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Allgemeine Zeitung, Nr. 90, 2. April 1900.

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Nr. 90. München, Montag Allgemeine Zeitung 2. April 1900.
[Spaltenumbruch]
Frankreich

Joailland in Goullet. Major Gentil hoffte mit ihm etwa
am 24. Februar zusammenzutreffen. Oberst Lamy befand
sich am 15. Januar in Amu-Dugu, zwei Tagemärsche vom
Tschad-See entfernt.

Esterhazy spricht.

Der "brave Major" hat nach
der "Aurore" dem französischen Generalkonsul in London
gestanden, er sei der Verbrechen des Hochverraths, der
Schriftensälschung, der Erpressung etc., allerdings auf aus-
drücklichen Befehl und für Rechnung der obersten Führer des
Heeres, schuldig. Außerhalb der Dreyfus-Affaire klagt Esterhazy
sich einer Reihe von Schriftenfälschungen an, die er als Major
eines Infanterie-Regiments während eines Zeitraums von
drei Jahren zu dem Zwecke der Veruntrenung öffent-
licher Gelder
"auf Befehl des Korpsbefehlshabers und
im sträflichen Einvernehmen mit der Intendantur" begangen
hat. Schließlich bespricht Esterhazy das nationalistische
Komplott von Renilly. Er hat dem Generalkonsul die schrift-
lichen Beweise einer Abrede zwischen Deroulede und dem
General Roget gezeigt.

Italien.
Präsidentschaftskrisis.

Als am 18. November 1899
Colombo Kammerpräsident wurde, da wies ich darauf
hin, daß er den Eigenwillen des zielbewußten Lombarden in
hohem Maß besitzt, daß er aus zwei Ministerien mit dem
Moment ausschied, in dem er nicht mehr glaubte fruchtbar
arbeiten zu können. So hat er heute auch als Kammer-
präsident gehandelt. Nach vier Monaten einer Geschäfts-
führung, deren Vortrefflichkeit auf allen Seiten anerkannt
worden war, gerieth er am 29. März mit der Obstruktion
in einen so heftigen Konflikt, daß sie ihm am 30. März durch
ihr Toben die Eröffnung der Sitzung überhaupt unmöglich
machte. Sofort hat er sich, nachdem er mit Eiseskälte den
Sturm der Beschimpfungen hatte über sich ergehen lassen, die
Frage vorgelegt, ob er noch weiter nutzbringend für das
Parlament das leisten könne, was er bisher leistete. Ange-
sichts der verneinenden Antwort opfert er, ohne einen
Augenblick zu zögern, das Amt und sich und tritt
zurück, gefolgt von allen Mitgliedern des Kammer-
präsidiums. Die Vizepräsidenten Gianturco, Gallo, Palberti,
de Riseis, die acht Schriftführer und die beiden Quästoren
haben gleichfalls in der heutigen Sitzung demissionirt. Nun
ist für eine neue Leitung der Parlamentsgeschäfte freie Bahn
geschaffen, und obwohl kaum ein besserer Präsident kommen
kann, so würde doch mit jedem Anderen ein akuter Kon-
flikt verschwunden sein. Schon auf den 2. April ist die Neu-
wahl anberaumt. Natürlich steht jetzt wenige Stunden nach
der Demission nichts fest. Als sehr wahrscheinlich muß es
aber gelten, daß Colombo zunächst von der Mehrheit wieder-
gewählt wird, um ihm Sympathie zu bezeigen, und daß sich
nach seiner Ablehnung Alles auf Bianchiri einigt, für den
die Opposition schon im ersten Wahlgang stimmen dürfte.
Nicht unmöglich ist freilich auch eine Sessionsvertagung noch
vor der Neuwahl.

Rußland.
Transbaikal-Bahn.

Tel. (Meldung der Russi-
schen Telegraphen-Agentur.) Nach erfolgter Prüfung wurde
die Brücke über den Fluß Selenga am 27. März dem
Verkehr übergeben;
das Hinderniß auf der Transbaikal-
Bahn für den direkten Verkehr zwischen Baikal und Stretensk
ist damit beseitigt.

Rumänien.
Ausweisungen aus Rumänien.

* Infolge des Mordes an dem angeblichen türkischen
Spion Fitowski in Bukarest sind nach einer Mittheilung
aus Sofia zahlreiche bulgarische Studenten unter der
Beschuldigung der Betheiligung an der makedonischen ge-
heimen Propaganda aus Rumänien ausgewiesen worden.
Die Gemaßregelten haben nun einen Appell an die bulgarischen
Bürger und Studenten in Sofia gerichtet, worin Letztere
aufgefordert werden, für ihre, wie sie versichern, mit Unrecht
beschuldigten Landsleute jenseit der Donau einzutreten.

Bulgarien.
Die Demission des Handelsministers Ratschewitsch.

Nachrichten, welche der offizielle
Draht aus Bulgarien hinausgibt, enthalten nur dann eine
Wahrheit, wenn es sich um ein Tedeum, eine Hoffestlichkeit
und dergleichen handelt. Alle anderen von Amts wegen
hinausgesendeten Telegramme sind nach Landessitte auf Irre-
führung berechnet. Wenn die Agence Telegraphique Bulgare
meldet, daß die "Gerüchte" von einer Demission des Handels-
ministers Natschewitsch "vollständig unbegründet" sind, so
ist das eine krasse Fälschung der Thatsachen. Natschewitsch
hatte nicht nur bereits seinen Rücktritt angeboten, sondern
hatte auch schon seine Amtsführung niedergelegt. Nachdem
dies geschehen war, erschien er allerdings auf spezielle Bitte
des Ministerpräsidenten im Ministerrathe, wo dann zum Er-
staunen aller Welt die Differenzen ausgeglichen wurden. Be-
gründet hatte Natschewitsch seine Demission mit dem Hinweise
darauf, daß er, als Minister, über die Ankunft des russischen
Finanzdelegirten Kobeko nicht im voraus informirt gewesen
sei. Er forderte im Ministerrath Aufklärungen. Minister-
präsident Iwantschow legte dar, es sei nichts vorgegangen,
was mit der bisherigen Politik der jetzigen Regierung im
Widerspruch stehe; Natschewitsch möge doch, ehe er sich end-
gültig zum Gehen entscheide, abwarten, ob sich etwa aus der
Mission Kobeko's ihm unliebsame Folgerungen ergeben; vor-
läufig könne der Ministerpräsident versichern, daß von einer
Absicht, irgendwelche Konventionen mit Rußland ab-
zuschließen oder Bulgarien unabhängig zu erklären, bis auf
weiteres nicht die Rede sei. Natschewitsch ließ sich hiedurch
bestimmen, im Kabinet zu verbleiben. Böse Zungen behaupten,
der eigentliche Grund der plötzlichen Amtsmüdigkeit des Han-
delsministers hänge mit der hohen Politik, die zum Vorwand
genommen wurde, nicht zusammen. Natschewitsch habe sich
bloß darüber geärgert, daß nicht er, sondern der gewesene
diplomatische Agent Bulgariens in Athen, Dimitriew, zum
Generalkommissär Bulgariens für die Pariser Weltaus-
stellung
ernannt worden sei; nachdem man ihm aber zu-
gesagt hatte, daß auch er in offizieller Eigenschaft nach Paris
fahren dürfe, habe er das Demissionsgesuch zurückgezogen.

Türkisches Reich.
Syrische Eisenbahnen.

* Bekanntlich ist seit längerer Zeit eine Aktion der fran-
zösischen Regierung
im Zuge, die auf die Erwerbung
[Spaltenumbruch] von Konzessionen für den Bau von Eisenbahnen in
Syrien
abzielt. Wie man jetzt aus Konstantinopel meldet,
steht die Erfüllung der französischen Wünsche seitens der
Pforte unmittelbar bevor.

China.
Bestrafung von Uebelthätern.

Tel. Zur Sühne für den ermor-
deten englischen Missionär Brooks wurden jetzt zwei der
Mörder enthauptet, einer zu lebenslänglichem, einer zu zehn
Jahren und einer zu zwei Jahren Gefängniß verurtheilt.
Ferner soll auf Kosten der chinesischen Regierung eine Ge-
dächtnißkapelle
mit einer Sühnetafel am Schauplatze der
Ermordung, sowie eine Gedenktafel in der Kathedrale zu
Canterbury angebracht werden. Nach den letzten Berichten
aus den durch die geheime Gesellschaft der "Boxers" in Un-
ruhe versetzten Bezirken war das Land ruhiger, wahrscheinlich
da die durch den Winter veranlaßte Arbeitslosigkeit der Be-
völkerung jetzt ihr Ende erreicht hat.



Das Festbanket im Künstlerhause.

"Der Geschmack für die schönen Künste setzt eine ge-
wisse Verachtung des Geldes, eine gewisse Unbekümmert-
heit um die häuslichen Angelegenheiten, eine gewisse
Anomalie der Denkthätigkeit, einen gewissen Hang zum
Absonderlichen und Ueberschwänglichen voraus, alles
Dinge, die heute immer mehr abnehmen.... Man hält
gelehrte Abhandlungen, man prüft, man fühlt wenig,
man vernünstelt viel, man mißt alles gewissenhaft an dem
Maßstab der Logik, der Methode und selbst der Wahrheit."

Diese Worte schrieb um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts der Franzose Diderot. Wer aber wollte leugnen,
daß sie mit demselben Recht auf die Verhältnisse der
Gegenwart anzuwenden sind? Und nicht nur auf die
Gegenwart, sondern auch auf die Zukunft. Denn "immer
gleich bleibt sich das Volk der Erdenpilger", und zu allen
Zeiten gab es und wird es große Künstler geben, die
anders sind, wie die Anderen, und nüchterne Alltags-
menschen, die nicht verstehen wollen, daß Genialität und
praktische Denkweise unversöhnliche Gegensätze bilden.

Es möge mir freundlichst verziehen werden, daß ich
meinen Bericht über das Festbanket zur Eröffnung des
Künstlerhauses mit der obigen Betrachtung einleitete.
Deute ich damit doch reumüthig an, daß ich leider zu
Jenen gehöre, die nicht imstande sind, all und jede Be-
thätigung genialischer Veranlagung, sobald sie mit den
harten Nothwendigkeiten des täglichen Lebens in Konflikt
geräth, für unfehlbar zu erklären -- ein psychischer Defekt,
der eher Mitleid als Tadel verdient. Allerdings zwingt
die Wahrheisliebe mich andrerseits, wie ich gleich vorweg
nehmen will, zu dem Eingeständniß, daß der Verlauf der
Feier mich völlig vergessen ließ, was alles vorgegangen
ist, bis endlich schmetternde Fanfaren einer erlesenen Fest-
versammlung verkündeten, daß mit dem Höhepunkt des
Eröffnungsaktes der Augenblick eingetreten war, der der
Münchener Künstlerschaft ein eigenes, stimmungsvoll aus-
gestattetes Heim übergab. Denn es war in der That wie
ein Märchen aus alter Zeit, was man da erlebte, ein
Märchen, das die Schilderungen der in schwungvollen
Festberichten schwelgenden Dürer-Periode ins Leben zu-
rückrief. Ob etwas derartiges, ob eine solche Vereinigung
von wahrhaft künstlerischen Genüssen irgendwo anders,
als in München geboten zu werden vermag? Vielleicht
haben die nicht ganz Unrecht, die da meinen, zwischen
der eingangs erwähnten "genialen" Auffassung gewisser
Angelegenheiten des realen Lebens und der Möglichkeit,
Dinge, wie jenes Festbankett zustande zu bringen, bestehe
ein logischer Zusammenhang. Schade, schade, daß die
Theilnehmer am Festmahl nicht auch im Kostüm erschienen
waren. Entgegenkommender hatten sich die Damen ge-
zeigt, von denen einzelne durch ihre stilgerechte Gewan-
dung darthaten, daß die "gute alte Zeit" in der
Toillettenfrage keineswegs an Regungen krankte, wie
sie in manchen Reden zur lex Heinze einen so pla-
stischen Ausdruck gefunden haben. Der dekorativen
Ausstattung der neun Tafeln entsprach vor allem die
äußere Erscheinung der Speisenträger. Hatten die vier
Trompeter durch den Mund ihrer Instrumente kundgethan,
daß ein neuer Akt des kulinarischen Schauspiels begann,
hatten die Herolde mit würdevoller Bewegung ihre Stäbe
niedergestoßen, um die Aufmerksamkeit der Gäste auf das
Kommende zu lenken, so zog ein schier endloser Zug von
prächtig gewandeten Dienern zur Pforte hinein, angeführt
von Mohren, die auf einer Tragbahre das zu dem be-
tressenden Gang gehörige Schaugericht trugen. Mit
schnellem Sprung eilte dann der Hofnarr (Hr. Heiden)
hinzu, um zu diesen ebenso kunstvoll wie sinnig kom-
ponirten Schaugerichten mit kernigem Humor in selbst-
verfaßten Reimen die nöthigen Erläuterungen zu geben.
Und die Beschaffenheit der Speisen selbst? Nun, ich ge-
stehe, bei aller Hochachtung vor der Münchener Kochkunst,
daß ich hierselbst noch niemals so gut gegessen habe. Vom
Kaviar über den Fisch, die Langusten, die Hühner hinweg
bis zum Dessert war alles, was die reiche Speisensolge
bot, erstklassig, und den Speisen entsprachen die Weine.
Da aber unter dem Einfluß gediegener Kost selbst das
Herz des Menschenfeindes sich zu erweichen pflegt, war es
weiter nicht verwundersam, daß die Stimmung der Ver-
sammelten sich von Minute zu Minute hob.

Im Einklang mit dem sonstigen Charakter des Festes
standen vor allem auch die Darbietungen musikalischer
Art. Das Moderne war verpönt, und nur zum Schluß,
nachdem die Tafel aufgehoben war, ertönten die flotten
Klänge eines Straußwalzers. Sonst beherrschten die Ver-
treter der musikalischen Vergangenheit das Repertoire,
und Fagott und Clarino, die so lange Zeit eine führende
Rolle in der Instrumentation führten, kamen wieder zu
Ehren. Dazwischen gab es musikalische Ueberraschungen
vokaler Art; ein Kinderchor mit Orchester begrüßte
Münchens Künstlerschaft, ein Gefolge lieblicher Jungfrauen
zog singend zur Saalpforte herein, umringte die halbkreis-
förmige Tafel der Festvorsitzenden und Ehrengäste, kredenzte
Sr. kgl. Hoh. dem Prinzen Rupprecht einen Pokal
herrlichen Rheinweines, der von den übrigen Festtheil-
nehmern in epheuumrankten Römern getrunken wurde,
und drückte, während Hr. Laeverrenz einen poetischen,
von Becker verfaßten "Dank an die Meister", die Schöpfer
des Künstlerhauses Seidl und Lenbach vortrug, dem
Letzteren einen Lorberkranz auf die Stirn. Auch der Vor-
trag eines Männerchores erntete reichen und verdienten
[Spaltenumbruch] Beifall An offiziellen Reden waren nur zwei zu ver-
zeichnen. Hr. v. Lenbach begrüßte die Anwesenden, in-
dem er folgendes ausführte:

"Königliche Hoheit! Hohe Festversammlung!

Mit Freude und Stolz erfüllt es mich, am heutigen Fest
im Namen der Münchner Künstlerschaft eine so erlauchte und
auserlesene Versammlung begrüßen zu dürfen. Vor allem
begrüße ich in Ehrfurcht den Vertreter Sr. kgl. Hoheit des
Prinz-Regenten, des erhabenen Prinzen, in dem der hohe
Sinn für Kunst, der das Haus Wittelsbach seit Jahrhunderten
auszeichnet, sich im vollsten Maß weitervererbt hat. Ich be-
grüße mit Stolz die hohen Vertreter auswärtiger Staaten an
unserm königlichen Hof; ich begrüße mit Freuden die Spitzen
der hohen Staatsregierung, der Stadt, der Kunst und Wissen-
schaft, und im Kreise edler Frauen alle unsre Gönner und
Freunde.

Wenn München mit Recht die hohe Stellung unter den
Kunststädten der Welt einnimmt, so verdankt es diesen Ruf
vor allem seinem Fürstenhause, das, soweit seine Geschichte zu
verfolgen, selbst durch die rauhesten Kriegszeiten hindurch, die
Blume der Kunst zum Blühen brachte und ihre Früchte segen-
bringend im Lande vertheilte. Die heutige Münchener Kunst,
und ich darf dies wohl ohne Uebertreibung sagen, ein gut
Theil der deutschen Kunst, ruht auf den Grundlagen, die
Ludwig I. gelegt hat. Auf Schritt und Tritt werden wir an
diesen Genius erinnert, dessen würdigen Sohn, unsern erhabenen
Prinz-Regenten, wir als hochherzigen Freund der Kunst und
Künstler heute vor allem feiern dürfen. Die rührenden Worte,
mit welchen Se. kgl. Hoheit vor kaum zwei Tagen die Ein-
weihung dieses Hauses vollzogen hat, klingen noch heute in
uns nach und werden in unsern Herzen für ewig tief ein-
gegraben sein.

Im Namen der Künstlerschaft München bitte ich den
Durchlauchtigsten Vertreter Sr. kgl. Hoheit unsers aller-
gnädigsten Herrn, den Gefühlen dankbarster Verehrung und
Ehrfurcht Ausdruck geben zu dürfen in dem Rufe: Se. kgl.
Hoheit, Prinz-Regent Luitpold von Bayern lebe hoch!"


Hierauf erwiderte Prinz Rupprecht:

In Vertretung meines durchlauchtigsten Herrn Groß-
vaters zu der festlich geschmückten Feier entsendet, danke ich Ihnen
in seinem Namen für die ihm erwiesene Huldigung. Von alters-
her war es die größte Freude und der größte Stolz der Wittels-
bacher, wenn sie, nicht vergessend der realen Forderungen des
Augenblicks, stets das Ideale hochhielten, und diese Gesinnung
beseelt auch als väterliches Erbgut unsern Regenten. Ihnen
aber, den Führern, die Sie seine Bestrebungen zu unter-
stützen bereit sind, und mit allseitiger Thätigkeit und auf-
opferndem Zusammenwirken den schönen Erfolg erzielten, den
wir hier in diesen herrlichen Räumen vor uns sehen, Ihnen
rufe ich meinen Dank zu mit den Worten: Die Künstlerschaft
Münchens, alle warmen Freunde und großmüthigen Förderer
der Kunst, sie leben hoch!"

Erst nach 10 Uhr fand der offizielle Festakt sein Ende.



Letzte Nachrichten.

Tel. Der badische Handels-
tag
nahm in seiner gestrigen Sitzung eine Resolution
an, welche besagt, daß der Handelstag sich für die Ge-
nehmigung des dem Deutschen Reichstag unterbreiteten
neuesten Flottengesetzentwurfs ausspricht, und be-
tont, durch Annahme dieser Vorlage werde die Sicherheit
unsres Vaterlandes und die friedliche Entwicklung seiner
Interessen gefördert, sowie die Ehre und die Macht-
stellung Deutschlands auch für die Zukunft gewahrt werden.

Tel. Die Staatseinnahmen
weisen für das abgelaufene Vierteljahr ein Anwachsen um
7,462,801 Pfd. St. und für die letzten zwölf Monate eine
Steigerung von 11,899,277 Pfd. St. auf.

Tel. Die britischen Kreuzer "Erisk"
und "Hermion" sind in Taku (China) eingetroffen.

Tel. Die Staatseinkünfte
im März 1900 betragen 48,26,837 Doll. und die Ausgaben
32,167,000 Doll.



Verschiedenes.

Seit gestern herrscht hier
anhaltend starker Schneefall. Der Verkehr in der Stadt
ist sehr erschwert. Die Telephonverbindung mit Oberschlesien
ist unterbrochen.

Das "Fremdenblatt" meldet:
Das Obersthofmeisteramt genehmigte das Entlassungsgesuch
Hans Richters als Hofkapellmeister und betraute den neu-
ernannten Vize-Hofkapellmeister Hellmesberger mit der
Leitung der Hofkapelle.

Seit gestern herrscht hier
Thauwetter; der Tramway- und Omnibusverkehr ist jedoch
stellenweise noch unterbrochen. -- Aus Böhmen und Mähren
wird vielfach starker Schneefall gemeldet; der Eisenbahn-
verkehr ist stellenweise infolge der Schneeverwehung eingestellt
oder unterbrochen.

Tel. Um Mitternacht trat hier
wiederum anhaltender Schneefall ein.

Tel. Während der Probefahrt
eines neuerbauten Torpedoboots platzte das Kessel-
rohr.
Fünf Leute erlitten schwere Brandwunden. Einer der
Verletzten stürzte sich, von Schmerz getrieben, ins Meer und
ertrank. Zwei der Verunglückten starben alsbald.



Theater-Anzeiger.
Dienstag, den 3. April.
Kgl. Hof- und Nationaltheater.

Aida. Oper in vier Auf-
zügen von Guiseppe Verdi. Personen: Der König: Hr. Klöpfer. --
Amneris, seine Tochter: Frl. Frank. -- Aida: Frl. Morena.
-- Radames, Feldherr: Hr. Mikorey. -- Ramphis, Oberpriester:
Hr. Sieglitz. -- Amonasro, König von Aethiopien und Vater Aida's:
Hr. Bauberger. -- Ein Bote: Hr. Kellerer. -- Eine Priesterin:
Frl. Elise Sigler. --Aufang 7 Uhr, Ende 10 Uhr.

Theater am Gärtnerplatz.

Die Dame von Marim. Anfang
halb 8 Uhr.

Münchener Schauspielhaus.

Gastspiel Georg Engels: Gold-
grube.
Anfang halb 8 Uhr.

Münchener Volkstheater.

Französtsche Vorstellung. Anfang
8 Uhr.



[irrelevantes Material]
Nr. 90. München, Montag Allgemeine Zeitung 2. April 1900.
[Spaltenumbruch]
Frankreich

Joailland in Goullet. Major Gentil hoffte mit ihm etwa
am 24. Februar zuſammenzutreffen. Oberſt Lamy befand
ſich am 15. Januar in Amu-Dugu, zwei Tagemärſche vom
Tſchad-See entfernt.

Eſterhazy ſpricht.

Der „brave Major“ hat nach
der „Aurore“ dem franzöſiſchen Generalkonſul in London
geſtanden, er ſei der Verbrechen des Hochverraths, der
Schriftenſälſchung, der Erpreſſung ꝛc., allerdings auf aus-
drücklichen Befehl und für Rechnung der oberſten Führer des
Heeres, ſchuldig. Außerhalb der Dreyfus-Affaire klagt Eſterhazy
ſich einer Reihe von Schriftenfälſchungen an, die er als Major
eines Infanterie-Regiments während eines Zeitraums von
drei Jahren zu dem Zwecke der Veruntrenung öffent-
licher Gelder
„auf Befehl des Korpsbefehlshabers und
im ſträflichen Einvernehmen mit der Intendantur“ begangen
hat. Schließlich beſpricht Eſterhazy das nationaliſtiſche
Komplott von Renilly. Er hat dem Generalkonſul die ſchrift-
lichen Beweiſe einer Abrede zwiſchen Déroulède und dem
General Roget gezeigt.

Italien.
Präſidentſchaftskriſis.

Als am 18. November 1899
Colombo Kammerpräſident wurde, da wies ich darauf
hin, daß er den Eigenwillen des zielbewußten Lombarden in
hohem Maß beſitzt, daß er aus zwei Miniſterien mit dem
Moment ausſchied, in dem er nicht mehr glaubte fruchtbar
arbeiten zu können. So hat er heute auch als Kammer-
präſident gehandelt. Nach vier Monaten einer Geſchäfts-
führung, deren Vortrefflichkeit auf allen Seiten anerkannt
worden war, gerieth er am 29. März mit der Obſtruktion
in einen ſo heftigen Konflikt, daß ſie ihm am 30. März durch
ihr Toben die Eröffnung der Sitzung überhaupt unmöglich
machte. Sofort hat er ſich, nachdem er mit Eiſeskälte den
Sturm der Beſchimpfungen hatte über ſich ergehen laſſen, die
Frage vorgelegt, ob er noch weiter nutzbringend für das
Parlament das leiſten könne, was er bisher leiſtete. Ange-
ſichts der verneinenden Antwort opfert er, ohne einen
Augenblick zu zögern, das Amt und ſich und tritt
zurück, gefolgt von allen Mitgliedern des Kammer-
präſidiums. Die Vizepräſidenten Gianturco, Gallo, Palberti,
de Riſeis, die acht Schriftführer und die beiden Quäſtoren
haben gleichfalls in der heutigen Sitzung demiſſionirt. Nun
iſt für eine neue Leitung der Parlamentsgeſchäfte freie Bahn
geſchaffen, und obwohl kaum ein beſſerer Präſident kommen
kann, ſo würde doch mit jedem Anderen ein akuter Kon-
flikt verſchwunden ſein. Schon auf den 2. April iſt die Neu-
wahl anberaumt. Natürlich ſteht jetzt wenige Stunden nach
der Demiſſion nichts feſt. Als ſehr wahrſcheinlich muß es
aber gelten, daß Colombo zunächſt von der Mehrheit wieder-
gewählt wird, um ihm Sympathie zu bezeigen, und daß ſich
nach ſeiner Ablehnung Alles auf Bianchiri einigt, für den
die Oppoſition ſchon im erſten Wahlgang ſtimmen dürfte.
Nicht unmöglich iſt freilich auch eine Seſſionsvertagung noch
vor der Neuwahl.

Rußland.
Transbaikal-Bahn.

Tel. (Meldung der Ruſſi-
ſchen Telegraphen-Agentur.) Nach erfolgter Prüfung wurde
die Brücke über den Fluß Selenga am 27. März dem
Verkehr übergeben;
das Hinderniß auf der Transbaikal-
Bahn für den direkten Verkehr zwiſchen Baikal und Stretensk
iſt damit beſeitigt.

Rumänien.
Ausweiſungen aus Rumänien.

* Infolge des Mordes an dem angeblichen türkiſchen
Spion Fitowski in Bukareſt ſind nach einer Mittheilung
aus Sofia zahlreiche bulgariſche Studenten unter der
Beſchuldigung der Betheiligung an der makedoniſchen ge-
heimen Propaganda aus Rumänien ausgewieſen worden.
Die Gemaßregelten haben nun einen Appell an die bulgariſchen
Bürger und Studenten in Sofia gerichtet, worin Letztere
aufgefordert werden, für ihre, wie ſie verſichern, mit Unrecht
beſchuldigten Landsleute jenſeit der Donau einzutreten.

Bulgarien.
Die Demiſſion des Handelsminiſters Ratſchewitſch.

Nachrichten, welche der offizielle
Draht aus Bulgarien hinausgibt, enthalten nur dann eine
Wahrheit, wenn es ſich um ein Tedeum, eine Hoffeſtlichkeit
und dergleichen handelt. Alle anderen von Amts wegen
hinausgeſendeten Telegramme ſind nach Landesſitte auf Irre-
führung berechnet. Wenn die Agence Télégraphique Bulgare
meldet, daß die „Gerüchte“ von einer Demiſſion des Handels-
miniſters Natſchewitſch „vollſtändig unbegründet“ ſind, ſo
iſt das eine kraſſe Fälſchung der Thatſachen. Natſchewitſch
hatte nicht nur bereits ſeinen Rücktritt angeboten, ſondern
hatte auch ſchon ſeine Amtsführung niedergelegt. Nachdem
dies geſchehen war, erſchien er allerdings auf ſpezielle Bitte
des Miniſterpräſidenten im Miniſterrathe, wo dann zum Er-
ſtaunen aller Welt die Differenzen ausgeglichen wurden. Be-
gründet hatte Natſchewitſch ſeine Demiſſion mit dem Hinweiſe
darauf, daß er, als Miniſter, über die Ankunft des ruſſiſchen
Finanzdelegirten Kobeko nicht im voraus informirt geweſen
ſei. Er forderte im Miniſterrath Aufklärungen. Miniſter-
präſident Iwantſchow legte dar, es ſei nichts vorgegangen,
was mit der bisherigen Politik der jetzigen Regierung im
Widerſpruch ſtehe; Natſchewitſch möge doch, ehe er ſich end-
gültig zum Gehen entſcheide, abwarten, ob ſich etwa aus der
Miſſion Kobeko’s ihm unliebſame Folgerungen ergeben; vor-
läufig könne der Miniſterpräſident verſichern, daß von einer
Abſicht, irgendwelche Konventionen mit Rußland ab-
zuſchließen oder Bulgarien unabhängig zu erklären, bis auf
weiteres nicht die Rede ſei. Natſchewitſch ließ ſich hiedurch
beſtimmen, im Kabinet zu verbleiben. Böſe Zungen behaupten,
der eigentliche Grund der plötzlichen Amtsmüdigkeit des Han-
delsminiſters hänge mit der hohen Politik, die zum Vorwand
genommen wurde, nicht zuſammen. Natſchewitſch habe ſich
bloß darüber geärgert, daß nicht er, ſondern der geweſene
diplomatiſche Agent Bulgariens in Athen, Dimitriew, zum
Generalkommiſſär Bulgariens für die Pariſer Weltaus-
ſtellung
ernannt worden ſei; nachdem man ihm aber zu-
geſagt hatte, daß auch er in offizieller Eigenſchaft nach Paris
fahren dürfe, habe er das Demiſſionsgeſuch zurückgezogen.

Türkiſches Reich.
Syriſche Eiſenbahnen.

* Bekanntlich iſt ſeit längerer Zeit eine Aktion der fran-
zöſiſchen Regierung
im Zuge, die auf die Erwerbung
[Spaltenumbruch] von Konzeſſionen für den Bau von Eiſenbahnen in
Syrien
abzielt. Wie man jetzt aus Konſtantinopel meldet,
ſteht die Erfüllung der franzöſiſchen Wünſche ſeitens der
Pforte unmittelbar bevor.

China.
Beſtrafung von Uebelthätern.

Tel. Zur Sühne für den ermor-
deten engliſchen Miſſionär Brooks wurden jetzt zwei der
Mörder enthauptet, einer zu lebenslänglichem, einer zu zehn
Jahren und einer zu zwei Jahren Gefängniß verurtheilt.
Ferner ſoll auf Koſten der chineſiſchen Regierung eine Ge-
dächtnißkapelle
mit einer Sühnetafel am Schauplatze der
Ermordung, ſowie eine Gedenktafel in der Kathedrale zu
Canterbury angebracht werden. Nach den letzten Berichten
aus den durch die geheime Geſellſchaft der „Boxers“ in Un-
ruhe verſetzten Bezirken war das Land ruhiger, wahrſcheinlich
da die durch den Winter veranlaßte Arbeitsloſigkeit der Be-
völkerung jetzt ihr Ende erreicht hat.



Das Feſtbanket im Künſtlerhauſe.

„Der Geſchmack für die ſchönen Künſte ſetzt eine ge-
wiſſe Verachtung des Geldes, eine gewiſſe Unbekümmert-
heit um die häuslichen Angelegenheiten, eine gewiſſe
Anomalie der Denkthätigkeit, einen gewiſſen Hang zum
Abſonderlichen und Ueberſchwänglichen voraus, alles
Dinge, die heute immer mehr abnehmen.... Man hält
gelehrte Abhandlungen, man prüft, man fühlt wenig,
man vernünſtelt viel, man mißt alles gewiſſenhaft an dem
Maßſtab der Logik, der Methode und ſelbſt der Wahrheit.“

Dieſe Worte ſchrieb um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts der Franzoſe Diderot. Wer aber wollte leugnen,
daß ſie mit demſelben Recht auf die Verhältniſſe der
Gegenwart anzuwenden ſind? Und nicht nur auf die
Gegenwart, ſondern auch auf die Zukunft. Denn „immer
gleich bleibt ſich das Volk der Erdenpilger“, und zu allen
Zeiten gab es und wird es große Künſtler geben, die
anders ſind, wie die Anderen, und nüchterne Alltags-
menſchen, die nicht verſtehen wollen, daß Genialität und
praktiſche Denkweiſe unverſöhnliche Gegenſätze bilden.

Es möge mir freundlichſt verziehen werden, daß ich
meinen Bericht über das Feſtbanket zur Eröffnung des
Künſtlerhauſes mit der obigen Betrachtung einleitete.
Deute ich damit doch reumüthig an, daß ich leider zu
Jenen gehöre, die nicht imſtande ſind, all und jede Be-
thätigung genialiſcher Veranlagung, ſobald ſie mit den
harten Nothwendigkeiten des täglichen Lebens in Konflikt
geräth, für unfehlbar zu erklären — ein pſychiſcher Defekt,
der eher Mitleid als Tadel verdient. Allerdings zwingt
die Wahrheisliebe mich andrerſeits, wie ich gleich vorweg
nehmen will, zu dem Eingeſtändniß, daß der Verlauf der
Feier mich völlig vergeſſen ließ, was alles vorgegangen
iſt, bis endlich ſchmetternde Fanfaren einer erleſenen Feſt-
verſammlung verkündeten, daß mit dem Höhepunkt des
Eröffnungsaktes der Augenblick eingetreten war, der der
Münchener Künſtlerſchaft ein eigenes, ſtimmungsvoll aus-
geſtattetes Heim übergab. Denn es war in der That wie
ein Märchen aus alter Zeit, was man da erlebte, ein
Märchen, das die Schilderungen der in ſchwungvollen
Feſtberichten ſchwelgenden Dürer-Periode ins Leben zu-
rückrief. Ob etwas derartiges, ob eine ſolche Vereinigung
von wahrhaft künſtleriſchen Genüſſen irgendwo anders,
als in München geboten zu werden vermag? Vielleicht
haben die nicht ganz Unrecht, die da meinen, zwiſchen
der eingangs erwähnten „genialen“ Auffaſſung gewiſſer
Angelegenheiten des realen Lebens und der Möglichkeit,
Dinge, wie jenes Feſtbankett zuſtande zu bringen, beſtehe
ein logiſcher Zuſammenhang. Schade, ſchade, daß die
Theilnehmer am Feſtmahl nicht auch im Koſtüm erſchienen
waren. Entgegenkommender hatten ſich die Damen ge-
zeigt, von denen einzelne durch ihre ſtilgerechte Gewan-
dung darthaten, daß die „gute alte Zeit“ in der
Toillettenfrage keineswegs an Regungen krankte, wie
ſie in manchen Reden zur lex Heinze einen ſo pla-
ſtiſchen Ausdruck gefunden haben. Der dekorativen
Ausſtattung der neun Tafeln entſprach vor allem die
äußere Erſcheinung der Speiſenträger. Hatten die vier
Trompeter durch den Mund ihrer Inſtrumente kundgethan,
daß ein neuer Akt des kulinariſchen Schauſpiels begann,
hatten die Herolde mit würdevoller Bewegung ihre Stäbe
niedergeſtoßen, um die Aufmerkſamkeit der Gäſte auf das
Kommende zu lenken, ſo zog ein ſchier endloſer Zug von
prächtig gewandeten Dienern zur Pforte hinein, angeführt
von Mohren, die auf einer Tragbahre das zu dem be-
treſſenden Gang gehörige Schaugericht trugen. Mit
ſchnellem Sprung eilte dann der Hofnarr (Hr. Heiden)
hinzu, um zu dieſen ebenſo kunſtvoll wie ſinnig kom-
ponirten Schaugerichten mit kernigem Humor in ſelbſt-
verfaßten Reimen die nöthigen Erläuterungen zu geben.
Und die Beſchaffenheit der Speiſen ſelbſt? Nun, ich ge-
ſtehe, bei aller Hochachtung vor der Münchener Kochkunſt,
daß ich hierſelbſt noch niemals ſo gut gegeſſen habe. Vom
Kaviar über den Fiſch, die Languſten, die Hühner hinweg
bis zum Deſſert war alles, was die reiche Speiſenſolge
bot, erſtklaſſig, und den Speiſen entſprachen die Weine.
Da aber unter dem Einfluß gediegener Koſt ſelbſt das
Herz des Menſchenfeindes ſich zu erweichen pflegt, war es
weiter nicht verwunderſam, daß die Stimmung der Ver-
ſammelten ſich von Minute zu Minute hob.

Im Einklang mit dem ſonſtigen Charakter des Feſtes
ſtanden vor allem auch die Darbietungen muſikaliſcher
Art. Das Moderne war verpönt, und nur zum Schluß,
nachdem die Tafel aufgehoben war, ertönten die flotten
Klänge eines Straußwalzers. Sonſt beherrſchten die Ver-
treter der muſikaliſchen Vergangenheit das Repertoire,
und Fagott und Clarino, die ſo lange Zeit eine führende
Rolle in der Inſtrumentation führten, kamen wieder zu
Ehren. Dazwiſchen gab es muſikaliſche Ueberraſchungen
vokaler Art; ein Kinderchor mit Orcheſter begrüßte
Münchens Künſtlerſchaft, ein Gefolge lieblicher Jungfrauen
zog ſingend zur Saalpforte herein, umringte die halbkreis-
förmige Tafel der Feſtvorſitzenden und Ehrengäſte, kredenzte
Sr. kgl. Hoh. dem Prinzen Rupprecht einen Pokal
herrlichen Rheinweines, der von den übrigen Feſttheil-
nehmern in epheuumrankten Römern getrunken wurde,
und drückte, während Hr. Laeverrenz einen poetiſchen,
von Becker verfaßten „Dank an die Meiſter“, die Schöpfer
des Künſtlerhauſes Seidl und Lenbach vortrug, dem
Letzteren einen Lorberkranz auf die Stirn. Auch der Vor-
trag eines Männerchores erntete reichen und verdienten
[Spaltenumbruch] Beifall An offiziellen Reden waren nur zwei zu ver-
zeichnen. Hr. v. Lenbach begrüßte die Anweſenden, in-
dem er folgendes ausführte:

„Königliche Hoheit! Hohe Feſtverſammlung!

Mit Freude und Stolz erfüllt es mich, am heutigen Feſt
im Namen der Münchner Künſtlerſchaft eine ſo erlauchte und
auserleſene Verſammlung begrüßen zu dürfen. Vor allem
begrüße ich in Ehrfurcht den Vertreter Sr. kgl. Hoheit des
Prinz-Regenten, des erhabenen Prinzen, in dem der hohe
Sinn für Kunſt, der das Haus Wittelsbach ſeit Jahrhunderten
auszeichnet, ſich im vollſten Maß weitervererbt hat. Ich be-
grüße mit Stolz die hohen Vertreter auswärtiger Staaten an
unſerm königlichen Hof; ich begrüße mit Freuden die Spitzen
der hohen Staatsregierung, der Stadt, der Kunſt und Wiſſen-
ſchaft, und im Kreiſe edler Frauen alle unſre Gönner und
Freunde.

Wenn München mit Recht die hohe Stellung unter den
Kunſtſtädten der Welt einnimmt, ſo verdankt es dieſen Ruf
vor allem ſeinem Fürſtenhauſe, das, ſoweit ſeine Geſchichte zu
verfolgen, ſelbſt durch die rauheſten Kriegszeiten hindurch, die
Blume der Kunſt zum Blühen brachte und ihre Früchte ſegen-
bringend im Lande vertheilte. Die heutige Münchener Kunſt,
und ich darf dies wohl ohne Uebertreibung ſagen, ein gut
Theil der deutſchen Kunſt, ruht auf den Grundlagen, die
Ludwig I. gelegt hat. Auf Schritt und Tritt werden wir an
dieſen Genius erinnert, deſſen würdigen Sohn, unſern erhabenen
Prinz-Regenten, wir als hochherzigen Freund der Kunſt und
Künſtler heute vor allem feiern dürfen. Die rührenden Worte,
mit welchen Se. kgl. Hoheit vor kaum zwei Tagen die Ein-
weihung dieſes Hauſes vollzogen hat, klingen noch heute in
uns nach und werden in unſern Herzen für ewig tief ein-
gegraben ſein.

Im Namen der Künſtlerſchaft München bitte ich den
Durchlauchtigſten Vertreter Sr. kgl. Hoheit unſers aller-
gnädigſten Herrn, den Gefühlen dankbarſter Verehrung und
Ehrfurcht Ausdruck geben zu dürfen in dem Rufe: Se. kgl.
Hoheit, Prinz-Regent Luitpold von Bayern lebe hoch!“


Hierauf erwiderte Prinz Rupprecht:

In Vertretung meines durchlauchtigſten Herrn Groß-
vaters zu der feſtlich geſchmückten Feier entſendet, danke ich Ihnen
in ſeinem Namen für die ihm erwieſene Huldigung. Von alters-
her war es die größte Freude und der größte Stolz der Wittels-
bacher, wenn ſie, nicht vergeſſend der realen Forderungen des
Augenblicks, ſtets das Ideale hochhielten, und dieſe Geſinnung
beſeelt auch als väterliches Erbgut unſern Regenten. Ihnen
aber, den Führern, die Sie ſeine Beſtrebungen zu unter-
ſtützen bereit ſind, und mit allſeitiger Thätigkeit und auf-
opferndem Zuſammenwirken den ſchönen Erfolg erzielten, den
wir hier in dieſen herrlichen Räumen vor uns ſehen, Ihnen
rufe ich meinen Dank zu mit den Worten: Die Künſtlerſchaft
Münchens, alle warmen Freunde und großmüthigen Förderer
der Kunſt, ſie leben hoch!“

Erſt nach 10 Uhr fand der offizielle Feſtakt ſein Ende.



Letzte Nachrichten.

Tel. Der badiſche Handels-
tag
nahm in ſeiner geſtrigen Sitzung eine Reſolution
an, welche beſagt, daß der Handelstag ſich für die Ge-
nehmigung des dem Deutſchen Reichstag unterbreiteten
neueſten Flottengeſetzentwurfs ausſpricht, und be-
tont, durch Annahme dieſer Vorlage werde die Sicherheit
unſres Vaterlandes und die friedliche Entwicklung ſeiner
Intereſſen gefördert, ſowie die Ehre und die Macht-
ſtellung Deutſchlands auch für die Zukunft gewahrt werden.

Tel. Die Staatseinnahmen
weiſen für das abgelaufene Vierteljahr ein Anwachſen um
7,462,801 Pfd. St. und für die letzten zwölf Monate eine
Steigerung von 11,899,277 Pfd. St. auf.

Tel. Die britiſchen Kreuzer „Erisk“
und „Hermion“ ſind in Taku (China) eingetroffen.

Tel. Die Staatseinkünfte
im März 1900 betragen 48,26,837 Doll. und die Ausgaben
32,167,000 Doll.



Verſchiedenes.

Seit geſtern herrſcht hier
anhaltend ſtarker Schneefall. Der Verkehr in der Stadt
iſt ſehr erſchwert. Die Telephonverbindung mit Oberſchleſien
iſt unterbrochen.

Das „Fremdenblatt“ meldet:
Das Oberſthofmeiſteramt genehmigte das Entlaſſungsgeſuch
Hans Richters als Hofkapellmeiſter und betraute den neu-
ernannten Vize-Hofkapellmeiſter Hellmesberger mit der
Leitung der Hofkapelle.

Seit geſtern herrſcht hier
Thauwetter; der Tramway- und Omnibusverkehr iſt jedoch
ſtellenweiſe noch unterbrochen. — Aus Böhmen und Mähren
wird vielfach ſtarker Schneefall gemeldet; der Eiſenbahn-
verkehr iſt ſtellenweiſe infolge der Schneeverwehung eingeſtellt
oder unterbrochen.

Tel. Um Mitternacht trat hier
wiederum anhaltender Schneefall ein.

Tel. Während der Probefahrt
eines neuerbauten Torpedoboots platzte das Keſſel-
rohr.
Fünf Leute erlitten ſchwere Brandwunden. Einer der
Verletzten ſtürzte ſich, von Schmerz getrieben, ins Meer und
ertrank. Zwei der Verunglückten ſtarben alsbald.



Theater-Anzeiger.
Dienſtag, den 3. April.
Kgl. Hof- und Nationaltheater.

Aïda. Oper in vier Auf-
zügen von Guiſeppe Verdi. Perſonen: Der König: Hr. Klöpfer. —
Amneris, ſeine Tochter: Frl. Frank. — Aïda: Frl. Morena.
— Radames, Feldherr: Hr. Mikorey. — Ramphis, Oberprieſter:
Hr. Sieglitz. — Amonasro, König von Aethiopien und Vater Aida’s:
Hr. Bauberger. — Ein Bote: Hr. Kellerer. — Eine Prieſterin:
Frl. Eliſe Sigler. —Aufang 7 Uhr, Ende 10 Uhr.

Theater am Gärtnerplatz.

Die Dame von Marim. Anfang
halb 8 Uhr.

Münchener Schauſpielhaus.

Gaſtſpiel Georg Engels: Gold-
grube.
Anfang halb 8 Uhr.

Münchener Volkstheater.

Franzöſtſche Vorſtellung. Anfang
8 Uhr.



[irrelevantes Material]
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Anomalie der Denkthätigkeit, einen gewi&#x017F;&#x017F;en Hang zum<lb/>
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Dinge, die heute immer mehr abnehmen.... Man hält<lb/>
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Deute ich damit doch reumüthig an, daß ich leider zu<lb/>
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[Seite 3.[3]/0003] Nr. 90. München, Montag Allgemeine Zeitung 2. April 1900. Frankreich Joailland in Goullet. Major Gentil hoffte mit ihm etwa am 24. Februar zuſammenzutreffen. Oberſt Lamy befand ſich am 15. Januar in Amu-Dugu, zwei Tagemärſche vom Tſchad-See entfernt. Eſterhazy ſpricht. * Paris, 1. April.Der „brave Major“ hat nach der „Aurore“ dem franzöſiſchen Generalkonſul in London geſtanden, er ſei der Verbrechen des Hochverraths, der Schriftenſälſchung, der Erpreſſung ꝛc., allerdings auf aus- drücklichen Befehl und für Rechnung der oberſten Führer des Heeres, ſchuldig. Außerhalb der Dreyfus-Affaire klagt Eſterhazy ſich einer Reihe von Schriftenfälſchungen an, die er als Major eines Infanterie-Regiments während eines Zeitraums von drei Jahren zu dem Zwecke der Veruntrenung öffent- licher Gelder „auf Befehl des Korpsbefehlshabers und im ſträflichen Einvernehmen mit der Intendantur“ begangen hat. Schließlich beſpricht Eſterhazy das nationaliſtiſche Komplott von Renilly. Er hat dem Generalkonſul die ſchrift- lichen Beweiſe einer Abrede zwiſchen Déroulède und dem General Roget gezeigt. Italien. Präſidentſchaftskriſis. M. C. Rom, 31. März.Als am 18. November 1899 Colombo Kammerpräſident wurde, da wies ich darauf hin, daß er den Eigenwillen des zielbewußten Lombarden in hohem Maß beſitzt, daß er aus zwei Miniſterien mit dem Moment ausſchied, in dem er nicht mehr glaubte fruchtbar arbeiten zu können. So hat er heute auch als Kammer- präſident gehandelt. Nach vier Monaten einer Geſchäfts- führung, deren Vortrefflichkeit auf allen Seiten anerkannt worden war, gerieth er am 29. März mit der Obſtruktion in einen ſo heftigen Konflikt, daß ſie ihm am 30. März durch ihr Toben die Eröffnung der Sitzung überhaupt unmöglich machte. Sofort hat er ſich, nachdem er mit Eiſeskälte den Sturm der Beſchimpfungen hatte über ſich ergehen laſſen, die Frage vorgelegt, ob er noch weiter nutzbringend für das Parlament das leiſten könne, was er bisher leiſtete. Ange- ſichts der verneinenden Antwort opfert er, ohne einen Augenblick zu zögern, das Amt und ſich und tritt zurück, gefolgt von allen Mitgliedern des Kammer- präſidiums. Die Vizepräſidenten Gianturco, Gallo, Palberti, de Riſeis, die acht Schriftführer und die beiden Quäſtoren haben gleichfalls in der heutigen Sitzung demiſſionirt. Nun iſt für eine neue Leitung der Parlamentsgeſchäfte freie Bahn geſchaffen, und obwohl kaum ein beſſerer Präſident kommen kann, ſo würde doch mit jedem Anderen ein akuter Kon- flikt verſchwunden ſein. Schon auf den 2. April iſt die Neu- wahl anberaumt. Natürlich ſteht jetzt wenige Stunden nach der Demiſſion nichts feſt. Als ſehr wahrſcheinlich muß es aber gelten, daß Colombo zunächſt von der Mehrheit wieder- gewählt wird, um ihm Sympathie zu bezeigen, und daß ſich nach ſeiner Ablehnung Alles auf Bianchiri einigt, für den die Oppoſition ſchon im erſten Wahlgang ſtimmen dürfte. Nicht unmöglich iſt freilich auch eine Seſſionsvertagung noch vor der Neuwahl. Rußland. Transbaikal-Bahn. * Chabarowsk, 1. April.Tel. (Meldung der Ruſſi- ſchen Telegraphen-Agentur.) Nach erfolgter Prüfung wurde die Brücke über den Fluß Selenga am 27. März dem Verkehr übergeben; das Hinderniß auf der Transbaikal- Bahn für den direkten Verkehr zwiſchen Baikal und Stretensk iſt damit beſeitigt. Rumänien. Ausweiſungen aus Rumänien. * Infolge des Mordes an dem angeblichen türkiſchen Spion Fitowski in Bukareſt ſind nach einer Mittheilung aus Sofia zahlreiche bulgariſche Studenten unter der Beſchuldigung der Betheiligung an der makedoniſchen ge- heimen Propaganda aus Rumänien ausgewieſen worden. Die Gemaßregelten haben nun einen Appell an die bulgariſchen Bürger und Studenten in Sofia gerichtet, worin Letztere aufgefordert werden, für ihre, wie ſie verſichern, mit Unrecht beſchuldigten Landsleute jenſeit der Donau einzutreten. Bulgarien. Die Demiſſion des Handelsminiſters Ratſchewitſch. Rt. Sofia, 30. März.Nachrichten, welche der offizielle Draht aus Bulgarien hinausgibt, enthalten nur dann eine Wahrheit, wenn es ſich um ein Tedeum, eine Hoffeſtlichkeit und dergleichen handelt. Alle anderen von Amts wegen hinausgeſendeten Telegramme ſind nach Landesſitte auf Irre- führung berechnet. Wenn die Agence Télégraphique Bulgare meldet, daß die „Gerüchte“ von einer Demiſſion des Handels- miniſters Natſchewitſch „vollſtändig unbegründet“ ſind, ſo iſt das eine kraſſe Fälſchung der Thatſachen. Natſchewitſch hatte nicht nur bereits ſeinen Rücktritt angeboten, ſondern hatte auch ſchon ſeine Amtsführung niedergelegt. Nachdem dies geſchehen war, erſchien er allerdings auf ſpezielle Bitte des Miniſterpräſidenten im Miniſterrathe, wo dann zum Er- ſtaunen aller Welt die Differenzen ausgeglichen wurden. Be- gründet hatte Natſchewitſch ſeine Demiſſion mit dem Hinweiſe darauf, daß er, als Miniſter, über die Ankunft des ruſſiſchen Finanzdelegirten Kobeko nicht im voraus informirt geweſen ſei. Er forderte im Miniſterrath Aufklärungen. Miniſter- präſident Iwantſchow legte dar, es ſei nichts vorgegangen, was mit der bisherigen Politik der jetzigen Regierung im Widerſpruch ſtehe; Natſchewitſch möge doch, ehe er ſich end- gültig zum Gehen entſcheide, abwarten, ob ſich etwa aus der Miſſion Kobeko’s ihm unliebſame Folgerungen ergeben; vor- läufig könne der Miniſterpräſident verſichern, daß von einer Abſicht, irgendwelche Konventionen mit Rußland ab- zuſchließen oder Bulgarien unabhängig zu erklären, bis auf weiteres nicht die Rede ſei. Natſchewitſch ließ ſich hiedurch beſtimmen, im Kabinet zu verbleiben. Böſe Zungen behaupten, der eigentliche Grund der plötzlichen Amtsmüdigkeit des Han- delsminiſters hänge mit der hohen Politik, die zum Vorwand genommen wurde, nicht zuſammen. Natſchewitſch habe ſich bloß darüber geärgert, daß nicht er, ſondern der geweſene diplomatiſche Agent Bulgariens in Athen, Dimitriew, zum Generalkommiſſär Bulgariens für die Pariſer Weltaus- ſtellung ernannt worden ſei; nachdem man ihm aber zu- geſagt hatte, daß auch er in offizieller Eigenſchaft nach Paris fahren dürfe, habe er das Demiſſionsgeſuch zurückgezogen. Türkiſches Reich. Syriſche Eiſenbahnen. * Bekanntlich iſt ſeit längerer Zeit eine Aktion der fran- zöſiſchen Regierung im Zuge, die auf die Erwerbung von Konzeſſionen für den Bau von Eiſenbahnen in Syrien abzielt. Wie man jetzt aus Konſtantinopel meldet, ſteht die Erfüllung der franzöſiſchen Wünſche ſeitens der Pforte unmittelbar bevor. China. Beſtrafung von Uebelthätern. * Peking, 2. April.Tel. Zur Sühne für den ermor- deten engliſchen Miſſionär Brooks wurden jetzt zwei der Mörder enthauptet, einer zu lebenslänglichem, einer zu zehn Jahren und einer zu zwei Jahren Gefängniß verurtheilt. Ferner ſoll auf Koſten der chineſiſchen Regierung eine Ge- dächtnißkapelle mit einer Sühnetafel am Schauplatze der Ermordung, ſowie eine Gedenktafel in der Kathedrale zu Canterbury angebracht werden. Nach den letzten Berichten aus den durch die geheime Geſellſchaft der „Boxers“ in Un- ruhe verſetzten Bezirken war das Land ruhiger, wahrſcheinlich da die durch den Winter veranlaßte Arbeitsloſigkeit der Be- völkerung jetzt ihr Ende erreicht hat. Das Feſtbanket im Künſtlerhauſe. r. München, 1. April. „Der Geſchmack für die ſchönen Künſte ſetzt eine ge- wiſſe Verachtung des Geldes, eine gewiſſe Unbekümmert- heit um die häuslichen Angelegenheiten, eine gewiſſe Anomalie der Denkthätigkeit, einen gewiſſen Hang zum Abſonderlichen und Ueberſchwänglichen voraus, alles Dinge, die heute immer mehr abnehmen.... Man hält gelehrte Abhandlungen, man prüft, man fühlt wenig, man vernünſtelt viel, man mißt alles gewiſſenhaft an dem Maßſtab der Logik, der Methode und ſelbſt der Wahrheit.“ Dieſe Worte ſchrieb um die Mitte des 18. Jahr- hunderts der Franzoſe Diderot. Wer aber wollte leugnen, daß ſie mit demſelben Recht auf die Verhältniſſe der Gegenwart anzuwenden ſind? Und nicht nur auf die Gegenwart, ſondern auch auf die Zukunft. Denn „immer gleich bleibt ſich das Volk der Erdenpilger“, und zu allen Zeiten gab es und wird es große Künſtler geben, die anders ſind, wie die Anderen, und nüchterne Alltags- menſchen, die nicht verſtehen wollen, daß Genialität und praktiſche Denkweiſe unverſöhnliche Gegenſätze bilden. Es möge mir freundlichſt verziehen werden, daß ich meinen Bericht über das Feſtbanket zur Eröffnung des Künſtlerhauſes mit der obigen Betrachtung einleitete. Deute ich damit doch reumüthig an, daß ich leider zu Jenen gehöre, die nicht imſtande ſind, all und jede Be- thätigung genialiſcher Veranlagung, ſobald ſie mit den harten Nothwendigkeiten des täglichen Lebens in Konflikt geräth, für unfehlbar zu erklären — ein pſychiſcher Defekt, der eher Mitleid als Tadel verdient. Allerdings zwingt die Wahrheisliebe mich andrerſeits, wie ich gleich vorweg nehmen will, zu dem Eingeſtändniß, daß der Verlauf der Feier mich völlig vergeſſen ließ, was alles vorgegangen iſt, bis endlich ſchmetternde Fanfaren einer erleſenen Feſt- verſammlung verkündeten, daß mit dem Höhepunkt des Eröffnungsaktes der Augenblick eingetreten war, der der Münchener Künſtlerſchaft ein eigenes, ſtimmungsvoll aus- geſtattetes Heim übergab. Denn es war in der That wie ein Märchen aus alter Zeit, was man da erlebte, ein Märchen, das die Schilderungen der in ſchwungvollen Feſtberichten ſchwelgenden Dürer-Periode ins Leben zu- rückrief. Ob etwas derartiges, ob eine ſolche Vereinigung von wahrhaft künſtleriſchen Genüſſen irgendwo anders, als in München geboten zu werden vermag? Vielleicht haben die nicht ganz Unrecht, die da meinen, zwiſchen der eingangs erwähnten „genialen“ Auffaſſung gewiſſer Angelegenheiten des realen Lebens und der Möglichkeit, Dinge, wie jenes Feſtbankett zuſtande zu bringen, beſtehe ein logiſcher Zuſammenhang. Schade, ſchade, daß die Theilnehmer am Feſtmahl nicht auch im Koſtüm erſchienen waren. Entgegenkommender hatten ſich die Damen ge- zeigt, von denen einzelne durch ihre ſtilgerechte Gewan- dung darthaten, daß die „gute alte Zeit“ in der Toillettenfrage keineswegs an Regungen krankte, wie ſie in manchen Reden zur lex Heinze einen ſo pla- ſtiſchen Ausdruck gefunden haben. Der dekorativen Ausſtattung der neun Tafeln entſprach vor allem die äußere Erſcheinung der Speiſenträger. Hatten die vier Trompeter durch den Mund ihrer Inſtrumente kundgethan, daß ein neuer Akt des kulinariſchen Schauſpiels begann, hatten die Herolde mit würdevoller Bewegung ihre Stäbe niedergeſtoßen, um die Aufmerkſamkeit der Gäſte auf das Kommende zu lenken, ſo zog ein ſchier endloſer Zug von prächtig gewandeten Dienern zur Pforte hinein, angeführt von Mohren, die auf einer Tragbahre das zu dem be- treſſenden Gang gehörige Schaugericht trugen. Mit ſchnellem Sprung eilte dann der Hofnarr (Hr. Heiden) hinzu, um zu dieſen ebenſo kunſtvoll wie ſinnig kom- ponirten Schaugerichten mit kernigem Humor in ſelbſt- verfaßten Reimen die nöthigen Erläuterungen zu geben. Und die Beſchaffenheit der Speiſen ſelbſt? Nun, ich ge- ſtehe, bei aller Hochachtung vor der Münchener Kochkunſt, daß ich hierſelbſt noch niemals ſo gut gegeſſen habe. Vom Kaviar über den Fiſch, die Languſten, die Hühner hinweg bis zum Deſſert war alles, was die reiche Speiſenſolge bot, erſtklaſſig, und den Speiſen entſprachen die Weine. Da aber unter dem Einfluß gediegener Koſt ſelbſt das Herz des Menſchenfeindes ſich zu erweichen pflegt, war es weiter nicht verwunderſam, daß die Stimmung der Ver- ſammelten ſich von Minute zu Minute hob. Im Einklang mit dem ſonſtigen Charakter des Feſtes ſtanden vor allem auch die Darbietungen muſikaliſcher Art. Das Moderne war verpönt, und nur zum Schluß, nachdem die Tafel aufgehoben war, ertönten die flotten Klänge eines Straußwalzers. Sonſt beherrſchten die Ver- treter der muſikaliſchen Vergangenheit das Repertoire, und Fagott und Clarino, die ſo lange Zeit eine führende Rolle in der Inſtrumentation führten, kamen wieder zu Ehren. Dazwiſchen gab es muſikaliſche Ueberraſchungen vokaler Art; ein Kinderchor mit Orcheſter begrüßte Münchens Künſtlerſchaft, ein Gefolge lieblicher Jungfrauen zog ſingend zur Saalpforte herein, umringte die halbkreis- förmige Tafel der Feſtvorſitzenden und Ehrengäſte, kredenzte Sr. kgl. Hoh. dem Prinzen Rupprecht einen Pokal herrlichen Rheinweines, der von den übrigen Feſttheil- nehmern in epheuumrankten Römern getrunken wurde, und drückte, während Hr. Laeverrenz einen poetiſchen, von Becker verfaßten „Dank an die Meiſter“, die Schöpfer des Künſtlerhauſes Seidl und Lenbach vortrug, dem Letzteren einen Lorberkranz auf die Stirn. Auch der Vor- trag eines Männerchores erntete reichen und verdienten Beifall An offiziellen Reden waren nur zwei zu ver- zeichnen. Hr. v. Lenbach begrüßte die Anweſenden, in- dem er folgendes ausführte: „Königliche Hoheit! Hohe Feſtverſammlung! Mit Freude und Stolz erfüllt es mich, am heutigen Feſt im Namen der Münchner Künſtlerſchaft eine ſo erlauchte und auserleſene Verſammlung begrüßen zu dürfen. Vor allem begrüße ich in Ehrfurcht den Vertreter Sr. kgl. Hoheit des Prinz-Regenten, des erhabenen Prinzen, in dem der hohe Sinn für Kunſt, der das Haus Wittelsbach ſeit Jahrhunderten auszeichnet, ſich im vollſten Maß weitervererbt hat. Ich be- grüße mit Stolz die hohen Vertreter auswärtiger Staaten an unſerm königlichen Hof; ich begrüße mit Freuden die Spitzen der hohen Staatsregierung, der Stadt, der Kunſt und Wiſſen- ſchaft, und im Kreiſe edler Frauen alle unſre Gönner und Freunde. Wenn München mit Recht die hohe Stellung unter den Kunſtſtädten der Welt einnimmt, ſo verdankt es dieſen Ruf vor allem ſeinem Fürſtenhauſe, das, ſoweit ſeine Geſchichte zu verfolgen, ſelbſt durch die rauheſten Kriegszeiten hindurch, die Blume der Kunſt zum Blühen brachte und ihre Früchte ſegen- bringend im Lande vertheilte. Die heutige Münchener Kunſt, und ich darf dies wohl ohne Uebertreibung ſagen, ein gut Theil der deutſchen Kunſt, ruht auf den Grundlagen, die Ludwig I. gelegt hat. Auf Schritt und Tritt werden wir an dieſen Genius erinnert, deſſen würdigen Sohn, unſern erhabenen Prinz-Regenten, wir als hochherzigen Freund der Kunſt und Künſtler heute vor allem feiern dürfen. Die rührenden Worte, mit welchen Se. kgl. Hoheit vor kaum zwei Tagen die Ein- weihung dieſes Hauſes vollzogen hat, klingen noch heute in uns nach und werden in unſern Herzen für ewig tief ein- gegraben ſein. Im Namen der Künſtlerſchaft München bitte ich den Durchlauchtigſten Vertreter Sr. kgl. Hoheit unſers aller- gnädigſten Herrn, den Gefühlen dankbarſter Verehrung und Ehrfurcht Ausdruck geben zu dürfen in dem Rufe: Se. kgl. Hoheit, Prinz-Regent Luitpold von Bayern lebe hoch!“ Hierauf erwiderte Prinz Rupprecht: In Vertretung meines durchlauchtigſten Herrn Groß- vaters zu der feſtlich geſchmückten Feier entſendet, danke ich Ihnen in ſeinem Namen für die ihm erwieſene Huldigung. Von alters- her war es die größte Freude und der größte Stolz der Wittels- bacher, wenn ſie, nicht vergeſſend der realen Forderungen des Augenblicks, ſtets das Ideale hochhielten, und dieſe Geſinnung beſeelt auch als väterliches Erbgut unſern Regenten. Ihnen aber, den Führern, die Sie ſeine Beſtrebungen zu unter- ſtützen bereit ſind, und mit allſeitiger Thätigkeit und auf- opferndem Zuſammenwirken den ſchönen Erfolg erzielten, den wir hier in dieſen herrlichen Räumen vor uns ſehen, Ihnen rufe ich meinen Dank zu mit den Worten: Die Künſtlerſchaft Münchens, alle warmen Freunde und großmüthigen Förderer der Kunſt, ſie leben hoch!“ Erſt nach 10 Uhr fand der offizielle Feſtakt ſein Ende. Letzte Nachrichten. * Karlsruhe, 2. April.Tel. Der badiſche Handels- tag nahm in ſeiner geſtrigen Sitzung eine Reſolution an, welche beſagt, daß der Handelstag ſich für die Ge- nehmigung des dem Deutſchen Reichstag unterbreiteten neueſten Flottengeſetzentwurfs ausſpricht, und be- tont, durch Annahme dieſer Vorlage werde die Sicherheit unſres Vaterlandes und die friedliche Entwicklung ſeiner Intereſſen gefördert, ſowie die Ehre und die Macht- ſtellung Deutſchlands auch für die Zukunft gewahrt werden. * London, 2. April.Tel. Die Staatseinnahmen weiſen für das abgelaufene Vierteljahr ein Anwachſen um 7,462,801 Pfd. St. und für die letzten zwölf Monate eine Steigerung von 11,899,277 Pfd. St. auf. * London, 2. April.Tel. Die britiſchen Kreuzer „Erisk“ und „Hermion“ ſind in Taku (China) eingetroffen. * Waſhington, 2. April.Tel. Die Staatseinkünfte im März 1900 betragen 48,26,837 Doll. und die Ausgaben 32,167,000 Doll. Verſchiedenes. * Breslau, 31. März.Seit geſtern herrſcht hier anhaltend ſtarker Schneefall. Der Verkehr in der Stadt iſt ſehr erſchwert. Die Telephonverbindung mit Oberſchleſien iſt unterbrochen. * Wien, 31. März.Das „Fremdenblatt“ meldet: Das Oberſthofmeiſteramt genehmigte das Entlaſſungsgeſuch Hans Richters als Hofkapellmeiſter und betraute den neu- ernannten Vize-Hofkapellmeiſter Hellmesberger mit der Leitung der Hofkapelle. * Wien, 31. März.Seit geſtern herrſcht hier Thauwetter; der Tramway- und Omnibusverkehr iſt jedoch ſtellenweiſe noch unterbrochen. — Aus Böhmen und Mähren wird vielfach ſtarker Schneefall gemeldet; der Eiſenbahn- verkehr iſt ſtellenweiſe infolge der Schneeverwehung eingeſtellt oder unterbrochen. * Wien, 1. April.Tel. Um Mitternacht trat hier wiederum anhaltender Schneefall ein. * Paris, 2. April.Tel. Während der Probefahrt eines neuerbauten Torpedoboots platzte das Keſſel- rohr. Fünf Leute erlitten ſchwere Brandwunden. Einer der Verletzten ſtürzte ſich, von Schmerz getrieben, ins Meer und ertrank. Zwei der Verunglückten ſtarben alsbald. Theater-Anzeiger. Dienſtag, den 3. April. Kgl. Hof- und Nationaltheater.Aïda. Oper in vier Auf- zügen von Guiſeppe Verdi. Perſonen: Der König: Hr. Klöpfer. — Amneris, ſeine Tochter: Frl. Frank. — Aïda: Frl. Morena. — Radames, Feldherr: Hr. Mikorey. — Ramphis, Oberprieſter: Hr. Sieglitz. — Amonasro, König von Aethiopien und Vater Aida’s: Hr. Bauberger. — Ein Bote: Hr. Kellerer. — Eine Prieſterin: Frl. Eliſe Sigler. —Aufang 7 Uhr, Ende 10 Uhr. Theater am Gärtnerplatz.Die Dame von Marim. Anfang halb 8 Uhr. Münchener Schauſpielhaus.Gaſtſpiel Georg Engels: Gold- grube. Anfang halb 8 Uhr. Münchener Volkstheater.Franzöſtſche Vorſtellung. Anfang 8 Uhr. _

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 90, 2. April 1900, S. Seite 3.[3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine90_1900/3>, abgerufen am 23.11.2024.