wurde, kann man sich jetzt nicht mehr übereilen,
wohl aber kann man sich und dem Lande durch fernere Zögerung
unendlich schaden. Glaubt man, daß die Republicaner so ganz un-
thätig die Hände in den Schooß legen, glaubt man nicht, daß fran-
zösische Emissaire an dem glimmenden Feuer schüren, um auch bei
uns die Bewegung zur Republik zu treiben, in der sichern Ueber-
zeugung dadurch bei uns die Unordnung zu nähren und nöthigenfalls
im Trüben zu fischen. Jeder verlorene Tag ist darum ein unersetz-
licher Verlust, der uns der Anarchie und fremdem Einfall näher bringt.
Jetzt noch ist die Republik nur ein gemalter Schrecken, aber er kann,
wenn nicht durch zeitige Befriedigung der wahren Forderungen des
Volks ihm entgegengearbeitet wird, in kurzer Zeit riesengroß heran-
wachsen. Tritt Preußen alsbald mit Entschlossenheit und Offen-
heit an die Spitze Deutschlands,*) so war die "kaiserlose, die schreckliche
Zeit" von 1806 bis 1848 nur ein trauriges Interregnum, während dessen
die Gewalt von einem hohen Stamme zu dem andern überging, die
aufrauschenden Wogen werden sich allmählich wieder beruhigen, das
Gefühl der Sicherheit gegen außen wird einkehren, und eben damit
das Mißtrauen, das schon allenthalben drohend sein Haupt erhebt,
wieder mehr verschwinden.

Man glaube ja nicht daß wir die Schwierigkeiten der Aufgabe
übersehen, im Gegentheil wir erkennen sie vollkommen an, glauben
aber auch daß nie ein Zeitpunkt vorhanden war wo sich Preußen
eine solche Gelegenheit bot, wo die Fürsten aus Besorgniß vor dro-
henden Unruhen, die Völker aus Furcht vor fremdem Angriff von
Osten und Westen her die Hand zu einem neuen Bunde boten. Die
Gelegenheit ist einzig in ihrer Art, aber man vergesse nicht daß man
sie beim Schopf ergreifen muß, daß ihr Hinterhaupt kahl ist, und sie
sich in so vortheilhafter Weise nicht zum zweitenmal einstellt. Preu-
ßen hat seine Stellung im Jahre 1815, es hat sie im Jahre 1840
verkannt; verkennt es sie jetzt zum drittenmal, dann wehe Preußen
und Deutschland, dann werden die Völker sich selbst helfen, aber der
Weg führt durch Blut und Thränen; Deutschland wird nicht unter-
gehen, aber es wird nur nach den heftigsten innern Zerrüttungen,
nach wiederholten fremden Angriffen, vielleicht nach einer Reihe von
Niederlagen und partiellen Eroberungen sich emporarbeiten, zum
Schrecken Europa's, denn wenn einst die ganze Nation gewaffnet da-
steht, gekräftigt durch Unglück und Siege, dann ist auch das ganze
übrige Europa zu schwach gegen ein solches Deutschland. Das weiß
man auswärts, Rußland selbst hat dieß anerkannt in seinem berufenen,
im Jahre 1834 den kleinern deutschen Höfen mitgetheilten Memoire
über den Zustand Deutschlands, und darum möchten selbst die aus-
wärtigen Mächte die mildere Beilegung der Sache mit minder un-
günstigen Augen ansehen, als man dieß jetzt auf mancher Seite zu
befürchten scheint. E. W.



Aus Kurhessen.

Erst heute gewinnt unsere jüngste Mini-
sterialveränderung einen festeren Bestand; denn heute hat Eberhard
das Ministerium des Innern angetreten, nachdem ihm Wippermann
als Referent und Landtagscommissär zugestanden worden ist. Das all-
gemeine Vertrauen von dem diese beiden Namen umgeben sind, wird
hoffentlich auch dadurch sich wirksam erweisen daß die unruhigen Be-
wegungen, welche sich nach den heutigen Nachrichten in Schmalkalden
gezeigt und die Absendung von Truppen nöthig gemacht haben, auch
in einigen oberhessischen Ortschaften ausgebrochen seyn sollen, nun um
so leichter niedergehalten werden, da alle Anhänger der verfassungsmä-
ßigen Freiheiten gewiß mit doppeltem Eifer für die Ordnung thätig
seyn werden. Unser Landtag hat bekanntlich schon in seiner ersten
Sitzung vom 13 d. M. eine durchaus andere Richtung angenommen
als früher, wo das Ministerium Scheffer doch immer auf 18 bis 20
Stimmen zählen durfte. Wippermann, die beiden Abg. der Stadt-
[Spaltenumbruch] Kassel, Eissengarthen und Bierner, und noch zwei andere bisher
unter Ligitimationsvorwänden zurückgehaltene Landstände: Lambrecht
und Gundlach traten alsbald ein, während die HH. v. Schenk zu
Schweinsberg, v. Dehnrotfelser und v. Buttlar zu Elberberg ihre
Mandate zurückgegeben hatten. In Folge dieser Personalveränderung
hielten der bisherige Präsident v. Trott und der bisherige Vicepräsi-
dent Nebelthau für angemessen eine neue Präsidentenwahl vornehmen
zu lassen, und dabei fielen von 33 Stimmen dreißig auf Wippermann,
22 auf Henkel, ebenso viele auf Prof. Bergk und 21 auf Schwar-
zenberg.
Durch Wippermanns Uebergang ins Ministerium ist nun
ein neuer Candidat zu erwählen, was hoffentlich heute geschehen wird,
da bis zur Ernennung des neuen Präsidenten die Thätigkeit des Land-
tags fast ganz gelähmt ist. Merkwürdigerweise ist in jener Sitzung
auch schon eine neue Ministeranklage beantragt und in Erwägung ge-
zogen worden. Wir sehen darin jedoch weiter nichts als ein ausdrück-
liches Bekenntniß der Versammlung daß sie in einem andern Geist zu
handeln und ein anderes System anzunehmen gedenkt als dasjenige
war welches sie in ihrer frühern Lebensperiode nicht selten unterstützt
hat. Es wäre wenigstens ein auffälliger Mangel an Billigkeitsgefühl,
wenn in dem Augenblick wo das ganze Land über die von dem
Landesherrn verwilligte Amnestie laut jubelt, die Majorität des
Landtags darauf bestehen wollte in Beziehung auf die politischen Fehl-
griffe der abgetretenen Minister eine Ausnahme zu machen. Wipper-
mann scheint auch hierbei gleich den richtigen Gesichtspunkt erfaßt zu
haben; denn unmittelbar nachdem der Antrag gestellt und nicht ohne
Heftigkeit begründet war, erklärte Wippermann daß er zwar in mate-
rieller Hinsicht nicht damit einverstanden sey, daß er jedoch in for-
meller Hinsicht die Ueberweisung desselben an einen Ausschuß zur nä-
heren Prüfung und Begutachtung unterstützen werde. Diese Ueberwei-
sung ward dann auch beschlossen, und es steht zu erwarten daß jede
Anklage auf vermeintliche Verfassungsve letzungen durch das Amnestie-
gesetz beseitigt werden wird. Sollten hin chtlich der Verwaltung öffent-
licher Gelder die Ungehörigkeiten wirklich stattgefunden haben welche
in dem Antrag ebenfalls zur Sprache gebracht worden sind, so würde
darüber wohl eine besondere Untersuchung erkannt werden. Ein An-
trag des Abgeordneten Henkel auf Abänderung der Geschäftsordnung
ward ebenfalls angenommen, und es ist zu hoffen daß die beschlossene
Revision derselben mit besonderer Umsicht bewirkt werde; denn es
haben sich in den 16 Jahren ihres Bestehens nicht nur wesentliche
Mängel gezeigt, sondern es sind auch gar viele Bestimmungen derselben
durch einseitige Deutung verkümmert und zu einer engherzigen Praris
geworden.

So dringend übrigens alle diese unser engeres Vaterland betref-
fenden Gegenstände sind, so müssen sie doch jetzt vor den wichtigeren
des großen deutschen Vaterlandes zurücktreten. Ein deutsches Par-
lament!
das ist der Jubelruf der durch alle deutschen Gauen ertönt,
nur dürfen wir dabei nicht vergessen daß wir uns im Jahr 1815 ebenso
viele Hoffnungen von dem deutschen Bundestag machten, daß sogar die
deutsche Bundesacte dazu einigermaßen berechtigte, daß aber von all den
schönen damals eröffneten Aussichten sast keine verwirklicht wurde, we-
der die Preßfreiheit noch die Handelsfreiheit, noch die allgemeine Ein-
führung von Verfassungen im Sinne der am Wiener Congreß ausge-
sprochenen Grundsätze (vergl. Acten des Wiener Congresses Bd. II.
S. 70), nämlich mit dem Recht der Steuerbewilligung, der Aufsicht
über die Verwendung der Steuern, der Zustimmung zu neuen Gesetzen
und der Verantwortlichkeit der Minister. Und als im Jahr 1831 in
den meisten deutschen Staaten die Erfüllung dieser bundesmäßigen
Pflicht durch die lauten Forderungen des Bolkes durchgesetzt worden
war; da wurde selbst dieß urdeutsche Recht der Steuerbewilligung durch
die Bundesbeschlüsse vom Julius 1832 in seinem Wesen vernichtet und
die deutschen Landtage mehr oder weniger zu "Postulatentagen" herab-
gedrückt. Jetzt steht in Dresden ein Fürstentag bevor, welcher un-
streitig die Sache des deutschen Parlaments in eine entscheidende Vor-
berathung nehmen wird. Da dürfen die constitutionellen Staaten
Deutschlands, wo die Ministerverantwortlichkeit durch die Verfassun-
gen garantirt ist, ja nicht vergessen daß die Minister des Auswärtigen
durch ihre Contrasignatur für die Verfassungsmäßigkeit aller Regenten-
handlungen persönlich verantwortlich sind, und dürfen nicht unterlassen
die betreffenden Minister im voraus an diese ihre Verantwortlichkeit zu
erinnern und gegen alle Beschlüsse welche den in anerkannter Wirksam-
keit bestehenden Verfassungen zuwider sind, Einsprache zu erheben. In

*) Wir bitten dieses Votum jedenfalls nur als ein individuelles zu be-
trachten. R. d. A. Z.

[Spaltenumbruch] Zuſtand hat mit Sturmeseile den Weg durch Deutſchland gemacht;
mit gleicher Entſchiedenheit muß der ſichtende Verſtand die Arbeit
unternehmen, zu der ihm der ungeſtümme Drang des Gefühls den
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lichen Erwägung, Deutſchland hat ſeit zwanzig Jahren Zeit genug ge-
habt reiflich zu erwägen was es will: Einheit der Vertretung gegen
außen, einheitliche Maßregeln in Angelegenheiten des Handels und der
Induſtrie, Einheit der Militärverfaſſung, das läßt ſich, wenn man nur
guten Willen hat, in wenigen Tagen als Grundſatz feſtſtellen und ſelbſt
in kurzer Zeit in Ausführung bringen. Mit ſolchen Dingen, womit
allzulange gezögert wurde, kann man ſich jetzt nicht mehr übereilen,
wohl aber kann man ſich und dem Lande durch fernere Zögerung
unendlich ſchaden. Glaubt man, daß die Republicaner ſo ganz un-
thätig die Hände in den Schooß legen, glaubt man nicht, daß fran-
zöſiſche Emiſſaire an dem glimmenden Feuer ſchüren, um auch bei
uns die Bewegung zur Republik zu treiben, in der ſichern Ueber-
zeugung dadurch bei uns die Unordnung zu nähren und nöthigenfalls
im Trüben zu fiſchen. Jeder verlorene Tag iſt darum ein unerſetz-
licher Verluſt, der uns der Anarchie und fremdem Einfall näher bringt.
Jetzt noch iſt die Republik nur ein gemalter Schrecken, aber er kann,
wenn nicht durch zeitige Befriedigung der wahren Forderungen des
Volks ihm entgegengearbeitet wird, in kurzer Zeit rieſengroß heran-
wachſen. Tritt Preußen alsbald mit Entſchloſſenheit und Offen-
heit an die Spitze Deutſchlands,*) ſo war die „kaiſerloſe, die ſchreckliche
Zeit“ von 1806 bis 1848 nur ein trauriges Interregnum, während deſſen
die Gewalt von einem hohen Stamme zu dem andern überging, die
aufrauſchenden Wogen werden ſich allmählich wieder beruhigen, das
Gefühl der Sicherheit gegen außen wird einkehren, und eben damit
das Mißtrauen, das ſchon allenthalben drohend ſein Haupt erhebt,
wieder mehr verſchwinden.

Man glaube ja nicht daß wir die Schwierigkeiten der Aufgabe
überſehen, im Gegentheil wir erkennen ſie vollkommen an, glauben
aber auch daß nie ein Zeitpunkt vorhanden war wo ſich Preußen
eine ſolche Gelegenheit bot, wo die Fürſten aus Beſorgniß vor dro-
henden Unruhen, die Völker aus Furcht vor fremdem Angriff von
Oſten und Weſten her die Hand zu einem neuen Bunde boten. Die
Gelegenheit iſt einzig in ihrer Art, aber man vergeſſe nicht daß man
ſie beim Schopf ergreifen muß, daß ihr Hinterhaupt kahl iſt, und ſie
ſich in ſo vortheilhafter Weiſe nicht zum zweitenmal einſtellt. Preu-
ßen hat ſeine Stellung im Jahre 1815, es hat ſie im Jahre 1840
verkannt; verkennt es ſie jetzt zum drittenmal, dann wehe Preußen
und Deutſchland, dann werden die Völker ſich ſelbſt helfen, aber der
Weg führt durch Blut und Thränen; Deutſchland wird nicht unter-
gehen, aber es wird nur nach den heftigſten innern Zerrüttungen,
nach wiederholten fremden Angriffen, vielleicht nach einer Reihe von
Niederlagen und partiellen Eroberungen ſich emporarbeiten, zum
Schrecken Europa’s, denn wenn einſt die ganze Nation gewaffnet da-
ſteht, gekräftigt durch Unglück und Siege, dann iſt auch das ganze
übrige Europa zu ſchwach gegen ein ſolches Deutſchland. Das weiß
man auswärts, Rußland ſelbſt hat dieß anerkannt in ſeinem berufenen,
im Jahre 1834 den kleinern deutſchen Höfen mitgetheilten Memoire
über den Zuſtand Deutſchlands, und darum möchten ſelbſt die aus-
wärtigen Mächte die mildere Beilegung der Sache mit minder un-
günſtigen Augen anſehen, als man dieß jetzt auf mancher Seite zu
befürchten ſcheint. E. W.



Aus Kurheſſen.

Erſt heute gewinnt unſere jüngſte Mini-
ſterialveränderung einen feſteren Beſtand; denn heute hat Eberhard
das Miniſterium des Innern angetreten, nachdem ihm Wippermann
als Referent und Landtagscommiſſär zugeſtanden worden iſt. Das all-
gemeine Vertrauen von dem dieſe beiden Namen umgeben ſind, wird
hoffentlich auch dadurch ſich wirkſam erweiſen daß die unruhigen Be-
wegungen, welche ſich nach den heutigen Nachrichten in Schmalkalden
gezeigt und die Abſendung von Truppen nöthig gemacht haben, auch
in einigen oberheſſiſchen Ortſchaften ausgebrochen ſeyn ſollen, nun um
ſo leichter niedergehalten werden, da alle Anhänger der verfaſſungsmä-
ßigen Freiheiten gewiß mit doppeltem Eifer für die Ordnung thätig
ſeyn werden. Unſer Landtag hat bekanntlich ſchon in ſeiner erſten
Sitzung vom 13 d. M. eine durchaus andere Richtung angenommen
als früher, wo das Miniſterium Scheffer doch immer auf 18 bis 20
Stimmen zählen durfte. Wippermann, die beiden Abg. der Stadt-
[Spaltenumbruch] Kaſſel, Eiſſengarthen und Bierner, und noch zwei andere bisher
unter Ligitimationsvorwänden zurückgehaltene Landſtände: Lambrecht
und Gundlach traten alsbald ein, während die HH. v. Schenk zu
Schweinsberg, v. Dehnrotfelſer und v. Buttlar zu Elberberg ihre
Mandate zurückgegeben hatten. In Folge dieſer Perſonalveränderung
hielten der bisherige Präſident v. Trott und der bisherige Vicepräſi-
dent Nebelthau für angemeſſen eine neue Präſidentenwahl vornehmen
zu laſſen, und dabei fielen von 33 Stimmen dreißig auf Wippermann,
22 auf Henkel, ebenſo viele auf Prof. Bergk und 21 auf Schwar-
zenberg.
Durch Wippermanns Uebergang ins Miniſterium iſt nun
ein neuer Candidat zu erwählen, was hoffentlich heute geſchehen wird,
da bis zur Ernennung des neuen Präſidenten die Thätigkeit des Land-
tags faſt ganz gelähmt iſt. Merkwürdigerweiſe iſt in jener Sitzung
auch ſchon eine neue Miniſteranklage beantragt und in Erwägung ge-
zogen worden. Wir ſehen darin jedoch weiter nichts als ein ausdrück-
liches Bekenntniß der Verſammlung daß ſie in einem andern Geiſt zu
handeln und ein anderes Syſtem anzunehmen gedenkt als dasjenige
war welches ſie in ihrer frühern Lebensperiode nicht ſelten unterſtützt
hat. Es wäre wenigſtens ein auffälliger Mangel an Billigkeitsgefühl,
wenn in dem Augenblick wo das ganze Land über die von dem
Landesherrn verwilligte Amneſtie laut jubelt, die Majorität des
Landtags darauf beſtehen wollte in Beziehung auf die politiſchen Fehl-
griffe der abgetretenen Miniſter eine Ausnahme zu machen. Wipper-
mann ſcheint auch hierbei gleich den richtigen Geſichtspunkt erfaßt zu
haben; denn unmittelbar nachdem der Antrag geſtellt und nicht ohne
Heftigkeit begründet war, erklärte Wippermann daß er zwar in mate-
rieller Hinſicht nicht damit einverſtanden ſey, daß er jedoch in for-
meller Hinſicht die Ueberweiſung desſelben an einen Ausſchuß zur nä-
heren Prüfung und Begutachtung unterſtützen werde. Dieſe Ueberwei-
ſung ward dann auch beſchloſſen, und es ſteht zu erwarten daß jede
Anklage auf vermeintliche Verfaſſungsve letzungen durch das Amneſtie-
geſetz beſeitigt werden wird. Sollten hin chtlich der Verwaltung öffent-
licher Gelder die Ungehörigkeiten wirklich ſtattgefunden haben welche
in dem Antrag ebenfalls zur Sprache gebracht worden ſind, ſo würde
darüber wohl eine beſondere Unterſuchung erkannt werden. Ein An-
trag des Abgeordneten Henkel auf Abänderung der Geſchäftsordnung
ward ebenfalls angenommen, und es iſt zu hoffen daß die beſchloſſene
Reviſion derſelben mit beſonderer Umſicht bewirkt werde; denn es
haben ſich in den 16 Jahren ihres Beſtehens nicht nur weſentliche
Mängel gezeigt, ſondern es ſind auch gar viele Beſtimmungen derſelben
durch einſeitige Deutung verkümmert und zu einer engherzigen Praris
geworden.

So dringend übrigens alle dieſe unſer engeres Vaterland betref-
fenden Gegenſtände ſind, ſo müſſen ſie doch jetzt vor den wichtigeren
des großen deutſchen Vaterlandes zurücktreten. Ein deutſches Par-
lament!
das iſt der Jubelruf der durch alle deutſchen Gauen ertönt,
nur dürfen wir dabei nicht vergeſſen daß wir uns im Jahr 1815 ebenſo
viele Hoffnungen von dem deutſchen Bundestag machten, daß ſogar die
deutſche Bundesacte dazu einigermaßen berechtigte, daß aber von all den
ſchönen damals eröffneten Ausſichten ſaſt keine verwirklicht wurde, we-
der die Preßfreiheit noch die Handelsfreiheit, noch die allgemeine Ein-
führung von Verfaſſungen im Sinne der am Wiener Congreß ausge-
ſprochenen Grundſätze (vergl. Acten des Wiener Congreſſes Bd. II.
S. 70), nämlich mit dem Recht der Steuerbewilligung, der Aufſicht
über die Verwendung der Steuern, der Zuſtimmung zu neuen Geſetzen
und der Verantwortlichkeit der Miniſter. Und als im Jahr 1831 in
den meiſten deutſchen Staaten die Erfüllung dieſer bundesmäßigen
Pflicht durch die lauten Forderungen des Bolkes durchgeſetzt worden
war; da wurde ſelbſt dieß urdeutſche Recht der Steuerbewilligung durch
die Bundesbeſchlüſſe vom Julius 1832 in ſeinem Weſen vernichtet und
die deutſchen Landtage mehr oder weniger zu „Poſtulatentagen“ herab-
gedrückt. Jetzt ſteht in Dresden ein Fürſtentag bevor, welcher un-
ſtreitig die Sache des deutſchen Parlaments in eine entſcheidende Vor-
berathung nehmen wird. Da dürfen die conſtitutionellen Staaten
Deutſchlands, wo die Miniſterverantwortlichkeit durch die Verfaſſun-
gen garantirt iſt, ja nicht vergeſſen daß die Miniſter des Auswärtigen
durch ihre Contraſignatur für die Verfaſſungsmäßigkeit aller Regenten-
handlungen perſönlich verantwortlich ſind, und dürfen nicht unterlaſſen
die betreffenden Miniſter im voraus an dieſe ihre Verantwortlichkeit zu
erinnern und gegen alle Beſchlüſſe welche den in anerkannter Wirkſam-
keit beſtehenden Verfaſſungen zuwider ſind, Einſprache zu erheben. In

*) Wir bitten dieſes Votum jedenfalls nur als ein individuelles zu be-
trachten. R. d. A. Z.
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[1322/0010] Zuſtand hat mit Sturmeseile den Weg durch Deutſchland gemacht; mit gleicher Entſchiedenheit muß der ſichtende Verſtand die Arbeit unternehmen, zu der ihm der ungeſtümme Drang des Gefühls den Weg gebahnt. Man ſage nicht, ſolche Dinge bedürften einer reif- lichen Erwägung, Deutſchland hat ſeit zwanzig Jahren Zeit genug ge- habt reiflich zu erwägen was es will: Einheit der Vertretung gegen außen, einheitliche Maßregeln in Angelegenheiten des Handels und der Induſtrie, Einheit der Militärverfaſſung, das läßt ſich, wenn man nur guten Willen hat, in wenigen Tagen als Grundſatz feſtſtellen und ſelbſt in kurzer Zeit in Ausführung bringen. Mit ſolchen Dingen, womit allzulange gezögert wurde, kann man ſich jetzt nicht mehr übereilen, wohl aber kann man ſich und dem Lande durch fernere Zögerung unendlich ſchaden. Glaubt man, daß die Republicaner ſo ganz un- thätig die Hände in den Schooß legen, glaubt man nicht, daß fran- zöſiſche Emiſſaire an dem glimmenden Feuer ſchüren, um auch bei uns die Bewegung zur Republik zu treiben, in der ſichern Ueber- zeugung dadurch bei uns die Unordnung zu nähren und nöthigenfalls im Trüben zu fiſchen. Jeder verlorene Tag iſt darum ein unerſetz- licher Verluſt, der uns der Anarchie und fremdem Einfall näher bringt. Jetzt noch iſt die Republik nur ein gemalter Schrecken, aber er kann, wenn nicht durch zeitige Befriedigung der wahren Forderungen des Volks ihm entgegengearbeitet wird, in kurzer Zeit rieſengroß heran- wachſen. Tritt Preußen alsbald mit Entſchloſſenheit und Offen- heit an die Spitze Deutſchlands, *) ſo war die „kaiſerloſe, die ſchreckliche Zeit“ von 1806 bis 1848 nur ein trauriges Interregnum, während deſſen die Gewalt von einem hohen Stamme zu dem andern überging, die aufrauſchenden Wogen werden ſich allmählich wieder beruhigen, das Gefühl der Sicherheit gegen außen wird einkehren, und eben damit das Mißtrauen, das ſchon allenthalben drohend ſein Haupt erhebt, wieder mehr verſchwinden. Man glaube ja nicht daß wir die Schwierigkeiten der Aufgabe überſehen, im Gegentheil wir erkennen ſie vollkommen an, glauben aber auch daß nie ein Zeitpunkt vorhanden war wo ſich Preußen eine ſolche Gelegenheit bot, wo die Fürſten aus Beſorgniß vor dro- henden Unruhen, die Völker aus Furcht vor fremdem Angriff von Oſten und Weſten her die Hand zu einem neuen Bunde boten. Die Gelegenheit iſt einzig in ihrer Art, aber man vergeſſe nicht daß man ſie beim Schopf ergreifen muß, daß ihr Hinterhaupt kahl iſt, und ſie ſich in ſo vortheilhafter Weiſe nicht zum zweitenmal einſtellt. Preu- ßen hat ſeine Stellung im Jahre 1815, es hat ſie im Jahre 1840 verkannt; verkennt es ſie jetzt zum drittenmal, dann wehe Preußen und Deutſchland, dann werden die Völker ſich ſelbſt helfen, aber der Weg führt durch Blut und Thränen; Deutſchland wird nicht unter- gehen, aber es wird nur nach den heftigſten innern Zerrüttungen, nach wiederholten fremden Angriffen, vielleicht nach einer Reihe von Niederlagen und partiellen Eroberungen ſich emporarbeiten, zum Schrecken Europa’s, denn wenn einſt die ganze Nation gewaffnet da- ſteht, gekräftigt durch Unglück und Siege, dann iſt auch das ganze übrige Europa zu ſchwach gegen ein ſolches Deutſchland. Das weiß man auswärts, Rußland ſelbſt hat dieß anerkannt in ſeinem berufenen, im Jahre 1834 den kleinern deutſchen Höfen mitgetheilten Memoire über den Zuſtand Deutſchlands, und darum möchten ſelbſt die aus- wärtigen Mächte die mildere Beilegung der Sache mit minder un- günſtigen Augen anſehen, als man dieß jetzt auf mancher Seite zu befürchten ſcheint. E. W. Aus Kurheſſen. * Kaſſel, 17 März.Erſt heute gewinnt unſere jüngſte Mini- ſterialveränderung einen feſteren Beſtand; denn heute hat Eberhard das Miniſterium des Innern angetreten, nachdem ihm Wippermann als Referent und Landtagscommiſſär zugeſtanden worden iſt. Das all- gemeine Vertrauen von dem dieſe beiden Namen umgeben ſind, wird hoffentlich auch dadurch ſich wirkſam erweiſen daß die unruhigen Be- wegungen, welche ſich nach den heutigen Nachrichten in Schmalkalden gezeigt und die Abſendung von Truppen nöthig gemacht haben, auch in einigen oberheſſiſchen Ortſchaften ausgebrochen ſeyn ſollen, nun um ſo leichter niedergehalten werden, da alle Anhänger der verfaſſungsmä- ßigen Freiheiten gewiß mit doppeltem Eifer für die Ordnung thätig ſeyn werden. Unſer Landtag hat bekanntlich ſchon in ſeiner erſten Sitzung vom 13 d. M. eine durchaus andere Richtung angenommen als früher, wo das Miniſterium Scheffer doch immer auf 18 bis 20 Stimmen zählen durfte. Wippermann, die beiden Abg. der Stadt- Kaſſel, Eiſſengarthen und Bierner, und noch zwei andere bisher unter Ligitimationsvorwänden zurückgehaltene Landſtände: Lambrecht und Gundlach traten alsbald ein, während die HH. v. Schenk zu Schweinsberg, v. Dehnrotfelſer und v. Buttlar zu Elberberg ihre Mandate zurückgegeben hatten. In Folge dieſer Perſonalveränderung hielten der bisherige Präſident v. Trott und der bisherige Vicepräſi- dent Nebelthau für angemeſſen eine neue Präſidentenwahl vornehmen zu laſſen, und dabei fielen von 33 Stimmen dreißig auf Wippermann, 22 auf Henkel, ebenſo viele auf Prof. Bergk und 21 auf Schwar- zenberg. Durch Wippermanns Uebergang ins Miniſterium iſt nun ein neuer Candidat zu erwählen, was hoffentlich heute geſchehen wird, da bis zur Ernennung des neuen Präſidenten die Thätigkeit des Land- tags faſt ganz gelähmt iſt. Merkwürdigerweiſe iſt in jener Sitzung auch ſchon eine neue Miniſteranklage beantragt und in Erwägung ge- zogen worden. Wir ſehen darin jedoch weiter nichts als ein ausdrück- liches Bekenntniß der Verſammlung daß ſie in einem andern Geiſt zu handeln und ein anderes Syſtem anzunehmen gedenkt als dasjenige war welches ſie in ihrer frühern Lebensperiode nicht ſelten unterſtützt hat. Es wäre wenigſtens ein auffälliger Mangel an Billigkeitsgefühl, wenn in dem Augenblick wo das ganze Land über die von dem Landesherrn verwilligte Amneſtie laut jubelt, die Majorität des Landtags darauf beſtehen wollte in Beziehung auf die politiſchen Fehl- griffe der abgetretenen Miniſter eine Ausnahme zu machen. Wipper- mann ſcheint auch hierbei gleich den richtigen Geſichtspunkt erfaßt zu haben; denn unmittelbar nachdem der Antrag geſtellt und nicht ohne Heftigkeit begründet war, erklärte Wippermann daß er zwar in mate- rieller Hinſicht nicht damit einverſtanden ſey, daß er jedoch in for- meller Hinſicht die Ueberweiſung desſelben an einen Ausſchuß zur nä- heren Prüfung und Begutachtung unterſtützen werde. Dieſe Ueberwei- ſung ward dann auch beſchloſſen, und es ſteht zu erwarten daß jede Anklage auf vermeintliche Verfaſſungsve letzungen durch das Amneſtie- geſetz beſeitigt werden wird. Sollten hin chtlich der Verwaltung öffent- licher Gelder die Ungehörigkeiten wirklich ſtattgefunden haben welche in dem Antrag ebenfalls zur Sprache gebracht worden ſind, ſo würde darüber wohl eine beſondere Unterſuchung erkannt werden. Ein An- trag des Abgeordneten Henkel auf Abänderung der Geſchäftsordnung ward ebenfalls angenommen, und es iſt zu hoffen daß die beſchloſſene Reviſion derſelben mit beſonderer Umſicht bewirkt werde; denn es haben ſich in den 16 Jahren ihres Beſtehens nicht nur weſentliche Mängel gezeigt, ſondern es ſind auch gar viele Beſtimmungen derſelben durch einſeitige Deutung verkümmert und zu einer engherzigen Praris geworden. So dringend übrigens alle dieſe unſer engeres Vaterland betref- fenden Gegenſtände ſind, ſo müſſen ſie doch jetzt vor den wichtigeren des großen deutſchen Vaterlandes zurücktreten. Ein deutſches Par- lament! das iſt der Jubelruf der durch alle deutſchen Gauen ertönt, nur dürfen wir dabei nicht vergeſſen daß wir uns im Jahr 1815 ebenſo viele Hoffnungen von dem deutſchen Bundestag machten, daß ſogar die deutſche Bundesacte dazu einigermaßen berechtigte, daß aber von all den ſchönen damals eröffneten Ausſichten ſaſt keine verwirklicht wurde, we- der die Preßfreiheit noch die Handelsfreiheit, noch die allgemeine Ein- führung von Verfaſſungen im Sinne der am Wiener Congreß ausge- ſprochenen Grundſätze (vergl. Acten des Wiener Congreſſes Bd. II. S. 70), nämlich mit dem Recht der Steuerbewilligung, der Aufſicht über die Verwendung der Steuern, der Zuſtimmung zu neuen Geſetzen und der Verantwortlichkeit der Miniſter. Und als im Jahr 1831 in den meiſten deutſchen Staaten die Erfüllung dieſer bundesmäßigen Pflicht durch die lauten Forderungen des Bolkes durchgeſetzt worden war; da wurde ſelbſt dieß urdeutſche Recht der Steuerbewilligung durch die Bundesbeſchlüſſe vom Julius 1832 in ſeinem Weſen vernichtet und die deutſchen Landtage mehr oder weniger zu „Poſtulatentagen“ herab- gedrückt. Jetzt ſteht in Dresden ein Fürſtentag bevor, welcher un- ſtreitig die Sache des deutſchen Parlaments in eine entſcheidende Vor- berathung nehmen wird. Da dürfen die conſtitutionellen Staaten Deutſchlands, wo die Miniſterverantwortlichkeit durch die Verfaſſun- gen garantirt iſt, ja nicht vergeſſen daß die Miniſter des Auswärtigen durch ihre Contraſignatur für die Verfaſſungsmäßigkeit aller Regenten- handlungen perſönlich verantwortlich ſind, und dürfen nicht unterlaſſen die betreffenden Miniſter im voraus an dieſe ihre Verantwortlichkeit zu erinnern und gegen alle Beſchlüſſe welche den in anerkannter Wirkſam- keit beſtehenden Verfaſſungen zuwider ſind, Einſprache zu erheben. In *) Wir bitten dieſes Votum jedenfalls nur als ein individuelles zu be- trachten. R. d. A. Z.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848, S. 1322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine83_1848/10>, abgerufen am 16.07.2024.