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Badener Zeitung. Nr. 95, Baden (Niederösterreich), 25.11.1896.

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Badener Zeitung
(vormals Badener Bezirks-Blatt).

Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig fl 1·25, halbjährig fl. 2.50, ganzjährig fl. 5.--. Mit Zustellung ins Haus Baden: Vierteljährig fl. 1.50, halbjährig fl. 3.--
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8 kr. -- Inserate
werden per 80 mm breite Petitzeile mit 8 kr. für die erste, und mit 7 kr. für fünf nacheinander folgende Einschaltungen berechnet, größere Aufträge nach Ueber-
einkommen und können auch durch die bestehenden Annoncen-Bureaux an die Administration gerichtet werden. -- Interessante Mittheilungen, Notizen und Correspon-
denzen werden nach Uebereinkunft honorirt. Manuscripte werden nicht zurückgestellt.
[Abbildung] Erscheint Mittwoch und Samstag früh. [Abbildung]
(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage "Illustrirtes Unterhaltungsblatt".)




Nr. 95. Mittwoch den 25. November 1896. 16. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Politische Uebersicht.

Den politischen Parteien Oesterreichs ist
Sonntag ein Licht aufgesteckt worden über den
"neuen Curs" der Regierung. War schon der
berüchtigte Salzburger Katholikentag danach an-
geth an, den clericalen Zug, von dem sich die
Regierung des Grafen Badeni leiten läßt, ziem-
lich unverhüllt hervortreten zu lassen, der vorige
Sonntag hat den vollgiltigen Beweis erbracht
für die Thatsache, daß Graf Badeni mit vollen
Segeln ins clericale Lager steuert, ja, daß er
sich bereits längst in dessen Mitte befindet. Dem
Bezirkshauptmanne von Feldkirch in Vorarlberg
und dem Landeshauptmanne dieses Landes war
es vorbehalten, in dieser Sache volle Klarheit zu
schaffen. Gelegentlich der constituirenden Ver-
sammlung eines katholischen Lehrervereines be-
grüßte auch Bezirkshauptmann Graf Schaffgotsch
den Verein namens der Regierung. Zuvörderst
bedauerte er, daß unsere gegenwärtigen parla-
mentarischen Verhältnisse die sofortige Einführung
der confessionellen Schule nicht gestatten. Nach-
dem es aber als unumstößlich anerkannt sei, daß
das Leben der Staatsbürger auf derjenigen Re-
ligion aufgebaut sein müsse, welche die herrschende
im Staate ist, so empfiehlt der Vertreter der
Regierung bis auf Weiteres die Erreichung dieses
Zieles auf anderem Wege, auf welchem den heute
geltenden Staatsgrundgesetzen viel wirksamer be-
gegnet werden kann, als auf dem offenen und
ehrlichen Wege der parlamentarischen Action,
nämlich durch die "private Vereinigung", das ist
die Gründung von katholischen Lehrervereinen ...
Der Vertreter der Regierung beeilt sich aber,
hinzuzufügen, "daß gegenwärtig die Regierung
jedenfalls nicht auf einem Standpunkte stehe,
welcher den clericalen Bestrebungen feindselig
wäre, und wenn es früher Zeiten gegeben habe,
wo feindselige Strömungen herrschten, so seien
diese Zeiten glücklicherweise vorüber und es
werde den katholischen Lehrern kein Hinderniß
mehr in den Weg gelegt werden, um das zu er-
[Spaltenumbruch] reichen, was sie wünschen". Wie verständnißinnig
diese Worte gleich an Ort und Stelle aufgefaßt
wurden, zeigt die darauffolgende Rede des Landes-
hauptmannes Grafen Rhomberg, welcher es be-
grüßte, daß der Bezirkshauptmann in so beredter
Weise den Standpunkt seiner eigenen Person,
sowie den der Staatsregierung zum Ausdrucke
gebracht habe, und bemerkte, es müsse das die
Clericalen ermuthigen, auf dem betretenen Wege
auszuharren, denn die Verhältnisse hätten sich
heute wesentlich geändert und man sehe nun auch
in Regierungskreisen ein, zu welchen Consequenzen
der Liberalismus führe. -- Wir glauben, daß
mehr zu sagen, absolut nicht mehr nothwendig
ist. Die Vereinigte Linke hat seinerzeit die Re-
gierung wegen der Rede Thun's auf dem Salz-
burger Katholikentage interpellirt und eine Ant-
wort erhalten, die gerade keine erbauliche genannt
werden kann. Die Ereignisse vom vorigen Sonntag
in Vorarlberg machen jede weitere Erörterung
über die letzten Ziele der Regierung Badeni's
überflüssig, und die Partei, welche jetzt noch über
ihr ferneres Verhalten dieser Regierung gegen-
über tiefsinnige Betrachtungen anstellen wollte,
würde sich einfach tödtlich lächerlich machen. Für
die Liberalen Oesterreichs gibt es fürderhin nur
mehr eine einzige Parole: Kampf um jeden Preis
gegen diese Regierung!

In Wien hätte Samstag eine Ehrenbeleidi-
gungs-Verhandlung gegen den Bürgermeister
Strobach stattfinden sollen zwecks Behandlung
dreier Ehrverletzungsfälle, welche sich dieser zu
Schulden hatte kommen lassen. Der Magistrats-
diurnist Sepper, welchen Strobach einen Lügner
genannt hatte, und ein Einspännerkutscher, welcher
von dem Oberhaupte der Stadt Wien mit dem
Kosenamen "besoffener Schweinkerl" belegt worden
war, hatten die Klage angestrengt und eine Reihe
von Zeugen geführt. Aber weder diese, noch der
Angeklagte waren erschienen. Der Richter ver-
urtheilte die nicht erschienenen Zeugen zu Geld-
bußen und vertagte behufs abermaliger Vorladung
des Angeklagten die Verhandlung. Gespannten
Blickes darf man diese Angelegenheit verfolgen.
[Spaltenumbruch] Wenn es wahr sein sollte, daß die Vertagung
der Verhandlung so lange währen soll, bis der
Landtag einberufen und Strobach alsdann vor
jeder gerichtlichen Verfolgung geschützt ist, dann
ist das öffentliche Rechtsbewußtsein schwer er-
schüttert. Wir können Derartiges aber von unseren
Richtern nicht glauben; wir vermögen es leicht
zu fassen, daß der Beleidiger sich hinter seiner
Immunität versteckt und in diesem Beginnen von
seiner Clique, welche ja im Landtage die Majorität
hat, verständnißinnig unterstützt wird, aber was
wir nicht glauben können, das ist, daß sich der
Arm der Gerechtigkeit dazu hergibt, dem Rechts-
gefühle aller anständigen Leute in dieser Weise
Halt zu gebieten.

Das Abgeordnetenhaus ist in die Berathung
der Gesetzt über die Regulirung der Beamten-
gehalte eingetreten, und man darf gespannt sein,
wie sich diese Angelegenheit angesichts der ab-
lehnenden Haltung der Regierung abwickeln wird.

Das Herrenhaus hat alle auf seiner Tages-
ordnung gestandenen Gesetze erledigt und damit
eine der bedeutendsten Reformactionen abge-
schlossen.




Parlamentarische Schrecken-
berger.

Nachdem sie Versammlungen gesprengt, den
Gemeinderath, den Landtag mit ihrem Geschrei
terrorisirt haben, versuchen die Herren Antisemiten
ihre Schreckenbergerei auch in den Reichsrath zu
übertragen. Verleumdung und Verdächtigung und
schließlich Vergewaltigung, das ist ihr parla-
mentarisches System. Der Abgeordnete Noske
hat den antisemitischen Murat's, Danton's und
Robespierre's einmal die Wahrheit gesagt. Er
wies die gegen ihn, weil er Versicherungsbeamter
ist, vorgebrachten Verdächtigungen mit Verachtung
zurück, sagte aber dem Dr. Lueger, Steiner u. s. w.
ins Gesicht, daß jeder bürgerliche Beruf ehren-
voller ist, als der eines politischen Agitators, der
mit Gesinnungen aller Art hausiren geht, so lange




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Wie man auf Erden zu einer
Frau kommt.

(Nachdruck verboten.)

Unendlich verschieden bei den gesitteten Völkern
ist die Art und Weise, wie der Mann sich seine
Lebensgefährtiu erwählt. Hier redet inmitten der
lauten Gesellschaft ein stummer, heißer Blick, dort
girren die Liebenden unter blühendem Busch mit-
einander, und während in einem Falle die Väter
und Mütter oder alten Tanten die Geschicke zweier
Menschen zusammenknoten, sucht und findet man
sich im anderen Falle "auf dem nicht mehr unge-
wöhnlichen Wege" der Zeitungsannonce oder durch
den Heiratsvermittler. In einem Punkte aber laufen
alle diese verschiedenen Wege wieder zusammen; sind
die beiden, auf welche es ankommt, einig geworden,
dann erscheint eines Tages der schüchterne Werber
im Frack und Cylinder bei den Eltern seiner Er-
korenen, um deren Jawort und Segen zu erbitten.
Und dann nimmt die Sache erst recht den bekannten
Verlauf: Glückliche Brautzeit, fröhliche Hochzeit,
selige Flitterwochen, allmälige Abkühlung und
schließlich das ewige Einerlei des Ehejochs, bis
[Spaltenumbruch] endlich der Tod den Schlußpunkt hinter das setzt,
was die Dichter so gern den Roman des Lebens
nennen.

Betrachtet man aber die weniger oder gar nicht
civilisirten Völkerschaften, so findet man dort eine
ganz andere Auffassung von der Stellung des Weibes
und damit zugleich auch einen anderen Werbungs-
modus um dasselbe. Es gibt Volksstämme, wie z. B.
einige Indianerstämme Amerikas, welche das Weib
als ein Eigenthum betrachten, und bei ihnen wird
das Weib durch Wettkampf gewounen oder durch
irgend eine Kraftleistung. Bei solcher Werbungs-
weise ist es allerdings um die schwächeren Männer
schlecht bestellt; sie müssen entweder ohne Frauen
fertig zu werden suchen, oder diejenigen nehmen, die
sonst niemand mag.

Vor Allem sind es drei Arten des Frauen-
erwerbes, die seit den ältesten Zeiten in der Geschichte
der Menschheit hervortreten und sich bis auf den
heutigen Tag erhalten haben: Der Frauenraub, das
Dienen um die Braut und der Brautkauf.

Der Raub der Sabinerinnen beweist, daß der
Frauenraub schon im grauen Alterthum existirte;
dasselbe beweist auch der Raub der schönen Helena.
Auf dieselbe Weise verschaffen sich heute noch manche
Völkerschaften ihre Frauen. Ueberhaupt muß diese
Art des Frauenerwerbes früher viel verbreiteter
gewesen sein. Dafür spricht am besten der Umstand,
daß bei einer ganzen Reihe von Völkern noch heute
[Spaltenumbruch] der scheinbare Raub die symbolische Form der Ehe-
schließung ist. So ist dies z. B. noch heute der Fall
auf Neu-Guinea, in Indien, bei den Mongolen, bei
sibirischen Völkerschaften, den Beduinen, den Völkern
des Kaukasus, und bei verschiedenen afrikanischen
Stämmen.

Die Sitte, durch Dienst bei den Schwieger-
eltern die Zukünftige zu erwerben, ist ebenfalls seit
uralten Zeiten bis auf den heutigen Tag gebräuchlich.
Diente doch schon Jakob um Lea und Rahel vierzehn
Jahre, und wurde David für seine Kriegsjahre mit
der Hand von Saul's schöner Tochter Michal belohnt.
Wie damals ist es noch heute bei vielen wilden
Völkern Gebrauch, sich das Weib zu erdienen. So
ist also der Dienst des Mannes in der Familie der
Frau ein Entgelt für die Frau selber, welche ihm
nach Ablauf der Dienstzeit in seine Hütte folgen muß.

Der Grundgedanke, auf dem diese Auffassung
beruht, ist nämlich der, das Weib als eine Ware
zu betrachten, welche jeder für einen näher zu be-
stimmenden Preis zu erwerben berechtigt ist, und
daraus bildete sich naturgemäß die dritte, weit-
verbreitete Erwerbungsform der Braut, der Braut-
kauf, welcher bei allen Völkerschaften der Erde auf
einer bestimmten Entwickelungsstufe gebräuchlich ge-
wesen sein dürfte. Es kann daher nicht überraschen,
daß derselbe noch heute ungemein verbreitet ist.




Badener Zeitung
(vormals Badener Bezirks-Blatt).

Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig fl 1·25, halbjährig fl. 2.50, ganzjährig fl. 5.—. Mit Zuſtellung ins Haus Baden: Vierteljährig fl. 1.50, halbjährig fl. 3.—
ganzjährig fl. 6 —. Oeſterreich-Ungarn: Mit Zuſendung vierteljährig fl. 1.65, halbjährig fl. 3.25, ganzjährig fl. 6.50. Einzelne Mittwoch-Nummer 6 kr., Samstag-Nummer
8 kr. — Inſerate
werden per 80 mm breite Petitzeile mit 8 kr. für die erſte, und mit 7 kr. für fünf nacheinander folgende Einſchaltungen berechnet, größere Aufträge nach Ueber-
einkommen und können auch durch die beſtehenden Annoncen-Bureaux an die Adminiſtration gerichtet werden. — Intereſſante Mittheilungen, Notizen und Correſpon-
denzen werden nach Uebereinkunft honorirt. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt.
[Abbildung] Erſcheint Mittwoch und Samstag früh. [Abbildung]
(Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage „Illuſtrirtes Unterhaltungsblatt“.)




Nr. 95. Mittwoch den 25. November 1896. 16. Jahrg.


[Spaltenumbruch]
Politiſche Ueberſicht.

Den politiſchen Parteien Oeſterreichs iſt
Sonntag ein Licht aufgeſteckt worden über den
„neuen Curs“ der Regierung. War ſchon der
berüchtigte Salzburger Katholikentag danach an-
geth an, den clericalen Zug, von dem ſich die
Regierung des Grafen Badeni leiten läßt, ziem-
lich unverhüllt hervortreten zu laſſen, der vorige
Sonntag hat den vollgiltigen Beweis erbracht
für die Thatſache, daß Graf Badeni mit vollen
Segeln ins clericale Lager ſteuert, ja, daß er
ſich bereits längſt in deſſen Mitte befindet. Dem
Bezirkshauptmanne von Feldkirch in Vorarlberg
und dem Landeshauptmanne dieſes Landes war
es vorbehalten, in dieſer Sache volle Klarheit zu
ſchaffen. Gelegentlich der conſtituirenden Ver-
ſammlung eines katholiſchen Lehrervereines be-
grüßte auch Bezirkshauptmann Graf Schaffgotſch
den Verein namens der Regierung. Zuvörderſt
bedauerte er, daß unſere gegenwärtigen parla-
mentariſchen Verhältniſſe die ſofortige Einführung
der confeſſionellen Schule nicht geſtatten. Nach-
dem es aber als unumſtößlich anerkannt ſei, daß
das Leben der Staatsbürger auf derjenigen Re-
ligion aufgebaut ſein müſſe, welche die herrſchende
im Staate iſt, ſo empfiehlt der Vertreter der
Regierung bis auf Weiteres die Erreichung dieſes
Zieles auf anderem Wege, auf welchem den heute
geltenden Staatsgrundgeſetzen viel wirkſamer be-
gegnet werden kann, als auf dem offenen und
ehrlichen Wege der parlamentariſchen Action,
nämlich durch die „private Vereinigung“, das iſt
die Gründung von katholiſchen Lehrervereinen ...
Der Vertreter der Regierung beeilt ſich aber,
hinzuzufügen, „daß gegenwärtig die Regierung
jedenfalls nicht auf einem Standpunkte ſtehe,
welcher den clericalen Beſtrebungen feindſelig
wäre, und wenn es früher Zeiten gegeben habe,
wo feindſelige Strömungen herrſchten, ſo ſeien
dieſe Zeiten glücklicherweiſe vorüber und es
werde den katholiſchen Lehrern kein Hinderniß
mehr in den Weg gelegt werden, um das zu er-
[Spaltenumbruch] reichen, was ſie wünſchen“. Wie verſtändnißinnig
dieſe Worte gleich an Ort und Stelle aufgefaßt
wurden, zeigt die darauffolgende Rede des Landes-
hauptmannes Grafen Rhomberg, welcher es be-
grüßte, daß der Bezirkshauptmann in ſo beredter
Weiſe den Standpunkt ſeiner eigenen Perſon,
ſowie den der Staatsregierung zum Ausdrucke
gebracht habe, und bemerkte, es müſſe das die
Clericalen ermuthigen, auf dem betretenen Wege
auszuharren, denn die Verhältniſſe hätten ſich
heute weſentlich geändert und man ſehe nun auch
in Regierungskreiſen ein, zu welchen Conſequenzen
der Liberalismus führe. — Wir glauben, daß
mehr zu ſagen, abſolut nicht mehr nothwendig
iſt. Die Vereinigte Linke hat ſeinerzeit die Re-
gierung wegen der Rede Thun’s auf dem Salz-
burger Katholikentage interpellirt und eine Ant-
wort erhalten, die gerade keine erbauliche genannt
werden kann. Die Ereigniſſe vom vorigen Sonntag
in Vorarlberg machen jede weitere Erörterung
über die letzten Ziele der Regierung Badeni’s
überflüſſig, und die Partei, welche jetzt noch über
ihr ferneres Verhalten dieſer Regierung gegen-
über tiefſinnige Betrachtungen anſtellen wollte,
würde ſich einfach tödtlich lächerlich machen. Für
die Liberalen Oeſterreichs gibt es fürderhin nur
mehr eine einzige Parole: Kampf um jeden Preis
gegen dieſe Regierung!

In Wien hätte Samstag eine Ehrenbeleidi-
gungs-Verhandlung gegen den Bürgermeiſter
Strobach ſtattfinden ſollen zwecks Behandlung
dreier Ehrverletzungsfälle, welche ſich dieſer zu
Schulden hatte kommen laſſen. Der Magiſtrats-
diurniſt Sepper, welchen Strobach einen Lügner
genannt hatte, und ein Einſpännerkutſcher, welcher
von dem Oberhaupte der Stadt Wien mit dem
Koſenamen „beſoffener Schweinkerl“ belegt worden
war, hatten die Klage angeſtrengt und eine Reihe
von Zeugen geführt. Aber weder dieſe, noch der
Angeklagte waren erſchienen. Der Richter ver-
urtheilte die nicht erſchienenen Zeugen zu Geld-
bußen und vertagte behufs abermaliger Vorladung
des Angeklagten die Verhandlung. Geſpannten
Blickes darf man dieſe Angelegenheit verfolgen.
[Spaltenumbruch] Wenn es wahr ſein ſollte, daß die Vertagung
der Verhandlung ſo lange währen ſoll, bis der
Landtag einberufen und Strobach alsdann vor
jeder gerichtlichen Verfolgung geſchützt iſt, dann
iſt das öffentliche Rechtsbewußtſein ſchwer er-
ſchüttert. Wir können Derartiges aber von unſeren
Richtern nicht glauben; wir vermögen es leicht
zu faſſen, daß der Beleidiger ſich hinter ſeiner
Immunität verſteckt und in dieſem Beginnen von
ſeiner Clique, welche ja im Landtage die Majorität
hat, verſtändnißinnig unterſtützt wird, aber was
wir nicht glauben können, das iſt, daß ſich der
Arm der Gerechtigkeit dazu hergibt, dem Rechts-
gefühle aller anſtändigen Leute in dieſer Weiſe
Halt zu gebieten.

Das Abgeordnetenhaus iſt in die Berathung
der Geſetzt über die Regulirung der Beamten-
gehalte eingetreten, und man darf geſpannt ſein,
wie ſich dieſe Angelegenheit angeſichts der ab-
lehnenden Haltung der Regierung abwickeln wird.

Das Herrenhaus hat alle auf ſeiner Tages-
ordnung geſtandenen Geſetze erledigt und damit
eine der bedeutendſten Reformactionen abge-
ſchloſſen.




Parlamentariſche Schrecken-
berger.

Nachdem ſie Verſammlungen geſprengt, den
Gemeinderath, den Landtag mit ihrem Geſchrei
terroriſirt haben, verſuchen die Herren Antiſemiten
ihre Schreckenbergerei auch in den Reichsrath zu
übertragen. Verleumdung und Verdächtigung und
ſchließlich Vergewaltigung, das iſt ihr parla-
mentariſches Syſtem. Der Abgeordnete Noske
hat den antiſemitiſchen Murat’s, Danton’s und
Robespierre’s einmal die Wahrheit geſagt. Er
wies die gegen ihn, weil er Verſicherungsbeamter
iſt, vorgebrachten Verdächtigungen mit Verachtung
zurück, ſagte aber dem Dr. Lueger, Steiner u. ſ. w.
ins Geſicht, daß jeder bürgerliche Beruf ehren-
voller iſt, als der eines politiſchen Agitators, der
mit Geſinnungen aller Art hauſiren geht, ſo lange




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Wie man auf Erden zu einer
Frau kommt.

(Nachdruck verboten.)

Unendlich verſchieden bei den geſitteten Völkern
iſt die Art und Weiſe, wie der Mann ſich ſeine
Lebensgefährtiu erwählt. Hier redet inmitten der
lauten Geſellſchaft ein ſtummer, heißer Blick, dort
girren die Liebenden unter blühendem Buſch mit-
einander, und während in einem Falle die Väter
und Mütter oder alten Tanten die Geſchicke zweier
Menſchen zuſammenknoten, ſucht und findet man
ſich im anderen Falle „auf dem nicht mehr unge-
wöhnlichen Wege“ der Zeitungsannonce oder durch
den Heiratsvermittler. In einem Punkte aber laufen
alle dieſe verſchiedenen Wege wieder zuſammen; ſind
die beiden, auf welche es ankommt, einig geworden,
dann erſcheint eines Tages der ſchüchterne Werber
im Frack und Cylinder bei den Eltern ſeiner Er-
korenen, um deren Jawort und Segen zu erbitten.
Und dann nimmt die Sache erſt recht den bekannten
Verlauf: Glückliche Brautzeit, fröhliche Hochzeit,
ſelige Flitterwochen, allmälige Abkühlung und
ſchließlich das ewige Einerlei des Ehejochs, bis
[Spaltenumbruch] endlich der Tod den Schlußpunkt hinter das ſetzt,
was die Dichter ſo gern den Roman des Lebens
nennen.

Betrachtet man aber die weniger oder gar nicht
civiliſirten Völkerſchaften, ſo findet man dort eine
ganz andere Auffaſſung von der Stellung des Weibes
und damit zugleich auch einen anderen Werbungs-
modus um dasſelbe. Es gibt Volksſtämme, wie z. B.
einige Indianerſtämme Amerikas, welche das Weib
als ein Eigenthum betrachten, und bei ihnen wird
das Weib durch Wettkampf gewounen oder durch
irgend eine Kraftleiſtung. Bei ſolcher Werbungs-
weiſe iſt es allerdings um die ſchwächeren Männer
ſchlecht beſtellt; ſie müſſen entweder ohne Frauen
fertig zu werden ſuchen, oder diejenigen nehmen, die
ſonſt niemand mag.

Vor Allem ſind es drei Arten des Frauen-
erwerbes, die ſeit den älteſten Zeiten in der Geſchichte
der Menſchheit hervortreten und ſich bis auf den
heutigen Tag erhalten haben: Der Frauenraub, das
Dienen um die Braut und der Brautkauf.

Der Raub der Sabinerinnen beweist, daß der
Frauenraub ſchon im grauen Alterthum exiſtirte;
dasſelbe beweist auch der Raub der ſchönen Helena.
Auf dieſelbe Weiſe verſchaffen ſich heute noch manche
Völkerſchaften ihre Frauen. Ueberhaupt muß dieſe
Art des Frauenerwerbes früher viel verbreiteter
geweſen ſein. Dafür ſpricht am beſten der Umſtand,
daß bei einer ganzen Reihe von Völkern noch heute
[Spaltenumbruch] der ſcheinbare Raub die ſymboliſche Form der Ehe-
ſchließung iſt. So iſt dies z. B. noch heute der Fall
auf Neu-Guinea, in Indien, bei den Mongolen, bei
ſibiriſchen Völkerſchaften, den Beduinen, den Völkern
des Kaukaſus, und bei verſchiedenen afrikaniſchen
Stämmen.

Die Sitte, durch Dienſt bei den Schwieger-
eltern die Zukünftige zu erwerben, iſt ebenfalls ſeit
uralten Zeiten bis auf den heutigen Tag gebräuchlich.
Diente doch ſchon Jakob um Lea und Rahel vierzehn
Jahre, und wurde David für ſeine Kriegsjahre mit
der Hand von Saul’s ſchöner Tochter Michal belohnt.
Wie damals iſt es noch heute bei vielen wilden
Völkern Gebrauch, ſich das Weib zu erdienen. So
iſt alſo der Dienſt des Mannes in der Familie der
Frau ein Entgelt für die Frau ſelber, welche ihm
nach Ablauf der Dienſtzeit in ſeine Hütte folgen muß.

Der Grundgedanke, auf dem dieſe Auffaſſung
beruht, iſt nämlich der, das Weib als eine Ware
zu betrachten, welche jeder für einen näher zu be-
ſtimmenden Preis zu erwerben berechtigt iſt, und
daraus bildete ſich naturgemäß die dritte, weit-
verbreitete Erwerbungsform der Braut, der Braut-
kauf, welcher bei allen Völkerſchaften der Erde auf
einer beſtimmten Entwickelungsſtufe gebräuchlich ge-
weſen ſein dürfte. Es kann daher nicht überraſchen,
daß derſelbe noch heute ungemein verbreitet iſt.




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[[1]/0001] Badener Zeitung (vormals Badener Bezirks-Blatt). Abonnement Baden: Zum Abholen vierteljährig fl 1·25, halbjährig fl. 2.50, ganzjährig fl. 5.—. Mit Zuſtellung ins Haus Baden: Vierteljährig fl. 1.50, halbjährig fl. 3.— ganzjährig fl. 6 —. Oeſterreich-Ungarn: Mit Zuſendung vierteljährig fl. 1.65, halbjährig fl. 3.25, ganzjährig fl. 6.50. Einzelne Mittwoch-Nummer 6 kr., Samstag-Nummer 8 kr. — Inſerate werden per 80 mm breite Petitzeile mit 8 kr. für die erſte, und mit 7 kr. für fünf nacheinander folgende Einſchaltungen berechnet, größere Aufträge nach Ueber- einkommen und können auch durch die beſtehenden Annoncen-Bureaux an die Adminiſtration gerichtet werden. — Intereſſante Mittheilungen, Notizen und Correſpon- denzen werden nach Uebereinkunft honorirt. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. [Abbildung] Erſcheint Mittwoch und Samstag früh. [Abbildung] (Die Samstag-Nummer enthält die Gratis-Beilage „Illuſtrirtes Unterhaltungsblatt“.) Nr. 95. Mittwoch den 25. November 1896. 16. Jahrg. Politiſche Ueberſicht. Den politiſchen Parteien Oeſterreichs iſt Sonntag ein Licht aufgeſteckt worden über den „neuen Curs“ der Regierung. War ſchon der berüchtigte Salzburger Katholikentag danach an- geth an, den clericalen Zug, von dem ſich die Regierung des Grafen Badeni leiten läßt, ziem- lich unverhüllt hervortreten zu laſſen, der vorige Sonntag hat den vollgiltigen Beweis erbracht für die Thatſache, daß Graf Badeni mit vollen Segeln ins clericale Lager ſteuert, ja, daß er ſich bereits längſt in deſſen Mitte befindet. Dem Bezirkshauptmanne von Feldkirch in Vorarlberg und dem Landeshauptmanne dieſes Landes war es vorbehalten, in dieſer Sache volle Klarheit zu ſchaffen. Gelegentlich der conſtituirenden Ver- ſammlung eines katholiſchen Lehrervereines be- grüßte auch Bezirkshauptmann Graf Schaffgotſch den Verein namens der Regierung. 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Wie verſtändnißinnig dieſe Worte gleich an Ort und Stelle aufgefaßt wurden, zeigt die darauffolgende Rede des Landes- hauptmannes Grafen Rhomberg, welcher es be- grüßte, daß der Bezirkshauptmann in ſo beredter Weiſe den Standpunkt ſeiner eigenen Perſon, ſowie den der Staatsregierung zum Ausdrucke gebracht habe, und bemerkte, es müſſe das die Clericalen ermuthigen, auf dem betretenen Wege auszuharren, denn die Verhältniſſe hätten ſich heute weſentlich geändert und man ſehe nun auch in Regierungskreiſen ein, zu welchen Conſequenzen der Liberalismus führe. — Wir glauben, daß mehr zu ſagen, abſolut nicht mehr nothwendig iſt. Die Vereinigte Linke hat ſeinerzeit die Re- gierung wegen der Rede Thun’s auf dem Salz- burger Katholikentage interpellirt und eine Ant- wort erhalten, die gerade keine erbauliche genannt werden kann. Die Ereigniſſe vom vorigen Sonntag in Vorarlberg machen jede weitere Erörterung über die letzten Ziele der Regierung Badeni’s überflüſſig, und die Partei, welche jetzt noch über ihr ferneres Verhalten dieſer Regierung gegen- über tiefſinnige Betrachtungen anſtellen wollte, würde ſich einfach tödtlich lächerlich machen. Für die Liberalen Oeſterreichs gibt es fürderhin nur mehr eine einzige Parole: Kampf um jeden Preis gegen dieſe Regierung! In Wien hätte Samstag eine Ehrenbeleidi- gungs-Verhandlung gegen den Bürgermeiſter Strobach ſtattfinden ſollen zwecks Behandlung dreier Ehrverletzungsfälle, welche ſich dieſer zu Schulden hatte kommen laſſen. Der Magiſtrats- diurniſt Sepper, welchen Strobach einen Lügner genannt hatte, und ein Einſpännerkutſcher, welcher von dem Oberhaupte der Stadt Wien mit dem Koſenamen „beſoffener Schweinkerl“ belegt worden war, hatten die Klage angeſtrengt und eine Reihe von Zeugen geführt. Aber weder dieſe, noch der Angeklagte waren erſchienen. Der Richter ver- urtheilte die nicht erſchienenen Zeugen zu Geld- bußen und vertagte behufs abermaliger Vorladung des Angeklagten die Verhandlung. Geſpannten Blickes darf man dieſe Angelegenheit verfolgen. Wenn es wahr ſein ſollte, daß die Vertagung der Verhandlung ſo lange währen ſoll, bis der Landtag einberufen und Strobach alsdann vor jeder gerichtlichen Verfolgung geſchützt iſt, dann iſt das öffentliche Rechtsbewußtſein ſchwer er- ſchüttert. Wir können Derartiges aber von unſeren Richtern nicht glauben; wir vermögen es leicht zu faſſen, daß der Beleidiger ſich hinter ſeiner Immunität verſteckt und in dieſem Beginnen von ſeiner Clique, welche ja im Landtage die Majorität hat, verſtändnißinnig unterſtützt wird, aber was wir nicht glauben können, das iſt, daß ſich der Arm der Gerechtigkeit dazu hergibt, dem Rechts- gefühle aller anſtändigen Leute in dieſer Weiſe Halt zu gebieten. Das Abgeordnetenhaus iſt in die Berathung der Geſetzt über die Regulirung der Beamten- gehalte eingetreten, und man darf geſpannt ſein, wie ſich dieſe Angelegenheit angeſichts der ab- lehnenden Haltung der Regierung abwickeln wird. Das Herrenhaus hat alle auf ſeiner Tages- ordnung geſtandenen Geſetze erledigt und damit eine der bedeutendſten Reformactionen abge- ſchloſſen. Parlamentariſche Schrecken- berger. Nachdem ſie Verſammlungen geſprengt, den Gemeinderath, den Landtag mit ihrem Geſchrei terroriſirt haben, verſuchen die Herren Antiſemiten ihre Schreckenbergerei auch in den Reichsrath zu übertragen. Verleumdung und Verdächtigung und ſchließlich Vergewaltigung, das iſt ihr parla- mentariſches Syſtem. Der Abgeordnete Noske hat den antiſemitiſchen Murat’s, Danton’s und Robespierre’s einmal die Wahrheit geſagt. 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In einem Punkte aber laufen alle dieſe verſchiedenen Wege wieder zuſammen; ſind die beiden, auf welche es ankommt, einig geworden, dann erſcheint eines Tages der ſchüchterne Werber im Frack und Cylinder bei den Eltern ſeiner Er- korenen, um deren Jawort und Segen zu erbitten. Und dann nimmt die Sache erſt recht den bekannten Verlauf: Glückliche Brautzeit, fröhliche Hochzeit, ſelige Flitterwochen, allmälige Abkühlung und ſchließlich das ewige Einerlei des Ehejochs, bis endlich der Tod den Schlußpunkt hinter das ſetzt, was die Dichter ſo gern den Roman des Lebens nennen. Betrachtet man aber die weniger oder gar nicht civiliſirten Völkerſchaften, ſo findet man dort eine ganz andere Auffaſſung von der Stellung des Weibes und damit zugleich auch einen anderen Werbungs- modus um dasſelbe. Es gibt Volksſtämme, wie z. B. einige Indianerſtämme Amerikas, welche das Weib als ein Eigenthum betrachten, und bei ihnen wird das Weib durch Wettkampf gewounen oder durch irgend eine Kraftleiſtung. Bei ſolcher Werbungs- weiſe iſt es allerdings um die ſchwächeren Männer ſchlecht beſtellt; ſie müſſen entweder ohne Frauen fertig zu werden ſuchen, oder diejenigen nehmen, die ſonſt niemand mag. Vor Allem ſind es drei Arten des Frauen- erwerbes, die ſeit den älteſten Zeiten in der Geſchichte der Menſchheit hervortreten und ſich bis auf den heutigen Tag erhalten haben: Der Frauenraub, das Dienen um die Braut und der Brautkauf. Der Raub der Sabinerinnen beweist, daß der Frauenraub ſchon im grauen Alterthum exiſtirte; dasſelbe beweist auch der Raub der ſchönen Helena. Auf dieſelbe Weiſe verſchaffen ſich heute noch manche Völkerſchaften ihre Frauen. Ueberhaupt muß dieſe Art des Frauenerwerbes früher viel verbreiteter geweſen ſein. Dafür ſpricht am beſten der Umſtand, daß bei einer ganzen Reihe von Völkern noch heute der ſcheinbare Raub die ſymboliſche Form der Ehe- ſchließung iſt. So iſt dies z. 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Der Grundgedanke, auf dem dieſe Auffaſſung beruht, iſt nämlich der, das Weib als eine Ware zu betrachten, welche jeder für einen näher zu be- ſtimmenden Preis zu erwerben berechtigt iſt, und daraus bildete ſich naturgemäß die dritte, weit- verbreitete Erwerbungsform der Braut, der Braut- kauf, welcher bei allen Völkerſchaften der Erde auf einer beſtimmten Entwickelungsſtufe gebräuchlich ge- weſen ſein dürfte. Es kann daher nicht überraſchen, daß derſelbe noch heute ungemein verbreitet iſt. C. A. Funk.

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 95, Baden (Niederösterreich), 25.11.1896, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener095_1896/1>, abgerufen am 21.11.2024.