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Tübinger Chronik. Nr. 84. [Tübingen (Württemberg)], 14. Juli 1845.

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natlich 9 kr. Durch die Post
bezogen halbjährlich 1 fl. Ein-
rückungsgebühr f. 1 Linie aus
gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für
Tübingen u. Umgegend abon-
nirt man bei d. Redaction in d.
langen Gasse nächst d. Stifts-
kirche, wo auch Ankündigun-
gen und Aufsätze aller Art
abgegeben werden können.

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Tübinger [Abbildung] Chronik.
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Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. - - am
Neckarsthor u. bei Hrn -

- in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 84. Montag den 14. Juli. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Louise Dalmar.
Fortsetzung.

Sie setzte sich an die Seite ihres Mannes und
nahm eine seiner Hände in die ihre, die sie zärtlich
drückte. Granville betrachtete sie einen Augenblick,
dann zog er sie noch näher zu sich und sagte leise:

"Jch bin so glücklich, daß ich Dich bei mir
habe, das ist wenigstens ein Trost."

"Ein Trost?" wiederholte die junge Frau trau-
rig und in den großen blauen Augen, welche den
Greis anblickten, sah man eine Thräne, - nur
der bedarf des Trostes, der da leidet.

Der Bankier antwortete nicht.

"Du leidest also?"

Jhre Frage wurde nicht beantwortet; der Greis
schien sich zu fürchten, dem Schmerz Worte zu ge-
ben, damit er nicht noch lebendiger würde. - Louise
senkte das Haupt und ohne die Hand ihres Mannes
loszulassen, wandte sie sich fort, vielleicht um ihre
Thränen zu trocknen.

"Ja Louise," rief Granville endlich, "ich leide,
ich leide entsetzlich!"

"Mein Gott!" antwortete sie, "so habe ich mich
nicht getäuscht."

"Es ist uns vielleicht ein großes Unglück sehr
nahe."

"Du erschreckst mich."

"Ein entsetzliches Unglück, Louise," wiederholte
der Greis, und seine zitternde Hand fuhr nach der
Stirn, "ein Unglück, dem wir nicht vorbeugen kön-
nen, dem oft Ehre, Vermögen und Leben zum
Opfer werden. Du zitterst, mich so sprechen zu
hören und Du verstehst mich nicht, mein armes
Kind. Verzeihe mir, aber es kommt mir vor, als
fände ich in etwas meine Ruhe wieder, wenn ich
Dir sage, wie ich leide."

Er hielt einen Augenblick an, dann fuhr er mit
ruhiger Stimme fort:

"Du, die Du so jung, so unerfahren in dieser
Welt, und so glücklich in dieser Unerfahrenheit bist,
Du weißt nicht, wie fürchterlich die Begebenheiten
des letzten Jahres gewesen sind, wie das öffentliche
Leben durch den blutigen Stoß erschüttert ist, der
einen Thron umwarf, und wie oft das Verderben
und mehr als das, meine Louise, - die Entehrung
[Spaltenumbruch] seit jener Zeit in die Mitte der geachtetsten Familien
getreten ist."

"Entehrung!" wiederholte Louise und hob ihr
Haupt empor, indem sie einen ängstlichen Blick
auf ihren Gatten heftete, - "o sprich nicht so!
Du machst mir Furcht, die Entehrung, könnte sie
Dich je erreichen?"

"Nein, meine Louise, denn ich würde sie nicht
überleben; Revolutionen, mein Kind, sind Stürme,
welche Wogen erregen, die lange Zeit gebrauchen,
um sich zu beruhigen. Gott hat es gewollt, daß
ich zwei in meinem Leben sehen sollte; möchte er
mir die Gnade erzeigen, mich vor einer dritten zu
bewahren. Seit jenem schrecklichen Jahre, wo die
letzte stattfand, sind viele Handlungshäuser, welche
früher zu den blühenösten gehörten, genöthigt ge-
wesen, ihre Zahlungen einzustellen. Louise, und ich
bin mit einem dieser Häuser in genauer Verbindung,
ich bin bei einem Bankrott, mit 800,000 Frcs. be-
theiligt. Binnen vier und einigen Tagen werden
mir die nicht bezahlten Wechsel zurückgehen, und
ich habe nicht das nöthige Geld! - ich kann höch-
stens über 600,000 Frcs. verfügen. Louise, selbst
wenn ich alle diese Möbel verkaufe, wenn Du das
Kleid ausziehst, das Du trägst, werde ich dennoch
nicht im Stande seyn, zu zahlen; und dann wird
man in dieser Stadt, wo ich immer in der größten
Achtung, in dem allgemeinsten Ansehen gestanden
habe, sagen: Das Haus Granville hat seine Zah-
lungen eingestellt. O mein Gott! seine Zahlungen
eingestellt! Du weißt nicht, was für einen fürchter-
lichen Klang dies Wort hat. Du weißt nicht, daß
es ein Fleck auf unser ganzes Leben wirft, den
nichts auszulöschen vermag, nein nichts, selbst nicht
der Tod."

Louise warf sich weinend in die Arme ihres
Gatten.

"Ach! sprich nicht so, bester Granville, ich bitte
Dich. Kann es denn etwas geben, das Deinen
Ruf bei diesen Leuten, die Dich seit 60 Jahren
kennen, zu beflecken vermöchte? Jst der Name Gran-
ville nicht der des achtbarsten Mannes in ganz
Marseille. Wenn es eine Stimme geben sollte,
welche es wagte, Dich anzugreifen, so würden hun-
dert andere dagegen aufstehen, um ihr zu antwor-
ten; hundert jener Unglücklichen, die durch Deine
Wohlthaten, Deine Unterstützung leben. Nein,
nein! Täusche Dich nicht. Es gibt achtbare Na-
men, die sich eine so allgemeine Verehrung erwor-
ben haben, daß sie nichts zu fürchten brauchen. -
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Tübinger [Abbildung] Chronik.
[Spaltenumbruch]

Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. – – am
Neckarsthor u. bei Hrn –

– in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 84. Montag den 14. Juli. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Louise Dalmar.
Fortsetzung.

Sie setzte sich an die Seite ihres Mannes und
nahm eine seiner Hände in die ihre, die sie zärtlich
drückte. Granville betrachtete sie einen Augenblick,
dann zog er sie noch näher zu sich und sagte leise:

„Jch bin so glücklich, daß ich Dich bei mir
habe, das ist wenigstens ein Trost.“

„Ein Trost?“ wiederholte die junge Frau trau-
rig und in den großen blauen Augen, welche den
Greis anblickten, sah man eine Thräne, – nur
der bedarf des Trostes, der da leidet.

Der Bankier antwortete nicht.

„Du leidest also?“

Jhre Frage wurde nicht beantwortet; der Greis
schien sich zu fürchten, dem Schmerz Worte zu ge-
ben, damit er nicht noch lebendiger würde. – Louise
senkte das Haupt und ohne die Hand ihres Mannes
loszulassen, wandte sie sich fort, vielleicht um ihre
Thränen zu trocknen.

„Ja Louise,“ rief Granville endlich, „ich leide,
ich leide entsetzlich!“

„Mein Gott!“ antwortete sie, „so habe ich mich
nicht getäuscht.“

„Es ist uns vielleicht ein großes Unglück sehr
nahe.“

„Du erschreckst mich.“

„Ein entsetzliches Unglück, Louise,“ wiederholte
der Greis, und seine zitternde Hand fuhr nach der
Stirn, „ein Unglück, dem wir nicht vorbeugen kön-
nen, dem oft Ehre, Vermögen und Leben zum
Opfer werden. Du zitterst, mich so sprechen zu
hören und Du verstehst mich nicht, mein armes
Kind. Verzeihe mir, aber es kommt mir vor, als
fände ich in etwas meine Ruhe wieder, wenn ich
Dir sage, wie ich leide.“

Er hielt einen Augenblick an, dann fuhr er mit
ruhiger Stimme fort:

„Du, die Du so jung, so unerfahren in dieser
Welt, und so glücklich in dieser Unerfahrenheit bist,
Du weißt nicht, wie fürchterlich die Begebenheiten
des letzten Jahres gewesen sind, wie das öffentliche
Leben durch den blutigen Stoß erschüttert ist, der
einen Thron umwarf, und wie oft das Verderben
und mehr als das, meine Louise, – die Entehrung
[Spaltenumbruch] seit jener Zeit in die Mitte der geachtetsten Familien
getreten ist.“

„Entehrung!“ wiederholte Louise und hob ihr
Haupt empor, indem sie einen ängstlichen Blick
auf ihren Gatten heftete, – „o sprich nicht so!
Du machst mir Furcht, die Entehrung, könnte sie
Dich je erreichen?“

„Nein, meine Louise, denn ich würde sie nicht
überleben; Revolutionen, mein Kind, sind Stürme,
welche Wogen erregen, die lange Zeit gebrauchen,
um sich zu beruhigen. Gott hat es gewollt, daß
ich zwei in meinem Leben sehen sollte; möchte er
mir die Gnade erzeigen, mich vor einer dritten zu
bewahren. Seit jenem schrecklichen Jahre, wo die
letzte stattfand, sind viele Handlungshäuser, welche
früher zu den blühenösten gehörten, genöthigt ge-
wesen, ihre Zahlungen einzustellen. Louise, und ich
bin mit einem dieser Häuser in genauer Verbindung,
ich bin bei einem Bankrott, mit 800,000 Frcs. be-
theiligt. Binnen vier und einigen Tagen werden
mir die nicht bezahlten Wechsel zurückgehen, und
ich habe nicht das nöthige Geld! – ich kann höch-
stens über 600,000 Frcs. verfügen. Louise, selbst
wenn ich alle diese Möbel verkaufe, wenn Du das
Kleid ausziehst, das Du trägst, werde ich dennoch
nicht im Stande seyn, zu zahlen; und dann wird
man in dieser Stadt, wo ich immer in der größten
Achtung, in dem allgemeinsten Ansehen gestanden
habe, sagen: Das Haus Granville hat seine Zah-
lungen eingestellt. O mein Gott! seine Zahlungen
eingestellt! Du weißt nicht, was für einen fürchter-
lichen Klang dies Wort hat. Du weißt nicht, daß
es ein Fleck auf unser ganzes Leben wirft, den
nichts auszulöschen vermag, nein nichts, selbst nicht
der Tod.“

Louise warf sich weinend in die Arme ihres
Gatten.

„Ach! sprich nicht so, bester Granville, ich bitte
Dich. Kann es denn etwas geben, das Deinen
Ruf bei diesen Leuten, die Dich seit 60 Jahren
kennen, zu beflecken vermöchte? Jst der Name Gran-
ville nicht der des achtbarsten Mannes in ganz
Marseille. Wenn es eine Stimme geben sollte,
welche es wagte, Dich anzugreifen, so würden hun-
dert andere dagegen aufstehen, um ihr zu antwor-
ten; hundert jener Unglücklichen, die durch Deine
Wohlthaten, Deine Unterstützung leben. Nein,
nein! Täusche Dich nicht. Es gibt achtbare Na-
men, die sich eine so allgemeine Verehrung erwor-
ben haben, daß sie nichts zu fürchten brauchen. –
[Ende Spaltensatz]

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Granville betrachtete sie einen Augenblick, dann zog er sie noch näher zu sich und sagte leise: „Jch bin so glücklich, daß ich Dich bei mir habe, das ist wenigstens ein Trost.“ „Ein Trost?“ wiederholte die junge Frau trau- rig und in den großen blauen Augen, welche den Greis anblickten, sah man eine Thräne, – nur der bedarf des Trostes, der da leidet. 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Verzeihe mir, aber es kommt mir vor, als fände ich in etwas meine Ruhe wieder, wenn ich Dir sage, wie ich leide.“ Er hielt einen Augenblick an, dann fuhr er mit ruhiger Stimme fort: „Du, die Du so jung, so unerfahren in dieser Welt, und so glücklich in dieser Unerfahrenheit bist, Du weißt nicht, wie fürchterlich die Begebenheiten des letzten Jahres gewesen sind, wie das öffentliche Leben durch den blutigen Stoß erschüttert ist, der einen Thron umwarf, und wie oft das Verderben und mehr als das, meine Louise, – die Entehrung seit jener Zeit in die Mitte der geachtetsten Familien getreten ist.“ „Entehrung!“ wiederholte Louise und hob ihr Haupt empor, indem sie einen ängstlichen Blick auf ihren Gatten heftete, – „o sprich nicht so! Du machst mir Furcht, die Entehrung, könnte sie Dich je erreichen?“ „Nein, meine Louise, denn ich würde sie nicht überleben; Revolutionen, mein Kind, sind Stürme, welche Wogen erregen, die lange Zeit gebrauchen, um sich zu beruhigen. Gott hat es gewollt, daß ich zwei in meinem Leben sehen sollte; möchte er mir die Gnade erzeigen, mich vor einer dritten zu bewahren. Seit jenem schrecklichen Jahre, wo die letzte stattfand, sind viele Handlungshäuser, welche früher zu den blühenösten gehörten, genöthigt ge- wesen, ihre Zahlungen einzustellen. Louise, und ich bin mit einem dieser Häuser in genauer Verbindung, ich bin bei einem Bankrott, mit 800,000 Frcs. be- theiligt. Binnen vier und einigen Tagen werden mir die nicht bezahlten Wechsel zurückgehen, und ich habe nicht das nöthige Geld! – ich kann höch- stens über 600,000 Frcs. verfügen. Louise, selbst wenn ich alle diese Möbel verkaufe, wenn Du das Kleid ausziehst, das Du trägst, werde ich dennoch nicht im Stande seyn, zu zahlen; und dann wird man in dieser Stadt, wo ich immer in der größten Achtung, in dem allgemeinsten Ansehen gestanden habe, sagen: Das Haus Granville hat seine Zah- lungen eingestellt. O mein Gott! seine Zahlungen eingestellt! Du weißt nicht, was für einen fürchter- lichen Klang dies Wort hat. Du weißt nicht, daß es ein Fleck auf unser ganzes Leben wirft, den nichts auszulöschen vermag, nein nichts, selbst nicht der Tod.“ Louise warf sich weinend in die Arme ihres Gatten. „Ach! sprich nicht so, bester Granville, ich bitte Dich. Kann es denn etwas geben, das Deinen Ruf bei diesen Leuten, die Dich seit 60 Jahren kennen, zu beflecken vermöchte? Jst der Name Gran- ville nicht der des achtbarsten Mannes in ganz Marseille. Wenn es eine Stimme geben sollte, welche es wagte, Dich anzugreifen, so würden hun- dert andere dagegen aufstehen, um ihr zu antwor- ten; hundert jener Unglücklichen, die durch Deine Wohlthaten, Deine Unterstützung leben. Nein, nein! Täusche Dich nicht. Es gibt achtbare Na- men, die sich eine so allgemeine Verehrung erwor- ben haben, daß sie nichts zu fürchten brauchen. –

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Tübinger Chronik. Nr. 84. [Tübingen (Württemberg)], 14. Juli 1845, S. [337]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik084_1845/1>, abgerufen am 21.11.2024.