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Tübinger Chronik. Nr. 6. [Tübingen (Württemberg)], 13. Januar 1845.

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erste Seite
Tübinger
[Abbildung] Chronik.
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 6.
[Spaltenumbruch] Montag den 13. Januar.[Spaltenumbruch] 1845.

[Beginn Spaltensatz]
Hülfe in der Noth oder der Sohn des Mannes.
Fortsetzung.

"Nun, wie ist's," schnaubte der Verwalter,
"wollt Jhr bezahlen?"

"Jch kann nicht;" entgegnete der Großvater:
"habt Mitleid mit meinem armen Weibe! Seht, sie
ist ohnmächtig geworden bei Eurem Eintritt. Laßt
sie wenigstens ruhig sterben an einem Orte, welchen
sie so lange den ihrigen nannte, laßt mich ihre Leiche
erst zur Erde bestatten, dann will ich in den letzten
Stunden meines Lebens noch den Stab in die Frem-
de setzen!"

"Gnade, Erbarmen!" jammerte Henriette,
sich zu den Füßen des Gerichts=Verwalters nieder-
werfend: "Nur Aufschub bis morgen, ich will von
Thüre zu Thüre betteln, vielleicht schenkt uns der
Himmel unvermuthet Hülfe!"

"Ei was," erwiederte der grämliche Verwalter,
"wenn der Himmel Euch helfen wollte, so hätte er
es früher thun sollen. Jetzt ist die Hütte mein Ei-
genthum; schon eine Viertelstunde ist die zur Zah-
lung bestimmte Frist verstrichen. Geld oder Pfän-
dung!"

Damit gab er, ohne ferner auf das Flehen des
armen Mädchens zu achten, den Gerichtsdienern
einen Wink, welche jetzt die besten Gegenstände des
Zimmers ergriffen, und eben mit denselben zur Thü-
ren hinausgehen wollten, als diese ungestüm aufgeris-
sen wurde. Ein junger Mann, von ungefähr acht
und zwanzig bis dreißig Jahren, einen bloßen Hirsch-
fänger in der Hand, stürzte in's Zimmer. Kaum
erblickte Henriette ihn, als sie schon mit dem
Ausruf: "Mein Victor! " in seinen Armen lag.
Der Verwalter, durch die drohende Miene des jun-
gen Mannes, noch mehr aber durch die bloße Waffe
erschreckt, lief zitternd in einen Winkel der Stube,
und selbst die Gerichtsdiener wichen einige Schritte
zurück.

"Um Gotteswillen, Victor, was beginnst Du,"
rief der Großvater, "mit einem blanken Degen ge-
gen die Obrigkeit zu stürmen?"

"Gegen die Obrigkeit?" wiederholte Victor
halblächelnd; "nein, Vater, Jhr irrt. Jch war in
Geschäften bei dem jungen Grafen L., der, wie Jhr
wissen werdet, ein leidenschaftlicher Liebhaber der
Jagd ist. Gestern Abend verirrte er sich im Walde,
[Spaltenumbruch] und es blieb ihm am Ende kein anderes Mittel übrig,
als sich mit seinem Hirschfänger einen Weg durch
das wilde Gesträuch zu bahnen, dabei verlor er die
Scheide. - Jn diesem Augenblicke kehr' ich von sei-
nem Landgute nach der Stadt zurück; er ertheilte
mir dort den Auftrag, eine neue Scheide zu besor-
gen, daher kommt es, daß ich mit dem bloßen Hirsch-
fänger eintrat. Um Euch zu sehen, machte ich den
kleinen Umweg. Doch zu welchem Auftritte muß ich
hier kommen? Jch finde die Thüre Eures Hauses
mit Gerichtsdienern besetzt, welche mir den Eintritt
wehren wollten. Was ist denn vorgefallen?

"Der Herr Gerichts=Verwalter will unsere Hütte
und alle unsere kleinen Habseligkeiten verkaufen, weil
mein armer Großvater nicht bezahlen kann," erwie-
derte Henriette. "Jch bat ihn so dringend um
einen kurzen Aufschub, aber er verweigerte mir ihn
hartnäckig."

Victor zog einige Gulden aus der Tasche, warf
sie gleichgültig auf den Tisch und sprach: "Jm Na-
men der Menschlichkeit, Herr, gönnt dem armen
Manne Aufschub, nur bis Morgen. Nehmt einstwei-
len dieß Geld; es ist Alles, was ich im Augenblick
bei mir habe; nehmt es vor der Hand blos als eine
kleine Erkenntlichkeit für Eure Güte! Doch um Eu-
rer selbst willen laßt mich keine Fehlbitte thun!" -

Der Gerichts=Verwalter, immer noch furcht-
same Blicke auf die gezückte Waffe werfend, gab mit
einigen unverständlichen Worten seine Einwilligung,
winkte seinen Begleitern, das auf dem Tische liegen-
de Geld zu nehmen, und entfernte sich rasch sammt
den Dienern der Gerechtigkeit.

"Gott sey Dank!" jubelte Henriette, "wir
sind gerettet! Sagte ich es nicht, lieber Großvater,
mein Victor würde uns nicht ohne Hülfe lassen?"

"Komm auch zu mir, Du lieber Sohn!"
sprach die Großmutter, welche sich während dessen
in den Armen ihres Mannes erholt hatte: "ich kann
Dir keinen andern Lohn für Deine schöne That ge-
ben, als diese Thräne und meinen großmütterlichen
Segen! Das Bewußtseyn, edel gehandelt zu haben,
lohnt sich selbst; es wird Dich in den Stunden der
Trübsal umschweben und deine Seele mit unerschüt-
terlichem Muthe füllen."

"Jch hoffe mit Gott Eure Rettung zu vollen-
den," erwiederte Victor. "Wie, weiß ich freilich
selbst noch nicht; allein Vertrauen auf den Schutz
des Allmächtigen läßt mich an dem guten Erfolg
nicht zweifeln. - Doch sprecht, Vater, sollte ich
nicht zürnen, daß Jhr mir so lange Eure Noth ver-
[Ende Spaltensatz]

Tübinger
[Abbildung] Chronik.
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 6.
[Spaltenumbruch] Montag den 13. Januar.[Spaltenumbruch] 1845.

[Beginn Spaltensatz]
Hülfe in der Noth oder der Sohn des Mannes.
Fortsetzung.

„Nun, wie ist's,“ schnaubte der Verwalter,
„wollt Jhr bezahlen?“

„Jch kann nicht;“ entgegnete der Großvater:
„habt Mitleid mit meinem armen Weibe! Seht, sie
ist ohnmächtig geworden bei Eurem Eintritt. Laßt
sie wenigstens ruhig sterben an einem Orte, welchen
sie so lange den ihrigen nannte, laßt mich ihre Leiche
erst zur Erde bestatten, dann will ich in den letzten
Stunden meines Lebens noch den Stab in die Frem-
de setzen!“

„Gnade, Erbarmen!“ jammerte Henriette,
sich zu den Füßen des Gerichts=Verwalters nieder-
werfend: „Nur Aufschub bis morgen, ich will von
Thüre zu Thüre betteln, vielleicht schenkt uns der
Himmel unvermuthet Hülfe!“

„Ei was,“ erwiederte der grämliche Verwalter,
„wenn der Himmel Euch helfen wollte, so hätte er
es früher thun sollen. Jetzt ist die Hütte mein Ei-
genthum; schon eine Viertelstunde ist die zur Zah-
lung bestimmte Frist verstrichen. Geld oder Pfän-
dung!“

Damit gab er, ohne ferner auf das Flehen des
armen Mädchens zu achten, den Gerichtsdienern
einen Wink, welche jetzt die besten Gegenstände des
Zimmers ergriffen, und eben mit denselben zur Thü-
ren hinausgehen wollten, als diese ungestüm aufgeris-
sen wurde. Ein junger Mann, von ungefähr acht
und zwanzig bis dreißig Jahren, einen bloßen Hirsch-
fänger in der Hand, stürzte in's Zimmer. Kaum
erblickte Henriette ihn, als sie schon mit dem
Ausruf: „Mein Victor! “ in seinen Armen lag.
Der Verwalter, durch die drohende Miene des jun-
gen Mannes, noch mehr aber durch die bloße Waffe
erschreckt, lief zitternd in einen Winkel der Stube,
und selbst die Gerichtsdiener wichen einige Schritte
zurück.

„Um Gotteswillen, Victor, was beginnst Du,“
rief der Großvater, „mit einem blanken Degen ge-
gen die Obrigkeit zu stürmen?“

„Gegen die Obrigkeit?“ wiederholte Victor
halblächelnd; „nein, Vater, Jhr irrt. Jch war in
Geschäften bei dem jungen Grafen L., der, wie Jhr
wissen werdet, ein leidenschaftlicher Liebhaber der
Jagd ist. Gestern Abend verirrte er sich im Walde,
[Spaltenumbruch] und es blieb ihm am Ende kein anderes Mittel übrig,
als sich mit seinem Hirschfänger einen Weg durch
das wilde Gesträuch zu bahnen, dabei verlor er die
Scheide. – Jn diesem Augenblicke kehr' ich von sei-
nem Landgute nach der Stadt zurück; er ertheilte
mir dort den Auftrag, eine neue Scheide zu besor-
gen, daher kommt es, daß ich mit dem bloßen Hirsch-
fänger eintrat. Um Euch zu sehen, machte ich den
kleinen Umweg. Doch zu welchem Auftritte muß ich
hier kommen? Jch finde die Thüre Eures Hauses
mit Gerichtsdienern besetzt, welche mir den Eintritt
wehren wollten. Was ist denn vorgefallen?

„Der Herr Gerichts=Verwalter will unsere Hütte
und alle unsere kleinen Habseligkeiten verkaufen, weil
mein armer Großvater nicht bezahlen kann,“ erwie-
derte Henriette. „Jch bat ihn so dringend um
einen kurzen Aufschub, aber er verweigerte mir ihn
hartnäckig.“

Victor zog einige Gulden aus der Tasche, warf
sie gleichgültig auf den Tisch und sprach: „Jm Na-
men der Menschlichkeit, Herr, gönnt dem armen
Manne Aufschub, nur bis Morgen. Nehmt einstwei-
len dieß Geld; es ist Alles, was ich im Augenblick
bei mir habe; nehmt es vor der Hand blos als eine
kleine Erkenntlichkeit für Eure Güte! Doch um Eu-
rer selbst willen laßt mich keine Fehlbitte thun!“ –

Der Gerichts=Verwalter, immer noch furcht-
same Blicke auf die gezückte Waffe werfend, gab mit
einigen unverständlichen Worten seine Einwilligung,
winkte seinen Begleitern, das auf dem Tische liegen-
de Geld zu nehmen, und entfernte sich rasch sammt
den Dienern der Gerechtigkeit.

„Gott sey Dank!“ jubelte Henriette, „wir
sind gerettet! Sagte ich es nicht, lieber Großvater,
mein Victor würde uns nicht ohne Hülfe lassen?“

„Komm auch zu mir, Du lieber Sohn!“
sprach die Großmutter, welche sich während dessen
in den Armen ihres Mannes erholt hatte: „ich kann
Dir keinen andern Lohn für Deine schöne That ge-
ben, als diese Thräne und meinen großmütterlichen
Segen! Das Bewußtseyn, edel gehandelt zu haben,
lohnt sich selbst; es wird Dich in den Stunden der
Trübsal umschweben und deine Seele mit unerschüt-
terlichem Muthe füllen.“

„Jch hoffe mit Gott Eure Rettung zu vollen-
den,“ erwiederte Victor. „Wie, weiß ich freilich
selbst noch nicht; allein Vertrauen auf den Schutz
des Allmächtigen läßt mich an dem guten Erfolg
nicht zweifeln. – Doch sprecht, Vater, sollte ich
nicht zürnen, daß Jhr mir so lange Eure Noth ver-
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Tübinger Chronik. Nr. 6. [Tübingen (Württemberg)], 13. Januar 1845, S. [21]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik006_1845/1>, abgerufen am 03.12.2024.