Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848.[Spaltenumbruch]
*Von der Elbe, 22 März. Als ich Ihnen gestern früh schrieb * Posen, 18 März. Die Wiener Ereignisse, und in deren Ge- Großbritannien. London, 21 März. Königin Victoria und ihr Töchterlein befinden sich fortwährend Am 20 März saß das Haus der Gemeinen wieder als Com- Die Unterhaussitzung vom 21 März bis zur Poststunde liegt Am 18 März Abends endlich ist Se. Exc. Sir Stratford Canning Am 19 März starb, 77 Jahre alt, Admiral Richard Matson. Er Aus Plymouth vom 20 März meldet der Globe: Der Examiner schließt einen Artikel über Lamartine mit fol- [Spaltenumbruch]
*Von der Elbe, 22 März. Als ich Ihnen geſtern früh ſchrieb * Poſen, 18 März. Die Wiener Ereigniſſe, und in deren Ge- Großbritannien. London, 21 März. Königin Victoria und ihr Töchterlein befinden ſich fortwährend Am 20 März ſaß das Haus der Gemeinen wieder als Com- Die Unterhausſitzung vom 21 März bis zur Poſtſtunde liegt Am 18 März Abends endlich iſt Se. Exc. Sir Stratford Canning Am 19 März ſtarb, 77 Jahre alt, Admiral Richard Matſon. Er Aus Plymouth vom 20 März meldet der Globe: Der Examiner ſchließt einen Artikel über Lamartine mit fol- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <pb facs="#f0006" n="1366"/> <cb/> </div> <div type="jComment" n="4"> <dateline>*<hi rendition="#b">Von der Elbe,</hi> 22 März.</dateline> <p>Als ich Ihnen geſtern früh ſchrieb<lb/> um die Nothwendigkeit der ſchleunigen Wahl eines deutſchen Kaiſers zu<lb/> begründen, konnte ich nicht ahnen daß Friedrich Wilhelm, erſt vor zwei<lb/> Tagen vom Volke beſiegt, ſich in demſelben Augenblick zum Kaiſer ausrufen<lb/> ließ. Am 12 März wäre dieß eine ungeheure That geweſen; am 21<lb/> kommt ſie vielleicht ſchon zu ſpät. Es fragt ſich ob ſie auch nur in den<lb/> nächſten Kreiſen allgemeine Zuſtimmung finden wird; und ſelbſt dieß<lb/> vorausgeſetzt: wohin ſoll uns das Kaiſerthum Friedrich Wilhelms füh-<lb/> ren? Zu einem Dreiviertel-Deutſchland? Aber ein Deutſchland ohne die<lb/> Alpen, ohne das adriatiſche Meer und ohne die Beherrſchung der Do-<lb/> nau iſt ein Rumpf dem die Hauptglieder fehlen. Wir können daher in<lb/> dem Kaiſerthum Friedrich Wilhelms, wie freudig wir es auch als den<lb/> Anfang einer beſſern Zeit begrüßen, doch nur eine Uebergangsſtufe, einen<lb/> vermittelnden Zwiſchenzuſtand erkennen, der damit enden wird und muß<lb/> daß das Haupt der öſterreichiſchen Monarchie wieder deutſcher Kaiſer werde,<lb/> und das Bündniß mit den tapfern Ungarn und den ſeegewohnten Dalmaten<lb/> dem Reiche als Morgengabe mitbringe. Dieſe Wendung der Dinge hat<lb/> um ſo weniger Schwierigkeit als Friedrich Wilhelm kinderlos iſt, ſeine<lb/> Brüder aber ſeit der Berliner Blutnacht nicht bloß für das übrige<lb/> Deutſchland, ſondern ſelbſt für den brandenburgiſchen Staat total un-<lb/> möglich geworden ſind. Hegt dieſer Friedrich Wilhelm die hohe Vater-<lb/> landsliebe im Herzen deren er ſich rühmt, ſo wird er der Erſte ſeyn der<lb/> die Souveränetät ſeines Hauſes dem Wohl des geſammten Deutſchlands<lb/> zum Opfer bringt; er wird, um keine Spaltung im Vaterlande hervor-<lb/> zurufen, die Kaiſerkrone dem Hauſe Habsburg überlaſſen, das geſchicht-<lb/> lichen Anſpruch auf ſie hat, und er wird ſtolz ſeyn unter einem Habs-<lb/> burgiſchen Kaiſer als Markgraf von Brandenburg und Burggraf zu<lb/> Nürnberg der erſte Pair des deutſchen Reichs zu heißen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>* <hi rendition="#b">Poſen,</hi> 18 März.</dateline> <p>Die Wiener Ereigniſſe, und in deren Ge-<lb/> folge die jetzige Anarchie in Galizien und Krakau, haben hier eine weit<lb/> größere Beſtürzung hervorgerufen als die Volksaufläufe in Berlin, von<lb/> denen man keine nachtheiligen Folgen beſorgt. Die Polen verhalten<lb/> ſich hier bis jetzt durchaus ordnungsmäßig. Seit vorgeſtern aber ſind<lb/> alle Wachen verdoppelt worden, und unſere ganze jetzt ſo ſtarke Beſa-<lb/> tzung iſt faſt ununterbrochen in Bewegung. Die Polen befinden ſich,<lb/> ſeit die Nachricht von dem Aufſtande in Wien hier eingetroffen iſt, in einer<lb/> unbeſchreiblichen Aufregung, da ſie nun ſchon gewonnen Spiel zu ha-<lb/> ben glauben, doch ſcheinen ſie ihre Eroberungen auf ruſſiſchem Gebiet<lb/> vorerſt auf friedlichem Wege zu Stande bringen zu wollen; anders<lb/> wenigſtens iſt es nicht zu erklären daß hier eine Adreſſe an den König<lb/> auſliegt, wie allgemein behauptet wird, und bereits zahlreiche Unter-<lb/> ſchriften zählt, in der nichts mehr und nichts weniger verlangt wird als<lb/> daß Preußen, um Blutvergießen zu verhindern, das Großherzogthum<lb/> Poſen freiwillig an die Polen abtreten ſoll, die von hier aus ſich dann<lb/> die übrigen altpolniſchen Länder erobern wollen. Man ſpricht auch noch<lb/> von einer andern Adreſſe, worin beantragt wird daß die Provinz Poſen,<lb/> durch die Weichſelländer Weſtpreußens und durch Danzig vergrößert,<lb/> einen eignen polniſchen Staat mit polniſcher Sprache und eigener Ver-<lb/> waltung unter preußiſchem Scepter bilden ſolle. Wieviel an dieſen<lb/> Geruchten wahres iſt muß vorderhand noch dahin geſtellt bleiben; in-<lb/> zwiſchen werden ſie hier allgemein geglaubt. Bedenklicher iſt daß man<lb/> bereits anfängt den gemeinen Mann polniſcher Nationalität für eine<lb/> neue Ordnung der Dinge zu bearbeiten; ſo ſollen unter die Soldaten<lb/> des 19ten Infanterieregiments, die zumeiſt polniſcher Abkunft ſind, ge-<lb/> druckte Aufforderungen vertheilt worden ſeyn, worin ſie zum Abfall ver-<lb/> leitet und aufgefordert werden nicht gegen ihre Brüder, die Polen, zu<lb/> kämpfen. — Ein heute Mittag hier eingetroffener glaubwürdiger Rei-<lb/> ſender aus dem Königreich Polen erzählt daß die ruſſiſche Armee, welche<lb/> dermalen ſchon in Polen concentrirt ſey, mindeſtens aus hundertauſend<lb/> Mann beſtehe; nach ſeiner Verſicherung wimmelt es aller Orten von<lb/> ruſſiſchen Soldaten, und es ſcheint daher daß von dieſer Seite her die<lb/> Herrſchaft der Bajonnette aufrechterhalten werden ſoll. — Heute iſt<lb/> die Nachricht hier eingegangen daß in einer großen Anzahl von Ort-<lb/> ſchaften in den ſüdlichen Kreiſen unſerer Provinz plötzlich der Typhus<lb/> ausgebrochen iſt und zahlreiche Opfer fordert.</p> </div> </div> </div> </div><lb/> <div type="jVarious" n="1"> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Großbritannien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 21 März.</dateline><lb/> <p>Königin Victoria und ihr Töchterlein befinden ſich fortwährend<lb/> ſehr wohl. Die auf der Rhede von St. Hellier’s, Inſel Jerſey, angekom-<lb/> mene chineſiſche Dſchunk — ein großes Schiff von ſonderbarer Bauart<lb/> und mit phantaſtiſchen Malereien am Vorder- und Hintertheil, welches<lb/><cb/> jetzt Tauſende von Neugierigen anlockt — ſoll einige koſtbare Geſchenke<lb/> (vom Kaiſer von China?) für Ihre Maj. an Bord haben.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Am 20 März ſaß das <hi rendition="#g">Haus der Gemeinen</hi> wieder als Com-<lb/> mittee der Wege und Mittel, und es entſpann ſich eine lebhafte und<lb/> wichtige Verhandlung. Der Admiralitätsſecretär Hr. <hi rendition="#g">Ward</hi> bean-<lb/> tragte nämlich die Bewilligung von 43,000 Matroſen und Schiffsjungen<lb/> für den Seedienſt des folgenden Jahrs. Er gab dabei eine Ueberſicht<lb/> der im letzten Jahrzehnt, beſonders ſeit 1844, im brittiſchen Seeweſen<lb/> und der Küſtenvertheidigung vorgenommenen Verbeſſerungen, und er-<lb/> öffnete die tröſtliche Ausſicht daß die Extra-Ausgaben für dieſen Dienſt-<lb/> zweig bis zum J. 1854 erledigt ſeyn werden; dann werde aber auch<lb/> Großbritanniens Seemacht in impoſanteſter Wirkſamkeit daſtehen. Doch<lb/> ſchon bis zum 1 April 1849 werde England 460 Kriegsſchiffe, darunter<lb/> 121 Dampfer, für alle Erforderniſſe bereit haben. Dabei behandelte<lb/> dieſer miniſterielle Beamte die Theorien derer die bei Europa’s gegen-<lb/> wärtiger Lage noch vom ewigen Frieden träumen als bare Thorheit.<lb/> Gleichwohl ſtellte Hr. Joſeph <hi rendition="#g">Hume</hi> das Amendement: die beantragte<lb/> Schiffsmannſchaft auf 36,000 „Hände“ zu vermindern. Er tadelte dabei<lb/> die Art wie die engliſche Flotte gegen Portugal und Buenos-Ayres ver-<lb/> wendet worden ſey, deßgleichen die ebenſo an Geld und Menſchenleben<lb/> koſtſpielige wie fruchtloſe Unterhaltung einer Kreuzerflotte an der afri-<lb/> kaniſchen Weſtküſte gegen den Sklavenhandel, der dadurch nicht unter-<lb/> drückt, wohl aber grauſamer gemacht werde. Sir George <hi rendition="#g">Grey</hi> ver-<lb/> theidigte die Nothwendigkeit bei der jetzigen Weltlage wohlgerüſtet zu<lb/> ſtehen. Hr. <hi rendition="#g">Cobden,</hi> der dem Hume’ſchen Antrag beigetreten, mußte<lb/> von Lord <hi rendition="#g">Palmerſton</hi> eine ſcharfe Lection hinnehmen wegen der „kindi-<lb/> ſchen Argumente“ mit denen er in einer Zeit wie die jetzige das Parla-<lb/> ment behellige. Schlüßlich wurde das Amendement mit der ungeheuren<lb/> Mehrheit von 347 gegen 38 Stimmen <hi rendition="#g">verworfen,</hi> und der miniſte-<lb/> rielle Vorſchlag angenommen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die <hi rendition="#g">Unterhausſitzung</hi> vom 21 März bis zur Poſtſtunde liegt<lb/> uns ebenfalls vor. Lord <hi rendition="#g">Palmerſton</hi> wiederholte, auf die Interpella-<lb/> tion eines Mitglieds, ſeine bereits im Globe gegebene Erklärung daß<lb/> hinſichtlich der verbannten franzöſiſchen Königsfamilie keine Mittheilung<lb/> zwiſchen dem engliſchen Geſandten in Paris und der proviſoriſchen Re-<lb/> gierung ſtattgefunden habe. Ebenſo widerſprach er der Zeitungsangabe<lb/> hinſichtlich der Ausweiſung des Herzogs und der Herzogin von Mont-<lb/> penſier. Das Haus rief ihm Beifall. (S. dagegen unſern Londoner<lb/> Brief.)</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Am 18 März Abends endlich iſt Se. Exc. Sir Stratford Canning<lb/> mit Gemahlin und Tochter von London abgereist, um über Wien auf<lb/> ſeinen Geſandtſchaftspoſten in Konſtantinopel zurückzukehren.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Am 19 März ſtarb, 77 Jahre alt, Admiral Richard <hi rendition="#g">Matſon.</hi> Er<lb/> zeichnete ſich im Jahr 1793 als Seecadet auf der „Britannia“ bei dem<lb/> Bombardement von Toulon aus, und wurde damals von Sir Sidney<lb/> Smith öffentlich belobt; nahm Theil an den Belagerungen von St.<lb/> Fiorenza und Baſtia im Jahr 1794, an der Einnahme von Surinam<lb/> 1799 u. ſ. w.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Aus <hi rendition="#g">Plymouth</hi> vom 20 März meldet der <hi rendition="#g">Globe:</hi> <cit><quote>„Der Prinz<lb/> von Joinville fährt ſo eben auf der Höhe unſers Hafens den Canal<lb/> herauf in einem Dampfboot, über deſſen Vordertheil noch die könig-<lb/> liche Standarte von Frankreich, blau-weiß-roth in der alten Aufeinan-<lb/> derfolge der Farben, weht.“ — Die M. <hi rendition="#g">Poſt</hi> widerſpricht dem Gerüchte<lb/> daß Prinz Ludwig Napoleon im Begriffe ſey ſich um einen Sitz in der<lb/> franzöſiſchen Nationalverſammlung zu bewerben.</quote></cit></p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der <hi rendition="#g">Examiner</hi> ſchließt einen Artikel über <hi rendition="#g">Lamartine</hi> mit fol-<lb/> genden Worten: <cit><quote>„Die franzöſiſche Verehrung der Phraſe und der Form<lb/> iſt das große Geheimniß der unermeßlichen Popularität Lamartine’s.<lb/> Nicht einmal bei Mirabeau fand ſich demokratiſcher Geiſt in einer ſo<lb/> gentlemanlichen Form verkörpert. In Lamartine ſind alle Ideen der<lb/> neueſten Popularphiloſophie mit der älteſten Ueberlieferung franzöſiſcher<lb/> Artigkeit im Ausdruck verbunden. Seine Manifeſte und Adreſſen be-<lb/> leidigen niemals die Geſchmackvollen, noch beunruhigen ſie die Schüch-<lb/> ternen. An Lamartine glauben die Mittelclaſſen. Und doch kann nie-<lb/> mand die Bourgeoiſte als herrſchende Claſſe tiefer verachten als er ſie<lb/> verachtet. Er drückt dieſe Geſinnung aber und aber in ſeiner Geſchichte<lb/> der Girondiſten aus, in welcher Mirabeau und Robespierre, die Reprä-<lb/> ſentanten des Adels und des Volks, beide in ſeinen Augen mehr Gnade<lb/> finden als Lafayette, der Held der Bourgeoiſie. Sonderbar klingt es,<lb/> aber ſelbſt die allerunterſten Volksclaſſen, die bewaffneten Banden der<lb/> Blouſenmänner, zeigen mehr Achtung für Lamartine als für ſeine Col-<lb/></quote></cit></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1366/0006]
*Von der Elbe, 22 März.Als ich Ihnen geſtern früh ſchrieb
um die Nothwendigkeit der ſchleunigen Wahl eines deutſchen Kaiſers zu
begründen, konnte ich nicht ahnen daß Friedrich Wilhelm, erſt vor zwei
Tagen vom Volke beſiegt, ſich in demſelben Augenblick zum Kaiſer ausrufen
ließ. Am 12 März wäre dieß eine ungeheure That geweſen; am 21
kommt ſie vielleicht ſchon zu ſpät. Es fragt ſich ob ſie auch nur in den
nächſten Kreiſen allgemeine Zuſtimmung finden wird; und ſelbſt dieß
vorausgeſetzt: wohin ſoll uns das Kaiſerthum Friedrich Wilhelms füh-
ren? Zu einem Dreiviertel-Deutſchland? Aber ein Deutſchland ohne die
Alpen, ohne das adriatiſche Meer und ohne die Beherrſchung der Do-
nau iſt ein Rumpf dem die Hauptglieder fehlen. Wir können daher in
dem Kaiſerthum Friedrich Wilhelms, wie freudig wir es auch als den
Anfang einer beſſern Zeit begrüßen, doch nur eine Uebergangsſtufe, einen
vermittelnden Zwiſchenzuſtand erkennen, der damit enden wird und muß
daß das Haupt der öſterreichiſchen Monarchie wieder deutſcher Kaiſer werde,
und das Bündniß mit den tapfern Ungarn und den ſeegewohnten Dalmaten
dem Reiche als Morgengabe mitbringe. Dieſe Wendung der Dinge hat
um ſo weniger Schwierigkeit als Friedrich Wilhelm kinderlos iſt, ſeine
Brüder aber ſeit der Berliner Blutnacht nicht bloß für das übrige
Deutſchland, ſondern ſelbſt für den brandenburgiſchen Staat total un-
möglich geworden ſind. Hegt dieſer Friedrich Wilhelm die hohe Vater-
landsliebe im Herzen deren er ſich rühmt, ſo wird er der Erſte ſeyn der
die Souveränetät ſeines Hauſes dem Wohl des geſammten Deutſchlands
zum Opfer bringt; er wird, um keine Spaltung im Vaterlande hervor-
zurufen, die Kaiſerkrone dem Hauſe Habsburg überlaſſen, das geſchicht-
lichen Anſpruch auf ſie hat, und er wird ſtolz ſeyn unter einem Habs-
burgiſchen Kaiſer als Markgraf von Brandenburg und Burggraf zu
Nürnberg der erſte Pair des deutſchen Reichs zu heißen.
* Poſen, 18 März.Die Wiener Ereigniſſe, und in deren Ge-
folge die jetzige Anarchie in Galizien und Krakau, haben hier eine weit
größere Beſtürzung hervorgerufen als die Volksaufläufe in Berlin, von
denen man keine nachtheiligen Folgen beſorgt. Die Polen verhalten
ſich hier bis jetzt durchaus ordnungsmäßig. Seit vorgeſtern aber ſind
alle Wachen verdoppelt worden, und unſere ganze jetzt ſo ſtarke Beſa-
tzung iſt faſt ununterbrochen in Bewegung. Die Polen befinden ſich,
ſeit die Nachricht von dem Aufſtande in Wien hier eingetroffen iſt, in einer
unbeſchreiblichen Aufregung, da ſie nun ſchon gewonnen Spiel zu ha-
ben glauben, doch ſcheinen ſie ihre Eroberungen auf ruſſiſchem Gebiet
vorerſt auf friedlichem Wege zu Stande bringen zu wollen; anders
wenigſtens iſt es nicht zu erklären daß hier eine Adreſſe an den König
auſliegt, wie allgemein behauptet wird, und bereits zahlreiche Unter-
ſchriften zählt, in der nichts mehr und nichts weniger verlangt wird als
daß Preußen, um Blutvergießen zu verhindern, das Großherzogthum
Poſen freiwillig an die Polen abtreten ſoll, die von hier aus ſich dann
die übrigen altpolniſchen Länder erobern wollen. Man ſpricht auch noch
von einer andern Adreſſe, worin beantragt wird daß die Provinz Poſen,
durch die Weichſelländer Weſtpreußens und durch Danzig vergrößert,
einen eignen polniſchen Staat mit polniſcher Sprache und eigener Ver-
waltung unter preußiſchem Scepter bilden ſolle. Wieviel an dieſen
Geruchten wahres iſt muß vorderhand noch dahin geſtellt bleiben; in-
zwiſchen werden ſie hier allgemein geglaubt. Bedenklicher iſt daß man
bereits anfängt den gemeinen Mann polniſcher Nationalität für eine
neue Ordnung der Dinge zu bearbeiten; ſo ſollen unter die Soldaten
des 19ten Infanterieregiments, die zumeiſt polniſcher Abkunft ſind, ge-
druckte Aufforderungen vertheilt worden ſeyn, worin ſie zum Abfall ver-
leitet und aufgefordert werden nicht gegen ihre Brüder, die Polen, zu
kämpfen. — Ein heute Mittag hier eingetroffener glaubwürdiger Rei-
ſender aus dem Königreich Polen erzählt daß die ruſſiſche Armee, welche
dermalen ſchon in Polen concentrirt ſey, mindeſtens aus hundertauſend
Mann beſtehe; nach ſeiner Verſicherung wimmelt es aller Orten von
ruſſiſchen Soldaten, und es ſcheint daher daß von dieſer Seite her die
Herrſchaft der Bajonnette aufrechterhalten werden ſoll. — Heute iſt
die Nachricht hier eingegangen daß in einer großen Anzahl von Ort-
ſchaften in den ſüdlichen Kreiſen unſerer Provinz plötzlich der Typhus
ausgebrochen iſt und zahlreiche Opfer fordert.
Großbritannien.
London, 21 März.
Königin Victoria und ihr Töchterlein befinden ſich fortwährend
ſehr wohl. Die auf der Rhede von St. Hellier’s, Inſel Jerſey, angekom-
mene chineſiſche Dſchunk — ein großes Schiff von ſonderbarer Bauart
und mit phantaſtiſchen Malereien am Vorder- und Hintertheil, welches
jetzt Tauſende von Neugierigen anlockt — ſoll einige koſtbare Geſchenke
(vom Kaiſer von China?) für Ihre Maj. an Bord haben.
Am 20 März ſaß das Haus der Gemeinen wieder als Com-
mittee der Wege und Mittel, und es entſpann ſich eine lebhafte und
wichtige Verhandlung. Der Admiralitätsſecretär Hr. Ward bean-
tragte nämlich die Bewilligung von 43,000 Matroſen und Schiffsjungen
für den Seedienſt des folgenden Jahrs. Er gab dabei eine Ueberſicht
der im letzten Jahrzehnt, beſonders ſeit 1844, im brittiſchen Seeweſen
und der Küſtenvertheidigung vorgenommenen Verbeſſerungen, und er-
öffnete die tröſtliche Ausſicht daß die Extra-Ausgaben für dieſen Dienſt-
zweig bis zum J. 1854 erledigt ſeyn werden; dann werde aber auch
Großbritanniens Seemacht in impoſanteſter Wirkſamkeit daſtehen. Doch
ſchon bis zum 1 April 1849 werde England 460 Kriegsſchiffe, darunter
121 Dampfer, für alle Erforderniſſe bereit haben. Dabei behandelte
dieſer miniſterielle Beamte die Theorien derer die bei Europa’s gegen-
wärtiger Lage noch vom ewigen Frieden träumen als bare Thorheit.
Gleichwohl ſtellte Hr. Joſeph Hume das Amendement: die beantragte
Schiffsmannſchaft auf 36,000 „Hände“ zu vermindern. Er tadelte dabei
die Art wie die engliſche Flotte gegen Portugal und Buenos-Ayres ver-
wendet worden ſey, deßgleichen die ebenſo an Geld und Menſchenleben
koſtſpielige wie fruchtloſe Unterhaltung einer Kreuzerflotte an der afri-
kaniſchen Weſtküſte gegen den Sklavenhandel, der dadurch nicht unter-
drückt, wohl aber grauſamer gemacht werde. Sir George Grey ver-
theidigte die Nothwendigkeit bei der jetzigen Weltlage wohlgerüſtet zu
ſtehen. Hr. Cobden, der dem Hume’ſchen Antrag beigetreten, mußte
von Lord Palmerſton eine ſcharfe Lection hinnehmen wegen der „kindi-
ſchen Argumente“ mit denen er in einer Zeit wie die jetzige das Parla-
ment behellige. Schlüßlich wurde das Amendement mit der ungeheuren
Mehrheit von 347 gegen 38 Stimmen verworfen, und der miniſte-
rielle Vorſchlag angenommen.
Die Unterhausſitzung vom 21 März bis zur Poſtſtunde liegt
uns ebenfalls vor. Lord Palmerſton wiederholte, auf die Interpella-
tion eines Mitglieds, ſeine bereits im Globe gegebene Erklärung daß
hinſichtlich der verbannten franzöſiſchen Königsfamilie keine Mittheilung
zwiſchen dem engliſchen Geſandten in Paris und der proviſoriſchen Re-
gierung ſtattgefunden habe. Ebenſo widerſprach er der Zeitungsangabe
hinſichtlich der Ausweiſung des Herzogs und der Herzogin von Mont-
penſier. Das Haus rief ihm Beifall. (S. dagegen unſern Londoner
Brief.)
Am 18 März Abends endlich iſt Se. Exc. Sir Stratford Canning
mit Gemahlin und Tochter von London abgereist, um über Wien auf
ſeinen Geſandtſchaftspoſten in Konſtantinopel zurückzukehren.
Am 19 März ſtarb, 77 Jahre alt, Admiral Richard Matſon. Er
zeichnete ſich im Jahr 1793 als Seecadet auf der „Britannia“ bei dem
Bombardement von Toulon aus, und wurde damals von Sir Sidney
Smith öffentlich belobt; nahm Theil an den Belagerungen von St.
Fiorenza und Baſtia im Jahr 1794, an der Einnahme von Surinam
1799 u. ſ. w.
Aus Plymouth vom 20 März meldet der Globe: „Der Prinz
von Joinville fährt ſo eben auf der Höhe unſers Hafens den Canal
herauf in einem Dampfboot, über deſſen Vordertheil noch die könig-
liche Standarte von Frankreich, blau-weiß-roth in der alten Aufeinan-
derfolge der Farben, weht.“ — Die M. Poſt widerſpricht dem Gerüchte
daß Prinz Ludwig Napoleon im Begriffe ſey ſich um einen Sitz in der
franzöſiſchen Nationalverſammlung zu bewerben.
Der Examiner ſchließt einen Artikel über Lamartine mit fol-
genden Worten: „Die franzöſiſche Verehrung der Phraſe und der Form
iſt das große Geheimniß der unermeßlichen Popularität Lamartine’s.
Nicht einmal bei Mirabeau fand ſich demokratiſcher Geiſt in einer ſo
gentlemanlichen Form verkörpert. In Lamartine ſind alle Ideen der
neueſten Popularphiloſophie mit der älteſten Ueberlieferung franzöſiſcher
Artigkeit im Ausdruck verbunden. Seine Manifeſte und Adreſſen be-
leidigen niemals die Geſchmackvollen, noch beunruhigen ſie die Schüch-
ternen. An Lamartine glauben die Mittelclaſſen. Und doch kann nie-
mand die Bourgeoiſte als herrſchende Claſſe tiefer verachten als er ſie
verachtet. Er drückt dieſe Geſinnung aber und aber in ſeiner Geſchichte
der Girondiſten aus, in welcher Mirabeau und Robespierre, die Reprä-
ſentanten des Adels und des Volks, beide in ſeinen Augen mehr Gnade
finden als Lafayette, der Held der Bourgeoiſie. Sonderbar klingt es,
aber ſelbſt die allerunterſten Volksclaſſen, die bewaffneten Banden der
Blouſenmänner, zeigen mehr Achtung für Lamartine als für ſeine Col-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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