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Tübinger Chronik. Nr. 94. [Tübingen (Württemberg)], 6. August 1845.

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Tübingen u. Umgegend abon-
nirt man bei d. Redaction in d.
langen Gasse nächst d. Stifts-
kirche, wo auch Ankündigun-
gen und Aufsätze aller Art
abgegeben werden können.

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Tübinger [Abbildung] Chronik.
[Spaltenumbruch]

Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. - - am
Neckarsthor u. bei Hrn -

- in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 94. Mittwoch den 6. August. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Louise Dalmar.
Fortsetzung.

Der Bankier hatte sich erhoben, als ihm noch
etwas einzufallen schien.

- Es versteht sich von selbst, mein lieber Mir-
mont, daß Sie bei uns wohnen. Jch habe Jhr
Zimmer schon zurecht machen lassen.

Die junge Frau erschrack bei diesen Worten und
die Stickerei entfiel ihren Händen.

Wollen Sie uns wirklich diese Ehre erweisen,
Herr Graf, sagte sie mit leiser Stimme.

Und sie sah den jungen Mann mit vorwurfs-
vollen Blicken an.

- Ohne Zweifel, ohne Zweifel, fuhr Herr
Granville fort; ich nehme die Sache als abgemacht
an. Die Gasthäuser sind ja hier so schlecht und es
wäre nicht zu verzeihen wenn wir Sie fort ließen.
Keine Umstände, Graf, keine Umstände, sie sind
unnöthig, da ich sie auch nicht mit Jhnen mache,
weil ich Sie im zweiten Stock logire. Sie müssen
schon deswegen meinen Wunsch erfüllen, weil ich
dann länger das Vergnügen habe, Sie zu sehen,
und ich glaube, Sie sind überzeugt, daß mir das
ein Vergnügen ist.

Nachdem er dem jungen Manne, der nur zu
gern nachgab, die Hand gereicht hatte, näherte sich
der Bankier Louisen, die still und nachdenkend vor
sich hin sah. Er legte ihr die Hand auf die heiße
Stirne und sagte:

- Bleibe nicht zu lange auf, Louise; dieser
bewegte Tag hat Dich angegriffen und Herr von
Mirmont wird Dich für heute Abend entschuldigen.

Der Graf konnte kein Wort sprechen; das Zit-
tern seiner Stimme würde seine Bewegung verrathen
haben; er hielt es nicht länger aus, er sprang auf
und es schien, daß er einen raschen Entschluß fasse,
weil er seinen Kräften nicht vertraue. Er trat auf
den Greis zu, drückte ihm beide Hände mit einer
Bewegung, welche in einem andern Augenblicke selt-
sam erschienen seyn würde und nachdem er sich vor
Madame Granville verbeugt hatte, sprach er das
eine Wort: Gute Nacht, und verließ das Zimmer.

- Du versprichst mir, sagte der Bankier zu
seiner Frau, nicht mehr aufzubleiben. Dein Ge-
sicht ist bleicher als gewöhnlich und ich fürchte, daß
Du krank bist.

- Jch will nur diese Blume vollenden, ant-
[Spaltenumbruch] wortete Louise, indem sie auf ihre Stickerei deutete.

- Und ich, sagte der Greis, will noch heut
meine Rechnungen in Ordnung bringen. Gute
Nacht Louise.

Er küßte die junge Frau auf die Stirne und
verließ das Zimmer.

Kaum hatte sich die Thür geschlossen, als lange
verhaltene Thränen den Augen Louisens entströmten.
O! mein Gott! rief sie mit erstickter Stimme, ich
bin sehr unglücklich! und sie verfiel von Neuem in
ihr trübes Nachsinnen. Sie rief all' ihre Kraft und
Entschlossenheit zurück, um sich gegen diesen Schmerz
zu vertheidigen, der sie so plötzlich überkommen
hatte. So verging mehr als eine Stunde und sie
dachte in ihrem Leiden nicht daran, sich zur Ruhe
zu begeben.

Der Graf war seinerseits nicht weniger aufge-
regt. Der Engel des Guten kämpfte in seiner
Seele gegen das Böse; er fürchtete es, mit Louisen
allein zu seyn und darum entfloh er, damit er nicht
vielleicht ohne seinen Willen das edle Vertrauen
des Bankiers täusche. Er war in einer fürchterli-
chen Aufregung; seine Seele war unruhig. Er
wollte Louise nicht wiedersehen und doch würde er
die Hälfte seines künftigen Lebens gegeben haben,
um noch einmal mit ihr zu sprechen. Er durchmaß
mit eiligen Schritten das Zimmer, ohne auch nur
einen Gedanken festhalten zu können.

- Nein, nein! sagte er endlich, es ist unmög-
lich, daß ich ihr so nahe bleibe, in demselben Hause
mit ihr, wo ich jeden Augenblick den Ton ihrer
Schritte, ihrer Stimme zu hören glaube, es ist un-
möglich. Jch kann hier Niemanden mehr nützen.
Meine Gegenwart kann nur dazu dienen, die Ruhe
und das Glück zweier edlen Menschen zu trüben.
Jch muß dies Haus verlassen.

- Ja, fuhr er nach einem kurzen Schweigen
fort, ich werde abreisen, nicht morgen, in dieser
Nacht noch, gleich. Jch werde einen Brief zurück-
lassen, der mich bei Herrn Granville entschuldigt.
Jch werde ihm schreiben, daß ein Geschäft, das
mir plötzlich eingefallen ist, mich sogleich nach Paris
zurückgerufen hat. Ja, ja, so werde ich thun.

Und er suchte in dem Zimmer nach einem Schreib-
zeuge, aber er fand weder Feder noch Tinte noch
Papier. Da setzte er seinen Hut auf, nahm seinen
Mantel um und stieg die Treppe hinunter.

- Es ist Alles zur Ruhe gegangen in diesem
Hause, ich werde im Wohnzimmer schreiben.

Er öffnete die Thür leise und blieb auf der
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Tübinger [Abbildung] Chronik.
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Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. – – am
Neckarsthor u. bei Hrn –

– in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 94. Mittwoch den 6. August. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Louise Dalmar.
Fortsetzung.

Der Bankier hatte sich erhoben, als ihm noch
etwas einzufallen schien.

– Es versteht sich von selbst, mein lieber Mir-
mont, daß Sie bei uns wohnen. Jch habe Jhr
Zimmer schon zurecht machen lassen.

Die junge Frau erschrack bei diesen Worten und
die Stickerei entfiel ihren Händen.

Wollen Sie uns wirklich diese Ehre erweisen,
Herr Graf, sagte sie mit leiser Stimme.

Und sie sah den jungen Mann mit vorwurfs-
vollen Blicken an.

– Ohne Zweifel, ohne Zweifel, fuhr Herr
Granville fort; ich nehme die Sache als abgemacht
an. Die Gasthäuser sind ja hier so schlecht und es
wäre nicht zu verzeihen wenn wir Sie fort ließen.
Keine Umstände, Graf, keine Umstände, sie sind
unnöthig, da ich sie auch nicht mit Jhnen mache,
weil ich Sie im zweiten Stock logire. Sie müssen
schon deswegen meinen Wunsch erfüllen, weil ich
dann länger das Vergnügen habe, Sie zu sehen,
und ich glaube, Sie sind überzeugt, daß mir das
ein Vergnügen ist.

Nachdem er dem jungen Manne, der nur zu
gern nachgab, die Hand gereicht hatte, näherte sich
der Bankier Louisen, die still und nachdenkend vor
sich hin sah. Er legte ihr die Hand auf die heiße
Stirne und sagte:

– Bleibe nicht zu lange auf, Louise; dieser
bewegte Tag hat Dich angegriffen und Herr von
Mirmont wird Dich für heute Abend entschuldigen.

Der Graf konnte kein Wort sprechen; das Zit-
tern seiner Stimme würde seine Bewegung verrathen
haben; er hielt es nicht länger aus, er sprang auf
und es schien, daß er einen raschen Entschluß fasse,
weil er seinen Kräften nicht vertraue. Er trat auf
den Greis zu, drückte ihm beide Hände mit einer
Bewegung, welche in einem andern Augenblicke selt-
sam erschienen seyn würde und nachdem er sich vor
Madame Granville verbeugt hatte, sprach er das
eine Wort: Gute Nacht, und verließ das Zimmer.

– Du versprichst mir, sagte der Bankier zu
seiner Frau, nicht mehr aufzubleiben. Dein Ge-
sicht ist bleicher als gewöhnlich und ich fürchte, daß
Du krank bist.

– Jch will nur diese Blume vollenden, ant-
[Spaltenumbruch] wortete Louise, indem sie auf ihre Stickerei deutete.

– Und ich, sagte der Greis, will noch heut
meine Rechnungen in Ordnung bringen. Gute
Nacht Louise.

Er küßte die junge Frau auf die Stirne und
verließ das Zimmer.

Kaum hatte sich die Thür geschlossen, als lange
verhaltene Thränen den Augen Louisens entströmten.
O! mein Gott! rief sie mit erstickter Stimme, ich
bin sehr unglücklich! und sie verfiel von Neuem in
ihr trübes Nachsinnen. Sie rief all' ihre Kraft und
Entschlossenheit zurück, um sich gegen diesen Schmerz
zu vertheidigen, der sie so plötzlich überkommen
hatte. So verging mehr als eine Stunde und sie
dachte in ihrem Leiden nicht daran, sich zur Ruhe
zu begeben.

Der Graf war seinerseits nicht weniger aufge-
regt. Der Engel des Guten kämpfte in seiner
Seele gegen das Böse; er fürchtete es, mit Louisen
allein zu seyn und darum entfloh er, damit er nicht
vielleicht ohne seinen Willen das edle Vertrauen
des Bankiers täusche. Er war in einer fürchterli-
chen Aufregung; seine Seele war unruhig. Er
wollte Louise nicht wiedersehen und doch würde er
die Hälfte seines künftigen Lebens gegeben haben,
um noch einmal mit ihr zu sprechen. Er durchmaß
mit eiligen Schritten das Zimmer, ohne auch nur
einen Gedanken festhalten zu können.

– Nein, nein! sagte er endlich, es ist unmög-
lich, daß ich ihr so nahe bleibe, in demselben Hause
mit ihr, wo ich jeden Augenblick den Ton ihrer
Schritte, ihrer Stimme zu hören glaube, es ist un-
möglich. Jch kann hier Niemanden mehr nützen.
Meine Gegenwart kann nur dazu dienen, die Ruhe
und das Glück zweier edlen Menschen zu trüben.
Jch muß dies Haus verlassen.

– Ja, fuhr er nach einem kurzen Schweigen
fort, ich werde abreisen, nicht morgen, in dieser
Nacht noch, gleich. Jch werde einen Brief zurück-
lassen, der mich bei Herrn Granville entschuldigt.
Jch werde ihm schreiben, daß ein Geschäft, das
mir plötzlich eingefallen ist, mich sogleich nach Paris
zurückgerufen hat. Ja, ja, so werde ich thun.

Und er suchte in dem Zimmer nach einem Schreib-
zeuge, aber er fand weder Feder noch Tinte noch
Papier. Da setzte er seinen Hut auf, nahm seinen
Mantel um und stieg die Treppe hinunter.

– Es ist Alles zur Ruhe gegangen in diesem
Hause, ich werde im Wohnzimmer schreiben.

Er öffnete die Thür leise und blieb auf der
[Ende Spaltensatz]

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[[377]/0001] Dieses Blatt erscheint wö- chentl. 3mal, Montag, Mitt- woch u. Freitag u. kostet hier und durch Boten bezogen mo- natlich 9 kr. Durch die Post bezogen halbjährlich 1 fl. Ein- rückungsgebühr f. 1 Linie aus gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für Tübingen u. Umgegend abon- nirt man bei d. Redaction in d. langen Gasse nächst d. Stifts- kirche, wo auch Ankündigun- gen und Aufsätze aller Art abgegeben werden können. Tübinger [Abbildung] Chronik. Briefkästen sind aufgestellt: bei Hrn. Messerschmidt Busse nächst d. Rathhaus, bei Hrn. Bürstenfabrikant Klein beim Hirsch, bei Fr. Messrschm_ Wlh_ . Fack in d. neuen Straße bei Hrn. – – am Neckarsthor u. bei Hrn – – in der Neckarhalde, in welche Ankündigungen aller Art eingelegt werden können. Diese Briefkästen werden je- den Tag geleert. Eine Zeitschrift für Stadt und Land. Nro 94. Mittwoch den 6. August. 1845. Louise Dalmar. Fortsetzung. 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Nachdem er dem jungen Manne, der nur zu gern nachgab, die Hand gereicht hatte, näherte sich der Bankier Louisen, die still und nachdenkend vor sich hin sah. Er legte ihr die Hand auf die heiße Stirne und sagte: – Bleibe nicht zu lange auf, Louise; dieser bewegte Tag hat Dich angegriffen und Herr von Mirmont wird Dich für heute Abend entschuldigen. Der Graf konnte kein Wort sprechen; das Zit- tern seiner Stimme würde seine Bewegung verrathen haben; er hielt es nicht länger aus, er sprang auf und es schien, daß er einen raschen Entschluß fasse, weil er seinen Kräften nicht vertraue. Er trat auf den Greis zu, drückte ihm beide Hände mit einer Bewegung, welche in einem andern Augenblicke selt- sam erschienen seyn würde und nachdem er sich vor Madame Granville verbeugt hatte, sprach er das eine Wort: Gute Nacht, und verließ das Zimmer. – Du versprichst mir, sagte der Bankier zu seiner Frau, nicht mehr aufzubleiben. 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Der Engel des Guten kämpfte in seiner Seele gegen das Böse; er fürchtete es, mit Louisen allein zu seyn und darum entfloh er, damit er nicht vielleicht ohne seinen Willen das edle Vertrauen des Bankiers täusche. Er war in einer fürchterli- chen Aufregung; seine Seele war unruhig. Er wollte Louise nicht wiedersehen und doch würde er die Hälfte seines künftigen Lebens gegeben haben, um noch einmal mit ihr zu sprechen. Er durchmaß mit eiligen Schritten das Zimmer, ohne auch nur einen Gedanken festhalten zu können. – Nein, nein! sagte er endlich, es ist unmög- lich, daß ich ihr so nahe bleibe, in demselben Hause mit ihr, wo ich jeden Augenblick den Ton ihrer Schritte, ihrer Stimme zu hören glaube, es ist un- möglich. Jch kann hier Niemanden mehr nützen. Meine Gegenwart kann nur dazu dienen, die Ruhe und das Glück zweier edlen Menschen zu trüben. Jch muß dies Haus verlassen. – Ja, fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, ich werde abreisen, nicht morgen, in dieser Nacht noch, gleich. Jch werde einen Brief zurück- lassen, der mich bei Herrn Granville entschuldigt. Jch werde ihm schreiben, daß ein Geschäft, das mir plötzlich eingefallen ist, mich sogleich nach Paris zurückgerufen hat. Ja, ja, so werde ich thun. Und er suchte in dem Zimmer nach einem Schreib- zeuge, aber er fand weder Feder noch Tinte noch Papier. Da setzte er seinen Hut auf, nahm seinen Mantel um und stieg die Treppe hinunter. – Es ist Alles zur Ruhe gegangen in diesem Hause, ich werde im Wohnzimmer schreiben. Er öffnete die Thür leise und blieb auf der

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Zitationshilfe: Tübinger Chronik. Nr. 94. [Tübingen (Württemberg)], 6. August 1845, S. [377]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik094_1845/1>, abgerufen am 21.11.2024.