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Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 30. Berlin, 6. September 1740.

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[Beginn Spaltensatz]

Wenn man auch nur eine Herde Vieh zu weiden hat,
so kann man es nicht mit gutem Fortgange thun, wofern
man nicht ihre natürlichen Neigungen und ihre Noth-
durft kennet, wofern man nicht auf dasjenige aufmerk-
sam ist, was ihnen schädlich oder nützlich seyn kann,
und wofern man nicht auf die Art Acht giebet, wodurch
man sie am leichtesten zum Gehorsam bringt. Wie viel
billiger ist es nun nicht, daß ein Prinz, welcher über
Menschen herrschet, sich alle Mühe giebet, sie wohl zu
kennen, damit er sie nicht nach einem blossen Zufall re-
giere, und damit er bey ihnen Vernunft und Einsicht
brauche.

Glaubt man, daß ein Hirte, dem man eine Heerde
Schafe anvertraut, seinen Pflichten ein Genügen thun
würde, wann er nichts als seinen Willen und seine
Macht zu Rathe ziehen wollte? Wie will man sich denn
nun vorstellen, daß ein Prinz nur bloß nach seinem Ge-
fallen befehlen, und seine Befehle nur durch seine Macht
unterstützen darf?

Man muß sich von der Königlichen Würde eine sehr
niedrige Vorstellung machen, wenn man sie allein in
der Macht einschränken, und die Vernunft davon aus-
schliessen will. Wird man auch wohl einen Vater an-
treffen, der sich nicht für beschimpft halten würde, wenn
man von ihm glaubte, daß er nicht geschickt wäre, sein
Haus mit Weisheit zu regieren? Und würde man wohl
eine Stadt, ihre Gesetze, ihre Handlung, ihre Freyheit
und ihre Sicherheit einem Manne ohne Einsicht anver-
trauen? Ein guter Fürst verlanget mit Eifer zu wissen,
was die Menschen in Bewegung bringen, aufmerksam
machen und gewinnen kann. Er ist begierig von dem-
jenigen unterrichtet zu seyn, was sie von ihm erwarten,
der sie regieret, damit er ihrer Hofnung genug thun
kann. Er untersucht, warum es ihr eigener Vortheil
erfordert, sich ihm zu unterwerfen, damit er diesem Vor-
theile aufmerksamer begegnen, und ihre Unterwerfung
sicherer und beständiger machen kann. Er unterscheidet
in ihren Neigungen und in ihrem Verlangen dasjenige,
was billg ist, um es ihnen zu ertheilen, und er bemerkt,
was darinn unbillig ist, um sich demselben entgegen zu
setzen.

Er befleissiget sich vor allen Dingen wohl einzusehen,
durch was für Mittel so viel verschiedene Characktere
vereinigt werden können, wie man sich der Herzen be-
[Spaltenumbruch] meistert, und wie man die Vorurtheile aus dem Wege
räumt.

Ausser diesen Ursachen die unwiedersprechlich sind,
muß ein Fürst auch noch die Menschen kennen, damit
er ihre Gaben, ihre Fähigkeit und ihre Verdienste zu
unterscheiden weiß. Er muß sie wehlen, und auf ihn
fallen die Folgen einer übeln Wahl. Wie will sich aber
der Fürst hierbey verhalten, wann ihm dasjenige ver-
borgen ist, was er doch nothwendig wissen muß? Wie
will er die ausserordentlichen Verdienste, die verborgen
liegen, von denen mittelmässigen unterscheiden, welche
man ihm anpreiset? Wie kann er das Verdienst erken-
nen, welches zu einem jeden Stande erfordert wird,
wann er selbst nicht ein allgemeines besitzt? Und wie
will er hierzu gelanget seyn, wann er die Vorzüge der
andern nicht kennet, und wann er nicht weiß, durch wel-
che Mittel sie dazu gelanget sind.

Allein dasjenige, was das Kenntniß der Menschen
einem Fürsten nothwendiger macht, als alles was wir bis-
her gesagt haben, ist sein eigener Vortheil Denn da er
sich nicht entbrechen kann, mit ihnen gewisse Unterhand-
lungen zu pflegen, sein Ansehn mit ihnen zu theilen, und
sich mit ihnen zu berathschlagen, so ist es für ihn eine
Sache von der äussersten Wichtigkeit, diejenigen wohl
zu kennen, denen er sich vertrauet, und denen er einen Theil
von seiner Hoheit aufträgt. Jrrt er sich in dieser er-
sten Wahl, so wird er sich in allen übrigen irren. Ver-
gebens wird er gute Absichten haben, sie werden allemahl
ohne Würkung bleiben. Umsonst bemühet er sich die
Warheit zu kennen, sie wird ihm allemahl verborgen
seyn, und er wird nicht wissen, was er, was sein
Reich, was Verdienst, und was seine Aufmerksamkeit
und seiner Belohnung würdig ist.

Man wird Characktere bemerken, die mit einander
verwandt zu seyn scheinen, ob sie gleich sehr weit von
einander entfernt sind. Das Laster ahmet oft der Tu-
gend nach, und es hat oft mehr das äusserliche Ansehen
derselben, weil es dieses Scheins so nothdürftig braucht.
Man muß sehr genau aufmerken, und sehr klug seyn,
wenn man nicht irren will, und dieses hauptsächlich an
den Höfen der Fürsten, wo sich zwar in der That jeder
selbst genug kennt, wo sich aber alle bemühen durch
einen gewissen äusserlichen Schein, sich für den Prinzen
zu verstecken, der oft mit diesem Schein zufrieden ist.

[Ende Spaltensatz]

Diese Nachrichten werden wöchentlich 3mahl, nemlich Dienstags, Donnerstags und Sonnabends, bey dem Königl.
und der Societät der Wissenschaften privilegirten Buchhändler, AMBROSIUS HAUDE und dem Königl.
Hof=Post=Amte ausgegeben.

[Beginn Spaltensatz]

Wenn man auch nur eine Herde Vieh zu weiden hat,
so kann man es nicht mit gutem Fortgange thun, wofern
man nicht ihre natürlichen Neigungen und ihre Noth-
durft kennet, wofern man nicht auf dasjenige aufmerk-
sam ist, was ihnen schädlich oder nützlich seyn kann,
und wofern man nicht auf die Art Acht giebet, wodurch
man sie am leichtesten zum Gehorsam bringt. Wie viel
billiger ist es nun nicht, daß ein Prinz, welcher über
Menschen herrschet, sich alle Mühe giebet, sie wohl zu
kennen, damit er sie nicht nach einem blossen Zufall re-
giere, und damit er bey ihnen Vernunft und Einsicht
brauche.

Glaubt man, daß ein Hirte, dem man eine Heerde
Schafe anvertraut, seinen Pflichten ein Genügen thun
würde, wann er nichts als seinen Willen und seine
Macht zu Rathe ziehen wollte? Wie will man sich denn
nun vorstellen, daß ein Prinz nur bloß nach seinem Ge-
fallen befehlen, und seine Befehle nur durch seine Macht
unterstützen darf?

Man muß sich von der Königlichen Würde eine sehr
niedrige Vorstellung machen, wenn man sie allein in
der Macht einschränken, und die Vernunft davon aus-
schliessen will. Wird man auch wohl einen Vater an-
treffen, der sich nicht für beschimpft halten würde, wenn
man von ihm glaubte, daß er nicht geschickt wäre, sein
Haus mit Weisheit zu regieren? Und würde man wohl
eine Stadt, ihre Gesetze, ihre Handlung, ihre Freyheit
und ihre Sicherheit einem Manne ohne Einsicht anver-
trauen? Ein guter Fürst verlanget mit Eifer zu wissen,
was die Menschen in Bewegung bringen, aufmerksam
machen und gewinnen kann. Er ist begierig von dem-
jenigen unterrichtet zu seyn, was sie von ihm erwarten,
der sie regieret, damit er ihrer Hofnung genug thun
kann. Er untersucht, warum es ihr eigener Vortheil
erfordert, sich ihm zu unterwerfen, damit er diesem Vor-
theile aufmerksamer begegnen, und ihre Unterwerfung
sicherer und beständiger machen kann. Er unterscheidet
in ihren Neigungen und in ihrem Verlangen dasjenige,
was billg ist, um es ihnen zu ertheilen, und er bemerkt,
was darinn unbillig ist, um sich demselben entgegen zu
setzen.

Er befleissiget sich vor allen Dingen wohl einzusehen,
durch was für Mittel so viel verschiedene Characktere
vereinigt werden können, wie man sich der Herzen be-
[Spaltenumbruch] meistert, und wie man die Vorurtheile aus dem Wege
räumt.

Ausser diesen Ursachen die unwiedersprechlich sind,
muß ein Fürst auch noch die Menschen kennen, damit
er ihre Gaben, ihre Fähigkeit und ihre Verdienste zu
unterscheiden weiß. Er muß sie wehlen, und auf ihn
fallen die Folgen einer übeln Wahl. Wie will sich aber
der Fürst hierbey verhalten, wann ihm dasjenige ver-
borgen ist, was er doch nothwendig wissen muß? Wie
will er die ausserordentlichen Verdienste, die verborgen
liegen, von denen mittelmässigen unterscheiden, welche
man ihm anpreiset? Wie kann er das Verdienst erken-
nen, welches zu einem jeden Stande erfordert wird,
wann er selbst nicht ein allgemeines besitzt? Und wie
will er hierzu gelanget seyn, wann er die Vorzüge der
andern nicht kennet, und wann er nicht weiß, durch wel-
che Mittel sie dazu gelanget sind.

Allein dasjenige, was das Kenntniß der Menschen
einem Fürsten nothwendiger macht, als alles was wir bis-
her gesagt haben, ist sein eigener Vortheil Denn da er
sich nicht entbrechen kann, mit ihnen gewisse Unterhand-
lungen zu pflegen, sein Ansehn mit ihnen zu theilen, und
sich mit ihnen zu berathschlagen, so ist es für ihn eine
Sache von der äussersten Wichtigkeit, diejenigen wohl
zu kennen, denen er sich vertrauet, und denen er einen Theil
von seiner Hoheit aufträgt. Jrrt er sich in dieser er-
sten Wahl, so wird er sich in allen übrigen irren. Ver-
gebens wird er gute Absichten haben, sie werden allemahl
ohne Würkung bleiben. Umsonst bemühet er sich die
Warheit zu kennen, sie wird ihm allemahl verborgen
seyn, und er wird nicht wissen, was er, was sein
Reich, was Verdienst, und was seine Aufmerksamkeit
und seiner Belohnung würdig ist.

Man wird Characktere bemerken, die mit einander
verwandt zu seyn scheinen, ob sie gleich sehr weit von
einander entfernt sind. Das Laster ahmet oft der Tu-
gend nach, und es hat oft mehr das äusserliche Ansehen
derselben, weil es dieses Scheins so nothdürftig braucht.
Man muß sehr genau aufmerken, und sehr klug seyn,
wenn man nicht irren will, und dieses hauptsächlich an
den Höfen der Fürsten, wo sich zwar in der That jeder
selbst genug kennt, wo sich aber alle bemühen durch
einen gewissen äusserlichen Schein, sich für den Prinzen
zu verstecken, der oft mit diesem Schein zufrieden ist.

[Ende Spaltensatz]

Diese Nachrichten werden wöchentlich 3mahl, nemlich Dienstags, Donnerstags und Sonnabends, bey dem Königl.
und der Societät der Wissenschaften privilegirten Buchhändler, AMBROSIUS HAUDE und dem Königl.
Hof=Post=Amte ausgegeben.

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Zitationshilfe: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 30. Berlin, 6. September 1740, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_berlin030_1740/4>, abgerufen am 21.11.2024.