Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

krankhaften Denkens sind, auch nach anderen Seiten hin nur
Begriffsverwirrung verbreiten können. Diese Quelle aber
ist nur abgeleiteter Art, sie ist eine Wirkung des Einflusses
unserer Philosophie. Uebrigens ist die Methode, welche in
diesen Lehrbüchern herrscht, allzu bezeichnend für die Art un-
serer Verstandesbildung, als daß sie hier nicht erwähnt werden
sollte. Die nämliche Ueberzeugung von der Allmacht des
Verstandes, welche unsere Philosophen verleitet, eine neue
Grundlage unserer staatlichen, gesellschaftlichen und Glau-
benszustände blos durch die Kraft des Begriffes erzeugen zu
wollen, äußert sich auch bei der Abfassung von Lehrbüchern
über ganz positive Wissenschaften. Vom Begriff zu den That-
sachen, nicht von den Thatsachen zum Begriff, so heißt die
neue Methode. Da stellt dann so ein neuwissenschaftlicher
Verfasser an die Spitze seines Lehrbuches irgend einen all-
gemeinen inhaltleeren Satz über das Seiende und Nicht-
seiende, oder etwas der Art, und kommt allmälig, vom All-
gemeinen zum Besonderen herabsteigend, zu der Entdeckung,
daß die Spinne nach den Gesetzen des Denkens noth-
wendig acht Füße haben müsse. Und die ganze gelehrte Welt
nickt wohlgefällig Beifall zu diesem Erfolge der Wissenschaft
des reinen Denkens. Aber daneben finden sich auch Lehr-
bücher, deren Verfasser, von den gleichen Vordersätzen aus-
gehend und nach der gleichen Methode, zu dem Schluß kommen,
daß die Spinne nach den Gesetzen des Denkens nothwendig
neun Füße haben müsse und also auch wirklich habe, und
darüber bricht dann die ganze philosophisch gebildete Gelehr-
tenwelt in einen unerhörten Beifallssturm aus. Denn das
ist ja gerade der höchste Triumph der neuen Wissenschaftlich-
keit, daß sie sich durch keine ungerechtfertigte Herkömmlichkeit

krankhaften Denkens ſind, auch nach anderen Seiten hin nur
Begriffsverwirrung verbreiten können. Dieſe Quelle aber
iſt nur abgeleiteter Art, ſie iſt eine Wirkung des Einfluſſes
unſerer Philoſophie. Uebrigens iſt die Methode, welche in
dieſen Lehrbüchern herrſcht, allzu bezeichnend für die Art un-
ſerer Verſtandesbildung, als daß ſie hier nicht erwähnt werden
ſollte. Die nämliche Ueberzeugung von der Allmacht des
Verſtandes, welche unſere Philoſophen verleitet, eine neue
Grundlage unſerer ſtaatlichen, geſellſchaftlichen und Glau-
benszuſtände blos durch die Kraft des Begriffes erzeugen zu
wollen, äußert ſich auch bei der Abfaſſung von Lehrbüchern
über ganz poſitive Wiſſenſchaften. Vom Begriff zu den That-
ſachen, nicht von den Thatſachen zum Begriff, ſo heißt die
neue Methode. Da ſtellt dann ſo ein neuwiſſenſchaftlicher
Verfaſſer an die Spitze ſeines Lehrbuches irgend einen all-
gemeinen inhaltleeren Satz über das Seiende und Nicht-
ſeiende, oder etwas der Art, und kommt allmälig, vom All-
gemeinen zum Beſonderen herabſteigend, zu der Entdeckung,
daß die Spinne nach den Geſetzen des Denkens noth-
wendig acht Füße haben müſſe. Und die ganze gelehrte Welt
nickt wohlgefällig Beifall zu dieſem Erfolge der Wiſſenſchaft
des reinen Denkens. Aber daneben finden ſich auch Lehr-
bücher, deren Verfaſſer, von den gleichen Vorderſätzen aus-
gehend und nach der gleichen Methode, zu dem Schluß kommen,
daß die Spinne nach den Geſetzen des Denkens nothwendig
neun Füße haben müſſe und alſo auch wirklich habe, und
darüber bricht dann die ganze philoſophiſch gebildete Gelehr-
tenwelt in einen unerhörten Beifallsſturm aus. Denn das
iſt ja gerade der höchſte Triumph der neuen Wiſſenſchaftlich-
keit, daß ſie ſich durch keine ungerechtfertigte Herkömmlichkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066" n="60"/>
krankhaften Denkens &#x017F;ind, auch nach anderen Seiten hin nur<lb/>
Begriffsverwirrung verbreiten können. <hi rendition="#g">Die&#x017F;e</hi> Quelle aber<lb/>
i&#x017F;t nur abgeleiteter Art, &#x017F;ie i&#x017F;t eine Wirkung des Einflu&#x017F;&#x017F;es<lb/>
un&#x017F;erer Philo&#x017F;ophie. Uebrigens i&#x017F;t die Methode, welche in<lb/>
die&#x017F;en Lehrbüchern herr&#x017F;cht, allzu bezeichnend für die Art un-<lb/>
&#x017F;erer Ver&#x017F;tandesbildung, als daß &#x017F;ie hier nicht erwähnt werden<lb/>
&#x017F;ollte. Die nämliche Ueberzeugung von der Allmacht des<lb/>
Ver&#x017F;tandes, welche un&#x017F;ere Philo&#x017F;ophen verleitet, eine neue<lb/>
Grundlage un&#x017F;erer &#x017F;taatlichen, ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen und Glau-<lb/>
benszu&#x017F;tände blos durch die Kraft des Begriffes erzeugen zu<lb/>
wollen, äußert &#x017F;ich auch bei der Abfa&#x017F;&#x017F;ung von Lehrbüchern<lb/>
über ganz po&#x017F;itive Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften. Vom Begriff zu den That-<lb/>
&#x017F;achen, nicht von den That&#x017F;achen zum Begriff, &#x017F;o heißt die<lb/>
neue Methode. Da &#x017F;tellt dann &#x017F;o ein neuwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;er an die Spitze &#x017F;eines Lehrbuches irgend einen all-<lb/>
gemeinen inhaltleeren Satz über das Seiende und Nicht-<lb/>
&#x017F;eiende, oder etwas der Art, und kommt allmälig, vom All-<lb/>
gemeinen zum Be&#x017F;onderen herab&#x017F;teigend, zu der Entdeckung,<lb/>
daß die Spinne <hi rendition="#g">nach den Ge&#x017F;etzen des Denkens</hi> noth-<lb/>
wendig <hi rendition="#g">acht</hi> Füße haben mü&#x017F;&#x017F;e. Und die ganze gelehrte Welt<lb/>
nickt wohlgefällig Beifall zu die&#x017F;em Erfolge der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
des reinen Denkens. Aber daneben finden &#x017F;ich auch Lehr-<lb/>
bücher, deren Verfa&#x017F;&#x017F;er, von den gleichen Vorder&#x017F;ätzen aus-<lb/>
gehend und nach der gleichen Methode, zu dem Schluß kommen,<lb/>
daß die Spinne nach den Ge&#x017F;etzen des Denkens nothwendig<lb/><hi rendition="#g">neun</hi> Füße haben mü&#x017F;&#x017F;e und al&#x017F;o auch wirklich <hi rendition="#g">habe,</hi> und<lb/>
darüber bricht dann die ganze philo&#x017F;ophi&#x017F;ch gebildete Gelehr-<lb/>
tenwelt in einen unerhörten Beifalls&#x017F;turm aus. Denn das<lb/>
i&#x017F;t ja gerade der höch&#x017F;te Triumph der neuen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich-<lb/>
keit, daß &#x017F;ie &#x017F;ich durch keine ungerechtfertigte Herkömmlichkeit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0066] krankhaften Denkens ſind, auch nach anderen Seiten hin nur Begriffsverwirrung verbreiten können. Dieſe Quelle aber iſt nur abgeleiteter Art, ſie iſt eine Wirkung des Einfluſſes unſerer Philoſophie. Uebrigens iſt die Methode, welche in dieſen Lehrbüchern herrſcht, allzu bezeichnend für die Art un- ſerer Verſtandesbildung, als daß ſie hier nicht erwähnt werden ſollte. Die nämliche Ueberzeugung von der Allmacht des Verſtandes, welche unſere Philoſophen verleitet, eine neue Grundlage unſerer ſtaatlichen, geſellſchaftlichen und Glau- benszuſtände blos durch die Kraft des Begriffes erzeugen zu wollen, äußert ſich auch bei der Abfaſſung von Lehrbüchern über ganz poſitive Wiſſenſchaften. Vom Begriff zu den That- ſachen, nicht von den Thatſachen zum Begriff, ſo heißt die neue Methode. Da ſtellt dann ſo ein neuwiſſenſchaftlicher Verfaſſer an die Spitze ſeines Lehrbuches irgend einen all- gemeinen inhaltleeren Satz über das Seiende und Nicht- ſeiende, oder etwas der Art, und kommt allmälig, vom All- gemeinen zum Beſonderen herabſteigend, zu der Entdeckung, daß die Spinne nach den Geſetzen des Denkens noth- wendig acht Füße haben müſſe. Und die ganze gelehrte Welt nickt wohlgefällig Beifall zu dieſem Erfolge der Wiſſenſchaft des reinen Denkens. Aber daneben finden ſich auch Lehr- bücher, deren Verfaſſer, von den gleichen Vorderſätzen aus- gehend und nach der gleichen Methode, zu dem Schluß kommen, daß die Spinne nach den Geſetzen des Denkens nothwendig neun Füße haben müſſe und alſo auch wirklich habe, und darüber bricht dann die ganze philoſophiſch gebildete Gelehr- tenwelt in einen unerhörten Beifallsſturm aus. Denn das iſt ja gerade der höchſte Triumph der neuen Wiſſenſchaftlich- keit, daß ſie ſich durch keine ungerechtfertigte Herkömmlichkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/66
Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/66>, abgerufen am 21.11.2024.