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Allgemeine Zeitung, Nr. 98, 8. April 1849.

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Beilage zu Nr. 98 der Allgemeinen Zeitung vom 8 April 1849.


[Spaltenumbruch]
Franz Joseph II und seine Erzieher.

Sun Weder für Oesterreich noch für Deutschland dürfte es in diesem
Augenblick gleichgültig seyn zu wissen wie und von wem Kaiser Franz
Joseph erzogen worden. Die Maiereignisse zu Wien und die Flucht des
Hofes nach Innsbruck warfen, wenn auch irrthümlich, auf den Firma-
führer dieser Erziehung ein so zweifelhaftes Licht, daß es bei dem einge-
tretenen Thronwechsel zu Anfang Decembers an Stimmen in der Presse
nicht fehlen konnte welche -- mit der Persönlichkeit des kaum von seinen
Lehrern entlassenen jungen Fürsten, wie begreiflich, nicht bekannt -- die
selbst in vormärzlicher Zeit wenig beliebte, seither sehr verrufene politische
Glaubensfarbe des Ajo auf den Zögling übertrugen. Dieser falschen
folgenschweren Hypothese wurde bisher nicht entgegengetreten, und sie ist
nahe daran in die Geschichte überzugehen. Durch genaue Kenntniß der
Sachlage fühlen wir uns dazu gedrängt der Wahrheit ihr Recht zu schaffen,
in der Ueberzeugung von keinem Gutunterrichteten Widerspruch zu erfahren.

Franz Joseph war beim Tode seines Großvaters noch nicht fünf Jahre
alt. Kaiser Franz hatte, auf Anrathen des Staatskanzlers, den Grafen
Bombelles, damaligen Gesandten in Turin, voraussichtlich zum Erzieher
des Thronerben bestimmt. Obschon die Wahl eines Franzosen für diese
Stelle den wenigsten gefallen konnte, obschon viele gar wohl wußten daß
Fürst Metternich, indem er diesem Manne eines der wichtigsten Aemter
der Monarchie zuwandte, nicht verkennen konnte daß derselbe selbst in
seiner diplomatischen Cohorte nicht in den Vorderreihen stand, und ob-
schon im Augenblick der Entscheidung sich noch gewichtige Stimmen gegen
diese Wahl erhoben, trug man doch Bedenken dem Willen des verstorbenen
Kaisers entgegenzuhandeln, und Graf Bombelles wurde Ajo des Erz-
herzogs Franz Joseph und seiner Brüder. In so trauriger Weise wirkte
noch Jahre der Geist desselben Monarchen nach, der, mit dem bekannten
Widerwillen gegen alle Reformen, nach einer zwanzigjährigen Friedens-
regierung, seinem Nachfolger als Erbtheil untrüglicher Staatskunst jene
Männer seiner Schule vermachte deren verknöchertes Regiment die Revo-
lution angebahnt und ihr eine breite Straße geebnet hat.

Die mangelhafte Befähigung des Turiner Gesandten zum Erziehungs-
geschäfte kam schon vor dessen Antritt seiner Stellung zu Tage; gegen eine
einfache Entfernung stritt jedoch die erwähnte Pietät für die hinterlassenen
Gedanken des Kaisers Franz, die persönliche Ehrenhaftigkeit und Gut-
müthigkeit des Grafen Bombelles und der Usus bei Hofe "niemanden zu
kränken." Dafür griff man zu dem in Oesterreich beliebten Mittel dem
nicht entsprechenden Functionär einen geeigneten Substituten beizuordnen,
und wenn man früherhin der Ansicht gewesen dem Ajo die Wahl eines
subalternen Beistandes für jene Erziehung anheim zugeben, wurde nun die
Nothwendigkeit anerkannt einen selbständigen Mann an jenen Platz zu
stellen. Hier war der Griff ein glücklicher: eine kluge Hand wies auf den
Hauptmann Coronini, nunmehr Brigadegeneral bei der Armee in Italien.
Diesem Manne bleibt unbestritten das Verdienst den Charakter des Prinzen
vor jeder Ansteckung bewahrt, ihn für seine große Zukunft vorbereitet und
jenen Adel der Gesinnung, jenen thatkräftigen Sinn, jene absichtslose
Freundlichkeit, jene verständige Fassung in Rede und Antwort, jene seltene
Wahrhaftigkeit, jenen männlichen Ernst ihm zur Gewohnheit gemacht zu
haben, der sonst selbst bei den reiferen Lothringern nicht zu treffen war.
Zum Glück begnügte sich Graf Bombelles mit den äußern Attributen seines
Amtes, mit der Erscheinung vor der Welt, und überließ seinem Substituten
die Mühen und die Sorgen. Nur durch ein paar hinter dem Rücken des
wirklichen Erziehers eingeführte Lehrer seiner Wahl und seiner Gesinnung
trat er wirkend auf. Als er jedoch einen in Deutschland bekannten Neo-
phyten der Staatskanzlei zur juridischen Ausbildung des jungen Fürsten
kühren wollte, bot Coronini seinen Rücktritt an und wendete dadurch
weitere Einflüsse der Finsterniß von seinem Zögling ab. Dieser Muth,
bewiesen zu einer Zeit als viele der jetzt beherztesten Demokraten vor dem
Staatskanzler und seinen Akolythen krochen -- bewiesen von einem Manne
dem vermöge persönlicher Rücksichten das Aufgeben seiner Stellung nicht
gleichgültig seyn konnte, mag ihn besser zeichnen als die wortreichste Lob-
rede, zugleich auch einen Maßstab seiner politischen Gesinnung abgeben
und erkennen lassen in welchem Geist Kaiser Franz Joseph erzogen wurde.
Coronini verließ denselben vom Spätherbst 1836 bis zum Frühjahr 1848
keinen Tag. Nach eben vollendeten Studien dachte man den Prinzen in
Europa reisen zu lassen, als die letzten Begebenheiten ihn vorzeitig
emancipirten.

Nachdem in den vorliegenden Zeilen die Thätigkeit des Grafen Bom-
belles bei der Erziehung Franz Josephs geschichtstreu auf ihr wahres Maß
[Spaltenumbruch] zurückgeführt worden, erfordert es die Billigkeit seinen politischen Leumund
vor einer ungerechten Anklage sicherzustellen. Wir erwähnten der Wiener
Maikatastrophe: nicht bloß wühlerische Blätter beschuldigten ihn damals
zur Flucht der kaiserlichen Familie nach Innsbruck gerathen zu haben.
Es ist jedoch Thatsache daß er in das Geheimniß dieses im engsten Familien-
kreise gefaßten Beschlusses nur wenige Augenblicke vor der Abfahrt ge-
zogen wurde, nachdem sich ein anderer aus der Umgebung beharrlich ge-
weigert hatte mitzureisen. Die berührte irrige Voraussetzung und der
dadurch erzeugte Sturm in der öffentlichen Meinung entfernten ihn von
seinen "Zöglingen", die übrigens nach dem Gesagten seinen Abgang kaum
zu beklagen haben.

Des Kaisers Umgebungen wollen bemerken daß sein immer unge-
wöhnlicher Ernst seit drei Monaten sehr zugenommen habe. Es scheint
dieß zu bedeuten daß er, trotz seines jugendlichen Alters, die Krone nicht für
ein Spielwerk ansieht und die strenge Bedeutung der Zeit und seiner un-
geheuren Aufgabe begreift. Immer ein Grund des Trostes und der Hoff-
nung in einem Augenblick wo der politische Pantheismus und die allein-
seligmachende Nationalitätslehre so maßlose blinde Leidenschaft, so gonz
verkehrte Begriffe, so selbstmörderischen Unverstand des Demos in seinen
Wortführern offenbaren. Möge ihm das sprüchwörtlich gewordene öster-
reichische Glück zur Seite stehen, um alles Unheil das die alte Schläfrig-
keit der einen auf der rechten und der neue methodische Unsinn der andern
auf der linken Seite brachte und zu bringen droht, von Oesterreich abzu-
wenden und dieses "mit vereinten Kräften" einer bessern Zukunft entgegen-
zuführen.



Der politische Proceß in Freiburg.
II.

Ist es mit politischen Processen immer
eine eigenthümliche Sache, insofern die ganze Wucht der Anklage und
Vertheidigung in denselben weniger auf die Thatsachen als auf die Prin-
eipien fällt, so gestaltete sich dieselbe in dem Struve-Blind'schen Hochver-
rathsproceß noch um so eigenthümlicher, je mehr die Zeit, in welche
die hochverrätherischen Unternehmungen fielen, auf die bezüglichen Prin-
cipien selbst eingewirkt hat. Auf Seite der Anklage stellte man sich zwar,
wie es sich von selbst versteht, auf den positiven Rechtsboden; doch konnte
man nicht umhin der Vertheidigung auch soviel wie möglich auf ihr Ge-
biet, das rein principielle, zu folgen, theils um den Einwirkungen der
Zeit auf das Staatsrecht Rechnung zu tragen, theils wohl auch um die
Anklage gerade dadurch um so wirksamer zu machen daß man sich auf
die Kampfart der Gegner einließ. Die Vertheidigung konnte den notori-
schen, durch Zeugen- und Documentenbeweis wie durch das Geständniß
der Angeklagten bewiesenen Anschuldigungspunkten der Anklageschrift an
sich nicht viel anhaben, und mußte daher eine bloß principielle seyn. Ge-
lang ihr diese, so konnte sie dann von dem Brennpunkt des Princips die-
jenigen Strahlen auf die Thatsachen werfen in deren Licht sie sich noch
am besten ausnahmen. Dieß sind die allgemeinen Gesichtspunkte die
den Anklage- und Vertheidigungsreden zu Grund lagen. Die fünf Recht-
fertigungspunkte auf welche Struve selbst sich stützte, haben wir in un-
serem vorigen Brief schon mitgetheilt. Sie enthalten ziemlich die Summe
dessen, was auch sein Mitangeklagter und die Vertheidiger vorbrachten.
Vorzugsweise wurde der dritte und fünfte Punkt weitläufig ausgeführt,
daß nämlich die republicanischen Unternehmungen sich auf den Willen der
Mehrheit des badischen Volkes stützten, daß Struve hierin seine Legitima-
tion habe und gleichsam nur als Werkzeug und Vollstrecker des Volks-
willens erscheine. Der Volkswille gehe aber mit Recht auf die republi-
canische Staatsform, weil diese die vollendetste, beste und für das Volk
segenvollste sey. Der Volkswille habe sich auf den Volksversammlungen
zu Offenburg, Freiburg, Donaueschingen, Engen, Grießen durch den
Vorstand der demokratischen Vereine u. s. w. ausgesprochen, und hier
habe Struve gleichsam sein Mandat zu den republicanischen Volkserhe-
bungen erhalten. Dazu komme der Umstand daß die Märzrevolution das
Princip der Volkssouveränetät auch zu staatsrechtlich esetzlicher Aner-
kennung gebracht habe. Blind und ein Vertheidiger gingen in ihren Aus-
führungen dieses Gedankes so weit daß sie das gesetzliche Vorhandenseyn
einer constitutionellen Verfassung in Baden geradezu in Abrede stellten,
und damit zugleich die Möglichkeit eines Hochverrathsprocesses läugneten,
so daß keine gesetzliche Beziehung hier obwalten könne, sondern nur das
Verhältniß zwischen Siegern und Bestegten. Daß bei all dem die Herr-
lichkeiten der Republik in dem strahlendsten Licht bengalischen Feuerwerks

Beilage zu Nr. 98 der Allgemeinen Zeitung vom 8 April 1849.


[Spaltenumbruch]
Franz Joſeph II und ſeine Erzieher.

☉ Weder für Oeſterreich noch für Deutſchland dürfte es in dieſem
Augenblick gleichgültig ſeyn zu wiſſen wie und von wem Kaiſer Franz
Joſeph erzogen worden. Die Maiereigniſſe zu Wien und die Flucht des
Hofes nach Innsbruck warfen, wenn auch irrthümlich, auf den Firma-
führer dieſer Erziehung ein ſo zweifelhaftes Licht, daß es bei dem einge-
tretenen Thronwechſel zu Anfang Decembers an Stimmen in der Preſſe
nicht fehlen konnte welche — mit der Perſönlichkeit des kaum von ſeinen
Lehrern entlaſſenen jungen Fürſten, wie begreiflich, nicht bekannt — die
ſelbſt in vormärzlicher Zeit wenig beliebte, ſeither ſehr verrufene politiſche
Glaubensfarbe des Ajo auf den Zögling übertrugen. Dieſer falſchen
folgenſchweren Hypotheſe wurde bisher nicht entgegengetreten, und ſie iſt
nahe daran in die Geſchichte überzugehen. Durch genaue Kenntniß der
Sachlage fühlen wir uns dazu gedrängt der Wahrheit ihr Recht zu ſchaffen,
in der Ueberzeugung von keinem Gutunterrichteten Widerſpruch zu erfahren.

Franz Joſeph war beim Tode ſeines Großvaters noch nicht fünf Jahre
alt. Kaiſer Franz hatte, auf Anrathen des Staatskanzlers, den Grafen
Bombelles, damaligen Geſandten in Turin, vorausſichtlich zum Erzieher
des Thronerben beſtimmt. Obſchon die Wahl eines Franzoſen für dieſe
Stelle den wenigſten gefallen konnte, obſchon viele gar wohl wußten daß
Fürſt Metternich, indem er dieſem Manne eines der wichtigſten Aemter
der Monarchie zuwandte, nicht verkennen konnte daß derſelbe ſelbſt in
ſeiner diplomatiſchen Cohorte nicht in den Vorderreihen ſtand, und ob-
ſchon im Augenblick der Entſcheidung ſich noch gewichtige Stimmen gegen
dieſe Wahl erhoben, trug man doch Bedenken dem Willen des verſtorbenen
Kaiſers entgegenzuhandeln, und Graf Bombelles wurde Ajo des Erz-
herzogs Franz Joſeph und ſeiner Brüder. In ſo trauriger Weiſe wirkte
noch Jahre der Geiſt desſelben Monarchen nach, der, mit dem bekannten
Widerwillen gegen alle Reformen, nach einer zwanzigjährigen Friedens-
regierung, ſeinem Nachfolger als Erbtheil untrüglicher Staatskunſt jene
Männer ſeiner Schule vermachte deren verknöchertes Regiment die Revo-
lution angebahnt und ihr eine breite Straße geebnet hat.

Die mangelhafte Befähigung des Turiner Geſandten zum Erziehungs-
geſchäfte kam ſchon vor deſſen Antritt ſeiner Stellung zu Tage; gegen eine
einfache Entfernung ſtritt jedoch die erwähnte Pietät für die hinterlaſſenen
Gedanken des Kaiſers Franz, die perſönliche Ehrenhaftigkeit und Gut-
müthigkeit des Grafen Bombelles und der Uſus bei Hofe „niemanden zu
kränken.“ Dafür griff man zu dem in Oeſterreich beliebten Mittel dem
nicht entſprechenden Functionär einen geeigneten Subſtituten beizuordnen,
und wenn man früherhin der Anſicht geweſen dem Ajo die Wahl eines
ſubalternen Beiſtandes für jene Erziehung anheim zugeben, wurde nun die
Nothwendigkeit anerkannt einen ſelbſtändigen Mann an jenen Platz zu
ſtellen. Hier war der Griff ein glücklicher: eine kluge Hand wies auf den
Hauptmann Coronini, nunmehr Brigadegeneral bei der Armee in Italien.
Dieſem Manne bleibt unbeſtritten das Verdienſt den Charakter des Prinzen
vor jeder Anſteckung bewahrt, ihn für ſeine große Zukunft vorbereitet und
jenen Adel der Geſinnung, jenen thatkräftigen Sinn, jene abſichtsloſe
Freundlichkeit, jene verſtändige Faſſung in Rede und Antwort, jene ſeltene
Wahrhaftigkeit, jenen männlichen Ernſt ihm zur Gewohnheit gemacht zu
haben, der ſonſt ſelbſt bei den reiferen Lothringern nicht zu treffen war.
Zum Glück begnügte ſich Graf Bombelles mit den äußern Attributen ſeines
Amtes, mit der Erſcheinung vor der Welt, und überließ ſeinem Subſtituten
die Mühen und die Sorgen. Nur durch ein paar hinter dem Rücken des
wirklichen Erziehers eingeführte Lehrer ſeiner Wahl und ſeiner Geſinnung
trat er wirkend auf. Als er jedoch einen in Deutſchland bekannten Neo-
phyten der Staatskanzlei zur juridiſchen Ausbildung des jungen Fürſten
kühren wollte, bot Coronini ſeinen Rücktritt an und wendete dadurch
weitere Einflüſſe der Finſterniß von ſeinem Zögling ab. Dieſer Muth,
bewieſen zu einer Zeit als viele der jetzt beherzteſten Demokraten vor dem
Staatskanzler und ſeinen Akolythen krochen — bewieſen von einem Manne
dem vermöge perſönlicher Rückſichten das Aufgeben ſeiner Stellung nicht
gleichgültig ſeyn konnte, mag ihn beſſer zeichnen als die wortreichſte Lob-
rede, zugleich auch einen Maßſtab ſeiner politiſchen Geſinnung abgeben
und erkennen laſſen in welchem Geiſt Kaiſer Franz Joſeph erzogen wurde.
Coronini verließ denſelben vom Spätherbſt 1836 bis zum Frühjahr 1848
keinen Tag. Nach eben vollendeten Studien dachte man den Prinzen in
Europa reiſen zu laſſen, als die letzten Begebenheiten ihn vorzeitig
emancipirten.

Nachdem in den vorliegenden Zeilen die Thätigkeit des Grafen Bom-
belles bei der Erziehung Franz Joſephs geſchichtstreu auf ihr wahres Maß
[Spaltenumbruch] zurückgeführt worden, erfordert es die Billigkeit ſeinen politiſchen Leumund
vor einer ungerechten Anklage ſicherzuſtellen. Wir erwähnten der Wiener
Maikataſtrophe: nicht bloß wühleriſche Blätter beſchuldigten ihn damals
zur Flucht der kaiſerlichen Familie nach Innsbruck gerathen zu haben.
Es iſt jedoch Thatſache daß er in das Geheimniß dieſes im engſten Familien-
kreiſe gefaßten Beſchluſſes nur wenige Augenblicke vor der Abfahrt ge-
zogen wurde, nachdem ſich ein anderer aus der Umgebung beharrlich ge-
weigert hatte mitzureiſen. Die berührte irrige Vorausſetzung und der
dadurch erzeugte Sturm in der öffentlichen Meinung entfernten ihn von
ſeinen „Zöglingen“, die übrigens nach dem Geſagten ſeinen Abgang kaum
zu beklagen haben.

Des Kaiſers Umgebungen wollen bemerken daß ſein immer unge-
wöhnlicher Ernſt ſeit drei Monaten ſehr zugenommen habe. Es ſcheint
dieß zu bedeuten daß er, trotz ſeines jugendlichen Alters, die Krone nicht für
ein Spielwerk anſieht und die ſtrenge Bedeutung der Zeit und ſeiner un-
geheuren Aufgabe begreift. Immer ein Grund des Troſtes und der Hoff-
nung in einem Augenblick wo der politiſche Pantheismus und die allein-
ſeligmachende Nationalitätslehre ſo maßloſe blinde Leidenſchaft, ſo gonz
verkehrte Begriffe, ſo ſelbſtmörderiſchen Unverſtand des Demos in ſeinen
Wortführern offenbaren. Möge ihm das ſprüchwörtlich gewordene öſter-
reichiſche Glück zur Seite ſtehen, um alles Unheil das die alte Schläfrig-
keit der einen auf der rechten und der neue methodiſche Unſinn der andern
auf der linken Seite brachte und zu bringen droht, von Oeſterreich abzu-
wenden und dieſes „mit vereinten Kräften“ einer beſſern Zukunft entgegen-
zuführen.



Der politiſche Proceß in Freiburg.
II.

Iſt es mit politiſchen Proceſſen immer
eine eigenthümliche Sache, inſofern die ganze Wucht der Anklage und
Vertheidigung in denſelben weniger auf die Thatſachen als auf die Prin-
eipien fällt, ſo geſtaltete ſich dieſelbe in dem Struve-Blind’ſchen Hochver-
rathsproceß noch um ſo eigenthümlicher, je mehr die Zeit, in welche
die hochverrätheriſchen Unternehmungen fielen, auf die bezüglichen Prin-
cipien ſelbſt eingewirkt hat. Auf Seite der Anklage ſtellte man ſich zwar,
wie es ſich von ſelbſt verſteht, auf den poſitiven Rechtsboden; doch konnte
man nicht umhin der Vertheidigung auch ſoviel wie möglich auf ihr Ge-
biet, das rein principielle, zu folgen, theils um den Einwirkungen der
Zeit auf das Staatsrecht Rechnung zu tragen, theils wohl auch um die
Anklage gerade dadurch um ſo wirkſamer zu machen daß man ſich auf
die Kampfart der Gegner einließ. Die Vertheidigung konnte den notori-
ſchen, durch Zeugen- und Documentenbeweis wie durch das Geſtändniß
der Angeklagten bewieſenen Anſchuldigungspunkten der Anklageſchrift an
ſich nicht viel anhaben, und mußte daher eine bloß principielle ſeyn. Ge-
lang ihr dieſe, ſo konnte ſie dann von dem Brennpunkt des Princips die-
jenigen Strahlen auf die Thatſachen werfen in deren Licht ſie ſich noch
am beſten ausnahmen. Dieß ſind die allgemeinen Geſichtspunkte die
den Anklage- und Vertheidigungsreden zu Grund lagen. Die fünf Recht-
fertigungspunkte auf welche Struve ſelbſt ſich ſtützte, haben wir in un-
ſerem vorigen Brief ſchon mitgetheilt. Sie enthalten ziemlich die Summe
deſſen, was auch ſein Mitangeklagter und die Vertheidiger vorbrachten.
Vorzugsweiſe wurde der dritte und fünfte Punkt weitläufig ausgeführt,
daß nämlich die republicaniſchen Unternehmungen ſich auf den Willen der
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tion habe und gleichſam nur als Werkzeug und Vollſtrecker des Volks-
willens erſcheine. Der Volkswille gehe aber mit Recht auf die republi-
caniſche Staatsform, weil dieſe die vollendetſte, beſte und für das Volk
ſegenvollſte ſey. Der Volkswille habe ſich auf den Volksverſammlungen
zu Offenburg, Freiburg, Donaueſchingen, Engen, Grießen durch den
Vorſtand der demokratiſchen Vereine u. ſ. w. ausgeſprochen, und hier
habe Struve gleichſam ſein Mandat zu den republicaniſchen Volkserhe-
bungen erhalten. Dazu komme der Umſtand daß die Märzrevolution das
Princip der Volksſouveränetät auch zu ſtaatsrechtlich eſetzlicher Aner-
kennung gebracht habe. Blind und ein Vertheidiger gingen in ihren Aus-
führungen dieſes Gedankes ſo weit daß ſie das geſetzliche Vorhandenſeyn
einer conſtitutionellen Verfaſſung in Baden geradezu in Abrede ſtellten,
und damit zugleich die Möglichkeit eines Hochverrathsproceſſes läugneten,
ſo daß keine geſetzliche Beziehung hier obwalten könne, ſondern nur das
Verhältniß zwiſchen Siegern und Beſtegten. Daß bei all dem die Herr-
lichkeiten der Republik in dem ſtrahlendſten Licht bengaliſchen Feuerwerks

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[0009] Beilage zu Nr. 98 der Allgemeinen Zeitung vom 8 April 1849. Franz Joſeph II und ſeine Erzieher. ☉ Weder für Oeſterreich noch für Deutſchland dürfte es in dieſem Augenblick gleichgültig ſeyn zu wiſſen wie und von wem Kaiſer Franz Joſeph erzogen worden. Die Maiereigniſſe zu Wien und die Flucht des Hofes nach Innsbruck warfen, wenn auch irrthümlich, auf den Firma- führer dieſer Erziehung ein ſo zweifelhaftes Licht, daß es bei dem einge- tretenen Thronwechſel zu Anfang Decembers an Stimmen in der Preſſe nicht fehlen konnte welche — mit der Perſönlichkeit des kaum von ſeinen Lehrern entlaſſenen jungen Fürſten, wie begreiflich, nicht bekannt — die ſelbſt in vormärzlicher Zeit wenig beliebte, ſeither ſehr verrufene politiſche Glaubensfarbe des Ajo auf den Zögling übertrugen. Dieſer falſchen folgenſchweren Hypotheſe wurde bisher nicht entgegengetreten, und ſie iſt nahe daran in die Geſchichte überzugehen. Durch genaue Kenntniß der Sachlage fühlen wir uns dazu gedrängt der Wahrheit ihr Recht zu ſchaffen, in der Ueberzeugung von keinem Gutunterrichteten Widerſpruch zu erfahren. Franz Joſeph war beim Tode ſeines Großvaters noch nicht fünf Jahre alt. Kaiſer Franz hatte, auf Anrathen des Staatskanzlers, den Grafen Bombelles, damaligen Geſandten in Turin, vorausſichtlich zum Erzieher des Thronerben beſtimmt. Obſchon die Wahl eines Franzoſen für dieſe Stelle den wenigſten gefallen konnte, obſchon viele gar wohl wußten daß Fürſt Metternich, indem er dieſem Manne eines der wichtigſten Aemter der Monarchie zuwandte, nicht verkennen konnte daß derſelbe ſelbſt in ſeiner diplomatiſchen Cohorte nicht in den Vorderreihen ſtand, und ob- ſchon im Augenblick der Entſcheidung ſich noch gewichtige Stimmen gegen dieſe Wahl erhoben, trug man doch Bedenken dem Willen des verſtorbenen Kaiſers entgegenzuhandeln, und Graf Bombelles wurde Ajo des Erz- herzogs Franz Joſeph und ſeiner Brüder. In ſo trauriger Weiſe wirkte noch Jahre der Geiſt desſelben Monarchen nach, der, mit dem bekannten Widerwillen gegen alle Reformen, nach einer zwanzigjährigen Friedens- regierung, ſeinem Nachfolger als Erbtheil untrüglicher Staatskunſt jene Männer ſeiner Schule vermachte deren verknöchertes Regiment die Revo- lution angebahnt und ihr eine breite Straße geebnet hat. Die mangelhafte Befähigung des Turiner Geſandten zum Erziehungs- geſchäfte kam ſchon vor deſſen Antritt ſeiner Stellung zu Tage; gegen eine einfache Entfernung ſtritt jedoch die erwähnte Pietät für die hinterlaſſenen Gedanken des Kaiſers Franz, die perſönliche Ehrenhaftigkeit und Gut- müthigkeit des Grafen Bombelles und der Uſus bei Hofe „niemanden zu kränken.“ Dafür griff man zu dem in Oeſterreich beliebten Mittel dem nicht entſprechenden Functionär einen geeigneten Subſtituten beizuordnen, und wenn man früherhin der Anſicht geweſen dem Ajo die Wahl eines ſubalternen Beiſtandes für jene Erziehung anheim zugeben, wurde nun die Nothwendigkeit anerkannt einen ſelbſtändigen Mann an jenen Platz zu ſtellen. Hier war der Griff ein glücklicher: eine kluge Hand wies auf den Hauptmann Coronini, nunmehr Brigadegeneral bei der Armee in Italien. Dieſem Manne bleibt unbeſtritten das Verdienſt den Charakter des Prinzen vor jeder Anſteckung bewahrt, ihn für ſeine große Zukunft vorbereitet und jenen Adel der Geſinnung, jenen thatkräftigen Sinn, jene abſichtsloſe Freundlichkeit, jene verſtändige Faſſung in Rede und Antwort, jene ſeltene Wahrhaftigkeit, jenen männlichen Ernſt ihm zur Gewohnheit gemacht zu haben, der ſonſt ſelbſt bei den reiferen Lothringern nicht zu treffen war. Zum Glück begnügte ſich Graf Bombelles mit den äußern Attributen ſeines Amtes, mit der Erſcheinung vor der Welt, und überließ ſeinem Subſtituten die Mühen und die Sorgen. Nur durch ein paar hinter dem Rücken des wirklichen Erziehers eingeführte Lehrer ſeiner Wahl und ſeiner Geſinnung trat er wirkend auf. Als er jedoch einen in Deutſchland bekannten Neo- phyten der Staatskanzlei zur juridiſchen Ausbildung des jungen Fürſten kühren wollte, bot Coronini ſeinen Rücktritt an und wendete dadurch weitere Einflüſſe der Finſterniß von ſeinem Zögling ab. Dieſer Muth, bewieſen zu einer Zeit als viele der jetzt beherzteſten Demokraten vor dem Staatskanzler und ſeinen Akolythen krochen — bewieſen von einem Manne dem vermöge perſönlicher Rückſichten das Aufgeben ſeiner Stellung nicht gleichgültig ſeyn konnte, mag ihn beſſer zeichnen als die wortreichſte Lob- rede, zugleich auch einen Maßſtab ſeiner politiſchen Geſinnung abgeben und erkennen laſſen in welchem Geiſt Kaiſer Franz Joſeph erzogen wurde. Coronini verließ denſelben vom Spätherbſt 1836 bis zum Frühjahr 1848 keinen Tag. Nach eben vollendeten Studien dachte man den Prinzen in Europa reiſen zu laſſen, als die letzten Begebenheiten ihn vorzeitig emancipirten. Nachdem in den vorliegenden Zeilen die Thätigkeit des Grafen Bom- belles bei der Erziehung Franz Joſephs geſchichtstreu auf ihr wahres Maß zurückgeführt worden, erfordert es die Billigkeit ſeinen politiſchen Leumund vor einer ungerechten Anklage ſicherzuſtellen. Wir erwähnten der Wiener Maikataſtrophe: nicht bloß wühleriſche Blätter beſchuldigten ihn damals zur Flucht der kaiſerlichen Familie nach Innsbruck gerathen zu haben. Es iſt jedoch Thatſache daß er in das Geheimniß dieſes im engſten Familien- kreiſe gefaßten Beſchluſſes nur wenige Augenblicke vor der Abfahrt ge- zogen wurde, nachdem ſich ein anderer aus der Umgebung beharrlich ge- weigert hatte mitzureiſen. Die berührte irrige Vorausſetzung und der dadurch erzeugte Sturm in der öffentlichen Meinung entfernten ihn von ſeinen „Zöglingen“, die übrigens nach dem Geſagten ſeinen Abgang kaum zu beklagen haben. Des Kaiſers Umgebungen wollen bemerken daß ſein immer unge- wöhnlicher Ernſt ſeit drei Monaten ſehr zugenommen habe. Es ſcheint dieß zu bedeuten daß er, trotz ſeines jugendlichen Alters, die Krone nicht für ein Spielwerk anſieht und die ſtrenge Bedeutung der Zeit und ſeiner un- geheuren Aufgabe begreift. Immer ein Grund des Troſtes und der Hoff- nung in einem Augenblick wo der politiſche Pantheismus und die allein- ſeligmachende Nationalitätslehre ſo maßloſe blinde Leidenſchaft, ſo gonz verkehrte Begriffe, ſo ſelbſtmörderiſchen Unverſtand des Demos in ſeinen Wortführern offenbaren. Möge ihm das ſprüchwörtlich gewordene öſter- reichiſche Glück zur Seite ſtehen, um alles Unheil das die alte Schläfrig- keit der einen auf der rechten und der neue methodiſche Unſinn der andern auf der linken Seite brachte und zu bringen droht, von Oeſterreich abzu- wenden und dieſes „mit vereinten Kräften“ einer beſſern Zukunft entgegen- zuführen. Der politiſche Proceß in Freiburg. II. § Freiburg, 31 März. Iſt es mit politiſchen Proceſſen immer eine eigenthümliche Sache, inſofern die ganze Wucht der Anklage und Vertheidigung in denſelben weniger auf die Thatſachen als auf die Prin- eipien fällt, ſo geſtaltete ſich dieſelbe in dem Struve-Blind’ſchen Hochver- rathsproceß noch um ſo eigenthümlicher, je mehr die Zeit, in welche die hochverrätheriſchen Unternehmungen fielen, auf die bezüglichen Prin- cipien ſelbſt eingewirkt hat. Auf Seite der Anklage ſtellte man ſich zwar, wie es ſich von ſelbſt verſteht, auf den poſitiven Rechtsboden; doch konnte man nicht umhin der Vertheidigung auch ſoviel wie möglich auf ihr Ge- biet, das rein principielle, zu folgen, theils um den Einwirkungen der Zeit auf das Staatsrecht Rechnung zu tragen, theils wohl auch um die Anklage gerade dadurch um ſo wirkſamer zu machen daß man ſich auf die Kampfart der Gegner einließ. 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Vorzugsweiſe wurde der dritte und fünfte Punkt weitläufig ausgeführt, daß nämlich die republicaniſchen Unternehmungen ſich auf den Willen der Mehrheit des badiſchen Volkes ſtützten, daß Struve hierin ſeine Legitima- tion habe und gleichſam nur als Werkzeug und Vollſtrecker des Volks- willens erſcheine. Der Volkswille gehe aber mit Recht auf die republi- caniſche Staatsform, weil dieſe die vollendetſte, beſte und für das Volk ſegenvollſte ſey. Der Volkswille habe ſich auf den Volksverſammlungen zu Offenburg, Freiburg, Donaueſchingen, Engen, Grießen durch den Vorſtand der demokratiſchen Vereine u. ſ. w. ausgeſprochen, und hier habe Struve gleichſam ſein Mandat zu den republicaniſchen Volkserhe- bungen erhalten. Dazu komme der Umſtand daß die Märzrevolution das Princip der Volksſouveränetät auch zu ſtaatsrechtlich eſetzlicher Aner- kennung gebracht habe. Blind und ein Vertheidiger gingen in ihren Aus- führungen dieſes Gedankes ſo weit daß ſie das geſetzliche Vorhandenſeyn einer conſtitutionellen Verfaſſung in Baden geradezu in Abrede ſtellten, und damit zugleich die Möglichkeit eines Hochverrathsproceſſes läugneten, ſo daß keine geſetzliche Beziehung hier obwalten könne, ſondern nur das Verhältniß zwiſchen Siegern und Beſtegten. Daß bei all dem die Herr- lichkeiten der Republik in dem ſtrahlendſten Licht bengaliſchen Feuerwerks

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-09-09T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 98, 8. April 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine98_1849/9>, abgerufen am 03.12.2024.