Allgemeine Zeitung, Nr. 95, 5. April 1849.Beilage zu Nr. 95 der Allgemeinen Zeitung vom 5 April 1849. [Spaltenumbruch] Zur deutschen Politik und Diplomatie. VI. Und wenn die große Kaiserwahl zu Frankfurt a. M. durchaus Das sind lauter Thatsachen, sind, wie der Schwabe sagt, lauter Bin- Mit diesem Schritte wird es ja nun wohl richtig und fertig seyn daß Beilage zu Nr. 95 der Allgemeinen Zeitung vom 5 April 1849. [Spaltenumbruch] Zur deutſchen Politik und Diplomatie. VI. ⸫ Und wenn die große Kaiſerwahl zu Frankfurt a. M. durchaus Das ſind lauter Thatſachen, ſind, wie der Schwabe ſagt, lauter Bin- Mit dieſem Schritte wird es ja nun wohl richtig und fertig ſeyn daß <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zu Nr. 95 der Allgemeinen Zeitung vom 5 April 1849.</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Zur deutſchen Politik und Diplomatie.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">VI.</hi> </hi> </head><lb/> <p>⸫ Und wenn die große Kaiſerwahl zu Frankfurt a. 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Der Czar hätte viel lieber den Magyaren durch Fürſt<lb/> Windiſch-Grätz behandelt geſehen, wie er ſelbſt den Zwillingsbruder des-<lb/> ſelben, den Sarmaten, vor Jahr und Tag behandelte; er wartete von<lb/> Poſt zu Poſt auf ein Bulletin in dem bekannten Style: <hi rendition="#aq">l’ordre règne à<lb/> Bude!</hi> Natürlich lauteten aber die Inſtructionen mit welchen Fürſt<lb/> Schwarzenberg ſeinen Schwager nach Peſth ſchickte, ſehr verſchieden von<lb/> dieſen ruſſiſchen Erwartungen. Wie Ihre Wiener Correſpondenz un-<lb/> längſt ſehr richtig bemerkte mußte Oeſterreich in Ungarn anders auftreten<lb/> wie in Italien, mußte den Anerbietungen, ehrlichen oder falſchen, der<lb/> dortigen conſervativen oder kaiſerlichen Partei entgegenzukommen ver-<lb/> ſuchen, mußte, wie als Thatſache verſichert wird, in des Feindes Lager,<lb/> in Debreczin und im ungariſchen Rumpfparlament nach Bundesgenoſſen<lb/> trachten und vielleicht ſogar ſeine Sendlinge dort einſchmuggeln. Möglich<lb/> daß einzelne und perſönliche ariſtokratiſche Sympathien auch mit unter-<lb/> lieſen, daß der oder jener öſterreichiſche „Cavalier“ in ſeinem ehemaligen<lb/> ungariſchen „Hrn. Brudern“, in dem Louis oder Peppi, mit welchen er in<lb/> Wien ſo gemüthlich excluſire Stunden verlebt, nicht gleich einen Hoch-<lb/> verräther und Erzfeind finden und faſſen zu dürfen meinte. Die ganze<lb/> aus ſolchen Verhältniſſen und der übrigen Stellung der Monarchie noth-<lb/> wendig folgende Transaction mit Ungarn war dem Petersburger Cabinet<lb/> ein Gräuel, dem Grundſatze und der Erſcheinung nach. Dieß die erſte<lb/> ſchon ganz weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen Olmütz und Petersburg.<lb/> Nun kam das Erſcheinen und Auftreten des ruſſiſchen Corps in Sieben-<lb/> bürgen. Der Eindruck welchen dasſelbe nicht bloß in Deutſchland, ſon-<lb/> dern auch in Oeſterreich machte, die Aufnahme die der Schutzengel in<lb/> grüner Uniform bei dem eigenen Schützling fand, haben in Petersburg<lb/> gewaltig verſchnupft. Nicht mit Unrecht, wenn wir die Sache von menſch-<lb/> lichem Standpunkt betrachten. Wenn ich in das brennende Haus meines<lb/> Nachbarn rettend und löſchend hinübereile, und dieſer Nachbar empfängt<lb/> mich mit einem ſauerſüßen Geſicht das da ausfieht als möchte er mich<lb/> ſammt dem mordbrennenden Geſindel lieber hinausſchmeißen als gegen<lb/> dasſelbe willkommen heißen, und alle ſeine Nachbarn und alle meine Nach-<lb/> barn rufen phariſäiſch wehklagend aus: „Seht er treibt den Teufel aus<lb/> durch der Teufel Oberſten“, ei, ſo iſt es doch ſehr begreiflich daß ein ſolcher<lb/> Dank mich innerlichſt verletzt, und daß ich mich zurückziehe ſobald, ſo weit<lb/> und ſo lange es die mir ſelber drohende Gefahr erlaubt. So und nicht<lb/> anders verlief aber die ruſſiſche Epiſode in Siebenbürgen; ein Verlauf<lb/> aus welchem vielleicht auch das neue Unglück der armen Hermannsſtadt<lb/> ſich erklärt. Das war alſo die zweite ſehr bedeutſame Erkaltung zwiſchen<lb/> Olmütz und Petersburg. Und dazu kommt nun noch als Grundton des<lb/> ganzen Wechſelverhältniſſes die allgemeine Stimmung welche in Oeſter-<lb/> reich, den Ruſſen gegenüber, die vorherrſchende von jeher geweſen iſt, eine<lb/> nichts weniger als ſympathetiſche und wahlverwandtſchaftliche. Wer<lb/> Oeſterreich kennt, das vor-wie nachmärzliche, weiß das recht gut; im<lb/> Volk und im Heer ſpricht ſich jener Grundton bei jeder Veranlaſſung zu<lb/> entſchieden aus. Wer Wien kennt weiß ebenfalls daß derſelbe Grundton<lb/> in den höchſten Kreiſen der Kaiſerſtadt anklingt und wiederhallt. Wer<lb/> endlich die gegenwärtige Regierung kennt, für deren auswärtige Politik<lb/> Fürſt Friedrich Schwarzenberg wohl als Movens angenommen werden<lb/> darf, der weiß daß dieſer aus perſönlicher Erinnerung und nach ſeinem<lb/> geſammten ſtaatsmänniſchen Standpunkte eher gegen Petersburg Front<lb/> zu machen geneigt iſt als mit ihm zu gehen. Glaub man denn wirklich,<lb/> kann man vernünſtigerweiſe glauben Oeſterreich verkenne ſeine Stellung<lb/> gegen Rußland ſo weit um in dieſer Macht den nächſten und natürlichen<lb/> Bundesgenoſſen zu ſuchen?</p><lb/> <p>Das ſind lauter Thatſachen, ſind, wie der Schwabe ſagt, lauter Bin-<lb/> ſenwahrheiten. Statt von ihnen, ging die Frankfurter Politik, vielleicht<lb/> auch die Berliner, von Vorausſetzungen und Ueberlieferungen aus die<lb/><cb/> durchaus unbegründet ſind und in ſchneidendem Widerſpruch mit der<lb/> Wirklichkeit ſtehen. Wenn einerſeits nicht geläugnet werden ſoll daß das<lb/> Olmützer Cabinet in ſeiner Politik, Deutſchland gegenüber, mit ſeinem<lb/> Frankfurter Bevollmächtigten ſich nicht immer verſtanden und verſtändigt<lb/> hat, wie es mußte, ſo kann doch noch weniger in Abrede gezogen werden<lb/> daß die ſogenannte deutſche Politik in Frankfurt gegen Oeſterreich noch<lb/> weniger that was ſie konnte, was ſie im wohlverſtandenen beiderſeitigen<lb/> Intereſſe auch mußte. Wir wollen den Stein der Anklage: Ausſtoßen<lb/> und Austreten, nicht noch einmal hin- und herwälzen; aber das ſteht<lb/> feſt daß auf die Frankfurter Vorſchläge und Bedingungen, auf die Hal-<lb/> tung der kleindeutſchen Partei und Preſſe hin eine deutſche Politik für<lb/> Oeſterreich pure Unmöglichkeit wurde. Man trug in Frankfurt den in-<lb/> neren Verwicklungen Oeſterreichs nur ſo weit Rechnung als ſie dazu<lb/> dienten Oeſterreich in Frankfurt abzuweiſen. Man verlangte von einer<lb/> Regierung welche die ſcheußliche Doppel-Erbſchaft Metternich’ſcher Abſo-<lb/> lutien und Weſſenbergiſcher Anarchie antrat, im nächſten, im erſten Au-<lb/> genblick eine fertige, volle, freie Politik. Man riß, um das dortige Mi-<lb/> niſterium in Bauſch und Bogen und kurzer Hand zu verurtheilen, das-<lb/> ſelbe aus ſeinen Prämiſſen heraus, forderte von ihm daß es größer ſeyn<lb/> ſolle als die gegebenen Umſtände geſtatteten, daß es aus dem einbrechen-<lb/> den Concurs des eigenen Hauſes noch unhaltbare Anſprüche anderer<lb/> Häuſer befriedigte. Der <hi rendition="#aq">O</hi> Correſpondent der Allg. Zeitung hat neulich<lb/> in dieſen Blättern ſehr klar und ſehr geiſtreich dieſe Lage Oeſterreichs ge-<lb/> ſchildert. Dort ſtanden als Fürſt Schwarzenberg eintrat, dort ſtehen noch<lb/> alle Nationalitäten in offenem Kampf einander gegenüber: der ungariſche<lb/> Ochs in vollem, ungehemmtem Anlauf, der polniſche Wolf an ſeiner<lb/> Seite zum Sprunge bereit, der tſchechiſche Luchs auf die erſte Stunde<lb/> paſſend, die italieniſche Schlange zwar gekrümmt unter ehernem Fußtritt,<lb/> aber ſich aufbäumend und losſtechend, ſobald dieſer Fuß einen Zollbreit<lb/> nur ſich lupft! Und Fürſt Schwarzenberg ſollte in einem und demſelben<lb/> Augenblick nicht nur dieſe Beſtien alle, die der Rückkehr in ihren wilden<lb/> Naturzuſtand und des Mord- und Beute-Lebens auf den ungariſchen<lb/> Puſten und in den Schluchten der Lombardei ſich jubelnd freuen, ſie alle<lb/> ſollte er in demſelben Augenblick zu geregelten, feſten Verhältniſſen zu-<lb/> rückführen und obendrein aus ihrer Mitte den Handſchuh galant aufheben<lb/> welchen Dame Nationalverſammlung vom ſicheren Altan der Paulskirche<lb/> ihm hingeworfen! Iſt das ſtaatsmänniſch gefordert, menſchlich begehrt,<lb/> deutſch-brüderlich gehandelt? So oft Oeſterreich auf alle dieſe Anſprüche<lb/> und Bedrängniſſe nur um Zeit bat, um Friſt zur eigenen Sammlung,<lb/> um eine Stunde freieren Aufathmens, ſo oft trieb die wahnwitzige Eile<lb/> der Kleindeutſchen in ſtarrer Verneinung zum raſchen Entſcheiden: <hi rendition="#aq">la<lb/> bourse ou la vie</hi>, das war ihr Feldgeſchrei. Nebenbei geſagt: Dieſelbe<lb/> Eile die in den theoretiſchen Grundrechten mit der Schneckenpoſt ging,<lb/> und dafür in den praktiſchen Verfaſſungsfragen die vergeudete Zeit per<lb/> Dampf einzuholen trachtete — dieſelbe Eile welche auf das unfertige<lb/> Haus einen loſen Kranz drückt, eine Kaiſerkrone, deren edles Metall<lb/> mit dem Bleizuſatz des Wahlgeſetzes und des Suspenſto-Veto legirt iſt!</p><lb/> <p>Mit dieſem Schritte wird es ja nun wohl richtig und fertig ſeyn daß<lb/> Oeſterreich, durch deutſche Politik dorthin gedrängt, an Rußland ſich an-<lb/> lehnt. Preußen, auf den Sieg von Frankfurt geſtützt, kann ihm Bedin-<lb/> gungen ſtellen welche hinwiederum Oeſterreich, anf den Sieg von Novara<lb/> geſtützt, zurückweiſen kann. An Frankreich, an Italien findet Oeſterreich,<lb/> wie die Sachen ſtehen, keinen ſeiner Richtung und ſeinen Intereſſen homo-<lb/> genen Bundesgenoſſen. Abgewieſen von der nächſten weſtlichen Operations-<lb/> linie ſeiner auswärtigen Politik, muß es eine öſtliche zu bilden ſuchen die<lb/> es von Deutſchland weiter und weiter entfernt. Zu dieſer Entſernung<lb/> werden dann ihrerſeits das ihrige beitragen die Agenten der öſterreichiſchen<lb/> Politik welche Fürſt Schwarzenberg nothgedrungen, zum Theil wohl gegen<lb/> ſeine eigene Wahl, aus dem Vermächtniß ſeines Vorgängers entlehnen<lb/> muß. Zwei unter ihnen, die Geſandten in Petersburg und Berlin, alſo<lb/> gerade an den charakteriſtiſcheſten Punkten, dürften zu einer deutſchen Po-<lb/> litik Oeſterreichs ohnehin nicht den beſten Willen mitbringen. Unter ſol-<lb/> chen Umſtänden kann es denn nicht fehlen daß jener Bruch zwiſchen Oeſter-<lb/> reich und Preußen, <cit><quote>„<hi rendition="#g">an welchen</hi> (Deutſche Zeitung Nr. 57, zweite Bei-<lb/> lage, Vom Rhein) <hi rendition="#g">eben jetzt und nur jetzt, und jetzt ganz und gar<lb/> zu denken iſt</hi>,“</quote></cit> aus den Gedanken in die Wirklichkeit ſich überträgt.<lb/> Nur geben wir den beiden HH. Correſpondenten „Vom Rhein“ dazu<lb/> noch etwas weiteres zu bedenken. Wenn er nämlich am 26 März noch hofft,<lb/><cit><quote>„<hi rendition="#g">jene treu und ehrloſe Macht</hi> (natürlich Oeſterreich) <hi rendition="#g">ſey nun noch<lb/> in Ungarn und Italien im Schach zu halten</hi>,“</quote></cit> ſo hat der kühne<lb/> Zug des alten Springers bei Novara wenigſtens auf einem Felde des<lb/> Schachbrettes dieſe „<hi rendition="#g">deutſche</hi>“ Hoffnung zu Schanden gemacht. Wenn er<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Beilage zu Nr. 95 der Allgemeinen Zeitung vom 5 April 1849.
Zur deutſchen Politik und Diplomatie.
VI.
⸫ Und wenn die große Kaiſerwahl zu Frankfurt a. M. durchaus
keine Folgen für Deutſchland und deſſen innere Verhältniſſe hätte, ſo
bleibt ihr wenigſtens nach außen das unbeſtreitbare Verdienſt daß ſie
Oeſterreich in Rußlands Arme wirft und das bisher mehr in Einbildung
oder Täuſchung als in Wirklichkeit beſtandene innige Verhältniß beider
Mächte zu einer Wahrheit zu machen anfängt. Glaubwürdigen Nach-
richten zufolge hatte dieß Verſtändniß neuerdings ein tüchtiges Loch be-
kommen, und was auf den erſten oberflächlichen Blick als deſſen Beſtege-
lung erſchien, die ruſſiſche Hülfe in Siebenbürgen, ſtellte ſich der tieferen
Betrachtung beinahe wie ein Bruch dar. Man blickte in Petersburg ſchon
lange mit unverhohlenem Mißvergnügen auf die zögernden Schritte Oeſter-
reichs in Ungarn. Der Czar hätte viel lieber den Magyaren durch Fürſt
Windiſch-Grätz behandelt geſehen, wie er ſelbſt den Zwillingsbruder des-
ſelben, den Sarmaten, vor Jahr und Tag behandelte; er wartete von
Poſt zu Poſt auf ein Bulletin in dem bekannten Style: l’ordre règne à
Bude! Natürlich lauteten aber die Inſtructionen mit welchen Fürſt
Schwarzenberg ſeinen Schwager nach Peſth ſchickte, ſehr verſchieden von
dieſen ruſſiſchen Erwartungen. Wie Ihre Wiener Correſpondenz un-
längſt ſehr richtig bemerkte mußte Oeſterreich in Ungarn anders auftreten
wie in Italien, mußte den Anerbietungen, ehrlichen oder falſchen, der
dortigen conſervativen oder kaiſerlichen Partei entgegenzukommen ver-
ſuchen, mußte, wie als Thatſache verſichert wird, in des Feindes Lager,
in Debreczin und im ungariſchen Rumpfparlament nach Bundesgenoſſen
trachten und vielleicht ſogar ſeine Sendlinge dort einſchmuggeln. Möglich
daß einzelne und perſönliche ariſtokratiſche Sympathien auch mit unter-
lieſen, daß der oder jener öſterreichiſche „Cavalier“ in ſeinem ehemaligen
ungariſchen „Hrn. Brudern“, in dem Louis oder Peppi, mit welchen er in
Wien ſo gemüthlich excluſire Stunden verlebt, nicht gleich einen Hoch-
verräther und Erzfeind finden und faſſen zu dürfen meinte. Die ganze
aus ſolchen Verhältniſſen und der übrigen Stellung der Monarchie noth-
wendig folgende Transaction mit Ungarn war dem Petersburger Cabinet
ein Gräuel, dem Grundſatze und der Erſcheinung nach. Dieß die erſte
ſchon ganz weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen Olmütz und Petersburg.
Nun kam das Erſcheinen und Auftreten des ruſſiſchen Corps in Sieben-
bürgen. Der Eindruck welchen dasſelbe nicht bloß in Deutſchland, ſon-
dern auch in Oeſterreich machte, die Aufnahme die der Schutzengel in
grüner Uniform bei dem eigenen Schützling fand, haben in Petersburg
gewaltig verſchnupft. Nicht mit Unrecht, wenn wir die Sache von menſch-
lichem Standpunkt betrachten. Wenn ich in das brennende Haus meines
Nachbarn rettend und löſchend hinübereile, und dieſer Nachbar empfängt
mich mit einem ſauerſüßen Geſicht das da ausfieht als möchte er mich
ſammt dem mordbrennenden Geſindel lieber hinausſchmeißen als gegen
dasſelbe willkommen heißen, und alle ſeine Nachbarn und alle meine Nach-
barn rufen phariſäiſch wehklagend aus: „Seht er treibt den Teufel aus
durch der Teufel Oberſten“, ei, ſo iſt es doch ſehr begreiflich daß ein ſolcher
Dank mich innerlichſt verletzt, und daß ich mich zurückziehe ſobald, ſo weit
und ſo lange es die mir ſelber drohende Gefahr erlaubt. So und nicht
anders verlief aber die ruſſiſche Epiſode in Siebenbürgen; ein Verlauf
aus welchem vielleicht auch das neue Unglück der armen Hermannsſtadt
ſich erklärt. Das war alſo die zweite ſehr bedeutſame Erkaltung zwiſchen
Olmütz und Petersburg. Und dazu kommt nun noch als Grundton des
ganzen Wechſelverhältniſſes die allgemeine Stimmung welche in Oeſter-
reich, den Ruſſen gegenüber, die vorherrſchende von jeher geweſen iſt, eine
nichts weniger als ſympathetiſche und wahlverwandtſchaftliche. Wer
Oeſterreich kennt, das vor-wie nachmärzliche, weiß das recht gut; im
Volk und im Heer ſpricht ſich jener Grundton bei jeder Veranlaſſung zu
entſchieden aus. Wer Wien kennt weiß ebenfalls daß derſelbe Grundton
in den höchſten Kreiſen der Kaiſerſtadt anklingt und wiederhallt. Wer
endlich die gegenwärtige Regierung kennt, für deren auswärtige Politik
Fürſt Friedrich Schwarzenberg wohl als Movens angenommen werden
darf, der weiß daß dieſer aus perſönlicher Erinnerung und nach ſeinem
geſammten ſtaatsmänniſchen Standpunkte eher gegen Petersburg Front
zu machen geneigt iſt als mit ihm zu gehen. Glaub man denn wirklich,
kann man vernünſtigerweiſe glauben Oeſterreich verkenne ſeine Stellung
gegen Rußland ſo weit um in dieſer Macht den nächſten und natürlichen
Bundesgenoſſen zu ſuchen?
Das ſind lauter Thatſachen, ſind, wie der Schwabe ſagt, lauter Bin-
ſenwahrheiten. Statt von ihnen, ging die Frankfurter Politik, vielleicht
auch die Berliner, von Vorausſetzungen und Ueberlieferungen aus die
durchaus unbegründet ſind und in ſchneidendem Widerſpruch mit der
Wirklichkeit ſtehen. Wenn einerſeits nicht geläugnet werden ſoll daß das
Olmützer Cabinet in ſeiner Politik, Deutſchland gegenüber, mit ſeinem
Frankfurter Bevollmächtigten ſich nicht immer verſtanden und verſtändigt
hat, wie es mußte, ſo kann doch noch weniger in Abrede gezogen werden
daß die ſogenannte deutſche Politik in Frankfurt gegen Oeſterreich noch
weniger that was ſie konnte, was ſie im wohlverſtandenen beiderſeitigen
Intereſſe auch mußte. Wir wollen den Stein der Anklage: Ausſtoßen
und Austreten, nicht noch einmal hin- und herwälzen; aber das ſteht
feſt daß auf die Frankfurter Vorſchläge und Bedingungen, auf die Hal-
tung der kleindeutſchen Partei und Preſſe hin eine deutſche Politik für
Oeſterreich pure Unmöglichkeit wurde. Man trug in Frankfurt den in-
neren Verwicklungen Oeſterreichs nur ſo weit Rechnung als ſie dazu
dienten Oeſterreich in Frankfurt abzuweiſen. Man verlangte von einer
Regierung welche die ſcheußliche Doppel-Erbſchaft Metternich’ſcher Abſo-
lutien und Weſſenbergiſcher Anarchie antrat, im nächſten, im erſten Au-
genblick eine fertige, volle, freie Politik. Man riß, um das dortige Mi-
niſterium in Bauſch und Bogen und kurzer Hand zu verurtheilen, das-
ſelbe aus ſeinen Prämiſſen heraus, forderte von ihm daß es größer ſeyn
ſolle als die gegebenen Umſtände geſtatteten, daß es aus dem einbrechen-
den Concurs des eigenen Hauſes noch unhaltbare Anſprüche anderer
Häuſer befriedigte. Der O Correſpondent der Allg. Zeitung hat neulich
in dieſen Blättern ſehr klar und ſehr geiſtreich dieſe Lage Oeſterreichs ge-
ſchildert. Dort ſtanden als Fürſt Schwarzenberg eintrat, dort ſtehen noch
alle Nationalitäten in offenem Kampf einander gegenüber: der ungariſche
Ochs in vollem, ungehemmtem Anlauf, der polniſche Wolf an ſeiner
Seite zum Sprunge bereit, der tſchechiſche Luchs auf die erſte Stunde
paſſend, die italieniſche Schlange zwar gekrümmt unter ehernem Fußtritt,
aber ſich aufbäumend und losſtechend, ſobald dieſer Fuß einen Zollbreit
nur ſich lupft! Und Fürſt Schwarzenberg ſollte in einem und demſelben
Augenblick nicht nur dieſe Beſtien alle, die der Rückkehr in ihren wilden
Naturzuſtand und des Mord- und Beute-Lebens auf den ungariſchen
Puſten und in den Schluchten der Lombardei ſich jubelnd freuen, ſie alle
ſollte er in demſelben Augenblick zu geregelten, feſten Verhältniſſen zu-
rückführen und obendrein aus ihrer Mitte den Handſchuh galant aufheben
welchen Dame Nationalverſammlung vom ſicheren Altan der Paulskirche
ihm hingeworfen! Iſt das ſtaatsmänniſch gefordert, menſchlich begehrt,
deutſch-brüderlich gehandelt? So oft Oeſterreich auf alle dieſe Anſprüche
und Bedrängniſſe nur um Zeit bat, um Friſt zur eigenen Sammlung,
um eine Stunde freieren Aufathmens, ſo oft trieb die wahnwitzige Eile
der Kleindeutſchen in ſtarrer Verneinung zum raſchen Entſcheiden: la
bourse ou la vie, das war ihr Feldgeſchrei. Nebenbei geſagt: Dieſelbe
Eile die in den theoretiſchen Grundrechten mit der Schneckenpoſt ging,
und dafür in den praktiſchen Verfaſſungsfragen die vergeudete Zeit per
Dampf einzuholen trachtete — dieſelbe Eile welche auf das unfertige
Haus einen loſen Kranz drückt, eine Kaiſerkrone, deren edles Metall
mit dem Bleizuſatz des Wahlgeſetzes und des Suspenſto-Veto legirt iſt!
Mit dieſem Schritte wird es ja nun wohl richtig und fertig ſeyn daß
Oeſterreich, durch deutſche Politik dorthin gedrängt, an Rußland ſich an-
lehnt. Preußen, auf den Sieg von Frankfurt geſtützt, kann ihm Bedin-
gungen ſtellen welche hinwiederum Oeſterreich, anf den Sieg von Novara
geſtützt, zurückweiſen kann. An Frankreich, an Italien findet Oeſterreich,
wie die Sachen ſtehen, keinen ſeiner Richtung und ſeinen Intereſſen homo-
genen Bundesgenoſſen. Abgewieſen von der nächſten weſtlichen Operations-
linie ſeiner auswärtigen Politik, muß es eine öſtliche zu bilden ſuchen die
es von Deutſchland weiter und weiter entfernt. Zu dieſer Entſernung
werden dann ihrerſeits das ihrige beitragen die Agenten der öſterreichiſchen
Politik welche Fürſt Schwarzenberg nothgedrungen, zum Theil wohl gegen
ſeine eigene Wahl, aus dem Vermächtniß ſeines Vorgängers entlehnen
muß. Zwei unter ihnen, die Geſandten in Petersburg und Berlin, alſo
gerade an den charakteriſtiſcheſten Punkten, dürften zu einer deutſchen Po-
litik Oeſterreichs ohnehin nicht den beſten Willen mitbringen. Unter ſol-
chen Umſtänden kann es denn nicht fehlen daß jener Bruch zwiſchen Oeſter-
reich und Preußen, „an welchen (Deutſche Zeitung Nr. 57, zweite Bei-
lage, Vom Rhein) eben jetzt und nur jetzt, und jetzt ganz und gar
zu denken iſt,“ aus den Gedanken in die Wirklichkeit ſich überträgt.
Nur geben wir den beiden HH. Correſpondenten „Vom Rhein“ dazu
noch etwas weiteres zu bedenken. Wenn er nämlich am 26 März noch hofft,
„jene treu und ehrloſe Macht (natürlich Oeſterreich) ſey nun noch
in Ungarn und Italien im Schach zu halten,“ ſo hat der kühne
Zug des alten Springers bei Novara wenigſtens auf einem Felde des
Schachbrettes dieſe „deutſche“ Hoffnung zu Schanden gemacht. Wenn er
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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