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Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848.

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Als ich Ihnen gestern früh schrieb
um die Nothwendigkeit der schleunigen Wahl eines deutschen Kaisers zu
begründen, konnte ich nicht ahnen daß Friedrich Wilhelm, erst vor zwei
Tagen vom Volke besiegt, sich in demselben Augenblick zum Kaiser ausrufen
ließ. Am 12 März wäre dieß eine ungeheure That gewesen; am 21
kommt sie vielleicht schon zu spät. Es fragt sich ob sie auch nur in den
nächsten Kreisen allgemeine Zustimmung finden wird; und selbst dieß
vorausgesetzt: wohin soll uns das Kaiserthum Friedrich Wilhelms füh-
ren? Zu einem Dreiviertel-Deutschland? Aber ein Deutschland ohne die
Alpen, ohne das adriatische Meer und ohne die Beherrschung der Do-
nau ist ein Rumpf dem die Hauptglieder fehlen. Wir können daher in
dem Kaiserthum Friedrich Wilhelms, wie freudig wir es auch als den
Anfang einer bessern Zeit begrüßen, doch nur eine Uebergangsstufe, einen
vermittelnden Zwischenzustand erkennen, der damit enden wird und muß
daß das Haupt der österreichischen Monarchie wieder deutscher Kaiser werde,
und das Bündniß mit den tapfern Ungarn und den seegewohnten Dalmaten
dem Reiche als Morgengabe mitbringe. Diese Wendung der Dinge hat
um so weniger Schwierigkeit als Friedrich Wilhelm kinderlos ist, seine
Brüder aber seit der Berliner Blutnacht nicht bloß für das übrige
Deutschland, sondern selbst für den brandenburgischen Staat total un-
möglich geworden sind. Hegt dieser Friedrich Wilhelm die hohe Vater-
landsliebe im Herzen deren er sich rühmt, so wird er der Erste seyn der
die Souveränetät seines Hauses dem Wohl des gesammten Deutschlands
zum Opfer bringt; er wird, um keine Spaltung im Vaterlande hervor-
zurufen, die Kaiserkrone dem Hause Habsburg überlassen, das geschicht-
lichen Anspruch auf sie hat, und er wird stolz seyn unter einem Habs-
burgischen Kaiser als Markgraf von Brandenburg und Burggraf zu
Nürnberg der erste Pair des deutschen Reichs zu heißen.

Die Wiener Ereignisse, und in deren Ge-
folge die jetzige Anarchie in Galizien und Krakau, haben hier eine weit
größere Bestürzung hervorgerufen als die Volksaufläufe in Berlin, von
denen man keine nachtheiligen Folgen besorgt. Die Polen verhalten
sich hier bis jetzt durchaus ordnungsmäßig. Seit vorgestern aber sind
alle Wachen verdoppelt worden, und unsere ganze jetzt so starke Besa-
tzung ist fast ununterbrochen in Bewegung. Die Polen befinden sich,
seit die Nachricht von dem Aufstande in Wien hier eingetroffen ist, in einer
unbeschreiblichen Aufregung, da sie nun schon gewonnen Spiel zu ha-
ben glauben, doch scheinen sie ihre Eroberungen auf russischem Gebiet
vorerst auf friedlichem Wege zu Stande bringen zu wollen; anders
wenigstens ist es nicht zu erklären daß hier eine Adresse an den König
ausliegt, wie allgemein behauptet wird, und bereits zahlreiche Unter-
schriften zählt, in der nichts mehr und nichts weniger verlangt wird als
daß Preußen, um Blutvergießen zu verhindern, das Großherzogthum
Posen freiwillig an die Polen abtreten soll, die von hier aus sich dann
die übrigen altpolnischen Länder erobern wollen. Man spricht auch noch
von einer andern Adresse, worin beantragt wird daß die Provinz Posen,
durch die Weichselländer Westpreußens und durch Danzig vergrößert,
einen eignen polnischen Staat mit polnischer Sprache und eigener Ver-
waltung unter preußischem Scepter bilden solle. Wieviel an diesen
Geruchten wahres ist muß vorderhand noch dahin gestellt bleiben; in-
zwischen werden sie hier allgemein geglaubt. Bedenklicher ist daß man
bereits anfängt den gemeinen Mann polnischer Nationalität für eine
neue Ordnung der Dinge zu bearbeiten; so sollen unter die Soldaten
des 19ten Infanterieregiments, die zumeist polnischer Abkunft sind, ge-
druckte Aufforderungen vertheilt worden seyn, worin sie zum Abfall ver-
leitet und aufgefordert werden nicht gegen ihre Brüder, die Polen, zu
kämpfen. -- Ein heute Mittag hier eingetroffener glaubwürdiger Rei-
sender aus dem Königreich Polen erzählt daß die russische Armee, welche
dermalen schon in Polen concentrirt sey, mindestens aus hundertausend
Mann bestehe; nach seiner Versicherung wimmelt es aller Orten von
russischen Soldaten, und es scheint daher daß von dieser Seite her die
Herrschaft der Bajonnette aufrechterhalten werden soll. -- Heute ist
die Nachricht hier eingegangen daß in einer großen Anzahl von Ort-
schaften in den südlichen Kreisen unserer Provinz plötzlich der Typhus
ausgebrochen ist und zahlreiche Opfer fordert.

Großbritannien.

Königin Victoria und ihr Töchterlein befinden sich fortwährend
sehr wohl. Die auf der Rhede von St. Hellier's, Insel Jersey, angekom-
mene chinesische Dschunk -- ein großes Schiff von sonderbarer Bauart
und mit phantastischen Malereien am Vorder- und Hintertheil, welches
[Spaltenumbruch] jetzt Tausende von Neugierigen anlockt -- soll einige kostbare Geschenke
(vom Kaiser von China?) für Ihre Maj. an Bord haben.

Am 20 März saß das Haus der Gemeinen wieder als Com-
mittee der Wege und Mittel, und es entspann sich eine lebhafte und
wichtige Verhandlung. Der Admiralitätssecretär Hr. Ward bean-
tragte nämlich die Bewilligung von 43,000 Matrosen und Schiffsjungen
für den Seedienst des folgenden Jahrs. Er gab dabei eine Uebersicht
der im letzten Jahrzehnt, besonders seit 1844, im brittischen Seewesen
und der Küstenvertheidigung vorgenommenen Verbesserungen, und er-
öffnete die tröstliche Aussicht daß die Extra-Ausgaben für diesen Dienst-
zweig bis zum J. 1854 erledigt seyn werden; dann werde aber auch
Großbritanniens Seemacht in imposantester Wirksamkeit dastehen. Doch
schon bis zum 1 April 1849 werde England 460 Kriegsschiffe, darunter
121 Dampfer, für alle Erfordernisse bereit haben. Dabei behandelte
dieser ministerielle Beamte die Theorien derer die bei Europa's gegen-
wärtiger Lage noch vom ewigen Frieden träumen als bare Thorheit.
Gleichwohl stellte Hr. Joseph Hume das Amendement: die beantragte
Schiffsmannschaft auf 36,000 "Hände" zu vermindern. Er tadelte dabei
die Art wie die englische Flotte gegen Portugal und Buenos-Ayres ver-
wendet worden sey, deßgleichen die ebenso an Geld und Menschenleben
kostspielige wie fruchtlose Unterhaltung einer Kreuzerflotte an der afri-
kanischen Westküste gegen den Sklavenhandel, der dadurch nicht unter-
drückt, wohl aber grausamer gemacht werde. Sir George Grey ver-
theidigte die Nothwendigkeit bei der jetzigen Weltlage wohlgerüstet zu
stehen. Hr. Cobden, der dem Hume'schen Antrag beigetreten, mußte
von Lord Palmerston eine scharfe Lection hinnehmen wegen der "kindi-
schen Argumente" mit denen er in einer Zeit wie die jetzige das Parla-
ment behellige. Schlüßlich wurde das Amendement mit der ungeheuren
Mehrheit von 347 gegen 38 Stimmen verworfen, und der ministe-
rielle Vorschlag angenommen.

Die Unterhaussitzung vom 21 März bis zur Poststunde liegt
uns ebenfalls vor. Lord Palmerston wiederholte, auf die Interpella-
tion eines Mitglieds, seine bereits im Globe gegebene Erklärung daß
hinsichtlich der verbannten französischen Königsfamilie keine Mittheilung
zwischen dem englischen Gesandten in Paris und der provisorischen Re-
gierung stattgefunden habe. Ebenso widersprach er der Zeitungsangabe
hinsichtlich der Ausweisung des Herzogs und der Herzogin von Mont-
pensier. Das Haus rief ihm Beifall. (S. dagegen unsern Londoner
Brief.)

Am 18 März Abends endlich ist Se. Exc. Sir Stratford Canning
mit Gemahlin und Tochter von London abgereist, um über Wien auf
seinen Gesandtschaftsposten in Konstantinopel zurückzukehren.

Am 19 März starb, 77 Jahre alt, Admiral Richard Matson. Er
zeichnete sich im Jahr 1793 als Seecadet auf der "Britannia" bei dem
Bombardement von Toulon aus, und wurde damals von Sir Sidney
Smith öffentlich belobt; nahm Theil an den Belagerungen von St.
Fiorenza und Bastia im Jahr 1794, an der Einnahme von Surinam
1799 u. s. w.

Aus Plymouth vom 20 März meldet der Globe: "Der Prinz
von Joinville fährt so eben auf der Höhe unsers Hafens den Canal
herauf in einem Dampfboot, über dessen Vordertheil noch die könig-
liche Standarte von Frankreich, blau-weiß-roth in der alten Aufeinan-
derfolge der Farben, weht." -- Die M. Post widerspricht dem Gerüchte
daß Prinz Ludwig Napoleon im Begriffe sey sich um einen Sitz in der
französischen Nationalversammlung zu bewerben.

Der Examiner schließt einen Artikel über Lamartine mit fol-
genden Worten: "Die französische Verehrung der Phrase und der Form
ist das große Geheimniß der unermeßlichen Popularität Lamartine's.
Nicht einmal bei Mirabeau fand sich demokratischer Geist in einer so
gentlemanlichen Form verkörpert. In Lamartine sind alle Ideen der
neuesten Popularphilosophie mit der ältesten Ueberlieferung französischer
Artigkeit im Ausdruck verbunden. Seine Manifeste und Adressen be-
leidigen niemals die Geschmackvollen, noch beunruhigen sie die Schüch-
ternen. An Lamartine glauben die Mittelclassen. Und doch kann nie-
mand die Bourgeoiste als herrschende Classe tiefer verachten als er sie
verachtet. Er drückt diese Gesinnung aber und aber in seiner Geschichte
der Girondisten aus, in welcher Mirabeau und Robespierre, die Reprä-
sentanten des Adels und des Volks, beide in seinen Augen mehr Gnade
finden als Lafayette, der Held der Bourgeoisie. Sonderbar klingt es,
aber selbst die alleruntersten Volksclassen, die bewaffneten Banden der
Blousenmänner, zeigen mehr Achtung für Lamartine als für seine Col-

[Spaltenumbruch]

Als ich Ihnen geſtern früh ſchrieb
um die Nothwendigkeit der ſchleunigen Wahl eines deutſchen Kaiſers zu
begründen, konnte ich nicht ahnen daß Friedrich Wilhelm, erſt vor zwei
Tagen vom Volke beſiegt, ſich in demſelben Augenblick zum Kaiſer ausrufen
ließ. Am 12 März wäre dieß eine ungeheure That geweſen; am 21
kommt ſie vielleicht ſchon zu ſpät. Es fragt ſich ob ſie auch nur in den
nächſten Kreiſen allgemeine Zuſtimmung finden wird; und ſelbſt dieß
vorausgeſetzt: wohin ſoll uns das Kaiſerthum Friedrich Wilhelms füh-
ren? Zu einem Dreiviertel-Deutſchland? Aber ein Deutſchland ohne die
Alpen, ohne das adriatiſche Meer und ohne die Beherrſchung der Do-
nau iſt ein Rumpf dem die Hauptglieder fehlen. Wir können daher in
dem Kaiſerthum Friedrich Wilhelms, wie freudig wir es auch als den
Anfang einer beſſern Zeit begrüßen, doch nur eine Uebergangsſtufe, einen
vermittelnden Zwiſchenzuſtand erkennen, der damit enden wird und muß
daß das Haupt der öſterreichiſchen Monarchie wieder deutſcher Kaiſer werde,
und das Bündniß mit den tapfern Ungarn und den ſeegewohnten Dalmaten
dem Reiche als Morgengabe mitbringe. Dieſe Wendung der Dinge hat
um ſo weniger Schwierigkeit als Friedrich Wilhelm kinderlos iſt, ſeine
Brüder aber ſeit der Berliner Blutnacht nicht bloß für das übrige
Deutſchland, ſondern ſelbſt für den brandenburgiſchen Staat total un-
möglich geworden ſind. Hegt dieſer Friedrich Wilhelm die hohe Vater-
landsliebe im Herzen deren er ſich rühmt, ſo wird er der Erſte ſeyn der
die Souveränetät ſeines Hauſes dem Wohl des geſammten Deutſchlands
zum Opfer bringt; er wird, um keine Spaltung im Vaterlande hervor-
zurufen, die Kaiſerkrone dem Hauſe Habsburg überlaſſen, das geſchicht-
lichen Anſpruch auf ſie hat, und er wird ſtolz ſeyn unter einem Habs-
burgiſchen Kaiſer als Markgraf von Brandenburg und Burggraf zu
Nürnberg der erſte Pair des deutſchen Reichs zu heißen.

Die Wiener Ereigniſſe, und in deren Ge-
folge die jetzige Anarchie in Galizien und Krakau, haben hier eine weit
größere Beſtürzung hervorgerufen als die Volksaufläufe in Berlin, von
denen man keine nachtheiligen Folgen beſorgt. Die Polen verhalten
ſich hier bis jetzt durchaus ordnungsmäßig. Seit vorgeſtern aber ſind
alle Wachen verdoppelt worden, und unſere ganze jetzt ſo ſtarke Beſa-
tzung iſt faſt ununterbrochen in Bewegung. Die Polen befinden ſich,
ſeit die Nachricht von dem Aufſtande in Wien hier eingetroffen iſt, in einer
unbeſchreiblichen Aufregung, da ſie nun ſchon gewonnen Spiel zu ha-
ben glauben, doch ſcheinen ſie ihre Eroberungen auf ruſſiſchem Gebiet
vorerſt auf friedlichem Wege zu Stande bringen zu wollen; anders
wenigſtens iſt es nicht zu erklären daß hier eine Adreſſe an den König
auſliegt, wie allgemein behauptet wird, und bereits zahlreiche Unter-
ſchriften zählt, in der nichts mehr und nichts weniger verlangt wird als
daß Preußen, um Blutvergießen zu verhindern, das Großherzogthum
Poſen freiwillig an die Polen abtreten ſoll, die von hier aus ſich dann
die übrigen altpolniſchen Länder erobern wollen. Man ſpricht auch noch
von einer andern Adreſſe, worin beantragt wird daß die Provinz Poſen,
durch die Weichſelländer Weſtpreußens und durch Danzig vergrößert,
einen eignen polniſchen Staat mit polniſcher Sprache und eigener Ver-
waltung unter preußiſchem Scepter bilden ſolle. Wieviel an dieſen
Geruchten wahres iſt muß vorderhand noch dahin geſtellt bleiben; in-
zwiſchen werden ſie hier allgemein geglaubt. Bedenklicher iſt daß man
bereits anfängt den gemeinen Mann polniſcher Nationalität für eine
neue Ordnung der Dinge zu bearbeiten; ſo ſollen unter die Soldaten
des 19ten Infanterieregiments, die zumeiſt polniſcher Abkunft ſind, ge-
druckte Aufforderungen vertheilt worden ſeyn, worin ſie zum Abfall ver-
leitet und aufgefordert werden nicht gegen ihre Brüder, die Polen, zu
kämpfen. — Ein heute Mittag hier eingetroffener glaubwürdiger Rei-
ſender aus dem Königreich Polen erzählt daß die ruſſiſche Armee, welche
dermalen ſchon in Polen concentrirt ſey, mindeſtens aus hundertauſend
Mann beſtehe; nach ſeiner Verſicherung wimmelt es aller Orten von
ruſſiſchen Soldaten, und es ſcheint daher daß von dieſer Seite her die
Herrſchaft der Bajonnette aufrechterhalten werden ſoll. — Heute iſt
die Nachricht hier eingegangen daß in einer großen Anzahl von Ort-
ſchaften in den ſüdlichen Kreiſen unſerer Provinz plötzlich der Typhus
ausgebrochen iſt und zahlreiche Opfer fordert.

Großbritannien.

Königin Victoria und ihr Töchterlein befinden ſich fortwährend
ſehr wohl. Die auf der Rhede von St. Hellier’s, Inſel Jerſey, angekom-
mene chineſiſche Dſchunk — ein großes Schiff von ſonderbarer Bauart
und mit phantaſtiſchen Malereien am Vorder- und Hintertheil, welches
[Spaltenumbruch] jetzt Tauſende von Neugierigen anlockt — ſoll einige koſtbare Geſchenke
(vom Kaiſer von China?) für Ihre Maj. an Bord haben.

Am 20 März ſaß das Haus der Gemeinen wieder als Com-
mittee der Wege und Mittel, und es entſpann ſich eine lebhafte und
wichtige Verhandlung. Der Admiralitätsſecretär Hr. Ward bean-
tragte nämlich die Bewilligung von 43,000 Matroſen und Schiffsjungen
für den Seedienſt des folgenden Jahrs. Er gab dabei eine Ueberſicht
der im letzten Jahrzehnt, beſonders ſeit 1844, im brittiſchen Seeweſen
und der Küſtenvertheidigung vorgenommenen Verbeſſerungen, und er-
öffnete die tröſtliche Ausſicht daß die Extra-Ausgaben für dieſen Dienſt-
zweig bis zum J. 1854 erledigt ſeyn werden; dann werde aber auch
Großbritanniens Seemacht in impoſanteſter Wirkſamkeit daſtehen. Doch
ſchon bis zum 1 April 1849 werde England 460 Kriegsſchiffe, darunter
121 Dampfer, für alle Erforderniſſe bereit haben. Dabei behandelte
dieſer miniſterielle Beamte die Theorien derer die bei Europa’s gegen-
wärtiger Lage noch vom ewigen Frieden träumen als bare Thorheit.
Gleichwohl ſtellte Hr. Joſeph Hume das Amendement: die beantragte
Schiffsmannſchaft auf 36,000 „Hände“ zu vermindern. Er tadelte dabei
die Art wie die engliſche Flotte gegen Portugal und Buenos-Ayres ver-
wendet worden ſey, deßgleichen die ebenſo an Geld und Menſchenleben
koſtſpielige wie fruchtloſe Unterhaltung einer Kreuzerflotte an der afri-
kaniſchen Weſtküſte gegen den Sklavenhandel, der dadurch nicht unter-
drückt, wohl aber grauſamer gemacht werde. Sir George Grey ver-
theidigte die Nothwendigkeit bei der jetzigen Weltlage wohlgerüſtet zu
ſtehen. Hr. Cobden, der dem Hume’ſchen Antrag beigetreten, mußte
von Lord Palmerſton eine ſcharfe Lection hinnehmen wegen der „kindi-
ſchen Argumente“ mit denen er in einer Zeit wie die jetzige das Parla-
ment behellige. Schlüßlich wurde das Amendement mit der ungeheuren
Mehrheit von 347 gegen 38 Stimmen verworfen, und der miniſte-
rielle Vorſchlag angenommen.

Die Unterhausſitzung vom 21 März bis zur Poſtſtunde liegt
uns ebenfalls vor. Lord Palmerſton wiederholte, auf die Interpella-
tion eines Mitglieds, ſeine bereits im Globe gegebene Erklärung daß
hinſichtlich der verbannten franzöſiſchen Königsfamilie keine Mittheilung
zwiſchen dem engliſchen Geſandten in Paris und der proviſoriſchen Re-
gierung ſtattgefunden habe. Ebenſo widerſprach er der Zeitungsangabe
hinſichtlich der Ausweiſung des Herzogs und der Herzogin von Mont-
penſier. Das Haus rief ihm Beifall. (S. dagegen unſern Londoner
Brief.)

Am 18 März Abends endlich iſt Se. Exc. Sir Stratford Canning
mit Gemahlin und Tochter von London abgereist, um über Wien auf
ſeinen Geſandtſchaftspoſten in Konſtantinopel zurückzukehren.

Am 19 März ſtarb, 77 Jahre alt, Admiral Richard Matſon. Er
zeichnete ſich im Jahr 1793 als Seecadet auf der „Britannia“ bei dem
Bombardement von Toulon aus, und wurde damals von Sir Sidney
Smith öffentlich belobt; nahm Theil an den Belagerungen von St.
Fiorenza und Baſtia im Jahr 1794, an der Einnahme von Surinam
1799 u. ſ. w.

Aus Plymouth vom 20 März meldet der Globe: „Der Prinz
von Joinville fährt ſo eben auf der Höhe unſers Hafens den Canal
herauf in einem Dampfboot, über deſſen Vordertheil noch die könig-
liche Standarte von Frankreich, blau-weiß-roth in der alten Aufeinan-
derfolge der Farben, weht.“ — Die M. Poſt widerſpricht dem Gerüchte
daß Prinz Ludwig Napoleon im Begriffe ſey ſich um einen Sitz in der
franzöſiſchen Nationalverſammlung zu bewerben.

Der Examiner ſchließt einen Artikel über Lamartine mit fol-
genden Worten: „Die franzöſiſche Verehrung der Phraſe und der Form
iſt das große Geheimniß der unermeßlichen Popularität Lamartine’s.
Nicht einmal bei Mirabeau fand ſich demokratiſcher Geiſt in einer ſo
gentlemanlichen Form verkörpert. In Lamartine ſind alle Ideen der
neueſten Popularphiloſophie mit der älteſten Ueberlieferung franzöſiſcher
Artigkeit im Ausdruck verbunden. Seine Manifeſte und Adreſſen be-
leidigen niemals die Geſchmackvollen, noch beunruhigen ſie die Schüch-
ternen. An Lamartine glauben die Mittelclaſſen. Und doch kann nie-
mand die Bourgeoiſte als herrſchende Claſſe tiefer verachten als er ſie
verachtet. Er drückt dieſe Geſinnung aber und aber in ſeiner Geſchichte
der Girondiſten aus, in welcher Mirabeau und Robespierre, die Reprä-
ſentanten des Adels und des Volks, beide in ſeinen Augen mehr Gnade
finden als Lafayette, der Held der Bourgeoiſie. Sonderbar klingt es,
aber ſelbſt die allerunterſten Volksclaſſen, die bewaffneten Banden der
Blouſenmänner, zeigen mehr Achtung für Lamartine als für ſeine Col-

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[1366/0006] *Von der Elbe, 22 März.Als ich Ihnen geſtern früh ſchrieb um die Nothwendigkeit der ſchleunigen Wahl eines deutſchen Kaiſers zu begründen, konnte ich nicht ahnen daß Friedrich Wilhelm, erſt vor zwei Tagen vom Volke beſiegt, ſich in demſelben Augenblick zum Kaiſer ausrufen ließ. Am 12 März wäre dieß eine ungeheure That geweſen; am 21 kommt ſie vielleicht ſchon zu ſpät. Es fragt ſich ob ſie auch nur in den nächſten Kreiſen allgemeine Zuſtimmung finden wird; und ſelbſt dieß vorausgeſetzt: wohin ſoll uns das Kaiſerthum Friedrich Wilhelms füh- ren? Zu einem Dreiviertel-Deutſchland? Aber ein Deutſchland ohne die Alpen, ohne das adriatiſche Meer und ohne die Beherrſchung der Do- nau iſt ein Rumpf dem die Hauptglieder fehlen. Wir können daher in dem Kaiſerthum Friedrich Wilhelms, wie freudig wir es auch als den Anfang einer beſſern Zeit begrüßen, doch nur eine Uebergangsſtufe, einen vermittelnden Zwiſchenzuſtand erkennen, der damit enden wird und muß daß das Haupt der öſterreichiſchen Monarchie wieder deutſcher Kaiſer werde, und das Bündniß mit den tapfern Ungarn und den ſeegewohnten Dalmaten dem Reiche als Morgengabe mitbringe. Dieſe Wendung der Dinge hat um ſo weniger Schwierigkeit als Friedrich Wilhelm kinderlos iſt, ſeine Brüder aber ſeit der Berliner Blutnacht nicht bloß für das übrige Deutſchland, ſondern ſelbſt für den brandenburgiſchen Staat total un- möglich geworden ſind. Hegt dieſer Friedrich Wilhelm die hohe Vater- landsliebe im Herzen deren er ſich rühmt, ſo wird er der Erſte ſeyn der die Souveränetät ſeines Hauſes dem Wohl des geſammten Deutſchlands zum Opfer bringt; er wird, um keine Spaltung im Vaterlande hervor- zurufen, die Kaiſerkrone dem Hauſe Habsburg überlaſſen, das geſchicht- lichen Anſpruch auf ſie hat, und er wird ſtolz ſeyn unter einem Habs- burgiſchen Kaiſer als Markgraf von Brandenburg und Burggraf zu Nürnberg der erſte Pair des deutſchen Reichs zu heißen. * Poſen, 18 März.Die Wiener Ereigniſſe, und in deren Ge- folge die jetzige Anarchie in Galizien und Krakau, haben hier eine weit größere Beſtürzung hervorgerufen als die Volksaufläufe in Berlin, von denen man keine nachtheiligen Folgen beſorgt. Die Polen verhalten ſich hier bis jetzt durchaus ordnungsmäßig. Seit vorgeſtern aber ſind alle Wachen verdoppelt worden, und unſere ganze jetzt ſo ſtarke Beſa- tzung iſt faſt ununterbrochen in Bewegung. Die Polen befinden ſich, ſeit die Nachricht von dem Aufſtande in Wien hier eingetroffen iſt, in einer unbeſchreiblichen Aufregung, da ſie nun ſchon gewonnen Spiel zu ha- ben glauben, doch ſcheinen ſie ihre Eroberungen auf ruſſiſchem Gebiet vorerſt auf friedlichem Wege zu Stande bringen zu wollen; anders wenigſtens iſt es nicht zu erklären daß hier eine Adreſſe an den König auſliegt, wie allgemein behauptet wird, und bereits zahlreiche Unter- ſchriften zählt, in der nichts mehr und nichts weniger verlangt wird als daß Preußen, um Blutvergießen zu verhindern, das Großherzogthum Poſen freiwillig an die Polen abtreten ſoll, die von hier aus ſich dann die übrigen altpolniſchen Länder erobern wollen. Man ſpricht auch noch von einer andern Adreſſe, worin beantragt wird daß die Provinz Poſen, durch die Weichſelländer Weſtpreußens und durch Danzig vergrößert, einen eignen polniſchen Staat mit polniſcher Sprache und eigener Ver- waltung unter preußiſchem Scepter bilden ſolle. Wieviel an dieſen Geruchten wahres iſt muß vorderhand noch dahin geſtellt bleiben; in- zwiſchen werden ſie hier allgemein geglaubt. Bedenklicher iſt daß man bereits anfängt den gemeinen Mann polniſcher Nationalität für eine neue Ordnung der Dinge zu bearbeiten; ſo ſollen unter die Soldaten des 19ten Infanterieregiments, die zumeiſt polniſcher Abkunft ſind, ge- druckte Aufforderungen vertheilt worden ſeyn, worin ſie zum Abfall ver- leitet und aufgefordert werden nicht gegen ihre Brüder, die Polen, zu kämpfen. — Ein heute Mittag hier eingetroffener glaubwürdiger Rei- ſender aus dem Königreich Polen erzählt daß die ruſſiſche Armee, welche dermalen ſchon in Polen concentrirt ſey, mindeſtens aus hundertauſend Mann beſtehe; nach ſeiner Verſicherung wimmelt es aller Orten von ruſſiſchen Soldaten, und es ſcheint daher daß von dieſer Seite her die Herrſchaft der Bajonnette aufrechterhalten werden ſoll. — Heute iſt die Nachricht hier eingegangen daß in einer großen Anzahl von Ort- ſchaften in den ſüdlichen Kreiſen unſerer Provinz plötzlich der Typhus ausgebrochen iſt und zahlreiche Opfer fordert. Großbritannien. London, 21 März. Königin Victoria und ihr Töchterlein befinden ſich fortwährend ſehr wohl. Die auf der Rhede von St. Hellier’s, Inſel Jerſey, angekom- mene chineſiſche Dſchunk — ein großes Schiff von ſonderbarer Bauart und mit phantaſtiſchen Malereien am Vorder- und Hintertheil, welches jetzt Tauſende von Neugierigen anlockt — ſoll einige koſtbare Geſchenke (vom Kaiſer von China?) für Ihre Maj. an Bord haben. Am 20 März ſaß das Haus der Gemeinen wieder als Com- mittee der Wege und Mittel, und es entſpann ſich eine lebhafte und wichtige Verhandlung. Der Admiralitätsſecretär Hr. Ward bean- tragte nämlich die Bewilligung von 43,000 Matroſen und Schiffsjungen für den Seedienſt des folgenden Jahrs. Er gab dabei eine Ueberſicht der im letzten Jahrzehnt, beſonders ſeit 1844, im brittiſchen Seeweſen und der Küſtenvertheidigung vorgenommenen Verbeſſerungen, und er- öffnete die tröſtliche Ausſicht daß die Extra-Ausgaben für dieſen Dienſt- zweig bis zum J. 1854 erledigt ſeyn werden; dann werde aber auch Großbritanniens Seemacht in impoſanteſter Wirkſamkeit daſtehen. Doch ſchon bis zum 1 April 1849 werde England 460 Kriegsſchiffe, darunter 121 Dampfer, für alle Erforderniſſe bereit haben. Dabei behandelte dieſer miniſterielle Beamte die Theorien derer die bei Europa’s gegen- wärtiger Lage noch vom ewigen Frieden träumen als bare Thorheit. Gleichwohl ſtellte Hr. Joſeph Hume das Amendement: die beantragte Schiffsmannſchaft auf 36,000 „Hände“ zu vermindern. Er tadelte dabei die Art wie die engliſche Flotte gegen Portugal und Buenos-Ayres ver- wendet worden ſey, deßgleichen die ebenſo an Geld und Menſchenleben koſtſpielige wie fruchtloſe Unterhaltung einer Kreuzerflotte an der afri- kaniſchen Weſtküſte gegen den Sklavenhandel, der dadurch nicht unter- drückt, wohl aber grauſamer gemacht werde. Sir George Grey ver- theidigte die Nothwendigkeit bei der jetzigen Weltlage wohlgerüſtet zu ſtehen. Hr. Cobden, der dem Hume’ſchen Antrag beigetreten, mußte von Lord Palmerſton eine ſcharfe Lection hinnehmen wegen der „kindi- ſchen Argumente“ mit denen er in einer Zeit wie die jetzige das Parla- ment behellige. Schlüßlich wurde das Amendement mit der ungeheuren Mehrheit von 347 gegen 38 Stimmen verworfen, und der miniſte- rielle Vorſchlag angenommen. Die Unterhausſitzung vom 21 März bis zur Poſtſtunde liegt uns ebenfalls vor. Lord Palmerſton wiederholte, auf die Interpella- tion eines Mitglieds, ſeine bereits im Globe gegebene Erklärung daß hinſichtlich der verbannten franzöſiſchen Königsfamilie keine Mittheilung zwiſchen dem engliſchen Geſandten in Paris und der proviſoriſchen Re- gierung ſtattgefunden habe. Ebenſo widerſprach er der Zeitungsangabe hinſichtlich der Ausweiſung des Herzogs und der Herzogin von Mont- penſier. Das Haus rief ihm Beifall. (S. dagegen unſern Londoner Brief.) Am 18 März Abends endlich iſt Se. Exc. Sir Stratford Canning mit Gemahlin und Tochter von London abgereist, um über Wien auf ſeinen Geſandtſchaftspoſten in Konſtantinopel zurückzukehren. Am 19 März ſtarb, 77 Jahre alt, Admiral Richard Matſon. Er zeichnete ſich im Jahr 1793 als Seecadet auf der „Britannia“ bei dem Bombardement von Toulon aus, und wurde damals von Sir Sidney Smith öffentlich belobt; nahm Theil an den Belagerungen von St. Fiorenza und Baſtia im Jahr 1794, an der Einnahme von Surinam 1799 u. ſ. w. Aus Plymouth vom 20 März meldet der Globe: „Der Prinz von Joinville fährt ſo eben auf der Höhe unſers Hafens den Canal herauf in einem Dampfboot, über deſſen Vordertheil noch die könig- liche Standarte von Frankreich, blau-weiß-roth in der alten Aufeinan- derfolge der Farben, weht.“ — Die M. Poſt widerſpricht dem Gerüchte daß Prinz Ludwig Napoleon im Begriffe ſey ſich um einen Sitz in der franzöſiſchen Nationalverſammlung zu bewerben. Der Examiner ſchließt einen Artikel über Lamartine mit fol- genden Worten: „Die franzöſiſche Verehrung der Phraſe und der Form iſt das große Geheimniß der unermeßlichen Popularität Lamartine’s. Nicht einmal bei Mirabeau fand ſich demokratiſcher Geiſt in einer ſo gentlemanlichen Form verkörpert. In Lamartine ſind alle Ideen der neueſten Popularphiloſophie mit der älteſten Ueberlieferung franzöſiſcher Artigkeit im Ausdruck verbunden. Seine Manifeſte und Adreſſen be- leidigen niemals die Geſchmackvollen, noch beunruhigen ſie die Schüch- ternen. An Lamartine glauben die Mittelclaſſen. Und doch kann nie- mand die Bourgeoiſte als herrſchende Claſſe tiefer verachten als er ſie verachtet. Er drückt dieſe Geſinnung aber und aber in ſeiner Geſchichte der Girondiſten aus, in welcher Mirabeau und Robespierre, die Reprä- ſentanten des Adels und des Volks, beide in ſeinen Augen mehr Gnade finden als Lafayette, der Held der Bourgeoiſie. Sonderbar klingt es, aber ſelbſt die allerunterſten Volksclaſſen, die bewaffneten Banden der Blouſenmänner, zeigen mehr Achtung für Lamartine als für ſeine Col-

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848, S. 1366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine86_1848/6>, abgerufen am 21.11.2024.