Allgemeine Zeitung, Nr. 98, 8. April 1849.Beilage zu Nr. 98 der Allgemeinen Zeitung vom 8 April 1849. [Spaltenumbruch] Franz Joseph II und seine Erzieher. Sun Weder für Oesterreich noch für Deutschland dürfte es in diesem Franz Joseph war beim Tode seines Großvaters noch nicht fünf Jahre Die mangelhafte Befähigung des Turiner Gesandten zum Erziehungs- Nachdem in den vorliegenden Zeilen die Thätigkeit des Grafen Bom- Des Kaisers Umgebungen wollen bemerken daß sein immer unge- Der politische Proceß in Freiburg. § Freiburg, 31 März.II. Ist es mit politischen Processen immer Beilage zu Nr. 98 der Allgemeinen Zeitung vom 8 April 1849. [Spaltenumbruch] Franz Joſeph II und ſeine Erzieher. ☉ Weder für Oeſterreich noch für Deutſchland dürfte es in dieſem Franz Joſeph war beim Tode ſeines Großvaters noch nicht fünf Jahre Die mangelhafte Befähigung des Turiner Geſandten zum Erziehungs- Nachdem in den vorliegenden Zeilen die Thätigkeit des Grafen Bom- Des Kaiſers Umgebungen wollen bemerken daß ſein immer unge- Der politiſche Proceß in Freiburg. § Freiburg, 31 März.II. Iſt es mit politiſchen Proceſſen immer <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zu Nr. 98 der Allgemeinen Zeitung vom 8 April 1849.</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Franz Joſeph <hi rendition="#aq">II</hi> und ſeine Erzieher.</hi> </head><lb/> <p>☉ Weder für Oeſterreich noch für Deutſchland dürfte es in dieſem<lb/> Augenblick gleichgültig ſeyn zu wiſſen wie und von wem Kaiſer Franz<lb/> Joſeph erzogen worden. Die Maiereigniſſe zu Wien und die Flucht des<lb/> Hofes nach Innsbruck warfen, wenn auch irrthümlich, auf den Firma-<lb/> führer dieſer Erziehung ein ſo zweifelhaftes Licht, daß es bei dem einge-<lb/> tretenen Thronwechſel zu Anfang Decembers an Stimmen in der Preſſe<lb/> nicht fehlen konnte welche — mit der Perſönlichkeit des kaum von ſeinen<lb/> Lehrern entlaſſenen jungen Fürſten, wie begreiflich, nicht bekannt — die<lb/> ſelbſt in vormärzlicher Zeit wenig beliebte, ſeither ſehr verrufene politiſche<lb/> Glaubensfarbe des Ajo auf den Zögling übertrugen. Dieſer falſchen<lb/> folgenſchweren Hypotheſe wurde bisher nicht entgegengetreten, und ſie iſt<lb/> nahe daran in die Geſchichte überzugehen. Durch genaue Kenntniß der<lb/> Sachlage fühlen wir uns dazu gedrängt der Wahrheit ihr Recht zu ſchaffen,<lb/> in der Ueberzeugung von keinem Gutunterrichteten Widerſpruch zu erfahren.</p><lb/> <p>Franz Joſeph war beim Tode ſeines Großvaters noch nicht fünf Jahre<lb/> alt. Kaiſer Franz hatte, auf Anrathen des Staatskanzlers, den Grafen<lb/> Bombelles, damaligen Geſandten in Turin, vorausſichtlich zum Erzieher<lb/> des Thronerben beſtimmt. Obſchon die Wahl eines Franzoſen für dieſe<lb/> Stelle den wenigſten gefallen konnte, obſchon viele gar wohl wußten daß<lb/> Fürſt Metternich, indem er dieſem Manne eines der wichtigſten Aemter<lb/> der Monarchie zuwandte, nicht verkennen konnte daß derſelbe ſelbſt in<lb/> ſeiner diplomatiſchen Cohorte nicht in den Vorderreihen ſtand, und ob-<lb/> ſchon im Augenblick der Entſcheidung ſich noch gewichtige Stimmen gegen<lb/> dieſe Wahl erhoben, trug man doch Bedenken dem Willen des verſtorbenen<lb/> Kaiſers entgegenzuhandeln, und Graf Bombelles wurde Ajo des Erz-<lb/> herzogs Franz Joſeph und ſeiner Brüder. In ſo trauriger Weiſe wirkte<lb/> noch Jahre der Geiſt desſelben Monarchen nach, der, mit dem bekannten<lb/> Widerwillen gegen alle Reformen, nach einer zwanzigjährigen Friedens-<lb/> regierung, ſeinem Nachfolger als Erbtheil untrüglicher Staatskunſt jene<lb/> Männer ſeiner Schule vermachte deren verknöchertes Regiment die Revo-<lb/> lution angebahnt und ihr eine breite Straße geebnet hat.</p><lb/> <p>Die mangelhafte Befähigung des Turiner Geſandten zum Erziehungs-<lb/> geſchäfte kam ſchon vor deſſen Antritt ſeiner Stellung zu Tage; gegen eine<lb/> einfache Entfernung ſtritt jedoch die erwähnte Pietät für die hinterlaſſenen<lb/> Gedanken des Kaiſers Franz, die perſönliche Ehrenhaftigkeit und Gut-<lb/> müthigkeit des Grafen Bombelles und der Uſus bei Hofe „niemanden zu<lb/> kränken.“ Dafür griff man zu dem in Oeſterreich beliebten Mittel dem<lb/> nicht entſprechenden Functionär einen geeigneten Subſtituten beizuordnen,<lb/> und wenn man früherhin der Anſicht geweſen dem Ajo die Wahl eines<lb/> ſubalternen Beiſtandes für jene Erziehung anheim zugeben, wurde nun die<lb/> Nothwendigkeit anerkannt einen ſelbſtändigen Mann an jenen Platz zu<lb/> ſtellen. Hier war der Griff ein glücklicher: eine kluge Hand wies auf den<lb/> Hauptmann Coronini, nunmehr Brigadegeneral bei der Armee in Italien.<lb/> Dieſem Manne bleibt unbeſtritten das Verdienſt den Charakter des Prinzen<lb/> vor jeder Anſteckung bewahrt, ihn für ſeine große Zukunft vorbereitet und<lb/> jenen Adel der Geſinnung, jenen thatkräftigen Sinn, jene abſichtsloſe<lb/> Freundlichkeit, jene verſtändige Faſſung in Rede und Antwort, jene ſeltene<lb/> Wahrhaftigkeit, jenen männlichen Ernſt ihm zur Gewohnheit gemacht zu<lb/> haben, der ſonſt ſelbſt bei den reiferen Lothringern nicht zu treffen war.<lb/> Zum Glück begnügte ſich Graf Bombelles mit den äußern Attributen ſeines<lb/> Amtes, mit der Erſcheinung vor der Welt, und überließ ſeinem Subſtituten<lb/> die Mühen und die Sorgen. Nur durch ein paar hinter dem Rücken des<lb/> wirklichen Erziehers eingeführte Lehrer ſeiner Wahl und ſeiner Geſinnung<lb/> trat er wirkend auf. Als er jedoch einen in Deutſchland bekannten Neo-<lb/> phyten der Staatskanzlei zur juridiſchen Ausbildung des jungen Fürſten<lb/> kühren wollte, bot Coronini ſeinen Rücktritt an und wendete dadurch<lb/> weitere Einflüſſe der Finſterniß von ſeinem Zögling ab. Dieſer Muth,<lb/> bewieſen zu einer Zeit als viele der jetzt beherzteſten Demokraten vor dem<lb/> Staatskanzler und ſeinen Akolythen krochen — bewieſen von einem Manne<lb/> dem vermöge perſönlicher Rückſichten das Aufgeben ſeiner Stellung nicht<lb/> gleichgültig ſeyn konnte, mag ihn beſſer zeichnen als die wortreichſte Lob-<lb/> rede, zugleich auch einen Maßſtab ſeiner politiſchen Geſinnung abgeben<lb/> und erkennen laſſen in welchem Geiſt Kaiſer Franz Joſeph erzogen wurde.<lb/> Coronini verließ denſelben vom Spätherbſt 1836 bis zum Frühjahr 1848<lb/> keinen Tag. Nach eben vollendeten Studien dachte man den Prinzen in<lb/> Europa reiſen zu laſſen, als die letzten Begebenheiten ihn vorzeitig<lb/> emancipirten.</p><lb/> <p>Nachdem in den vorliegenden Zeilen die Thätigkeit des Grafen Bom-<lb/> belles bei der Erziehung Franz Joſephs geſchichtstreu auf ihr wahres Maß<lb/><cb/> zurückgeführt worden, erfordert es die Billigkeit ſeinen politiſchen Leumund<lb/> vor einer ungerechten Anklage ſicherzuſtellen. Wir erwähnten der Wiener<lb/> Maikataſtrophe: nicht bloß wühleriſche Blätter beſchuldigten ihn damals<lb/> zur Flucht der kaiſerlichen Familie nach Innsbruck gerathen zu haben.<lb/> Es iſt jedoch Thatſache daß er in das Geheimniß dieſes im engſten Familien-<lb/> kreiſe gefaßten Beſchluſſes nur wenige Augenblicke vor der Abfahrt ge-<lb/> zogen wurde, nachdem ſich ein anderer aus der Umgebung beharrlich ge-<lb/> weigert hatte mitzureiſen. Die berührte irrige Vorausſetzung und der<lb/> dadurch erzeugte Sturm in der öffentlichen Meinung entfernten ihn von<lb/> ſeinen „Zöglingen“, die übrigens nach dem Geſagten ſeinen Abgang kaum<lb/> zu beklagen haben.</p><lb/> <p>Des Kaiſers Umgebungen wollen bemerken daß ſein immer unge-<lb/> wöhnlicher Ernſt ſeit drei Monaten ſehr zugenommen habe. Es ſcheint<lb/> dieß zu bedeuten daß er, trotz ſeines jugendlichen Alters, die Krone nicht für<lb/> ein Spielwerk anſieht und die ſtrenge Bedeutung der Zeit und ſeiner un-<lb/> geheuren Aufgabe begreift. Immer ein Grund des Troſtes und der Hoff-<lb/> nung in einem Augenblick wo der politiſche Pantheismus und die allein-<lb/> ſeligmachende Nationalitätslehre ſo maßloſe blinde Leidenſchaft, ſo gonz<lb/> verkehrte Begriffe, ſo ſelbſtmörderiſchen Unverſtand des Demos in ſeinen<lb/> Wortführern offenbaren. Möge ihm das ſprüchwörtlich gewordene öſter-<lb/> reichiſche Glück zur Seite ſtehen, um alles Unheil das die alte Schläfrig-<lb/> keit der einen auf der rechten und der neue methodiſche Unſinn der andern<lb/> auf der linken Seite brachte und zu bringen droht, von Oeſterreich abzu-<lb/> wenden und dieſes „mit vereinten Kräften“ einer beſſern Zukunft entgegen-<lb/> zuführen.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Der politiſche Proceß in Freiburg.<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi></hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">§ Freiburg,</hi> 31 März.</dateline><lb/> <p>Iſt es mit politiſchen Proceſſen immer<lb/> eine eigenthümliche Sache, inſofern die ganze Wucht der Anklage und<lb/> Vertheidigung in denſelben weniger auf die Thatſachen als auf die Prin-<lb/> eipien fällt, ſo geſtaltete ſich dieſelbe in dem Struve-Blind’ſchen Hochver-<lb/> rathsproceß noch um ſo eigenthümlicher, je mehr die Zeit, in welche<lb/> die hochverrätheriſchen Unternehmungen fielen, auf die bezüglichen Prin-<lb/> cipien ſelbſt eingewirkt hat. Auf Seite der Anklage ſtellte man ſich zwar,<lb/> wie es ſich von ſelbſt verſteht, auf den poſitiven Rechtsboden; doch konnte<lb/> man nicht umhin der Vertheidigung auch ſoviel wie möglich auf <hi rendition="#g">ihr</hi> Ge-<lb/> biet, das rein principielle, zu folgen, theils um den Einwirkungen der<lb/> Zeit auf das Staatsrecht Rechnung zu tragen, theils wohl auch um die<lb/> Anklage gerade dadurch um ſo wirkſamer zu machen daß man ſich auf<lb/> die Kampfart der Gegner einließ. Die Vertheidigung konnte den notori-<lb/> ſchen, durch Zeugen- und Documentenbeweis wie durch das Geſtändniß<lb/> der Angeklagten bewieſenen Anſchuldigungspunkten der Anklageſchrift an<lb/> ſich nicht viel anhaben, und mußte daher eine bloß principielle ſeyn. Ge-<lb/> lang ihr dieſe, ſo konnte ſie dann von dem Brennpunkt des Princips die-<lb/> jenigen Strahlen auf die Thatſachen werfen in deren Licht ſie ſich noch<lb/> am beſten ausnahmen. Dieß ſind die allgemeinen Geſichtspunkte die<lb/> den Anklage- und Vertheidigungsreden zu Grund lagen. Die fünf Recht-<lb/> fertigungspunkte auf welche Struve ſelbſt ſich ſtützte, haben wir in un-<lb/> ſerem vorigen Brief ſchon mitgetheilt. Sie enthalten ziemlich die Summe<lb/> deſſen, was auch ſein Mitangeklagter und die Vertheidiger vorbrachten.<lb/> Vorzugsweiſe wurde der dritte und fünfte Punkt weitläufig ausgeführt,<lb/> daß nämlich die republicaniſchen Unternehmungen ſich auf den Willen der<lb/> Mehrheit des badiſchen Volkes ſtützten, daß Struve hierin ſeine Legitima-<lb/> tion habe und gleichſam nur als Werkzeug und Vollſtrecker des Volks-<lb/> willens erſcheine. Der Volkswille gehe aber mit Recht auf die republi-<lb/> caniſche Staatsform, weil dieſe die vollendetſte, beſte und für das Volk<lb/> ſegenvollſte ſey. Der Volkswille habe ſich auf den Volksverſammlungen<lb/> zu Offenburg, Freiburg, Donaueſchingen, Engen, Grießen durch den<lb/> Vorſtand der demokratiſchen Vereine u. ſ. w. ausgeſprochen, und hier<lb/> habe Struve gleichſam ſein Mandat zu den republicaniſchen Volkserhe-<lb/> bungen erhalten. Dazu komme der Umſtand daß die Märzrevolution das<lb/> Princip der Volksſouveränetät auch zu ſtaatsrechtlich eſetzlicher Aner-<lb/> kennung gebracht habe. Blind und ein Vertheidiger gingen in ihren Aus-<lb/> führungen dieſes Gedankes ſo weit daß ſie das geſetzliche Vorhandenſeyn<lb/> einer conſtitutionellen Verfaſſung in Baden geradezu in Abrede ſtellten,<lb/> und damit zugleich die Möglichkeit eines Hochverrathsproceſſes läugneten,<lb/> ſo daß keine geſetzliche Beziehung hier obwalten könne, ſondern nur das<lb/> Verhältniß zwiſchen Siegern und Beſtegten. 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Beilage zu Nr. 98 der Allgemeinen Zeitung vom 8 April 1849.
Franz Joſeph II und ſeine Erzieher.
☉ Weder für Oeſterreich noch für Deutſchland dürfte es in dieſem
Augenblick gleichgültig ſeyn zu wiſſen wie und von wem Kaiſer Franz
Joſeph erzogen worden. Die Maiereigniſſe zu Wien und die Flucht des
Hofes nach Innsbruck warfen, wenn auch irrthümlich, auf den Firma-
führer dieſer Erziehung ein ſo zweifelhaftes Licht, daß es bei dem einge-
tretenen Thronwechſel zu Anfang Decembers an Stimmen in der Preſſe
nicht fehlen konnte welche — mit der Perſönlichkeit des kaum von ſeinen
Lehrern entlaſſenen jungen Fürſten, wie begreiflich, nicht bekannt — die
ſelbſt in vormärzlicher Zeit wenig beliebte, ſeither ſehr verrufene politiſche
Glaubensfarbe des Ajo auf den Zögling übertrugen. Dieſer falſchen
folgenſchweren Hypotheſe wurde bisher nicht entgegengetreten, und ſie iſt
nahe daran in die Geſchichte überzugehen. Durch genaue Kenntniß der
Sachlage fühlen wir uns dazu gedrängt der Wahrheit ihr Recht zu ſchaffen,
in der Ueberzeugung von keinem Gutunterrichteten Widerſpruch zu erfahren.
Franz Joſeph war beim Tode ſeines Großvaters noch nicht fünf Jahre
alt. Kaiſer Franz hatte, auf Anrathen des Staatskanzlers, den Grafen
Bombelles, damaligen Geſandten in Turin, vorausſichtlich zum Erzieher
des Thronerben beſtimmt. Obſchon die Wahl eines Franzoſen für dieſe
Stelle den wenigſten gefallen konnte, obſchon viele gar wohl wußten daß
Fürſt Metternich, indem er dieſem Manne eines der wichtigſten Aemter
der Monarchie zuwandte, nicht verkennen konnte daß derſelbe ſelbſt in
ſeiner diplomatiſchen Cohorte nicht in den Vorderreihen ſtand, und ob-
ſchon im Augenblick der Entſcheidung ſich noch gewichtige Stimmen gegen
dieſe Wahl erhoben, trug man doch Bedenken dem Willen des verſtorbenen
Kaiſers entgegenzuhandeln, und Graf Bombelles wurde Ajo des Erz-
herzogs Franz Joſeph und ſeiner Brüder. In ſo trauriger Weiſe wirkte
noch Jahre der Geiſt desſelben Monarchen nach, der, mit dem bekannten
Widerwillen gegen alle Reformen, nach einer zwanzigjährigen Friedens-
regierung, ſeinem Nachfolger als Erbtheil untrüglicher Staatskunſt jene
Männer ſeiner Schule vermachte deren verknöchertes Regiment die Revo-
lution angebahnt und ihr eine breite Straße geebnet hat.
Die mangelhafte Befähigung des Turiner Geſandten zum Erziehungs-
geſchäfte kam ſchon vor deſſen Antritt ſeiner Stellung zu Tage; gegen eine
einfache Entfernung ſtritt jedoch die erwähnte Pietät für die hinterlaſſenen
Gedanken des Kaiſers Franz, die perſönliche Ehrenhaftigkeit und Gut-
müthigkeit des Grafen Bombelles und der Uſus bei Hofe „niemanden zu
kränken.“ Dafür griff man zu dem in Oeſterreich beliebten Mittel dem
nicht entſprechenden Functionär einen geeigneten Subſtituten beizuordnen,
und wenn man früherhin der Anſicht geweſen dem Ajo die Wahl eines
ſubalternen Beiſtandes für jene Erziehung anheim zugeben, wurde nun die
Nothwendigkeit anerkannt einen ſelbſtändigen Mann an jenen Platz zu
ſtellen. Hier war der Griff ein glücklicher: eine kluge Hand wies auf den
Hauptmann Coronini, nunmehr Brigadegeneral bei der Armee in Italien.
Dieſem Manne bleibt unbeſtritten das Verdienſt den Charakter des Prinzen
vor jeder Anſteckung bewahrt, ihn für ſeine große Zukunft vorbereitet und
jenen Adel der Geſinnung, jenen thatkräftigen Sinn, jene abſichtsloſe
Freundlichkeit, jene verſtändige Faſſung in Rede und Antwort, jene ſeltene
Wahrhaftigkeit, jenen männlichen Ernſt ihm zur Gewohnheit gemacht zu
haben, der ſonſt ſelbſt bei den reiferen Lothringern nicht zu treffen war.
Zum Glück begnügte ſich Graf Bombelles mit den äußern Attributen ſeines
Amtes, mit der Erſcheinung vor der Welt, und überließ ſeinem Subſtituten
die Mühen und die Sorgen. Nur durch ein paar hinter dem Rücken des
wirklichen Erziehers eingeführte Lehrer ſeiner Wahl und ſeiner Geſinnung
trat er wirkend auf. Als er jedoch einen in Deutſchland bekannten Neo-
phyten der Staatskanzlei zur juridiſchen Ausbildung des jungen Fürſten
kühren wollte, bot Coronini ſeinen Rücktritt an und wendete dadurch
weitere Einflüſſe der Finſterniß von ſeinem Zögling ab. Dieſer Muth,
bewieſen zu einer Zeit als viele der jetzt beherzteſten Demokraten vor dem
Staatskanzler und ſeinen Akolythen krochen — bewieſen von einem Manne
dem vermöge perſönlicher Rückſichten das Aufgeben ſeiner Stellung nicht
gleichgültig ſeyn konnte, mag ihn beſſer zeichnen als die wortreichſte Lob-
rede, zugleich auch einen Maßſtab ſeiner politiſchen Geſinnung abgeben
und erkennen laſſen in welchem Geiſt Kaiſer Franz Joſeph erzogen wurde.
Coronini verließ denſelben vom Spätherbſt 1836 bis zum Frühjahr 1848
keinen Tag. Nach eben vollendeten Studien dachte man den Prinzen in
Europa reiſen zu laſſen, als die letzten Begebenheiten ihn vorzeitig
emancipirten.
Nachdem in den vorliegenden Zeilen die Thätigkeit des Grafen Bom-
belles bei der Erziehung Franz Joſephs geſchichtstreu auf ihr wahres Maß
zurückgeführt worden, erfordert es die Billigkeit ſeinen politiſchen Leumund
vor einer ungerechten Anklage ſicherzuſtellen. Wir erwähnten der Wiener
Maikataſtrophe: nicht bloß wühleriſche Blätter beſchuldigten ihn damals
zur Flucht der kaiſerlichen Familie nach Innsbruck gerathen zu haben.
Es iſt jedoch Thatſache daß er in das Geheimniß dieſes im engſten Familien-
kreiſe gefaßten Beſchluſſes nur wenige Augenblicke vor der Abfahrt ge-
zogen wurde, nachdem ſich ein anderer aus der Umgebung beharrlich ge-
weigert hatte mitzureiſen. Die berührte irrige Vorausſetzung und der
dadurch erzeugte Sturm in der öffentlichen Meinung entfernten ihn von
ſeinen „Zöglingen“, die übrigens nach dem Geſagten ſeinen Abgang kaum
zu beklagen haben.
Des Kaiſers Umgebungen wollen bemerken daß ſein immer unge-
wöhnlicher Ernſt ſeit drei Monaten ſehr zugenommen habe. Es ſcheint
dieß zu bedeuten daß er, trotz ſeines jugendlichen Alters, die Krone nicht für
ein Spielwerk anſieht und die ſtrenge Bedeutung der Zeit und ſeiner un-
geheuren Aufgabe begreift. Immer ein Grund des Troſtes und der Hoff-
nung in einem Augenblick wo der politiſche Pantheismus und die allein-
ſeligmachende Nationalitätslehre ſo maßloſe blinde Leidenſchaft, ſo gonz
verkehrte Begriffe, ſo ſelbſtmörderiſchen Unverſtand des Demos in ſeinen
Wortführern offenbaren. Möge ihm das ſprüchwörtlich gewordene öſter-
reichiſche Glück zur Seite ſtehen, um alles Unheil das die alte Schläfrig-
keit der einen auf der rechten und der neue methodiſche Unſinn der andern
auf der linken Seite brachte und zu bringen droht, von Oeſterreich abzu-
wenden und dieſes „mit vereinten Kräften“ einer beſſern Zukunft entgegen-
zuführen.
Der politiſche Proceß in Freiburg.
II.
§ Freiburg, 31 März.
Iſt es mit politiſchen Proceſſen immer
eine eigenthümliche Sache, inſofern die ganze Wucht der Anklage und
Vertheidigung in denſelben weniger auf die Thatſachen als auf die Prin-
eipien fällt, ſo geſtaltete ſich dieſelbe in dem Struve-Blind’ſchen Hochver-
rathsproceß noch um ſo eigenthümlicher, je mehr die Zeit, in welche
die hochverrätheriſchen Unternehmungen fielen, auf die bezüglichen Prin-
cipien ſelbſt eingewirkt hat. Auf Seite der Anklage ſtellte man ſich zwar,
wie es ſich von ſelbſt verſteht, auf den poſitiven Rechtsboden; doch konnte
man nicht umhin der Vertheidigung auch ſoviel wie möglich auf ihr Ge-
biet, das rein principielle, zu folgen, theils um den Einwirkungen der
Zeit auf das Staatsrecht Rechnung zu tragen, theils wohl auch um die
Anklage gerade dadurch um ſo wirkſamer zu machen daß man ſich auf
die Kampfart der Gegner einließ. Die Vertheidigung konnte den notori-
ſchen, durch Zeugen- und Documentenbeweis wie durch das Geſtändniß
der Angeklagten bewieſenen Anſchuldigungspunkten der Anklageſchrift an
ſich nicht viel anhaben, und mußte daher eine bloß principielle ſeyn. Ge-
lang ihr dieſe, ſo konnte ſie dann von dem Brennpunkt des Princips die-
jenigen Strahlen auf die Thatſachen werfen in deren Licht ſie ſich noch
am beſten ausnahmen. Dieß ſind die allgemeinen Geſichtspunkte die
den Anklage- und Vertheidigungsreden zu Grund lagen. Die fünf Recht-
fertigungspunkte auf welche Struve ſelbſt ſich ſtützte, haben wir in un-
ſerem vorigen Brief ſchon mitgetheilt. Sie enthalten ziemlich die Summe
deſſen, was auch ſein Mitangeklagter und die Vertheidiger vorbrachten.
Vorzugsweiſe wurde der dritte und fünfte Punkt weitläufig ausgeführt,
daß nämlich die republicaniſchen Unternehmungen ſich auf den Willen der
Mehrheit des badiſchen Volkes ſtützten, daß Struve hierin ſeine Legitima-
tion habe und gleichſam nur als Werkzeug und Vollſtrecker des Volks-
willens erſcheine. Der Volkswille gehe aber mit Recht auf die republi-
caniſche Staatsform, weil dieſe die vollendetſte, beſte und für das Volk
ſegenvollſte ſey. Der Volkswille habe ſich auf den Volksverſammlungen
zu Offenburg, Freiburg, Donaueſchingen, Engen, Grießen durch den
Vorſtand der demokratiſchen Vereine u. ſ. w. ausgeſprochen, und hier
habe Struve gleichſam ſein Mandat zu den republicaniſchen Volkserhe-
bungen erhalten. Dazu komme der Umſtand daß die Märzrevolution das
Princip der Volksſouveränetät auch zu ſtaatsrechtlich eſetzlicher Aner-
kennung gebracht habe. Blind und ein Vertheidiger gingen in ihren Aus-
führungen dieſes Gedankes ſo weit daß ſie das geſetzliche Vorhandenſeyn
einer conſtitutionellen Verfaſſung in Baden geradezu in Abrede ſtellten,
und damit zugleich die Möglichkeit eines Hochverrathsproceſſes läugneten,
ſo daß keine geſetzliche Beziehung hier obwalten könne, ſondern nur das
Verhältniß zwiſchen Siegern und Beſtegten. Daß bei all dem die Herr-
lichkeiten der Republik in dem ſtrahlendſten Licht bengaliſchen Feuerwerks
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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