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Allgemeine Zeitung. Nr. 72. Augsburg (Bayern), 13. März 1871.

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[Spaltenumbruch] wieder besetzt werden -- dieß alles geben wir gern zu, und wünschen es
auch. Aber eine Masseneinwanderung von Lehrern oder andrerseits eine
Vertreibung von Notaren, Anwälten oder überhaupt irgendwelcher elsä-
ßischer Angestellten, wo dieß nicht absolut und für den Augenblick dringend
nöthig ist, wäre gewiß eine höchst unkluge Maßregel, die auch sicherlich
ihres Zweckes verfehlen würde. Statt die Elsäßer zur Auswanderung zu
drängen, sollte man, däucht uns, darauf bedacht sein dieselben im Lande
zu halten um auf sie einzuwirken, und somit ein rechtes elsäßisches Volk
heranzubilden. Leicht mag man viele, besonders in der ersten Zeit der
Umgestaltung, zur Auswanderung drängen; doch erwarte man hievon keine
großen Segnungen. Es werden ja von selbst alle eigentlichen Franzosen
abgehen oder wegziehen müssen; zwänge man aber auch Elsäßer zum Abzug
ins innere Frankreich, so würden gewiß sehr viele derselben ihre Familien,
Freunde und Verwandten hinterlassen, die nicht wegziehen können oder nicht
wollen, die aber jedenfalls einen langjährigen Groll in ihrem Herzen be-
wahren würden über die an den Jhrigen geschehene Vergewaltigung. Die
einfache politische Klugheit scheint uns somit ein ganz anderes Verfahren
an die Hand zu geben als dasjenige welches man bisher vielfach zu beab-
sichtigen scheint.

Welches Urtheil vom moralischen Standpunkt aus über vergewalti-
gende Maßregeln zu fällen wäre, und gefällt werden würde, wollen wir
für heute dahingestellt sein lassen. Wir leben immer noch der Ueberzeu-
gung daß, in Betreff der moralischen Rückeroberung des Elsaßes, Deutsch-
land auch die moralischen Mittel obenan stellen und eine ebenso verständige
als wohlthuende allmähliche Umwandlung des Elsaßes herbeiführen wird.
Wenn Hr. v. Löher seinen Aufsatz schließt mit den Worten: "Das deutsche
Reich steigt wieder empor in alter Macht und Herrlichkeit, und es sollte
nicht zwei seiner edelsten Glieder mit tausend Banden wieder an sich reißen
auf immerdar?" so erlauben wir uns an diesem Satz nur einige Worte zu
ändern, und schließen unsrerseits mit der Frage: Sollte das wieder erstan-
dene deutsche Reich es nicht vermögen zwei seiner edelsten Glieder für sich zu
gewinnen auf immerdar? Wir hoffen zuversichtlich daß Deutschland dieß
thun könne, und auch thun werde.

Das Französische im neuen Deutschen Reich.
I.
( Schluß. )

H. S. Unter den am östlichen Wasgen=Abhang gesprochenen französischen
Mundarten haben wir nur über eine, die des Steinthals, franz. Ban de la
Roche
, ausführliche, freilich nun fast ein Jahrhundert alte Mittheilung.
Sie rührt von dem bekannten Elsäßer Gelehrten Jeremias Jakob Oberlin
( 1735--1806 ) her, dessen wohl noch bekannterer Bruder Johann Friedrich
im Steinthal Pfarrer war und sich um die Civilisation desselben sehr ver-
dient machte. Der Essai sur le patois lorrain des environs du comte
du Ban de la Roche
( Straßburg 1775 ) ist dem Göttinger Schlözer ge-
widmet, auf dessen Veranlassung er veröffentlicht wurde: Vous jugiez,
qu'il seroit avantageux que l'on feit des recherches ulterieures sur
le Patois en general, et sur celui de ces contrees en particulier, et
que pour cet effet on imprimat en attendant ce petit essai
. Mit
derselben Genugthuung mit welcher wir diese deutsche Anregung französi-
scher Dialektstudien constatiren, lesen wir die Verse am Schlusse der Wid-
mung, die uns freilich aus dem Mund eines zu annectirenden Elsäßers
oder Lothringers noch willkommener klingen würden:

Vos a trop bi-n e vote aise;
   On n'a mi dchei nos,
Biai Sire, ne vos depiaise,
   Asi bi-n, qu'on a dchei vos.

Das heißt wörtlich:

Vous etes trop bien a votre aise;
   On n'est pas ( mica ) chez nous,
Beau ( Mon ) sieur, ne vous deplaise,
   Aussi bien, qu'on est chez vous.

Von demselben Oberlin erschien 1791 zu Straßburg: Observations
concernant le patois et les moeurs des gens de la campagne.

Die Mundart von Lapoutroie ( Weißthal ) soll sehr sowohl vom Loth-
ringischen überhaupt als auch gerade vom Steinthalischen abweichen, und
nach französischem Urtheil am meisten an das alte Keltisch erinnern.

Wir gedenken im Vorbeigehen der lexikographischen Arbeiten die sich
auf andere Lothringer Mundarten beziehen, nämlich der von Cordier für
das Departement der Meuse und der von Richard für das Departement
der Vosges, und auch speciell für den Ort Dommartin bei Remiremont.

Das Franc=Comtois nähert sich, indem es die Gränzen des Elsaßes
überschreitet, dem Lothringischen sehr an, ja eine uns vorliegende Sprach-
probe aus der Altkircher Gegend ( sic! ) zeigt sogar mehr charakteristische
Merkmale der letzteren. Es fehlt uns, um ein sicheres Urtheil zu fällen,
an Stoff; Fallots Untersuchungen über die Patois der Franche=Comt e,
Lothringens und des Elsaßes ( Montbeliard 1828 ) würden wohl Aufklä-
rung geben.

[Spaltenumbruch]

Es ist also das Lothringische welches über Mosel und Wasgen her-
über seine Zweige in das neue Deutsche Reich streckt. Die Repräsentanten
desselben, das Metzische und das Steinthalische, locken den Linguisten durch
manche besondere Reize an, und zwar dieses noch weit mehr als jenes, da
es den Endpunkt eines längeren Radius bezeichnet. Denn daß es im Ge-
birge versteckt und gegen den Westwind geschützt liegt, das getraue ich
mir nicht in Anschlag zu bringen. Würde doch ein Franzose der auf einer
Reise von Metz nach dem Steinthal den zunehmenden Barbarismus stü-
dierte, in Luneville aus den Klängen des Patois so ziemlich richtig die
Halbwegsentfernung vom Steinthal heraushören. Wir können uns hier
auf eine Charakteristik beider Mundarten weder in ihrem Verhältniß zu
einander noch zur Schriftsprache einlassen; eine solche Charakteristik ist ein
schwieriges Ding, sie ist, dem Namen zum Trotz, nicht in wenige Worte zu-
sammenzufassen und, was das schlimmste, sie ist, da sie sich fast ausschließlich
innerhalb der Lautlehre zu halten hat, für den nicht völlig Eingeweihten
trocken und langweilig. Doch wollen wir wenigstens dem deutschen Chauvin
zu seiner Freude mittheilen daß, welche Einwendungen auch immer die
französischen Reichsbrüder gegen das neue Regiment erheben mögen, eine
ihnen abgeschnitten bleibt, nämlich die: es sei ihnen unmöglich deutsches
h und ch auszusprechen. Wer rah on für raison, dom ' h alle ( Magd ) für
demoiselle, ch pale für epaule, lai ch i für laisser sagt, der ist des
Rechtes -- ledig die Rauhheit der anderen Sprache unter die Gründe na-
tionaler Antipathie einzureihen. Solche antiromanische Aspirationen
kennzeichnen den größten Theil der Westgränze des Französischen, und es
scheint fast, als ob nicht nur in den Gemüthern, sondern auch in der
Sprache die Hoch, Hussahs, Hallohs, Haidiridohs ( s. Scheffel ) unserer
Vorfahren, die also fast Sprachpioniere gewesen wären, einigen Eindruck
hinterlassen hätten.

Jn der Conjugation haben die communistischen Jdeen der Franzosen
eine merkwürdige, ich weiß nicht, soll ich sagen Verwirrung oder Verein-
fachung bewirkt. Zunächst werden die Personen verwechselt, zwar nicht das
Mein und Dein -- aber was eigentlich gerade so schlimm ist -- das Mein
und Unser: durch ganz Frankreich sagt das Volk j'avons für nous avons
( selten kommt j'avons für j'ai vor ) . Dann, und dieß ist wenigstens im
Norden allgemein gäng und gäbe, wird der Besitzstand der Personen ver-
wechselt oder vielmehr Gemeingut: durch alle drei Personen des Plural
heißt es z. B. dje, vos, il -- aimine ( nous aimions, vous aimiez, ils
aimaient
) . Das stolze Gebäude der lateinischen Conjugation, welches,
trotz Stützen und Klammern, als da sind Personalpronomina und Hülfs-
zeitwörter, mehr und mehr verfallen ist, bietet hier nicht einmal den An-
blick einer malerischen Ruine dar; der praktische Geist ist wie mit einem
Hobel darüber hingefahren, und nur selten wird das Auge für den Verlust
antiker Säulencapitelle und Giebelschmucks durch einen mittelalterlichen
Kragstein oder Dachrinnenausguß, wie que dje finisseusse ( finisse ) oder
que j' euiecince ( eussions ) , einigermaßen entschädigt. Aber da wir hier
Linguistik noch ein wenig im Sinne des preußischen Landwehrmannes
Kutschke treiben, so haben wir vor allen Dingen nach heimischen Wörtern
umherzuhorchen. Jn bedeutender Anzahl begegnen uns solche im Steinthal.
So tritt uns verschiedenes Geflügel und Gewürm unter deutschen Namen
entgegen: chtork, Storch, ch patz, Spatz, chnidre, ch nadrelle, Eidechse* )
( heißt diese in irgendeiner Mundart Schneider, Schneiderlein? ) , chnoque,
Schnake, hoernat, Horniß, roupe, Raupe, voueindel, Wanze ( im älteren
Hochdeutsch auch Wentel aus ursprünglichem wantlus, Wandlaus, woher
die Romanen von Enneberg und Abtei in Tirol ihr antlus haben ) . Dann
eine ganze Reihe von andern Substantiven, meist concreter Bedeutung:
bouoch a, Buche, buobe, Bube, ch litte, Schlitten, ch nitses, Schnitze,
ch tande de beurre, Butterstand, ch uebe, Schwefel, h auoue, Haue, hoffe,
Hof, keubli, Kübler, quoetches, Zwetschen ( mundartl. Quetschen ) ,
uouermeute, Wermuth, vouale, Wahl. Viele Zeitwörter: chelte, schel-
ten, s' ch uttle, sich schütteln, erfare, erfahren, faerbe, färben, grode, ge-
rathen, kiele, kühlen. Wenig Adjectiva: kiatte, glatt, vouonderli, wun-
derlich. Sogar eine untrennbare Präposition in f'rconte, sich ver--zählen,
welches ein merkwürdiger Fall internationaler Wortehe ist. Jn Luneville
neben aie auch io, ja. Manche Wörter die Deutschen und Franzosen ge-
meinsam sind tragen deutsche Uniform; so crappe, Krippe ( creche ) ,
Chtrosebourgue
, Straßburg ( Strasbourg ) , Ch uitze, Schweizer ( Suisse ) ,
oryelles
, Orgel ( orgues ) . Und wie heimeln uns nicht an Baerbele,
Bärbel, Hairie, Heiri, Ouali, Uli, Yery, Joerg! Setzte sich diese thal-
aufwärts gerichtete Wanderung deutscher Wörter unablässig fort, so
würden die Steinthaler schließlich in die gleiche Lage kommen wie
ein gewisser Völkerstamm Südamerika's im vorigen Jahrhundert.

Derselbe entdeckte nämlich eines Tags daß alle Wörter deren er sich
bediente spanisch seien, und ihm von der alten Sprache weiter nichts als

* ) Umgekehrt hat der Straßburger aus franz. lezard, ganz als ob dieß la zard
wäre, Jungfer Sara gemacht. D. E.

[Spaltenumbruch] wieder besetzt werden -- dieß alles geben wir gern zu, und wünschen es
auch. Aber eine Masseneinwanderung von Lehrern oder andrerseits eine
Vertreibung von Notaren, Anwälten oder überhaupt irgendwelcher elsä-
ßischer Angestellten, wo dieß nicht absolut und für den Augenblick dringend
nöthig ist, wäre gewiß eine höchst unkluge Maßregel, die auch sicherlich
ihres Zweckes verfehlen würde. Statt die Elsäßer zur Auswanderung zu
drängen, sollte man, däucht uns, darauf bedacht sein dieselben im Lande
zu halten um auf sie einzuwirken, und somit ein rechtes elsäßisches Volk
heranzubilden. Leicht mag man viele, besonders in der ersten Zeit der
Umgestaltung, zur Auswanderung drängen; doch erwarte man hievon keine
großen Segnungen. Es werden ja von selbst alle eigentlichen Franzosen
abgehen oder wegziehen müssen; zwänge man aber auch Elsäßer zum Abzug
ins innere Frankreich, so würden gewiß sehr viele derselben ihre Familien,
Freunde und Verwandten hinterlassen, die nicht wegziehen können oder nicht
wollen, die aber jedenfalls einen langjährigen Groll in ihrem Herzen be-
wahren würden über die an den Jhrigen geschehene Vergewaltigung. Die
einfache politische Klugheit scheint uns somit ein ganz anderes Verfahren
an die Hand zu geben als dasjenige welches man bisher vielfach zu beab-
sichtigen scheint.

Welches Urtheil vom moralischen Standpunkt aus über vergewalti-
gende Maßregeln zu fällen wäre, und gefällt werden würde, wollen wir
für heute dahingestellt sein lassen. Wir leben immer noch der Ueberzeu-
gung daß, in Betreff der moralischen Rückeroberung des Elsaßes, Deutsch-
land auch die moralischen Mittel obenan stellen und eine ebenso verständige
als wohlthuende allmähliche Umwandlung des Elsaßes herbeiführen wird.
Wenn Hr. v. Löher seinen Aufsatz schließt mit den Worten: „Das deutsche
Reich steigt wieder empor in alter Macht und Herrlichkeit, und es sollte
nicht zwei seiner edelsten Glieder mit tausend Banden wieder an sich reißen
auf immerdar?“ so erlauben wir uns an diesem Satz nur einige Worte zu
ändern, und schließen unsrerseits mit der Frage: Sollte das wieder erstan-
dene deutsche Reich es nicht vermögen zwei seiner edelsten Glieder für sich zu
gewinnen auf immerdar? Wir hoffen zuversichtlich daß Deutschland dieß
thun könne, und auch thun werde.

Das Französische im neuen Deutschen Reich.
I.
( Schluß. )

H. S. Unter den am östlichen Wasgen=Abhang gesprochenen französischen
Mundarten haben wir nur über eine, die des Steinthals, franz. Ban de la
Roche
, ausführliche, freilich nun fast ein Jahrhundert alte Mittheilung.
Sie rührt von dem bekannten Elsäßer Gelehrten Jeremias Jakob Oberlin
( 1735--1806 ) her, dessen wohl noch bekannterer Bruder Johann Friedrich
im Steinthal Pfarrer war und sich um die Civilisation desselben sehr ver-
dient machte. Der Essai sur le patois lorrain des environs du comté
du Ban de la Roche
( Straßburg 1775 ) ist dem Göttinger Schlözer ge-
widmet, auf dessen Veranlassung er veröffentlicht wurde: Vous jugiez,
qu'il seroit avantageux que l'on fît des recherches ultérieures sur
le Patois en général, et sur celui de ces contrées en particulier, et
que pour cet effet on imprimât en attendant ce petit essai
. Mit
derselben Genugthuung mit welcher wir diese deutsche Anregung französi-
scher Dialektstudien constatiren, lesen wir die Verse am Schlusse der Wid-
mung, die uns freilich aus dem Mund eines zu annectirenden Elsäßers
oder Lothringers noch willkommener klingen würden:

Vos a trop bi-n è vote aise;
   On n'a mi dchî nos,
Biai Sire, ne vos depiaise,
   Asi bi-n, qu'on a dchî vos.

Das heißt wörtlich:

Vous êtes trop bien à votre aise;
   On n'est pas ( mica ) chez nous,
Beau ( Mon ) sieur, ne vous déplaise,
   Aussi bien, qu'on est chez vous.

Von demselben Oberlin erschien 1791 zu Straßburg: Observations
concernant le patois et les mœurs des gens de la campagne.

Die Mundart von Lapoutroie ( Weißthal ) soll sehr sowohl vom Loth-
ringischen überhaupt als auch gerade vom Steinthalischen abweichen, und
nach französischem Urtheil am meisten an das alte Keltisch erinnern.

Wir gedenken im Vorbeigehen der lexikographischen Arbeiten die sich
auf andere Lothringer Mundarten beziehen, nämlich der von Cordier für
das Departement der Meuse und der von Richard für das Departement
der Vosges, und auch speciell für den Ort Dommartin bei Remiremont.

Das Franc=Comtois nähert sich, indem es die Gränzen des Elsaßes
überschreitet, dem Lothringischen sehr an, ja eine uns vorliegende Sprach-
probe aus der Altkircher Gegend ( sic! ) zeigt sogar mehr charakteristische
Merkmale der letzteren. Es fehlt uns, um ein sicheres Urtheil zu fällen,
an Stoff; Fallots Untersuchungen über die Patois der Franche=Comt é,
Lothringens und des Elsaßes ( Montbéliard 1828 ) würden wohl Aufklä-
rung geben.

[Spaltenumbruch]

Es ist also das Lothringische welches über Mosel und Wasgen her-
über seine Zweige in das neue Deutsche Reich streckt. Die Repräsentanten
desselben, das Metzische und das Steinthalische, locken den Linguisten durch
manche besondere Reize an, und zwar dieses noch weit mehr als jenes, da
es den Endpunkt eines längeren Radius bezeichnet. Denn daß es im Ge-
birge versteckt und gegen den Westwind geschützt liegt, das getraue ich
mir nicht in Anschlag zu bringen. Würde doch ein Franzose der auf einer
Reise von Metz nach dem Steinthal den zunehmenden Barbarismus stü-
dierte, in Lunéville aus den Klängen des Patois so ziemlich richtig die
Halbwegsentfernung vom Steinthal heraushören. Wir können uns hier
auf eine Charakteristik beider Mundarten weder in ihrem Verhältniß zu
einander noch zur Schriftsprache einlassen; eine solche Charakteristik ist ein
schwieriges Ding, sie ist, dem Namen zum Trotz, nicht in wenige Worte zu-
sammenzufassen und, was das schlimmste, sie ist, da sie sich fast ausschließlich
innerhalb der Lautlehre zu halten hat, für den nicht völlig Eingeweihten
trocken und langweilig. Doch wollen wir wenigstens dem deutschen Chauvin
zu seiner Freude mittheilen daß, welche Einwendungen auch immer die
französischen Reichsbrüder gegen das neue Regiment erheben mögen, eine
ihnen abgeschnitten bleibt, nämlich die: es sei ihnen unmöglich deutsches
h und ch auszusprechen. Wer rah on für raison, dom ' h alle ( Magd ) für
demoiselle, ch pâle für épaule, lai ch i für laisser sagt, der ist des
Rechtes -- ledig die Rauhheit der anderen Sprache unter die Gründe na-
tionaler Antipathie einzureihen. Solche antiromanische Aspirationen
kennzeichnen den größten Theil der Westgränze des Französischen, und es
scheint fast, als ob nicht nur in den Gemüthern, sondern auch in der
Sprache die Hoch, Hussahs, Hallohs, Haidiridohs ( s. Scheffel ) unserer
Vorfahren, die also fast Sprachpioniere gewesen wären, einigen Eindruck
hinterlassen hätten.

Jn der Conjugation haben die communistischen Jdeen der Franzosen
eine merkwürdige, ich weiß nicht, soll ich sagen Verwirrung oder Verein-
fachung bewirkt. Zunächst werden die Personen verwechselt, zwar nicht das
Mein und Dein -- aber was eigentlich gerade so schlimm ist -- das Mein
und Unser: durch ganz Frankreich sagt das Volk j'avons für nous avons
( selten kommt j'avons für j'ai vor ) . Dann, und dieß ist wenigstens im
Norden allgemein gäng und gäbe, wird der Besitzstand der Personen ver-
wechselt oder vielmehr Gemeingut: durch alle drei Personen des Plural
heißt es z. B. dje, vos, il -- aimine ( nous aimions, vous aimiez, ils
aimaient
) . Das stolze Gebäude der lateinischen Conjugation, welches,
trotz Stützen und Klammern, als da sind Personalpronomina und Hülfs-
zeitwörter, mehr und mehr verfallen ist, bietet hier nicht einmal den An-
blick einer malerischen Ruine dar; der praktische Geist ist wie mit einem
Hobel darüber hingefahren, und nur selten wird das Auge für den Verlust
antiker Säulencapitelle und Giebelschmucks durch einen mittelalterlichen
Kragstein oder Dachrinnenausguß, wie que dje finisseusse ( finisse ) oder
que j' euïecince ( eussions ) , einigermaßen entschädigt. Aber da wir hier
Linguistik noch ein wenig im Sinne des preußischen Landwehrmannes
Kutschke treiben, so haben wir vor allen Dingen nach heimischen Wörtern
umherzuhorchen. Jn bedeutender Anzahl begegnen uns solche im Steinthal.
So tritt uns verschiedenes Geflügel und Gewürm unter deutschen Namen
entgegen: chtork, Storch, ch patz, Spatz, chnidre, ch nadrelle, Eidechse* )
( heißt diese in irgendeiner Mundart Schneider, Schneiderlein? ) , chnôque,
Schnake, hoèrnat, Horniß, roupe, Raupe, voueindel, Wanze ( im älteren
Hochdeutsch auch Wentel aus ursprünglichem wantlus, Wandlaus, woher
die Romanen von Enneberg und Abtei in Tirol ihr antlus haben ) . Dann
eine ganze Reihe von andern Substantiven, meist concreter Bedeutung:
bouoch a, Buche, buôbe, Bube, ch litte, Schlitten, ch nitses, Schnitze,
ch tande de beurre, Butterstand, ch uèbe, Schwefel, h auoue, Haue, hoffe,
Hof, keubli, Kübler, quoetches, Zwetschen ( mundartl. Quetschen ) ,
uouermeute, Wermuth, vouâle, Wahl. Viele Zeitwörter: cheltè, schel-
ten, s' ch uttlè, sich schütteln, erfârè, erfahren, færbè, färben, grodè, ge-
rathen, kiélè, kühlen. Wenig Adjectiva: kiatte, glatt, vouonderli, wun-
derlich. Sogar eine untrennbare Präposition in f'rcontè, sich ver--zählen,
welches ein merkwürdiger Fall internationaler Wortehe ist. Jn Luneville
neben aïe auch ïo, ja. Manche Wörter die Deutschen und Franzosen ge-
meinsam sind tragen deutsche Uniform; so crappe, Krippe ( crèche ) ,
Chtrosebourgue
, Straßburg ( Strasbourg ) , Ch uitze, Schweizer ( Suisse ) ,
oryelles
, Orgel ( orgues ) . Und wie heimeln uns nicht an Baerbele,
Bärbel, Haïrie, Heiri, Ouali, Uli, Yéry, Joerg! Setzte sich diese thal-
aufwärts gerichtete Wanderung deutscher Wörter unablässig fort, so
würden die Steinthaler schließlich in die gleiche Lage kommen wie
ein gewisser Völkerstamm Südamerika's im vorigen Jahrhundert.

Derselbe entdeckte nämlich eines Tags daß alle Wörter deren er sich
bediente spanisch seien, und ihm von der alten Sprache weiter nichts als

* ) Umgekehrt hat der Straßburger aus franz. lézard, ganz als ob dieß la zard
wäre, Jungfer Sara gemacht. D. E.
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[1219/0003] wieder besetzt werden -- dieß alles geben wir gern zu, und wünschen es auch. Aber eine Masseneinwanderung von Lehrern oder andrerseits eine Vertreibung von Notaren, Anwälten oder überhaupt irgendwelcher elsä- ßischer Angestellten, wo dieß nicht absolut und für den Augenblick dringend nöthig ist, wäre gewiß eine höchst unkluge Maßregel, die auch sicherlich ihres Zweckes verfehlen würde. Statt die Elsäßer zur Auswanderung zu drängen, sollte man, däucht uns, darauf bedacht sein dieselben im Lande zu halten um auf sie einzuwirken, und somit ein rechtes elsäßisches Volk heranzubilden. Leicht mag man viele, besonders in der ersten Zeit der Umgestaltung, zur Auswanderung drängen; doch erwarte man hievon keine großen Segnungen. Es werden ja von selbst alle eigentlichen Franzosen abgehen oder wegziehen müssen; zwänge man aber auch Elsäßer zum Abzug ins innere Frankreich, so würden gewiß sehr viele derselben ihre Familien, Freunde und Verwandten hinterlassen, die nicht wegziehen können oder nicht wollen, die aber jedenfalls einen langjährigen Groll in ihrem Herzen be- wahren würden über die an den Jhrigen geschehene Vergewaltigung. Die einfache politische Klugheit scheint uns somit ein ganz anderes Verfahren an die Hand zu geben als dasjenige welches man bisher vielfach zu beab- sichtigen scheint. Welches Urtheil vom moralischen Standpunkt aus über vergewalti- gende Maßregeln zu fällen wäre, und gefällt werden würde, wollen wir für heute dahingestellt sein lassen. Wir leben immer noch der Ueberzeu- gung daß, in Betreff der moralischen Rückeroberung des Elsaßes, Deutsch- land auch die moralischen Mittel obenan stellen und eine ebenso verständige als wohlthuende allmähliche Umwandlung des Elsaßes herbeiführen wird. Wenn Hr. v. Löher seinen Aufsatz schließt mit den Worten: „Das deutsche Reich steigt wieder empor in alter Macht und Herrlichkeit, und es sollte nicht zwei seiner edelsten Glieder mit tausend Banden wieder an sich reißen auf immerdar?“ so erlauben wir uns an diesem Satz nur einige Worte zu ändern, und schließen unsrerseits mit der Frage: Sollte das wieder erstan- dene deutsche Reich es nicht vermögen zwei seiner edelsten Glieder für sich zu gewinnen auf immerdar? Wir hoffen zuversichtlich daß Deutschland dieß thun könne, und auch thun werde. Das Französische im neuen Deutschen Reich. I. ( Schluß. ) H. S. Unter den am östlichen Wasgen=Abhang gesprochenen französischen Mundarten haben wir nur über eine, die des Steinthals, franz. Ban de la Roche, ausführliche, freilich nun fast ein Jahrhundert alte Mittheilung. Sie rührt von dem bekannten Elsäßer Gelehrten Jeremias Jakob Oberlin ( 1735--1806 ) her, dessen wohl noch bekannterer Bruder Johann Friedrich im Steinthal Pfarrer war und sich um die Civilisation desselben sehr ver- dient machte. Der Essai sur le patois lorrain des environs du comté du Ban de la Roche ( Straßburg 1775 ) ist dem Göttinger Schlözer ge- widmet, auf dessen Veranlassung er veröffentlicht wurde: Vous jugiez, qu'il seroit avantageux que l'on fît des recherches ultérieures sur le Patois en général, et sur celui de ces contrées en particulier, et que pour cet effet on imprimât en attendant ce petit essai. Mit derselben Genugthuung mit welcher wir diese deutsche Anregung französi- scher Dialektstudien constatiren, lesen wir die Verse am Schlusse der Wid- mung, die uns freilich aus dem Mund eines zu annectirenden Elsäßers oder Lothringers noch willkommener klingen würden: Vos a trop bi-n è vote aise; On n'a mi dchî nos, Biai Sire, ne vos depiaise, Asi bi-n, qu'on a dchî vos. Das heißt wörtlich: Vous êtes trop bien à votre aise; On n'est pas ( mica ) chez nous, Beau ( Mon ) sieur, ne vous déplaise, Aussi bien, qu'on est chez vous. Von demselben Oberlin erschien 1791 zu Straßburg: Observations concernant le patois et les mœurs des gens de la campagne. Die Mundart von Lapoutroie ( Weißthal ) soll sehr sowohl vom Loth- ringischen überhaupt als auch gerade vom Steinthalischen abweichen, und nach französischem Urtheil am meisten an das alte Keltisch erinnern. Wir gedenken im Vorbeigehen der lexikographischen Arbeiten die sich auf andere Lothringer Mundarten beziehen, nämlich der von Cordier für das Departement der Meuse und der von Richard für das Departement der Vosges, und auch speciell für den Ort Dommartin bei Remiremont. Das Franc=Comtois nähert sich, indem es die Gränzen des Elsaßes überschreitet, dem Lothringischen sehr an, ja eine uns vorliegende Sprach- probe aus der Altkircher Gegend ( sic! ) zeigt sogar mehr charakteristische Merkmale der letzteren. Es fehlt uns, um ein sicheres Urtheil zu fällen, an Stoff; Fallots Untersuchungen über die Patois der Franche=Comt é, Lothringens und des Elsaßes ( Montbéliard 1828 ) würden wohl Aufklä- rung geben. Es ist also das Lothringische welches über Mosel und Wasgen her- über seine Zweige in das neue Deutsche Reich streckt. Die Repräsentanten desselben, das Metzische und das Steinthalische, locken den Linguisten durch manche besondere Reize an, und zwar dieses noch weit mehr als jenes, da es den Endpunkt eines längeren Radius bezeichnet. Denn daß es im Ge- birge versteckt und gegen den Westwind geschützt liegt, das getraue ich mir nicht in Anschlag zu bringen. Würde doch ein Franzose der auf einer Reise von Metz nach dem Steinthal den zunehmenden Barbarismus stü- dierte, in Lunéville aus den Klängen des Patois so ziemlich richtig die Halbwegsentfernung vom Steinthal heraushören. Wir können uns hier auf eine Charakteristik beider Mundarten weder in ihrem Verhältniß zu einander noch zur Schriftsprache einlassen; eine solche Charakteristik ist ein schwieriges Ding, sie ist, dem Namen zum Trotz, nicht in wenige Worte zu- sammenzufassen und, was das schlimmste, sie ist, da sie sich fast ausschließlich innerhalb der Lautlehre zu halten hat, für den nicht völlig Eingeweihten trocken und langweilig. Doch wollen wir wenigstens dem deutschen Chauvin zu seiner Freude mittheilen daß, welche Einwendungen auch immer die französischen Reichsbrüder gegen das neue Regiment erheben mögen, eine ihnen abgeschnitten bleibt, nämlich die: es sei ihnen unmöglich deutsches h und ch auszusprechen. Wer rah on für raison, dom ' h alle ( Magd ) für demoiselle, ch pâle für épaule, lai ch i für laisser sagt, der ist des Rechtes -- ledig die Rauhheit der anderen Sprache unter die Gründe na- tionaler Antipathie einzureihen. Solche antiromanische Aspirationen kennzeichnen den größten Theil der Westgränze des Französischen, und es scheint fast, als ob nicht nur in den Gemüthern, sondern auch in der Sprache die Hoch, Hussahs, Hallohs, Haidiridohs ( s. Scheffel ) unserer Vorfahren, die also fast Sprachpioniere gewesen wären, einigen Eindruck hinterlassen hätten. Jn der Conjugation haben die communistischen Jdeen der Franzosen eine merkwürdige, ich weiß nicht, soll ich sagen Verwirrung oder Verein- fachung bewirkt. Zunächst werden die Personen verwechselt, zwar nicht das Mein und Dein -- aber was eigentlich gerade so schlimm ist -- das Mein und Unser: durch ganz Frankreich sagt das Volk j'avons für nous avons ( selten kommt j'avons für j'ai vor ) . Dann, und dieß ist wenigstens im Norden allgemein gäng und gäbe, wird der Besitzstand der Personen ver- wechselt oder vielmehr Gemeingut: durch alle drei Personen des Plural heißt es z. B. dje, vos, il -- aimine ( nous aimions, vous aimiez, ils aimaient ) . Das stolze Gebäude der lateinischen Conjugation, welches, trotz Stützen und Klammern, als da sind Personalpronomina und Hülfs- zeitwörter, mehr und mehr verfallen ist, bietet hier nicht einmal den An- blick einer malerischen Ruine dar; der praktische Geist ist wie mit einem Hobel darüber hingefahren, und nur selten wird das Auge für den Verlust antiker Säulencapitelle und Giebelschmucks durch einen mittelalterlichen Kragstein oder Dachrinnenausguß, wie que dje finisseusse ( finisse ) oder que j' euïecince ( eussions ) , einigermaßen entschädigt. Aber da wir hier Linguistik noch ein wenig im Sinne des preußischen Landwehrmannes Kutschke treiben, so haben wir vor allen Dingen nach heimischen Wörtern umherzuhorchen. Jn bedeutender Anzahl begegnen uns solche im Steinthal. So tritt uns verschiedenes Geflügel und Gewürm unter deutschen Namen entgegen: chtork, Storch, ch patz, Spatz, chnidre, ch nadrelle, Eidechse * ) ( heißt diese in irgendeiner Mundart Schneider, Schneiderlein? ) , chnôque, Schnake, hoèrnat, Horniß, roupe, Raupe, voueindel, Wanze ( im älteren Hochdeutsch auch Wentel aus ursprünglichem wantlus, Wandlaus, woher die Romanen von Enneberg und Abtei in Tirol ihr antlus haben ) . Dann eine ganze Reihe von andern Substantiven, meist concreter Bedeutung: bouoch a, Buche, buôbe, Bube, ch litte, Schlitten, ch nitses, Schnitze, ch tande de beurre, Butterstand, ch uèbe, Schwefel, h auoue, Haue, hoffe, Hof, keubli, Kübler, quoetches, Zwetschen ( mundartl. Quetschen ) , uouermeute, Wermuth, vouâle, Wahl. Viele Zeitwörter: cheltè, schel- ten, s' ch uttlè, sich schütteln, erfârè, erfahren, færbè, färben, grodè, ge- rathen, kiélè, kühlen. Wenig Adjectiva: kiatte, glatt, vouonderli, wun- derlich. Sogar eine untrennbare Präposition in f'rcontè, sich ver--zählen, welches ein merkwürdiger Fall internationaler Wortehe ist. Jn Luneville neben aïe auch ïo, ja. Manche Wörter die Deutschen und Franzosen ge- meinsam sind tragen deutsche Uniform; so crappe, Krippe ( crèche ) , Chtrosebourgue, Straßburg ( Strasbourg ) , Ch uitze, Schweizer ( Suisse ) , oryelles, Orgel ( orgues ) . Und wie heimeln uns nicht an Baerbele, Bärbel, Haïrie, Heiri, Ouali, Uli, Yéry, Joerg! Setzte sich diese thal- aufwärts gerichtete Wanderung deutscher Wörter unablässig fort, so würden die Steinthaler schließlich in die gleiche Lage kommen wie ein gewisser Völkerstamm Südamerika's im vorigen Jahrhundert. Derselbe entdeckte nämlich eines Tags daß alle Wörter deren er sich bediente spanisch seien, und ihm von der alten Sprache weiter nichts als * ) Umgekehrt hat der Straßburger aus franz. lézard, ganz als ob dieß la zard wäre, Jungfer Sara gemacht. D. E.

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  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 72. Augsburg (Bayern), 13. März 1871, S. 1219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg72_1871/3>, abgerufen am 03.12.2024.