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Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg (Bayern), 16. März 1871.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 75.
Donnerstag, 16 März 1871.

Verlag der J. G. Cotta 'schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.


[Beginn Spaltensatz]
Uebersicht.

Aus der Türkei -- Die Heerschau in Villiers. -- Deutsches Reich.
Berlin: Die Gebiets=Entschädigung an Bayern. Die rheinischen Städte
und der Kaiser. Prinz Wilhelm von Baden. Fürst Ypsilanti. Fürst
Lynar. Ein verwundeter Officier. Stichwahlen. Konstanz: Deutschen-
haß in der Schweiz. -- Oesterreichisch=ungarische Monarchie.
Wien: Zuspitzung des Conflicts zwischen Regierung und Reichsrath.
Die Recrutenfrage. Graf Andrassy. Ried: Verbot der Friedensfeier.
-- Verschiedenes. -- Jndustrie, Handel und Verkehr.



Aus der Türkei.

sym30 Pera, 3 März. Das Comit e welches seit länger als 12 Mo-
naten unter dem Vorsitze Kiamil Pascha's daran arbeitet die Grundlage
für ein wahrheitgetreues Budget herzurichten, ist endlich so weit fertig ge-
worden daß eine Publication zu erwarten steht. Als Endresultat wird
man, wie es heißt, ein Deficit von2 1 / 2 Millionen Pf. St., d. h. 18 Mill.
Thalern, eingestehen, statt 5 Mill. Pf. St., wie man noch in der vorigen
Woche versicherte. Wie man diesen anfänglichen ungünstigen Belauf bis
auf die Hälfte reducirt hat, weiß niemand zu sagen. Da während der
letzten 6 Jahre das gewöhnliche Deficit sich auf 3 Millionen belief, in der
Zwischenzeit jedoch weder der kaiserliche noch der Staats=Haushalt einge-
schränkt worden, dafür aber die für die Staatsschuld fälligen Zinsen sich
bedeutend vermehrt haben, so müßten ganz neue Einnahmequellen zum
Vorschein gekommen sein; es scheint als ob das Comit e die letztere Even-
tualität annehmen wolle, denn es rechnet auf einen bedeutend höheren Er-
trag der Zehnten und empfiehlt eine Erhöhung der Tabaksteuer. Nichts-
destoweniger glauben wir kaum daß das Gesammteinkommen mehr
als 16 Millionen betragen werde, von denen die Staatsschuld 7999 Mil-
lionen, Heer und Flotte 4 Millionen, Civilliste 2 Mill., Eisenbahngarantie
2 Millionen absorbiren, so daß für die übrige Staatsverwaltung nur
1 Million übrig bliebe. Das Comit e hat übrigens in allen Zweigen nam-
hafte Einschränkungen empfohlen. Die öffentlichen Arbeiten und Wege-
bauten, die nun doch einmal die Zukunft des Reichs sichern sollen, sind
beispielshaber von 7 Mill. Piaster auf 2 Millionen vermindert, wobei die
Commission vielleicht nicht unrecht hat. Da weder für 7 noch für 2 Mill.
etwas geschehen wird, so ist es entschieden besser für das Staatswohl daß
nur 2 Millionen in den Taschen der Betreffenden verschwinden, als 7 Mil-
lionen. Uebrigens handelt es sich bei dieser ganzen Budgetaufstellung
nur darum dem europäischen Publicum Sand in die Augen zu streuen und
bei den Geldmännern für das projectirte 12 Millionen=Anlehen die Wege
zu ebnen.

Was den Zwischenfall der ägyptisch=spanischen Differenz anlangt, so
hatte der Großwessier bis vor wenigen Tagen weder von dem Vorhanden-
sein noch den Ursachen Kenntniß des Conflicts; er verlangte daher sofort
vom Vicekönig Aufklärung über das Vorgefallene, und befahl ihm einst-
weilen seinerseits in dieser Angelegenheit nicht weiter vorzugehen. Aali
Pascha scheint diese Gelegenheit benutzen zu wollen um den europäischen
Vertretern zu bedeuten daß bei Conflicten mit den ägyptischen Behörden
nicht Kairo, sondern die Pforte das zuständige Forum sei. Daß der spa-
nische Consul bei seinem Auftreten die juridische Form so weit mißachtet,
unterliegt keinem Zweifel. Der Streit ist natürlich, wie es bei allen Pro-
cessen in Aegypten der Fall ist, höchst verächtlicher Natur. Aus Anlaß
einer Baumwollreinigungsmaschine hatten ägyptische Beamte sich einer
Willkür schuldig gemacht, und diesen Anlaß benutzte der in Rede stehende
spanische Unterthan, um mit Hülfe des Consulats eine exorbitante Ent-
schädigung zu verlangen, in diesem Fall 105,000 Pf. St., während der
reelle Verlust vielleicht nur 40--50 Pf. St. beträgt. Die besten Geschäfte
dieser Art machte seinerzeit Frankreich nicht nur mit Aegypten, sondern
vorzugsweise mit Tunis; da nun Frankreich augenblicklich seine civilisa-
torische Thätigkeit einstellen muß, so scheint es als ob jetzt Jtalien und
Spanien hierin fortfahren wollen.

Mit Griechenland findet wieder ein Notenwechsel in Sachen der
thessalischen Räuber statt. Jn einem an die Schutzmächte gerichteten
Rundschreiben beklagt sich die Pforte über den geringen Eifer Griechen-
lands diese Landplage zu unterdrücken, und zählt weitläufig die Erfolge
ihrer Truppen in Thessalien auf, welche nur deßhalb ohne Erfolg seien
weil bei den griechischen Truppen kein Entgegenkommen sei. Die "Turquie"
empfiehlt den Griechen bei dieser Gelegenheit wieder einmal ernsthaft an
Reformen zu denken, und sich an der Pforte ein Beispiel zu nehmen --[Spaltenumbruch]
quis tulerit Gracchos etc. Darin hat sie freilich Recht, wenn sie sich
dagegen verwahrt daß die Takos und Arvanitakis türkische Subjecte seien,
es sind jedenfalls echte Vollbluthellenen, welche "durch die türkische Knech-
tung zu Thieren geworden sind." Hr. Christopulos, Minister des Aeußern
in Athen, hat auf dieses Actenstück in einem langen Memorandum geant-
wortet, und erklärt daß die Straflosigkeit mit der diese griechischen Banden
ihr Wesen treiben, nur der mangelhaften Abgränzung der beiden Staaten
zuzuschreiben sei. Man brauche an Griechenland nur ein genügend großes
Stück von Thessalien abzutreten, so würden die griechischen Truppen auch
wirksamer gegen die Räuber operiren können.

Jn der rumänischen Frage läßt die Pforte officiös versichern daß sie
keine Truppen an der Donau zusammenziehen werde, was ja leicht als
eine Drohung ausgelegt werden könnte, sondern bei Schumla nur ein
Uebungslager für 25--30,000 Mann errichtet habe, welche für alle Even-
tualitäten in den Donaufürstenthümern ausreichend seien. Jm übrigen
bereitet sich die Pforte mit aller Energie auf die Ereignisse welche in näch-
ster Zukunft nicht ausbleiben können; sowohl im Norden als in Syrien,
Arabien und im Osten bereiten sich Dinge vor die zu einer Katastrophe
führen müssen. Jn den Werkstätten von Topchane, Zeitunburnu und den
süßen Wassern wird Tag und Nacht gearbeitet, die Torpedo=Fabrik, welche
ein ehemaliger amerikanischer Secessionistenofficier leitet, rastet nicht, und
die in Europa bestellten Mitrailleusen treffen allwöchentlich ein.

Ueber die Expedition nach Südarabien hat die "Turquie" schon zwei-
mal Siegesnachrichten veröffentlicht, die aber aus der Luft gegriffen wa-
ren; in Wahrheit hat die Action noch gar nicht begonnen. Anstatt sich
an der Art und Weise wie England seine abessinische Expedition ausrüstete
ein Beispiel zu nehmen, hat die Pforte die Truppen über Hals und Kopf
abgeschickt ohne ihnen die nöthige Munition mitzugeben. Man sendet jetzt die
Munition nach; sobald diese in Jemen angelangt ist, werden inzwischen
die Lebensmittel ausgehen, und die Pforte muß alsdann diese nachschicken.
Ganz in derselben Weise ist es bisher allen Wüstenexpeditionen gegangen
welche die Pforte von Damaskus, Aleppo und Bagdad ausgesandt hat;
schließlich kehren die Truppen, nachdem sie durch Entbehrungen aller
Art decimirt worden, ohne Resultat in ihre alten Standquartiere zurück.
Schon jetzt spricht man in Stambul nicht mehr von dem mit so vielen
Eifer unternommenen Kriegszug.

Die Frage des bulgarischen Exarchats hatte vor wenigen Wochen den
griechischen Patriarchen veranlaßt in feierlicher Audienz vom Großwessier
die Ermächtigung zur Zusammenberufung eines Concils zu verlangen, um
die Frage endgültig zu entscheiden. Der Großwessier erwiederte ihm daß
es jedenfalls zweckmäßiger wäre wenn das Patriarchat die von der ge-
mischten Commission gemachten Vorschläge, vielleicht mit einigen Aende-
rungen, annehme. Der Patriarch seinerseits erklärte daß er im Falle der
Ablehnung eines Concils seine Entlassung einreichen müsse. Jnzwischen
hat das hiesige bulgarische Comit e aus allen Städten und Gemeinden eine
Delegirtenversammlung vereinigt, um über die Ordnung des neuen Exar-
chats zu berathen und einen Exarchen zu wählen. Einige macedonische Ge-
meinden, welche auch dem bulgarischen Exarchat beizutreten wünschten,
wurden durch Gewaltmaßregeln von Seiten der türkischen Behörden an
der Erwählung von Delegirten verhindert. Schon während der ersten
Sitzungen erhoben sich ernste Differenzen im Schooße der Versammlung,
von der einige Mitglieder Msg. Hilarion, andere einen gewissen Panaretus
zum Exarchen erwählen möchten. Auch über die Zulassung der macedoni-
schen Gemeinden brachen ernste Zwiste aus. Vor wenigen Tagen hat
schließlich die Pforte die Versammlung aufgelöst, und die bulgarische Kir-
chenfrage ist wieder in ein endloses Provisorium eingetreten.

Die orientalisch=katholischen Armenier haben am 26 Februar sich in
dem Erzbischof Vargardjian einen Patriarchen erwählt, nachdem sie den
Msg. Hassun für entsetzt erklärt hatten, und diese Wahl dem Großwessier
vorgelegt zur Bestätigung, welche nicht ausbleiben wird. Daud Pascha, der
eine Versöhnung der secedirenden Armenier mit den Hassunisten versuchen
sollte, ist in seinen Bemühungen vollständig gescheitert.

Die Heerschau in Villiers.

Ueber die große Heerschau welche der Kaiser über die bayerischen,
sächsischen und württembergischen Truppen vor Paris abgehalten hat, wird
der "Kr. Ztg." aus Villiers vom 7 März berichtet: "Auf denselben
Feldern welche in den letzten Tagen des Novembers und in den ersten des
Decembers v. J. Zeuge der blutigen Kämpfe gewesen, in denen der vor-
letzte nach Osten gerichtete Ausfall der Pariser Garnison von den an der

Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 75.
Donnerstag, 16 März 1871.

Verlag der J. G. Cotta 'schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.


[Beginn Spaltensatz]
Uebersicht.

Aus der Türkei -- Die Heerschau in Villiers. -- Deutsches Reich.
Berlin: Die Gebiets=Entschädigung an Bayern. Die rheinischen Städte
und der Kaiser. Prinz Wilhelm von Baden. Fürst Ypsilanti. Fürst
Lynar. Ein verwundeter Officier. Stichwahlen. Konstanz: Deutschen-
haß in der Schweiz. -- Oesterreichisch=ungarische Monarchie.
Wien: Zuspitzung des Conflicts zwischen Regierung und Reichsrath.
Die Recrutenfrage. Graf Andrassy. Ried: Verbot der Friedensfeier.
-- Verschiedenes. -- Jndustrie, Handel und Verkehr.



Aus der Türkei.

sym30 Pera, 3 März. Das Comit é welches seit länger als 12 Mo-
naten unter dem Vorsitze Kiamil Pascha's daran arbeitet die Grundlage
für ein wahrheitgetreues Budget herzurichten, ist endlich so weit fertig ge-
worden daß eine Publication zu erwarten steht. Als Endresultat wird
man, wie es heißt, ein Deficit von2 1 / 2 Millionen Pf. St., d. h. 18 Mill.
Thalern, eingestehen, statt 5 Mill. Pf. St., wie man noch in der vorigen
Woche versicherte. Wie man diesen anfänglichen ungünstigen Belauf bis
auf die Hälfte reducirt hat, weiß niemand zu sagen. Da während der
letzten 6 Jahre das gewöhnliche Deficit sich auf 3 Millionen belief, in der
Zwischenzeit jedoch weder der kaiserliche noch der Staats=Haushalt einge-
schränkt worden, dafür aber die für die Staatsschuld fälligen Zinsen sich
bedeutend vermehrt haben, so müßten ganz neue Einnahmequellen zum
Vorschein gekommen sein; es scheint als ob das Comit é die letztere Even-
tualität annehmen wolle, denn es rechnet auf einen bedeutend höheren Er-
trag der Zehnten und empfiehlt eine Erhöhung der Tabaksteuer. Nichts-
destoweniger glauben wir kaum daß das Gesammteinkommen mehr
als 16 Millionen betragen werde, von denen die Staatsschuld 7999 Mil-
lionen, Heer und Flotte 4 Millionen, Civilliste 2 Mill., Eisenbahngarantie
2 Millionen absorbiren, so daß für die übrige Staatsverwaltung nur
1 Million übrig bliebe. Das Comit é hat übrigens in allen Zweigen nam-
hafte Einschränkungen empfohlen. Die öffentlichen Arbeiten und Wege-
bauten, die nun doch einmal die Zukunft des Reichs sichern sollen, sind
beispielshaber von 7 Mill. Piaster auf 2 Millionen vermindert, wobei die
Commission vielleicht nicht unrecht hat. Da weder für 7 noch für 2 Mill.
etwas geschehen wird, so ist es entschieden besser für das Staatswohl daß
nur 2 Millionen in den Taschen der Betreffenden verschwinden, als 7 Mil-
lionen. Uebrigens handelt es sich bei dieser ganzen Budgetaufstellung
nur darum dem europäischen Publicum Sand in die Augen zu streuen und
bei den Geldmännern für das projectirte 12 Millionen=Anlehen die Wege
zu ebnen.

Was den Zwischenfall der ägyptisch=spanischen Differenz anlangt, so
hatte der Großwessier bis vor wenigen Tagen weder von dem Vorhanden-
sein noch den Ursachen Kenntniß des Conflicts; er verlangte daher sofort
vom Vicekönig Aufklärung über das Vorgefallene, und befahl ihm einst-
weilen seinerseits in dieser Angelegenheit nicht weiter vorzugehen. Aali
Pascha scheint diese Gelegenheit benutzen zu wollen um den europäischen
Vertretern zu bedeuten daß bei Conflicten mit den ägyptischen Behörden
nicht Kairo, sondern die Pforte das zuständige Forum sei. Daß der spa-
nische Consul bei seinem Auftreten die juridische Form so weit mißachtet,
unterliegt keinem Zweifel. Der Streit ist natürlich, wie es bei allen Pro-
cessen in Aegypten der Fall ist, höchst verächtlicher Natur. Aus Anlaß
einer Baumwollreinigungsmaschine hatten ägyptische Beamte sich einer
Willkür schuldig gemacht, und diesen Anlaß benutzte der in Rede stehende
spanische Unterthan, um mit Hülfe des Consulats eine exorbitante Ent-
schädigung zu verlangen, in diesem Fall 105,000 Pf. St., während der
reelle Verlust vielleicht nur 40--50 Pf. St. beträgt. Die besten Geschäfte
dieser Art machte seinerzeit Frankreich nicht nur mit Aegypten, sondern
vorzugsweise mit Tunis; da nun Frankreich augenblicklich seine civilisa-
torische Thätigkeit einstellen muß, so scheint es als ob jetzt Jtalien und
Spanien hierin fortfahren wollen.

Mit Griechenland findet wieder ein Notenwechsel in Sachen der
thessalischen Räuber statt. Jn einem an die Schutzmächte gerichteten
Rundschreiben beklagt sich die Pforte über den geringen Eifer Griechen-
lands diese Landplage zu unterdrücken, und zählt weitläufig die Erfolge
ihrer Truppen in Thessalien auf, welche nur deßhalb ohne Erfolg seien
weil bei den griechischen Truppen kein Entgegenkommen sei. Die „Turquie“
empfiehlt den Griechen bei dieser Gelegenheit wieder einmal ernsthaft an
Reformen zu denken, und sich an der Pforte ein Beispiel zu nehmen --[Spaltenumbruch]
quis tulerit Gracchos etc. Darin hat sie freilich Recht, wenn sie sich
dagegen verwahrt daß die Takos und Arvanitakis türkische Subjecte seien,
es sind jedenfalls echte Vollbluthellenen, welche „durch die türkische Knech-
tung zu Thieren geworden sind.“ Hr. Christopulos, Minister des Aeußern
in Athen, hat auf dieses Actenstück in einem langen Memorandum geant-
wortet, und erklärt daß die Straflosigkeit mit der diese griechischen Banden
ihr Wesen treiben, nur der mangelhaften Abgränzung der beiden Staaten
zuzuschreiben sei. Man brauche an Griechenland nur ein genügend großes
Stück von Thessalien abzutreten, so würden die griechischen Truppen auch
wirksamer gegen die Räuber operiren können.

Jn der rumänischen Frage läßt die Pforte officiös versichern daß sie
keine Truppen an der Donau zusammenziehen werde, was ja leicht als
eine Drohung ausgelegt werden könnte, sondern bei Schumla nur ein
Uebungslager für 25--30,000 Mann errichtet habe, welche für alle Even-
tualitäten in den Donaufürstenthümern ausreichend seien. Jm übrigen
bereitet sich die Pforte mit aller Energie auf die Ereignisse welche in näch-
ster Zukunft nicht ausbleiben können; sowohl im Norden als in Syrien,
Arabien und im Osten bereiten sich Dinge vor die zu einer Katastrophe
führen müssen. Jn den Werkstätten von Topchane, Zeitunburnu und den
süßen Wassern wird Tag und Nacht gearbeitet, die Torpedo=Fabrik, welche
ein ehemaliger amerikanischer Secessionistenofficier leitet, rastet nicht, und
die in Europa bestellten Mitrailleusen treffen allwöchentlich ein.

Ueber die Expedition nach Südarabien hat die „Turquie“ schon zwei-
mal Siegesnachrichten veröffentlicht, die aber aus der Luft gegriffen wa-
ren; in Wahrheit hat die Action noch gar nicht begonnen. Anstatt sich
an der Art und Weise wie England seine abessinische Expedition ausrüstete
ein Beispiel zu nehmen, hat die Pforte die Truppen über Hals und Kopf
abgeschickt ohne ihnen die nöthige Munition mitzugeben. Man sendet jetzt die
Munition nach; sobald diese in Jemen angelangt ist, werden inzwischen
die Lebensmittel ausgehen, und die Pforte muß alsdann diese nachschicken.
Ganz in derselben Weise ist es bisher allen Wüstenexpeditionen gegangen
welche die Pforte von Damaskus, Aleppo und Bagdad ausgesandt hat;
schließlich kehren die Truppen, nachdem sie durch Entbehrungen aller
Art decimirt worden, ohne Resultat in ihre alten Standquartiere zurück.
Schon jetzt spricht man in Stambul nicht mehr von dem mit so vielen
Eifer unternommenen Kriegszug.

Die Frage des bulgarischen Exarchats hatte vor wenigen Wochen den
griechischen Patriarchen veranlaßt in feierlicher Audienz vom Großwessier
die Ermächtigung zur Zusammenberufung eines Concils zu verlangen, um
die Frage endgültig zu entscheiden. Der Großwessier erwiederte ihm daß
es jedenfalls zweckmäßiger wäre wenn das Patriarchat die von der ge-
mischten Commission gemachten Vorschläge, vielleicht mit einigen Aende-
rungen, annehme. Der Patriarch seinerseits erklärte daß er im Falle der
Ablehnung eines Concils seine Entlassung einreichen müsse. Jnzwischen
hat das hiesige bulgarische Comit é aus allen Städten und Gemeinden eine
Delegirtenversammlung vereinigt, um über die Ordnung des neuen Exar-
chats zu berathen und einen Exarchen zu wählen. Einige macedonische Ge-
meinden, welche auch dem bulgarischen Exarchat beizutreten wünschten,
wurden durch Gewaltmaßregeln von Seiten der türkischen Behörden an
der Erwählung von Delegirten verhindert. Schon während der ersten
Sitzungen erhoben sich ernste Differenzen im Schooße der Versammlung,
von der einige Mitglieder Msg. Hilarion, andere einen gewissen Panaretus
zum Exarchen erwählen möchten. Auch über die Zulassung der macedoni-
schen Gemeinden brachen ernste Zwiste aus. Vor wenigen Tagen hat
schließlich die Pforte die Versammlung aufgelöst, und die bulgarische Kir-
chenfrage ist wieder in ein endloses Provisorium eingetreten.

Die orientalisch=katholischen Armenier haben am 26 Februar sich in
dem Erzbischof Vargardjian einen Patriarchen erwählt, nachdem sie den
Msg. Hassun für entsetzt erklärt hatten, und diese Wahl dem Großwessier
vorgelegt zur Bestätigung, welche nicht ausbleiben wird. Daud Pascha, der
eine Versöhnung der secedirenden Armenier mit den Hassunisten versuchen
sollte, ist in seinen Bemühungen vollständig gescheitert.

Die Heerschau in Villiers.

Ueber die große Heerschau welche der Kaiser über die bayerischen,
sächsischen und württembergischen Truppen vor Paris abgehalten hat, wird
der „Kr. Ztg.“ aus Villiers vom 7 März berichtet: „Auf denselben
Feldern welche in den letzten Tagen des Novembers und in den ersten des
Decembers v. J. Zeuge der blutigen Kämpfe gewesen, in denen der vor-
letzte nach Osten gerichtete Ausfall der Pariser Garnison von den an der

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[0009] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 75. Donnerstag, 16 März 1871. Verlag der J. G. Cotta 'schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen. Uebersicht. Aus der Türkei -- Die Heerschau in Villiers. -- Deutsches Reich. Berlin: Die Gebiets=Entschädigung an Bayern. Die rheinischen Städte und der Kaiser. Prinz Wilhelm von Baden. Fürst Ypsilanti. Fürst Lynar. Ein verwundeter Officier. Stichwahlen. Konstanz: Deutschen- haß in der Schweiz. -- Oesterreichisch=ungarische Monarchie. Wien: Zuspitzung des Conflicts zwischen Regierung und Reichsrath. Die Recrutenfrage. Graf Andrassy. Ried: Verbot der Friedensfeier. -- Verschiedenes. -- Jndustrie, Handel und Verkehr. Aus der Türkei. sym30 Pera, 3 März. Das Comit é welches seit länger als 12 Mo- naten unter dem Vorsitze Kiamil Pascha's daran arbeitet die Grundlage für ein wahrheitgetreues Budget herzurichten, ist endlich so weit fertig ge- worden daß eine Publication zu erwarten steht. Als Endresultat wird man, wie es heißt, ein Deficit von2 1 / 2 Millionen Pf. St., d. h. 18 Mill. Thalern, eingestehen, statt 5 Mill. Pf. St., wie man noch in der vorigen Woche versicherte. Wie man diesen anfänglichen ungünstigen Belauf bis auf die Hälfte reducirt hat, weiß niemand zu sagen. Da während der letzten 6 Jahre das gewöhnliche Deficit sich auf 3 Millionen belief, in der Zwischenzeit jedoch weder der kaiserliche noch der Staats=Haushalt einge- schränkt worden, dafür aber die für die Staatsschuld fälligen Zinsen sich bedeutend vermehrt haben, so müßten ganz neue Einnahmequellen zum Vorschein gekommen sein; es scheint als ob das Comit é die letztere Even- tualität annehmen wolle, denn es rechnet auf einen bedeutend höheren Er- trag der Zehnten und empfiehlt eine Erhöhung der Tabaksteuer. Nichts- destoweniger glauben wir kaum daß das Gesammteinkommen mehr als 16 Millionen betragen werde, von denen die Staatsschuld 7999 Mil- lionen, Heer und Flotte 4 Millionen, Civilliste 2 Mill., Eisenbahngarantie 2 Millionen absorbiren, so daß für die übrige Staatsverwaltung nur 1 Million übrig bliebe. Das Comit é hat übrigens in allen Zweigen nam- hafte Einschränkungen empfohlen. Die öffentlichen Arbeiten und Wege- bauten, die nun doch einmal die Zukunft des Reichs sichern sollen, sind beispielshaber von 7 Mill. Piaster auf 2 Millionen vermindert, wobei die Commission vielleicht nicht unrecht hat. Da weder für 7 noch für 2 Mill. etwas geschehen wird, so ist es entschieden besser für das Staatswohl daß nur 2 Millionen in den Taschen der Betreffenden verschwinden, als 7 Mil- lionen. Uebrigens handelt es sich bei dieser ganzen Budgetaufstellung nur darum dem europäischen Publicum Sand in die Augen zu streuen und bei den Geldmännern für das projectirte 12 Millionen=Anlehen die Wege zu ebnen. Was den Zwischenfall der ägyptisch=spanischen Differenz anlangt, so hatte der Großwessier bis vor wenigen Tagen weder von dem Vorhanden- sein noch den Ursachen Kenntniß des Conflicts; er verlangte daher sofort vom Vicekönig Aufklärung über das Vorgefallene, und befahl ihm einst- weilen seinerseits in dieser Angelegenheit nicht weiter vorzugehen. Aali Pascha scheint diese Gelegenheit benutzen zu wollen um den europäischen Vertretern zu bedeuten daß bei Conflicten mit den ägyptischen Behörden nicht Kairo, sondern die Pforte das zuständige Forum sei. Daß der spa- nische Consul bei seinem Auftreten die juridische Form so weit mißachtet, unterliegt keinem Zweifel. Der Streit ist natürlich, wie es bei allen Pro- cessen in Aegypten der Fall ist, höchst verächtlicher Natur. Aus Anlaß einer Baumwollreinigungsmaschine hatten ägyptische Beamte sich einer Willkür schuldig gemacht, und diesen Anlaß benutzte der in Rede stehende spanische Unterthan, um mit Hülfe des Consulats eine exorbitante Ent- schädigung zu verlangen, in diesem Fall 105,000 Pf. St., während der reelle Verlust vielleicht nur 40--50 Pf. St. beträgt. Die besten Geschäfte dieser Art machte seinerzeit Frankreich nicht nur mit Aegypten, sondern vorzugsweise mit Tunis; da nun Frankreich augenblicklich seine civilisa- torische Thätigkeit einstellen muß, so scheint es als ob jetzt Jtalien und Spanien hierin fortfahren wollen. Mit Griechenland findet wieder ein Notenwechsel in Sachen der thessalischen Räuber statt. Jn einem an die Schutzmächte gerichteten Rundschreiben beklagt sich die Pforte über den geringen Eifer Griechen- lands diese Landplage zu unterdrücken, und zählt weitläufig die Erfolge ihrer Truppen in Thessalien auf, welche nur deßhalb ohne Erfolg seien weil bei den griechischen Truppen kein Entgegenkommen sei. Die „Turquie“ empfiehlt den Griechen bei dieser Gelegenheit wieder einmal ernsthaft an Reformen zu denken, und sich an der Pforte ein Beispiel zu nehmen -- quis tulerit Gracchos etc. Darin hat sie freilich Recht, wenn sie sich dagegen verwahrt daß die Takos und Arvanitakis türkische Subjecte seien, es sind jedenfalls echte Vollbluthellenen, welche „durch die türkische Knech- tung zu Thieren geworden sind.“ Hr. Christopulos, Minister des Aeußern in Athen, hat auf dieses Actenstück in einem langen Memorandum geant- wortet, und erklärt daß die Straflosigkeit mit der diese griechischen Banden ihr Wesen treiben, nur der mangelhaften Abgränzung der beiden Staaten zuzuschreiben sei. Man brauche an Griechenland nur ein genügend großes Stück von Thessalien abzutreten, so würden die griechischen Truppen auch wirksamer gegen die Räuber operiren können. Jn der rumänischen Frage läßt die Pforte officiös versichern daß sie keine Truppen an der Donau zusammenziehen werde, was ja leicht als eine Drohung ausgelegt werden könnte, sondern bei Schumla nur ein Uebungslager für 25--30,000 Mann errichtet habe, welche für alle Even- tualitäten in den Donaufürstenthümern ausreichend seien. Jm übrigen bereitet sich die Pforte mit aller Energie auf die Ereignisse welche in näch- ster Zukunft nicht ausbleiben können; sowohl im Norden als in Syrien, Arabien und im Osten bereiten sich Dinge vor die zu einer Katastrophe führen müssen. Jn den Werkstätten von Topchane, Zeitunburnu und den süßen Wassern wird Tag und Nacht gearbeitet, die Torpedo=Fabrik, welche ein ehemaliger amerikanischer Secessionistenofficier leitet, rastet nicht, und die in Europa bestellten Mitrailleusen treffen allwöchentlich ein. Ueber die Expedition nach Südarabien hat die „Turquie“ schon zwei- mal Siegesnachrichten veröffentlicht, die aber aus der Luft gegriffen wa- ren; in Wahrheit hat die Action noch gar nicht begonnen. Anstatt sich an der Art und Weise wie England seine abessinische Expedition ausrüstete ein Beispiel zu nehmen, hat die Pforte die Truppen über Hals und Kopf abgeschickt ohne ihnen die nöthige Munition mitzugeben. Man sendet jetzt die Munition nach; sobald diese in Jemen angelangt ist, werden inzwischen die Lebensmittel ausgehen, und die Pforte muß alsdann diese nachschicken. Ganz in derselben Weise ist es bisher allen Wüstenexpeditionen gegangen welche die Pforte von Damaskus, Aleppo und Bagdad ausgesandt hat; schließlich kehren die Truppen, nachdem sie durch Entbehrungen aller Art decimirt worden, ohne Resultat in ihre alten Standquartiere zurück. Schon jetzt spricht man in Stambul nicht mehr von dem mit so vielen Eifer unternommenen Kriegszug. Die Frage des bulgarischen Exarchats hatte vor wenigen Wochen den griechischen Patriarchen veranlaßt in feierlicher Audienz vom Großwessier die Ermächtigung zur Zusammenberufung eines Concils zu verlangen, um die Frage endgültig zu entscheiden. Der Großwessier erwiederte ihm daß es jedenfalls zweckmäßiger wäre wenn das Patriarchat die von der ge- mischten Commission gemachten Vorschläge, vielleicht mit einigen Aende- rungen, annehme. Der Patriarch seinerseits erklärte daß er im Falle der Ablehnung eines Concils seine Entlassung einreichen müsse. Jnzwischen hat das hiesige bulgarische Comit é aus allen Städten und Gemeinden eine Delegirtenversammlung vereinigt, um über die Ordnung des neuen Exar- chats zu berathen und einen Exarchen zu wählen. Einige macedonische Ge- meinden, welche auch dem bulgarischen Exarchat beizutreten wünschten, wurden durch Gewaltmaßregeln von Seiten der türkischen Behörden an der Erwählung von Delegirten verhindert. Schon während der ersten Sitzungen erhoben sich ernste Differenzen im Schooße der Versammlung, von der einige Mitglieder Msg. Hilarion, andere einen gewissen Panaretus zum Exarchen erwählen möchten. Auch über die Zulassung der macedoni- schen Gemeinden brachen ernste Zwiste aus. Vor wenigen Tagen hat schließlich die Pforte die Versammlung aufgelöst, und die bulgarische Kir- chenfrage ist wieder in ein endloses Provisorium eingetreten. Die orientalisch=katholischen Armenier haben am 26 Februar sich in dem Erzbischof Vargardjian einen Patriarchen erwählt, nachdem sie den Msg. Hassun für entsetzt erklärt hatten, und diese Wahl dem Großwessier vorgelegt zur Bestätigung, welche nicht ausbleiben wird. Daud Pascha, der eine Versöhnung der secedirenden Armenier mit den Hassunisten versuchen sollte, ist in seinen Bemühungen vollständig gescheitert. Die Heerschau in Villiers. Ueber die große Heerschau welche der Kaiser über die bayerischen, sächsischen und württembergischen Truppen vor Paris abgehalten hat, wird der „Kr. Ztg.“ aus Villiers vom 7 März berichtet: „Auf denselben Feldern welche in den letzten Tagen des Novembers und in den ersten des Decembers v. J. Zeuge der blutigen Kämpfe gewesen, in denen der vor- letzte nach Osten gerichtete Ausfall der Pariser Garnison von den an der

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  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg (Bayern), 16. März 1871, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg75_1871/9>, abgerufen am 21.11.2024.