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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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lichkeit gewährt, offen aufzutreten und auf dem Wege der
Discussion die Ueberzeugungen für sich zu gewinnen.

Wenn wirklich das einzige Hinderniß in der von der
Kirche festgehaltenen Form liegen würde, und wenn unsere
Bildung fähig wäre, den religiösen Glauben, sobald jenes
Hinderniß beseitigt wäre, in einer neuen Form zur Herr-
schaft über die Gemüther zu führen, wer könnte sie denn
verhindern, dieses Werk zu vollbringen? Jst sie nicht im
vollen Besitze der Macht? oder sind bei uns die Gebildeten
etwa von dem Einfluß auf die Regierung und auf die Lei-
tung der menschlichen Angelegenheiten ausgeschlossen? liegt
diese Leitung etwa in der Hand einer unserer Bildung frem-
den und feindlichen Priesterkaste? regieren nicht Juristen die
Welt? kann denn da eine Aenderung in der Form des
Glaubensbekenntnisses auf besondere Schwierigkeiten stoßen?
Unsere Bildung hat ja völlig freie Hand, sie darf nur
reden, nur die Parole austheilen, denn da heutzutage alle
Welt gebildet ist, so wird sie sicherlich eine ungeheure Ma-
jorität hinter sich haben. Früher, ehe unsere Bildung auf
ihren jetzigen Höhepunkt gelangt war, lieferte sie uns noch
gar manche Beiträge zur Begründung des religiösen Glau-
bens, freilich nur auf dem wackeligen Boden der Wahr-
scheinlichkeit
, auf welchem sich wohl ein Nomaden-
zelt aufschlagen, aber kein festes Gebäude des Glaubens
errichten läßt. Aber seit wir stärkere Denker und sogar
"reine Denker" geworden sind, will es mit dem Begründen
eines die Gemüther befriedigenden Glaubens gar nicht mehr
von der Stelle. Unsere neueste Bildung weiß zwar haar-
scharf anzugeben, was sie nicht glaubt, und sie hat laut und
vernehmlich genug erklärt, daß für sie Gott und Unsterb-

lichkeit gewährt, offen aufzutreten und auf dem Wege der
Discuſſion die Ueberzeugungen für ſich zu gewinnen.

Wenn wirklich das einzige Hinderniß in der von der
Kirche feſtgehaltenen Form liegen würde, und wenn unſere
Bildung fähig wäre, den religiöſen Glauben, ſobald jenes
Hinderniß beſeitigt wäre, in einer neuen Form zur Herr-
ſchaft über die Gemüther zu führen, wer könnte ſie denn
verhindern, dieſes Werk zu vollbringen? Jſt ſie nicht im
vollen Beſitze der Macht? oder ſind bei uns die Gebildeten
etwa von dem Einfluß auf die Regierung und auf die Lei-
tung der menſchlichen Angelegenheiten ausgeſchloſſen? liegt
dieſe Leitung etwa in der Hand einer unſerer Bildung frem-
den und feindlichen Prieſterkaſte? regieren nicht Juriſten die
Welt? kann denn da eine Aenderung in der Form des
Glaubensbekenntniſſes auf beſondere Schwierigkeiten ſtoßen?
Unſere Bildung hat ja völlig freie Hand, ſie darf nur
reden, nur die Parole austheilen, denn da heutzutage alle
Welt gebildet iſt, ſo wird ſie ſicherlich eine ungeheure Ma-
jorität hinter ſich haben. Früher, ehe unſere Bildung auf
ihren jetzigen Höhepunkt gelangt war, lieferte ſie uns noch
gar manche Beiträge zur Begründung des religiöſen Glau-
bens, freilich nur auf dem wackeligen Boden der Wahr-
ſcheinlichkeit
, auf welchem ſich wohl ein Nomaden-
zelt aufſchlagen, aber kein feſtes Gebäude des Glaubens
errichten läßt. Aber ſeit wir ſtärkere Denker und ſogar
„reine Denker“ geworden ſind, will es mit dem Begründen
eines die Gemüther befriedigenden Glaubens gar nicht mehr
von der Stelle. Unſere neueſte Bildung weiß zwar haar-
ſcharf anzugeben, was ſie nicht glaubt, und ſie hat laut und
vernehmlich genug erklärt, daß für ſie Gott und Unſterb-

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[43/0049] lichkeit gewährt, offen aufzutreten und auf dem Wege der Discuſſion die Ueberzeugungen für ſich zu gewinnen. Wenn wirklich das einzige Hinderniß in der von der Kirche feſtgehaltenen Form liegen würde, und wenn unſere Bildung fähig wäre, den religiöſen Glauben, ſobald jenes Hinderniß beſeitigt wäre, in einer neuen Form zur Herr- ſchaft über die Gemüther zu führen, wer könnte ſie denn verhindern, dieſes Werk zu vollbringen? Jſt ſie nicht im vollen Beſitze der Macht? oder ſind bei uns die Gebildeten etwa von dem Einfluß auf die Regierung und auf die Lei- tung der menſchlichen Angelegenheiten ausgeſchloſſen? liegt dieſe Leitung etwa in der Hand einer unſerer Bildung frem- den und feindlichen Prieſterkaſte? regieren nicht Juriſten die Welt? kann denn da eine Aenderung in der Form des Glaubensbekenntniſſes auf beſondere Schwierigkeiten ſtoßen? Unſere Bildung hat ja völlig freie Hand, ſie darf nur reden, nur die Parole austheilen, denn da heutzutage alle Welt gebildet iſt, ſo wird ſie ſicherlich eine ungeheure Ma- jorität hinter ſich haben. Früher, ehe unſere Bildung auf ihren jetzigen Höhepunkt gelangt war, lieferte ſie uns noch gar manche Beiträge zur Begründung des religiöſen Glau- bens, freilich nur auf dem wackeligen Boden der Wahr- ſcheinlichkeit, auf welchem ſich wohl ein Nomaden- zelt aufſchlagen, aber kein feſtes Gebäude des Glaubens errichten läßt. Aber ſeit wir ſtärkere Denker und ſogar „reine Denker“ geworden ſind, will es mit dem Begründen eines die Gemüther befriedigenden Glaubens gar nicht mehr von der Stelle. Unſere neueſte Bildung weiß zwar haar- ſcharf anzugeben, was ſie nicht glaubt, und ſie hat laut und vernehmlich genug erklärt, daß für ſie Gott und Unſterb-

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/49>, abgerufen am 03.05.2024.