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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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wunderliche Weltanschauung gezimmert hatte und der sich ein Vergnügen daraus
machte, in jeder Sitzung die "Halbheiten" des Liberalismus zu "kritisiren." Er
imponirte der strebsamen Jugend durch einen Stil, in dem jedes Wort in an¬
derem Sinn gebraucht war, als die deutsche Sprache damit verbindet, und durch
Constructionen, die noch kein Grammatiker geahnt hatte. Ein herrlicher Stoff
für Blum's Beredsamkeit! er stellte den Plänkeleien des Sophisten das schwere
Geschütz seiner massenhaften Volksfreundschaft entgegen und spielte die Rolle des
vermittelnden Bewußtseins mit Glück nach beiden Seiten hin. Als Jellinek aus¬
gewiesen wurde, trat Hermann Semmig an seine Stelle, der seinem Pathos
einen freieren Zug ließ, aber eben darum bei der Masse noch mehr anstieß, denn
über Communismus, Atheismus u. dergl. schüttelte der ehrsame Spießbürger denn
doch den Kopf, namentlich da Blum sagte, daß nichts daran sei.

Endlich vereinigten sich Blum's politische Freunde, ihm eine Buchhandlung
zu kaufen. So hörte seine apokryphische Stellung beim Theater auf und seine
Reputation fand das entsprechende Aeußere. So ausgerüstet, empfing er den Stoß
der Revolution.

Die Leipziger Revolution fing auf dem Museum an. Man stand sich einander
fast auf den Köpfen und horchte auf den Vorleser, der die neuesten Pariser Jour¬
nale mittheilte. Als der Sieg der Republikaner entschieden war, fiel man sich
gelegentlich in die Arme, auf der Straße sah Jeder anders aus, als einen Tag
zuvor. Alles war überzeugt, daß etwas geschehen müsse, man wußte in der Ge¬
schwindigkeit nicht gleich, was.

Die nächsten Anforderungen waren negativer Natur -- Abschaffung der Censur,
der polizeilichen Einmischung in die Volksversammlungen. Das letztere machte
sich von selbst. Der Redeübungsverein im Schießhaus constituirte sich als Volks¬
versammlung, es wurden allabendlich Berichte über die Fortschritte der Revolution
abgestattet, von dem Bundestag und den Fürsten alle menschenmöglichen Nieder¬
trächtigkeiten erzählt, Einer steigerte den Andern durch Courage, Zorn und Ge¬
sang; die Polizei drückte die Augen zu.

Die Initiative der Bewegung ergriff die Stadtverordnetenversammlung, und
von ihr angeregt, der Magistrat. Man schickte mit sämmtlichen Eisenbahnzügen
Deputirte nach Dresden, um Aufhebung der Censur, freies Associationsrecht und
noch ein Drittes zu bitten, das durch Bassermann's Vorgang in der badischen
Kammer das gemeinsame Panier der Liberalen geworden war: Vertretung des
Volkes beim Bundestag. Eine große Menge drängte sich an den Eisenbahnhöfen,
die jedesmalige Rückkehr der Deputirten erwartend. Blum mußte in der Regel
der Sprecher sein. Bei der jedesmal abschlägigen Antwort steigerten sich von Tag
zu Tag die Anforderungen. Man verlangte bald Abdankung des volksfeindlichen
Ministeriums u. s. w.

Blum spielte überall eine sehr thätige Rolle. In den Versammlungen ver-

wunderliche Weltanschauung gezimmert hatte und der sich ein Vergnügen daraus
machte, in jeder Sitzung die „Halbheiten“ des Liberalismus zu „kritisiren.“ Er
imponirte der strebsamen Jugend durch einen Stil, in dem jedes Wort in an¬
derem Sinn gebraucht war, als die deutsche Sprache damit verbindet, und durch
Constructionen, die noch kein Grammatiker geahnt hatte. Ein herrlicher Stoff
für Blum's Beredsamkeit! er stellte den Plänkeleien des Sophisten das schwere
Geschütz seiner massenhaften Volksfreundschaft entgegen und spielte die Rolle des
vermittelnden Bewußtseins mit Glück nach beiden Seiten hin. Als Jellinek aus¬
gewiesen wurde, trat Hermann Semmig an seine Stelle, der seinem Pathos
einen freieren Zug ließ, aber eben darum bei der Masse noch mehr anstieß, denn
über Communismus, Atheismus u. dergl. schüttelte der ehrsame Spießbürger denn
doch den Kopf, namentlich da Blum sagte, daß nichts daran sei.

Endlich vereinigten sich Blum's politische Freunde, ihm eine Buchhandlung
zu kaufen. So hörte seine apokryphische Stellung beim Theater auf und seine
Reputation fand das entsprechende Aeußere. So ausgerüstet, empfing er den Stoß
der Revolution.

Die Leipziger Revolution fing auf dem Museum an. Man stand sich einander
fast auf den Köpfen und horchte auf den Vorleser, der die neuesten Pariser Jour¬
nale mittheilte. Als der Sieg der Republikaner entschieden war, fiel man sich
gelegentlich in die Arme, auf der Straße sah Jeder anders aus, als einen Tag
zuvor. Alles war überzeugt, daß etwas geschehen müsse, man wußte in der Ge¬
schwindigkeit nicht gleich, was.

Die nächsten Anforderungen waren negativer Natur — Abschaffung der Censur,
der polizeilichen Einmischung in die Volksversammlungen. Das letztere machte
sich von selbst. Der Redeübungsverein im Schießhaus constituirte sich als Volks¬
versammlung, es wurden allabendlich Berichte über die Fortschritte der Revolution
abgestattet, von dem Bundestag und den Fürsten alle menschenmöglichen Nieder¬
trächtigkeiten erzählt, Einer steigerte den Andern durch Courage, Zorn und Ge¬
sang; die Polizei drückte die Augen zu.

Die Initiative der Bewegung ergriff die Stadtverordnetenversammlung, und
von ihr angeregt, der Magistrat. Man schickte mit sämmtlichen Eisenbahnzügen
Deputirte nach Dresden, um Aufhebung der Censur, freies Associationsrecht und
noch ein Drittes zu bitten, das durch Bassermann's Vorgang in der badischen
Kammer das gemeinsame Panier der Liberalen geworden war: Vertretung des
Volkes beim Bundestag. Eine große Menge drängte sich an den Eisenbahnhöfen,
die jedesmalige Rückkehr der Deputirten erwartend. Blum mußte in der Regel
der Sprecher sein. Bei der jedesmal abschlägigen Antwort steigerten sich von Tag
zu Tag die Anforderungen. Man verlangte bald Abdankung des volksfeindlichen
Ministeriums u. s. w.

Blum spielte überall eine sehr thätige Rolle. In den Versammlungen ver-

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[377/0012] wunderliche Weltanschauung gezimmert hatte und der sich ein Vergnügen daraus machte, in jeder Sitzung die „Halbheiten“ des Liberalismus zu „kritisiren.“ Er imponirte der strebsamen Jugend durch einen Stil, in dem jedes Wort in an¬ derem Sinn gebraucht war, als die deutsche Sprache damit verbindet, und durch Constructionen, die noch kein Grammatiker geahnt hatte. Ein herrlicher Stoff für Blum's Beredsamkeit! er stellte den Plänkeleien des Sophisten das schwere Geschütz seiner massenhaften Volksfreundschaft entgegen und spielte die Rolle des vermittelnden Bewußtseins mit Glück nach beiden Seiten hin. Als Jellinek aus¬ gewiesen wurde, trat Hermann Semmig an seine Stelle, der seinem Pathos einen freieren Zug ließ, aber eben darum bei der Masse noch mehr anstieß, denn über Communismus, Atheismus u. dergl. schüttelte der ehrsame Spießbürger denn doch den Kopf, namentlich da Blum sagte, daß nichts daran sei. Endlich vereinigten sich Blum's politische Freunde, ihm eine Buchhandlung zu kaufen. So hörte seine apokryphische Stellung beim Theater auf und seine Reputation fand das entsprechende Aeußere. So ausgerüstet, empfing er den Stoß der Revolution. Die Leipziger Revolution fing auf dem Museum an. Man stand sich einander fast auf den Köpfen und horchte auf den Vorleser, der die neuesten Pariser Jour¬ nale mittheilte. Als der Sieg der Republikaner entschieden war, fiel man sich gelegentlich in die Arme, auf der Straße sah Jeder anders aus, als einen Tag zuvor. Alles war überzeugt, daß etwas geschehen müsse, man wußte in der Ge¬ schwindigkeit nicht gleich, was. Die nächsten Anforderungen waren negativer Natur — Abschaffung der Censur, der polizeilichen Einmischung in die Volksversammlungen. Das letztere machte sich von selbst. Der Redeübungsverein im Schießhaus constituirte sich als Volks¬ versammlung, es wurden allabendlich Berichte über die Fortschritte der Revolution abgestattet, von dem Bundestag und den Fürsten alle menschenmöglichen Nieder¬ trächtigkeiten erzählt, Einer steigerte den Andern durch Courage, Zorn und Ge¬ sang; die Polizei drückte die Augen zu. Die Initiative der Bewegung ergriff die Stadtverordnetenversammlung, und von ihr angeregt, der Magistrat. Man schickte mit sämmtlichen Eisenbahnzügen Deputirte nach Dresden, um Aufhebung der Censur, freies Associationsrecht und noch ein Drittes zu bitten, das durch Bassermann's Vorgang in der badischen Kammer das gemeinsame Panier der Liberalen geworden war: Vertretung des Volkes beim Bundestag. Eine große Menge drängte sich an den Eisenbahnhöfen, die jedesmalige Rückkehr der Deputirten erwartend. Blum mußte in der Regel der Sprecher sein. Bei der jedesmal abschlägigen Antwort steigerten sich von Tag zu Tag die Anforderungen. Man verlangte bald Abdankung des volksfeindlichen Ministeriums u. s. w. Blum spielte überall eine sehr thätige Rolle. In den Versammlungen ver-

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Bremen : Staats- und Universitätsbibliothek: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-05-24T15:31:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/12>, abgerufen am 21.11.2024.