Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg (Bayern), 15. März 1871.[Spaltenumbruch]
Nicht viel besser geht es der Partei mit ihrer Stellung in Betreff der Schon bei den ersten Verhandlungen über die Steuerbewilligung Daß eine solche innere Spaltung für die Stellung des Ministeriums Eine Auflösung des Reichsraths selbst noch in diesem Augenblick wäre Deutsches Reich. s München, 12 März. Am 9 März hielt Stiftspropst v. Döllinger seine Darmstadt, 13 März. Der Großherzog hat den Grafen Bismarck Berlin, 11 März. Der "Staats=Anz." schreibt: "Der jetzt be- [Spaltenumbruch]
Nicht viel besser geht es der Partei mit ihrer Stellung in Betreff der Schon bei den ersten Verhandlungen über die Steuerbewilligung Daß eine solche innere Spaltung für die Stellung des Ministeriums Eine Auflösung des Reichsraths selbst noch in diesem Augenblick wäre Deutsches Reich. s München, 12 März. Am 9 März hielt Stiftspropst v. Döllinger seine Darmstadt, 13 März. Der Großherzog hat den Grafen Bismarck Berlin, 11 März. Der „Staats=Anz.“ schreibt: „Der jetzt be- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews"> <div type="jPoliticalNews"> <pb facs="#f0002" n="1242"/> <cb/> <p>Nicht viel besser geht es der Partei mit ihrer Stellung in Betreff der<lb/> Recrutirungsvorlage. Daß der Reichsrath die Recruten bewilligen könne<lb/> oder nicht, ist sein klares Recht, und Giskra hätte in der Ausschußsitzung<lb/> nicht nöthig gehabt ganz inconstitutionell den Monarchen, der ihm einmal<lb/> gesagt: der Reichsrath habe in dem Recrutenbewilligungsrecht eine wirk-<lb/> same Waffe zum Sturz einer mißliebigen Regierung, in die Debatte hin-<lb/> einzuziehen: wenn aber die Führer der verfassungstreuen Partei Lust haben<lb/> die Sache weiter zu verfolgen und einen Conflict in diesem Punkt herbei-<lb/> zuführen, so wählen sie einen für sie höchst unvortheilhaften Anlaß. Sie<lb/> überwerfen sich gänzlich mit der für jede die Armee betreffende Frage em-<lb/> pfindlichen Hof= und Militärpartei, wahrscheinlich auch mit der ungarischen<lb/> Reichshälfte, und bringen schließlich eine Spaltung in ihre eigenen Reihen.</p><lb/> <p>Schon bei den ersten Verhandlungen über die Steuerbewilligung<lb/> konnte es dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen daß die Reichsraths-<lb/> mehrheit durchaus nicht homogen sei, sondern sehr deutlich eine Theilung in<lb/> zwei Fractionen erkennen lasse. Ein Theil unter Führung von Giskra und<lb/> Rechbauer -- während Herbst sich vorsichtig zurückhält -- bildet die Linke,<lb/> der sogenannte verfassungstreue Großgrundbesitz, von Frhrn. v. Lasser ge-<lb/> führt, eine Art von Centrum. Jene sind entschiedener in ihrer Opposition<lb/> gegen das Ministerium, sie sehen ein daß zwischen ihnen und dem Grafen<lb/> Hohenwart jetzt nur noch ein Kampf möglich, sowie in ruhigen Augen-<lb/> blicken auch daß sie in demselben den kürzeren ziehen werden; sie möchten<lb/> daher einen Conflict rasch und scharf herbeiführen, der eine Reichsraths-<lb/> auflösung zur Folge hätte, da es besser sei im Kampf unterzugehen als<lb/> auf dem Krankenbett einer Vertagung dahin zu siechen. Gleiches Miß-<lb/> trauen in die Absichten des Ministeriums wie die Linke hat wohl auch das<lb/> Centrum, doch ist es in allem gemäßigter; es wünscht im Princip auch<lb/> einen Conflict, aber bei gut gewähltem Anlaß mit parlamentarischem und<lb/> mildem Verlauf, denn es hofft dieses Ministerium noch im parlamentari-<lb/> schen Wege ( etwa noch mit Hülfe des Herrenhauses ) zu stürzen und dann<lb/> aus den eigenen Reihen die Regierung zu bilden. Wie die Fraction des<lb/> Centrums die absolute Verweigerung der Steuern nicht gutgeheißen hat,<lb/> so würde sie auch einer Abweisung der Recrutirungsvorlage nicht zustim-<lb/> men, und sie mag auch entschiedenen Antheil daran haben daß nicht gleich<lb/> bei Eröffnung des Reichsraths eine Adresse an die Krone mit einem offenen<lb/> Mißtrauensvotum für das Ministerium beschlossen worden.</p><lb/> <p>Daß eine solche innere Spaltung für die Stellung des Ministeriums<lb/> von Vortheil sei, ist klar: wenn zwar dieses sich über den Parteien stehend<lb/> nennt, so sieht man doch schon heute daß es im Abgeordnetenhause nicht<lb/> ohne Partei sei, denn in den Ausschüssen wie im Hause findet es auf der<lb/> Rechten stets ausgiebige Unterstützung. Rechte und Linke sind aber nu-<lb/> merisch fast gleich, so daß die Entscheidung stets im Centrum liegt, das<lb/> wohl nur 30 Stimmen zählt, aber in Folge seiner Stellung vermehrte po-<lb/> litische Bedeutung erhält. Solang' es nur im allgemeinen ein Mißtrauen<lb/> auszudrücken und Opposition „in Bausch und Bogen“ zu machen gilt,<lb/> reichen sich die beiden Fractionen die Hände, jeder weitere Schritt wird<lb/> aber zur Streitfrage unter ihnen. Wir glauben übrigens daß auch eine<lb/> völlige Uebereinstimmung am Gange der Dinge nicht viel ändern würde,<lb/> da eben das gegenwärtige Ministerium auf parlamentarischem Wege, d. h.<lb/> durch den jetzigen Reichsrath, nicht zu stürzen ist, und wir geben jener Taktik<lb/> den Vorzug die ein Durchschlagen der politischen Lage mit einem Stoß zur<lb/> Folge haben würde. Wenn man schon nicht im Beginn den Plan fassen konnte<lb/> gute Miene zum bösen Spiel zu machen, dem Ministerium entgegenzukommen,<lb/> es an sich heranzuziehen und dadurch, gegenüber den Parteien die auf das-<lb/> selbe ihre Hoffnungen setzen, zu compromittiren, dann dessen Plane zu beein-<lb/> flussen und es in dem was es allenfalls vorgehabt schwankend zu machen,<lb/> was alles gegenüber Neulingen in der politischen Action, wie es die gegen-<lb/> wärtigen Minister sind, nicht allzu schwer gewesen wäre -- wenn man, wie<lb/> gesagt, diesen Plan, welcher freilich viel Partei=Disciplin voraussetzt, nicht<lb/> befolgen wollte, so bot jedenfalls der Gegensatz, d. i. ein scharfes Auftre-<lb/> ten und die Herbeiführung der Reichsrathsauflösung, mehr Vortheile für<lb/> die verfassungstreue Partei als das Abwarten und Laviren, verbunden<lb/> mit dem Guerrillakrieg in den Ausschüssen, welchem Graf Hohenwart voll-<lb/> kommen gewachsen zu sein scheint.</p><lb/> <p>Eine Auflösung des Reichsraths selbst noch in diesem Augenblick wäre<lb/> für das Ministerium eine arge Verlegenheit, und darum wird es auch keine<lb/> Mühe scheuen sich mit dem Abgeordnetenhause zu vertragen; der verfas-<lb/> sungstreuen Partei wäre aber ein glänzenderer Abgang gesichert gewesen,<lb/> denn sie hätte einmal politischen Muth gezeigt, während sie jetzt nur pein-<lb/> liche Eindrücke erweckt wenn sie die Minister bestürmt ihren „Plan“ darzu-<lb/> legen, und an jeder Action Anstoß nimmt, weil sie angeblich nicht weiß<lb/> was die Minister wollen. Ganz mit Unrecht wirft man dem Ministerium<lb/> Hohenwart Unaufrichtigkeit vor, und dasselbe braucht den jüngst von<lb/> Kaiserfeld ausgesprochenen Satz: „daß das größte Unglück für die Staaten<lb/> unaufrichtige Regierungen sind,“ nicht auf sich zu beziehen. Was die End-<lb/><cb/> aufgabe des Grafen Hohenwart sei, das muß doch schon jedermann klar<lb/> geworden sein; daß er verfassungsmäßig regieren wolle, damit ist es ihm<lb/> voller Ernst; daß er sich selbst mit diesem Reichsrath bestmöglich stellen<lb/> wolle, folgt aus obigem. Ebenso klar ist es aber daß er mit dem gegen-<lb/> wärtigen Reichsrath in keine weitere Action einzugehen im Stande sein<lb/> werde, und denselben daher jedenfalls, wenn das Budget bewilligt ist, auf-<lb/> lösen müsse. Das ist alles klar und offen für jeden der sehen will, und unklar<lb/> ist nur wie die verfassungstreue Mehrheit dem begegnen wird, nachdem sie<lb/> bereits gespalten und dadurch dem Ergreifen von halben Maßregeln zu-<lb/> gänglich geworden ist.</p> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews"> <head> <hi rendition="#b #c">Deutsches Reich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle"> <p><foreign xml:lang="el">s</foreign> München, 12 März. Am 9 März hielt Stiftspropst v. Döllinger seine<lb/> letzte Vorlesung im Wintersemester 1870/71. Jn den tief bewegten Schluß-<lb/> worten erwähnte er: wie er gerne noch vor seinem Auditorium die letzten<lb/> Perioden der Kirchengeschichte behandelt hätte, aber vielfach sei ihm bedeu-<lb/> tet worden daß seinen Hörern wohl das Verbot zugehen würde weiterhin<lb/> seine Vorlesungen zu besuchen. Stets habe er sich bemüht die kirchlichen<lb/> Ereignisse so wiederzugeben wie nach langen Erfahrungen und Studien<lb/> dieselben sich ihm dargestellt. Mit Aengstlichkeit habe er vermieden die<lb/> neuesten Ereignisse zu berühren; wenn manches was er gesagt gleichwohl<lb/> darauf bezogen worden, so sei das in einer kirchlich aufgeregten Zeit un-<lb/> vermeidlich, und es liege zu nahe überall Anknüpfungspunkte an die Gegen-<lb/> wart zu suchen. Man stehe am Anfang einer großen Entwicklung, deren<lb/> Ende noch nicht abzusehen; das Studium der Kirchengeschichte werde es<lb/> schließlich sein welches den Ariadne=Faden biete, um in dem Labyrinth der<lb/> gegenwärtigen Wirren sich zurecht zu finden. Eine Partei sei hervor-<lb/> getreten bestrebt <hi rendition="#g">das Studium der Kirchengeschichte und Exe-<lb/> gese vom Plan der theologischen Studien auszuschließen.</hi><lb/> Dem gegenüber sei sein dringendster Rath eben diesen beiden hochwichtigen<lb/> Disciplinen vor allen sich hinzugeben. Niemals habe er selbst seinen Schü-<lb/> lern als Autorität sich aufdrängen wollen; er wünsche selbst daß man mit<lb/> Mißtrauen, nur prüfend, ihm entgegenkomme. Oft stehe der Kirchen-<lb/> historiker auf einem Boden, unterminirt von Täuschungen und Fictionen,<lb/> die weitgehende Verirrungen veranlaßten: doch häufig sei es selbst dem<lb/> Einzelnen leicht einen klaren selbständigen Blick zu gewinnen. So dürfe<lb/> man, um die ganze Tragweite dadurch hervorgerufener Veränderungen zu<lb/> durchschauen, nur etwa die pseudo=isidorischen Decretalen dem echten Codex<lb/> Papst Leo's an Kaiser Karl entgegenhalten, oder in Erwägung ziehen<lb/> welchen Quellen Thomas von Aquino bei seinen Auseinandersetzungen<lb/> über die Kirche gefolgt sei. Darum vor allem Klarheit und Unbefangen-<lb/> heit! Schließlich rief er seinem Auditorium, wahrscheinlich für immer,<lb/> sein Lebewohl zu. Diese Abschiedsrede des Seniors aller theologischen<lb/> Professoren, welcher den größeren Theil der bayerischen, um nicht zu sagen<lb/> deutschen Theologen gebildet, macht nicht bloß im engeren Kreise von sich<lb/> reden. Jedermann ist gespannt auf die Jdus des März. Ob der hohe<lb/> Episkopat den Klerikern den Besuch dieses und anderer Collegien fortan<lb/> untersagen wird oder nicht, eines ist gewiß: daß die nächste Wahl im<lb/> Herbst Döllinger als Rector Magnificus an die Spitze der Hochschule<lb/> stellen wird. Will dann die eigene Facultät sich gegen ihn auflehnen oder<lb/> sich völlig isoliren? Die Dinge verwickeln sich immer mehr, und mag das<lb/> Ministerium des Cultus noch so vorsichtig zu Werke gehen, es kann nicht<lb/> verhüten daß die Kammer Einsprache erheben wird. Jnzwischen ist von<lb/> der Curie gegen widerspänstige Bischöfe die Sperrung der Quinquennalien<lb/> verfügt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle"> <p>Darmstadt, 13 März. Der Großherzog hat den Grafen Bismarck<lb/> und Moltke das Großkreuz des Ludwigs=Ordens verliehen. -- Die „Darmst.<lb/> Zeitung“ bringt eine Ansprache des Großherzogs an sein Leibgrenadier-<lb/> Regiment, durch welche der Großherzog, der vor 50 Jahren in dieses Regi-<lb/> ment getreten, als Mitglied und Kriegsherr dem Regiment seine Anerken-<lb/> nung ausspricht, und den Fahnen des Regiments das Militärverdienst-<lb/> kreuz verleiht. -- Der Großherzog wird, wie die „D. Z.“ hört, sich am Mitt-<lb/> woch zur Begrüßung des Kaisers nach Bingen begeben. -- Ueber eine<lb/> neue Formation der großherzoglichen Division sind, wie der „D. Z.“ ver-<lb/> sichert wird, noch keine Verhandlungen eingeleitet, und ist also auch die<lb/> Auflösung dieses oder jenes Truppentheils noch nicht in Betracht gezogen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle"> <p>Berlin, 11 März. Der „Staats=Anz.“ schreibt: „Der jetzt be-<lb/> endete <hi rendition="#g">deutsch=französische Krieg</hi> bietet in seinem siebenmonatlichen<lb/> Verlauf ein reiches militärisch=statistisches Jnteresse, bezüglich dessen wir<lb/> nachstehend einige wesentlichere Momente hervorheben. Der Krieg wurde<lb/> am 19 Juli 1870 von Paris aus erklärt, am 28 Januar 1871 durch die<lb/> Capitulation von Paris auf den meisten seiner Schauplätze, am 16 Februar<lb/> auch für das letzte der Kriegstheater beendet; er hat somit eine Dauer von<lb/> im ganzen 210 Tagen gehabt. Jn den ersten Tagen dieses Zeitraums,<lb/> nämlich bis zum 26 Juli, wurde die Mobilmachung der gesammten nord-<lb/> deutschen Armee, in derselben Zeit auch die der Truppen der süddeutschen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1242/0002]
Nicht viel besser geht es der Partei mit ihrer Stellung in Betreff der
Recrutirungsvorlage. Daß der Reichsrath die Recruten bewilligen könne
oder nicht, ist sein klares Recht, und Giskra hätte in der Ausschußsitzung
nicht nöthig gehabt ganz inconstitutionell den Monarchen, der ihm einmal
gesagt: der Reichsrath habe in dem Recrutenbewilligungsrecht eine wirk-
same Waffe zum Sturz einer mißliebigen Regierung, in die Debatte hin-
einzuziehen: wenn aber die Führer der verfassungstreuen Partei Lust haben
die Sache weiter zu verfolgen und einen Conflict in diesem Punkt herbei-
zuführen, so wählen sie einen für sie höchst unvortheilhaften Anlaß. Sie
überwerfen sich gänzlich mit der für jede die Armee betreffende Frage em-
pfindlichen Hof= und Militärpartei, wahrscheinlich auch mit der ungarischen
Reichshälfte, und bringen schließlich eine Spaltung in ihre eigenen Reihen.
Schon bei den ersten Verhandlungen über die Steuerbewilligung
konnte es dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen daß die Reichsraths-
mehrheit durchaus nicht homogen sei, sondern sehr deutlich eine Theilung in
zwei Fractionen erkennen lasse. Ein Theil unter Führung von Giskra und
Rechbauer -- während Herbst sich vorsichtig zurückhält -- bildet die Linke,
der sogenannte verfassungstreue Großgrundbesitz, von Frhrn. v. Lasser ge-
führt, eine Art von Centrum. Jene sind entschiedener in ihrer Opposition
gegen das Ministerium, sie sehen ein daß zwischen ihnen und dem Grafen
Hohenwart jetzt nur noch ein Kampf möglich, sowie in ruhigen Augen-
blicken auch daß sie in demselben den kürzeren ziehen werden; sie möchten
daher einen Conflict rasch und scharf herbeiführen, der eine Reichsraths-
auflösung zur Folge hätte, da es besser sei im Kampf unterzugehen als
auf dem Krankenbett einer Vertagung dahin zu siechen. Gleiches Miß-
trauen in die Absichten des Ministeriums wie die Linke hat wohl auch das
Centrum, doch ist es in allem gemäßigter; es wünscht im Princip auch
einen Conflict, aber bei gut gewähltem Anlaß mit parlamentarischem und
mildem Verlauf, denn es hofft dieses Ministerium noch im parlamentari-
schen Wege ( etwa noch mit Hülfe des Herrenhauses ) zu stürzen und dann
aus den eigenen Reihen die Regierung zu bilden. Wie die Fraction des
Centrums die absolute Verweigerung der Steuern nicht gutgeheißen hat,
so würde sie auch einer Abweisung der Recrutirungsvorlage nicht zustim-
men, und sie mag auch entschiedenen Antheil daran haben daß nicht gleich
bei Eröffnung des Reichsraths eine Adresse an die Krone mit einem offenen
Mißtrauensvotum für das Ministerium beschlossen worden.
Daß eine solche innere Spaltung für die Stellung des Ministeriums
von Vortheil sei, ist klar: wenn zwar dieses sich über den Parteien stehend
nennt, so sieht man doch schon heute daß es im Abgeordnetenhause nicht
ohne Partei sei, denn in den Ausschüssen wie im Hause findet es auf der
Rechten stets ausgiebige Unterstützung. Rechte und Linke sind aber nu-
merisch fast gleich, so daß die Entscheidung stets im Centrum liegt, das
wohl nur 30 Stimmen zählt, aber in Folge seiner Stellung vermehrte po-
litische Bedeutung erhält. Solang' es nur im allgemeinen ein Mißtrauen
auszudrücken und Opposition „in Bausch und Bogen“ zu machen gilt,
reichen sich die beiden Fractionen die Hände, jeder weitere Schritt wird
aber zur Streitfrage unter ihnen. Wir glauben übrigens daß auch eine
völlige Uebereinstimmung am Gange der Dinge nicht viel ändern würde,
da eben das gegenwärtige Ministerium auf parlamentarischem Wege, d. h.
durch den jetzigen Reichsrath, nicht zu stürzen ist, und wir geben jener Taktik
den Vorzug die ein Durchschlagen der politischen Lage mit einem Stoß zur
Folge haben würde. Wenn man schon nicht im Beginn den Plan fassen konnte
gute Miene zum bösen Spiel zu machen, dem Ministerium entgegenzukommen,
es an sich heranzuziehen und dadurch, gegenüber den Parteien die auf das-
selbe ihre Hoffnungen setzen, zu compromittiren, dann dessen Plane zu beein-
flussen und es in dem was es allenfalls vorgehabt schwankend zu machen,
was alles gegenüber Neulingen in der politischen Action, wie es die gegen-
wärtigen Minister sind, nicht allzu schwer gewesen wäre -- wenn man, wie
gesagt, diesen Plan, welcher freilich viel Partei=Disciplin voraussetzt, nicht
befolgen wollte, so bot jedenfalls der Gegensatz, d. i. ein scharfes Auftre-
ten und die Herbeiführung der Reichsrathsauflösung, mehr Vortheile für
die verfassungstreue Partei als das Abwarten und Laviren, verbunden
mit dem Guerrillakrieg in den Ausschüssen, welchem Graf Hohenwart voll-
kommen gewachsen zu sein scheint.
Eine Auflösung des Reichsraths selbst noch in diesem Augenblick wäre
für das Ministerium eine arge Verlegenheit, und darum wird es auch keine
Mühe scheuen sich mit dem Abgeordnetenhause zu vertragen; der verfas-
sungstreuen Partei wäre aber ein glänzenderer Abgang gesichert gewesen,
denn sie hätte einmal politischen Muth gezeigt, während sie jetzt nur pein-
liche Eindrücke erweckt wenn sie die Minister bestürmt ihren „Plan“ darzu-
legen, und an jeder Action Anstoß nimmt, weil sie angeblich nicht weiß
was die Minister wollen. Ganz mit Unrecht wirft man dem Ministerium
Hohenwart Unaufrichtigkeit vor, und dasselbe braucht den jüngst von
Kaiserfeld ausgesprochenen Satz: „daß das größte Unglück für die Staaten
unaufrichtige Regierungen sind,“ nicht auf sich zu beziehen. Was die End-
aufgabe des Grafen Hohenwart sei, das muß doch schon jedermann klar
geworden sein; daß er verfassungsmäßig regieren wolle, damit ist es ihm
voller Ernst; daß er sich selbst mit diesem Reichsrath bestmöglich stellen
wolle, folgt aus obigem. Ebenso klar ist es aber daß er mit dem gegen-
wärtigen Reichsrath in keine weitere Action einzugehen im Stande sein
werde, und denselben daher jedenfalls, wenn das Budget bewilligt ist, auf-
lösen müsse. Das ist alles klar und offen für jeden der sehen will, und unklar
ist nur wie die verfassungstreue Mehrheit dem begegnen wird, nachdem sie
bereits gespalten und dadurch dem Ergreifen von halben Maßregeln zu-
gänglich geworden ist.
Deutsches Reich.
s München, 12 März. Am 9 März hielt Stiftspropst v. Döllinger seine
letzte Vorlesung im Wintersemester 1870/71. Jn den tief bewegten Schluß-
worten erwähnte er: wie er gerne noch vor seinem Auditorium die letzten
Perioden der Kirchengeschichte behandelt hätte, aber vielfach sei ihm bedeu-
tet worden daß seinen Hörern wohl das Verbot zugehen würde weiterhin
seine Vorlesungen zu besuchen. Stets habe er sich bemüht die kirchlichen
Ereignisse so wiederzugeben wie nach langen Erfahrungen und Studien
dieselben sich ihm dargestellt. Mit Aengstlichkeit habe er vermieden die
neuesten Ereignisse zu berühren; wenn manches was er gesagt gleichwohl
darauf bezogen worden, so sei das in einer kirchlich aufgeregten Zeit un-
vermeidlich, und es liege zu nahe überall Anknüpfungspunkte an die Gegen-
wart zu suchen. Man stehe am Anfang einer großen Entwicklung, deren
Ende noch nicht abzusehen; das Studium der Kirchengeschichte werde es
schließlich sein welches den Ariadne=Faden biete, um in dem Labyrinth der
gegenwärtigen Wirren sich zurecht zu finden. Eine Partei sei hervor-
getreten bestrebt das Studium der Kirchengeschichte und Exe-
gese vom Plan der theologischen Studien auszuschließen.
Dem gegenüber sei sein dringendster Rath eben diesen beiden hochwichtigen
Disciplinen vor allen sich hinzugeben. Niemals habe er selbst seinen Schü-
lern als Autorität sich aufdrängen wollen; er wünsche selbst daß man mit
Mißtrauen, nur prüfend, ihm entgegenkomme. Oft stehe der Kirchen-
historiker auf einem Boden, unterminirt von Täuschungen und Fictionen,
die weitgehende Verirrungen veranlaßten: doch häufig sei es selbst dem
Einzelnen leicht einen klaren selbständigen Blick zu gewinnen. So dürfe
man, um die ganze Tragweite dadurch hervorgerufener Veränderungen zu
durchschauen, nur etwa die pseudo=isidorischen Decretalen dem echten Codex
Papst Leo's an Kaiser Karl entgegenhalten, oder in Erwägung ziehen
welchen Quellen Thomas von Aquino bei seinen Auseinandersetzungen
über die Kirche gefolgt sei. Darum vor allem Klarheit und Unbefangen-
heit! Schließlich rief er seinem Auditorium, wahrscheinlich für immer,
sein Lebewohl zu. Diese Abschiedsrede des Seniors aller theologischen
Professoren, welcher den größeren Theil der bayerischen, um nicht zu sagen
deutschen Theologen gebildet, macht nicht bloß im engeren Kreise von sich
reden. Jedermann ist gespannt auf die Jdus des März. Ob der hohe
Episkopat den Klerikern den Besuch dieses und anderer Collegien fortan
untersagen wird oder nicht, eines ist gewiß: daß die nächste Wahl im
Herbst Döllinger als Rector Magnificus an die Spitze der Hochschule
stellen wird. Will dann die eigene Facultät sich gegen ihn auflehnen oder
sich völlig isoliren? Die Dinge verwickeln sich immer mehr, und mag das
Ministerium des Cultus noch so vorsichtig zu Werke gehen, es kann nicht
verhüten daß die Kammer Einsprache erheben wird. Jnzwischen ist von
der Curie gegen widerspänstige Bischöfe die Sperrung der Quinquennalien
verfügt.
Darmstadt, 13 März. Der Großherzog hat den Grafen Bismarck
und Moltke das Großkreuz des Ludwigs=Ordens verliehen. -- Die „Darmst.
Zeitung“ bringt eine Ansprache des Großherzogs an sein Leibgrenadier-
Regiment, durch welche der Großherzog, der vor 50 Jahren in dieses Regi-
ment getreten, als Mitglied und Kriegsherr dem Regiment seine Anerken-
nung ausspricht, und den Fahnen des Regiments das Militärverdienst-
kreuz verleiht. -- Der Großherzog wird, wie die „D. Z.“ hört, sich am Mitt-
woch zur Begrüßung des Kaisers nach Bingen begeben. -- Ueber eine
neue Formation der großherzoglichen Division sind, wie der „D. Z.“ ver-
sichert wird, noch keine Verhandlungen eingeleitet, und ist also auch die
Auflösung dieses oder jenes Truppentheils noch nicht in Betracht gezogen.
Berlin, 11 März. Der „Staats=Anz.“ schreibt: „Der jetzt be-
endete deutsch=französische Krieg bietet in seinem siebenmonatlichen
Verlauf ein reiches militärisch=statistisches Jnteresse, bezüglich dessen wir
nachstehend einige wesentlichere Momente hervorheben. Der Krieg wurde
am 19 Juli 1870 von Paris aus erklärt, am 28 Januar 1871 durch die
Capitulation von Paris auf den meisten seiner Schauplätze, am 16 Februar
auch für das letzte der Kriegstheater beendet; er hat somit eine Dauer von
im ganzen 210 Tagen gehabt. Jn den ersten Tagen dieses Zeitraums,
nämlich bis zum 26 Juli, wurde die Mobilmachung der gesammten nord-
deutschen Armee, in derselben Zeit auch die der Truppen der süddeutschen
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