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Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 27 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutschland.


Der Umschwung der Dinge ist hier
vollendet -- Stüve ist zum Minister ernannt und hat die Ernen-
nung angenommen. Gestern ging eine Staffette an ihn nach Osna-
brück ab, gestern Abend reiste Stüve von dort ab und traf hier heute
Morgen ein. Eines ist zu beklagen, tief zu beklagen: daß man ihm
nicht freie Hand gelassen ein Ministerium zu bilden, sondern daß man
ihn nur in ein halbfertiges Ministerium, das nicht sein Werk ist, ein-
treten läßt, ein Ministerium das, aus übrigens persönlich sehr achtungs-
werthen Männern zusammengesetzt, dennoch den ungestümen Forderun-
gen des Moments nicht ganz entspricht. Denn Junkerthum und Bu-
reaukratie find in demselben so stark repräsentirt, daß das ganze wahrlich
ungeheuere Vertrauen dazu gehört welches das Land an den Namen
Stüve knüpft, um nicht von vornherein dieses Ministerium mit dem
entschiedensten Mißtrauen zu begrüßen. Stüve wird das Ministerium
des Innern übernehmen, gewiß am zweckmäßigsten, obgleich er wohl
ebenso sehr dem der Finanzen, der Justiz und des Cultus gewachsen seyn
würde; das der Finanzen erhält der bisherige Schatzrath Lehzen, das
des Auswärtigen der Schatzrath Graf Bennigsen. So weit wäre alles
gut, aber nun kommen zwei Namen die viel verderben. Oberappella-
tionsrath v. Düring, der Vertheidiger des abscheulichen Proceßgesetzes
das hinwegzuräumen das erste Geschäft des Ministeriums und der Stände
seyn wird, Oberappellationsrath v. Düring erhält das Justizministe-
rium; wo sind, bei aller übrigen Trefflichkeit und Tüchtigkeit des
Hrn. v. Düring, da vertrauengebende Vorgänge? Hr. v. Düring hat
bisher in erster Kammer gegen Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des
Verfahrens gesprochen -- soll er, wird er, kann er jetzt für Oeffent-
lichkeit und Mündlichkeit seyn? Noch schlimmer fast klingt ein anderer
Name des neuen Ministeriums -- Cabinetsrath Braun erhält das Mi-
nisterium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Cabinetsrath
Braun, Mitglied des bisherigen Cabinets, Günstling und Zögling des
Hrn. v. Falcke, Cabinetsrath Braun der Verfasser des Polizeistrafge-
setzes, eines des bisherigen Systems durchaus würdigen Polizeistrafge-
setzes. Obendrein war die Besetzung dieses früher stets mit dem Mini-
sterium der Justiz verbunden gewesenen Ministeriums keine so eilige
Nothwendigkeit, daß man dieserhalb auf den ersten besten, der dießmal
gewiß der schlechteste, zu greifen nöthig gehabt hätte. Ueber die Be-
setzung des Kriegsministeriums verlautet noch nichts bestimmtes; es
heißt der Obristlieutenant Jacobi, gewiß der passendste, sey dazu be-
stimmt- aber dann wolle der geheime Kriegsrath Wedemeyer, Gene-
ralsecretär und Referent dieses Departements, seinen Abschied nehmen,
und dadurch würde gerade in diesem Augenblick wo den Zeitereignissen ge-
genüber das Kriegsdepartement vorzugsweise von Wichtigkeit und Be-
deutung ist, eine schwer auszufüllende Lücke entstehen. Die wunder-
baren von Berlin kommenden Nachrichten vermehren die Schwierigkeit
des Moments; dazu kommen auf dem platten Lande, namentlich in der
Nähe der Refidenz, zwar nicht eigentliche Bauernunruhen, doch wenig-
stens mancherlei Excesse. Unser Land besitzt -- Dank der Ablösungs-
ordnung von 1833, dem Werke Stüve's -- vielleicht den freiesten, reich-
sten und glücklichsten Bauernstand den es gibt, und so ist denn auch zu
eigentlichen Bauernunruhen nicht der mindeste Grund vorhanden. Aber
einzelne Beamte haben sich in büreaukratischem Dünkel so in Grobheit
übernommen, daß die Bauern den jetzigen Moment für geeignet gehal-
ten haben hie und da an einem solchen Beamten das Wiedervergeltungs-
recht zu üben. In mehreren Gegenden, bei Hameln, bei Landrau, bei
Peine, namentlich aber in Loccum haben solche Excesse stattgefunden, an
letzterem Orte in so starker Weise daß heute Nachmittag ein Extrazug
der Eisenbahn 150 Mann Cavallerie dorthin befördern mußte. -- Ueber
unsern sonst so starren und unbeugsamen Monarchen ist in den letzten
Wochen und Tagen, in Folge der ungeheuern Ereignisse die alles was
felsenhart und felsenfest schien wie schwaches Rohr zerbrachen, eine solche
Weichheit gekommen daß er zu allen und jeden Concessionen bereit und
willig ist (woher sich denn auch die ungebeten bewilligte Rückkehr zum
Staatsgrundgesetz erklärt), ja in den letzten Tagen soll König Ernst
August sogar von seiner Umgebung nur mit Mühe von der Absicht zu
resigniren und nach England zu gehen zurückgebracht worden seyn. Der
König ist daher auch weit entfernt Stüve'n solche Collegen wie die oben
erwähnten aufzudrängen; es ist aber eben nur des Königs Umgebung
die für die beiden in die Flucht geschlagenen Zwingherren, Büreaukratie
und Junkerthum, noch ein paar feste Positionen in Feindesland zu ret-
ten sucht, von denen aus dann später eine Wiederaufnahme des Kampfs
und Wiedergewinnung des verlorenen Terrains leichter möglich seyn
wird.

Preußen.

Die Ruhe der Stadt ist gestern
nicht gestört worden, abgesehen von einzelnen betrunkenen rohen Haufen
welche hie und da neckend oder drohend aufzogen. Der Sieg des Volkes
in Berlin wirkte beruhigend. Heute ist indessen die Aufregung wie ge-
stern; die Leute erwarten mit oder ohne Grund daß man in Berlin die
Republik proclamiren werde. Die angesessene Bürgerschaft ist nur zu
einem sehr geringen Theile dieser Richtung zugethan und bedacht durch
die errichtete Sicherheitsgarde Personen und Eigenthum zu schützen.
Der Abend ist hereingebrochen, und es steht so daß ein Funke großen
Brand stiften kann. Anneke, Willich und Dr. Gottschalk sind der Haft
entlassen, wie es amtlich heißt wegen Mangels an genügendem Beweise;
es hatten aber auch die Leiter der Aufregung die Entlassung verlangt.


Die Versammlung welche vorgestern Morgen
vor das Regierungsgebäude zog, sandte durch Deputation eine Adresse
an den König hinein, mit der Bitte an den Oberpräsidenten dieselbe
sofort auf das schleunigste nach Berlin zu befördern. Die Kölner
Bürger sprechen darin aus daß das königliche Patent keineswegs ihre
Wünsche und die Forderungen der Zeit befriedjgt. Es ist in der That,
außer dem Versprechen einer constitutionellen Verfassung, keine bestimmte
Zusage über die im übrigen Deutschland gewährten und auch bei uns so
sehnlich herbeigewünschten Volksrechte enthalten. Das Patent ist daher
in den Rheinlanden überall nur mit halber Freude aufgenommen. Der
Oberpräsident versprach aufs schnellste, wo möglich durch den Telegra-
phen, die Adresse nach Berlin zu befördern. Am Nachmittag zog eine
unermeßliche Menschenmenge nach dem Dom, auf dessen Thurm eine
riesige schwarz-roth-goldne Fahne aufgepflanzt ward. Es war in der
That ein feierlicher Augenblick. Die Glocken läuteten, "Was ist des
Deutschen Vaterland" ward gesungen, des Jubels war kein Ende. Es
war als hätte jeder erst jetzt ein Vaterland bekommen. Jeder trägt die
deutsche Cocarde. Seitdem sind schreckliche Nachrichten aus Berlin über
die Nacht vom 18 zum 19 eingelaufen. Als Beitrag zu den Berichten
gebe ich Ihnen einen der merkwürdigsten Zwischenfälle jener verhäng-
nißvollen Nacht aus sicherer Quelle. Der Frhr. v. Vincke war, seitdem
er sich auf dem Vereinigten Landtag an die Spitze der Rechtspartei ge-
stellt hatte, vom König mit sichtbarer Ungnade behandelt; er hatte ihm,
bei Einweihung des Denkmals zu Ruhrort zum Andenken an Vincke's
Vater, im eigentlichen Sinn den Rücken gedreht. Als die Dinge in
Berlin verhängnißvoll zu werden begannen, ward Hr. v. Vincke nach
Berlin berufen. Er fand die Hauptstadt in Aufstand vor. Schon hatte
der furchtbare Kampf den ganzen Nachmittag und Abend gewüthet, als
Vincke sich gegen 11 Uhr auf Zureden der Kölner Abgeordneten ent-
schloß auf das Schloß zu gehen und dem König Vorstellungen zu machen.
Er fand seinen Weg durch zahlreiche Cavallerie versperrt. Als er seinen
Namen nannte, ward er achtungsvoll zum Schlosse geführt; die Officiere
selbst schienen zu fühlen daß er der Mann des Augenblicks sey. Er
ward sogleich zum König geführt, den eine von Orden blinkende Gene-
ralität im Halbkreis umstand. Vincke trat im Reisekleid, die Mütze in
der Hand vor den König, und über sein Begehren freundlich befragt,
hielt er mit lautschallender Stimme eine kräftige Anrede an den König.
Er stellte demselben vor daß dieß beständige Feuern (Gewehr- und Ge-
schützsalven tönten fortwährend durch die Unheilsnacht) das Volk allzu-
sehr erbittern müsse, daß die Truppen ermüdet und ohne Erfrischung
wären, daß sie den Kampf nur noch wenige Stunden fortzusetzen im Stande
seyen, daß sie zuletzt erliegen werden. Hier versuchten einige Officiere
zu lachen. Vincke wandte sich gegen sie mit seinem bekannten scharfen
Blick, und wies sie zurecht: Wie dürfen Sie lachen, in Gegenwart
Sr. Maj., in einem solchen Augenblick? Der König suchte zu beschwich-
tigen: Die Herren werden wohl nicht gelacht haben. Aber Vincke sagt:
Ja, Ew. Maj. sie haben gelacht, diese beiden Herren haben gelacht! Ich
wünsche nur daß sie morgen um diese Stunde Ursache haben mögen zu
lachen! Er beschwor darauf den König die Truppen sofort zurückzuziehen:

Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 27 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutſchland.


Der Umſchwung der Dinge iſt hier
vollendet — Stüve iſt zum Miniſter ernannt und hat die Ernen-
nung angenommen. Geſtern ging eine Staffette an ihn nach Osna-
brück ab, geſtern Abend reiste Stüve von dort ab und traf hier heute
Morgen ein. Eines iſt zu beklagen, tief zu beklagen: daß man ihm
nicht freie Hand gelaſſen ein Miniſterium zu bilden, ſondern daß man
ihn nur in ein halbfertiges Miniſterium, das nicht ſein Werk iſt, ein-
treten läßt, ein Miniſterium das, aus übrigens perſönlich ſehr achtungs-
werthen Männern zuſammengeſetzt, dennoch den ungeſtümen Forderun-
gen des Moments nicht ganz entſpricht. Denn Junkerthum und Bu-
reaukratie find in demſelben ſo ſtark repräſentirt, daß das ganze wahrlich
ungeheuere Vertrauen dazu gehört welches das Land an den Namen
Stüve knüpft, um nicht von vornherein dieſes Miniſterium mit dem
entſchiedenſten Mißtrauen zu begrüßen. Stüve wird das Miniſterium
des Innern übernehmen, gewiß am zweckmäßigſten, obgleich er wohl
ebenſo ſehr dem der Finanzen, der Juſtiz und des Cultus gewachſen ſeyn
würde; das der Finanzen erhält der bisherige Schatzrath Lehzen, das
des Auswärtigen der Schatzrath Graf Bennigſen. So weit wäre alles
gut, aber nun kommen zwei Namen die viel verderben. Oberappella-
tionsrath v. Düring, der Vertheidiger des abſcheulichen Proceßgeſetzes
das hinwegzuräumen das erſte Geſchäft des Miniſteriums und der Stände
ſeyn wird, Oberappellationsrath v. Düring erhält das Juſtizminiſte-
rium; wo ſind, bei aller übrigen Trefflichkeit und Tüchtigkeit des
Hrn. v. Düring, da vertrauengebende Vorgänge? Hr. v. Düring hat
bisher in erſter Kammer gegen Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des
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lichkeit und Mündlichkeit ſeyn? Noch ſchlimmer faſt klingt ein anderer
Name des neuen Miniſteriums — Cabinetsrath Braun erhält das Mi-
niſterium der geiſtlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Cabinetsrath
Braun, Mitglied des bisherigen Cabinets, Günſtling und Zögling des
Hrn. v. Falcke, Cabinetsrath Braun der Verfaſſer des Polizeiſtrafge-
ſetzes, eines des bisherigen Syſtems durchaus würdigen Polizeiſtrafge-
ſetzes. Obendrein war die Beſetzung dieſes früher ſtets mit dem Mini-
ſterium der Juſtiz verbunden geweſenen Miniſteriums keine ſo eilige
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gewiß der ſchlechteſte, zu greifen nöthig gehabt hätte. Ueber die Be-
ſetzung des Kriegsminiſteriums verlautet noch nichts beſtimmtes; es
heißt der Obriſtlieutenant Jacobi, gewiß der paſſendſte, ſey dazu be-
ſtimmt- aber dann wolle der geheime Kriegsrath Wedemeyer, Gene-
ralſecretär und Referent dieſes Departements, ſeinen Abſchied nehmen,
und dadurch würde gerade in dieſem Augenblick wo den Zeitereigniſſen ge-
genüber das Kriegsdepartement vorzugsweiſe von Wichtigkeit und Be-
deutung iſt, eine ſchwer auszufüllende Lücke entſtehen. Die wunder-
baren von Berlin kommenden Nachrichten vermehren die Schwierigkeit
des Moments; dazu kommen auf dem platten Lande, namentlich in der
Nähe der Refidenz, zwar nicht eigentliche Bauernunruhen, doch wenig-
ſtens mancherlei Exceſſe. Unſer Land beſitzt — Dank der Ablöſungs-
ordnung von 1833, dem Werke Stüve’s — vielleicht den freieſten, reich-
ſten und glücklichſten Bauernſtand den es gibt, und ſo iſt denn auch zu
eigentlichen Bauernunruhen nicht der mindeſte Grund vorhanden. Aber
einzelne Beamte haben ſich in büreaukratiſchem Dünkel ſo in Grobheit
übernommen, daß die Bauern den jetzigen Moment für geeignet gehal-
ten haben hie und da an einem ſolchen Beamten das Wiedervergeltungs-
recht zu üben. In mehreren Gegenden, bei Hameln, bei Landrau, bei
Peine, namentlich aber in Loccum haben ſolche Exceſſe ſtattgefunden, an
letzterem Orte in ſo ſtarker Weiſe daß heute Nachmittag ein Extrazug
der Eiſenbahn 150 Mann Cavallerie dorthin befördern mußte. — Ueber
unſern ſonſt ſo ſtarren und unbeugſamen Monarchen iſt in den letzten
Wochen und Tagen, in Folge der ungeheuern Ereigniſſe die alles was
felſenhart und felſenfeſt ſchien wie ſchwaches Rohr zerbrachen, eine ſolche
Weichheit gekommen daß er zu allen und jeden Conceſſionen bereit und
willig iſt (woher ſich denn auch die ungebeten bewilligte Rückkehr zum
Staatsgrundgeſetz erklärt), ja in den letzten Tagen ſoll König Ernſt
Auguſt ſogar von ſeiner Umgebung nur mit Mühe von der Abſicht zu
reſigniren und nach England zu gehen zurückgebracht worden ſeyn. Der
König iſt daher auch weit entfernt Stüve’n ſolche Collegen wie die oben
erwähnten aufzudrängen; es iſt aber eben nur des Königs Umgebung
die für die beiden in die Flucht geſchlagenen Zwingherren, Büreaukratie
und Junkerthum, noch ein paar feſte Poſitionen in Feindesland zu ret-
ten ſucht, von denen aus dann ſpäter eine Wiederaufnahme des Kampfs
und Wiedergewinnung des verlorenen Terrains leichter möglich ſeyn
wird.

Preußen.

Die Ruhe der Stadt iſt geſtern
nicht geſtört worden, abgeſehen von einzelnen betrunkenen rohen Haufen
welche hie und da neckend oder drohend aufzogen. Der Sieg des Volkes
in Berlin wirkte beruhigend. Heute iſt indeſſen die Aufregung wie ge-
ſtern; die Leute erwarten mit oder ohne Grund daß man in Berlin die
Republik proclamiren werde. Die angeſeſſene Bürgerſchaft iſt nur zu
einem ſehr geringen Theile dieſer Richtung zugethan und bedacht durch
die errichtete Sicherheitsgarde Perſonen und Eigenthum zu ſchützen.
Der Abend iſt hereingebrochen, und es ſteht ſo daß ein Funke großen
Brand ſtiften kann. Anneke, Willich und Dr. Gottſchalk ſind der Haft
entlaſſen, wie es amtlich heißt wegen Mangels an genügendem Beweiſe;
es hatten aber auch die Leiter der Aufregung die Entlaſſung verlangt.


Die Verſammlung welche vorgeſtern Morgen
vor das Regierungsgebäude zog, ſandte durch Deputation eine Adreſſe
an den König hinein, mit der Bitte an den Oberpräſidenten dieſelbe
ſofort auf das ſchleunigſte nach Berlin zu befördern. Die Kölner
Bürger ſprechen darin aus daß das königliche Patent keineswegs ihre
Wünſche und die Forderungen der Zeit befriedjgt. Es iſt in der That,
außer dem Verſprechen einer conſtitutionellen Verfaſſung, keine beſtimmte
Zuſage über die im übrigen Deutſchland gewährten und auch bei uns ſo
ſehnlich herbeigewünſchten Volksrechte enthalten. Das Patent iſt daher
in den Rheinlanden überall nur mit halber Freude aufgenommen. Der
Oberpräſident verſprach aufs ſchnellſte, wo möglich durch den Telegra-
phen, die Adreſſe nach Berlin zu befördern. Am Nachmittag zog eine
unermeßliche Menſchenmenge nach dem Dom, auf deſſen Thurm eine
rieſige ſchwarz-roth-goldne Fahne aufgepflanzt ward. Es war in der
That ein feierlicher Augenblick. Die Glocken läuteten, „Was iſt des
Deutſchen Vaterland“ ward geſungen, des Jubels war kein Ende. Es
war als hätte jeder erſt jetzt ein Vaterland bekommen. Jeder trägt die
deutſche Cocarde. Seitdem ſind ſchreckliche Nachrichten aus Berlin über
die Nacht vom 18 zum 19 eingelaufen. Als Beitrag zu den Berichten
gebe ich Ihnen einen der merkwürdigſten Zwiſchenfälle jener verhäng-
nißvollen Nacht aus ſicherer Quelle. Der Frhr. v. Vincke war, ſeitdem
er ſich auf dem Vereinigten Landtag an die Spitze der Rechtspartei ge-
ſtellt hatte, vom König mit ſichtbarer Ungnade behandelt; er hatte ihm,
bei Einweihung des Denkmals zu Ruhrort zum Andenken an Vincke’s
Vater, im eigentlichen Sinn den Rücken gedreht. Als die Dinge in
Berlin verhängnißvoll zu werden begannen, ward Hr. v. Vincke nach
Berlin berufen. Er fand die Hauptſtadt in Aufſtand vor. Schon hatte
der furchtbare Kampf den ganzen Nachmittag und Abend gewüthet, als
Vincke ſich gegen 11 Uhr auf Zureden der Kölner Abgeordneten ent-
ſchloß auf das Schloß zu gehen und dem König Vorſtellungen zu machen.
Er fand ſeinen Weg durch zahlreiche Cavallerie verſperrt. Als er ſeinen
Namen nannte, ward er achtungsvoll zum Schloſſe geführt; die Officiere
ſelbſt ſchienen zu fühlen daß er der Mann des Augenblicks ſey. Er
ward ſogleich zum König geführt, den eine von Orden blinkende Gene-
ralität im Halbkreis umſtand. Vincke trat im Reiſekleid, die Mütze in
der Hand vor den König, und über ſein Begehren freundlich befragt,
hielt er mit lautſchallender Stimme eine kräftige Anrede an den König.
Er ſtellte demſelben vor daß dieß beſtändige Feuern (Gewehr- und Ge-
ſchützſalven tönten fortwährend durch die Unheilsnacht) das Volk allzu-
ſehr erbittern müſſe, daß die Truppen ermüdet und ohne Erfriſchung
wären, daß ſie den Kampf nur noch wenige Stunden fortzuſetzen im Stande
ſeyen, daß ſie zuletzt erliegen werden. Hier verſuchten einige Officiere
zu lachen. Vincke wandte ſich gegen ſie mit ſeinem bekannten ſcharfen
Blick, und wies ſie zurecht: Wie dürfen Sie lachen, in Gegenwart
Sr. Maj., in einem ſolchen Augenblick? Der König ſuchte zu beſchwich-
tigen: Die Herren werden wohl nicht gelacht haben. Aber Vincke ſagt:
Ja, Ew. Maj. ſie haben gelacht, dieſe beiden Herren haben gelacht! Ich
wünſche nur daß ſie morgen um dieſe Stunde Urſache haben mögen zu
lachen! Er beſchwor darauf den König die Truppen ſofort zurückzuziehen:

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[0017] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 27 März 1848. Deutſchland. * Hannover, 22 März. Der Umſchwung der Dinge iſt hier vollendet — Stüve iſt zum Miniſter ernannt und hat die Ernen- nung angenommen. Geſtern ging eine Staffette an ihn nach Osna- brück ab, geſtern Abend reiste Stüve von dort ab und traf hier heute Morgen ein. Eines iſt zu beklagen, tief zu beklagen: daß man ihm nicht freie Hand gelaſſen ein Miniſterium zu bilden, ſondern daß man ihn nur in ein halbfertiges Miniſterium, das nicht ſein Werk iſt, ein- treten läßt, ein Miniſterium das, aus übrigens perſönlich ſehr achtungs- werthen Männern zuſammengeſetzt, dennoch den ungeſtümen Forderun- gen des Moments nicht ganz entſpricht. Denn Junkerthum und Bu- reaukratie find in demſelben ſo ſtark repräſentirt, daß das ganze wahrlich ungeheuere Vertrauen dazu gehört welches das Land an den Namen Stüve knüpft, um nicht von vornherein dieſes Miniſterium mit dem entſchiedenſten Mißtrauen zu begrüßen. Stüve wird das Miniſterium des Innern übernehmen, gewiß am zweckmäßigſten, obgleich er wohl ebenſo ſehr dem der Finanzen, der Juſtiz und des Cultus gewachſen ſeyn würde; das der Finanzen erhält der bisherige Schatzrath Lehzen, das des Auswärtigen der Schatzrath Graf Bennigſen. So weit wäre alles gut, aber nun kommen zwei Namen die viel verderben. Oberappella- tionsrath v. Düring, der Vertheidiger des abſcheulichen Proceßgeſetzes das hinwegzuräumen das erſte Geſchäft des Miniſteriums und der Stände ſeyn wird, Oberappellationsrath v. Düring erhält das Juſtizminiſte- rium; wo ſind, bei aller übrigen Trefflichkeit und Tüchtigkeit des Hrn. v. Düring, da vertrauengebende Vorgänge? Hr. v. Düring hat bisher in erſter Kammer gegen Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens geſprochen — ſoll er, wird er, kann er jetzt für Oeffent- lichkeit und Mündlichkeit ſeyn? Noch ſchlimmer faſt klingt ein anderer Name des neuen Miniſteriums — Cabinetsrath Braun erhält das Mi- niſterium der geiſtlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Cabinetsrath Braun, Mitglied des bisherigen Cabinets, Günſtling und Zögling des Hrn. v. Falcke, Cabinetsrath Braun der Verfaſſer des Polizeiſtrafge- ſetzes, eines des bisherigen Syſtems durchaus würdigen Polizeiſtrafge- ſetzes. Obendrein war die Beſetzung dieſes früher ſtets mit dem Mini- ſterium der Juſtiz verbunden geweſenen Miniſteriums keine ſo eilige Nothwendigkeit, daß man dieſerhalb auf den erſten beſten, der dießmal gewiß der ſchlechteſte, zu greifen nöthig gehabt hätte. Ueber die Be- ſetzung des Kriegsminiſteriums verlautet noch nichts beſtimmtes; es heißt der Obriſtlieutenant Jacobi, gewiß der paſſendſte, ſey dazu be- ſtimmt- aber dann wolle der geheime Kriegsrath Wedemeyer, Gene- ralſecretär und Referent dieſes Departements, ſeinen Abſchied nehmen, und dadurch würde gerade in dieſem Augenblick wo den Zeitereigniſſen ge- genüber das Kriegsdepartement vorzugsweiſe von Wichtigkeit und Be- deutung iſt, eine ſchwer auszufüllende Lücke entſtehen. Die wunder- baren von Berlin kommenden Nachrichten vermehren die Schwierigkeit des Moments; dazu kommen auf dem platten Lande, namentlich in der Nähe der Refidenz, zwar nicht eigentliche Bauernunruhen, doch wenig- ſtens mancherlei Exceſſe. Unſer Land beſitzt — Dank der Ablöſungs- ordnung von 1833, dem Werke Stüve’s — vielleicht den freieſten, reich- ſten und glücklichſten Bauernſtand den es gibt, und ſo iſt denn auch zu eigentlichen Bauernunruhen nicht der mindeſte Grund vorhanden. Aber einzelne Beamte haben ſich in büreaukratiſchem Dünkel ſo in Grobheit übernommen, daß die Bauern den jetzigen Moment für geeignet gehal- ten haben hie und da an einem ſolchen Beamten das Wiedervergeltungs- recht zu üben. In mehreren Gegenden, bei Hameln, bei Landrau, bei Peine, namentlich aber in Loccum haben ſolche Exceſſe ſtattgefunden, an letzterem Orte in ſo ſtarker Weiſe daß heute Nachmittag ein Extrazug der Eiſenbahn 150 Mann Cavallerie dorthin befördern mußte. — Ueber unſern ſonſt ſo ſtarren und unbeugſamen Monarchen iſt in den letzten Wochen und Tagen, in Folge der ungeheuern Ereigniſſe die alles was felſenhart und felſenfeſt ſchien wie ſchwaches Rohr zerbrachen, eine ſolche Weichheit gekommen daß er zu allen und jeden Conceſſionen bereit und willig iſt (woher ſich denn auch die ungebeten bewilligte Rückkehr zum Staatsgrundgeſetz erklärt), ja in den letzten Tagen ſoll König Ernſt Auguſt ſogar von ſeiner Umgebung nur mit Mühe von der Abſicht zu reſigniren und nach England zu gehen zurückgebracht worden ſeyn. Der König iſt daher auch weit entfernt Stüve’n ſolche Collegen wie die oben erwähnten aufzudrängen; es iſt aber eben nur des Königs Umgebung die für die beiden in die Flucht geſchlagenen Zwingherren, Büreaukratie und Junkerthum, noch ein paar feſte Poſitionen in Feindesland zu ret- ten ſucht, von denen aus dann ſpäter eine Wiederaufnahme des Kampfs und Wiedergewinnung des verlorenen Terrains leichter möglich ſeyn wird. Preußen. 0 Köln, 21 März. Die Ruhe der Stadt iſt geſtern nicht geſtört worden, abgeſehen von einzelnen betrunkenen rohen Haufen welche hie und da neckend oder drohend aufzogen. Der Sieg des Volkes in Berlin wirkte beruhigend. Heute iſt indeſſen die Aufregung wie ge- ſtern; die Leute erwarten mit oder ohne Grund daß man in Berlin die Republik proclamiren werde. Die angeſeſſene Bürgerſchaft iſt nur zu einem ſehr geringen Theile dieſer Richtung zugethan und bedacht durch die errichtete Sicherheitsgarde Perſonen und Eigenthum zu ſchützen. Der Abend iſt hereingebrochen, und es ſteht ſo daß ein Funke großen Brand ſtiften kann. Anneke, Willich und Dr. Gottſchalk ſind der Haft entlaſſen, wie es amtlich heißt wegen Mangels an genügendem Beweiſe; es hatten aber auch die Leiter der Aufregung die Entlaſſung verlangt. ☉ Köln, 22 März. Die Verſammlung welche vorgeſtern Morgen vor das Regierungsgebäude zog, ſandte durch Deputation eine Adreſſe an den König hinein, mit der Bitte an den Oberpräſidenten dieſelbe ſofort auf das ſchleunigſte nach Berlin zu befördern. Die Kölner Bürger ſprechen darin aus daß das königliche Patent keineswegs ihre Wünſche und die Forderungen der Zeit befriedjgt. Es iſt in der That, außer dem Verſprechen einer conſtitutionellen Verfaſſung, keine beſtimmte Zuſage über die im übrigen Deutſchland gewährten und auch bei uns ſo ſehnlich herbeigewünſchten Volksrechte enthalten. Das Patent iſt daher in den Rheinlanden überall nur mit halber Freude aufgenommen. Der Oberpräſident verſprach aufs ſchnellſte, wo möglich durch den Telegra- phen, die Adreſſe nach Berlin zu befördern. Am Nachmittag zog eine unermeßliche Menſchenmenge nach dem Dom, auf deſſen Thurm eine rieſige ſchwarz-roth-goldne Fahne aufgepflanzt ward. Es war in der That ein feierlicher Augenblick. Die Glocken läuteten, „Was iſt des Deutſchen Vaterland“ ward geſungen, des Jubels war kein Ende. Es war als hätte jeder erſt jetzt ein Vaterland bekommen. Jeder trägt die deutſche Cocarde. Seitdem ſind ſchreckliche Nachrichten aus Berlin über die Nacht vom 18 zum 19 eingelaufen. Als Beitrag zu den Berichten gebe ich Ihnen einen der merkwürdigſten Zwiſchenfälle jener verhäng- nißvollen Nacht aus ſicherer Quelle. Der Frhr. v. Vincke war, ſeitdem er ſich auf dem Vereinigten Landtag an die Spitze der Rechtspartei ge- ſtellt hatte, vom König mit ſichtbarer Ungnade behandelt; er hatte ihm, bei Einweihung des Denkmals zu Ruhrort zum Andenken an Vincke’s Vater, im eigentlichen Sinn den Rücken gedreht. Als die Dinge in Berlin verhängnißvoll zu werden begannen, ward Hr. v. Vincke nach Berlin berufen. Er fand die Hauptſtadt in Aufſtand vor. Schon hatte der furchtbare Kampf den ganzen Nachmittag und Abend gewüthet, als Vincke ſich gegen 11 Uhr auf Zureden der Kölner Abgeordneten ent- ſchloß auf das Schloß zu gehen und dem König Vorſtellungen zu machen. Er fand ſeinen Weg durch zahlreiche Cavallerie verſperrt. Als er ſeinen Namen nannte, ward er achtungsvoll zum Schloſſe geführt; die Officiere ſelbſt ſchienen zu fühlen daß er der Mann des Augenblicks ſey. Er ward ſogleich zum König geführt, den eine von Orden blinkende Gene- ralität im Halbkreis umſtand. Vincke trat im Reiſekleid, die Mütze in der Hand vor den König, und über ſein Begehren freundlich befragt, hielt er mit lautſchallender Stimme eine kräftige Anrede an den König. Er ſtellte demſelben vor daß dieß beſtändige Feuern (Gewehr- und Ge- ſchützſalven tönten fortwährend durch die Unheilsnacht) das Volk allzu- ſehr erbittern müſſe, daß die Truppen ermüdet und ohne Erfriſchung wären, daß ſie den Kampf nur noch wenige Stunden fortzuſetzen im Stande ſeyen, daß ſie zuletzt erliegen werden. Hier verſuchten einige Officiere zu lachen. Vincke wandte ſich gegen ſie mit ſeinem bekannten ſcharfen Blick, und wies ſie zurecht: Wie dürfen Sie lachen, in Gegenwart Sr. Maj., in einem ſolchen Augenblick? Der König ſuchte zu beſchwich- tigen: Die Herren werden wohl nicht gelacht haben. Aber Vincke ſagt: Ja, Ew. Maj. ſie haben gelacht, dieſe beiden Herren haben gelacht! Ich wünſche nur daß ſie morgen um dieſe Stunde Urſache haben mögen zu lachen! Er beſchwor darauf den König die Truppen ſofort zurückzuziehen:

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine87_1848/17>, abgerufen am 21.11.2024.