Allgemeine Zeitung. Nr. 69. Augsburg (Bayern), 10. März 1871.[Spaltenumbruch]
gut gekleidete Herren und Damen unter der Volksmasse auf den Elysei- Es hieß plötzlich daß in den übrigen Stadttheilen Unruhen ausge- Jch hielt es bei dieser kindischen Spionenjagd nicht für gerathen noch- Vom Münchener Hoftheater. e München, 6 März. Das neue Jahr hat uns an dramatischen Das letztere läßt sich auch von Heyse's Volksschauspiel: "Die Fran- [Spaltenumbruch]
gut gekleidete Herren und Damen unter der Volksmasse auf den Elysei- Es hieß plötzlich daß in den übrigen Stadttheilen Unruhen ausge- Jch hielt es bei dieser kindischen Spionenjagd nicht für gerathen noch- Vom Münchener Hoftheater. e München, 6 März. Das neue Jahr hat uns an dramatischen Das letztere läßt sich auch von Heyse's Volksschauspiel: „Die Fran- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews"> <div type="jPoliticalNews"> <p><pb facs="#f0011" n="1167"/><cb/> gut gekleidete Herren und Damen unter der Volksmasse auf den Elysei-<lb/> schen Feldern; alles übrige war Gesindel aus den Vorstädten, Blousen-<lb/> männer mit versoffenen, gemeinen, rohen und wilden Physiogno-<lb/> mien oder junge Gamins von zwölf bis siebenzehn Jahren, die zu<lb/> Tausenden herbeigeströmt waren, und deren Ungeduld von Stunde<lb/> zu Stunde wuchs als die erwarteten Truppen noch immer nicht einzogen.<lb/> Man wußte nicht daß Kaiser Wilhelm Mittags von 11 bis 12 Uhr auf<lb/> der großen Rennbahn von Longchamp am Seine=Ufer eine glänzende Pa-<lb/> rade der Einzugstruppen abnahm; sonst hätte dieses seltene militärische<lb/> Schauspiel unzweifelhaft die harrenden Volksmassen dorthin statt nach dem<lb/> Triumphbogen gelockt. Als der Kaiser, die Pontonbrücke bei S<hi rendition="#aq">è</hi>vres<lb/> passirend, durch den Ostsaum des Gehölzes von Boulogne nach Longchamp<lb/> hinaufkam, defilirte zuerst der Kronprinz mit seiner Suite an ihm vorüber;<lb/> dann umritt Se. Majestät nebst Gefolge die ganze Stellung der Einzugstrup-<lb/> pen, und ließ dieselben im Parademarsch an sich vorbei defiliren. Zuerst kam<lb/> das 11. preußische Armeecorps, dann das 2. bayerische Corps und zuletzt das<lb/> 6. preußische Armeecorps. Mit der musterhaftesten Ordnung wurden auch<lb/> die Feldgeschütze in schnurgerader Linie vorübergeführt, und dem Kaiser<lb/> traten die Thränen in die Augen als er so manches der tapfern Regimenter<lb/> mit zerschossenen Fahnen, und aufs schrecklichste durch die zahlreichen Schlach-<lb/> ten decimirt, festen Schrittes und mit jauchzendem Hurrah vorbeischwenken<lb/> sah. Die Truppen marschirten auf verschiedenen Wegen, theils über die<lb/> Avenue de la grande Arm<hi rendition="#aq">é</hi>e, theils über Auteuil und Passy nach dem<lb/> Triumphbogen und dem Concordienplatz hinauf. Die harrende Volks-<lb/> menge war inzwischen immer aufgeregter und unruhiger geworden; sie um-<lb/> drängte die zuerst angelangten preußischen Truppen mit unverschämter,<lb/> belästigender Neugier, und rief ihnen höhnische Spottrufe zu. Die Bayern<lb/> wurden von den Gamins mit Zischen und Pfeifen empfangen, als sie unter<lb/> Abspielung des bekannten Pariser Einzugsmarsches von 1815 heran kamen<lb/> und theils vor dem Jndustriepalaste von 1855, theils auf dem Concordien-<lb/> Platz Posto faßten. Fast gleichzeitig erschien das 38. preußische Jnfan-<lb/> terieregiment, welchem bald die 22er und 88er folgten. Der Pariser Pöbel,<lb/> welcher anfangs eine ziemlich drohende Haltung angenommen, begann sich<lb/> allmählich zu beruhigen. Ohne die außerordentliche Milde und Mäßigung<lb/> der deutschen Truppen wäre es zweifelsohne zu blutigen Conflicten gekom-<lb/> men. Besonders die wenigen deutschen Civilisten, zum Theil in Paris<lb/> ansässige Leute, welche sich mit den Soldaten unterhielten, waren den bru-<lb/> talsten Beschimpfungen ausgesetzt. Einer meiner Pariser Freunde, der<lb/> mit einigen preußischen Jnfanteristen gesprochen und sie ermahnt hatte<lb/> den aufgeregten Volksmassen gegenüber möglichst glimpflich und nachsich-<lb/> tig zu verfahren, wäre von der wüthenden Menge fast als „preußischer<lb/> Spion“ zerrissen worden, und an mehreren Stellen mußten die Soldaten<lb/> erst vor den Augen des Pöbels scharf laden und einen Scheinangriff mit<lb/> dem Bajonnett machen, um das freche Gesindel in die Flucht zu jagen.<lb/> „ <hi rendition="#aq">Voilà un Prussien</hi>!“ rief man auch mir von allen Seiten zu, und ich sah<lb/> mich auf Schritt und Tritt von finster blickenden Gestalten begleitet, die<lb/> mir den Rückweg zu versperren drohten. Jeden Augenblick trat ein Blousen-<lb/> mann an mich heran, um auf die Deutschen zu schimpfen und meine An-<lb/> sichten und Gesinnungen zu erforschen. „Sehen Sie doch diese schmächtigen<lb/> Puppen,“ rief ein französischer Arbeiter mir zu, der sich zu mir auf eine<lb/> Bank setzte, als ein Trupp schlesischer Jnfanteristen sich neben dem Triumph-<lb/> bogen aufstellte. „Sehen die Kerls nicht aus als wären sie von Holz und<lb/> Watte gemacht? Der eine hat ein Gesicht wie ein Kalmuck. Was für<lb/> kalte, todte Physiognomien! Kein Nerve, keine Leidenschaft! Wären<lb/> wir nicht überall so schmählich verrathen worden, so hätten wir mit diesen<lb/> Drahtpuppen bald fertig werden müssen. Glauben Sie nicht auch daß wir<lb/> in sechs Monaten mit Erfolg unsere Revanche nehmen werden?“ Jch er-<lb/> laubte mir einen bescheidenen Zweifel auszusprechen. „ <hi rendition="#aq">Eh bien</hi>, sagen<lb/> wir sechs Jahre,“ fuhr der Mann geschwätzig fort, „ <hi rendition="#aq">mais ça suffira</hi>!“<lb/> Jn diesem Augenblick schwärmten die Schlesier aus, um den rings von<lb/> der Volksmasse versperrten Weg für die Truppen zu säubern. Wie ein<lb/> Rudel Wild stoben die Gaffer auseinander, und die Soldaten, welche die<lb/> kleine Bewegung mit bewundernswerther Behendigkeit ausgeführt hatten,<lb/> kehrten lachend auf ihre Posten zurück. „Sagristi!“ sagte der Blousen-<lb/> mann, sich hinters Ohr kratzend, „hätte ich doch nie geglaubt daß diese<lb/> hölzernen Maschinen so hübsch springen und mit solchem Elan avanciren<lb/> könnten! Wie es scheint, sitzt doch Feuer darin, und sie lachen als ob<lb/> ihnen die Geschichte Spaß machte, und als ob sie ganz und gar keine Furcht<lb/> hätten. Sie können doch nicht wissen ob wir wirklich ohne Waffen sind,“<lb/> setzte er, näher heran rückend, hinzu und ließ mich einen Revolver er-<lb/> blicken den er in seiner Hosentasche trug. „Nehmen Sie sich in Acht,“<lb/> flüsterte ich ihm zu; „Sie wissen daß es der französischen Bevölkerung<lb/> strengstens verboten ist in dem von den Deutschen besetzten Quartier<lb/> Waffen zu tragen, und jeder Widerstand würde für jetzt doch nutzlos sein.“<lb/> „Ja, ja,“ murmelte der Mann als gerade die Sonne mit heitersten Strah-<lb/><cb/> len aus dem trüben Gewölke brach, „alles verräth uns, selbst der lieb<lb/> Gott! Hätte er nicht den verwünschten Preußen ein Donnerwetter und<lb/> strömende Regengüsse auf den Pelz schicken sollen? Und nun gönnt er<lb/> ihnen gar den herrlichsten Sonnenschein!“</p><lb/> <p>Es hieß plötzlich daß in den übrigen Stadttheilen Unruhen ausge-<lb/> brochen seien. Um mich von der Wahrheit oder Unwahrheit des Gerüchtes<lb/> zu überzeugen, gieng ich auf allerlei Umwegen, da ich mich von Spähern<lb/> umringt sah, nach der Madeleine und den inneren Boulevards zurück.<lb/> Mobilgarden mit schwarz umflorten Fahnen durchzogen die Straßen, die<lb/> „Marseillaise“ wurde gesungen, aufgeregte Gruppen standen auf dem Platze<lb/> des Ch<hi rendition="#aq">â</hi>teau d'Eau, auf dem Platze vor dem großen Louvre=H<hi rendition="#aq">ô</hi>tel und an<lb/> anderen Orten; aber die Ruhe war nirgends ernstlich gestört worden. Nur<lb/> machte der Pöbel, wie in der ersten Zeit der Belagerung, wieder Jagd auf<lb/> „preußische Spione.“ Jeder welcher das Unglück hatte blondes Haar<lb/> und helle Augen zu besitzen galt für einen verkleideten preußischen Officiere<lb/> und war in Gefahr mißhandelt zu werden. Beim Pantheon hatte man<lb/> so eben vier Personen verhaftet die man für bayerische Officiere in Civil<lb/> hielt. „ <hi rendition="#aq">A l'eau, à l'eau</hi>!“ schrie die wüthende Volksmasse und machte<lb/> Anstalt die Unglücklichen nach der Seine zu schleppen. „Aber sie reden<lb/> ja geläufig französisch,“ bemerkte ein ältlicher Herr. „Das will nichts<lb/> sagen,“ schrie man zurück, „diese preußischen Spione sprechen alle gut<lb/> französisch, sonst würde man sie leichter erkannt haben und wir wären nicht<lb/> immer verrathen worden.“ Man entschloß sich endlich die Verhafteten<lb/> auf die Präfectur zu bringen, und es stellte sich heraus daß sie sammt und<lb/> sonders gute Franzosen waren.</p><lb/> <p>Jch hielt es bei dieser kindischen Spionenjagd nicht für gerathen noch-<lb/> mals durch die ganze Stadt in das preußische Quartier zurückzukehren,<lb/> sondern zog es vor bei einem deutschen Freunde zu übernachten. Heute<lb/> Morgens hatte Paris schon so ziemlich wieder seine gewöhnliche Physiogno-<lb/> mie angenommen; die Zeitungen, mit Ausnahme des „Moniteur Officiel,“<lb/> waren zwar noch nicht wieder erschienen, aber die meisten Läden begannen<lb/> sich schon zu öffnen, und in dem deutschen Revier fand ich überall die<lb/> Caf<hi rendition="#aq">é</hi>s und Weinstuben von preußischen und bayerischen Soldaten erfüllt,<lb/> welche den Schenkwirthen einen guten Gewinn brachten. Der Kaiser<lb/> durchfuhr so eben das ganze Bois de Boulogne, und der Kronprinz begab<lb/> sich auf die Champs Elys<hi rendition="#aq">é</hi>es zu den in Paris lagernden Truppen, welche,<lb/> nachdem der Friede geschlossen worden, zum Theil morgen, zum Theil<lb/> übermorgen in der Frühe die Hauptstadt räumen werden, um den Rückweg<lb/> in die Heimath anzutreten. Das große Hauptquartier Sr. Maj. des<lb/> Kaisers und das kronprinzliche Hauptquartier werden, dem Vernehmen<lb/> nach, nur noch bis Sonntag oder Montag in Versailles bleiben, und<lb/> überall trifft man schon Anstalten zur Abreise.</p> </div> </div><lb/> <div type="jFeuilleton"> <head> <hi rendition="#b #c">Vom Münchener Hoftheater.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle"> <p><foreign xml:lang="el">e</foreign> München, 6 März. Das neue Jahr hat uns an dramatischen<lb/> Novitäten bis jetzt das dreiactige Lustspiel von Benedix: „Reden muß<lb/> man,“ Paul Heyse's Volksschauspiel: „Die Franzosenbraut,“ <hi rendition="#aq">Dr</hi>. J. Wer-<lb/> thers Drama: „Mazarin,“ und die kleine Skizze von Otto Girndt: „Unter<lb/> der Linde von Steinheim am Main“ gebracht, von denen zwar kein einzi-<lb/> ges wirklich durchgeschlagen, die aber doch im einzelnen viel des Jnteressan-<lb/> ten und Beachtenswerthen bieten. Ueber das neue Product des unver-<lb/> wüstlichen Nestors unserer Lustspiel=Literatur können wir uns kurz fassen;<lb/> der einst so reich und voll sprudelnde Quell seiner Muse ist längst versiegt,<lb/> und wenn sich auch immer noch in seinen neueren und neuesten Werken<lb/> hie und da eine merkwürdige Jugendfrische bekundet, hin und wieder ein<lb/> feiner Zug der Charakteristik uns angenehm überrascht -- im Großen und<lb/> Ganzen sind und bleiben doch die in ihnen verwandten Motive und Figuren<lb/> nur schwache Copien aus früheren besseren Stücken des Autors. Dazu kommt<lb/> im „Reden muß man“ noch eine ermüdende Breite, sowie ein theils gar<lb/> zu biederer, theils allzu kindlicher Ton, der das Jnteresse schon während<lb/> des ersten Acts bedeutend schwächt, und wären die darin auftretenden Per-<lb/> sonen nicht gar zu blöder Natur und sprächen wie vernünftige Leute, da<lb/> wo es nöthig ist, so würde mit diesem ersten Act überhaupt schon das ganze<lb/> Stück vollständig zu Ende sein. Die einzigen wirklich frisch empfundenen<lb/> und anmuthig durchgeführten Figuren sind die beiden jugendlichen Ge-<lb/> stalten Wolfgangs und Armgarts, zwei Backfische männlichen und weib-<lb/> lichen Geschlechts, die in Frl. Ramlo und Frl. Hofmann ( vom hiesigen<lb/> Volkstheater ) ganz vorzügliche Vertreterinnen fanden. Die Scene in<lb/> welcher letztere auf dem nicht mehr ungewöhnlichen Weg „ihr Herz ent-<lb/> deckt,“ ist denn auch die beste und wirksamste des ganzen Stückes. 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gut gekleidete Herren und Damen unter der Volksmasse auf den Elysei-
schen Feldern; alles übrige war Gesindel aus den Vorstädten, Blousen-
männer mit versoffenen, gemeinen, rohen und wilden Physiogno-
mien oder junge Gamins von zwölf bis siebenzehn Jahren, die zu
Tausenden herbeigeströmt waren, und deren Ungeduld von Stunde
zu Stunde wuchs als die erwarteten Truppen noch immer nicht einzogen.
Man wußte nicht daß Kaiser Wilhelm Mittags von 11 bis 12 Uhr auf
der großen Rennbahn von Longchamp am Seine=Ufer eine glänzende Pa-
rade der Einzugstruppen abnahm; sonst hätte dieses seltene militärische
Schauspiel unzweifelhaft die harrenden Volksmassen dorthin statt nach dem
Triumphbogen gelockt. Als der Kaiser, die Pontonbrücke bei Sèvres
passirend, durch den Ostsaum des Gehölzes von Boulogne nach Longchamp
hinaufkam, defilirte zuerst der Kronprinz mit seiner Suite an ihm vorüber;
dann umritt Se. Majestät nebst Gefolge die ganze Stellung der Einzugstrup-
pen, und ließ dieselben im Parademarsch an sich vorbei defiliren. Zuerst kam
das 11. preußische Armeecorps, dann das 2. bayerische Corps und zuletzt das
6. preußische Armeecorps. Mit der musterhaftesten Ordnung wurden auch
die Feldgeschütze in schnurgerader Linie vorübergeführt, und dem Kaiser
traten die Thränen in die Augen als er so manches der tapfern Regimenter
mit zerschossenen Fahnen, und aufs schrecklichste durch die zahlreichen Schlach-
ten decimirt, festen Schrittes und mit jauchzendem Hurrah vorbeischwenken
sah. Die Truppen marschirten auf verschiedenen Wegen, theils über die
Avenue de la grande Armée, theils über Auteuil und Passy nach dem
Triumphbogen und dem Concordienplatz hinauf. Die harrende Volks-
menge war inzwischen immer aufgeregter und unruhiger geworden; sie um-
drängte die zuerst angelangten preußischen Truppen mit unverschämter,
belästigender Neugier, und rief ihnen höhnische Spottrufe zu. Die Bayern
wurden von den Gamins mit Zischen und Pfeifen empfangen, als sie unter
Abspielung des bekannten Pariser Einzugsmarsches von 1815 heran kamen
und theils vor dem Jndustriepalaste von 1855, theils auf dem Concordien-
Platz Posto faßten. Fast gleichzeitig erschien das 38. preußische Jnfan-
terieregiment, welchem bald die 22er und 88er folgten. Der Pariser Pöbel,
welcher anfangs eine ziemlich drohende Haltung angenommen, begann sich
allmählich zu beruhigen. Ohne die außerordentliche Milde und Mäßigung
der deutschen Truppen wäre es zweifelsohne zu blutigen Conflicten gekom-
men. Besonders die wenigen deutschen Civilisten, zum Theil in Paris
ansässige Leute, welche sich mit den Soldaten unterhielten, waren den bru-
talsten Beschimpfungen ausgesetzt. Einer meiner Pariser Freunde, der
mit einigen preußischen Jnfanteristen gesprochen und sie ermahnt hatte
den aufgeregten Volksmassen gegenüber möglichst glimpflich und nachsich-
tig zu verfahren, wäre von der wüthenden Menge fast als „preußischer
Spion“ zerrissen worden, und an mehreren Stellen mußten die Soldaten
erst vor den Augen des Pöbels scharf laden und einen Scheinangriff mit
dem Bajonnett machen, um das freche Gesindel in die Flucht zu jagen.
„ Voilà un Prussien!“ rief man auch mir von allen Seiten zu, und ich sah
mich auf Schritt und Tritt von finster blickenden Gestalten begleitet, die
mir den Rückweg zu versperren drohten. Jeden Augenblick trat ein Blousen-
mann an mich heran, um auf die Deutschen zu schimpfen und meine An-
sichten und Gesinnungen zu erforschen. „Sehen Sie doch diese schmächtigen
Puppen,“ rief ein französischer Arbeiter mir zu, der sich zu mir auf eine
Bank setzte, als ein Trupp schlesischer Jnfanteristen sich neben dem Triumph-
bogen aufstellte. „Sehen die Kerls nicht aus als wären sie von Holz und
Watte gemacht? Der eine hat ein Gesicht wie ein Kalmuck. Was für
kalte, todte Physiognomien! Kein Nerve, keine Leidenschaft! Wären
wir nicht überall so schmählich verrathen worden, so hätten wir mit diesen
Drahtpuppen bald fertig werden müssen. Glauben Sie nicht auch daß wir
in sechs Monaten mit Erfolg unsere Revanche nehmen werden?“ Jch er-
laubte mir einen bescheidenen Zweifel auszusprechen. „ Eh bien, sagen
wir sechs Jahre,“ fuhr der Mann geschwätzig fort, „ mais ça suffira!“
Jn diesem Augenblick schwärmten die Schlesier aus, um den rings von
der Volksmasse versperrten Weg für die Truppen zu säubern. Wie ein
Rudel Wild stoben die Gaffer auseinander, und die Soldaten, welche die
kleine Bewegung mit bewundernswerther Behendigkeit ausgeführt hatten,
kehrten lachend auf ihre Posten zurück. „Sagristi!“ sagte der Blousen-
mann, sich hinters Ohr kratzend, „hätte ich doch nie geglaubt daß diese
hölzernen Maschinen so hübsch springen und mit solchem Elan avanciren
könnten! Wie es scheint, sitzt doch Feuer darin, und sie lachen als ob
ihnen die Geschichte Spaß machte, und als ob sie ganz und gar keine Furcht
hätten. Sie können doch nicht wissen ob wir wirklich ohne Waffen sind,“
setzte er, näher heran rückend, hinzu und ließ mich einen Revolver er-
blicken den er in seiner Hosentasche trug. „Nehmen Sie sich in Acht,“
flüsterte ich ihm zu; „Sie wissen daß es der französischen Bevölkerung
strengstens verboten ist in dem von den Deutschen besetzten Quartier
Waffen zu tragen, und jeder Widerstand würde für jetzt doch nutzlos sein.“
„Ja, ja,“ murmelte der Mann als gerade die Sonne mit heitersten Strah-
len aus dem trüben Gewölke brach, „alles verräth uns, selbst der lieb
Gott! Hätte er nicht den verwünschten Preußen ein Donnerwetter und
strömende Regengüsse auf den Pelz schicken sollen? Und nun gönnt er
ihnen gar den herrlichsten Sonnenschein!“
Es hieß plötzlich daß in den übrigen Stadttheilen Unruhen ausge-
brochen seien. Um mich von der Wahrheit oder Unwahrheit des Gerüchtes
zu überzeugen, gieng ich auf allerlei Umwegen, da ich mich von Spähern
umringt sah, nach der Madeleine und den inneren Boulevards zurück.
Mobilgarden mit schwarz umflorten Fahnen durchzogen die Straßen, die
„Marseillaise“ wurde gesungen, aufgeregte Gruppen standen auf dem Platze
des Château d'Eau, auf dem Platze vor dem großen Louvre=Hôtel und an
anderen Orten; aber die Ruhe war nirgends ernstlich gestört worden. Nur
machte der Pöbel, wie in der ersten Zeit der Belagerung, wieder Jagd auf
„preußische Spione.“ Jeder welcher das Unglück hatte blondes Haar
und helle Augen zu besitzen galt für einen verkleideten preußischen Officiere
und war in Gefahr mißhandelt zu werden. Beim Pantheon hatte man
so eben vier Personen verhaftet die man für bayerische Officiere in Civil
hielt. „ A l'eau, à l'eau!“ schrie die wüthende Volksmasse und machte
Anstalt die Unglücklichen nach der Seine zu schleppen. „Aber sie reden
ja geläufig französisch,“ bemerkte ein ältlicher Herr. „Das will nichts
sagen,“ schrie man zurück, „diese preußischen Spione sprechen alle gut
französisch, sonst würde man sie leichter erkannt haben und wir wären nicht
immer verrathen worden.“ Man entschloß sich endlich die Verhafteten
auf die Präfectur zu bringen, und es stellte sich heraus daß sie sammt und
sonders gute Franzosen waren.
Jch hielt es bei dieser kindischen Spionenjagd nicht für gerathen noch-
mals durch die ganze Stadt in das preußische Quartier zurückzukehren,
sondern zog es vor bei einem deutschen Freunde zu übernachten. Heute
Morgens hatte Paris schon so ziemlich wieder seine gewöhnliche Physiogno-
mie angenommen; die Zeitungen, mit Ausnahme des „Moniteur Officiel,“
waren zwar noch nicht wieder erschienen, aber die meisten Läden begannen
sich schon zu öffnen, und in dem deutschen Revier fand ich überall die
Cafés und Weinstuben von preußischen und bayerischen Soldaten erfüllt,
welche den Schenkwirthen einen guten Gewinn brachten. Der Kaiser
durchfuhr so eben das ganze Bois de Boulogne, und der Kronprinz begab
sich auf die Champs Elysées zu den in Paris lagernden Truppen, welche,
nachdem der Friede geschlossen worden, zum Theil morgen, zum Theil
übermorgen in der Frühe die Hauptstadt räumen werden, um den Rückweg
in die Heimath anzutreten. Das große Hauptquartier Sr. Maj. des
Kaisers und das kronprinzliche Hauptquartier werden, dem Vernehmen
nach, nur noch bis Sonntag oder Montag in Versailles bleiben, und
überall trifft man schon Anstalten zur Abreise.
Vom Münchener Hoftheater.
e München, 6 März. Das neue Jahr hat uns an dramatischen
Novitäten bis jetzt das dreiactige Lustspiel von Benedix: „Reden muß
man,“ Paul Heyse's Volksschauspiel: „Die Franzosenbraut,“ Dr. J. Wer-
thers Drama: „Mazarin,“ und die kleine Skizze von Otto Girndt: „Unter
der Linde von Steinheim am Main“ gebracht, von denen zwar kein einzi-
ges wirklich durchgeschlagen, die aber doch im einzelnen viel des Jnteressan-
ten und Beachtenswerthen bieten. Ueber das neue Product des unver-
wüstlichen Nestors unserer Lustspiel=Literatur können wir uns kurz fassen;
der einst so reich und voll sprudelnde Quell seiner Muse ist längst versiegt,
und wenn sich auch immer noch in seinen neueren und neuesten Werken
hie und da eine merkwürdige Jugendfrische bekundet, hin und wieder ein
feiner Zug der Charakteristik uns angenehm überrascht -- im Großen und
Ganzen sind und bleiben doch die in ihnen verwandten Motive und Figuren
nur schwache Copien aus früheren besseren Stücken des Autors. Dazu kommt
im „Reden muß man“ noch eine ermüdende Breite, sowie ein theils gar
zu biederer, theils allzu kindlicher Ton, der das Jnteresse schon während
des ersten Acts bedeutend schwächt, und wären die darin auftretenden Per-
sonen nicht gar zu blöder Natur und sprächen wie vernünftige Leute, da
wo es nöthig ist, so würde mit diesem ersten Act überhaupt schon das ganze
Stück vollständig zu Ende sein. Die einzigen wirklich frisch empfundenen
und anmuthig durchgeführten Figuren sind die beiden jugendlichen Ge-
stalten Wolfgangs und Armgarts, zwei Backfische männlichen und weib-
lichen Geschlechts, die in Frl. Ramlo und Frl. Hofmann ( vom hiesigen
Volkstheater ) ganz vorzügliche Vertreterinnen fanden. Die Scene in
welcher letztere auf dem nicht mehr ungewöhnlichen Weg „ihr Herz ent-
deckt,“ ist denn auch die beste und wirksamste des ganzen Stückes. Ebenso
gelungen, wenn auch keineswegs neu in der Erfindung, ist die Charakteri-
stik des weiberfeindlichen Dr. Söderland. Dank dem trefflichen Spiel
aller Mitwirkenden übrigens errang das Lustspiel trotz seiner bedeutenden
Mängel eine ziemlich beifällige Aufnahme.
Das letztere läßt sich auch von Heyse's Volksschauspiel: „Die Fran-
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