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Der Arbeitgeber. Nr. 675. Frankfurt a. M., 8. April 1870.

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[Spaltenumbruch] den größeren Theil Europa's zum Zweck [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]der Erhebung einer Sta-
tistik der Hauptstädte bereist und bei dieser Gelegenheit auch das
neueste Material zu dem vorliegenden Werke gesammelt. Der-
selbe behandelt den gegenwärtigen Zustand Europa's in Beziehung
auf die nachfolgenden Verhältnisse: Volksrechte, [unleserliches Material - 10 Zeichen fehlen]Parlamente, Presse,
Territorium und Bevölkerung, Finanzen, Armee und Marine, Hilfs-
quellen und Fortschritte in Ackerbau, Jndustrie und Handel; Verkehrs-
mittel: Eisenbahnen, Telegraphen, Posten, Schifffahrt; Sozialer Fort-
schritt: in Kultur, öffentlichem Unterricht, [unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]moralischer Entwickelung,
Luxus und Pauperismus; Wohlthätigkeit und prophylaktische Maß-
regeln, Konsumtion und Preise. Ueberall sind, wo es zum Ver-
ständniß nöthig ist, auch historische Rückblicke und Erklärungen ein-
geflochten, welche zuweilen von klassischer Kürze, in wenig Worten
viel sagen. Als Beispiel verweisen wir auf Seite 369, wo die
Entstehung der preußischen Landwehr geschildert wird. Das Buch
ist voll belehrender Beobachtungen und sollte schon wegen seines
substanziellen Jnhaltes in keiner Bibliothek fehlen.

   

* Genossenschaftswesen. Bekanntlich hat Herr Borchert in
Berlin in seiner Messingwaarenfabrik das System der industr.
partnership
eingeführt. Es sind laut dem letzten Rechenschaftsbericht
mit Kapital betheiligt: 4 Oberbeamte mit 12,602 Thlr. ( gegen 4
mit 9764 Thlr. im Vorjahr ) , 3 Unterbeamte mit 1045 Thlr.
( gegen 2 mit 650 Thlr. im Vorjahr ) , 44 Arbeiter mit 6410 Thlr.
( gegen 26 mit 3107 Thlr. im Vorjahr ) , zusammen 51 Beamte und
Arbeiter mit 20,157 Thlr. ( gegen 32 Beamte und Arbeiter mit
14,521 Thlr. im Vorjahr ) . Auf diese Einlagen wurde eine Divi-
dende von 13,01 pCt. vertheilt. Außerdem erhalten die Arbeiter
noch einen Bonus von 10 pCt. des während des ganzen Jahres
gezahlten Arbeitslohnes. Dieser Bonus betrug 2210 Thaler, der
auf 74 Arbeiter vertheilt wurde.

-- Der Abg. Schulze=Delitzsch wurde vom Großherzog von
Sachsen=Weimar eingeladen, um sich über einige Fragen des Ge-
nossenschaftswesens auszusprechen. Er hat dieser Aufforderung in
Begleitung des Abg. Staatsanwalt Genast Folge geleistet.

* Konsumvereine. Der Stuttgarter Konsumverein zählte
Ende 1869: 1539 Mitglieder. Der Verein hat jetzt ein eigenes
Haus und 6 eigene Läden. -- Der Konsumverein in Finsterwalde
hatte im letzten Geschäftsjahr einen Umsatz von 5156 Thlr. und
zahlte 180 Thlr. Reingewinn als Dividende aus. -- Cainsdorf
bei Zwickau. Der am 28. Januar 1869 gegründete Konsumverein
zählt 80 Mitglieder. Umsatz 5220 Thlr. Reingewinn 310 Thlr. --
Der Konsumverein in Atzenbach im badischen Wiesenthal zählte am
1. Januar 41 Mitglieder, betreibt eine eigene Bäckerei, welche eine
Einnahme von 14,964 fl. hatte. -- Konsumverein in Böh=Leipa
in Böhmen hatte einen Umsatz von 3700 fl. östr. W. Reingewinn
188 fl. -- Konsumverein in Eningen hatte einen Umsatz von
8503 fl mit einem Reingewinn von 125 fl. Die Mitgliederzahl
stieg von 35 auf 50.

* Sparkassen. Die Frankfurter Sparkasse stieg im ver-
flossenen Jahr von 10,901 Einleger, welche 4,098,036 fl. gut
hatten, auf 13,102 Einleger mit 5,190,100 fl. Von diesen traten
1420 mit 912,973 fl. ganz oder theilweise zurück, so daß am
Jahresschluß 11,682 Einleger vorhanden waren, welche mit Kapital
und Zinsen 4,407,931 fl. 14 kr. gut haben. Die Sparkasse besitzt
148 gerichtliche erste Jnsätze im Werthe von 4,144,400 fl. Der
Reserverfonds=Conto beläuft sich auf 476,124 fl.

* Fabrikantenverein. Der Mittelrheinische Fabrikantenverein
hat Herrn Julius Schulze, früher Redakteur der Konstanzer
Zeitung und später der Badischen Kronik in Karlsruhe zu seinem
Sekretär ernannt. Jn der Sitzung vom 9. Februar hielt Herr
Gräff aus Bingen einen interessanten Vortrag über seinen Besuch
in Mühlhausen und die dortigen Anstalten für die Arbeiter, und
Herr Schulze einen solchen über die Arbeiterwohnungen. Die
nächste Sitzung ist am 13. April. Tagesordnung: Fortsetzung der
Diskussion über die Arbeiterwohnungen.

* Wohnungsnoth. Man schätzt die Anzahl Familien, welche
in Berlin bei dem Umzug am 1. April keine Wohnung finden
konnten, also obdachlos bleiben müssen, auf 800.

* Sanitätspolizei. Jn der Sitzung des östreichischen Abgeord-
netenhauses wurde das Gesetz über die Sanitätspolizei mit 105 gegen
9 Stimmen angenommen. Man erwartet gute Folgen von diesem
Gesetz, welches die Ueberwachung der Sanitätsverhältnisse der Obhut
spezieller Behörden, namentlich den Landessanitätsräthen zuweist. Daß
[Spaltenumbruch] auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege in Oestreich bisher
eine arge Verwahrlosung stattgefunden hat, ergibt sich aus der That-
sache, daß die Sterblichkeit hier weit größer ist, als in anderen civi-
lisirten Staaten. Speziell ist Wien nach Petersburg die ungesundeste
Stadt Europas und von sämmtlichen größeren Städten Oestreichs
rangiren nur Jnnsbruck und Görz in der Sterblichkeitsziffer neben
London; in allen andern, auch in den anscheinend von der Natur
sehr begünstigten, sind die Gesundheitsverhältnisse schlechter, als in
den englischen Fabrikstädten.

* Kindersterblichkeit. Unter der Unzahl von Kommissionen,
mit denen das französische Ministerium sich umgeben, befindet sich
auch eine, die beauftragt ist, die Frage der Kindersterblichkeit zu stu-
diren. Von Paris werden jährlich 23,000 Kinder auf das Land
geschafft und den Ammen übergeben. Davon sterben gegen 11,000
an der mangelhaften Verpflegung.

* Schulwesen. Die eben erschienene Einladungsschrift zu den
Prüfungen der Frankfurter Musterschule bringt eine Abhandlung
von R. Jäger über Zinseszins und Renten=Rechnung, der ein sehr
empfehlenswerthes Vorwort über die praktische Ausbildung in der
Schule beigefügt ist. Ob der Knabe, welcher die Schule besucht --
sagt Jäger sehr richtig --, ein Kaufmann oder Techniker oder Künstler
wird, kann man nicht wissen, deshalb erziehe man ihn so, daß er
jedes werden kann. Außerdem ist nicht die Bildung von Kaufleuten,
Handwerkern und Technikern die Hauptsache, sondern der künftige
Mann und Bürger, der Charakter. Der Direktor der Schule,
Dr. Eiselen, tadelt in einer Mittheilung an das Elternhaus mit
uns den frühen Austritt aus der Schule: man solle doch "lieber die
meist unnöthig lange kaufmännische Lehrzeit abkürzen." Sehr beach-
tenswerth sind die Bemerkungen über die Erziehung der Kinder im
Elternhaus, das häufig falsch gewählte Spielzeug, welches dem Kinde
nichts zu denken und zu arbeiten gibt, die verkehrten Bücher, Kinder-
Gesellschaften, Kinder=Konzerte und sogar Bälle. Man raubt damit
dem Kinde seine schönste, poetischste Zeit, denn wenn es in das
Jugendalter eintritt, in die Blüthezeit des Lebens, dann kennt es
schon alle Vergnügungen der Erwachsenen und ist blasirt. -- Eine
Abhandlung über die Baulichkeiten und Einrichtungen der Schule
verglichen mit den Ansprüchen der Gesundheitspflege und die üblichen
Schulnachrichten schließen die interessante Schrift.

* Autorrecht. Zum Schutz des Autorrechtes haben eine sehr
große Anzahl Schriftsteller in München und Stuttgart eine Erklä-
rung erlassen, in welcher sie die dem norddeutschen Reichstag gemachte
Bundesvorlage befürworten.

* Militärisches. Jn der Sächsischen Armee nehmen die
Selbstmorde so überhand, daß das Kriegsministerium sich veranlaßt
gesehen hat, Untersuchungen über die Ursache dieser Erscheinung an-
stellen zu lassen. Man gibt allgemein als Grund die gute Be-
handlung an, welche die Soldaten von Seiten ihrer Vorgesetzten
zu erleiden haben.

-- Jn München hat sich eine Arbeiterversammlung gegen den
Fortbestand der stehenden Heere ausgesprochen.

* Arbeiter=Angelegenheiten. Die "N. Fr. Pr. schreibt von
Prag: Jn Swarow ( Bezirk Tannwald ) fanden am 31. März Zu-
sammenrottungen von strikenden Arbeitern statt. Aus Reichenberg
wurden zwei Jäger=Compagnien requirirt. Die Soldaten wurden mit
Steinen beworfen und gaben Feuer. Ein Ruhestörer wurde getödtet,
mehrere andere verwundet. Von Josephstadt und Prag gehen Truppen-
Abtheilungen nach Swarow. Aus Tannwald wird geschrieben:
Die Liebig'schen Fabriksarbeiter zogen gegen die Swarower Fabrik
und insultirten thatsächlich das Militär, welches feuerte. Fünf Todte,
fünfundzwanzig Verwundete. Vier Compagnien Verstärkung sind
hieher berufen.

Handel und Verkehr.

* Zollwesen. Das letzte Stündlein der Elbzölle hat endlich
geschlagen. Preußen, Sachsen und Oestreich wollen sie ohne Ent-
schädigung aufgeben; Anhalt und Lauenburg können mit geringfügigen
Summen abgefunden werden, aber Mecklenburg erhebt noch Schwie-
rigkeiten, die wie gewöhnlich mit seiner schlechten alten Verfassung
zusammenhängen. Wie es jahrelang allein unter allen betheiligten
Staaten seinen Antheil an der Ablösung des Schelde=Zolls nicht be-

[Spaltenumbruch] den größeren Theil Europa's zum Zweck [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]der Erhebung einer Sta-
tistik der Hauptstädte bereist und bei dieser Gelegenheit auch das
neueste Material zu dem vorliegenden Werke gesammelt. Der-
selbe behandelt den gegenwärtigen Zustand Europa's in Beziehung
auf die nachfolgenden Verhältnisse: Volksrechte, [unleserliches Material – 10 Zeichen fehlen]Parlamente, Presse,
Territorium und Bevölkerung, Finanzen, Armee und Marine, Hilfs-
quellen und Fortschritte in Ackerbau, Jndustrie und Handel; Verkehrs-
mittel: Eisenbahnen, Telegraphen, Posten, Schifffahrt; Sozialer Fort-
schritt: in Kultur, öffentlichem Unterricht, [unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]moralischer Entwickelung,
Luxus und Pauperismus; Wohlthätigkeit und prophylaktische Maß-
regeln, Konsumtion und Preise. Ueberall sind, wo es zum Ver-
ständniß nöthig ist, auch historische Rückblicke und Erklärungen ein-
geflochten, welche zuweilen von klassischer Kürze, in wenig Worten
viel sagen. Als Beispiel verweisen wir auf Seite 369, wo die
Entstehung der preußischen Landwehr geschildert wird. Das Buch
ist voll belehrender Beobachtungen und sollte schon wegen seines
substanziellen Jnhaltes in keiner Bibliothek fehlen.

   

* Genossenschaftswesen. Bekanntlich hat Herr Borchert in
Berlin in seiner Messingwaarenfabrik das System der industr.
partnership
eingeführt. Es sind laut dem letzten Rechenschaftsbericht
mit Kapital betheiligt: 4 Oberbeamte mit 12,602 Thlr. ( gegen 4
mit 9764 Thlr. im Vorjahr ) , 3 Unterbeamte mit 1045 Thlr.
( gegen 2 mit 650 Thlr. im Vorjahr ) , 44 Arbeiter mit 6410 Thlr.
( gegen 26 mit 3107 Thlr. im Vorjahr ) , zusammen 51 Beamte und
Arbeiter mit 20,157 Thlr. ( gegen 32 Beamte und Arbeiter mit
14,521 Thlr. im Vorjahr ) . Auf diese Einlagen wurde eine Divi-
dende von 13,01 pCt. vertheilt. Außerdem erhalten die Arbeiter
noch einen Bonus von 10 pCt. des während des ganzen Jahres
gezahlten Arbeitslohnes. Dieser Bonus betrug 2210 Thaler, der
auf 74 Arbeiter vertheilt wurde.

-- Der Abg. Schulze=Delitzsch wurde vom Großherzog von
Sachsen=Weimar eingeladen, um sich über einige Fragen des Ge-
nossenschaftswesens auszusprechen. Er hat dieser Aufforderung in
Begleitung des Abg. Staatsanwalt Genast Folge geleistet.

* Konsumvereine. Der Stuttgarter Konsumverein zählte
Ende 1869: 1539 Mitglieder. Der Verein hat jetzt ein eigenes
Haus und 6 eigene Läden. -- Der Konsumverein in Finsterwalde
hatte im letzten Geschäftsjahr einen Umsatz von 5156 Thlr. und
zahlte 180 Thlr. Reingewinn als Dividende aus. -- Cainsdorf
bei Zwickau. Der am 28. Januar 1869 gegründete Konsumverein
zählt 80 Mitglieder. Umsatz 5220 Thlr. Reingewinn 310 Thlr. --
Der Konsumverein in Atzenbach im badischen Wiesenthal zählte am
1. Januar 41 Mitglieder, betreibt eine eigene Bäckerei, welche eine
Einnahme von 14,964 fl. hatte. -- Konsumverein in Böh=Leipa
in Böhmen hatte einen Umsatz von 3700 fl. östr. W. Reingewinn
188 fl. -- Konsumverein in Eningen hatte einen Umsatz von
8503 fl mit einem Reingewinn von 125 fl. Die Mitgliederzahl
stieg von 35 auf 50.

* Sparkassen. Die Frankfurter Sparkasse stieg im ver-
flossenen Jahr von 10,901 Einleger, welche 4,098,036 fl. gut
hatten, auf 13,102 Einleger mit 5,190,100 fl. Von diesen traten
1420 mit 912,973 fl. ganz oder theilweise zurück, so daß am
Jahresschluß 11,682 Einleger vorhanden waren, welche mit Kapital
und Zinsen 4,407,931 fl. 14 kr. gut haben. Die Sparkasse besitzt
148 gerichtliche erste Jnsätze im Werthe von 4,144,400 fl. Der
Reserverfonds=Conto beläuft sich auf 476,124 fl.

* Fabrikantenverein. Der Mittelrheinische Fabrikantenverein
hat Herrn Julius Schulze, früher Redakteur der Konstanzer
Zeitung und später der Badischen Kronik in Karlsruhe zu seinem
Sekretär ernannt. Jn der Sitzung vom 9. Februar hielt Herr
Gräff aus Bingen einen interessanten Vortrag über seinen Besuch
in Mühlhausen und die dortigen Anstalten für die Arbeiter, und
Herr Schulze einen solchen über die Arbeiterwohnungen. Die
nächste Sitzung ist am 13. April. Tagesordnung: Fortsetzung der
Diskussion über die Arbeiterwohnungen.

* Wohnungsnoth. Man schätzt die Anzahl Familien, welche
in Berlin bei dem Umzug am 1. April keine Wohnung finden
konnten, also obdachlos bleiben müssen, auf 800.

* Sanitätspolizei. Jn der Sitzung des östreichischen Abgeord-
netenhauses wurde das Gesetz über die Sanitätspolizei mit 105 gegen
9 Stimmen angenommen. Man erwartet gute Folgen von diesem
Gesetz, welches die Ueberwachung der Sanitätsverhältnisse der Obhut
spezieller Behörden, namentlich den Landessanitätsräthen zuweist. Daß
[Spaltenumbruch] auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege in Oestreich bisher
eine arge Verwahrlosung stattgefunden hat, ergibt sich aus der That-
sache, daß die Sterblichkeit hier weit größer ist, als in anderen civi-
lisirten Staaten. Speziell ist Wien nach Petersburg die ungesundeste
Stadt Europas und von sämmtlichen größeren Städten Oestreichs
rangiren nur Jnnsbruck und Görz in der Sterblichkeitsziffer neben
London; in allen andern, auch in den anscheinend von der Natur
sehr begünstigten, sind die Gesundheitsverhältnisse schlechter, als in
den englischen Fabrikstädten.

* Kindersterblichkeit. Unter der Unzahl von Kommissionen,
mit denen das französische Ministerium sich umgeben, befindet sich
auch eine, die beauftragt ist, die Frage der Kindersterblichkeit zu stu-
diren. Von Paris werden jährlich 23,000 Kinder auf das Land
geschafft und den Ammen übergeben. Davon sterben gegen 11,000
an der mangelhaften Verpflegung.

* Schulwesen. Die eben erschienene Einladungsschrift zu den
Prüfungen der Frankfurter Musterschule bringt eine Abhandlung
von R. Jäger über Zinseszins und Renten=Rechnung, der ein sehr
empfehlenswerthes Vorwort über die praktische Ausbildung in der
Schule beigefügt ist. Ob der Knabe, welcher die Schule besucht --
sagt Jäger sehr richtig --, ein Kaufmann oder Techniker oder Künstler
wird, kann man nicht wissen, deshalb erziehe man ihn so, daß er
jedes werden kann. Außerdem ist nicht die Bildung von Kaufleuten,
Handwerkern und Technikern die Hauptsache, sondern der künftige
Mann und Bürger, der Charakter. Der Direktor der Schule,
Dr. Eiselen, tadelt in einer Mittheilung an das Elternhaus mit
uns den frühen Austritt aus der Schule: man solle doch „lieber die
meist unnöthig lange kaufmännische Lehrzeit abkürzen.“ Sehr beach-
tenswerth sind die Bemerkungen über die Erziehung der Kinder im
Elternhaus, das häufig falsch gewählte Spielzeug, welches dem Kinde
nichts zu denken und zu arbeiten gibt, die verkehrten Bücher, Kinder-
Gesellschaften, Kinder=Konzerte und sogar Bälle. Man raubt damit
dem Kinde seine schönste, poetischste Zeit, denn wenn es in das
Jugendalter eintritt, in die Blüthezeit des Lebens, dann kennt es
schon alle Vergnügungen der Erwachsenen und ist blasirt. -- Eine
Abhandlung über die Baulichkeiten und Einrichtungen der Schule
verglichen mit den Ansprüchen der Gesundheitspflege und die üblichen
Schulnachrichten schließen die interessante Schrift.

* Autorrecht. Zum Schutz des Autorrechtes haben eine sehr
große Anzahl Schriftsteller in München und Stuttgart eine Erklä-
rung erlassen, in welcher sie die dem norddeutschen Reichstag gemachte
Bundesvorlage befürworten.

* Militärisches. Jn der Sächsischen Armee nehmen die
Selbstmorde so überhand, daß das Kriegsministerium sich veranlaßt
gesehen hat, Untersuchungen über die Ursache dieser Erscheinung an-
stellen zu lassen. Man gibt allgemein als Grund die gute Be-
handlung an, welche die Soldaten von Seiten ihrer Vorgesetzten
zu erleiden haben.

-- Jn München hat sich eine Arbeiterversammlung gegen den
Fortbestand der stehenden Heere ausgesprochen.

* Arbeiter=Angelegenheiten. Die „N. Fr. Pr. schreibt von
Prag: Jn Swarow ( Bezirk Tannwald ) fanden am 31. März Zu-
sammenrottungen von strikenden Arbeitern statt. Aus Reichenberg
wurden zwei Jäger=Compagnien requirirt. Die Soldaten wurden mit
Steinen beworfen und gaben Feuer. Ein Ruhestörer wurde getödtet,
mehrere andere verwundet. Von Josephstadt und Prag gehen Truppen-
Abtheilungen nach Swarow. Aus Tannwald wird geschrieben:
Die Liebig'schen Fabriksarbeiter zogen gegen die Swarower Fabrik
und insultirten thatsächlich das Militär, welches feuerte. Fünf Todte,
fünfundzwanzig Verwundete. Vier Compagnien Verstärkung sind
hieher berufen.

Handel und Verkehr.

* Zollwesen. Das letzte Stündlein der Elbzölle hat endlich
geschlagen. Preußen, Sachsen und Oestreich wollen sie ohne Ent-
schädigung aufgeben; Anhalt und Lauenburg können mit geringfügigen
Summen abgefunden werden, aber Mecklenburg erhebt noch Schwie-
rigkeiten, die wie gewöhnlich mit seiner schlechten alten Verfassung
zusammenhängen. Wie es jahrelang allein unter allen betheiligten
Staaten seinen Antheil an der Ablösung des Schelde=Zolls nicht be-

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[0004] den größeren Theil Europa's zum Zweck ___der Erhebung einer Sta- tistik der Hauptstädte bereist und bei dieser Gelegenheit auch das neueste Material zu dem vorliegenden Werke gesammelt. Der- selbe behandelt den gegenwärtigen Zustand Europa's in Beziehung auf die nachfolgenden Verhältnisse: Volksrechte, __________Parlamente, Presse, Territorium und Bevölkerung, Finanzen, Armee und Marine, Hilfs- quellen und Fortschritte in Ackerbau, Jndustrie und Handel; Verkehrs- mittel: Eisenbahnen, Telegraphen, Posten, Schifffahrt; Sozialer Fort- schritt: in Kultur, öffentlichem Unterricht, ___________moralischer Entwickelung, Luxus und Pauperismus; Wohlthätigkeit und prophylaktische Maß- regeln, Konsumtion und Preise. Ueberall sind, wo es zum Ver- ständniß nöthig ist, auch historische Rückblicke und Erklärungen ein- geflochten, welche zuweilen von klassischer Kürze, in wenig Worten viel sagen. Als Beispiel verweisen wir auf Seite 369, wo die Entstehung der preußischen Landwehr geschildert wird. Das Buch ist voll belehrender Beobachtungen und sollte schon wegen seines substanziellen Jnhaltes in keiner Bibliothek fehlen. M. W. * Genossenschaftswesen. Bekanntlich hat Herr Borchert in Berlin in seiner Messingwaarenfabrik das System der industr. partnership eingeführt. Es sind laut dem letzten Rechenschaftsbericht mit Kapital betheiligt: 4 Oberbeamte mit 12,602 Thlr. ( gegen 4 mit 9764 Thlr. im Vorjahr ) , 3 Unterbeamte mit 1045 Thlr. ( gegen 2 mit 650 Thlr. im Vorjahr ) , 44 Arbeiter mit 6410 Thlr. ( gegen 26 mit 3107 Thlr. im Vorjahr ) , zusammen 51 Beamte und Arbeiter mit 20,157 Thlr. ( gegen 32 Beamte und Arbeiter mit 14,521 Thlr. im Vorjahr ) . Auf diese Einlagen wurde eine Divi- dende von 13,01 pCt. vertheilt. Außerdem erhalten die Arbeiter noch einen Bonus von 10 pCt. des während des ganzen Jahres gezahlten Arbeitslohnes. Dieser Bonus betrug 2210 Thaler, der auf 74 Arbeiter vertheilt wurde. -- Der Abg. Schulze=Delitzsch wurde vom Großherzog von Sachsen=Weimar eingeladen, um sich über einige Fragen des Ge- nossenschaftswesens auszusprechen. Er hat dieser Aufforderung in Begleitung des Abg. Staatsanwalt Genast Folge geleistet. * Konsumvereine. Der Stuttgarter Konsumverein zählte Ende 1869: 1539 Mitglieder. Der Verein hat jetzt ein eigenes Haus und 6 eigene Läden. -- Der Konsumverein in Finsterwalde hatte im letzten Geschäftsjahr einen Umsatz von 5156 Thlr. und zahlte 180 Thlr. Reingewinn als Dividende aus. -- Cainsdorf bei Zwickau. Der am 28. Januar 1869 gegründete Konsumverein zählt 80 Mitglieder. Umsatz 5220 Thlr. Reingewinn 310 Thlr. -- Der Konsumverein in Atzenbach im badischen Wiesenthal zählte am 1. Januar 41 Mitglieder, betreibt eine eigene Bäckerei, welche eine Einnahme von 14,964 fl. hatte. -- Konsumverein in Böh=Leipa in Böhmen hatte einen Umsatz von 3700 fl. östr. W. Reingewinn 188 fl. -- Konsumverein in Eningen hatte einen Umsatz von 8503 fl mit einem Reingewinn von 125 fl. Die Mitgliederzahl stieg von 35 auf 50. * Sparkassen. Die Frankfurter Sparkasse stieg im ver- flossenen Jahr von 10,901 Einleger, welche 4,098,036 fl. gut hatten, auf 13,102 Einleger mit 5,190,100 fl. Von diesen traten 1420 mit 912,973 fl. ganz oder theilweise zurück, so daß am Jahresschluß 11,682 Einleger vorhanden waren, welche mit Kapital und Zinsen 4,407,931 fl. 14 kr. gut haben. Die Sparkasse besitzt 148 gerichtliche erste Jnsätze im Werthe von 4,144,400 fl. Der Reserverfonds=Conto beläuft sich auf 476,124 fl. * Fabrikantenverein. Der Mittelrheinische Fabrikantenverein hat Herrn Julius Schulze, früher Redakteur der Konstanzer Zeitung und später der Badischen Kronik in Karlsruhe zu seinem Sekretär ernannt. Jn der Sitzung vom 9. Februar hielt Herr Gräff aus Bingen einen interessanten Vortrag über seinen Besuch in Mühlhausen und die dortigen Anstalten für die Arbeiter, und Herr Schulze einen solchen über die Arbeiterwohnungen. Die nächste Sitzung ist am 13. April. Tagesordnung: Fortsetzung der Diskussion über die Arbeiterwohnungen. * Wohnungsnoth. Man schätzt die Anzahl Familien, welche in Berlin bei dem Umzug am 1. April keine Wohnung finden konnten, also obdachlos bleiben müssen, auf 800. * Sanitätspolizei. Jn der Sitzung des östreichischen Abgeord- netenhauses wurde das Gesetz über die Sanitätspolizei mit 105 gegen 9 Stimmen angenommen. Man erwartet gute Folgen von diesem Gesetz, welches die Ueberwachung der Sanitätsverhältnisse der Obhut spezieller Behörden, namentlich den Landessanitätsräthen zuweist. Daß auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege in Oestreich bisher eine arge Verwahrlosung stattgefunden hat, ergibt sich aus der That- sache, daß die Sterblichkeit hier weit größer ist, als in anderen civi- lisirten Staaten. Speziell ist Wien nach Petersburg die ungesundeste Stadt Europas und von sämmtlichen größeren Städten Oestreichs rangiren nur Jnnsbruck und Görz in der Sterblichkeitsziffer neben London; in allen andern, auch in den anscheinend von der Natur sehr begünstigten, sind die Gesundheitsverhältnisse schlechter, als in den englischen Fabrikstädten. * Kindersterblichkeit. Unter der Unzahl von Kommissionen, mit denen das französische Ministerium sich umgeben, befindet sich auch eine, die beauftragt ist, die Frage der Kindersterblichkeit zu stu- diren. Von Paris werden jährlich 23,000 Kinder auf das Land geschafft und den Ammen übergeben. Davon sterben gegen 11,000 an der mangelhaften Verpflegung. * Schulwesen. Die eben erschienene Einladungsschrift zu den Prüfungen der Frankfurter Musterschule bringt eine Abhandlung von R. Jäger über Zinseszins und Renten=Rechnung, der ein sehr empfehlenswerthes Vorwort über die praktische Ausbildung in der Schule beigefügt ist. Ob der Knabe, welcher die Schule besucht -- sagt Jäger sehr richtig --, ein Kaufmann oder Techniker oder Künstler wird, kann man nicht wissen, deshalb erziehe man ihn so, daß er jedes werden kann. Außerdem ist nicht die Bildung von Kaufleuten, Handwerkern und Technikern die Hauptsache, sondern der künftige Mann und Bürger, der Charakter. Der Direktor der Schule, Dr. Eiselen, tadelt in einer Mittheilung an das Elternhaus mit uns den frühen Austritt aus der Schule: man solle doch „lieber die meist unnöthig lange kaufmännische Lehrzeit abkürzen.“ Sehr beach- tenswerth sind die Bemerkungen über die Erziehung der Kinder im Elternhaus, das häufig falsch gewählte Spielzeug, welches dem Kinde nichts zu denken und zu arbeiten gibt, die verkehrten Bücher, Kinder- Gesellschaften, Kinder=Konzerte und sogar Bälle. Man raubt damit dem Kinde seine schönste, poetischste Zeit, denn wenn es in das Jugendalter eintritt, in die Blüthezeit des Lebens, dann kennt es schon alle Vergnügungen der Erwachsenen und ist blasirt. -- Eine Abhandlung über die Baulichkeiten und Einrichtungen der Schule verglichen mit den Ansprüchen der Gesundheitspflege und die üblichen Schulnachrichten schließen die interessante Schrift. * Autorrecht. Zum Schutz des Autorrechtes haben eine sehr große Anzahl Schriftsteller in München und Stuttgart eine Erklä- rung erlassen, in welcher sie die dem norddeutschen Reichstag gemachte Bundesvorlage befürworten. * Militärisches. Jn der Sächsischen Armee nehmen die Selbstmorde so überhand, daß das Kriegsministerium sich veranlaßt gesehen hat, Untersuchungen über die Ursache dieser Erscheinung an- stellen zu lassen. Man gibt allgemein als Grund die gute Be- handlung an, welche die Soldaten von Seiten ihrer Vorgesetzten zu erleiden haben. -- Jn München hat sich eine Arbeiterversammlung gegen den Fortbestand der stehenden Heere ausgesprochen. * Arbeiter=Angelegenheiten. Die „N. Fr. Pr. schreibt von Prag: Jn Swarow ( Bezirk Tannwald ) fanden am 31. März Zu- sammenrottungen von strikenden Arbeitern statt. Aus Reichenberg wurden zwei Jäger=Compagnien requirirt. Die Soldaten wurden mit Steinen beworfen und gaben Feuer. Ein Ruhestörer wurde getödtet, mehrere andere verwundet. Von Josephstadt und Prag gehen Truppen- Abtheilungen nach Swarow. Aus Tannwald wird geschrieben: Die Liebig'schen Fabriksarbeiter zogen gegen die Swarower Fabrik und insultirten thatsächlich das Militär, welches feuerte. Fünf Todte, fünfundzwanzig Verwundete. Vier Compagnien Verstärkung sind hieher berufen. Handel und Verkehr. * Zollwesen. Das letzte Stündlein der Elbzölle hat endlich geschlagen. Preußen, Sachsen und Oestreich wollen sie ohne Ent- schädigung aufgeben; Anhalt und Lauenburg können mit geringfügigen Summen abgefunden werden, aber Mecklenburg erhebt noch Schwie- rigkeiten, die wie gewöhnlich mit seiner schlechten alten Verfassung zusammenhängen. Wie es jahrelang allein unter allen betheiligten Staaten seinen Antheil an der Ablösung des Schelde=Zolls nicht be-

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 675. Frankfurt a. M., 8. April 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0675_1870/4>, abgerufen am 23.11.2024.