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Der Arbeitgeber. Nr. 705. Frankfurt a. M., 5. November 1870.

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Was für jeden Beobachter zu Tage tritt, das sind Verluste,
und zwar riesenhafte Verluste, die aus dem vom Krieg arg heimge-
suchten Frankreich zu uns fürchterlich herübergähnen: zerschossene Häu-
ser, niedergebrannte Dörfer, verwüstete Städte, zerstörte Eisenbahnen,
ruinirte Wege aller Art, muthmaßlich der mehr oder minder große
Ruin der schönsten und zweit größten Stadt der civilisirten Welt,
und darunter Tausende von todten Soldaten und Bürgern begraben
-- das werden die Coulissen, das wird das Podium des fürchter-
lichen Kriegstheaters nach Schluß des Stückes sein.

Annähernd die Verluste festzustellen, welche Frankreich durch
den Krieg erleidet, ist augenblicklich ganz unmöglich, da in Folge der
tollen Regierung, in deren Hände das Schicksal Frankreichs sich be-
findet, diese Verluste mit jeder Stunde größer werden. Man hatte
geglaubt, nach dem Tag von Sedan würde der Krieg bald zu Ende
gehn, man hatte sich verrechnet; man hatte angenommen, und so heiß
gehofft, nach der Uebergabe von Metz würden die Tage des Krieges
gezählt sein, und man hat sich abermals verrechnet. Man erwartet
jetzt, daß der Schluß des Trauerspiels sofort nach der Einnahme von
Paris eintreten wird, und man wird sich, wenn nicht äußere Um-
stände eintreten, nochmals verrechnen.

Worin steckt die Ursache dieses Rechenfehlers? Man rühmte
doch seither und allezeit die Zähigkeit des Widerstandes sei gerade
eine deutsche Tugend, und jetzt sollte sie plötzlich eine französische
geworden sein? Geschieht dieser Widerstand, den Frankreich noch
unsern siegreichen Waffen leistet, aus Zähigkeit? Wir antworten
nein. Die Zähigkeit fehlt dem Franzosen, und sie ist ihm während
des Krieges nicht plötzlich eingeimpft worden. Dieser so verderb-
nißvolle Widerstand, resultirt aus folgenden Eigenschaften unserer
Nachbarn. Stellen wir die edelste voran: die Vaterlandsliebe,
und gleich neben an diejenige, die alles verdirbt und die wahre
Vaterlandsliebe zur falschen macht, die Eitelkeit; gleich darauf kommt
die Beschränktheit unserer geistreichen Nachbarn in gewissen Dingen,
und die daraus hervorgehende Halsstörrigkeit; was jedoch am aller-
meisten Frankreich zur Fortsetzung des Krieges treibt, das ist die
nationale Eitelkeit, sein Mangel an Unterricht und das natürliche
Gefühl der Rache.

Alle Achtung vor einem Volk das seinen heimischen Boden mit
allen vom Völkerrecht erlaubten Mitteln vertheidigt, alle Achtung vor
einem Volk, dessen Vaterlandsliebe alle seine Söhne gegen den Feind
ins Feld schickt. Aber die Vaterlandsliebe schlägt in Fanatismus um,
wenn es seine Söhne tollkühn auf die Schlachtbank liefert wie es
jetzt in Frankreich geschieht; wenn es sich der Ueberzeugung von
der Nutzlosigkeit des Kampfes verschließt, ungeheueres Unglück über
Land und Leute bringt. Dann ist keine wahre Vaterlandsliebe vor-
handen, denn die wahre Vaterlandsliebe rettet das Land und verdirbt
es nicht. Allein die Eitelkeit macht blind, und wen Gott verderben
will, den schlägt er mit Blindheit. Die französische Nation ist po-
litisch derart erzogen, daß sie alle andere Nationen etwa von dem
Standpunkt aus betrachtet, von dem ein adeliger Junker seine
übrigen bürgerlichen Mitmenschen ansieht. Die französische Nation,
welche die große Nevolution durchgemacht hat, und in freiheitlicher
Beziehung das ganze Menschengeschlecht mit einem Ruck um Jahr-
hunderte vorwärts brachte, welche den Adel abschaffte, welche die
Gleichheit proklamirte ( aber wohl verstanden nur unter sich )
ist andern Nationen gegenüber, und hat sich andern Nationen
gegenüber nicht anders betragen, wie ein hochmüthiger Adeliger,
nach dessen Begriffen der politische Mensch erst an der Grenze Frank-
reichs anfängt, wie nach den Begriffen des Junkers der Mensch erst
beim Baron anfängt. Die französische Nation dünkt sich die Baronin
unter den Nationen, und die Schläge, welche sie jetzt von einer nach
ihren Begriffen bürgerlichen, nicht ebenbürtigen Nation bekommt,
diese machen sie so rabiat, so blind, so tollhäuslerisch im Widerstand.

Fürchterlich und zugleich eine Jronie des Schicksals ist es, daß
gerade Deutschland mit Preußen an der Spitze, dieses im Vergleich
zu Frankreich so konservative Deutschland, den Teufel der Baronie
aus dem französischen Volk heraustreiben muß. Und herausgetrieben
muß er werden, eher gibt es keinen Frieden. Aber dieses Teufel-
austreiben ist eine infernalische Kunst, die viel Blut und viel Geld
kostet. Und hiermit sind wir wieder auf unserem Thema; hieraus
werden sich die großen wirthschaftlichen Verluste erklären. Will man
indeß die Verluste der Franzosen recht auffassen, so sind sie größer
an Geld, an Kapital wie an Blut. Leider überragen hier die
deutschen die französischen qualitativ um ein Bedeutendes. Das liegt im
[Spaltenumbruch] Unterschied der Heerverfassung und bedarf wohl weiter keiner Erklä-
rung. Weil unsere Blutverluste kostbarer sind wie die franzö-
sischen, verlangt unsere Nation auch andere Entschädigungen wie die
an Geld. --

Die Verluste an Kapital, welche die französische Wirthschaft
erleidet, werden dagegen enorm sein, und das Volk lange, lange Zeit
belasten. Die Staatsschulden werden um horrente Summen ver-
mehrt werden, und das französische Volk wird auf Jahrzehnte zu
schaffen haben, um die Zinsen zu bezahlen. Wird die französische
Nation überhaupt im Stande sein, nachdem ihr Widerstand völlig
gebrochen, das Zerstörte bald wieder herzustellen? Das hängt sehr
von dem weiteren Verlauf des Krieges ab. Bis jetzt mag es sein,
denn das französische Volk ist reich. Die Privatwirthschaft genießt
daselbst schon längst völliger Freiheit, und hat sich mächtig entwickelt.
Leider diente dies dazu sie zum Sündenbock für die Staatswirthschaft
zu machen, welche zuletzt in reine Verschwendung und pure Korrup-
tion ausartete. Auch davon wird der Krieg die Franzosen befreien;
sie werden vielleicht eine arme aber jedenfalls eine gesunde Staats-
wirthschaft erhalten. Was die Privatwirthschaft betrifft, so wird trotz
der unberechenbaren Verluste, welche sie zu erleiden hat ( siehe den
Artikel wirthschaftliche Zersetzung in Frankreich in unserem heutigen
Blatt ) , sie doch einen moralischen Gewinn haben, wenn auch erst
mit der Zeit.

Viele einsichtsvolle Franzosen sprechen es jetzt schon aus, daß
in geistiger Beziehung gründlich bei ihnen aufgeräumt werden müßte.
Der Krieg wird es bewirken. Der nutzlose Widerstand wird gerade
einen langen Frieden zur Folge haben; in diesem Frieden wird das
französische Volk stark arbeiten müssen, und die Arbeit führt zur
Erkenntniß. Die Erkenntniß wird es zur Lossagung von den Pfaffen
führen und zum besseren Unterricht; der bessere Unterricht wird
den Hochmuthsteufel austreiben, und ihm sagen, daß es nur dann
seine Wirthschaft in alten Flor bringen kann, wenn es in innigen
Verkehr mit seinen Nachbarvölkern tritt, wenn es die Vorbedingung
dazu, seine Sprache lernt und persönliche Bekanntschaft mit ihm
macht.

Dies leitet uns zur Beantwortung unserer Schlußfrage. Wie
wird sich die Beziehung der französischen Nation nach dem Krieg zur
deutschen gestalten? Sicherlich für lange Zeit nicht angenehm. Aber
die Zeit heilt; wird sie die Gegensätze so zwei verschiedener Nationen,
wie die deutsche und französische es sind, verschwinden lassen? Hoch
verdiente deutsche Männer haben früher ( 1815 ) geglaubt, um Ruhe
und Friede zwischen diesen beiden Völkern zu machen, müsse man eine
Wüste zwischen sie legen.

Diese Zeit war diejenige der reinen Staats politik und nicht
diejenige der Staats wirthschaft; sie kannte die Kraft der letzteren
nicht, sie betrieb die Völkerheilkunde mit Palliativmitteln und machte
solche unglückliche Fehler, daß sie neutrale Gebiete zwischen zwei
Staate schob, in denen entgegengesetzte Strömungen herrschten. Will
man das Uebel von Grund aus kuriren, so muß man es wirth-
schaftlich kuriren, und statt eine Wüste zwischen Frankreich und
Deutschland zu schaffen, oder statt politische Zwitter= und Mißbil-
dungen in Form von neutralen Gebieten zwischen die Grenzen zu
schieben, muß man im Gegentheil Tausende von Brücken und Wege
zur Verbindung der beiden Länder bauen; man muß das eine zu dem
andern in die Schule schicken, das wird den Verkehr zu einem ange-
nehmen und für beide Seiten vortheilhaften machen, wenn auch nicht
morgen, so doch -- einst. Hoffen und wünschen wir, daß der Zeit-
punkt, in welchem dieses "einst" in ein "jetzt" sich verwandelt, für
beide Nationen nicht allzu entfernt liegt.

* Die wirthschaftliche Zersetzung in Frankreich macht auch
dort, wo der Krieg nicht unmittelbar seine schreckliche Geißel schwingt,
immer reißendere Fortschritte. Die Bank von Frankreich, in Friedens-
zeiten so hochgepriesen, hat ihre Pflicht während der letzten schlimmen
Wochen so schmählich vernachlässigt, wie nur immer das Kriegs-
ministerium oder die nationale Diplomatie. Sie hat nur an Paris
gedacht, und für die Provinzen, die doch ebenfalls auf sie angewiesen
waren, keine Spur von Vorsorge getroffen. So müssen sich diese
nun mit gelähmten Händen selbst zu helfen suchen. Jn Havre,
Dieppe und Lille hat man ein Lokal=Papiergeld auf kleine Beträge
lautend ausgegeben, um dem Bedürfniß des Kleinverkehrs zu genügen,

[Spaltenumbruch]

Was für jeden Beobachter zu Tage tritt, das sind Verluste,
und zwar riesenhafte Verluste, die aus dem vom Krieg arg heimge-
suchten Frankreich zu uns fürchterlich herübergähnen: zerschossene Häu-
ser, niedergebrannte Dörfer, verwüstete Städte, zerstörte Eisenbahnen,
ruinirte Wege aller Art, muthmaßlich der mehr oder minder große
Ruin der schönsten und zweit größten Stadt der civilisirten Welt,
und darunter Tausende von todten Soldaten und Bürgern begraben
-- das werden die Coulissen, das wird das Podium des fürchter-
lichen Kriegstheaters nach Schluß des Stückes sein.

Annähernd die Verluste festzustellen, welche Frankreich durch
den Krieg erleidet, ist augenblicklich ganz unmöglich, da in Folge der
tollen Regierung, in deren Hände das Schicksal Frankreichs sich be-
findet, diese Verluste mit jeder Stunde größer werden. Man hatte
geglaubt, nach dem Tag von Sedan würde der Krieg bald zu Ende
gehn, man hatte sich verrechnet; man hatte angenommen, und so heiß
gehofft, nach der Uebergabe von Metz würden die Tage des Krieges
gezählt sein, und man hat sich abermals verrechnet. Man erwartet
jetzt, daß der Schluß des Trauerspiels sofort nach der Einnahme von
Paris eintreten wird, und man wird sich, wenn nicht äußere Um-
stände eintreten, nochmals verrechnen.

Worin steckt die Ursache dieses Rechenfehlers? Man rühmte
doch seither und allezeit die Zähigkeit des Widerstandes sei gerade
eine deutsche Tugend, und jetzt sollte sie plötzlich eine französische
geworden sein? Geschieht dieser Widerstand, den Frankreich noch
unsern siegreichen Waffen leistet, aus Zähigkeit? Wir antworten
nein. Die Zähigkeit fehlt dem Franzosen, und sie ist ihm während
des Krieges nicht plötzlich eingeimpft worden. Dieser so verderb-
nißvolle Widerstand, resultirt aus folgenden Eigenschaften unserer
Nachbarn. Stellen wir die edelste voran: die Vaterlandsliebe,
und gleich neben an diejenige, die alles verdirbt und die wahre
Vaterlandsliebe zur falschen macht, die Eitelkeit; gleich darauf kommt
die Beschränktheit unserer geistreichen Nachbarn in gewissen Dingen,
und die daraus hervorgehende Halsstörrigkeit; was jedoch am aller-
meisten Frankreich zur Fortsetzung des Krieges treibt, das ist die
nationale Eitelkeit, sein Mangel an Unterricht und das natürliche
Gefühl der Rache.

Alle Achtung vor einem Volk das seinen heimischen Boden mit
allen vom Völkerrecht erlaubten Mitteln vertheidigt, alle Achtung vor
einem Volk, dessen Vaterlandsliebe alle seine Söhne gegen den Feind
ins Feld schickt. Aber die Vaterlandsliebe schlägt in Fanatismus um,
wenn es seine Söhne tollkühn auf die Schlachtbank liefert wie es
jetzt in Frankreich geschieht; wenn es sich der Ueberzeugung von
der Nutzlosigkeit des Kampfes verschließt, ungeheueres Unglück über
Land und Leute bringt. Dann ist keine wahre Vaterlandsliebe vor-
handen, denn die wahre Vaterlandsliebe rettet das Land und verdirbt
es nicht. Allein die Eitelkeit macht blind, und wen Gott verderben
will, den schlägt er mit Blindheit. Die französische Nation ist po-
litisch derart erzogen, daß sie alle andere Nationen etwa von dem
Standpunkt aus betrachtet, von dem ein adeliger Junker seine
übrigen bürgerlichen Mitmenschen ansieht. Die französische Nation,
welche die große Nevolution durchgemacht hat, und in freiheitlicher
Beziehung das ganze Menschengeschlecht mit einem Ruck um Jahr-
hunderte vorwärts brachte, welche den Adel abschaffte, welche die
Gleichheit proklamirte ( aber wohl verstanden nur unter sich )
ist andern Nationen gegenüber, und hat sich andern Nationen
gegenüber nicht anders betragen, wie ein hochmüthiger Adeliger,
nach dessen Begriffen der politische Mensch erst an der Grenze Frank-
reichs anfängt, wie nach den Begriffen des Junkers der Mensch erst
beim Baron anfängt. Die französische Nation dünkt sich die Baronin
unter den Nationen, und die Schläge, welche sie jetzt von einer nach
ihren Begriffen bürgerlichen, nicht ebenbürtigen Nation bekommt,
diese machen sie so rabiat, so blind, so tollhäuslerisch im Widerstand.

Fürchterlich und zugleich eine Jronie des Schicksals ist es, daß
gerade Deutschland mit Preußen an der Spitze, dieses im Vergleich
zu Frankreich so konservative Deutschland, den Teufel der Baronie
aus dem französischen Volk heraustreiben muß. Und herausgetrieben
muß er werden, eher gibt es keinen Frieden. Aber dieses Teufel-
austreiben ist eine infernalische Kunst, die viel Blut und viel Geld
kostet. Und hiermit sind wir wieder auf unserem Thema; hieraus
werden sich die großen wirthschaftlichen Verluste erklären. Will man
indeß die Verluste der Franzosen recht auffassen, so sind sie größer
an Geld, an Kapital wie an Blut. Leider überragen hier die
deutschen die französischen qualitativ um ein Bedeutendes. Das liegt im
[Spaltenumbruch] Unterschied der Heerverfassung und bedarf wohl weiter keiner Erklä-
rung. Weil unsere Blutverluste kostbarer sind wie die franzö-
sischen, verlangt unsere Nation auch andere Entschädigungen wie die
an Geld. --

Die Verluste an Kapital, welche die französische Wirthschaft
erleidet, werden dagegen enorm sein, und das Volk lange, lange Zeit
belasten. Die Staatsschulden werden um horrente Summen ver-
mehrt werden, und das französische Volk wird auf Jahrzehnte zu
schaffen haben, um die Zinsen zu bezahlen. Wird die französische
Nation überhaupt im Stande sein, nachdem ihr Widerstand völlig
gebrochen, das Zerstörte bald wieder herzustellen? Das hängt sehr
von dem weiteren Verlauf des Krieges ab. Bis jetzt mag es sein,
denn das französische Volk ist reich. Die Privatwirthschaft genießt
daselbst schon längst völliger Freiheit, und hat sich mächtig entwickelt.
Leider diente dies dazu sie zum Sündenbock für die Staatswirthschaft
zu machen, welche zuletzt in reine Verschwendung und pure Korrup-
tion ausartete. Auch davon wird der Krieg die Franzosen befreien;
sie werden vielleicht eine arme aber jedenfalls eine gesunde Staats-
wirthschaft erhalten. Was die Privatwirthschaft betrifft, so wird trotz
der unberechenbaren Verluste, welche sie zu erleiden hat ( siehe den
Artikel wirthschaftliche Zersetzung in Frankreich in unserem heutigen
Blatt ) , sie doch einen moralischen Gewinn haben, wenn auch erst
mit der Zeit.

Viele einsichtsvolle Franzosen sprechen es jetzt schon aus, daß
in geistiger Beziehung gründlich bei ihnen aufgeräumt werden müßte.
Der Krieg wird es bewirken. Der nutzlose Widerstand wird gerade
einen langen Frieden zur Folge haben; in diesem Frieden wird das
französische Volk stark arbeiten müssen, und die Arbeit führt zur
Erkenntniß. Die Erkenntniß wird es zur Lossagung von den Pfaffen
führen und zum besseren Unterricht; der bessere Unterricht wird
den Hochmuthsteufel austreiben, und ihm sagen, daß es nur dann
seine Wirthschaft in alten Flor bringen kann, wenn es in innigen
Verkehr mit seinen Nachbarvölkern tritt, wenn es die Vorbedingung
dazu, seine Sprache lernt und persönliche Bekanntschaft mit ihm
macht.

Dies leitet uns zur Beantwortung unserer Schlußfrage. Wie
wird sich die Beziehung der französischen Nation nach dem Krieg zur
deutschen gestalten? Sicherlich für lange Zeit nicht angenehm. Aber
die Zeit heilt; wird sie die Gegensätze so zwei verschiedener Nationen,
wie die deutsche und französische es sind, verschwinden lassen? Hoch
verdiente deutsche Männer haben früher ( 1815 ) geglaubt, um Ruhe
und Friede zwischen diesen beiden Völkern zu machen, müsse man eine
Wüste zwischen sie legen.

Diese Zeit war diejenige der reinen Staats politik und nicht
diejenige der Staats wirthschaft; sie kannte die Kraft der letzteren
nicht, sie betrieb die Völkerheilkunde mit Palliativmitteln und machte
solche unglückliche Fehler, daß sie neutrale Gebiete zwischen zwei
Staate schob, in denen entgegengesetzte Strömungen herrschten. Will
man das Uebel von Grund aus kuriren, so muß man es wirth-
schaftlich kuriren, und statt eine Wüste zwischen Frankreich und
Deutschland zu schaffen, oder statt politische Zwitter= und Mißbil-
dungen in Form von neutralen Gebieten zwischen die Grenzen zu
schieben, muß man im Gegentheil Tausende von Brücken und Wege
zur Verbindung der beiden Länder bauen; man muß das eine zu dem
andern in die Schule schicken, das wird den Verkehr zu einem ange-
nehmen und für beide Seiten vortheilhaften machen, wenn auch nicht
morgen, so doch -- einst. Hoffen und wünschen wir, daß der Zeit-
punkt, in welchem dieses „einst“ in ein „jetzt“ sich verwandelt, für
beide Nationen nicht allzu entfernt liegt.

* Die wirthschaftliche Zersetzung in Frankreich macht auch
dort, wo der Krieg nicht unmittelbar seine schreckliche Geißel schwingt,
immer reißendere Fortschritte. Die Bank von Frankreich, in Friedens-
zeiten so hochgepriesen, hat ihre Pflicht während der letzten schlimmen
Wochen so schmählich vernachlässigt, wie nur immer das Kriegs-
ministerium oder die nationale Diplomatie. Sie hat nur an Paris
gedacht, und für die Provinzen, die doch ebenfalls auf sie angewiesen
waren, keine Spur von Vorsorge getroffen. So müssen sich diese
nun mit gelähmten Händen selbst zu helfen suchen. Jn Havre,
Dieppe und Lille hat man ein Lokal=Papiergeld auf kleine Beträge
lautend ausgegeben, um dem Bedürfniß des Kleinverkehrs zu genügen,

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[0002] Was für jeden Beobachter zu Tage tritt, das sind Verluste, und zwar riesenhafte Verluste, die aus dem vom Krieg arg heimge- suchten Frankreich zu uns fürchterlich herübergähnen: zerschossene Häu- ser, niedergebrannte Dörfer, verwüstete Städte, zerstörte Eisenbahnen, ruinirte Wege aller Art, muthmaßlich der mehr oder minder große Ruin der schönsten und zweit größten Stadt der civilisirten Welt, und darunter Tausende von todten Soldaten und Bürgern begraben -- das werden die Coulissen, das wird das Podium des fürchter- lichen Kriegstheaters nach Schluß des Stückes sein. Annähernd die Verluste festzustellen, welche Frankreich durch den Krieg erleidet, ist augenblicklich ganz unmöglich, da in Folge der tollen Regierung, in deren Hände das Schicksal Frankreichs sich be- findet, diese Verluste mit jeder Stunde größer werden. Man hatte geglaubt, nach dem Tag von Sedan würde der Krieg bald zu Ende gehn, man hatte sich verrechnet; man hatte angenommen, und so heiß gehofft, nach der Uebergabe von Metz würden die Tage des Krieges gezählt sein, und man hat sich abermals verrechnet. Man erwartet jetzt, daß der Schluß des Trauerspiels sofort nach der Einnahme von Paris eintreten wird, und man wird sich, wenn nicht äußere Um- stände eintreten, nochmals verrechnen. Worin steckt die Ursache dieses Rechenfehlers? Man rühmte doch seither und allezeit die Zähigkeit des Widerstandes sei gerade eine deutsche Tugend, und jetzt sollte sie plötzlich eine französische geworden sein? Geschieht dieser Widerstand, den Frankreich noch unsern siegreichen Waffen leistet, aus Zähigkeit? Wir antworten nein. Die Zähigkeit fehlt dem Franzosen, und sie ist ihm während des Krieges nicht plötzlich eingeimpft worden. Dieser so verderb- nißvolle Widerstand, resultirt aus folgenden Eigenschaften unserer Nachbarn. Stellen wir die edelste voran: die Vaterlandsliebe, und gleich neben an diejenige, die alles verdirbt und die wahre Vaterlandsliebe zur falschen macht, die Eitelkeit; gleich darauf kommt die Beschränktheit unserer geistreichen Nachbarn in gewissen Dingen, und die daraus hervorgehende Halsstörrigkeit; was jedoch am aller- meisten Frankreich zur Fortsetzung des Krieges treibt, das ist die nationale Eitelkeit, sein Mangel an Unterricht und das natürliche Gefühl der Rache. Alle Achtung vor einem Volk das seinen heimischen Boden mit allen vom Völkerrecht erlaubten Mitteln vertheidigt, alle Achtung vor einem Volk, dessen Vaterlandsliebe alle seine Söhne gegen den Feind ins Feld schickt. Aber die Vaterlandsliebe schlägt in Fanatismus um, wenn es seine Söhne tollkühn auf die Schlachtbank liefert wie es jetzt in Frankreich geschieht; wenn es sich der Ueberzeugung von der Nutzlosigkeit des Kampfes verschließt, ungeheueres Unglück über Land und Leute bringt. Dann ist keine wahre Vaterlandsliebe vor- handen, denn die wahre Vaterlandsliebe rettet das Land und verdirbt es nicht. Allein die Eitelkeit macht blind, und wen Gott verderben will, den schlägt er mit Blindheit. Die französische Nation ist po- litisch derart erzogen, daß sie alle andere Nationen etwa von dem Standpunkt aus betrachtet, von dem ein adeliger Junker seine übrigen bürgerlichen Mitmenschen ansieht. Die französische Nation, welche die große Nevolution durchgemacht hat, und in freiheitlicher Beziehung das ganze Menschengeschlecht mit einem Ruck um Jahr- hunderte vorwärts brachte, welche den Adel abschaffte, welche die Gleichheit proklamirte ( aber wohl verstanden nur unter sich ) ist andern Nationen gegenüber, und hat sich andern Nationen gegenüber nicht anders betragen, wie ein hochmüthiger Adeliger, nach dessen Begriffen der politische Mensch erst an der Grenze Frank- reichs anfängt, wie nach den Begriffen des Junkers der Mensch erst beim Baron anfängt. Die französische Nation dünkt sich die Baronin unter den Nationen, und die Schläge, welche sie jetzt von einer nach ihren Begriffen bürgerlichen, nicht ebenbürtigen Nation bekommt, diese machen sie so rabiat, so blind, so tollhäuslerisch im Widerstand. Fürchterlich und zugleich eine Jronie des Schicksals ist es, daß gerade Deutschland mit Preußen an der Spitze, dieses im Vergleich zu Frankreich so konservative Deutschland, den Teufel der Baronie aus dem französischen Volk heraustreiben muß. Und herausgetrieben muß er werden, eher gibt es keinen Frieden. Aber dieses Teufel- austreiben ist eine infernalische Kunst, die viel Blut und viel Geld kostet. Und hiermit sind wir wieder auf unserem Thema; hieraus werden sich die großen wirthschaftlichen Verluste erklären. Will man indeß die Verluste der Franzosen recht auffassen, so sind sie größer an Geld, an Kapital wie an Blut. Leider überragen hier die deutschen die französischen qualitativ um ein Bedeutendes. Das liegt im Unterschied der Heerverfassung und bedarf wohl weiter keiner Erklä- rung. Weil unsere Blutverluste kostbarer sind wie die franzö- sischen, verlangt unsere Nation auch andere Entschädigungen wie die an Geld. -- Die Verluste an Kapital, welche die französische Wirthschaft erleidet, werden dagegen enorm sein, und das Volk lange, lange Zeit belasten. Die Staatsschulden werden um horrente Summen ver- mehrt werden, und das französische Volk wird auf Jahrzehnte zu schaffen haben, um die Zinsen zu bezahlen. Wird die französische Nation überhaupt im Stande sein, nachdem ihr Widerstand völlig gebrochen, das Zerstörte bald wieder herzustellen? Das hängt sehr von dem weiteren Verlauf des Krieges ab. Bis jetzt mag es sein, denn das französische Volk ist reich. Die Privatwirthschaft genießt daselbst schon längst völliger Freiheit, und hat sich mächtig entwickelt. Leider diente dies dazu sie zum Sündenbock für die Staatswirthschaft zu machen, welche zuletzt in reine Verschwendung und pure Korrup- tion ausartete. Auch davon wird der Krieg die Franzosen befreien; sie werden vielleicht eine arme aber jedenfalls eine gesunde Staats- wirthschaft erhalten. Was die Privatwirthschaft betrifft, so wird trotz der unberechenbaren Verluste, welche sie zu erleiden hat ( siehe den Artikel wirthschaftliche Zersetzung in Frankreich in unserem heutigen Blatt ) , sie doch einen moralischen Gewinn haben, wenn auch erst mit der Zeit. Viele einsichtsvolle Franzosen sprechen es jetzt schon aus, daß in geistiger Beziehung gründlich bei ihnen aufgeräumt werden müßte. Der Krieg wird es bewirken. Der nutzlose Widerstand wird gerade einen langen Frieden zur Folge haben; in diesem Frieden wird das französische Volk stark arbeiten müssen, und die Arbeit führt zur Erkenntniß. Die Erkenntniß wird es zur Lossagung von den Pfaffen führen und zum besseren Unterricht; der bessere Unterricht wird den Hochmuthsteufel austreiben, und ihm sagen, daß es nur dann seine Wirthschaft in alten Flor bringen kann, wenn es in innigen Verkehr mit seinen Nachbarvölkern tritt, wenn es die Vorbedingung dazu, seine Sprache lernt und persönliche Bekanntschaft mit ihm macht. Dies leitet uns zur Beantwortung unserer Schlußfrage. Wie wird sich die Beziehung der französischen Nation nach dem Krieg zur deutschen gestalten? Sicherlich für lange Zeit nicht angenehm. Aber die Zeit heilt; wird sie die Gegensätze so zwei verschiedener Nationen, wie die deutsche und französische es sind, verschwinden lassen? Hoch verdiente deutsche Männer haben früher ( 1815 ) geglaubt, um Ruhe und Friede zwischen diesen beiden Völkern zu machen, müsse man eine Wüste zwischen sie legen. Diese Zeit war diejenige der reinen Staats politik und nicht diejenige der Staats wirthschaft; sie kannte die Kraft der letzteren nicht, sie betrieb die Völkerheilkunde mit Palliativmitteln und machte solche unglückliche Fehler, daß sie neutrale Gebiete zwischen zwei Staate schob, in denen entgegengesetzte Strömungen herrschten. Will man das Uebel von Grund aus kuriren, so muß man es wirth- schaftlich kuriren, und statt eine Wüste zwischen Frankreich und Deutschland zu schaffen, oder statt politische Zwitter= und Mißbil- dungen in Form von neutralen Gebieten zwischen die Grenzen zu schieben, muß man im Gegentheil Tausende von Brücken und Wege zur Verbindung der beiden Länder bauen; man muß das eine zu dem andern in die Schule schicken, das wird den Verkehr zu einem ange- nehmen und für beide Seiten vortheilhaften machen, wenn auch nicht morgen, so doch -- einst. Hoffen und wünschen wir, daß der Zeit- punkt, in welchem dieses „einst“ in ein „jetzt“ sich verwandelt, für beide Nationen nicht allzu entfernt liegt. * Die wirthschaftliche Zersetzung in Frankreich macht auch dort, wo der Krieg nicht unmittelbar seine schreckliche Geißel schwingt, immer reißendere Fortschritte. Die Bank von Frankreich, in Friedens- zeiten so hochgepriesen, hat ihre Pflicht während der letzten schlimmen Wochen so schmählich vernachlässigt, wie nur immer das Kriegs- ministerium oder die nationale Diplomatie. Sie hat nur an Paris gedacht, und für die Provinzen, die doch ebenfalls auf sie angewiesen waren, keine Spur von Vorsorge getroffen. So müssen sich diese nun mit gelähmten Händen selbst zu helfen suchen. Jn Havre, Dieppe und Lille hat man ein Lokal=Papiergeld auf kleine Beträge lautend ausgegeben, um dem Bedürfniß des Kleinverkehrs zu genügen,

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 705. Frankfurt a. M., 5. November 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0705_1870/2>, abgerufen am 21.11.2024.