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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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auch sie fanden, glücklich sein heiße genießen. Jhrem Bei-
spiele folgten in edlem Wetteifer die mittleren und die unte-
ren Stände, aber nicht etwa aus Nachahmungstrieb allein,
sondern weil auch sie dachten, glücklich sein heiße genießen.
Es entstand ein allgemeines Rennen und Jagen nach Ge-
nüssen aller Art, nach Zerstreuungen und Vergnügungen,
und die Begierde nach Reichthum, welcher die Mittel zu die-
sen Genüssen gewähren sollte, steigerte sich in's Maßlose.
Aber finden denn die Leute auch wirklich das Glück in
diesen Genüssen, zu welchen der Reichthum die Wege bahnt?
Gab es wohl je eine Zeit, wo die Zufriedenheit seltener
auf der Welt gefunden wurde, als eben jetzt, seit alle Welt
das Geld mit vollen Händen wegwirft, um das Glück zu
erkaufen? War wohl je eine Zeit, wo die Gemüther zerris-
sener und dem wahren Glück unzugänglicher waren, als eben
jetzt? Und wird nicht durch diese Genußsucht, welche Nie-
mand befriedigt, die Auflösung aller Bande des Familien-
lebens immer allgemeiner, die sittliche und leibliche Noth
immer größer? Doch darüber, daß der Genuß, zu welchem
das Geld die Wege bahnt, nicht glücklich macht, darüber
kann Niemand im Zweifel sein, welcher nicht für die Lehren
der täglichen Erfahrung Auge und Ohr verschließt. Wer
aber das Glück schlechterdings nirgends zu finden weiß,
der greift nach Genuß, nach Zerstreuung, nach Betäubung,
wie der körperliche Schmerz nach Opium verlangt oder wie
der im Sturm verzweifelnde Matrose sich über die Brannt-
weinfässer herstürzt. Denn der Mensch muß nach Glück
verlangen, er mag wollen oder nicht, es ist dieses ein in
seiner innersten Natur begründetes Gesetz, wodurch wir
angetrieben werden, unsere höhere Natur zu erkennen und

auch ſie fanden, glücklich ſein heiße genießen. Jhrem Bei-
ſpiele folgten in edlem Wetteifer die mittleren und die unte-
ren Stände, aber nicht etwa aus Nachahmungstrieb allein,
ſondern weil auch ſie dachten, glücklich ſein heiße genießen.
Es entſtand ein allgemeines Rennen und Jagen nach Ge-
nüſſen aller Art, nach Zerſtreuungen und Vergnügungen,
und die Begierde nach Reichthum, welcher die Mittel zu die-
ſen Genüſſen gewähren ſollte, ſteigerte ſich in’s Maßloſe.
Aber finden denn die Leute auch wirklich das Glück in
dieſen Genüſſen, zu welchen der Reichthum die Wege bahnt?
Gab es wohl je eine Zeit, wo die Zufriedenheit ſeltener
auf der Welt gefunden wurde, als eben jetzt, ſeit alle Welt
das Geld mit vollen Händen wegwirft, um das Glück zu
erkaufen? War wohl je eine Zeit, wo die Gemüther zerriſ-
ſener und dem wahren Glück unzugänglicher waren, als eben
jetzt? Und wird nicht durch dieſe Genußſucht, welche Nie-
mand befriedigt, die Auflöſung aller Bande des Familien-
lebens immer allgemeiner, die ſittliche und leibliche Noth
immer größer? Doch darüber, daß der Genuß, zu welchem
das Geld die Wege bahnt, nicht glücklich macht, darüber
kann Niemand im Zweifel ſein, welcher nicht für die Lehren
der täglichen Erfahrung Auge und Ohr verſchließt. Wer
aber das Glück ſchlechterdings nirgends zu finden weiß,
der greift nach Genuß, nach Zerſtreuung, nach Betäubung,
wie der körperliche Schmerz nach Opium verlangt oder wie
der im Sturm verzweifelnde Matroſe ſich über die Brannt-
weinfäſſer herſtürzt. Denn der Menſch muß nach Glück
verlangen, er mag wollen oder nicht, es iſt dieſes ein in
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[29/0035] auch ſie fanden, glücklich ſein heiße genießen. Jhrem Bei- ſpiele folgten in edlem Wetteifer die mittleren und die unte- ren Stände, aber nicht etwa aus Nachahmungstrieb allein, ſondern weil auch ſie dachten, glücklich ſein heiße genießen. Es entſtand ein allgemeines Rennen und Jagen nach Ge- nüſſen aller Art, nach Zerſtreuungen und Vergnügungen, und die Begierde nach Reichthum, welcher die Mittel zu die- ſen Genüſſen gewähren ſollte, ſteigerte ſich in’s Maßloſe. Aber finden denn die Leute auch wirklich das Glück in dieſen Genüſſen, zu welchen der Reichthum die Wege bahnt? Gab es wohl je eine Zeit, wo die Zufriedenheit ſeltener auf der Welt gefunden wurde, als eben jetzt, ſeit alle Welt das Geld mit vollen Händen wegwirft, um das Glück zu erkaufen? War wohl je eine Zeit, wo die Gemüther zerriſ- ſener und dem wahren Glück unzugänglicher waren, als eben jetzt? Und wird nicht durch dieſe Genußſucht, welche Nie- mand befriedigt, die Auflöſung aller Bande des Familien- lebens immer allgemeiner, die ſittliche und leibliche Noth immer größer? Doch darüber, daß der Genuß, zu welchem das Geld die Wege bahnt, nicht glücklich macht, darüber kann Niemand im Zweifel ſein, welcher nicht für die Lehren der täglichen Erfahrung Auge und Ohr verſchließt. Wer aber das Glück ſchlechterdings nirgends zu finden weiß, der greift nach Genuß, nach Zerſtreuung, nach Betäubung, wie der körperliche Schmerz nach Opium verlangt oder wie der im Sturm verzweifelnde Matroſe ſich über die Brannt- weinfäſſer herſtürzt. Denn der Menſch muß nach Glück verlangen, er mag wollen oder nicht, es iſt dieſes ein in ſeiner innerſten Natur begründetes Geſetz, wodurch wir angetrieben werden, unſere höhere Natur zu erkennen und

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/35>, abgerufen am 21.11.2024.