Allgemeine Zeitung, Nr. 95, 5. April 1849.[Spaltenumbruch]
ten zu deuten. Von Braunschweig ist eine Deputation der dortigen Kam- Berlin, 1 April. Die Adresse der gestern niedergesetzten Depu- Wir erhalten so eben noch die am 2 April erfolgten Verhandlungen "Königl. Majestät. Noch find die Worte kaum ver- In der ersten Kammer ging folgender Adreßentwurf mit allen gegen "Königliche Majestät! Den Wünschen und ahnungs- [Spaltenumbruch]
ten zu deuten. Von Braunſchweig iſt eine Deputation der dortigen Kam- ∸ Berlin, 1 April. Die Adreſſe der geſtern niedergeſetzten Depu- Wir erhalten ſo eben noch die am 2 April erfolgten Verhandlungen „Königl. Majeſtät. Noch find die Worte kaum ver- In der erſten Kammer ging folgender Adreßentwurf mit allen gegen „Königliche Majeſtät! Den Wünſchen und ahnungs- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0003" n="1451"/><cb/> ten zu deuten. Von Braunſchweig iſt eine Deputation der dortigen Kam-<lb/> mer hier eingetroffen, um den König um die Annahme der Kaiſerkrone im<lb/> Namen Braunſchweigs zu bitten. Einer Deputation der Stadtverordne-<lb/> ten ſoll geſtern die Audienz beim König nicht bewilligt worden ſeyn. Die-<lb/> ſer Tage ging die Rede daß die Regierung den Belagerungszuſtand aufhe-<lb/> ben werde, damit das Volk ſeine Freude über die Wahl des Königs zum<lb/> deutſchen Kaiſer in feſtlichen Demonſtrationen ausdrücken könne. Bis<lb/> jetzt hat man dazu keine Anſtalten gemacht, und das Gerücht entbehrt<lb/> offenbar aller Begründung. Die Regierung hat, nach der Verſicherung<lb/> anderer, Urſache den Belagerungszuſtand vorläuſig noch fortdauern zu<lb/> laſſen. Im radicalen Lager ſoll allerlei geſponnen werden. Unter anderm<lb/> ſoll die Polizei in einem Hauſe der Johannisſtraße eine Kiſte mit Hand-<lb/> granaten, Gießwerkzeuge, viel Pulver, Blei und Zink, und dazu ein<lb/> Päckchen Briefe aufgefunden haben, die einen Deputirten von der äußer-<lb/> ſten Linken bedeutend compromittiren ſollen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>∸ <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 1 April.</dateline><lb/> <p>Die Adreſſe der geſtern niedergeſetzten Depu-<lb/> tation, um, nach Vincke’s Antrag, die Gefühle der zweiten Kammer bei<lb/> dem hochwichtigen Ereigniß aus Frankfurt vor dem Throne auszuſprechen,<lb/> circulirt ſchon in Abſchriften. Sie ſcheint weniger der Stimmung die ſich<lb/> jetzt kundgibt, und noch weniger der Anſicht der Männer zu entſprechen<lb/> aus denen die Commiſſion zuſammengeſetzt iſt, nämlich aus Mitgliedern der<lb/> äußerſten Rechten und äußerſten Linken. Die Adreſſe hält ſich entfernt<lb/> von allem Aeußerſten, und legt nur in ſehr ruhigem Ton die Anſicht der<lb/> Kammer, und damit, glaubt ſie, die des preußiſchen Volks dar: daß der<lb/> König den Augenblick nicht vorübergehen laſſen, und das nicht von ſich<lb/> weiſen möge was zum Heil des Geſammtvaterlandes den Vertretern desſel-<lb/> ben nothwendig geſchienen. Aller oratoriſche Schmuck, alle Seitenanſpie-<lb/> lungen ſind vermieden. Es iſt wohl außer Zweifel daß die Adreſſe<lb/> in der gewählten Form, wenn nicht ganz einſtimmig, doch ohne große Op-<lb/> poſition morgen durchgeht. Möglich daß ſie ſchon durchgegangen, eine<lb/> Deputation ernannt iſt, und dieſe die Adreſſe noch am ſelben Tage dem<lb/> König überbracht hat, bevor die Frankfurter Deputation morgen hier an-<lb/> langt. Nach ſo langem Zaudern iſt man in Berlin und Frankfurt endlich<lb/> zur Ueberzeugung gekommen daß man handeln und raſch handeln muß,<lb/> daß dieß der einzige Weg zum Ziel iſt. Der Umſchlag der Stimmung<lb/> hier, wenn man es ſo nennen kann, iſt auffällig. Nachdem der Welcker’-<lb/> ſche Antrag gefallen war, hatte man eigentlich die Sache ſelbſt als gefallen<lb/> gegeben, trotz aller Nachrichten und Winke aus Frankfurt daß dem nicht<lb/> ſo ſey. Als die telegraphiſche Nachricht von der erfolgten Annahme daß<lb/> ein erblicher Kaiſer Deutſchlands Oberhaupt werden ſoll, und die dar-<lb/> auf folgende daß Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">IV</hi> erwählt ſey, ankam, fand ſie noch<lb/> jene Stimmung vor. Selbſt den eifrigſten Kaiſerlichen erſchienen die Be-<lb/> dingungen ſo drückend, daß das preußiſche und königthümliche Gefühl ſich<lb/> dagegen auflehnte. Die Stimmung war ziemlich allgemein, ſie ſprach ſich<lb/> faſt in allen unſern Blättern aus: ſo kann er, und ein ſo geſchwächtes Kai-<lb/> ſerthum, nicht annehmen. Aber man kann hier wirklich ſagen, über Nacht<lb/> kam eine andere Erkenntniß. Ablehnen heißt: Frankfurt, die Majorität<lb/> der erwachten Nation in ihrem erſten freien Act vor den Kopf ſtoßen, es<lb/> heißt das ganze mühſam geſchaffene Werk umſtoßen, und entweder eine<lb/> neue Ungewißheit, eine Revolution, ein Chaos hervorrufen deſſen Ende<lb/> nicht abzuſehen, oder den gerechten Vorwurf auf ſich laden daß man doch<lb/> ein geheimes Spiel getrieben, und mit andern Mächten das der Nation<lb/> aufdringen wolle was ſie ſich ſelbſt zu geben für befähigt und berechtigt<lb/> hielt, eine Verfaſſung. Annehmen unter der Bedingung daß die letzten<lb/> beſchränkenden Beſchlüſſe zurückgenommen würden, hieße ſo viel als ableh-<lb/> nen, da die Frankfurter Nationalverſammlung dazu außer Stande iſt. Es<lb/> hieße die compromittiren die ihr alles eingeſetzt, um das wenigſtens zu er-<lb/> reichen was jetzt nach ſo furchtbaren Kämpfen errungen iſt. Gegen die<lb/> letzten Zweifel hilft nur die That. Man verbarg und verbirgt ſich gar<lb/> nicht welche äußern, welche innern Gefahren auch dabei drohen, aber auch<lb/> hier kann nur die That helfen. Was wollen ſie ſagen gegen das <hi rendition="#aq">fait ac-<lb/> compli?</hi> Die jetzt im Rechte ſcheinen und in Macht ſind, ſind dann nur in<lb/> Oppoſition gegen ein legales Recht und eine Macht. So iſt die Stim-<lb/> mung in dieſem Augenblick; ich glaube nicht zu viel zu ſagen, auch in den<lb/> höheren Regionen. Die ſpecifiſchen Preußen, die noch bis ehegeſtern mit<lb/> ſchaudernder Entrüſtung auf die goldpapierne Krone blickten welche Frank-<lb/> furter Profeſſoren unter entehrenden Bedingungen dem Haupt der Hohen-<lb/> zollern darzubringen ſich nicht entblödeten, fangen an etwas gelinder zu<lb/> ſchaudern, als ſtehe eine Wendung bevor die ſie bedauern, aber zu hindern<lb/> zu ſchwach ſind. In den Kammern hat dieſe Partei ſich einigemal laut<lb/> gemacht, aber ſie hat gefühlt daß ihre Stimme nicht durchdringt, ſie<lb/> ſchweigt ſeitdem. Unſer Volk, unſere Bürger? Sie verläugnen nicht ihre<lb/> deutſche Natur. Sie ſtarrten vor etwas zurück das ihnen fremd, unerhört<lb/> war, ſie haben ſich nun daran gewöhnt, und heute ſchon iſt ihnen die Vor-<lb/> ſtellung angenehm, ſie ſchmeichelt ihnen. Sehr natürlich knüpfen ſich für<lb/><cb/> einige daran Vorſtellungen vom Wiederaufblühen Berlins, ſie ſehen die<lb/> geflohenen Einwohner zurückkehren, die neue Kaiſerſtadt werde neuen<lb/> Glanz empfangen, die leeren Häuſer vermiethet werden, die Bauluſt wie-<lb/> der erwachen, die Eiſenbahnen in Flor kommen. Plötzlich hat ſich eine<lb/> Wuth der Bevölkerung bemächtigt gegen diejenigen preußiſchen Deputirten<lb/> welche in Frankfurt gegen den Kaiſer geſtimmt, ihre Namen gehen von Hand<lb/> zu Hand, man wünſcht ſie zum Galgen, und es wäre ihnen nicht geradezu<lb/> gerathen wenn ſie in dieſem Augenblick zurückkehrten. Die Vertreterin der<lb/> Demokratie unter dem Belagerungszuſtande, die Nationalzeitung, gibt ſich<lb/> zwar alle Mühe ihre demokratiſchen Freunde zu vertheidigen, auseinander-<lb/> zuſetzen daß ſie nur aus volksfreundlichem Princip ſo gehandelt — das hilft<lb/> aber wenig vor dem Volke, und die Demokraten ſelbſt befinden ſich hier<lb/> wie in Frankfurt in einer ungewiſſen Stellung. Dazu kommt in dieſem<lb/> Augenblick eine für ſie ſehr unerfreuliche Entdeckung, das Auffinden einer<lb/> großen Maſſe verborgener Waffen, und darunter einer Kiſte mit Granaten,<lb/> die möglicherweiſe zu noch unangenehmeren Enthüllungen führt, ſelbſt<lb/> vielleicht dahin daß die berüchtigten Enthüllungen nicht durchaus Fiction<lb/> geweſen wären. Jedenfalls ein unangenehmes Intermezzo im Augenblick<lb/> wo das Volk über die Kaiſerwahl ſeines Königs erfreut iſt. Ob nun an-<lb/> nehmen, ob ablehnen? eines iſt gewiß, aus dem peinlichen, kleinlichen Par-<lb/> teiſtreit ſind wir in eine höhere Atmoſphäre entrückt. Der Geiſt athmet<lb/> einmal freier. Selbſt entſchiedene politiſche Gegner können ſich in dieſem<lb/> Punkte die Hand reichen. Vielleicht daß es zu einer Brücke nicht der Ver-<lb/> ſöhnung wird, aber hinüber in ſolche Regionen einer großartigen deutſchen<lb/> Politik, wo der unerſprießliche ſociale Hader zurückbleibt, am Ende ausge-<lb/> glichen durch Fuſionen anderer Art, in denen er ſich auflöst. Ich wünſche<lb/> damit nicht und meine damit nicht blutige. In der Kammer ſelbſt dürfte<lb/> ſchon morgen bei Behandlung der Frage ein erquicklicherer Geiſt ſich kund-<lb/> geben. Man ſpricht wieder mit Beſtimmtheit davon daß die Rechte ſich<lb/> bedeutend verſtärken werde, nachdem es ihr gelungen ihre äußerſte Flanke<lb/> entweder zur Nachgiebigkeit zu ſtimmen, oder ſich ganz von ihr zu trennen.<lb/> Eben höre ich daß die Frankfurter Deputation ſchon morgen früh ein-<lb/> trifft, indem ſie dieſe Nacht (Sonntag zum Montag) in Magdeburg über-<lb/> nachtet. Ihre Aufnahme unterwegs wäre, wenn ich dem Bericht trauen<lb/> darf, eine verſchiedene geweſen. In Köln hätte man ihr eine Katzenmuſik<lb/> gebracht, wogegen der Empfang durch ganz Weſtfalen einem Triumphzug<lb/> glich. Von Ham aus war eine Bürgerdeputation ihr hieher vorausgeeilt,<lb/> um die Wünſche der Weſtfalen für die Annahme auszuſprechen. Beſon-<lb/> ders feierlich war die Aufnahme in Hannover. Man brachte den Deputir-<lb/> ten einen Fackelzug. Wahrſcheinlich ebenſo glänzend und warm iſt ſie in<lb/> Braunſchweig geweſen, von wo eine ſtändiſche Deputation hier ſchon ange-<lb/> kommen iſt, man ſagt auch der Herzog. In Magdeburg wollte man heute<lb/> Rieſſern einen Ehrenbecher überreichen.</p><lb/> <p>Wir erhalten ſo eben noch die am 2 April erfolgten Verhandlungen<lb/> der beiden preußiſchen Kammern über die an den König zu richtenden<lb/> Adreſſen. In der zweiten Kammer ward folgender Entwurf (von Bincke)<lb/> mit 156 gegen 151 Stimmen angenommen — 23 Mitglieder enthielten<lb/> ſich der Abſtimmung: <floatingText><body><div n="1"><p>„Königl. Majeſtät. Noch find die Worte kaum ver-<lb/> hallt mit denen die Vertreter des preußiſchen Volks vor dem Throne Eurer<lb/> Maj. ihre Hoffnung für die Zukunft Deutſchlands ausſprachen, und ſchon<lb/> iſt durch die dringenden Ereigniſſe der entſcheidende Augenblick gekommen<lb/> von welchem Deutſchlands Geſchick ſeine Löſung erwartet. Es iſt das<lb/> Vertrauen der Vertreter des deutſchen Volkes welches Eure Maj. zu der<lb/> glorreichen Aufgabe beruft das erſte Oberhaupt des wieder erſtandenen<lb/> Deutſchlands zu ſeyn und mit ſtarker Hand die Leitung der Geſchicke des<lb/> Vaterlandes zu übernehmen. Wir verkennen nicht den Ernſt der Stunde,<lb/> das ſchwere Gewicht unabweisbarer Erwägungen. Im Angeſicht aber der<lb/> unberechenbaren Gefahren, wenn inmitten des in allen ſeinen Fugen erſchütter-<lb/> ten Continents Deutſchland ohne lenkende Hand den ſtreitenden Bewegungen<lb/> der Zeit überlaſſen bleibt, vertrauen wir Eurer Maj. Weisheit und Hin-<lb/> gebung für die Sache des Vaterlandes daß Sie den rechten Weg erkennen<lb/> und alle Schwierigkeiten überwinden werden. Wir legen ehrfurchtsvoll<lb/> die dringende Bitte an Eurer Maj. königliches Herz: ſich dem Ruf der deut-<lb/> ſchen Nationalverſammlung nicht entziehen und die Hoffnungen und Er-<lb/> wartungen des deutſchen Volks erfüllen zu wollen.“</p></div></body></floatingText></p><lb/> <p>In der erſten Kammer ging folgender Adreßentwurf mit allen gegen<lb/> drei Stimmen durch: <floatingText><body><div n="1"><p>„Königliche Majeſtät! Den Wünſchen und ahnungs-<lb/> vollen Erwartungen, welche wir noch in jüngſter Zeit über Deutſchlands<lb/> neue Geſtaltung und den Beruf Preußens dazu in beſonderer Weiſe mit-<lb/> zuwirken vor Ew. Maj. ausgeſprochen haben, find mit raſchem Schritt<lb/> entſcheidende Ereigniſſe gefolgt. Die zu Frankfurt a. M. verſammelten<lb/> Vertreter der deutſchen Nation haben Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">IV</hi>, König von<lb/> Preußen, wir ſagen mit erhebendem Gefühl unſern König, zum erblichen<lb/> Kaiſer der Deutſchen feierlich gewählt. Dieſe Botſchaft hat uns auf das<lb/> tieffte ergriffen. Wir ſehen durch dieſe Wahl, welche das Haus Hohen-<lb/> zollern zur Oberleitung unſers deutſchen Vaterlands berufen, das Ver-<lb/></p></div></body></floatingText></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1451/0003]
ten zu deuten. Von Braunſchweig iſt eine Deputation der dortigen Kam-
mer hier eingetroffen, um den König um die Annahme der Kaiſerkrone im
Namen Braunſchweigs zu bitten. Einer Deputation der Stadtverordne-
ten ſoll geſtern die Audienz beim König nicht bewilligt worden ſeyn. Die-
ſer Tage ging die Rede daß die Regierung den Belagerungszuſtand aufhe-
ben werde, damit das Volk ſeine Freude über die Wahl des Königs zum
deutſchen Kaiſer in feſtlichen Demonſtrationen ausdrücken könne. Bis
jetzt hat man dazu keine Anſtalten gemacht, und das Gerücht entbehrt
offenbar aller Begründung. Die Regierung hat, nach der Verſicherung
anderer, Urſache den Belagerungszuſtand vorläuſig noch fortdauern zu
laſſen. Im radicalen Lager ſoll allerlei geſponnen werden. Unter anderm
ſoll die Polizei in einem Hauſe der Johannisſtraße eine Kiſte mit Hand-
granaten, Gießwerkzeuge, viel Pulver, Blei und Zink, und dazu ein
Päckchen Briefe aufgefunden haben, die einen Deputirten von der äußer-
ſten Linken bedeutend compromittiren ſollen.
∸ Berlin, 1 April.
Die Adreſſe der geſtern niedergeſetzten Depu-
tation, um, nach Vincke’s Antrag, die Gefühle der zweiten Kammer bei
dem hochwichtigen Ereigniß aus Frankfurt vor dem Throne auszuſprechen,
circulirt ſchon in Abſchriften. Sie ſcheint weniger der Stimmung die ſich
jetzt kundgibt, und noch weniger der Anſicht der Männer zu entſprechen
aus denen die Commiſſion zuſammengeſetzt iſt, nämlich aus Mitgliedern der
äußerſten Rechten und äußerſten Linken. Die Adreſſe hält ſich entfernt
von allem Aeußerſten, und legt nur in ſehr ruhigem Ton die Anſicht der
Kammer, und damit, glaubt ſie, die des preußiſchen Volks dar: daß der
König den Augenblick nicht vorübergehen laſſen, und das nicht von ſich
weiſen möge was zum Heil des Geſammtvaterlandes den Vertretern desſel-
ben nothwendig geſchienen. Aller oratoriſche Schmuck, alle Seitenanſpie-
lungen ſind vermieden. Es iſt wohl außer Zweifel daß die Adreſſe
in der gewählten Form, wenn nicht ganz einſtimmig, doch ohne große Op-
poſition morgen durchgeht. Möglich daß ſie ſchon durchgegangen, eine
Deputation ernannt iſt, und dieſe die Adreſſe noch am ſelben Tage dem
König überbracht hat, bevor die Frankfurter Deputation morgen hier an-
langt. Nach ſo langem Zaudern iſt man in Berlin und Frankfurt endlich
zur Ueberzeugung gekommen daß man handeln und raſch handeln muß,
daß dieß der einzige Weg zum Ziel iſt. Der Umſchlag der Stimmung
hier, wenn man es ſo nennen kann, iſt auffällig. Nachdem der Welcker’-
ſche Antrag gefallen war, hatte man eigentlich die Sache ſelbſt als gefallen
gegeben, trotz aller Nachrichten und Winke aus Frankfurt daß dem nicht
ſo ſey. Als die telegraphiſche Nachricht von der erfolgten Annahme daß
ein erblicher Kaiſer Deutſchlands Oberhaupt werden ſoll, und die dar-
auf folgende daß Friedrich Wilhelm IV erwählt ſey, ankam, fand ſie noch
jene Stimmung vor. Selbſt den eifrigſten Kaiſerlichen erſchienen die Be-
dingungen ſo drückend, daß das preußiſche und königthümliche Gefühl ſich
dagegen auflehnte. Die Stimmung war ziemlich allgemein, ſie ſprach ſich
faſt in allen unſern Blättern aus: ſo kann er, und ein ſo geſchwächtes Kai-
ſerthum, nicht annehmen. Aber man kann hier wirklich ſagen, über Nacht
kam eine andere Erkenntniß. Ablehnen heißt: Frankfurt, die Majorität
der erwachten Nation in ihrem erſten freien Act vor den Kopf ſtoßen, es
heißt das ganze mühſam geſchaffene Werk umſtoßen, und entweder eine
neue Ungewißheit, eine Revolution, ein Chaos hervorrufen deſſen Ende
nicht abzuſehen, oder den gerechten Vorwurf auf ſich laden daß man doch
ein geheimes Spiel getrieben, und mit andern Mächten das der Nation
aufdringen wolle was ſie ſich ſelbſt zu geben für befähigt und berechtigt
hielt, eine Verfaſſung. Annehmen unter der Bedingung daß die letzten
beſchränkenden Beſchlüſſe zurückgenommen würden, hieße ſo viel als ableh-
nen, da die Frankfurter Nationalverſammlung dazu außer Stande iſt. Es
hieße die compromittiren die ihr alles eingeſetzt, um das wenigſtens zu er-
reichen was jetzt nach ſo furchtbaren Kämpfen errungen iſt. Gegen die
letzten Zweifel hilft nur die That. Man verbarg und verbirgt ſich gar
nicht welche äußern, welche innern Gefahren auch dabei drohen, aber auch
hier kann nur die That helfen. Was wollen ſie ſagen gegen das fait ac-
compli? Die jetzt im Rechte ſcheinen und in Macht ſind, ſind dann nur in
Oppoſition gegen ein legales Recht und eine Macht. So iſt die Stim-
mung in dieſem Augenblick; ich glaube nicht zu viel zu ſagen, auch in den
höheren Regionen. Die ſpecifiſchen Preußen, die noch bis ehegeſtern mit
ſchaudernder Entrüſtung auf die goldpapierne Krone blickten welche Frank-
furter Profeſſoren unter entehrenden Bedingungen dem Haupt der Hohen-
zollern darzubringen ſich nicht entblödeten, fangen an etwas gelinder zu
ſchaudern, als ſtehe eine Wendung bevor die ſie bedauern, aber zu hindern
zu ſchwach ſind. In den Kammern hat dieſe Partei ſich einigemal laut
gemacht, aber ſie hat gefühlt daß ihre Stimme nicht durchdringt, ſie
ſchweigt ſeitdem. Unſer Volk, unſere Bürger? Sie verläugnen nicht ihre
deutſche Natur. Sie ſtarrten vor etwas zurück das ihnen fremd, unerhört
war, ſie haben ſich nun daran gewöhnt, und heute ſchon iſt ihnen die Vor-
ſtellung angenehm, ſie ſchmeichelt ihnen. Sehr natürlich knüpfen ſich für
einige daran Vorſtellungen vom Wiederaufblühen Berlins, ſie ſehen die
geflohenen Einwohner zurückkehren, die neue Kaiſerſtadt werde neuen
Glanz empfangen, die leeren Häuſer vermiethet werden, die Bauluſt wie-
der erwachen, die Eiſenbahnen in Flor kommen. Plötzlich hat ſich eine
Wuth der Bevölkerung bemächtigt gegen diejenigen preußiſchen Deputirten
welche in Frankfurt gegen den Kaiſer geſtimmt, ihre Namen gehen von Hand
zu Hand, man wünſcht ſie zum Galgen, und es wäre ihnen nicht geradezu
gerathen wenn ſie in dieſem Augenblick zurückkehrten. Die Vertreterin der
Demokratie unter dem Belagerungszuſtande, die Nationalzeitung, gibt ſich
zwar alle Mühe ihre demokratiſchen Freunde zu vertheidigen, auseinander-
zuſetzen daß ſie nur aus volksfreundlichem Princip ſo gehandelt — das hilft
aber wenig vor dem Volke, und die Demokraten ſelbſt befinden ſich hier
wie in Frankfurt in einer ungewiſſen Stellung. Dazu kommt in dieſem
Augenblick eine für ſie ſehr unerfreuliche Entdeckung, das Auffinden einer
großen Maſſe verborgener Waffen, und darunter einer Kiſte mit Granaten,
die möglicherweiſe zu noch unangenehmeren Enthüllungen führt, ſelbſt
vielleicht dahin daß die berüchtigten Enthüllungen nicht durchaus Fiction
geweſen wären. Jedenfalls ein unangenehmes Intermezzo im Augenblick
wo das Volk über die Kaiſerwahl ſeines Königs erfreut iſt. Ob nun an-
nehmen, ob ablehnen? eines iſt gewiß, aus dem peinlichen, kleinlichen Par-
teiſtreit ſind wir in eine höhere Atmoſphäre entrückt. Der Geiſt athmet
einmal freier. Selbſt entſchiedene politiſche Gegner können ſich in dieſem
Punkte die Hand reichen. Vielleicht daß es zu einer Brücke nicht der Ver-
ſöhnung wird, aber hinüber in ſolche Regionen einer großartigen deutſchen
Politik, wo der unerſprießliche ſociale Hader zurückbleibt, am Ende ausge-
glichen durch Fuſionen anderer Art, in denen er ſich auflöst. Ich wünſche
damit nicht und meine damit nicht blutige. In der Kammer ſelbſt dürfte
ſchon morgen bei Behandlung der Frage ein erquicklicherer Geiſt ſich kund-
geben. Man ſpricht wieder mit Beſtimmtheit davon daß die Rechte ſich
bedeutend verſtärken werde, nachdem es ihr gelungen ihre äußerſte Flanke
entweder zur Nachgiebigkeit zu ſtimmen, oder ſich ganz von ihr zu trennen.
Eben höre ich daß die Frankfurter Deputation ſchon morgen früh ein-
trifft, indem ſie dieſe Nacht (Sonntag zum Montag) in Magdeburg über-
nachtet. Ihre Aufnahme unterwegs wäre, wenn ich dem Bericht trauen
darf, eine verſchiedene geweſen. In Köln hätte man ihr eine Katzenmuſik
gebracht, wogegen der Empfang durch ganz Weſtfalen einem Triumphzug
glich. Von Ham aus war eine Bürgerdeputation ihr hieher vorausgeeilt,
um die Wünſche der Weſtfalen für die Annahme auszuſprechen. Beſon-
ders feierlich war die Aufnahme in Hannover. Man brachte den Deputir-
ten einen Fackelzug. Wahrſcheinlich ebenſo glänzend und warm iſt ſie in
Braunſchweig geweſen, von wo eine ſtändiſche Deputation hier ſchon ange-
kommen iſt, man ſagt auch der Herzog. In Magdeburg wollte man heute
Rieſſern einen Ehrenbecher überreichen.
Wir erhalten ſo eben noch die am 2 April erfolgten Verhandlungen
der beiden preußiſchen Kammern über die an den König zu richtenden
Adreſſen. In der zweiten Kammer ward folgender Entwurf (von Bincke)
mit 156 gegen 151 Stimmen angenommen — 23 Mitglieder enthielten
ſich der Abſtimmung: „Königl. Majeſtät. Noch find die Worte kaum ver-
hallt mit denen die Vertreter des preußiſchen Volks vor dem Throne Eurer
Maj. ihre Hoffnung für die Zukunft Deutſchlands ausſprachen, und ſchon
iſt durch die dringenden Ereigniſſe der entſcheidende Augenblick gekommen
von welchem Deutſchlands Geſchick ſeine Löſung erwartet. Es iſt das
Vertrauen der Vertreter des deutſchen Volkes welches Eure Maj. zu der
glorreichen Aufgabe beruft das erſte Oberhaupt des wieder erſtandenen
Deutſchlands zu ſeyn und mit ſtarker Hand die Leitung der Geſchicke des
Vaterlandes zu übernehmen. Wir verkennen nicht den Ernſt der Stunde,
das ſchwere Gewicht unabweisbarer Erwägungen. Im Angeſicht aber der
unberechenbaren Gefahren, wenn inmitten des in allen ſeinen Fugen erſchütter-
ten Continents Deutſchland ohne lenkende Hand den ſtreitenden Bewegungen
der Zeit überlaſſen bleibt, vertrauen wir Eurer Maj. Weisheit und Hin-
gebung für die Sache des Vaterlandes daß Sie den rechten Weg erkennen
und alle Schwierigkeiten überwinden werden. Wir legen ehrfurchtsvoll
die dringende Bitte an Eurer Maj. königliches Herz: ſich dem Ruf der deut-
ſchen Nationalverſammlung nicht entziehen und die Hoffnungen und Er-
wartungen des deutſchen Volks erfüllen zu wollen.“
In der erſten Kammer ging folgender Adreßentwurf mit allen gegen
drei Stimmen durch: „Königliche Majeſtät! Den Wünſchen und ahnungs-
vollen Erwartungen, welche wir noch in jüngſter Zeit über Deutſchlands
neue Geſtaltung und den Beruf Preußens dazu in beſonderer Weiſe mit-
zuwirken vor Ew. Maj. ausgeſprochen haben, find mit raſchem Schritt
entſcheidende Ereigniſſe gefolgt. Die zu Frankfurt a. M. verſammelten
Vertreter der deutſchen Nation haben Friedrich Wilhelm IV, König von
Preußen, wir ſagen mit erhebendem Gefühl unſern König, zum erblichen
Kaiſer der Deutſchen feierlich gewählt. Dieſe Botſchaft hat uns auf das
tieffte ergriffen. Wir ſehen durch dieſe Wahl, welche das Haus Hohen-
zollern zur Oberleitung unſers deutſchen Vaterlands berufen, das Ver-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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